New Work - Gute Arbeit gestalten - Carsten C. Schermuly - E-Book

New Work - Gute Arbeit gestalten E-Book

Carsten C. Schermuly

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Beschreibung

Der Wandel zur Arbeitswelt 4.0 stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen. Carsten C. Scheremuly beschreibt, wie Sie mit psychologischem Empowerment die zentralen Personalthemen Ihres Unternehmens abgestimmt optimieren. So werden Ihre Mitarbeitenden aktiver, leistungsfähiger und psychisch gesünder und das Unternehmen insgesamt den aktuellen Herausforderungen besser gewachsen. Carsten C. Schermuly gehört zu den 40 führenden HR-Köpfen, ausgezeichnet vom Personalmagazin 2021 und 2023. Inhalte: - Gute Arbeit durch Empowerment: Personalauswahl, Personalentwicklung, Führung, Organisationsentwicklung. - Die vier Faktoren guter Arbeit: Kompetenz, Bedeutsamkeit, Selbstbestimmung und Einflussnahme. - Messung, Ausprägung und Selbsttestung.  - Arbeitszufriedenheit, Mitarbeiterbindung, Produktivität, Leistung, Innovation und GesundheitNeu in der 4. Auflage: - Bedeutung von Homeoffice im Kontext von New Work: Vorteile und Nebenwirkungen sowie Lösungsansätze, um die Nebenwirkungen abzumildern - Aktuelle Forschungsergebnisse zum Erfolg von New-Work-Maßnahmen: Arbeitsort- und Arbeitszeitautonomie, agile Projektarbeit, Open-Space-Büros und empowermentorientierte Führung - Überlegungen zur Plausibilität von Generationsunterschieden und Vorurteilen gegenüber älteren Arbeitnehmenden im Kontext von New Work"Dieses Buch ist eine exzellente Reflexionsgrundlage zum Thema und hat das Zeug zu einem Standardwerk." Marion Badenhop (Managerseminare) "Stellen Sie sich darauf ein, Experte für das Thema Arbeit zu werden, wenn Sie Arbeit gut gestalten wollen. Damit Ihnen das gelingt, empfehle ich dieses schlaue Buch. Uneingeschränkt. An die Arbeit!" Carina Kontio (Handelsblatt) Schermuly liefert "mit seinem Buch einen enorm wichtigen Beitrag zur Objektivierung der New Work Debatte." Prof. Dr. Sebastian Kunert (Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie) "Er erläutert wissenschaftlich fundiert die positiven Konsequenzen guter Arbeit. Wer nach Kapitel 7 "diesen ganzen New Work Kram" noch belächelt und als Spielerei abtut, der ist beratungsresistent." Henrik Zaborowski (HR Blogger) "Mehrmals hat Schermuly im Harvard Business Manager über HR-Themen geschrieben. Nun fasst er in einem extrem gut lesbaren Überblickswerk alle Methoden zusammen, die ein mitarbeiterzentriertes Arbeitsumfeld möglich machen - von Arbeitszeitautonomie über Holokratie bis hin zur Gerechtigkeitskultur. Wer dahinter naives Wunschdenken vermutet, liegt falsch. Das Buch belegt mit Studien und Praxisbeispielen, wie Unternehmen von "empowerten" Mitarbeitern profitieren." Britta Domke (Harvard Business Manager)    

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Inhaltsverzeichnis

InhaltsverzeichnisHinweis zum UrheberrechtmyBook+Impressum1 Einführung2 Soziale und psychologische Funktionen von Arbeit3 Eine kleine Geschichte der Arbeit3.1 Die Antike3.2 Das Mittelalter3.3 Die Neuzeit4 Vier Trends, die die Zukunft der Arbeit bestimmen4.1 Wissenszuwachs4.2 Digitalisierung4.3 Globalisierung4.4 Demografischer Wandel4.5 Die vier Zukunftstrends und die VUKA-Welt5 Der Begriff »New Work« gestern und heute6 Gute Arbeit und New Work aus dem Blickwinkel von Empowerment6.1 Strukturelles Empowerment6.2 Psychologisches Empowerment und die vier Facetten guter Arbeit6.2.1 Kompetenz6.2.2 Bedeutsamkeit6.2.3 Selbstbestimmung6.2.4 Einfluss6.2.5 Das Zusammenwirken der vier Facetten guter Arbeit7 Messung und Ausprägung der vier Facetten guter Arbeit7.1 Die Messung von psychologischem Empowerment7.2 Demografische Ergebnisse zum Empowermenterleben8 Konsequenzen guter Arbeit8.1 Arbeitszufriedenheit und Flow8.2 Bindung an die Organisation und Fluktuation8.3 Extraproduktives Verhalten8.4 Leistung und Innovationsverhalten8.5 Stress und psychisches Wohlbefinden9 Acht Grundhaltungen zur Förderung von psychologischem Empowerment9.1 Der Mensch steht im Mittelpunkt9.2 Wertschätzung der Mitarbeitenden9.3 Abkehr von Kontrolle und Etablierung von Vertrauen9.4 Übernahme von Verantwortung durch die Mitarbeitenden9.5 Berücksichtigung aller vier Empowermentfacetten9.6 Organisationsweite Empowermentstrategie9.7 Alle könnnen empowert werden9.8 Die Entwicklung von psychologischem Empowerment braucht Zeit10 Psychologisches Empowerment durch Arbeitsgestaltung10.1 Klassische Formen der Arbeitsgestaltung10.1.1 Klassische Maßnahmen der Arbeitsgestaltung ‒ eine Übersicht10.1.2 Jobrotation, Jobenlargement und Jobenrichment10.1.3 Teilautonome Gruppen10.1.4 Betriebliches Vorschlagswesen10.1.5 Qualitätszirkel10.1.6 Arbeitszeitautonomie10.1.7 Arbeitsortautonomie – Vor- und Nachteile von Homeoffice10.2 Moderne Formen der Arbeitsgestaltung10.2.1 Arbeiten in dynamischen Netzwerken statt in Hierarchien10.2.2 Agile Methoden der Arbeitsgestaltung10.2.3 Holacracy ‒ Zusammenarbeit in Kreisen10.2.4 Hierarchiefreie Raumgestaltung10.2.5 Weitere Maßnahmen moderner Arbeitsgestaltung10.2.6 Praxisbeispiel 1: Arbeitsgestaltung bei Gore10.2.7 Praxisbeispiel 2: Die »agile Transformation« bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB)2210.2.8 Praxisbeispiel 3: Arineo10.3 Abschließende Betrachtungen und konkrete Tipps10.3.1 Weg mit dem Kontrollwahn10.3.2 Welche Maßnahme passt zu meiner Situation?10.3.3 Achten Sie auf unerwünschte Nebenwirkungen10.3.4 Machen Sie die Betroffenen zu Beteiligten10.3.5 Missbrauchen Sie die Maßnahmen nicht für fremde Zwecke10.3.6 Stellen Sie die richtigen Ressourcen sicher11 Die Rolle der Führungskraft im Empowermentprozess11.1 Das Empowerment der Führungskraft11.2 Führungsstile mit Potenzial für psychologisches Empowerment11.2.1 Partizipation, autoritäre Führung und Laissez-faire-Führung11.2.2 Transformationale Führung11.2.3 Die Beziehungsqualität zwischen Mitarbeitenden und Führungskraft11.2.4 Der empowermentorientierte Führungsstil11.3 Abschließende Betrachtungen und konkrete Tipps11.3.1 Gestalten Sie ein empowerndes Arbeitsumfeld11.3.2 Werden Sie als Vorbild für psychologisches Empowerment erlebbar11.3.3 Betreiben Sie Wertschöpfung durch Wertschätzung12 Organisationskultur12.1 Fehlerkultur12.2 Gerechtigkeitskultur12.3 Diskriminierungskultur12.4 Abschließende Betrachtungen und konkrete Tipps12.4.1 Reflektieren Sie die Normen und Werte in Ihrer Organisation12.4.2 Etablieren Sie eine Kultur für psychologisches Empowerment12.4.3 Fördern Sie eine offene Fehlerkultur12.4.4 Etablieren Sie eine Gerechtigkeitskultur12.4.5 Vermeiden Sie Diskriminierung und schätzen Sie den Wert der Vielfalt13 Personalauswahl13.1 Das Person-Environment-Fit-Modell13.2 Professionelle Personalauswahl als Grundstein für psychologisches Empowerment13.3 Abschließende Betrachtungen und konkrete Tipps13.3.1 Sorgen Sie dafür, dass Sie genug Bewerber:innen haben13.3.2 Gehen Sie aktiv auf die Suche13.3.3 Stellen Sie genügend Ressourcen für den Auswahlprozess bereit13.3.4 Nutzen Sie mehrere Methoden13.3.5 Wählen Sie für die Zukunft und nicht für die Vergangenheit aus13.3.6 Gehen Sie im Interview strukturiert vor13.3.7 Vergessen Sie nicht die Facetten »Selbstbestimmung« und »Einfluss«13.3.8 Machen Sie die Betroffenen zu Beteiligten14 Personalentwicklung14.1 Personalentwicklungsmaßnahmen zur Förderung des psychologischen Empowerments14.2 Abschließende Betrachtungen und konkrete Tipps14.2.1 Passgenaue Personalentwicklung statt Personalentwicklung mit der Gießkanne14.2.2 Mitarbeitende für die Zukunft weiterentwickeln14.2.3 Setzen Sie nur Verfahren ein, die wirklich wirksam sind14.2.4 Führungskräfte in empowermentorientierter Führung trainieren14.2.5 Mitarbeitende auf mehr Empowerment und New Work vorbereiten14.2.6 Keine Personalentwicklung ohne BedarfFazitLiteraturverzeichnisDer AutorIhre Online-Inhalte zum Buch: Exklusiv für Buchkäuferinnen und Buchkäufer!Stichwortverzeichnis

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InhaltsubersichtCoverTextanfangImpressum
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Carsten C. Schermuly

New Work - Gute Arbeit gestalten

4. Auflage, März 2024

© 2024 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Freiburg

www.haufe.de

[email protected]

Bildnachweis (Cover): © andrej-lisakov, unsplash

Produktmanagement: Dr. Bernhard Landkammer

Lektorat: Ursula Thum

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, des auszugsweisen Nachdrucks, der Übersetzung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, vorbehalten. Alle Angaben/Daten nach bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit.

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1 Einführung

Lassen Sie uns gemeinsam in Ihre Zukunft reisen. Stellen Sie sich vor, dass Sie am Ende Ihres Erwerbslebens stehen. Die Erinnerungen an die Coronapandemie sind über die Jahre blasser geworden. Sie haben es geschafft! Sie sind gerade in Rente gegangen: Die Vögel zwitschern in Ihrem Garten und Sie sitzen mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin bei einem Glas Rotwein zusammen. Sie schmecken den Wein in Ihrem Mund und spüren die Sonne in Ihrem Gesicht. Sie geraten ins Plaudern und Ihre Gedanken beginnen zu wandern. Sie schauen auf Ihr Leben zurück und in Ihre Zukunft hinein.

