New Work Utopia - Carsten C. Schermuly - E-Book

New Work Utopia E-Book

Carsten C. Schermuly

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Beschreibung

New Work Utopia – lernen Sie in diesem Buch die faszinierende Arbeitswelt des fiktiven Unternehmens Stärkande kennen. Erfahren Sie, wie New Work gelebt wird, vor welchen Herausforderungen die Mitarbeitenden stehen und wie sie sie lösen. Die Stärkander:innen nutzen bekannte, aber auch neue New Work-Praktiken in ihrem Unternehmen. Einzelne Maßnahmen werden nicht isoliert betrachtet, sondern in ihrem gemeinsamen Einsatz und der Wechselwirkung miteinander. Die Mitarbeiter:innen sind Vorreiter:innen beim Thema Empowerment. Sie haben die Digitalisierung von HR-Prozessen und die Zusammenarbeit mit einer künstlichen Intelligenz perfektioniert. "Stärkande" ist eine faszinierende Vision für eine moderne Organisation mit über 1.000 Mitarbeitenden. Aber auch ein praxisnahes "Best of" der New-Work-Organisationsentwicklung. Carsten C. Schermuly gehört zu den 40 führenden HR-Köpfen, ausgezeichnet vom Personalmagazin 2021 und 2023. Inhalte: - Gutes Leben statt guter Arbeit - Sinnhafte Aufteilung von Arbeitszeit - Arbeiten in Organisationseinheiten (Phylen) mit maximal 150 Kolleg:innen - Konsequente digitale Arbeitsorganisation, z.B. mit der Rolemap und einer KI - Wachsen in Positionen - Leadership on demand - New Pay – Bezahlung auf Augenhöhe - Arbeiten in einer holokratischen Hierarchie - Geregelte Freiheit – Home Office plus - Räumliche Gestaltung – guter Gastgeber für Mitarbeitende sein - Teammeetings mit Sinn"Beide Bücher 'New Work Utopia' und 'New Work Dystopia!' enthalten wertvolle, praxisnahe Anregungen für Führungskräfte und sollten in Qualifikationsmaßnahmen als Inspirations- und Reflexionsquelle genützt werden." Brigitte Winkler (Co-Editorin Zeitschrift OrganisationsEntwicklung)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 198

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[4]Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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ISBN 978-3-648-15934-7

Bestell-Nr. 10829-0001

ePub:

ISBN 978-3-648-15935-4

Bestell-Nr. 10829-0100

ePDF:

ISBN 978-3-648-15936-1

Bestell-Nr. 10829-0150

Carsten C. Schermuly

New Work Utopia

1. Auflage, Mai 2022

© 2022 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Freiburg

www.haufe.de

[email protected]

Bildnachweis (Cover): © Stoffers Grafik Design

Illustrationen: Johanna Meyers

Produktmanagement: Dr. Bernhard Landkammer

Lektorat: Dr. Michael Sellhoff

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, des auszugsweisen Nachdrucks, der Übersetzung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, vorbehalten. Alle Angaben/ Daten nach bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit.

Sofern diese Publikation ein ergänzendes Online-Angebot beinhaltet, stehen die Inhalte für 12 Monate nach Einstellen bzw. Abverkauf des Buches, mindestens aber für zwei Jahre nach Erscheinen des Buches, online zur Verfügung. Ein Anspruch auf Nutzung darüber hinaus besteht nicht.

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[5]im Gedenken an Thomas Morus (geboren 1478, geköpft 1535)

[11]Vorbemerkung

Die Utopie ist ein Gedankenexperiment, sie entwirft einen alternativen Möglichkeitsraum und kritisiert damit die Realität. Thomas Morus beschreibt im Jahr 1516 die fiktive Insel Utopia, die im Gegensatz zur feudalen Gesellschaft Englands steht. Die Utopier wählen alljährlich ihre Phylarchen, die das gesellschaftliche Leben organisieren, auf der Insel hat sich der Sechsstundentag durchgesetzt und es herrscht Religionsfreiheit.

