Nicolae - Unter dem Schwert - Aurelia L. Porter - E-Book
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Nicolae - Unter dem Schwert E-Book

Aurelia L. Porter

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Beschreibung

Schicksalhafte Begegnungen. Die Schlacht seines Lebens. Und das Hoffen auf ein Wunder.

Als im April 1877 der russisch-türkische Krieg ausbricht, ist Nicolae wild entschlossen, an der Seite der Russen sein Land aus dem osmanischen Joch zu befreien. Bei der Belagerung Plevens kommt es zur alles entscheidenden Schlacht.

Zur selben Zeit bricht im Karpatenschloss Natalias Welt zusammen. Ihre schlimmsten Albträume werden wahr. Vater- und bruderlos muss sie mit Elena fliehen.

Judith kehrt im März 1878 aus dem Lazarettdienst zurück und findet das „Höhennest“ verlassen vor. Das ruhmreiche Schicksal ihres Neffen gibt ihr keinen Trost. Und auch um Natalias Leben muss sie bangen.

Die einzige Hoffnung liegt in der geheimnisvollen Macht Graf da Larucs …

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Nicolae

Unter dem Schwert

Familiensaga 19. Jahrhundert

(1876 bis 1880)

 

Band 5 der Nicolae-Saga von

Aurelia L. Porter

 

© 2021 Aurelia L. Porter

Umschlaggestaltung: Saeed Maleki, Hamburg

Umschlagmotive:

Bild 1: Medieval sword in fire smoke, Bildquelle:Shutterstock

Bild 2: Teil des Wandgemäldes Rumänischer Unabhängigkeitskrieg 1877/78

von Mihail Simonidy (1870-1933), Bildquelle: Wikimedia Commons

 

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Neuauflage der Printausgaben

ISBN 978-3-347-06038-8 (Paperback)

ISBN 978-3-347-42098-4 (Hardcover)

Verlag & Druck: tredition GmbH,

Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

 

Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung ist nur mit schriftlicher Zustimmung des Autors zulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Zur Nicolae-Saga gibt es Musik!

Hören Sie kostenlos in den Soundtrack hinein.

Info: www.aurelia-porter.de

 

 

Weil nicht nur du hinter die Schleier siehst;

weil nicht nur du die Pforten zur verborgenen Welt erkennst;

weil nicht nur du dich zu wandeln weißt, um sie zu passieren.

Aber du wirst der Einzige sein, der sein Herz nicht fangen lässt.

 

(… so geht die Sage.)

 

Teil I

 

Der Auftrag

 

Er war nervös, als er die Tribüne betrat, um die diesjährige Ansprache an das Bauernvolk zu halten. Elena zu seiner Rechten lächelte ihm aufmunternd zu. Sie sah bildschön aus in ihrer Bojarentracht und dem Kopfputz mit Schleier, der ihr ausdrucksvolles Antlitz weich umspielte. Er hatte den Eindruck, als wäre es nie anders gewesen, als hätte sie immer schon in dieser würdevollen Aufmachung an seiner Seite gestanden. Natalia zu seiner Linken blickte stumm zu Boden. Sie war trotz des Festtages ganz in Schwarz gekleidet. Er ahnte, dass sie ihre Ankündigung, ein ganzes Jahr lang Trauer zu tragen, wahr machen würde, nur um ihm ihren schmerzlichen Verlust Tag für Tag aufs Neue vor Augen zu führen. Seine Tante hatte wie üblich ihren Platz in zweiter Reihe eingenommen, nunmehr den kleinen Victor auf dem Arm, der staunend in die Runde schaute und in Abständen die Ärmchen nach seiner Mutter ausstreckte.

Nicolae straffte die Schultern und räusperte sich. In Sekundenschnelle war es mucksmäuschenstill. Die Leute verneigten sich vor ihm ebenso tief, wie sie es vor seinem Vater getan hätten. Dieser hatte darauf bestanden, dass zumindest seine Kinder das Fest begingen, trotz der beiden kürzlich erlittenen Todesfälle in der Familie. Das Volk hat ein ganzes Jahr lang darauf hingearbeitet, Nicolae, es hat sich das Erntefest redlich verdient. Gestorben wird schließlich immer. Da hätten wir stets einen Grund, es ausfallen zu lassen. Nicolae hatte seinen Vater für dessen Großmut bewundert, während Natalia dieser Gedanke mehr als aufgebracht hatte. Dass ein Fest stattfinden sollte, auf dem gesungen, getanzt und gelacht würde, obwohl ihre Mama Marcela gerade erst beerdigt worden war, ging über ihren Verstand. Darum hatte sie entschieden, an dem Fest nicht teilzunehmen. Du gehst, hatte ihr Vater daraufhin befohlen, ebenso wie deine Geschwister. Ihr werdet mich alle drei vertreten! Nicolae konnte Natalias Unwillen selbst jetzt noch spüren. Ihre ganze Haltung drückte Protest aus.

Erwartungsvoll schauten die Bauern zu ihm auf. Nicolae fand schnell zu einer kraftvollen Stimme, mit der er sie begrüßte und sich bei ihnen für sein Fortlaufen entschuldigte. Feierlich versprach er, seine hoheitlichen Aufgaben ihnen gegenüber von nun an getreulich wahrzunehmen. Dann kam er auf die familiären Veränderungen zu sprechen. Er habe sich bei seiner Rückkehr sehr gefreut, Elena als seine große Schwester vorzufinden, auch wenn der Tod des kleinen Géza die Freude überschattet habe.

Bei dieser Bemerkung hörte er Natalia verächtlich schnaufen und war versucht, ihr vor allen Leuten eine Rüge zu erteilen. Er begnügte sich jedoch mit einem strafenden Blick, den sie geflissentlich übersah.

Elena sei ihm schon immer eine enge Vertraute gewesen, fuhr er mit liebevollem Blick auf diese fort, und dürfe dies nun ganz offiziell sein. Er stellte sie den Versammelten als Domniţa vor und wartete, bis sie sich vor ihr verneigt hatten. Dann betonte er, dass er Victor – den er bei diesen Worten aus den Armen seiner Tante nahm, um ihn für alle sichtbar vor sich zu halten – ein guter Onkel sein wolle, und dass er seinen kleinen Bruder bereits lieb gewonnen habe.

Während dieser Worte war Elena errötet und Natalia blickte das erste Mal auf, wenn auch nur, um Victor sanft daran zu hindern, nach ihrem Kopfschmuck zu greifen, der von gleicher Trauerfarbe war wie der Rest ihrer Kleidung.

Nicolae sprach die extreme Situation am Hof an, in der er in Kürze eine große Schwester und einen kleinen Bruder dazugewonnen und einen noch kleineren Bruder sowie seine Stiefmutter verloren habe, über deren Verlust die Familie noch lange nicht hinweg sei. Er bat daher um Verständnis, dass sein Vater dem Erntefest dieses Jahr fernbleibe und seine kleine Schwester sich nicht in der Lage sehe, das Fest mit angemessener Fröhlichkeit zu begehen. Dann verlas er das diesjährige Ernteergebnis, das aufgrund des erneuten Frosteinbruches Anfang Mai etwas magerer ausgefallen sei als sonst, jedoch genug für alle abwerfe, und sprach anschließend von den Brüdern und Schwestern jenseits der Wälder, die es um so viel schwerer hätten und um die sie sich im kommenden Jahr besonders bemühen wollten. Schließlich dankte er den aufmerksam lauschenden Bauern für ihre Arbeit und Mühen, auch im Namen seines Vaters, und trat unter Beifallsbekundungen von der Tribüne ab.

»Oh, junger Herr«, kam ihm Vasile mit vor Begeisterung glänzenden Augen entgegen, »das habt Ihr ganz wunderbar gemacht. Ihr seid fürwahr ein würdiger Vertreter Eures Vaters.«

Nicolae dankte ihm und nahm den Ehrenplatz ein, um der Drăgaica und der anschließenden priesterlichen Segnung der Ernte beizuwohnen. Sieben in weiße Gewänder gekleidete und mit Weinranken und Ähren bekränzte Jungfrauen erhoben vor dem Erntewagen ihre Stimmen zu einem Sprechgesang, mit dem sie die Gaben der Natur priesen, bevor sie ihren Reigentanz begannen, zu dem kräftig ins Horn geblasen wurde. Anschließend waren Preot Ştefan und Preot Matei an der Reihe, den Ernteritus zu vollenden.

Nachdem Nicolae, wie die Tradition es verlangte, das Weinfass aufgemacht hatte, eröffnete er den Tanz. Einen Burschen nach dem anderen winkte er mit seinem Tuch heran, ihm auf die Tanzbohlen zu folgen, wo sie sich zu einem festen Reigen formten.