Sie sind ein Mann? Dann bleiben Ihnen statistisch gesehen noch 6,6 Jahre, in denen Sie Ihr Leben mit wenigen gesundheitlichen Beschwerden genießen können. Als Frau können Sie sich statistisch betrachtet über diesen Zustand noch ein halbes Jahr länger freuen (Ehleis, 2014). Danach beginnt es wehzutun, und die letzte Phase Ihres ­Lebens beginnt.

Was haben Sie in Ihrem Leben bis zu diesem Zeitpunkt getan?

Welcher Tätigkeit haben Sie am meisten Zeit gewidmet?

Auf dem Spitzenplatz sollte das Schlafen stehen. Zumindest hoffe ich das für Sie. Direkt dahinter wird die Tätigkeit landen, weswegen Sie dieses Buch gekauft haben: Arbeit. Lassen Sie uns doch einmal berechnen, wie viele Stunden Sie gearbeitet haben werden, bevor Sie entspannt den Vögeln beim Zwitschern zuhören dürfen. Eine Beispielrechnung für einen »Durchschnittsmenschen« (Sie werden in diesem Buch lernen, dass es davon immer weniger gibt) mit 45 Arbeitsjahren und einer Vollzeitstelle lässt sich wie folgt durchführen: 2024 gibt es zum Beispiel in Berlin 252 potenzielle Arbeitstage. Durchschnittlich haben Deutsche 30 Urlaubstage (die Griechen übrigens nur 23) (Statista, 2015a) und pro Jahr sind Deutsche durchschnittlich 11 Tage lang krank (Statistisches Bundesamt, 2023). Wir kommen also auf 252 Arbeitstage ‒ 30 Urlaubstage ‒ 11 Krankheitstage = 211 Arbeitstage. Diese müssen wir mit den 45 Jahren und acht Stunden pro Arbeitstag multiplizieren und kommen auf das Ergebnis:

45 Jahre × 211 Arbeitstage × 8 Stunden = 75.960 Stunden

Dann machen Vollzeitangestellte in Deutschland auch noch 2,4 bezahlte und 3 unbezahlte Überstunden pro Monat (IAB, 2014). Diese Berechnung muss aber nicht noch weiter verfeinert werden. Sie reicht. Warum rechne ich Ihnen das vor? Ich wollte zu diesen 75.960 Stunden kommen. Ich finde, dass diese Zahl das beste Argument für ein Buch über gute Arbeit ist. Wenn Sie und viele Ihrer Mitarbeitenden und Kolleg:innen 75.960 Stunden in ihrem Leben mit einer Tätigkeit verbringen, dann sollte doch alles dafür getan werden, dass diese Tätigkeit möglichst gut gestaltet wird.

Sie sind Personaler:in oder Führungskraft und Ihnen reicht dieses Argument nicht, um dieses Buch weiterzulesen? Zum einen können Sie zu den 75.960 Stunden noch ein paar großzügig drauflegen. Ein Abteilungsleiter oder eine Abteilungsleiterin ­arbeitet durchschnittlich etwa drei Stunden pro Tag mehr als ein normaler Tarifangestellter (Neuberger, 2002). Auch Sie, liebe Führungskraft, sind ein Mensch und sollten in den Genuss guter Arbeit kommen. Aber es gibt auch andere Gründe: Gute Arbeit ist gut für Ihr Unternehmen, häufig kurzfristig und immer langfristig. Als Kern ­guter Arbeit und als Ziel von New Work betrachte ich in diesem Buch psychologisches ­Empowerment.

Psychologisches Empowerment

Psychologisches Empowerment setzt sich aus vier Facetten zusammen: dem Erleben von Kompetenz, Bedeutsamkeit, Selbstbestimmung und Einfluss während der Arbeit. Diese vier Facetten bilden zusammen das Gefühl von psychologischem Empowerment.

Das führt zu Konsequenzen, die Sie vermutlich gern in Ihrem Unternehmen verwirklicht sehen wollen (siehe Kapitel 6). Was brauchen Sie?

Mitarbeitende, die 

zufrieden sind?

leistungsfähig sind?

mehr tun, als sie müssten?

sich mit ihrem Unternehmen identifizieren?

nicht bei einem Angebot der Konkurrenz sofort wechseln?

innovative Ideen einbringen?

psychisch gesund sind?

später in Rente gehen?

Das können Sie haben, wenn alle mitmachen, Sie sich anstrengen und gute Arbeit mit Blick auf das psychologische Empowerment der Mitarbeitenden in Ihrem Unternehmen verwirklicht wird (siehe Kapitel 8). Und dann packe ich Ihnen tatsächlich, wie beim Metzger, noch ein kleines Extra in die Tüte. Und es ist keine Paprikalyoner, sondern stattdessen: Sex-Appeal! Gute Arbeit wirkt anziehend. Wenn sich herumspricht, dass man bei Ihnen gut arbeiten kann, dann möchten die besten Absolvent:innen bei Ihnen beschäftigt sein und nicht bei der Konkurrenz. Ihre Arbeitgebermarke profitiert von guter Arbeit und damit auch der Erfolg Ihres Unternehmens. Endlich mal dem fiesen Konkurrenzunternehmen aus der Nachbarstadt die besten Leute wegschnappen. Das geht mit psychologischem Empowerment.

Sie sind eher am großen Ganzen interessiert? Sie sind Volkswirt:in? Politikwissenschaftler:in? Soziolog:in? Oder gar Politiker:in? Ein bisschen Hoffnung kann ich auch Ihnen mit diesem Buch machen. Zunächst einmal kommen die positiven Konsequenzen guter Arbeit für Unternehmen und Mitarbeitende, wie Sie sich denken können, auch irgendwann der Gesellschaft zugute. Innovative Menschen kurbeln mit ihren Ideen die Wirtschaft an. Erfolgreiche Unternehmen zahlen mehr Steuern. Menschen, denen es gut geht, belasten weniger stark die Krankenkassen und die Deutsche ­Rentenversicherung.

Aber es gibt auch ein anderes Argument, das aus einer gesellschaftlichen Perspektive für gute Arbeit spricht. Blickt man in die Geschichte der Aufstände und sozialen Unruhen in Deutschland, so hatten viele auch etwas mit dem Thema gute Arbeit zu tun. Der Bauernaufstand (1525) richtete sich gegen die katastrophalen Bedingungen der Leibeigenschaft, der Weberaufstand (1844) gegen die frühkapitalistischen Fabrikanten. Beim Mainzer Knotenaufstand wird die Rückkehr alter Zunftfreiheiten und beim sächsischen Bauernaufstand die Einstellung der Frondienste gefordert (beide 1790). Dem Aufstand am 17. Juni 1953 in der DDR ging eine zehnprozentige Erhöhung der Arbeitsnormen voraus. Die Bauarbeiter an einem Berliner Krankenhaus forderten die Zurücknahme der Erhöhungen der Arbeitsnormen und die Kolleg:innen von der Nachbarbaustelle in der Stalinallee solidarisierten sich mit ihnen (LPB Baden-­Württemberg, 2015).

Auch international haben die Proteste gegen schlechte Arbeitsbedingungen die Welt zum Wanken gebracht. Figes (2014, S. 128) schlussfolgert zum Beispiel zur russischen Revolution und der Rolle des Zaren und seiner Regierung im Jahr 1917: »Die zaristische Regierung zeigte wenig Neigung, das Los der Arbeiter durch eine Fabrikgesetzgebung zu bessern. Das war einer ihrer größten Fehler, denn die Entstehung einer großen und unzufriedenen Arbeiterklasse in den Städten sollte eine der Hauptursachen für ihren Sturz sein.«

Durch mein Buch können Sie lernen, nicht dieselben Fehler wie der letzte Zar zu machen. Sie wissen wahrscheinlich, was dem Herrn und seiner Familie in einem Keller in Jekaterinburg widerfahren ist. Quer durch die Geschichte zeigt eine Vielzahl an Beispielen, dass sich Menschen gegen schlechte Arbeitsbedingungen irgendwann wehren. Durch gute Arbeit kann deshalb Akzeptanz für einen Staat und sein Wirtschaftssystem sowie für seine Regierung geschaffen werden. In einer Demokratie bedarf es nicht eines Aufstandes, um eine Regierung loszuwerden. Die tagtäglich ­erfahrenen Arbeitsbedingungen haben einen Einfluss auf Wahlentscheidungen. Kümmern sich die Mächtigen in Wirtschaft und Politik um gute Arbeit, dann erhöhen sie die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch weiter in ihrer Position arbeiten dürfen. Aber auch Sie als Führungskraft oder Personalleiter:in sitzen mit guter Arbeit sicherer im Sattel.

Zusammenfassend sprechen also drei Gründe für gute Arbeit. Arbeit ist erstens für Milliarden von Menschen auf der Welt tägliche Realität (Komlosy, 2014) und so sollte es ein erstrebenswertes und eigenständiges humanitäres Ziel sein, dass man sie gut gestaltet. Über gute Arbeit lassen sich zweitens wichtige Ziele von Unternehmen und ihren Mitarbeitenden erreichen. Gute Arbeit ist ein Mittel, um zum Beispiel die Fluktuation in einem Unternehmen zu senken oder die psychische Gesundheit der Belegschaft zu stärken. Drittens kann gute Arbeit dazu beitragen, die Akzeptanz und Leistungsfähigkeit des vorherrschenden Wirtschafts- und Sozialsystems zu erhalten oder gar zu steigern.

Gute Arbeit hat noch weitere Vorteile und mit diesem Buch sind Sie bestens gerüstet, um diese in Ihrem Arbeitsalltag umzusetzen. Das Buch ist auf die Gegenwart und Zukunft ausgerichtet. Ich möchte Sie nicht belehren, was Sie gestern hätten besser machen können. Ich möchte Ihnen Wege aufzeigen, wie Sie heute und morgen Arbeit besser machen können. Ich werde Sie auf New Work vorbereiten.

New Work

New Work ist ein Trendthema und gleichzeitig ein unübersichtliches Sammelsurium ­verschiedenster Maßnahmen und Prinzipien. Häufig werden sie ziellos und mit heftigen Nebenwirkungen in Organisationen eingeführt. Dieses Buch gibt eine klare und wissenschaftliche Orientierung, was das Ziel von New-Work-Maßnahmen sein sollte: das Erleben von mehr psychologischem Empowerment der Mitarbeitenden. Mit diesem Buch haben Sie es selbst in der Hand, die ersten Schritte in die Zukunft zu gehen und sich dabei von mir ­begleiten zu lassen.