In meinem eigenen, hier vorliegenden Gedankenexperiment entwerfe ich keine Gesellschafts-, sondern eine Unternehmensutopie. Das dabei im Mittelpunkt stehende, ebenfalls fiktive Unternehmen Stärkande steht im Kontrast zu den vielen Organisationen, die derzeit bei New Work bloß an eine Betriebsvereinbarung für die Arbeit im Homeoffice denken. Doch New Work ist so viel mehr als nur Homeoffice. Die Stärkanderinnen1 nutzen bekannte, aber auch vollkommen neue New-Work-Praktiken in ihrem Unternehmen und sind Vorreiter beim Thema Empowerment. Sie haben die Digitalisierung von HR-Prozessen und die Zusammenarbeit mit einer künstlichen Intelligenz namens Thufir perfektioniert, auch wenn der Weg dahin nicht immer einfach und linear war.

In »New Work Utopia« führe ich Sie nun in die Arbeitswelt von Stärkande ein und zeige Ihnen, wie das Unternehmen zu seinen Arbeitsprinzipien gekommen ist. Diese Arbeitsprinzipien nennen die Stärkanderinnen »Axiome«, sie sind die Essenz meiner Zukunftsvision für Organisationen in einer besseren Arbeitswelt.

Eines noch, bevor wir uns auf den Weg machen: Viele Regisseure gönnen sich in ihren Filmen eine Nebenrolle. Mir begegnen Sie in der Utopie als einem Professor, der seit vielen Jahren als wissenschaftlicher Beirat für Stärkande tätig ist.

[13]Achtung! Sie betreten nun einen utopischen Raum

[14]E-Mail an Raphael Hythlodeus über die Fertigstellung des Manuskripts

[15]Teil I

Vor mittlerweile zehn Jahren klingelte das Telefon in meinem Arbeitszimmer. Damals stellte mir mein Arbeitgeber nicht nur ein eigenes Büro, sondern auch ein Festnetztelefon zur Verfügung. Ich hatte keine Lust zu telefonieren, aber das Telefon klingelte nun einmal und also nahm ich ab (so machte man das damals). Am anderen Ende des Apparats stellte sich ein Mann als Raphael Hythlodeus vor und meinte, er sei Archont für Personal und Empowerment des Unternehmens Stärkande. Ich wusste weder, was ein Archont, noch, was Stärkande war, doch die Begriffe Personal und Empowerment waren mir geläufig, denn ich schrieb gerade meine Habilitation zum Thema New Work und Empowerment. Dem Anrufer war diese Tatsache bekannt und das verwunderte mich. Wenn ich damals auf Konferenzen über New Work und Empowerment sprach, war das Publikum überschaubar.

Raphael kannte sich nicht nur mit meiner Forschung aus, sondern hatte auch das New-Work-Buch von Frithjof Bergmann gelesen, das als Geburtsort des Begriffs »New Work« gilt. Er erzählte mir, dass er und sein Unternehmen auf der Suche nach einem wissenschaftlichen Beirat seien, denn sie beabsichtigten, auch bei den Themen Personal und Organisation noch stärker evidenzbasiert zu handeln. Ich wurde neugieriger und begann mit Lust, Fragen zu stellen. Ich bekam die ersten Arbeitsprinzipien von Stärkande vorgestellt und war sofort gefesselt: Arbeit in Phylen, Leadership on demand oder eine holokratische Hierarchie. Das hörte sich anders an: Das war mutige und neue Arbeitsorganisation, die trauten sich was in Wiesbaden! Die Themen Empowerment und New Work schienen dort eine Heimat in der Praxis gefunden zu haben und die Digitalisierung von HR wurde konsequent vorangetrieben. Wir sprachen lange und verabredeten uns zu einem Treffen in ihrer Firmenzentrale in Wiesbaden.

Ich legte auf und stellte das Radio an. Tim Bendzko sang: »Noch 148 Mails checken. Wer weiß was mir dann noch passiert, denn es passiert so viel …« So richtig viel passierte damals nicht in meinem Leben (die Kinder waren noch nicht geboren), und so konnte ich es mir zeitlich leisten, zwei Wochen später nach Wiesbaden zu fahren. Ich stieg mit Neugierde, aber auch mit Zweifeln in den Zug. Hatte dieser Raphael Hythlodeus mir die Wahrheit erzählt? Konnte dieses Unternehmen wirklich nach diesen Prinzipien, die er Axiome nannte, funktionieren?