Der Rhythmus der Trommeln und Flöten fuhr ihnen umgehend in die Beine, und als das Ţambal und die Cobza sie unterstützten, war kein Halten mehr. Die Anspannung der letzten Wochen und Monate zerschmolz in wenigen Sekunden und machte Raum für eine tief empfundene Freude über die lebensspendende Erde, die sie Jahr für Jahr mit ihren Früchten ernährte. Mit Anfeuerungsrufen winkte er weitere Tänzer heran, während ihre stampfenden Füße die Bohlen zum Vibrieren brachten. Als die Frauen und Mädchen dazukamen, war das Fest in vollem Gange.

Unterdessen ließ Natalia ihre Blicke wie Feuersalven auf ihn sprühen. »Amüsierst du dich gut?«, fragte sie ihn voller Gift und Galle, als er erhitzt von den Tanzbrettern zurückkam.

»Ich tue, was von mir erwartet wird, Nana. So etwas gehört zu unseren Pflichten, ob uns danach zumute ist oder nicht. Außerdem ändert es nichts, wenn auch ich nur mit leichensaurer Miene herumsitze. Dafür hat Papa uns nicht hergeschickt!«

Daraufhin nahm er Elena an die Hand und zog sie mit sich zum Tanz. Unter den Jubelrufen der Leute ließ sie sich freudig von ihm zu den beschwingten Klängen herumwirbeln.

»Du bist ein außerordentlich guter Tänzer, Nicolae«, befand sie hinterher. »Fast so gut wie dein Vater.«

»Wie unser Vater, Elena.«

Sie schlug die Augen nieder und schwieg.

 

Als seine Blicke im Laufe des Festes auf Lulu fielen, die sich wie früher von den Dorfburschen umgarnen ließ, wusste er, was er demnächst zu tun hätte. Sie wirkte zwar amüsiert, und auch ihr Tanz war aufsehenerregend wie immer, aber ihr Herz blieb dabei unbeteiligt. Ihr heiteres Lachen war nur ein trauriger Ersatz für ein bitterliches Weinen, das konnte er deutlich erkennen.

Ansonsten ging es auf dem Fest heiter und fröhlich zu wie jedes Jahr, als wäre nichts in der Zwischenzeit geschehen. Und doch hatte sich so vieles verändert.

Unter den Augen seiner Tante nahm sich Nicolae zurück, was den Weingenuss anbelangte. Und auch den gelegentlichen Aufforderungen der jungen Burschen, ihnen noch mehr von der derben Schönheit Rada oder der koketten Franzi zu erzählen, kam er nur verhalten nach.

»Mehr davon, wenn wir wieder unter uns sind«, raunte er ihnen verschwörerisch zu und machte eine Kopfbewegung in Richtung seiner Tante. Die Burschen verstanden und grinsten. »Dass du diesen Winter ja die Wirtsstube gut einheizt!«, riefen sie Vasile zu. »Unser junger Herr wird dort nämlich Stammgast sein.«

Lachend hob der Angesprochene seinen Weinkrug. »Es wird mir eine Ehre sein, mein lieber junger Herr.«

»Da siehst du mal, was dir solche Geschichten einbringen«, sagte Ovidiu, der neben ihm stand. Nicolae meinte, so etwas wie Neid herauszuhören. »Selbst bei den Alten stehst du hoch im Ansehen.«

»Ich will schwer hoffen, dass ich dies auch ohne meineAbenteuer täte, sonst kann ich mich beim besten Willen nicht darüber freuen!«

Mit diesen Worten ließ er seinen verdutzten Freund stehen.

 

Zu Nicolaes Überraschung wagte selbst seine Tante ein paar Tänzchen. Sie hatte sogar eine Trachtenbluse angelegt, die Elena für sie bestickt hatte. Überhaupt erschien sie ihm gelöst wie nie. Wenn nur Natalia nicht wie ein Trauerkloß dagesessen hätte, hätten sie für wenige kostbare Stunden das just ertragene Leid beiseiteschieben können. Doch diese hielt ihren Blick unbeirrt vorwurfsvoll auf alle gerichtet, die ausgelassen feierten.

»He, Petru!«, rief Nicolae diesen zu sich heran. »Kannst du nicht versuchen, meine kleine Schwester etwas aufzuheitern?«

»Das gelingt mir schon lange nicht mehr, junger Herr«, maulte dieser. »Sie hat mit mir gebrochen.«

»Wie ist das denn passiert?«

Verlegen trat Petru von einem Fuß auf den anderen und wollte partout nicht mit der Sprache heraus.

»Na, du wirst ihr sicher wieder eine deiner krausen Geschichten aufgetischt haben, stimmt’s? – Gut, dann muss ich mir wohl etwas anderes einfallen lassen«, fügte er seufzend hinzu.

»Dabei habe ich die ganze Zeit über auf Radu aufgepasst«, platzte der jüngste Blaga dann doch damit heraus. »Nicht einmal gedankt hat sie mir dafür, dabei wäre er ohne mich bestimmt verhungert.«

Beleidigt verschränkte er die Arme vor der Brust.

»Das, Petru, musst du mir näher erklären. Erinnere dich, ich war ein ganzes Jahr lang fort. Wer also ist Radu?«

Nur zögerlich und mit nervösen Blicken in Natalias Richtung erzählte Petru ihm die Geschichte von dem Findelwolf, der allabendlich auf der Lichtung droben beim Schober hatte gefüttert werden müssen. »Mensch, was hab ich mich für Euer gnädiges Fräulein Schwester ins Zeug gelegt. Einmal hätten sie mich beinahe dabei erwischt, wie ich der alten Amalia ein Huhn aus dem Stall geklaut hab. War doch aber nicht für mich, war doch für das Schoßhündchen der Prinzessin! Sogar den Kopf umdrehen musste ich dem Federvieh, nur weil Radu zu dumm war, es zu reißen. Hat nur mit ihm gespielt wie die Katz mit der Maus. Aber neulich«, kam der Müllersohn immer mehr in Wallung, »trat er plötzlich aus dem Wald und hatte die Schnauze voll Blut. Da war mir klar, dass das Schoßhündchen nun endlich für sich selbst sorgen kann. Aber davon weiß die Prinzessin noch gar nichts, denn sie hat sich bisher nicht ein einziges Mal bei mir nach ihrem Schützling erkundigt. Doch ich, ich hab die ganze Arbeit gehabt und obendrein noch Dresche gekriegt, als herauskam, dass ich der Hühnerdieb im Dorf gewesen bin. Denn Razvan, der alte Dreckskerl, hatte mich die ganze Zeit über heimlich beobachtet und mir für sein Schweigen Geld aus dem Kreuz geleiert, das ich nicht hatte. Deshalb musste ich es Großvater unter der Matratze rausklauen. Dabei hat mich Vater erwischt. War nicht witzig, junger Herr, hab mich zehn Tage lang nicht setzen können! Und noch ‘ne Tracht, nachdem ich ausgespuckt hatte, weswegen ich Schweigegeld zu zahlen gehabt hatte. Wenigstens hat Razvan ebenfalls Ärger gekriegt. Er musste zwei Wochen lang täglich zu Preot Ştefan, der ihn streng ins Gebet genommen hat. Er soll ihm sogar was mit dem Stecken verabreicht haben, heißt es, weil Razvan keine Reue gezeigt habe. Geschieht ihm ganz recht, dem Dreckskerl! Doch seitdem lauert er mir auf und droht, es mir irgendwann heimzuzahlen, dass ich ihn verpetzt habe. Er sagt, dann bliebe keiner meiner Knochen auf dem anderen. – Nix als Ärger hat mir das alles eingebracht, dabei hab ich’s nur Eurer Schwester zuliebe getan. Aber ihr scheint alles plötzlich ganz egal zu sein.«

Beschwichtigend legte Nicolae ihm die Hand auf die Schulter.

»Ihre Mutter ist gerade gestorben, Petru, und davor ihr Brüderchen. Hab Geduld.«

»Aber angucken könnte sie mich doch wenigstens! Sie tut ja geradeso, als wäre ich Luft!«

»Das kann sie gut, nicht wahr? Sei getröstet, zurzeit bin auch ich nur Luft für sie.«

»Tatsächlich? Versteh ich nicht. Sie müsste doch heilfroh sein, Euch endlich wiederzuhaben, so viel, wie sie anfangs um Euch geweint hat.«

»Das sollte man meinen. Aber so ist es leider ganz und gar nicht.«

»Na, ich bin’s jedenfalls.«

Lächelnd klopfte Nicolae seinem kleinen Freund die Schulter.

»Ich danke dir, Petru. Jetzt werde ich mal gehen und ein paar ernste Worte mit Razvan reden.« Verschwörerisch zwinkerte er dem Jungen zu. Daraufhin küsste dieser ihm vor lauter Erleichterung die Hand und lief fröhlich davon.