Jetzt habe ich bereits viel über Arbeit geschrieben, aber Ihnen noch nicht verraten, was ich darunter verstehe. Wenn ich über Arbeit schreibe, dann beziehe ich mich auf das klassische Verständnis von Arbeit in unserer westlichen Kultur. In anderen Zeiten und Ländern könnte das Verständnis anders ausfallen. Vier Kriterien sind mir wichtig: Freiwilligkeit, Selbst- bzw. Unselbstständigkeit, Legalität und Entlohnung (Komlosy, 2014).

Unfreiwillig ist Arbeit, wenn sie aufgrund von politischen, religiösen oder familiären Zwängen verrichtet werden muss. Zwangstätigkeiten in einem Arbeitslager oder ­Tätigkeiten, die verrichtet werden müssen, weil ein Patriarch oder ein religiöses ­Gesetz es will, werden nicht durch diese Definition abgedeckt und sind dadurch kein Bestandteil dieses Buchs.

Unselbstständigkeit bedeutet nicht Unfreiwilligkeit. Unselbstständige verkaufen ihre Arbeitskraft freiwillig an einen selbstständigen Unternehmer oder eine Unternehmerin, die mit dem Ertrag der Arbeit einen Mehrwert erschaffen möchten. Die meisten Menschen in Deutschland gehen unselbstständiger Arbeit nach. Als Professor bin ich auch angestellt und so beschäftigt sich dieses Buch vor allem mit unselbstständiger Arbeit.

Illegal sind Tätigkeiten, die nicht den derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen entsprechen. Dazu gehören Schwarzarbeit, aber auch andere strafbare Tätigkeiten wie Zuhälterei.

Eine Bezahlung liegt vor, wenn ein Mensch für das, was er tut, eine monetäre Gegenleistung erhält. Das Paradoxe ist, dass dieselbe Tätigkeit in unserer Gesellschaft einmal entlohnt und einmal nicht entlohnt wird. Wischen Menschen den Boden des Wohnzimmers als Angestellte eines Reinigungsunternehmens, dann erhalten sie dafür Lohn; tun sie dies, wenn sie nach Hause kommen, dann erhalten sie dafür, wenn sie Glück haben, allenfalls ein Lob der Partner:innen (Komlosy, 2014). Dieses Buch bezieht sich auf bezahlte Arbeit. Sie werden in diesem Buch wenige Argumente finden, wie Sie Ihren Ehemann oder Ihre Ehefrau zu mehr Glück bei Hausarbeiten verhelfen können. Tut mir leid!

Ich werde Ihnen zunächst beschreiben, welche psychologischen und sozialen Funktionen Arbeit besitzt. Ich erläutere, warum Menschen arbeiten gehen und weshalb es so schwer für sie ist, wenn sie ihre Arbeit verlieren. Dann werde ich in den nächsten ­Kapiteln einen Blick in die Vergangenheit werfen (Arbeit 1.0 bis Arbeit 3.0) und Ihnen berichten, was unsere Vorfahren unter »Arbeit« verstanden haben und wie sie gearbeitet haben. Danach werde ich in die Zukunft der Arbeit schauen (Arbeit 4.0) und beschreiben, wie wir zukünftig arbeiten werden. Die Zukunft der Arbeit wird in den westlichen Industrienationen von der Wissensarbeit geprägt sein. Verzeihen Sie mir bitte, dass ich weniger stark auf die Zukunft des Handwerks oder des Agrarsektors eingehe. Ich bin zwar in einem kleinen Dorf im vorderen Hintertaunus aufgewachsen, aber wirklich Ahnung habe ich vom Agrarsektor nicht. Dann wird es Zeit, dass ich Ihnen vorstelle, was man gestern und was man heute unter dem Begriff »New Work« versteht. Das ist nicht einfach, weil New Work zu einem echten Containerbegriff ­geworden ist. Ein jeder wirft hinein, was er will, und holt auch wieder heraus, was er möchte. Seit der Coronapandemie ist einiges mehr im New-Work-Container gelandet. Ich versuche deshalb, Ordnung in den Container zu bringen, und nutze dafür auch Daten aus unserem New-Work-Barometer. Das ist eine jährliche Befragung, die unter anderem erfasst, was in Deutschland unter »New Work« verstanden wird.

Ich bin Praktiker und Wissenschaftler. Um praktisch und wissenschaftlich arbeiten zu können, brauche ich einen Orientierungsrahmen, der mir hilft, Prozesse zu verstehen und zu beschreiben. Diesen Orientierungsrahmen bietet mir eine Theorie. Ich stelle psychologisches Empowerment als den theoretischen Rahmen des Buches in Kapitel 6 dar. Die zukünftige Verwirklichung von mehr psychologischem Empowerment am Arbeitsplatz ist für mich gute Arbeit und die Zielmarke für jede New-Work-Maßnahme. Durch die Wahl dieses Rahmens bin ich nicht gezwungen, allein aus einer subjektiven Einzelperspektive über gute Arbeit zu sprechen, sondern kann von den vielen Studien und ihren Erkenntnissen profitieren, die weltweit zum Thema psychologisches Em­powerment in den letzten drei Jahrzehnten entstanden sind. Diese Erkenntnisse werde ich in Kapitel 8 vorstellen. Ich möchte Ihnen demonstrieren, welche Konsequenzen mit guter Arbeit einhergehen.

Danach folgt aus verschiedenen Perspektiven die Beantwortung der Frage, wie man psychologisches Empowerment am Arbeitsplatz fördern kann. Ich werde Ihnen zeigen, wie Sie mit Arbeitsgestaltungsmaßnahmen Rahmenbedingungen schaffen, die das Erleben von psychologischem Empowerment fördern können. Ich messe jeden Ansatz daran, inwieweit er das psychologische Empowerment steigert, und scheue mich auch nicht, die Schwachstellen der Maßnahmen herauszuarbeiten.

Sie bekommen in diesem Buch keine simplen Praxismaßnahmen unreflektiert empfohlen. Warum? Weil, wie Sie in Kapitel 4 lernen werden, die Zukunft der Arbeit verdammt komplex ist. Es wäre unseriös und würde meinen wissenschaftlichen und praktischen Prägungen widersprechen, wenn ich Ihnen eine einfache Zauberformel vorstellen würde, die in jedem Unternehmen automatisch zu mehr Empowerment führt. Diese Formel existiert nicht. Ich stelle Ihnen aber sehr viele Beispiele vor, die Ihnen auf Ihrem eigenen Weg zu mehr psychologischem Empowerment in Ihrem Unternehmen helfen werden.

Einen Schwerpunkt werde ich auch auf das Thema Homeoffice legen, denn vor allem hier hat die Coronapandemie starke Spuren in Organisationen hinterlassen. Danach gehe ich auf das Thema Führung und die Entwicklung einer empowermentförderlichen Organisationskultur ein. Personalauswahl und Personalentwicklung können Sie ebenfalls zur Förderung von psychologischem Empowerment nutzen. Wie das funktioniert, beschreibe ich in den Kapiteln 13 und 14. In jedem dieser Kapitel werde ich Ihnen eine allgemeine Einführung geben und danach konkrete Tipps anbieten, wie Sie das Empowermenterleben von Mitarbeitenden fördern können. Ich schließe mein Buch mit einem Fazit und werde die Kernpunkte zusammenfassen.

Ich betreibe seit mehr als einer Dekade intensive Forschung zu den Antezedenzien und Konsequenzen von psychologischem Empowerment und habe mich zu diesem Thema im Fach Psychologie habilitiert. Darüber hinaus begleite ich Unternehmen seit Längerem auf ihrem Weg zu mehr psychologischem Empowerment und New Work. Erlauben Sie mir deshalb bitte, dass ich Ihnen immer wieder von meiner Forschung und meinen Praxiserfahrungen berichte. Wenn ich zum Beispiel eigene Studien zitiere, dann erfolgt das nicht nur aus professoralem Narzissmus, sondern auch, um Sie an den Erkenntnissen teilhaben zu lassen, die ich in den zurückliegenden Jahren ­gesammelt habe. Und jetzt würde ich gern mit einer Frage beginnen: Warum gehen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, eigentlich arbeiten?

2 Soziale und psychologische Funktionen von Arbeit

In diesem Kapitel erfahren Sie, 

warum Sie arbeiten gehen,

weshalb Arbeitslosigkeit so starke Auswirkungen auf das Leben eines Menschen hat,

warum andere Menschen arbeiten gehen,

weshalb Sie auf der letzten Party so schnell nach Ihrem Beruf gefragt wurden.

Arbeit, soziale FunktionArbeit, psychische FunktionDie Menschen in Ihrem Unternehmen arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Sie stehen aber auch morgens auf und gehen zur Arbeit, um sehr viel mehr als »nur« Geld zu erhalten. Der damalige Bundesminister für Arbeit und Soziales und heutige Bundeskanzler Olaf Scholz fasst es in einem Interview wie folgt zusammen: »An der Erwerbsarbeit hängen Identität, Selbstachtung, Zugehörigkeitsgefühl.« Das stimmt. Arbeit ist eine zentrale Aktivität des menschlichen Lebens und sie hat herausragende soziale und psychologische Funktionen (Mor-Barak, 1995). Geschätzte Leserin, geschätzter Leser: Warum gehen Sie arbeiten? Wenn Sie möchten, dann nutzen Sie den folgenden Freiraum und schreiben Sie mindestens drei Punkte auf, warum Sie arbeiten gehen. Seien Sie ehrlich mit sich.

DigitaleExtras

Was sind die drei Hauptgründe, warum Sie arbeiten gehen?

1. _________________________________________________________________

2. _________________________________________________________________

3. _________________________________________________________________

Warum Menschen arbeiten gehen, wird besonders deutlich, wenn sie ihre Arbeit verlieren. Laut Friedrich Nietzsche ist der Beruf das Rückgrat des Lebens. Durch Arbeitslosigkeit wird dieses Rückgrat gebrochen. Aber es knackt nicht laut und kein Ärzt:innenteam eilt zur Hilfe. Das Drama vollzieht sich heimlich und still, ohne Hilfe und in großer Verzweiflung. Menschen verlieren ohne Arbeit ihren Halt. Viele Studien zeigen, dass sich die psychische und körperliche Gesundheit durch Arbeitslosigkeit dramatisch verschlechtert und die Lebenszufriedenheit deutlich abnimmt, wenn Menschen arbeitslos werden.