[16]In Wiesbaden lernte ich Alia und Jessica Stärkande kennen, die Gründerinnen des Unternehmens. Ich schaute mich bei Stärkande um, sprach mit anderen Stärkanderinnen über ihre Axiome. Ich fragte mich, warum nicht auch andere Unternehmen ihre Arbeitsprinzipien transparent machen und aktiv bearbeiten? Auch nahm ich wahr, dass das Unternehmen eine größere Krise hinter sich hatte. Nicht alles schien in diesem Unternehmen glattgelaufen zu sein. Ich nahm an einem Treffen teil, was sie Boule-Meeting nannten. Über die seltsamen Begriffe, die mir begegneten, war ich amüsiert, auch ein wenig irritiert, aber das Unternehmen war anders und spannend. Nach einer Nacht in der Pension Tannenhof fuhr ich als erster wissenschaftlichen Beirat von Stärkande zurück nach Berlin.

Seitdem hat mich dieses Unternehmen nicht mehr losgelassen. Es hat mich Kraft gekostet. Es hat mir Kraft gegeben. Aber vor allem hat es mir Unmengen an Erkenntnissen über Menschen und die Themen New Work, Empowerment und digitales HR geschenkt. Diese möchte ich mit Ihnen teilen. Stärkande hat mir erlaubt, Ihnen aus dem Unternehmen zu berichten. Diese Chance möchte ich nutzen, um Sie neugierig auf andere Wege der Arbeitsorganisation und Zusammenarbeit zu machen, die digital unterstützt werden. Damit sie die Axiome, d. h. die Arbeitsprinzipien von Stärkande besser verstehen, lassen Sie mich Ihnen zunächst das Unternehmen und seine Produkte sowie die Gründerinnen vorstellen.

[17]Eine kurze Geschichte von Stärkande und seinen Gründerinnen

Stärkande wurde 1999 von den beiden Schwestern Jessica und Alia Stärkande gegründet. Für das Buchprojekt hatte ich um ein Foto der beiden gebeten, doch dieser Wunsch wurde mir nicht erfüllt. Alia und Jessica meinten, dass die Hauptfigur des Buches das Unternehmen sein sollte und nicht die Gründerinnen. »Stärkande ist der Held dieser Geschichte, nicht wir«, meinte Jessica. Die Schwestern wollen, dass das Unternehmen Stärkande als etwas Eigenständiges betrachtet wird. Sie selbst sehen sich als Teil eines Kollektivs, das seinen Weg gemeinsam bestreitet.

Dennoch haben die Schwestern das Unternehmen geprägt, und deshalb möchte ich die beiden etwas ausführlicher vorstellen. Alia und Jessica studierten beide an der Fachhochschule Wiesbaden und hatten ihre Freunde in der Stadt. Ihre Eltern und die Schreinerei des Vaters im Taunus waren in einer halben Stunde zu erreichen. Familie und Freunde waren und sind den Schwestern wichtig, und so wurde Stärkande in Wiesbaden gegründet. Wiesbaden ist die Landeshauptstadt von Hessen und hat eine Spielbank (mehr Aufregung verträgt die Stadt nicht). Der größte Arbeitgeber ist der öffentliche Dienst und selbst das benachbarte Mainz hat für junge Menschen, Fernsehsender und Fußballspieler mehr Anziehungskraft. Doch genau die Ruhe, die am Ende der Neunzigerjahre in Wiesbaden herrschte, tat der Entwicklung des Unternehmens gut. Die Schwestern konnten sich konzentrieren und waren in Wiesbaden schnell bekannt. Es gab keine andere IT-Firma, die von Frauen gegründet worden war, und das machte einige Kapitalgeberinnen neugierig.