 

Die Mitternachtsstunde rückte unaufhaltsam näher. Nicolae erinnerte sich mit Schrecken an den traditionellen Mitternachtstanz. Man erwartete doch wohl nicht von ihm ...? Er war schließlich erst fünfzehn!

Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gedacht, erklangen bereits die ersten Trommelschläge, die den Höhepunkt des Festes ankündigten. Erwartungsvolle Blicke richteten sich auf ihn. Er ignorierte sie so gut es ging, woraufhin ihm von allen Seiten zugerufen wurde. Nicolae gab vor, nicht zu hören, und versuchte in der Menge unterzutauchen, wurde jedoch von den Umstehenden erbarmungslos zur Tanzfläche gedrängt.

»Nein, ihr lieben Leute«, wehrte er entschieden ab, »ich kann meinen Vater schließlich nicht in allen Dingen vertreten! Dieser Brauch muss dieses Jahr ausfallen.«

»Aber junger Herr«, ertönten daraufhin Proteste aus allen Richtungen. »Mit alten Bräuchen darf nicht gebrochen werden, es bringt Unglück, so etwas zu tun!«

»Sonst bekommen wir nächstes Jahr womöglich eine Heuschreckenplage …«

»Oder die Weizenfäule …«

»Rinderwahn und Schweinepest …«

»Maul- und Klauenseuche …«

»Dürre, die unsere Bäche austrocknet …«

»Dauerregen, der unsere Böden fortspült …«

»Oder es brechen gar die Blattern aus …«

»Um Himmels willen«, rief Nicolae erschrocken aus. »So schreit es doch nicht auch noch herbei!«

Sogleich begannen etliche sich hastig zu bekreuzigen oder dreimal über die Schulter zu spucken.

»Einige eurer Bräuche führen wirklich zu weit. Ich kann diesen hier nicht ausführen«, erklärte er standfest.

Ein bestürztes Raunen ging durch die Menge, dann herrschte ratlose Stille. Selbst die Trommeln schwiegen.

»Wollt Ihr Euch unser aller Unglück auf die Schultern laden, junger Herr?«, erhob schließlich Herr Codrescu vom Gestüt hinterm Schwarzbach das Wort. Das gesamte Bauernvolk stimmte ihm zu.

Hilfe suchend hielt Nicolae nach Elena Ausschau, die neben Lulu auf einem Baumstumpf saß.

»Was soll ich tun?«, wandte er sich an beide.

»Eure Pflicht, junger Herr«, antwortete Lulu, während Elena dieses nickend bekräftigte.

»Aber ... aber ...« Mit gehetztem Blick wandte er sich ab.

»Preot Ştefan!«, eilte er auf diesen zu, in der Hoffnung, dass der Geistliche ihn ganz gewiss darin unterstützen werde, mit diesem heidnischen Ritual zu brechen. Doch der Pope wandte sich ab und tat, als hätte er ihn nicht gehört.

»Es ist die Stunde, in der Gott seine Augen schließt«, antwortete stattdessen Preot Matei, »darum schließen auch Preot Ştefan und ich jetzt unsere Augen. – Gebt dem Volk, was dem Volk gebührt.«

Einen letzten Versuch des Entkommens sah er nur noch in seiner Tante, die bei der Savin-Sippe saß.

»Tante Judith«, beschwor er sie auch mit Blicken. »Was –«

»Nicolae«, fiel sie ihm nervös ins Wort, »meinst du nicht, dass ich diesbezüglich so ziemlich die schlechteste Ratgeberin bin? Willst du mich wirklich vor all den braven Leuten hier in Verlegenheit bringen?« Damit ließ sie ihn stehen.

Wie betäubt ging er zu Vasile, der ihm jedoch nur begütigend die Schulter klopfte. »Ihr macht das schon, mein lieber junger Herr. Ihr habt ja jetzt Erfahrung«, raunte ihm dieser augenzwinkernd zu und reichte ihm einen Becher Wein.

Ergeben stürzte Nicolae den Inhalt hinunter und einen zweiten Becher zur Hälfte gleich hinterher. Die unmittelbare Wirkung blieb nicht aus. Wie durch einen Schleier sah er die ihm zurufenden und heranwinkenden Leute und vernahm ihre unmissverständliche Aufforderung, den Mitternachtstanz nun endlich beginnen zu lassen.

Rosemaries Gesicht tauchte kurz in der Menge auf. Mit ihr hatte er ein einziges Mal getanzt und sie danach Ovidius Armen überlassen müssen, da ihn andere Pflichten gerufen hatten. Was mochte wohl jetzt in ihr vorgehen?

Seine Knie waren weich, als er die Tanzbretter betrat. Inzwischen hatten die Trommeln wieder eingesetzt und hoben zu einem Wirbel an, der ihm fordernd in den Ohren dröhnte. Andere Musikinstrumente fielen mit ein und befahlen seinen Beinen zu tanzen.

Er gehorchte. Er gehorchte dem Rhythmus und den Erwartungen der Leute. Du wirst mich würdig vertreten, mein Sohn, klang ihm die Stimme seines Vaters wieder in den Ohren.

Würdig! Oh Gott, wie sollte er den Mitternachtstanz würdig über die Bühne bringen? So erfahren war er nun auch wieder nicht, wie er die Leute hatte glauben lassen. War das jetzt die Strafe für seine Aufschneiderei? Wieso hatte sein Vater ihn nicht darauf vorbereitet?

Weil er in Trauer war, gab sich Nicolae selbst Antwort, während sich seine Beine selbstständig machten. Weil dessen Gedanken und Gefühle ganz in seinem Inneren gewesen waren, bei seinem verwundeten Herzen, in das der Tod ein weiteres grausames Loch gerissen hatte.

Unter dem rhythmischen Stampfen geriet sein Blut mehr und mehr in Wallung. Deutlich spürte er den Wein in seinen Adern rauschen. Die Musik wirbelte seine Gedanken durcheinander, zerfetzte sie in tausend Stücke und schleuderte sie schließlich aus seinem Kopf. Plötzlich fühlte er sich von einem Sog erfasst, dem er sich nicht mehr zu entziehen vermochte. Die wilden Zurufe und Pfiffe der Umstehenden trieben ihn zusätzlich an. Es gab kein Entrinnen.

Die Bohlen dröhnten, Funken zischten, die Luft knisterte.

Der quäkende Laut des aufgeblasenen Schafbalgs ertönte und verwischte sich in seinem Gehörgang zu den urheimatlichen Klängen des Dudelsacks. Welsche, Walachen, Volcae –ein romanisierter Keltenstamm. Wir entspringen dem gleichen Volke, fuhr es ihm durch den Sinn, als er meinte, Grandpa Patty ihm lachend zuprosten zu sehen. Doch es war nur der alte Blaga, der den Weinbecher auf sein Wohl hob.

Der Reigen der Mädchen kam dichter. Mit ihren wehenden Schleiern und bunt bebänderten Zöpfen verströmten sie exotische Aromen von Moschus, Sandelholz und Patschuli. Woher hatten sie diese kostbaren Düfte? Wie waren sie hierher geraten?

Feurige Blicke begegneten den seinen, aber auch ein scheues Paar Augen war darunter, eines, welchem vor dem Ende des Tanzes bangte, aus Furcht vor dem Opfer, welches das Ritual verlangte.

Die lüsternen Augen schreckten ihn; sie schienen genau zu wissen, was von ihm zu erwarten war. Und wenn er ihre Erwartungen nicht erfüllte, würden sie ihn zukünftig heimlich belächeln, weil offen zu verachten ihnen verboten war. Doch ihren Respekt hätte er für immer verloren, auch wenn sie ihm diesen nicht verweigern durften. Und alles Unglück, das zukünftig über die beiden von aller Menschheit abgeschiedenen Bergdörfer hereinbrechen mochte, würde ihm und seinem Versagen angelastet werden ...

Kalter Schweiß brach ihm aus. Das Hemd klebte ihm bereits auf der Brust wie eine zweite Haut. Es schrillte in seinen Ohren und flimmerte vor seinen Augen, als der irrsinnige Strudel ihn auseinanderzusprengen drohte. Die Weste allein schien ihn zusammenzuhalten.

Mit einem Schlag verstummte die Musik. Seine Beine rührten sich nicht mehr. Mit heftig gehendem Brustkorb stand er da, das Augenpaar dicht vor ihm krallte sich furchtsam in das seine.

Einige Sekunden lang war es totenstill, nur ihrer beider Keuchen war zu hören. Dann brach Jubel aus und die stolzen Eltern des unglücklichen Mädchens machten sich gewichtig Platz in der Menge, um den Weg zu bahnen; den Weg zu ihrer Hütte, zu dem Ort des Geschehens, zur Opferstätte.