Coronapandemie, AuswirkungenAuf dem Höhepunkt der Coronakrise waren über sechs Millionen Menschen in Deutschland in Kurzarbeit (Statista, 2021). Zehntausende Selbstständige und Künstler:innen verloren von einem Tag auf den anderen ihre Aufträge und viele Menschen hat die Pandemie langfristig arbeitslos gemacht. Im sozioökonomischen Panel wird jährlich im Auftrag des DIW Berlin eine repräsentative Stichprobe deutscher ­Haushalte unter anderem mit Blick auf kritische Lebensereignisse und deren Einfluss auf die Lebenszufriedenheit untersucht. Durch das längsschnittliche Vorgehen ist es möglich, den Verlauf der Lebenszufriedenheit vor und nach kritischen Lebensereignissen zu analysieren. Eine Hochzeit führt zum Beispiel durchschnittlich zu einer kurzen Erhöhung der Lebenszufriedenheit. Die Scheidung führt dagegen zu einer deutlichen Delle. Schon viele Jahre vor der Scheidung sinkt die Lebenszufriedenheit und sie erholt sich dann auch nur langsam. Die Ergebnisse für die Arbeitslosigkeit ähneln dagegen wie die Verwitwung eher einem Stachel. Die Lebenszufriedenheit nimmt plötzlich ab und steigt danach wieder schnell. Die verhängnisvolle Tatsache ist aber, dass die Lebenszufriedenheit danach nicht mehr ihr altes Niveau erreicht. Eine Entlassung kann ein traumatisches Ereignis werden, und nicht nur der oder die Arbeitslose ist betroffen, sondern auch sein Lebenspartner oder seine Lebenspartnerin (siehe z. B. die Studie von Luhmann et al., 2014; Asendorpf, 2011).

Arbeitslosigkeit, FolgenAngst und Depressionen nehmen durch Arbeitslosigkeit zu und gleichzeitig entstehen mehr familiäre Konflikte. Besonders leiden Personen, bei denen die Arbeit bisher einen großen Stellenwert in ihrem Leben eingenommen hat und die wenig soziale Unterstützung während dieser kritischen Lebensphase bekommen. Psychisch belastet sind Menschen vor allem dann, wenn sie sich selbst stärker für den Verlust der Arbeit verantwortlich machen. Auch trifft es Menschen besonders hart, wenn sie Probleme haben, ihre Zeit während der Arbeitslosigkeit zu strukturieren und generell einen geringen Selbstwert besitzen (McKee-Ryan et al., 2005).

Untersucht man die Lebensrealität von Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, so treten ganz klar die sozialen und psychischen Funktionen von Arbeit hervor. Laut Semmer und Udris (1995) hat Arbeit im Wesentlichen die folgenden Funktionen:

Aktivität und Kompetenz

Kooperation und Kontakt

Zeitstrukturierung

soziale Anerkennung

persönliche Identität

Auf diese Punkte möchte ich nun in Anlehnung an die genannten Autoren eingehen.

Arbeit, als AktivitätArbeit, FunktionenArbeit ist eine Aktivität. Menschen sind aktiv während ihrer Arbeitszeit und verändern durch ihr Handeln die Umwelt, die sie umgibt (Semmer & Udris, 1995). Eine Installateurin baut in einem neuen Haus eine Badewanne ein, dazu eine Toilette und ein Waschbecken – und aus dem Raum wird ein Bad. Eine Forscherin entwickelt ein neues Medikament und ermöglicht so die Heilung von kranken Menschen. Ein Grundschullehrer bringt Kindern das Multiplizieren bei und verändert dadurch ­deren ­mathematisches Verständnis. Doch durch ihre Aktivität während der Arbeit verändern Menschen nicht nur ihre Umwelt, sondern auch sich selbst. Die Installateurin lernt die Badarmatur, die der Kunde unbedingt wollte, besser kennen und kann vielleicht andere Kund:innen zukünftig von deren Vorteilen überzeugen. Der Forscherin, die den Wirkstoff entdeckt hat, vernebelt der Ruhm den Kopf. Der Grundschullehrer entwickelt durch den Umgang mit einem lernbehinderten Kind möglicherweise mehr Toleranz und kann seine didaktischen Fähigkeiten ausbauen. Diese kommen auch seinen beiden eigenen Kindern zugute. Durch Arbeit bekommen Menschen das große Geschenk, aktiv zu sein und sich dabei zu verändern. Sie können ihre Kompetenzen, aber auch ihre Persönlichkeit durch Arbeit entwickeln. Die Entwicklung kann natürlich je nach Standpunkt positiv oder negativ ausfallen. Meist begegnen mir in Wissenschaft wie Praxis positive Entwicklungen durch Arbeit.

Das Geschenk, sich durch Arbeit entwickeln zu können, ist eine erste wichtige Funktion von Arbeit.

Arbeit, als StrukturDurch Arbeit wird darüber hinaus das Leben eines Menschen strukturiert. Arbeit gibt Menschen einen zeitlichen Rahmen, was von vielen als angenehm erlebt wird. Durch Arbeitslosigkeit oder langfristige Kurzarbeit verliert ein Mensch nicht nur die Arbeit, sondern auch seine Freizeit. Freizeit erhält ihre Existenz und ihren Wert erst durch Arbeit und der vorübergehenden Befreiung davon. Arbeit strukturiert die Tage und die Wochen. Dank Arbeit existiert ein Wochenende. Aber auch die Monate, das Jahr und die Lebensstruktur bis zur Rente werden durch Arbeit geordnet. Und hier haben wir die nächste wichtige Funktion: Arbeit gibt uns Struktur.

Arbeit, SozialkontakteDurch Arbeit kommen Menschen mit anderen Menschen in Kontakt. Die Arbeit ermöglicht den Austausch mit Kolleg:innen, Vorgesetzten und Mitarbeitenden, manchmal auch mit Kund:innen, Zulieferern und vielen anderen Menschen in ihren beruflichen Rollen. Denken Sie einmal nach, mit wem Sie in der letzten Woche in welchem Ausmaß Kontakt hatten. Sie werden entdecken, dass Sie mit vielen Kolleg:innen häufiger kommuniziert haben als mit Familienmitgliedern oder Freund:innen. Durch Arbeit findet ein Austausch von Informationen, aber auch von Gefühlen statt. Es wird am Arbeitsplatz kooperiert, um komplexe Aufgaben zu lösen, aber auch gemeinsam gelacht, gejammert und manchmal auch gehasst. Das befriedigt soziale Bedürfnisse und schützt vor Isolation. Arbeit schenkt uns soziale Kontakte – und das ist die dritte Funktion von Arbeit.

Arbeit, WürdeArbeit, gesellschaftliche AnerkennungArbeit wirkt sich aber auch auf das Leben außerhalb des Arbeitsplatzes aus. Wenn Sie auf einer Party einen fremden Menschen treffen und mit ihm ins Gespräch kommen, dann werden Sie schnell gefragt, was Sie so machen. Testen Sie einmal, wie lange es dauert, bis Ihnen diese Frage gestellt wird. Meist ist es die zweite oder dritte Frage eines Gesprächs.1 Achten Sie dann darauf, wie Sie automatisch (und Ihr Gegenüber) die Antwort auf diese Frage in Bezug zur eigenen Tätigkeit setzen und wie das Verhältnis zu Ihrem Gesprächspartner durch die Antwort bestimmt wird. Welchen Status besitzt die Person mit ihrem Beruf? Macht sie etwas Interessantes und bekommt sie es ordentlich bezahlt? Ist mir das Gegenüber unter- oder überlegen? Das Partybeispiel zeigt schnell: Über Arbeit erreicht man soziale Anerkennung. Arbeit verleiht Würde. Das Institut für Demoskopie Allensbach erhebt regelmäßig das Prestige verschiedener Berufe. Ganz oben auf der Rangliste stehen Ärzt:innen, Krankenschwestern und Pfleger, Polizist:innen und Lehrer:innen. Wenig gesellschaftliche Achtung erfahren dagegen Banker:innen, Fernsehmoderator:innen, Politiker:innen und – für mich persönlich überraschend – Buchhändler:innen (IFD-Allensbach, 2013). Klar ist aber auch, dass die Anerkennung vom Kontext abhängig ist. Ich habe mich schon auf Partys verlaufen, auf denen Menschen mit komischen Berufen die Stars des Abends waren. Als Professor läuft es auf Partys meistens ganz gut. Vielleicht ist der Beruf auch deswegen sehr beliebt. Auf jeden Fall kennen Sie nun die vierte Funktion von Arbeit: Arbeit schenkt gesellschaftliche Anerkennung.

Arbeit, IdentitätDas Partybeispiel führt zu einer weiteren Funktion von Arbeit: Arbeit schenkt Identität. Durch Arbeit weiß ich, wer ich bin, und kann dies anderen mitteilen. Ich kann und darf kommunizieren, welche Rolle und welche Aufgabe ich in einer Gesellschaft einnehme. Der eine baut Häuser, eine andere heilt Kranke, eine Nächste befördert Passagiere und manche verkaufen halt auch Bücher. Und für viele Berufe gibt es auch noch eine schicke Uniform oder einen Kittel, sodass der oder die Berufstätige selbst, aber auch andere jederzeit daran erinnert werden, wer da vor ihnen steht (oder es helfen lustige Amtsketten oder Statussymbole). Die berufliche Identität erlernt man durch Jahre der Sozialisation. Man muss sich durch eine Lehre oder ein Studium quälen. Dort verinnerlicht man Wissen, erwirbt Fähigkeiten und gewinnt Überzeugungen, wie die technische und die soziale Welt funktioniert. Schnell lernt man auch, wo man hingehört, welchen anderen Beruf man zu schätzen hat, aber auch, welchen man verachten soll (am meisten Verachtung werden den Quereinsteiger:innen in den eigenen Beruf entgegengebracht). Dadurch erwirbt man Halt in einer unübersichtlichen Welt, wird sich seiner selbst bewusst und erlangt dadurch Selbstgewissheit. Arbeit ist ein gewichtiger Teil des Selbstkonzepts. Die Identität ist die fünfte wichtige Arbeitsfunktion für unser Leben.

Arbeit schenkt uns also neben Geld die Möglichkeit, uns selbst, aber auch andere und die Umwelt zu verändern; dazu Struktur, Kooperationsmöglichkeiten, soziale Anerkennung und persönliche Identität. Deswegen ist es so hart, wenn wir unsere Arbeit verlieren. Und auch viele Rentner und Rentnerinnen brauchen eine »Ersatztätigkeit«, um die fünf Funktionen bedienen zu können. Ich kannte mal einen Historikerkollegen, der hatte richtig Angst vor den fleißigen Seniorstudierenden in seinen Vorlesungen zur Zeitgeschichte (»Ich habe das aber ganz anders in Erinnerung, Herr Professor. Außerdem steht bei Ihrem Kollegen das auch anders …«).