Abb. 1: Logo und Markenkern von Stärkande

[18]Spricht man mit Raphael über die Schwestern, dann leuchten auch zwanzig Jahre nach der ersten Begegnung seine blaugrauen Augen. Sein Plan war es, drei oder vier Jahre als Personaler für Stärkande zu arbeiten und dann weiterzuziehen. Doch bereits im Auswahlgespräch begegnete er am Anfang der 2000er-Jahre einer neuartigen Arbeitswelt. Während des Gesprächs schnarchte eine Bordeauxdogge unter dem Tisch, erzählte mir Raphael. Ein Bürohund war damals in Wiesbaden eine Sensation. Doch nicht nur die Dogge war anders und entspannt, meinte Raphael. Alle in diesem Raum waren freundlich und gelassen. Gleichzeitig konnte Raphael spüren, dass sich die Schwestern eine Struktur und einen Plan für das Gespräch überlegt hatten. Das Gespräch plätscherte nicht. Es hatte eine klare Zielsetzung, aber die Fragen und Inhalte waren anders, als Raphael es erwartet hatte. Er wurde nicht gefragt, was seine drei größten Stärken oder Schwächen seien. Es wurde nicht gefragt, warum er seinen alten Arbeitgeber verlassen will. Niemand wollte wissen, welches Gehalt er sich vorstellte und welche Hobbys er betrieb. Auf all diese Fragen hatte er sich penibel vorbereitet und Antworten auswendig gelernt.

Jessica fragte ihn, ob er das Empowerment-Konzept von Gretchen Spreitzer kenne. Er kannte es nicht und hatte das Gefühl, dass er das frei und ohne Scham sagen konnte. Alia erklärte es ihm und fragte Raphael, wann er sich in seinem alten Job das letzte Mal empowert gefühlt habe. Sie diskutierten lange darüber, was er als Personaler bei Stärkande tun könnte, damit die Mitarbeitenden mehr Empowerment wahrnehmen würden: Wie können Mitarbeitende täglich in ihrem Beruf Kompetenz, Selbstbestimmung, Einfluss und Bedeutsamkeit erleben? Wie kann man das zusätzlich auf der Teamebene gewährleisten? – Raphael musste nachdenken und zwischendurch pupste die Dogge im Schlaf (das tat die Dogge auch noch, als ich viele Jahre später Beirat wurde). Die Gedanken flogen und kamen wieder zu konkreten Maßnahmen zurück. Wie kann man Führung und Gehälter empowernd gestalten? Wie kann man die Digitalisierung für gutes Personalmanagement nutzen? Das Gespräch war locker, aber gleichzeitig strukturiert. Viele der besprochenen Ideen setzten Alia, Jessica und Raphael in den nächsten Jahren gemeinsam um.

Raphael begriff, dass das Unternehmen zwei Jahre nach der Gründung am Anfang einer ungewöhnlichen Reise stand und dafür einen hauptberuflichen Personalexperten benötigte. Die Schwestern erkannten, dass Raphael der richtige Partner für diese Reise sein könnte. Er war offen für neue HR-Ideen und produzierte auch welche. Diese Ideen brauchten die Schwestern, denn sie beabsichtigten, zu einem frühen Zeitpunkt in das Thema Personal und Zusammenarbeit zu investieren. Andere [19]Start-ups wollen in der Anfangsphase möglichst schlank sein und machen sich mehr über den Vertrieb als über Personal- und Organisationsthemen Gedanken. Diesen Fehler wollten die Schwestern nicht begehen. Vielleicht spürten sie aber auch schon zu diesem Zeitpunkt, dass dem Unternehmen eine organisationspsychologische Krise bevorstehen würde.