 

Das Mädchen blickte scheu zu ihm auf. Die Eltern strahlten. Ihnen war nicht elend wie den beiden jungen Menschen, in deren feuchten Händen es lag, über Glück oder Unglück zweier Bergdörfer zu bestimmen.

Er wurde vom Vater des Mädchens in die Stube geführt, zu dessen Bettstatt, die sich im rechten Winkel zu derjenigen der Eltern befand. Die Mutter und eine der Tanten waren mit dem Mädchen im Vorraum geblieben, um sie vorzubereiten. Sich verneigend verließ der Vater die Opferstätte.

Zwei Talglichter tauchten den Raum, dessen Wände wie alle Bauernstuben mit bunten Webteppichen und bestickten Stolen behangen waren, in ein schummriges Licht. Nur das reine Weiß des Lakens, das über das Bett gebreitet lag, stach deutlich daraus hervor.

Der Anblick schreckte ihn. Hastig verteilte er ein paar bunte Zierkissen darauf und nahm anschließend auf der Kante Platz. Eines der Kissen behielt er vorsichtshalber im Schoß.

Florins Hochzeitsnacht fiel ihm ein, vor der diesem so sehr gegraut hatte. Aus gleichem Grund. Weil alle es wussten, weil alle warteten, weil alle auf das Ergebnis lauerten.

Der Wein und der wilde Tanz kribbelten noch in seinen Adern und machten seine Hülle ein wenig taub. Wenigstens das.

Schließlich wurde das Mädchen zu ihm geführt. Es war nunmehr in ein schlichtes Gewand aus fein gewebtem Linnen gehüllt.

Sie blieben allein zurück. Das Opfer konnte beginnen.

Furchtsam setzte sich das Mädchen neben ihn. Sie schaute nicht zu ihm auf und sprach kein Wort. Nach einer kleinen Weile legte sie sich hin, in aller Ergebenheit. Er blieb steif auf der Bettkante sitzen und wagte nicht, sich zu rühren. Plötzlich spürte er, wie sie zaghaft an seinem Ärmel zupfte.

Er gehorchte. Ihre Leiber lagen jetzt dicht nebeneinander, seiner in noch voller Bekleidung, ihrer in dem zarten Webstoff, der mehr preisgab als bedeckte. Beider Herzen gingen schnell. Noch vom Tanz. Und von der Furcht.

Das Mädchen neben ihm weinte. Es waren stille Tränen, derer sie sich schämte. »Ich bitte um Vergebung, junger Herr«, flüsterte sie mit belegter Stimme und wandte ihr Gesicht ab.

»Es ist schon gut, Farina. So ist doch dein Name?«

Sie nickte. »Ihr dürft nicht glauben, dass ich mich nicht zu Euch hingezogen fühle, das ist es nicht ...«

»Ich weiß schon. Wie alt bist du?«

»Dreizehn.«

»Dreizehn?!« Entgeistert stützte er sich auf den Ellenbogen. »Und da lassen deine Eltern dich zum Mitternachtstanz antreten?«

»Sobald die roten Tage kommen, darf man teilnehmen, junger Herr.«

»Aber ... du bist noch viel zu jung!«

»Nein, ich nehme schon das zweite Jahr teil.«

»Hat dich überhaupt schon einmal jemand berührt?«

Ihre grünen Augen blinzelten ihm ängstlich entgegen. Langsam schüttelte sie den Kopf.

»Ich werde dir jetzt ein Geheimnis verraten, Farina. Ich habe genau solche Angst wie du.«

Überrascht sah sie zu ihm auf. »Ihr? Ihr habt Angst? Wovor? Euch soll es doch Vergnügen sein, wie mir die Tanten sagten.«

»Schon. Trotzdem«, wand er sich. »Farina, was hältst du davon, wenn wir es nicht tun? Wenn wir nur vorgeben, es getan zu haben? Wir dürften nur niemandem davon erzählen, es müsste unser Geheimnis bleiben.«

Er hatte mit ihrem erleichterten Aufatmen gerechnet, mit dem Entspannen ihrer Miene, mit einem dankbaren Blick, doch niemals mit diesem Entsetzen, das sich in Windeseile auf ihrem Gesicht ausbreitete.

»Wie bitte?«, rief sie fassungslos. »Ich soll Unehre über meine Familie bringen? Aber junger Herr, bin ich so abstoßend für Euch?«

»Aber nein«, beeilte er sich zu erwidern. »Davon kann gar nicht die Rede sein. Du bist schön, Farina. Sehr schön sogar ... Ich dachte nur, warum sollten wir etwas tun, das wir beide eigentlich gar nicht wollen, wovor wir sogar Furcht haben?«

»Aber, junger Herr, so dürft Ihr nicht denken! Es ist unsere Bestimmung, unsere Pflicht! Es verlangt nun einmal ein Opfer, die Naturgewalten gnädig zu stimmen. Wisst Ihr das denn nicht? Euer Vater, der uns ein friedvolles Leben schenkt und die Schlechtigkeit der Welt von uns fernhält, nimmt es stellvertretend für sie entgegen, denn er ist der Mittler zwischen uns und ihnen. So jedenfalls hat Mütterchen es mir vorhin noch einmal erklärt, falls die Ehre mir zuteilwürde. Sie opfert mich gerne, glaubt mir, sie ist so stolz. Wie könnt Ihr auch nur daran denken, ihr eine solche Schande zu bereiten, indem ihr mich zurückweist?«

»Du weißt erstaunlich gut zu reden für ein kleines Bauernmädchen«, murmelte Nicolae verblüfft. »Wenn dem so ist«, fuhr er nach einer Weile fort, »wenn du keine Schonung willst, wenn es dir Ehre bedeutet, nun, dann müssen wir eben zur Tat schreiten.«

Mit diesen Worten schob er seine Hände unter den Saum ihres Gewandes und begann ihre flaumigen Unterschenkel zu streicheln.

»So wird das aber nichts mit dem Opfer«, sagte er, nachdem er sich bis zu ihren zusammengepressten Oberschenkeln vorgearbeitet hatte und sie sich immer noch mit angehaltenem Atem in das Laken krallte. Daraufhin ließ ihre Anspannung etwas nach. Sacht löste er die Bänder an ihrem Halsausschnitt und zog ihr das Gewand von den Schultern. Ihre kleinen festen Brüste staken ihm frech entgegen. Er scheute sich nicht, sie zu berühren, sie zu umfassen und zu streicheln. Es führte eh kein Weg an dieser Aufgabe vorbei, dann wollte er sich diese wenigstens so angenehm wie möglich gestalten.

Farina nahm seine Liebkosungen hin, ja, schien sie mit der Zeit sogar zu genießen, ihrem tieferen Atem nach zu urteilen. Das gab ihm den Mut, ihre Brüstchen mit sanften Küssen zu bedecken und schließlich eine der seidigen Spitzen behutsam zwischen die Lippen zu nehmen – so wie Lucreţia es ihn einst gelehrt hatte, bevor er den heftigen Sinnesreizen durch einen ohnmachtsgleichen Taumel in tiefen Schlaf entflohen war.

Auch Farina schien einer Ohnmacht nahe. In ergebener Pose lag sie da und stieß in Abständen überraschte Seufzer aus, je weiter er sich vorwagte. Bald schon begann sie, unruhig ihre Schenkel aneinanderzureiben. Dadurch ermutigt, strich er ihr das Gewand bis über beide Hüften hoch. Der Anblick ihrer jungfräulichen Scham erregte ihn dermaßen, dass er seine erhitzte Wange auf ihren festen weißen Bauch presste. Sie wand sich lustvoll unter ihm.

»Was macht Ihr da, junger Herr?«, keuchte sie, »was ist das für ein Zauber, der mich diese Wonne in meinem Schoß empfinden lässt, statt Schmerz, wie die Muhmen es mir prophezeiten?«

»Ist das so, Farina?«, fragte Nicolae erleichtert. »Empfindest du Freude? Hast du nun keine Angst mehr, dich mir hinzugeben?«

»Ja, junger Herr. Gebt mir mehr von dem, was Ihr mir zu geben vermögt, mir scheint, ich will sonst sogleich vergehen.«

Er war erstaunt, wie schnell ihre Ängste gewichen waren, wie sie auf die kleinste seiner Berührungen reagierte. Nicht so wie Franzi, für die der Reiz nicht stark genug hatte sein können, die maßlos, wild und unersättlich gewesen war.

Daraufhin streifte er Farinas Gewand ganz ab und entkleidete sich ebenfalls vollständig.