Um Arbeit gut gestalten zu können und New Work zu verstehen, müssen Sie Experte bzw. Expertin für das Thema Arbeit werden. Damit Sie noch ein besseres Verständnis für das Thema Arbeit entwickeln, möchte ich Ihnen als Nächstes vorstellen, wie sich das, was Menschen unter Arbeit verstehen und wie sie gearbeitet haben, in der Menschheitsgeschichte verändert hat. Bevor wir uns mit New Work beschäftigen, tauchen wir kurz in die Welt von »Old Work« ein.

1 Manche Menschen versuchen auch aus verschiedenen Gründen sehr diszipliniert, nicht als Erste zu fragen, was Sie beruflich tun. Sie können sich sicher sein ‒ es interessiert sie dennoch brennend! Spielen Sie einfach das Spiel mit. Es ist wie ein Cowboyduell. Wer zuerst zuckt und zuerst fragt, der hat verloren!

3 Eine kleine Geschichte der Arbeit

In diesem Kapitel erfahren Sie, 

warum Ägypter vor über 3.000 Jahren der Arbeit fernblieben,

was Griechen und Römer unter »Arbeit« verstanden haben,

welches Arbeitsverständnis der christliche Gott hat,

dass sich der Begriff »Arbeit« in manchen Sprachen aus dem Wort für Folter ­ableiten lässt,

wie Luther, Marx und Taylor unser Verständnis von Arbeit bis heute prägen,

wie Hausarbeit den Arbeitscharakter verloren hat und den Frauen zugesprochen wurde.

Arbeit, historischer AbrissIm British Museum liegt ein arbeits- und organisationspsychologischer Schatz: eine Steintafel aus dem Jahr 1250 vor Christus (Ostracon, Museumsnummer: EA5634). Sie stammt aus einem ägyptischen Unternehmen aus Deir el-Medina. Wir kennen die ­Produkte oder Dienstleistungen des Unternehmens nicht. Aber auf der Tafel sind die An- und Abwesenheitszeiten von 40 Arbeitern notiert sowie die Gründe für ihre ­Fehltage. Ein häufiger Grund war z. B. das Bierbrauen. Das Wasser im alten Ägypten war keimig. Bier half, um gesund durchs Leben zu kommen.

Hornefer konnte nicht erscheinen, weil er seinem Chef helfen musste. Das passierte auch ganz vielen anderen aus der Arbeitsgruppe. Die Chefs zweigten Arbeitskräfte ab. Auch Nakhtmin musste von seiner gewohnten Arbeit abweichen, weil er Steine für den Schreiber holen musste. Seba wurde von einem Skorpion gebissen und auch viele andere Arbeiter meldeten sich häufiger krank. Vielleicht hatten sie zu wenig Bier getrunken. Aapehti musste den Göttern opfern und Wadjmose war nicht da, weil er an seinem Haus baute. Pennub konnte nicht kommen, weil seine Mutter krank war, und einige der Arbeiter mussten ihre Familienangehörigen begraben.

Die Abstinenzgründe waren also sehr vielfältig und einige ähneln der Gegenwart. Andere Gründe scheinen heute unüblich. Viele Männer konnten nicht zur Arbeit erscheinen, weil ihre Frau oder Tochter bluteten (also ihre Menstruation hatten). Auch vor über 3.000 Jahren haben somit Menschen versucht, Beruf und Privatleben in Einklang zu bringen. Menschen waren schon immer sehr individuell in ihren Bedürfnissen und gleichzeitig scheinen recht universelle Werte zu existieren. Was aber über die Jahrhunderte durchaus unterschiedlich beantwortet wurde, ist die Frage, was überhaupt Arbeit ist.

Was Arbeit ist, wer als Arbeitende:r gilt oder wer für welche Tätigkeit entlohnt wird, das schwankte und änderte sich im Lauf der Geschichte sehr häufig. Immer wieder haben Menschen diese Fragen in den zurückliegenden Jahrhunderten unterschiedlich beantwortet. Gleichzeitig besteht im jeweiligen historischen Kontext eine durchaus hohe Übereinstimmung, zumindest innerhalb eines Kulturkreises: Die meisten Menschen sind sich zu einem Zeitpunkt und in einer Kultur recht einig, was sie unter Arbeit verstehen und welche Arbeit mehr oder weniger Status bringt. Sie haben auch eine Ahnung davon, was sie unter guter Arbeit verstehen. Der jeweilige Zeitgeist, politische Strukturen und auch technische Innovationen verändern immer wieder das Verständnis von Arbeit. Eine detailreiche Darstellung zu diesem Thema leistet Andrea Komlosy in ihrem Buch »Arbeit: Eine globalhistorische Perspektive. 13. bis 21. Jahrhundert«, auf das ich mich im Folgenden immer wieder beziehen werde. Mit wem fange ich an? Natürlich mit den Griechen.

Abb. 1:

Die Geschichte der Arbeit

3.1 Die Antike

Arbeit, in der AntikeIn den griechischen Stadtstaaten des klassischen Zeitalters galt Hand- und Lohnarbeit als verachtenswert. Die tägliche körperliche Arbeit, die das direkte Überleben sicherstellte, wurde von Perikles, Aristoteles und ihren Kolleg:innen verschmäht. ­Besonders schlecht angesehen war Arbeit, mit der die Infrastruktur gepflegt und die Nahrungsversorgung sichergestellt wurde. Diese Arbeiten wurden von Kleinbauern, Tagelöhnern und besonders häufig von Sklavinnen und Sklaven verrichtet. Ein wenig besser war die Arbeit von Handwerkern angesehen. Sie schafften mit ihren Händen etwas Neues und die dafür notwendigen Fertigkeiten wurden von den Griech:innen mehr geachtet (»Die neuen Ledersandalen von Jannis sind echt bequem. Der kann was, der Junge!«). Noch mehr Gefallen erweckten bei den Griech:innen Geschäftsleute und Künstler:innen. Auf der höchsten Stufe stand der freie männliche Grieche, der seine Zeit der Politik und der Bildung widmete. Der freie Grieche konnte sich aber diesen Arbeiten nur frei widmen, weil andere Menschen ihm alle anderen lebensnotwendigen Tätigkeiten abnahmen (Komlosy, 2014).

Im 2. Jahrhundert vor Christus verloren die Griech:innen ihre politische Unabhängigkeit und die Region wurde zu einer von vielen römischen Provinzen (Jannis musste nun seine Sandalen immer häufiger für Dominicus und seine Kolleg:innen schustern). Die griechische Kultur beeindruckte die Besatzer lange und wirkte im Römischen Reich als Leitkultur nach. Kaiser wie Nero und Philosophen wie Cicero waren verliebt in das Griechentum und Griechisch hielt sich auch als Amtssprache im Osten des Reiches. Deswegen stammen viele politische, philosophische und andere kulturelle Ideen aus dem Griechentum und wurden von den Römern weiterentwickelt. Dies gilt auch für das Grundverständnis von Arbeit. Verschiedene Tätigkeiten wurden aber von den Römern aufgewertet. Sie empfanden deutlich weniger Verachtung gegenüber der körperlichen Arbeit als die Griech:innen. Handwerker und freie Bauern wurden ­weniger stark von der Gesellschaft stigmatisiert und diskriminiert (Komlosy, 2014). Das hatte auch mit der Leidenschaft der Römer für die Kriegsführung zu tun. Die römische Armee bestand aus Berufssoldaten und nicht wie bei den Griechen aus Bürgern, die gelegentlich zu den Waffen griffen; eine Ausnahme bildete das Heer der Spartaner. Die Streitkräfte der Römer waren eine anerkannte Institution, die aus Militärprofis bestand, die um die 20 Jahre lang für ihren Staat Kriegerdienst verrichteten. Die Dienstzeit der Berufssoldaten war aber nur zeitweise durch das Bekriegen von Kelten und Persern oder, nach einer Usurpation eines Gegenkaisers, durch das Abschlachten der Kollegen aus der Nachbardivision geprägt.

Zwischen den Feldzügen klafften große Zeitlücken und es gab auch während der Kaiserzeit immer wieder stabile Phasen ohne Bürgerkriege und Germaneneinfälle in das Reich. In diesen Zwischenzeiten machten die Legionäre sich nützlich und errichteten zum Beispiel Schutzwälle, Straßen und Aquädukte. Die geschätzten Berufssoldaten waren selbst als Handwerker tätig. Auch wurden Veteranen der römischen Armee mit Bauernland für ihre Dienste belohnt. Die Soldaten eines Cäsars, Antonius oder Octavians strebten danach, im Anschluss an ihre Dienstzeit mit Land belohnt zu werden, und wurden damit für die Strapazen eines Feldzuges motiviert. Für die Feldherren ­ergaben sich dadurch erhebliche Herausforderungen bei der Demilitarisierung der großen Armeen. Denn das versprochene Land wurde in der Regel schon bewirtschaftet. Der bäuerlichen Arbeit und dem Stand der Bauern wurden durch die Römer:innen eine eigene Würde zugesprochen (Huber, 2007). An der Versklavung und Ausbeutung eines großen Teils der Bevölkerung wurde aber nicht gerüttelt. Die billigen Arbeitskräfte waren der Grundpfeiler des ökonomischen Systems und Sklav:innen verrichteten im Römischen Reich die Mehrheit der Tätigkeiten, die wir heute als Arbeit ansehen.

3.2 Das Mittelalter

Arbeit, im MittelalterIm 5. Jahrhundert geht das Weströmische Reich unter. Glaubt man dem britischen Historiker Peter Heather, dann hatte das weniger mit spätrömischer Dekadenz zu tun, denn das Oströmische Reich hielt mit einer ähnlichen Kultur noch weitere 1.000 Jahre durch. Heather sieht stattdessen Arbeit und Wirtschaft als wichtige Faktoren für den Untergang an. Das Heer war bei Weitem der größte Kostenfaktor des Römischen Reichs. Die Wirtschaft und Landwirtschaft brachten maximale Erträge hervor. Es gab hier keine Innovationssprünge mehr. Das reichte für die Bezahlung des bestehenden Heeres, aber nicht für die Aushebung von signifikant mehr Soldaten. Innere (organisationspsychologische) Hierarchiekonflikte (Kaiser und Gegenkaiser, die durch das Militär und nicht mehr durch den Senat erhoben wurden) führten zu zahlreichen Bürgerkriegen, dezimierten unfassbar große Ressourcen und letztlich das Heer, das mehr und mehr auf Hilfstruppen angewiesen war. Dann besetzten geeinte germanische Stämme wirtschaftlich starke Provinzen wie Gallien und Nordafrika und sorgten dafür, dass noch weniger Steuereinnahmen und damit Soldaten bezahlt werden konnten. Ein Teufelskreis beginnt und die Welt landet im Mittelalter (Heather, 2011).

Mit der Völkerwanderung verschwindet zunächst das Weströmische Reich als politische Macht, aber nicht als kultureller Faktor. Im vierten Jahrhundert nach Christus war das Christentum zur Staatsreligion im Römischen Reich geworden und so waren die Spätantike und das Mittelalter durch eine christliche Interpretation von Arbeit ­geprägt.