An dieser Stelle will ich Ihnen noch etwas mehr über Jessica und Alia berichten und zwar aus meinen eigenen Beobachtungen. Die beiden Schwestern haben Stärkande nicht allein großgezogen, aber sie haben das Unternehmen geboren. Jessica Stärkande, die ältere Schwester, ist Informatikerin; Alia hat Betriebswirtschaftslehre mit einem Schwerpunkt in Personalwesen studiert. Jessica, die Informatikerin, ist die extravertierte Schwester. Ihr fällt es leicht, mit Menschen Kontakt aufzunehmen, und vor allem sucht sie den Kontakt zu Menschen. Jessica braucht Menschen, sie will sozial sein, und so lebt sie schon seit Mitte der 2000er-Jahre mit ihrer Familie und Freunden auf einem Dreiseitenhof. Interessant ist, wie sie zur Informatik gekommen ist. Jessica spielte gerne Computerspiele. Aber sie war auch frustriert über viele Spiele auf ihrem C64. Sie hatte keine Lust auf Spiele wie Turrican, Katakis oder Barbarian, die von Männern für Jungs programmiert worden waren. Sie und ihre Freundinnen wollten Spiele spielen, die sie intellektuell herausforderten, ohne dabei jemanden umzubringen. Eine der Freundinnen musste programmieren lernen, und diesen Job übernahm Jessica (zuerst mit einem Volkshochschulkurs). Ein Adventure-Game für Mädchen wurde geplant, doch das Projekt scheiterte kolossal. Die Mädchen hatten sich übernommen – aber Jessica hatte programmieren gelernt.

Alia Stärkande ist die jüngere Schwester. Beide Schwestern verbindet ihre Intelligenz und Neugier, aber Alia funktioniert in sozialen Situationen anders: Sie sucht weniger das Gespräch, sondern findet es. Alia wohnt mit ihrer Frau in einer Wiesbadener Stadtwohnung. Alia ist tiefgründig, man kann sich stundenlang mit ihr über das Wesen des Menschen unterhalten. Kolleginnen fühlen sich von ihr verstanden und wertgeschätzt, aber sie braucht nicht die große Bühne. Vorträge hält Jessica; bei einem Pitch lässt Alia ihrer Schwester den Vortritt. Alia liest viel; die Stärkanderinnen können sie häufig in der offenen Bürofläche beim Lesen beobachten. Ihre Lieblingsbücher stammen aus der Psychologie und der alten Geschichte (und ein bisschen Philosophie ist auch dabei). Diese Leidenschaft für alte Geschichte wird sich Ihnen, liebe Leserinnen, in manchen Begriffen wie »Axiom« oder »Phylarchin« zeigen. Wahrscheinlich werden Sie die Begriffe sogar nerven. Aber das geschieht in Unternehmen [20]häufig. Organisationen erfinden sich in ihrer Kulturentwicklung eine eigene Sprache. Ich habe Ihnen deswegen ein Glossar an das Ende des Buches gestellt.

Vielleicht ist es für das Verständnis der Stärkande-Schwestern noch wichtig, dass ich folgendes erwähne: Sie stammen aus einem gut situierten, aber nicht aus einem Akademikerhaushalt. Karl Stärkande führte die elterliche Schreinerei weiter und machte sie zu einem der größten Betriebe in dem 3000-Seelen-Ort, aus dem die Stärkandes stammen. Die Familie besitzt eine praktische Intellektualität: mehr FH als Uni. Alia legte ihren Studienschwerpunkt auf das Personalwesen an der FH Wiesbaden. Das war eine wichtige Voraussetzung für die Zusammenarbeit mit Jessica und die Gründung des Unternehmens. In ihrem Studium lernte Alia die Grundsätze des unternehmerischen Handelns, die jede Gründerin braucht, um durch die ersten Jahre zu kommen.