»Wie schön du bist, Farina«, stellte Nicolae abermals fest, während seine Finger über das seidige Gekräusel ihrer Scham strichen. Ihr Atem ging nun wieder schnell, wie vorhin beim Tanz. Einladend öffnete sie ihm ihre Schenkel. Er stützte sich auf, um zur Tat zu schreiten, doch als sie sein steifes Glied entdeckte, erschrak sie. Noch bevor sie sich ihm wieder verschließen konnte, bog er ihre Beine zurück und begann, sie damit leicht zu stupsen. Er wusste auf welche Stellen es ankam, Franzi war eine gute Lehrmeisterin gewesen, zumindest das musste er ihr nun zugutehalten.

Als Farina lustvoll aufstöhnte, drang er in das dafür bereite Mädchen ein und traf unvermittelt auf einen Widerstand. Im selben Moment entwich ihr ein Klagelaut, sodass er erschrocken innehielt. Der Rat des Köhlers schoss ihm durch den Kopf: Langsam, ganz langsam ...

Zärtlich, ohne jedoch das Ziel seiner Begierde freizugeben, glitt er mit seiner Hand über ihren Körper, um sie von dem Schmerz in ihrer Mitte abzulenken, und küsste sie sanft auf Hals und Brust. Als sie unter seinen Liebkosungen erneut zu seufzen begann, stieß er ein paarmal beherzt zu. Farina rang ächzend nach Luft. Da stieg ihm der Geruch ihres Jungfernblutes in die Nase. Beschämt über seine Rohheit, hielt er sie fest in seinen Armen, während er dem Drang, sich in ihr zu bewegen, widerstand. Er wartete, bis sich der warme, enge Schlund, in dem er steckte, weitete.

»Es ist geschafft, Farina, du hast deine Jungfräulichkeit geopfert«, sprach er zu dem Mädchen, das ihm erleichtert in die Augen blickte. »Wir haben dem uralten Brauch Genüge getan. Nun sollst du deine Belohnung dafür erhalten.«

Damit gab er seiner Lust endgültig nach, in der Hoffnung, dass es auch ihr eine Freude war. Wie anders es sich anfühlte als bei Franzi, die stets gedrängelt hatte. Farinas leidenschaftliche Hingabe war um so viel sinnlicher und genussvoller, und doch drängte es ihn, immer ungestümer in das zarte Mädchen einzudringen, bis sie schließlich beide in einem einzigen Lustschrei zergingen.

Draußen vor der Hütte ertönten Jubelrufe. Erschrocken zog Nicolae das Laken über sie beide. Wer wusste schon, ob die Wände nicht nur Ohren, sondern auch Augen hatten?

Wie ein schutzbedürftiges Kätzchen schmiegte sich Farina an ihn.

Alle äußere Taubheit, alles innere Rauschen, alle Aufgeregtheit waren auf einmal verflogen. Nicolae lag wie erlöst und genoss den fremden Duft des Mädchens, ihre Wärme und Lebendigkeit.

Farina weinte.

»Warum weinst du, Farina?«, fragte er verwundert, während er ihr zärtlich eine Träne fortwischte. »Es ist doch geschafft.«

»Genau darum, junger Herr, weil ich mich Euch jetzt nie wieder opfern kann.«

Gerührt zog er sie an sich und küsste sie auf die Schulter.

»Eines Tages wird ein anderer kommen, und du wirst –«

»Nein, junger Herr«, unterbrach sie ihn schniefend. »Ihr wisst es anscheinend nicht. Ein Mädchen, das sich geopfert hat, ist ein Leben lang tabu für andere Männer.«

»Heißt das, du wirst dich niemals verheiraten können?«

»Genau das, junger Herr.«

»Und dennoch denkt deine Familie, du wärest begnadet?«

»Das bin ich. Es ist die größte Ehre, die einem Mädchen zuteilwerden kann, und ich bin froh, dass ich sie durch Euch erfahren durfte, denn vor Eurem Vater fürchte ich mich.«

»Tatsächlich?« Verdutzt sah er ihr in die Augen. »Das brauchst du nicht, Farina. Er hätte gewiss nichts anderes mit dir getan.«

Ihr Blick schien ihm widersprechen zu wollen.

»Hätte ich etwas anders machen müssen?«, fragte er erschrocken.

»Ihr müsst jetzt gehen, junger Herr«, erwiderte sie ausweichend. »Die anderen warten schon auf Euch. Das Fest ist noch nicht zu Ende.«

 

Für Nicolae war es zu Ende. Ein Opferungszeremoniell anderer Art und in einer anderen Welt kam ihm in Erinnerung, bei dem sich die Lust in rote Schleier gehüllt und bis ins Unendliche gesteigert hatte. Er hatte von der Seele des Opfers gekostet und ihr Herzblut getrunken. Man hatte ihm Einhalt gebieten müssen …

Verwirrt kleidete er sich wieder an und verließ, von der seltsamen Empfindung gefangen, die Hütte. Daher fiel ihm nicht auf, dass die Leute ihm forschend ins Gesicht schauten. Er bemerkte weder die wissbegierigen Blicke Ovidius noch die anerkennenden Vasiles, weder die wütenden Natalias noch die amüsierten Ludwinas, weder die schwärmerischen der kleinen Dana und schon gar nicht die traurigen Rosemaries.

Erst als er in den frühen Morgenstunden den Tross der Oberdörfler durch die Wolfsschlucht heimwärts führte, kam er wieder zu sich und blickte sich suchend nach Rosemarie um. Er vermutete sie auf einem der Ochsenkarren am hinteren Ende und befahl Florin, sie zu ihm nach vorne zu holen, wofür er eigens den Zug halten ließ. Nach seinem jüngsten Erlebnis und seiner anschließenden Verwirrung verlangte es ihn nach etwas Altvertrautem, an dem er sich festhalten und seinen Geist klären konnte.

Rosemarie ließ sich gehorsam zu ihm in den Sattel heben.

»Rose«, hauchte er ihr mit heißem Atem von hinten ins Ohr, nachdem sie ihren Weg wieder aufgenommen hatten, und küsste sie zart auf den Hals. Sie zuckte zurück.

»Was ist los?«, fragte er verwundert.

»Habt Ihr für heute nicht genug gekriegt, junger Herr?«

Er stutzte. Ihr anklagender Ton und die offizielle Anrede ärgerten ihn.

»Du weißt, dass ich keine Wahl hatte. Ich habe nur meine Pflicht getan. Abgesehen davon ...« Er verstummte.

»Wenn es dir lieber ist«, fuhr er frostig fort, »lass ich dich von Florin wieder zurück auf den Ochsenkarren setzen.«

Daraufhin brach sie in Tränen aus. Nicolae vermochte seinen aufwallenden Groll hierüber kaum zu verbergen.

»Ich hasse deine Tränen, Rose«, tadelte er sie heftig. »Es ist immer dasselbe. Kannst du dich nicht einfach freuen, bei mir zu sein? Zu dieser Stunde mit mir zusammen unser Dorf heimzuführen? Die Stelle zu passieren, an der wir uns kürzlich so nahe waren? Es scheint dir alles nichts zu bedeuten!«

»Das tut es sehr wohl«, entgegnete sie aufgebracht. »Jedoch ... du riechst nach einem anderen Mädchen.«

»Und das stört dich so sehr, dass du die ganze Stimmung verderben musst?«

»Nein, Nicolae, es hätte mich überhaupt nicht gestört, hättest du nicht anschließend ...«

»Was?«

»... für niemanden mehr einen Blick gehabt, nicht einmal für mich. Die jungen Burschen gingen nur noch mit grinsenden Gesichtern umher und machten schmutzige Andeutungen, dass ich vor Scham fast verging, während du –«

»Während ich was?«, unterbrach er sie ungehalten. »Ich war in Erinnerungen vertieft, aber nicht in solche, wie du sie mir vermutlich unterstellst. Mir scheint, die schlechten Gedanken deines Vaters, was meine Person anbelangt, haben bereits auf dich abgefärbt. Ich bin es leid, dass wir uns deswegen immerzu streiten. An genau diesem Punkt waren wir schon einmal vor langer Zeit, und irgendwie kommen wir immer wieder dahin zurück, als ob wir uns ewig nur im Kreise drehten. Ich hab’s langsam wirklich satt!«

Nun flossen die Tränen erst recht.

»Und überhaupt«, mühte er sich, seine Stimme unter Kontrolle zu halten, »bist du voller Widersprüche, weißt du das? Küssen darf ich dich nicht, weil du fürchtest, ich könnte mehr von dir wollen. Tu ich aber genau das mit einer anderen, weil es mir auferlegt wurde, wirst du eifersüchtig. Das ist ziemlich lächerlich, findest du nicht?«

Inzwischen war Rosemarie in ein haltloses Schluchzen verfallen. Er fühlte sich schuldig an ihrem Unglück, was seine Wut auf sie noch mehr steigerte.