In der Bibel wird Arbeit sowohl als Last als auch als Dienst an Gott dargestellt.

Adam und Eva werden aus dem Paradies und einem arbeitsfreien Leben vertrieben. Gott ruft in der Genesis Adam zu: »So ist der Ackerboden verflucht deinetwegen. Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens […] Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen […]« (Bibel, Genesis, 3, 17/19). Um Himmels willen! Arbeit wird von Gott als ultimative Strafe ausgesprochen. Die Existenz von Adam und Eva ist nicht mehr per se gesichert. Die Krone der Schöpfung wird vom Kopf gerissen. Es muss hart gearbeitet werden, um zu überleben. Der strafende Charakter der Arbeit lebt besonders in der französischen und spanischen Sprache fort. Travail bzw. trabajo stammen vom lateinischen tripalium ab, einem dreipfähligen Folterinstrument, mit dem Sklaven und Arbeitsunwillige gefoltert wurden (Komlosy, 2014).

Blättert man in der Bibel ein paar Seiten vor, so findet man Gott selbst als Arbeiter dargestellt. Er verausgabt sich so stark, dass er sich ausruhen muss. Er erschafft die Welt und »ruhte am siebten Tag, nachdem er sein ganzes Werk vollbracht hatte« (­Bibel, Genesis, 2, 2). Angeregt durch den jüdischen Sabbat etabliert das Christentum im Mittelalter den Sonntag als kollektive Arbeitsunterbrechung und schafft damit einen Raum für gemeinsame Tätigkeiten, die außerhalb der notwendigen Arbeit stattfinden können (Huber, 2007). Arbeit und arbeitsfreie Zeit werden zum ersten Mal klar voneinander getrennt.

Im neuen Testament wird das Thema Arbeit ebenfalls behandelt. Jesus kehrt bei verachteten Berufsgruppen (z. B. Zöllnern) ein und macht deutlich, dass seine Heilsbotschaft für alle gilt. Er diskriminiert keine Menschen aufgrund ihres Berufs. Das war revolutionär und eine Haltung, die im absoluten Widerspruch zur gängigen Praxis im römisch-griechischen Kulturkreis stand. Wenn eine berufliche Tätigkeit aber am falschen Ort ausgeführt wurde, dann konnte sich Jesus ordentlich aufregen. Die Händler und Geldwechsler werden mit einer Geißel aus Stricken aus dem Tempel geprügelt und entsprechend belehrt (Johannes 2, 15).

Das christliche Leitbild, das das Mittelalter prägte, sieht Arbeit nicht nur als Last, sondern auch als Erfüllung an. Die menschliche Arbeit wird als Teilhabe am Schöpfungswerk Gottes gesehen. Mönche interpretieren ihre Arbeit als Gottesdienst und nutzen sie zur Kontemplation. Der Mensch als Ebenbild Gottes soll durch Arbeit über die Welt und seine Mitgeschöpfe herrschen (Huber, 2007). In den Städten des Mittelalters entstehen Zünfte, die den Zugang zu den verschiedenen Gewerben wie der Weberei, Färberei oder des Schmiedewesens regeln. Weiterhin werden von ihnen die Qualität der Produkte, die Ausbildung und die konkreten Arbeitsverhältnisse festgelegt. Durch die Zünfte entsteht eine gewerblich geordnete Arbeitsteilung und Spezialisierung. Arbeit wird mit Wissen und Kompetenzen verknüpft. Handwerker werden mehr geschätzt und ihre Produkte dringend benötigt (Komlosy, 2014).

Gleichzeitig etablieren sich im Mittelalter christliche Bettelorden, die keiner klassischen Tätigkeit nachgehen und sich stattdessen dem Gebet und dem Seelenheil widmen. Nach und nach geraten der Adelsstand und die Bettelorden in die Kritik. Die Lebensform des »Nichtstuns« wird von der Bevölkerung als zunehmend anmaßend erlebt (Komlosy, 2014). Besonders im Angesicht der eigenen brutalen Arbeitsbedingungen im System der Leibeigenschaft haben die Bauern immer weniger Lust, die Damen und Herren in den Klöstern und Schlössern mitzuversorgen. Thomas Morus (1478–1535) schlägt in seiner »Utopia« sogar den Sechsstundentag vor, wenn man die adelige und kirchliche Ausbeutung abschaffen würde. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass durch das Christentum der Arbeitsbegriff aufgewertet wird (Huber, 2007). Sie wird nicht länger verachtet, bleibt aber weitestgehend auf der dunklen Seite des Lebens (Komlosy, 2014).

3.3 Die Neuzeit

Arbeit, in der NeuzeitIm 16. und 17. Jahrhundert tritt die Mühe- und Lastkomponente des Arbeitsbegriffs stärker in den Hintergrund, was durch verschiedene Innovationen befördert wird. Zum Beispiel werden Schienenbahnen in Bergwerken genutzt, das Mikroskop ­erfunden, die Kartoffel flächendeckend gepflanzt und der Buchdruck perfektioniert. Durch Innovationen lernt der Mensch, die Natur und die Arbeit besser zu beherrschen (Komlosy, 2014). Auch setzt das aufkommende protestantische Ethos der Arbeit ein wirkmächtiges und wertschätzendes Denkmal.

Arbeit wird von Luther als Gottesdienst interpretiert und ist ‒ unabhängig vom gesellschaftlichen Status des Berufs ‒ eine hoch zu schätzende Tätigkeit: »Wenn du eine geringe Hausmagd fragst, warum sie das Haus kehre, die Schüsseln wasche, die Kühe melke, so kann sie sagen: Ich weiß, dass meine Arbeit Gott gefällt, sintemal ich sein Wort und Befehl für mich habe« (Luther-Predigt, 1532, zitiert nach Huber, 2007). Durch den Protestantismus, aber auch durch die Aufklärung werden Werte wie Fleiß, Ökonomie und Arbeitsamkeit wichtiger und der Mühsal-Charakter tritt stärker in den Hintergrund (Komlosy, 2014).

IndustrialisierungZu einem dramatischen Wandel kommt es im 18. und 19. Jahrhundert durch die fortschreitende Industrialisierung, Urbanisierung und den modernen Kapitalismus. Der Schatten dieser Zäsur ist so lang, dass das hier vorgelegte Buch über 200 Jahre später davon immer noch beeinflusst ist. Nach den Anfängen in Großbritannien etablierte sich das Fabrikwesen um 1820 auch in Kontinentaleuropa (Komlosy, 2014). Die Handarbeit wird durch die Kraft einer Maschine ersetzt. Aus Arbeit wird ein Produktionsfaktor. Mit Arbeit soll nicht nur die Existenz gesichert, sondern Kapital vermehrt werden. Gleichzeitig werden Menschen und Produktionsmittel voneinander getrennt. Familien verlassen ihre ländliche Heimat und flüchten in die Zentren, um dort Arbeit zu finden. Dort angekommen findet die Arbeit nicht mehr im eigenen Haushalt statt. Das ist ein großer Einschnitt. Der Schmied schmiedet nicht mehr in der Werkstatt seines Hauses. Das Weben findet nicht mehr im Wohnzimmer statt. Die Arbeiter gehen nun zum Arbeiten in die Fabrik. Die jahrhundertelange Praxis des Homeoffices ist beendet. Und was geschieht mit der Arbeit, die nicht mit in die Fabrik genommen werden kann? Das Putzen? Das Kochen? Die Kinderversorgung? Die Altenpflege? Dafür finden die Industrialisierung und der Frühkapitalismus auch eine simple Lösung. Die Arbeit, die zu Hause übrig bleibt, wird ideologisch umgedeutet und mehrheitlich den Frauen zugeschrieben (Komlosy, 2014). Die Restarbeit wird »als Reproduktion, Gattinnen- und Mutterpflicht ins Reich des Privaten verwiesen« (Komlosy, 2014, S. 136). Diese kulturelle Neudeutung der Arbeit hallt bis heute nach und bildete die Basis für die berufliche Diskriminierung von Frauen.

An dieser Diskriminierung und ihren Konsequenzen wurde aber zunächst wenig ­Anstoß genommen. Anders sehen die Reaktionen auf die teilweise katastrophalen Arbeitsbedingungen der meist männlichen Arbeiter aus. Die Zustände führten zu ­Widerstand und es wurden kommunistische und sozialistische Parteien gegründet, die im 20. Jahrhundert die Weltgeschichte prägten. Aber nicht nur die Ausbeutung und die damit einhergehende Armut und das Machtungleichgewicht zwischen ­Unternehmer und Arbeiter werden kritisiert, sondern auch die Art, wie Arbeit organisiert wird. Marx (1844/1990) beanstandet, dass die Arbeiter von ihrer Arbeit und dem Produkt ihrer Arbeit entfremdet werden. Das resultiert darin, »dass er [der Arbeiter] sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt, keine freie physische und geistige Energie entwickelt, sondern seine Physis abkasteit und seinen Geist ruiniert« (Marx, 1844/1990, S. 75). Diese Ruinierung des Geistes und des Körpers durch Arbeit findet sich immer noch auf der Welt und auch in vielen ­Betrieben in Deutschland. Skandale bei Burgerketten oder Internethändlern zeigen immer wieder, dass Arbeit auch in unserer Zeit und Umgebung gesundheitsgefährdend gestaltet sein kann. Und nicht wenige Arbeitnehmer:innen schaden sich heute freiwillig. Sie haben keine:n Ausbeuter oder Ausbeuterin als Chef, die ihnen Schlimmes abverlangen. Nein, der Ausbeuter oder die Ausbeuterin sitzt in ihren Köpfen und treibt sie für Geld, Anerkennung und Macht oder aufgrund von Existenzangst in den gesundheitlichen Ruin.

Besonders stark tritt die Entfremdung im Konzept des Taylorismus zutage. Frederick Taylor prägte am Anfang des 20. Jahrhunderts mit seinem Buch »Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung« weltweit die Art und Weise, wie Arbeit in Betrieben organisiert wurde. Noch heute haben viele Managementansätze mit schillernden ­Namen wie Lean Production, Six Sigma, Total Productive Maintenance oder Meth­ods-Time-Measurement ihren Ursprung in der betagten Gedankenwelt von Taylor (Kauffeld & Sauer, 2014). Da es am Anfang des 20. Jahrhunderts noch keine größeren Organisationen außer dem Militär gab, erkennt man deutlich, dass das Militär Pate bei der Entwicklung der Paradigmen und Praktiken des Taylorismus stand. So schreiben schon Marx und Engels in ihrem Manifest der Kommunistischen Partei (1977, S. 469):

»Die moderne Industrie hat die kleine Werkstube des patriarchalischen Meisters in die große Fabrik des industriellen Kapitalisten verwandelt. Arbeitermassen, in der Fabrik zusammengedrängt, werden soldatisch organisiert. Sie werden als gemeine Industriesoldaten unter die Aufsicht einer vollständigen Hierarchie von Unteroffizieren und Offizieren gestellt.«

Auch war das Militär Vorbild für die Organisationsstrukturen, die im 19. Jahrhundert in Unternehmen eingeführt wurden und bis heute in vielen Organisationen überlebt haben. An der Spitze der Hierarchie steht ein allmächtiger General (CEO), der zusammen mit seinem Generalsstab (Executive Board) Offizieren (Abteilungsleiter:innen) Befehle gibt, die dann von Unteroffizieren (Teamleiter:innen) und den Soldaten (Mitarbeiter:innen) umgesetzt werden müssen.