Auch wenn die Stärkande-Schwester sich in manchen Charakterzügen unterscheiden, haben sie auch viele Gemeinsamkeiten. Die Intelligenz und die Neugier habe ich bereits erwähnt. Alia und Jessica haben hungrige Gehirne: Sie wollen immerfort Wissen und Lernen und das merkt man auch daran, wie sie ihr Unternehmen organisiert haben. Davon werde ich Ihnen noch weiter unten ausführlich berichten. Was sie außerdem verbindet, sind ihre Kreativität, ihr Mut und ihr Unternehmertum. Ich habe nie wieder Menschen getroffen, die so gerne Unternehmerinnen sind. Dabei sind sie risikobereit. Die Schwestern investieren und ihre Investitionen zahlen sich auch manchmal aus. Das Ziel der beiden war immer, einen Überschuss an Ideen zu produzieren, die sich dann in der Umwelt beweisen müssen. Sie spielen immer mit mehreren Karten. Alia und Jessica wollen Neues schaffen und damit Geld verdienen. Ich habe die beiden nie in einer Situation erlebt, in der sie sich dafür schämten, dass sie mit einem Produkt Geld verdienen wollen. Bei Stärkande muss beides stimmen: der Deckungsbeitrag eines Produkts und der Beitrag zum psychologischen Empowerment. Die Stärkanderinnen nennen das den »Powerbeitrag«. Diesen Geist werden sie in vielen der Arbeitsprinzipien spüren, die ich Ihnen vorstelle. Und dann möchte ich eine letzte Gemeinsamkeit nicht unerwähnt lassen: Alia und Jessica sind Mütter und sie sind es gerne. Alia hat zwei Töchter und Jessica einen Jungen. Ihre Erfahrungen als Eltern haben die beiden geprägt und sie sind in die Organisation des Unternehmens eingeflossen.

Das sind die Stärkande-Schwestern: Mütter, schlau, mutig, empathisch und unternehmerisch. Jetzt wollen Sie sicher wissen, was die Stärkanderinnen im Alltag beschäftigt und wie das Unternehmen Geld verdient. Diese elementaren Fragen werde ich Ihnen auf den nächsten Seiten erläutern.

[21]Die Geschäftsfelder von Stärkande

Stärkande hat 1.160 Mitarbeitende, so der letzte mir mitgeteilte Stand. Das Unternehmen hat dadurch viele Gesichter. Diese arbeiten in vier Geschäftsfeldern: Software for HR, Office Design/Schreinerei, Organizational Consulting und CoCreate – Onlinecoaching.

Abb. 2: Die vier Geschäftsfelder von Stärkande

[22]Diese Geschäftsfelder sind keine klassischen Geschäftsbereiche, Abteilungen oder gar Profitcenter. Stärkande ist anders als ein klassisches Unternehmen organisiert: Das Unternehmen arbeitet in sogenannten Phylen, die ich Ihnen weiter unten erläutere (siehe Axiom 9). Stellen Sie sich die folgenden Cluster also eher als die Themen- oder Produktbereiche vor, an denen die Stärkanderinnen arbeiten und mit denen sie Geld verdienen. Letzteres ist wichtig: Die Stärkanderinnen setzen sich für New Work und Empowerment ein; sie kommen aber nicht primär am Arbeitsplatz zusammen, um New Work zu betreiben, sondern um Geld zu verdienen (siehe auch Axiom 1).

Software for HR

Nukleus und Beginn der Erfolgsgeschichte von Stärkande war die Entwicklung von Softwareprodukten, die vor allem im Personalbereich zur Anwendung kommen. Für viele Menschen ist es kaum noch vorstellbar, wie wenig digitalisiert das Arbeitsleben am Anfang der 2000er-Jahre war. Computer waren Schreibmaschinen und fast alle Personalprozesse wurden noch »händisch« durchgeführt. Wenn digitale Hilfsmittel eingesetzt wurden, dann funktionierten diese nicht gut und die Menschen fühlten sich bei der Bedienung hilflos.

Schon während ihres Studiums entwickelten die Schwestern eine Software, mit der Urlaubstage und Dienstreisen softwarebasiert eingereicht, verwaltet und abgearbeitet werden konnten. Das war damals eine Revolution! Jessica hatte ein Praktikum in einem Softwareunternehmen gemacht und war irritiert, dass selbst in der IT-Avantgarde Urlaubsanträge umständlich ausgedruckt, per Hand ausgefüllt und dann von einer Sachbearbeiterin wieder in eine Excel-Datei zurückdigitalisiert werden mussten. Eine absurde Vorstellung, aber so war das vor 20 Jahren! Anders als bei der Entwicklung des Adventure-Games für den C64 machten die Konzeption und Programmierung des Produktes den Schwestern nicht nur Spaß, sondern die Software funktionierte auch. Sie lief, und vor allem war sie so nutzerfreundlich, dass die Anwenderinnen gern mit ihr arbeiteten. Danach folgten Softwareprodukte zur vereinfachten Verwaltung von hohen Bewerberinnenanzahlen und für die Bewertung von Bewerberinnen in Auswahlprozessen. Mit dem Stärkande-Check können Anforderungsanalysen sowie im Anschluss Auswahlgespräche und Assessment-Center strukturiert und treffsicherer durchgeführt werden.