»Sei unbesorgt«, presste er kalt hervor, »ich lasse dich zukünftig in Ruhe. Es ist wohl besser so.«

Sogleich pfiff er Florin heran und ließ Rosemarie ans Ende des Zuges zurückbringen.

Mit einem Mal fühlte er sich leer. So leer wie nie zuvor in seinem Leben. Die rauen Felsen, die neben ihnen aus den Schatten der Nacht emporwuchsen, erschienen ihm plötzlich kalt und abweisend. Und als sie die vom Mond beschienenen oberen Almwiesen erreichten, kam ihm die Gegend fremd und öde vor.

Mit erstarrter Miene führte er seine Leute heim und überließ die Gesänge ihnen.

 

»Du bringst alle immer nur zum Weinen!«, spie Natalia ihm ins Gesicht, nachdem sie den Hof erreicht hatten. Daraufhin verpasste er ihr eine Ohrfeige. Heulend rannte sie ins Haus.

Er gewahrte Elenas erschrocken Blick, während sie den schlafenden Victor aus Heinrichs Armen entgegennahm.

»Tat das Not, Nicolae?«, hörte er kurz darauf seine Tante tadeln.

»Du ahnst gar nicht wie sehr«, gab er im gleichen Ton zurück und ließ die beiden empörten Frauen stehen.

 

Später klopfte es zaghaft an seine Zimmertür. Er wusste, dass es Elena war, nur sie klopfte so verhalten, nur sie spürte sein Herz.

»Es wird schon bald wieder hell. Warum schläfst du noch nicht?« Müde wandte er sein Haupt auf dem Kissen zu ihr herum.

»Weil ich mir Sorgen um dich mache, Brüderchen.«

Obwohl er bis oben hin zugedeckt war, setzte sie sich zu ihm auf die Bettkante und zog seine Decke ein Stückchen höher.

Ihre Fürsorge tat gut.

»Das brauchst du nicht.« Er hatte sich bemüht, seiner Stimme einen festen Klang zu verleihen, doch sein Gesicht sagte anscheinend etwas anderes.

»Es ist alles etwas viel auf einmal, Nicolae.« Behutsam strich sie ihm eine Haarsträhne aus der Stirn. »Es muss wieder Ruhe in dich einkehren. In uns alle.«

»Sie hat kein Recht, mir so etwas ins Gesicht zu schleudern. Alles hat seine Grenzen. Ich finde, ich war lange Zeit nachsichtig genug mit ihr, habe all ihre Gemeinheiten und Sticheleien ertragen. Doch irgendwann ist Schluss. Ich bin nicht gewillt, Nanas respektloses Verhalten mir gegenüber länger hinzunehmen. Und Papa? Bis auf das eine Mal hat er es noch nicht einmal bemerkt.«

»Er war in Sorge, Nicolae. Danach in Trauer.«

»Das weiß ich. Genau deshalb nehme ich die Dinge von nun an selbst in die Hand.«

»Das haben wir gesehen! Weißt du überhaupt, warum Natalia so erbost war?«

»Sie ist grundsätzlich erbost, was mich anbelangt. Und außerdem, was tut das zur Sache? Die Ohrfeige hatte sie sich schon lange verdient. Ich werde mich keinesfalls bei ihr entschuldigen!«

»Habe ich das verlangt?«

Erst als er Elenas sanftem Blick begegnete, verrauchte sein Zorn und er spürte, wie seine Miene sich allmählich entspannte.

»Natalia hatte Marie entdeckt«, begann Elena unaufgefordert zu berichten, »als Florin sie wieder zu ihrem Vater ans Ende des Trosses zurückbrachte. Daraufhin verlangte sie, dass Marie zu uns in die Kutsche steige. Marie hat kein Wort gesagt, nur still vor sich hin geweint, derweil Natalia ihr die Hand streichelte. Für deine Schwester war klar, dass du der Auslöser ihres Kummers gewesen bist, so wie du es schon das ganze Jahr über warst.«

»Ich habe mich bei allen entschuldigt, Elena, bei allen! Was soll ich denn noch tun, damit auch Nana mir endlich verzeiht? Ich kann die Zeit nicht rückgängig machen, und ehrlich gesagt, würde ich es auch gar nicht wollen. Und was Rosemarie angeht ... ach, was soll’s!«

Zu seinem Schrecken spürte er Tränen aufsteigen und wandte schnell sein Gesicht ab.

»Seit neun Wochen bist du zurück«, fuhr seine große Schwester besänftigend fort, »und wolltest in dieser Zeitspanne alles nachholen, was du ein ganzes Jahr lang versäumt hast? Oder gar da weitermachen, wo du zuletzt aufgehört hast? Das geht nicht, Nicolae. Ich spreche aus Erfahrung. Hab doch Geduld mit dir. Auch mit Natalia und Rosemarie. Mit uns allen. Vielleicht solltest du deine Besuche im Dorf vorerst einstellen. Sei stattdessen an unserer Seite und kümmere dich um deine Studien. Damit ist es bei Weitem genug. Jedes bisschen mehr wäre bereits zu viel.«

Nach diesen Worten küsste sie ihn auf die Stirn und erhob sich.

»Ich liebe dich, Elena«, rief er ihr hinterher.

»Ich dich auch, mein großer kleiner Bruder.«

Lächelnd verschwand ihr Gesicht hinter der Tür.

Wieder hatte ihre Vertrautheit und Güte sein Gemüt beruhigt. Sie war Balsam für seine Seele, würde es immer sein.

Zufrieden schlief er ein und griff im Halbschlaf nach Mr. Tom, der noch so gut nach ihr duftete.

 

***

 

Er befolgte Elenas Rat und widmete sich in den darauffolgenden Wochen ausschließlich seinen Studien. Dann nahm er die Finanzgeschäfte seines Vaters, die er bisher unbearbeitet hatte liegen lassen, in Angriff. Er las dessen Kurznotizen, die dieser vor seiner Abreise mit Marcela ans Schwarze Meer für ihn angefertigt gehabt hatte, und fuhr nach Hermannstadt, um die Albina-Bank aufzusuchen. Seine Tante und Natalia hatten sich bereit erklärt, ihn zu begleiten. Er war mit allen Vollmachten ausgestattet, die nötig waren, um in seines Vaters Namen Bankgeschäfte zu tätigen. So nahm er zunächst Einblick in diverse Konten, bevor er die fälligen Transaktionen veranlasste.

Nach erledigten Geschäften statteten sie Rektor Liebermann einen kurzen Besuch ab. Dieser war überaus erfreut, sie wiederzusehen, und ließ von Fräulein Hildebrandt umgehend Tee servieren. Er bedauere zutiefst, Nicolae nicht mehr zu seinen Schülern zählen zu dürfen. Nicolae spürte, dass es ehrlich gemeint war, trotz der Schwierigkeiten, die er seinem Rektor vormals bereitet hatte.

Ein wenig erfasste ihn Wehmut bei dem Gedanken, das Schulgebäude ein letztes Mal betreten zu haben. Doch als Rektor Liebermann ihm anbot, sich von seinen ehemaligen Klassenkameraden zu verabschieden, lehnte er dieses ab.

Elena hatte recht, er konnte nicht dort weitermachen, wo er aufgehört hatte. Für ihn hatte sich in der Zwischenzeit die Erdkugel um ein Vielfaches schneller gedreht als für seine Klassenkameraden. Sie waren noch Schulknaben, junge Burschen, die nichts von der Welt gesehen hatten und ihr Wissen allein aus Büchern und den sorgsam gewählten Worten ihrer sächsischen Elternhäuser bezogen. Hell schien die Sonne auf ihre korrekt gescheitelten Blondschöpfe und auf ihre Kirchburgen, hinter denen bereits ihre Vorväter Schutz vor Fremden gesucht hatten. Für sie gab es kein Chaos, kein Elend, keine Verwirrung. Ihr Dasein war geregelt, ihre Zukunft genau geplant, ihr Ziel auf einer sauber mit Lineal gezogenen Geraden abgesteckt – ohne Umwege oder Stolpersteine, und ohne Morast. Eventuell auftauchendes Unkraut wurde umgehend ausgerissen, etwaiger Dreck fortgekehrt, als fürchteten sie, dass das mit viel Fleiß gezeichnete Schwarz-Weiß-Bild ihrer Selbsttäuschung vollständig in sich zusammenbräche, sobald ein Schatten oder gar Staubkörnchen darauffiele.