Neben dem Militär wurde Taylor von einer besonderen Situation auf dem Arbeitsmarkt geprägt. Im 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts kommt es zu massiven Einwanderungswellen in die USA und einer Landflucht. Massenweise stehen verarmte Bauernsöhne, die häufig kaum oder gar nicht lesen und schreiben können, vor den Fabriktoren und verlangen nach Arbeit. Die Geburtenraten sind hoch. Und so flüchten besonders die später geborenen Bauernsöhne aus ihren Dörfern in die Großstädte. Berlin hatte nach den Napoleonischen Kriegen knapp 200.000 Einwohner:innen. 100 Jahre später waren es über 2.000.000. Diese Arbeitsmarktsituation trat in vielen Ländern der Welt im Zuge der Industrialisierung auf. Und so wurde der Taylorismus nicht nur in Chicago und Detroit, sondern auch in Mailand, Berlin und St. Petersburg populär.

TaylorismusIn der Ideologie des Taylorismus sind die Arbeiter:innen, die an die Fabriktore klopfen, sowohl faul als auch verantwortungsscheu. Genauso verband die Armeeführer verschiedener Staaten vor dem Ersten Weltkrieg der Glaube, dass ihre Soldaten feige und undiszipliniert seien. Lediglich durch monetäre Anreize sei es laut Taylor möglich, diese ehemaligen Bauern zum Arbeiten zu motivieren. Ein weiterer Grundsatz des Menschenbildes von Taylor war, dass die Masse der Arbeiter:innen nicht anders als eine Maschine zu behandeln sei. Die Arbeit von Menschen sollte wie ein Gerät durch eine Veränderung von Werkzeugen und Abläufen optimierbar sein (Ulich, 1994).

Der Mensch am Arbeitsplatz ist im Taylorismus ein zu manipulierender Faktor und kein ­Individuum mit einzigartigen Fähigkeiten, Charakterzügen und Bedürfnissen (Ulich, 1994).

Dieses Menschenbild hatte konkrete Auswirkungen darauf, wie in den Fabriken am ­Anfang des 20. Jahrhunderts die Arbeitsabläufe gestaltet wurden. Es wurde eine strenge Trennung von Kopf- und Handarbeit durchgesetzt. Eine kleine Elite war im ­Betrieb zum Denken angestellt. Sie erteilten die Befehle, während die »dumme und faule« Arbeiter:innenmasse diese umzusetzen hatte. Weiterhin wurden Arbeitsabläufe in kleinste Teilabschnitte untergliedert. Ein Arbeiter oder eine Arbeiterin durfte nur eine kurze Tätigkeit verrichten, manchmal lediglich einen Handgriff wie das Anziehen einer Schraube oder das Einfädeln eines Fadens. Diesen Handgriff mussten die Arbeiter:innen Tag für Tag tausendfach hintereinander ausführen: immer wieder die Schraube, immer wieder ein neuer Faden. Bewegungsstudien wurden von Taylor und seinen Schüler:innen durchgeführt, um die beste Art und Weise zu erkennen, wie die Tätigkeit ausgeführt werden konnte. Sie wollten den perfekten Bewegungsablauf identifizieren, damit dieser noch häufiger pro Tag ausgeführt werden konnte.

Bei der Verrichtung dieser kurzen und immer wiederkehrenden Tätigkeitselemente wurden die Arbeiter:innen stark kontrolliert. Wie im Militär stand eine Art Unteroffizier in der Nähe, der aufpasste, dass die Arbeiter:innen ihre Bewegungen korrekt und oft genug ausführten. Vieles im Taylorsystem zielte darauf ab, Kontrolle über die Arbeiter:innen und ihr Verhalten zu bekommen. Der Unternehmer wollte seine Mitarbeitenden im Griff haben und dieser Griff war eisern. Neben der Kontrolle erkannte man auch die Motivation als wichtigen Faktor des Arbeitshandelns an. Der Blick auf das Thema Motivation war aber einseitig auf das Thema Geld beschränkt. Um die ­Arbeiter:innen zu motivieren, wurden individuelle Anreizsysteme geschaffen. Sie ­erhielten kein festes Monatsgehalt. Stattdessen erhielten sie für jedes bearbeitete Stück eine Entlohnung (Ulich, 1994).

Die Trennung von Hand- und Kopfarbeit sowie die starke Zergliederung von Arbeitsschritten hatten zur Folge, dass die Arbeiter:innen keine Qualifikationen benötigten. Man konnte die Bauernsöhne und -töchter vom Fabriktor abholen und am nächsten Tag beherrschten sie ihre Aufgaben. In 24 Stunden wurde der Mensch am Fabriktor vom Bauern zum Arbeiter gemacht und die Ausbildung war abgeschlossen. Gleichzeitig waren die neuen Arbeiter:innen aber auch schnell und einfach zu ersetzen. Wenn einer nicht spurte oder gar mit einer Gewerkschaft sympathisierte, flog er raus und der nächste Mann oder die nächste Frau von der Straße übernahm bereitwillig seine Aufgaben. Am nächsten Tag war er oder sie einsatzbereit. So erlangten die Arbeitgeber noch mehr Macht und Kontrolle. Ein russischer Arbeiter fasste es am Ende des 19. Jahrhunderts wie folgt zusammen: »Wir werden nicht einmal als Menschen ­anerkannt, sondern als Gegenstand angesehen, den man jederzeit wegwerfen kann« (Figes, 2014, S. 129). Die Idee der Leibeigenschaft lebte in den Industriehallen weiter.

Die psychologischen Wirkungen waren folgenschwer. Tayloristisch organisierte Arbeit bot keine Chance zur Entwicklung von Kompetenzen und zur Entfaltung des Menschen und seiner Persönlichkeit. Die Arbeiter:innen klopften als Analphabet:innen an das Fabriktor und gingen nach Jahren als Analphabet:innen durch dieses hinaus. Auch wurden zentrale Bedürfnisse während eines langen Arbeitstages nicht befriedigt. Die Arbeit wurde »entseelt« und der ganze Mensch existierte nur noch außerhalb der Arbeit (Ulich, 1994, S. 24). Doch nach solchen Arbeitstagen war nicht mehr viel Mensch übrig. Der Mensch wurde körperlich und geistig fertiggemacht. Die ständigen Kontrollen prägten sein Bewusstsein.

FließbandZusätzlich wurde diese Zeit durch eine technische Innovation beeinflusst: die Erfindung und der konsequente Einsatz des Fließbands in der Warenproduktion. Diese Neuerung ist mit dem Namen Henry Ford verbunden, der ein ziemlich innovativer Charakter gewesen zu sein scheint (das beweist nicht nur die Freundschaft zum Erfinder Thomas Edison). Das Fließband stellte in der Gedankenwelt der damaligen Unternehmer eine hervorragende Ergänzung zum Taylorismus dar. Die Fließbandfertigung erleichterte die Typisierung von Produkten. Wurde in den Manufakturen der Könige noch mühsam und mit hohem Aufwand eine Kutsche als Einzelstück hergestellt, so rollte bei Ford zwischen 1908 und 1927 millionenfach das Modell T vom Band. Der Einsatz der Fließfertigung in der Produktion hatte und hat für Unternehmen einen weiteren entscheidenden Vorteil. Durch das Fließband konnte man die »faulen« ­Arbeiter:innen noch besser und sogar kostengünstiger kontrollieren. Viele »Unteroffiziere« verloren ihre Arbeit (je nach Produkt wurde der Arbeiter oder die ­Arbeiterin auch noch eingespart). Kein Vorgesetzter musste den Arbeiter:innen mehr auf die Finger schauen, sondern der Takt des Fließbands deckte auf, ob ein Arbeiter oder eine Arbeiterin zu langsam arbeitete und sich die Arbeit bei ihm oder ihr staute. Den Rest erledigte der soziale Druck durch die Kolleg:innen. Wenn ein Arbeiter oder eine Arbeiterin nicht weitermachen konnte, weil sich die Arbeit bei Kolleg:innen staute oder das Fließband angehalten werden musste, dann gingen die Betroffenen durch die Stückentlohnung mit weniger Geld nach Hause. Und zu Hause warteten die hungrigen Kinder. Die Kolleg:innen sorgten mit präziser Sicherheit dafür, dass das nicht noch einmal geschah; egal mit welchen Mitteln.

Der Taylorismus war echter Zeitgeist. Er prägte das 20. Jahrhundert und begeisterte gegensätzliche Ideologien. In nichts waren sich Kapitalismus und Kommunismus so einig wie in ihrer Verehrung des Taylorismus und Fordismus. Figes (2014, S. 786) schreibt zu Russland kurz nach der Oktoberrevolution:

»Selbst Dorfbewohner in der Provinz kannten den Namen Ford (manche glaubten, Ford sei eine Art Gott, der das Werk von Lenin und Trotzki leite). Alexei Kapitonowitsch Gastew (1882–1939), der bolschewistische Ingenieur und Dichter, trieb diese tayloristischen Prinzipien auf die Spitze. Als Leiter des Zentralinstituts für Arbeit, das 1920 eingerichtet wurde, führte er Experimente durch, um die Arbeiter so zu trainieren, dass sie letztlich wie Maschinen funktionierten. Hunderte gleich gekleideter Lehrlinge marschierten in Kolonnen zu ihren Werkbänken und erhielten durch Summtöne Anweisungen von ihren Maschinen. […] Gastew hatte, wie er selbst zugab, das Ziel, den Arbeiter in eine Art ›menschlichen Roboter‹ zu verwandeln.«

Gastew stellte sich für die Zukunft der sowjetischen Arbeiter:innen vor, dass diese so persönlichkeitsfrei erzogen werden sollten, dass man ihnen statt Namen Codes geben könnte. Diese menschlichen Arbeitsroboter sollten zu keinen eigenständigen Gedanken fähig sein und blind ihren Vorgesetzten gehorchen (Figes, 2014). Sie bemerken, dass im Arbeiter- und Bauernstaat kein psychologisches Empowerment für die Arbeiter und Bauern vorgesehen war. Davor hatten die Führer des Proletariats viel zu sehr Angst. Auch sie wollten kontrollieren. Auch sie wollten alles und jeden im Griff haben.