[23]Mit vielen Softwarelösungen hat Stärkande die Personalsachverwaltung verändert. Gleichzeitig wird aber Stärkande immer wieder vorgeworfen, dass es mit seinen Produkten vor allem die Ebene der Sachbearbeitenden im Personalbereich arbeitslos gemacht habe. Heute verdient Stärkande neben den Standardprodukten im Softwarebereich Geld mit Teamkollaborationslösungen. Hier haben sich insbesondere seit Beginn der Covid-19-Pandemie immense Geschäftsfelder aufgetan. Softwarelösungen wie Rolemapp, Skillmapp und Teamorg (siehe Axiom 7), die für den Eigengebrauch entwickelt wurden, sind mittlerweile Verkaufsschlager.

Office Design

Karl Stärkande, der Vater von Alia und Jessica, führte bis 2004 die heimische Schreinerei und ein Sägewerk. Schon vor ihm hatten drei Generationen das Familienunternehmen geleitet. Gegründet worden war es von Gustav Stärkande, dessen Foto bei den Stärkanders über der Bank im Esszimmer hing. Als die Schwestern noch jünger waren, blickten sie bei jeder Mahlzeit auf ihre Eltern auf der Bank und darüber auf Gustav Stärkande. Gustav versteckte auf der alten Fotografie seine rechte Hand hinter dem Rücken, weil er drei Finger bei einem Arbeitsunfall verloren hatte (bei Karl Stärkande waren es nur zwei Fingerkuppen).

Über 80 Mitarbeitende sägten und schreinerten für Karl Stärkande im Taunus. Viele Menschen im Dorf verbrachten ihr ganzes Arbeitsleben im Unternehmen der Stärkanders. Karl Stärkande sponsorte den heimischen Fußballverein und sorgte dafür, dass der Club sich in der Verbandsliga halten konnte. 1994 geriet das Unternehmen in die Krise. Karl Stärkande hatte mehrere Spieler aus Litauen verpflichtet und diese zum Schein in seinem Unternehmen angestellt. Sowohl das Finanzamt als auch der Betriebsrat waren davon nicht begeistert. Die Lokalpresse berichtete ausgiebig über die Spielerposse. Mitarbeitende kündigten. Alia und Jessica war das Verhalten ihres fußball- und statusverrückten Vaters peinlich. Die Lage beruhigte sich erst wieder, als Karl Stärkande vom Vorsitz des Vereins zurücktrat. Im Jahr 2004 starb er an Lungenkrebs.

Die Töchter, die damals schon fünf Jahre erfolgreiche Softwareunternehmerinnen waren, führten lange Diskussionen untereinander und mit der Mutter, wie es mit dem Betrieb des Vaters weitergehen könnte. Der eine Teil, das Sägewerk, wurde im Jahr [24]2005 an einen alten Konkurrenten verkauft. Über die Schreinerei jedoch dachten die Schwestern länger nach und stellten sich die Frage, ob man mit Möbeln Menschen empowern könne, denn schließlich ist »empowering people« der Markenkern von Stärkande. Ihre Antwort: Das ist möglich. Die Schreinerei wurde in das Unternehmen der Schwestern integriert, aber neu ausgerichtet. Seit 2005 werden hochwertige und individuelle Büromöbel von den Stärkanderinnen produziert. Eine Besonderheit der Möbel ist ihre Flexibilität. Möbel von Stärkande sind so gestaltet und gefertigt, dass sie bewegt und einige auch verändert werden können. Sie sollen sich an den Arbeitsort und die Arbeitsbedürfnisse der Menschen anpassen und ihnen helfen, gut und gesund zu arbeiten.