Nicolae passte nicht in ihre Welt. Sein Haar war schwarz und unbändig, und er liebte Krümmungen und Schattierungen. Er zog den natürlich verschlungenen Weg dem künstlich begradigten vor, das felsige, unwegsame Gelände der überschaubaren Ebene. Er liebte wuchernde Wildnis, die ihm verdeutlichte, dass nichts Menschengemachtes jemals den Sieg davontrug, sondern die Natur allein die Oberhand behielt. Burgmauern, hinter denen man sich verschanzen konnte, liebte er zwar auch, aber nur, wenn sich dahinter eine bunte Schar Häupter verbarg, die ihre unterschiedlichen Traditionen pflegten und miteinander teilten, statt sich voneinander abzugrenzen und sich über die Kultur der anderen zu erheben.

Darum verließ er die ordentliche Welt der Siebenbürger Sachsen leichten Herzens, um in das Wilde und Ursprüngliche seiner eigenen Welt einzutauchen. Nicolae verabschiedete sich herzlich von Rektor Liebermann, der den deutschen Kehrbesen so manches Mal in der Ecke hatte stehen lassen, um sich zur Teezeit an ein paar bunten Krümeln in seinem ansonsten reinlichen Amtszimmer zu erfreuen. Gelassen warf Nicolae einen Blick zurück auf das Schulgebäude und schloss dieses Kapitel seines Lebens mit einem beruhigten Lächeln auf den Lippen.

 

***

 

Es klopfte zu ungewöhnlicher Stunde. Victor schlief bereits. Sie ließ die Haarbürste sinken und wandte sich um. Ihr Vater stand in der Tür.

Mit klopfendem Herzen gewährte sie ihm Einlass und sah ihn im Spiegel der Frisierkommode nähertreten. Sein Gesicht war bleich und zeigte noch Spuren tiefer Trauer. Doch sein Blick, als seine Augen die ihren im Spiegel trafen, war warm und offen.

»Ihr seid zurück?«, fragte sie überrascht.

»Nur für die letzten Minuten dieses Tages, Elena.« Mit diesen Worten war er an ihre Seite getreten.

Fragend sah sie zu ihm auf.

»Wundert dich das so sehr?«

Sie sah ihn in seine Rocktasche greifen und eine samtbezogene Schatulle hervorziehen. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein schönes Kind.«

Sprachlos nahm sie diese entgegen.

»Ihr habt daran gedacht?«, murmelte sie.

»Wie sollte ich fortan nicht?«

Zögernd hob sie den Deckel der Schatulle an. Auf nachtblauem Satin schimmerte ein filigran gearbeitetes und mit Rubinen bestücktes Goldcollier. Staunend betrachtete sie das wertvolle Schmuckstück, ohne es zu berühren.

»Ich dachte, es würde gut zu deinem neuen Kleid passen, das du in einer Schachtel unter deinem Bett vorfinden wirst.«

Verblüfft legte sie die Schatulle beiseite und erhob sich, um unter dem Bett nachzuschauen. Tatsächlich fand sie dort die angekündigte Schachtel. Sie zog sie hervor und öffnete sie. Ein Traum aus dunkelrotem mit Goldfäden durchsetztem Brokat, schwarzem Samt im Miederteil und seidenen Spitzen an Ärmel und Ausschnitt kam zum Vorschein.

»Ist es nicht ein wenig zu pompös, um damit am Abendtisch zu erscheinen?«, fragte sie ganz benommen.

»Am Abendtisch? Dafür wäre es in der Tat zu aufwendig gearbeitet. Es ist ein Ballkleid, Elena.«

»Ein Ballkleid?«

»Gewiss wirst du damit im Stadtpalast für einiges Aufsehen sorgen. – Es ist an der Zeit«, unterbrach er ihren stummen Einwand, »dass ich dich bei meiner Rückkehr in die Bukarester Gesellschaft einführe.«

Wie betäubt schloss sie die Schachtel und nahm wieder an der Frisierkommode Platz.

»Für diesen besonderen Anlass ist auch das Collier gedacht«, fuhr er fort, ohne ihr unangemessenes Verhalten zu beachten. »Obwohl es mich freuen würde, wenn du es bereits jetzt schon trügest.«

Elena spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. »So etwas ... Wertvolles kann ich unmöglich tragen«, stieß sie stockend hervor.

»Und wie du es kannst. Schau her!«

In aller Gelassenheit hob er das Collier aus seinem Satinbett, legte es ihr um und zwang sie somit, sich das Haar im Nacken zu raffen. Der intime Moment, in dem er an dem Verschluss des Colliers nestelte, war ihr unangenehm. Sämtliche Härchen auf ihrer Haut schienen sich gegen die Berührung zu sträuben.

Endlich war es geschafft. Wie kleine Blutstropfen verteilten sich die Rubine auf ihrem Dekolleté, das der locker übergeworfene Schlafrock freigab. Die kleinen Edelsteine funkelten, als entstiegen sie einer sprudelnden Quelle. Gebannt betrachtete sie sie im Spiegel. Durch das gleichmäßige Heben und Senken ihrer Brust schienen sie sich mit pulsierendem Leben zu füllen.

»Es sind kristallisierte Tränen, Elena. Meine Tränen, die ich um dich ver–«

»Danke«, unterbrach sie ihn und raffte hastig den Schlafrock enger um ihre Schultern. Die somit verdeckten Rubine brannten auf einmal wie Feuerperlen auf ihrer Haut. Sie vermochte dem Drang kaum zu widerstehen, sich das wertvolle Schmuckstück vom Hals zu reißen und es ihm vor die Füße zu schleudern. Bebend hielt sie den Blick gesenkt, in der Hoffnung, dass er endlich wieder ginge. Stattdessen spürte sie seine kühlen Lippen auf ihrer pochenden Schläfe. Unwillkürlich zuckte sie zurück.

Die Wärme in seinen Augen erlosch. Ernüchtert wandte er sich ab.

»Danke ... Vater!«, rief sie ihm hinterher. Aber er hatte den Raum bereits verlassen.

Mit zittrigen Fingern löste sie das Schmuckstück und legte es in sein Satinbett zurück. Lange Zeit starrte sie darauf und schämte sich.

 

Am nächsten Abend beschloss sie, das Collier zu tragen. Die bewundernden Blicke wären ihr gewiss, ebenso die Frage, woher sie dieses bezaubernd schöne Schmuckstück hätte.

»Vater hat es mir geschenkt«, erklärte sie mit einem vagen Lächeln. »Er war gestern noch bei mir, weil ich Geburtstag hatte.«

»Wie bitte? Und das sagst du uns nicht?«, rief Judit entgeistert.

Verlegen schaute Elena in die Runde, woraufhin sie mit nachträglichen Glückwünschen, Umarmungen und Küssen bedacht wurde.

Nachdem sich die Aufregung wieder gelegt hatte, bemerkte sie, dass Judit sehr still geworden war und nachdenklich in ihrer gefüllten Paprika stocherte.

»Worüber denkst du nach, Judit?«

Errötend sah diese zu ihr auf. »Ich hatte nur versucht, mir zu errechnen, wie alt Seine Exzellenz gewesen sein mochte, als er damals deiner Mutter begegnete, wenn du, wie du sagtest, gestern dreißig Jahre alt geworden bist.«

Die Frage fuhr Elena wie eine Faust in die Magengrube.

»Er ist älter, als du glaubst, Tante Judith«, gab statt ihrer Nicolae zur Antwort und widmete sich hernach konzentriert den Speisen auf seinem Teller. Gottlob ließ Judit es auf sich beruhen.

 

***

 

Anfang November kam einer der beiden angekündigten Hauslehrer zu ihnen aufs Schloss. Zu Nicolaes Freude war es kein Geringerer als Maître Jacques, dessen pflegebedürftige Schwester vor einem halben Jahr gestorben war.

»Gibt es irgendein Gebiet, auf dem Ihr nicht bewandert seid, Maître?«, fragte Nicolae ehrfurchtsvoll, nachdem er erfahren hatte, dass dieser ihn außer in Mathematik, Astronomie und Physik, auch in Altgriechisch und Philosophie unterrichten sollte.

»Lasst mich nachdenken, mon petit comte«, antwortete dieser und kratzte sich die krause Wolle hinterm Ohr. »Ich fürchte, es fällt mir hierzu in der Tat nicht viel ein.«

Lediglich in Latein, Geschichte und Literatur würde er sich selbst während der Abwesenheit seines Vaters unterrichten müssen, weil der hierfür vorgesehene Hauslehrer verhindert war und erst in ein paar Monaten seinen Dienst würde antreten können.