Die Absurdität des Taylorismus ist schon in seiner Hochzeit bei Charlie Chaplin in seinem Film Modern Times charakterisiert und karikiert worden. Schauen Sie sich einmal diesen Film an. Sie werden erschrocken sein, wie modern diese Zeiten immer noch sind. Den Kern des Taylorismus bildet die Kontrollobsession. Und diese Obsession hat zusammen mit einer Art Kontrollillusion bis heute in vielen deutschen Unternehmen überlebt. Kontrolle wird durch steile Hierarchien, enge Führung, ausgiebige Regelwerke und viele andere Maßnahmen zu gewährleisten versucht. Das Ergebnis ist, dass die Mitarbeiter:innen genauso motiviert sind wie zu Zeiten von Taylor. Doch das reicht nicht, um in der komplexen Zukunft der Arbeit als Unternehmen zu überleben. In diesem Buch lernen Sie, den Kontrollwahn abzulegen und sich mit New Work auf die Zukunft der Arbeit vorzubereiten.

Hier endet diese kleine Geschichte der Arbeit, während die nächsten Generationen bereits am Bild der Arbeit der Zukunft fleißig weiter werkeln und das Thema New Work immer wichtiger wird. Ich möchte mit Ihnen nun den Blick nach vorn richten. Denn gute Arbeit muss nicht mehr für die Arbeitnehmer:innen von gestern, die schon im Ruhestand sind, gestaltet werden, sondern für die von heute und morgen.

4 Vier Trends, die die Zukunft der Arbeit bestimmen

In diesem Kapitel erfahren Sie, 

wie die Zukunft der Arbeit aussehen wird,

welche Trends die Zukunft der Arbeit prägen,

warum die Arbeitswelt der Zukunft immer komplexer wird,

warum gute Arbeit so entscheidend für den Organisationserfolg wird,

was Technostress ist.

Nun blicken wir gemeinsam in die Zukunft der Arbeit. Ich möchte Ihnen vier Trends näher vorstellen, zu denen ich im Laufe des Buchs immer wieder zurückkommen werde und die das Thema »New Work« stark beeinflussen. Manche davon beschäftigen die Welt schon etwas länger, doch ich kann Sie Ihnen nicht ersparen. Sie werden wie Brandbeschleuniger noch dynamischer unsere Arbeit verändern und die Zukunft prägen. Es sind der dramatische Wissenszuwachs in unserer Welt, die Digitalisierung, die fortschreitende Globalisierung und der demografische Wandel. Als zusätzlicher Meta-Trend wirkt sich natürlich noch der Klimawandel aus. Viele Menschen und Organisationen mussten sich während der Coronapandemie sehr intensiv mit diesen Trends auseinandersetzen.

Abb. 2:

Vier Megatrends, die unsere Arbeit beeinflussen

4.1 Wissenszuwachs

Arbeit, vier Trends der ZukunftTrends der Arbeitszukunft, WissenszuwachsDas Zeitalter der Industriearbeit verblasste in Westeuropa in den letzten Jahrzehnten immer stärker. Massenkonsumgütererzeugung und Grundstoffindustrie finden nicht mehr vor unseren Augen statt (Komlosy, 2014). Aber sie sind nicht ausgestorben. Unsere Wirtschaft und Gesellschaft giert weiterhin nach Konsumgütern und Rohstoffen. Die Massenfertigung findet nur nicht mehr in der Nachbarschaft statt. Sie ist nach Osten gewandert, in die ehemaligen Ostblockstaaten und vor allem nach China. ­China will sie so langsam auch loswerden, aber es wird sich immer wieder ein Land mit niedrigen Löhnen und schwachen Arbeitsschutzbedingungen finden. Neben einem erstarkten Dienstleistungssektor wird in Deutschland auch weiter im produzierenden Gewerbe Geld verdient. Es werden aber vor allem qualitativ hochwertige und intelligente Produkte hergestellt. Dies geschieht zum Beispiel in den Maschinenbauindustrien (Komlosy, 2014). In Deutschland und dem übrigen Westeuropa konzentriert man sich immer weniger auf die einfache Massenproduktion, sondern immer stärker auf die Wissensarbeit (Boes, 2005). Es wird entwickelt, getestet und verkauft. Damit verdienen wir heute und wahrscheinlich auch morgen unser Geld.

Die Probleme, die Organisationen bei wissensintensiven Produkten und Dienstleistungen zu bewältigen haben, werden immer komplexer. Für deren Bearbeitung brauchen Unternehmen Jahr für Jahr mehr Wissen und müssen Rahmenbedingungen während der Arbeitszeit herstellen, die eine zuverlässige Wissensgewinnung möglich machen. Wissen muss immer schneller erworben, korrekt weitergegeben, verknüpft und neu produziert werden (Scholl, Schermuly & Klocke, 2012). Dies wird dadurch ­erschwert, dass in kürzester Zeit innerhalb und außerhalb der Unternehmen neues Wissen rasend schnell produziert wird. Das Fachwissen der Welt wächst exponentiell und verdoppelt sich alle 10 bis 15 Jahre (Tabah, 1999). Neuere Studien gehen sogar davon aus, dass dies derzeit schon alle acht bis neun Jahre geschieht. So wurden 2012 um die 1.700.000 wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht, während es 1980 rund eine Million weniger waren (Bornmann & Mutz, 2015). Jeden Tag werden laut UNESCO weltweit fast 5.000 Bücher veröffentlicht. Dazu kommt eine nicht überschaubare Anzahl an Zeitschriftenartikeln, Internetbeiträgen und sonstigen Dokumenten. Und jetzt kommen noch ChatGPT und andere künstliche Intelligenzen als Wissensarbeiter hinzu. Die Quantität des Wissens nimmt exponentiell zu, doch die Qualität kann nicht Schritt halten. Sie wächst lediglich linear. So wird der Abstand zwischen der Quantität und der Qualität des Wissens immer größer. Dadurch wird es immer herausfordernder, relevantes Wissen zu finden und zu filtern. Gut ausgebildete Wissensarbeiter:innen werden gebraucht: Ingenieur:innen, Informatiker:innen, Betriebswirt:innen etc. Diese modernen Wissensarbeiter:innen müssen nicht alles, was ihren Beruf betrifft, selbst wissen. Dafür haben sie nicht genügend Zeit. Aber sie müssen wissen, wie sie zuverlässig Wissen finden, um ein Problem zu lösen. Sie müssen weiterhin in der Lage sein zu bewerten, ob das, was ChatGPT produziert hat, Quatsch ist oder eine spannende Zusammenfassung.

Weiterhin werden durch das immerfort wachsende Wissen Spezialisierungen notwendig. Während im Taylorismus ungelernte Handarbeiter:innen einfache Aufgaben repetitiv verrichteten, sind deren Urenkel:innen immer häufiger hochspezialisierte Wissensarbeitende. Die Aufgaben sind aber so herausfordernd, dass die Wissensarbeiter:innen sich in Teams zusammenschließen müssen, um sie bewältigen zu können. Die äußere Komplexität mit ihren Herausforderungen muss durch eine innere Komplexität gespiegelt werden. Die Wissensarbeitenden müssen kooperieren und ihr Wissen großzügig miteinander teilen, um erfolgreich zu sein. Wenn die Außenwelt und die Herausforderungen komplex sind, dann muss der äußerlichen Komplexität mit einer ähnlichen Komplexität im Unternehmen begegnet werden. Und so werden die Wissensarbeiter:innen komplexe und sich dynamisch verändernde Netzwerke bilden müssen. Nur durch das Zusammenlegen des Wissens der einzelnen Teammitglieder in Netzwerken kommt das Team auf eine notwendige große Anzahl an Wissenselementen, mit denen das komplexe Problem gelöst werden kann. Dadurch sind die Wissensarbeiter:innen voneinander abhängig. Das nennt man »Interdependenz«. Nur gemeinsam kommen sie ans Ziel.

Durch das Teilen von Wissen entstehen transaktive Wissenssysteme, die die Koordination des Wissens und der Aufgaben erleichtern. Transaktives Wissen ist Wissen über das Wissen der anderen. Ein Beispiel: Sie wissen, dass Sie etwas nicht wissen (das ist übrigens ein sehr wertvolles Wissen!). Zum Beispiel sind Sie IT-Chef oder -Chefin bei einem Kühlschrankhersteller. Ihre Firma möchte unbedingt einen Kühlschrank auf den Markt bringen, der mit einem schicken Touchscreen gesteuert werden kann. Es muss wie immer schnell gehen und Sie sollen der Geschäftsführung die Vor- und Nachteile sowie einen ungefähren Kostenrahmen für die Entwicklungsarbeit präsentieren. Sie sind absolut ahnungslos. Sie wissen aber, dass Ihr Kollege Künzli etwas wissen könnte. Vor einiger Zeit erzählte er von einem Sportgerätehersteller, bei dem er an einem ähnlichen Problem gearbeitet hat (auch Bodybuilder möchten heute ihr Rudergerät mit einem zarten Fingerstrich einstellen).

transaktives WissenTransaktives Wissen kann Ihnen wirklich sehr helfen! Aber Wissen muss dafür immer wieder geteilt werden und dafür müssen die Menschen die Gelegenheit haben, sich auszutauschen. Wenn der liebe Herr Künzli sein Wissen hortet, dann können Sie als Führungskraft große Probleme bekommen. Teams mit vielen Wissensegoisten verlieren gegenüber wissenskooperativen Teams. Sie haben in der Zukunft der Arbeit keine Chance. Für Wissensegoisten gibt es in der Zukunft der Arbeit keinen Raum bei der Bearbeitung komplexer Probleme. Aber es gibt auch wenig Zukunft für Unternehmen, denen es nicht gelingt, einen Rahmen zu schaffen, in dem Wissen erfolgreich ausgetauscht werden kann. Und eine weitere Nebenwirkung hat die Zusammenarbeit in wissensintensiven Netzwerken. Solche Netzwerke funktionieren nicht in einem strengen hierarchisch-bürokratischen Führungssystem. Steile Hierarchien mit autoritärem Führungsverständnis verhindern den Wissensaustausch. Auch funktionieren Kontrolle, Silodenken und befohlene Innovation ebenso wenig. Netzwerke, in denen jeder mit jedem im Austausch steht, entwickeln sich dynamisch. Sie sind nicht zu kontrollieren. Sie steuern sich selbst. Dies macht in vielen Arbeitsbereichen ein neues Zusammenarbeiten notwendig, das ich Ihnen in Kapitel 10 skizziere.