Da Maître Jacques zu den Lerchen gehörte, hatte Nicolae seinen Unterricht zur Vesperzeit bereits beendet. Die tägliche Stunde mit Elena beim alten Mihai blieb ihm somit erhalten. Ebenso seine kurzen Ausritte, die er bei Wind und Wetter abhielt, schon um Frate die nötige Bewegung zu verschaffen. In letzter Zeit scharrte dieser oftmals unruhig mit den Hufen, sobald er seiner ansichtig wurde, als ob es ihn nach weiteren Abenteuern gelüstete. Das Dorf allerdings mied Nicolae. Nur selten ließ er sich bei Vasile in der Gaststube blicken. Dann wurde es brechend voll, dass kaum noch Luft zum Atmen darin blieb. Er wusste, dass sein Vater keinerlei Einwände gegen diese gelegentlichen Ausgänge erhoben hätte.

Am frühen Abend erteilte Maître Jacques ihm und Elena Tanzunterricht, denn nun würde es nicht mehr lange dauern, bis sie beide offiziell in die Bukarester Gesellschaft eingeführt würden. Er freute sich auf die kommende Ballsaison, zu der er stolz seine große Schwester würde präsentieren dürfen.

So flog die Zeit für Nicolae dahin, die mit vielerlei Pflichten und wenig Muße angefüllt war.

 

In all den Wochen, in denen der Herbst sich verabschiedet und der Winter die Bergwelt mehr und mehr in Besitz genommen hatte, betrübte es Nicolae zunehmend, dass er das Herz seiner kleinen Schwester nicht wiederzugewinnen vermochte.

Mit Schaudern dachte er an ihren Hass, den sie ihm nach Marcelas Beerdigung ins Gesicht geschleudert hatte. Demonstrativ hatte sie an der Seite ihres Vaters gehangen. Als dieser verkündet hatte, dass er für einige Zeit „verreisen“ müsse, hatte sie ihn angefleht, sie mitzunehmen, sie wolle nicht ohne ihn bei Menschen bleiben, die ihre Trauer nicht verstünden. Nur er, ihr Vater, wisse, wie sehr sie leide, nur er verstehe es, sie zu trösten. Dieser hatte ihr jedoch versichert, dass sie stark genug sei, die paar Monate bis Weihnachten ohne ihn auszukommen. »Du hast jetzt deinen Bruder wieder zurück, Natalia. Geh zu ihm, wenn du traurig bist, er wird dich schon zu trösten wissen. Deine Schwester und Tante tun es ganz gewiss.« Damit hatte sich das Thema für ihn erledigt gehabt.

Nicht so für Natalia. Über diese Worte im höchsten Maße erzürnt, war sie aufgesprungen. »Aber, Papa, wie sollte Nicolae mich trösten können? Er ist doch stets mit seinen Studien beschäftigt oder damit, sich mit seinen Abenteuern zu brüsten. Er hat absolut keine Zeit für mich, außerdem–« – »Das reicht!«, hatte ihr Vater sie streng in ihre Schranken verwiesen, doch Natalia war so in Fahrt gewesen, dass sie sich nicht mehr hatte bremsen können. »Aber er wird mich nur noch mehr zum Weinen bringen, Papa, so wie er alle zum Weinen bringt, denn alles, alles dreht sich immer nur um ihn!«

Nach dieser unerhörten Vorstellung war Natalia umgehend auf ihr Zimmer geschickt worden. Wütend war sie zur Tür gestapft und hatte sich auf der Schwelle noch einmal zu ihm umgewandt. »Nur wegen dir«, hatte sie ihn mit zornig funkelnden Augen angegiftet. »Nur wegen dir kann ich jetzt nicht zusammen mit Papa um meine Mama Marcela trauern. Ich ... ich hasse dich!«

Fassungslos hatten alle auf das Kind gestarrt, welches eine solche Wut in sich angesammelt zu haben schien, dass es nicht mehr wusste, wohin damit, und sie allen um die Ohren schlug, ohne Rücksicht auf Konsequenzen. Doch eine solche war auf dem Fuße gefolgt.

Es hatte sie eine geradezu unmenschliche Überwindung gekostet, ihn vor aller Augen und Ohren auf Knien um Verzeihung zu bitten und ihm demütig die Hände zu küssen. Es hatte ihren Groll gegen ihn geradewegs auf den Gipfel getrieben.

»Ich habe nur die Wahrheit gesagt«, war später Natalias aufgebrachte Stimme bis hinaus in den Flur gedrungen, als er an ihrer Zimmertür vorbeigekommen war, um sich zur Ruhe zu begeben. Elenas besänftigendes Murmeln hatte keinerlei Wirkung gezeigt. »Ich höre doch, wie die anderen reden und ihn ständig hochleben lassen, als käme er geradewegs von einer großen Heldentat zurück. Dabei war er bloß von zu Hause ausgerissen und ist nicht einmal dafür bestraft worden. Stattdessen haben sie ihn gefeiert, obwohl er uns allen so viel Kummer bereitet hat. Aber ich werde bestraft, nur weil ich die Wahrheit gesagt habe. Das ist so ungerecht!«

Ihr wütendes Schluchzen hatte ihm arg zugesetzt. Beherzt war er in ihr Zimmer getreten, aber sie hatte sich brüsk abgewandt. Daraufhin hatte er sich neben sie auf den Boden gehockt und Elena mit Blicken beschworen, zu bleiben.

Behutsam hatte er Natalias erhitzten Kopf zwischen seine kühlen Hände genommen und ihr verweintes Gesicht zu sich herumgedreht. Sie hatte die Augenlider zwar gesenkt gehalten, sich aber nicht gegen seinen Griff gewehrt.

»Nana«, hatte er begonnen und seine Stirn sanft an die ihre gelegt. »Seit sieben Wochen bin ich wieder daheim. Seit sieben Wochen vermisse ich dich!« Eisern hatte sie geschwiegen, während aus ihren Augen Tränen gekullert waren. »Ich möchte meine Nana, mein kleines Schneewittchen, wieder zurück. Verstehst du das?«

»Ich wollte dich auch zurück, aber du bist nicht gekommen«, hatte sie kalt erwidert, ohne aufzublicken.

»Ich weiß, Nana, und es tut mir aufrichtig leid. Bitte glaube mir, es hatte nichts mit meiner Liebe zu dir zu tun.«

»Womit denn dann?« Endlich hatte sie ihre verquollenen Augen auf ihn gerichtet. »Sag es mir, damit ich es verstehe!«

Da hatte er seine Stirn von der ihren gelöst. »Mit Furcht, Nana.«

»Furcht? Wovor denn?«

»Vor dem, was von mir erwartet wird, vor dem, was ich bin und was ich sein soll, verstehst du?«

»Nein.«

»Wie solltest du auch ...«

»Du bist, was du bist. Was gibt es da zu fürchten?«

»Die Vergangenheit ... und die Zukunft.«

»Die sind doch gar nicht da, wie können sie dich ängstigen?«

»In meinen Träumen waren sie es. In vielen Träumen.«

Daraufhin hatte Natalia nachdenklich geschwiegen.

»Ich weiß, wie du deine Furcht loswirst, Nini«, hatte sie plötzlich geflüstert. Sein Herz hatte vor Glück einen Purzelbaum geschlagen, da sie ihn erstmalig mit seinem Kindernamen angesprochen hatte.

»Vielleicht magst du es mir ja gelegentlich verraten«, hatte er ihr hoffnungsfroh vorgeschlagen. »Doch dazu musst du dein Kriegsbeil endlich begraben, Nana. Lass uns wieder Bruder und Schwester sein, so wie früher.«

»Es gibt kein Früher mehr, Nini. Früher ist tot. Es ist mit meiner Mama Marcela gestorben, doch davon weißt du nichts.«

Ihr Ton war wieder anklagend geworden.

»Du hast recht, davon weiß ich nichts. Darum wäre es schön, wenn du mir davon erzähltest. Was meinst du, willst du mir ab morgen ein wenig von deinem Früher erzählen?«

Unsicher hatte sie zu ihm aufgeschaut und dann mit den Achseln gezuckt.

Es war ein Anfang, wie er gehofft hatte.

»Ihr wisst beide nicht, wie doll mir meine Mama Marcela fehlt. Du auch nicht, meine Leni, denn du hast sie kaum gekannt, erst als sie schon so anders geworden war.«

Seufzend war Elena ihr übers Haupt gefahren.

»Nur Papa hat sie so geliebt wie ich.«

Daraufhin hatten Elena und er verlorene Blicke getauscht …

 

Viele Wochen war das jetzt her. Am heutigen Sankt Nikolaustag hatte er Natalia eine Gespielin für ihr vernachlässigtes Fräulein Sisi schenken wollen. Bei ihrem kürzlichen Besuch in Hermannstadt hatte sie lange vor dem Schaufenster eines Puppenmachers gestanden und einen sehnsüchtigen Blick auf die blond gelockte Puppe geworfen gehabt. Doch nun fand er die geöffnete Schachtel samt Inhalt wieder auf seinem Schreibtisch vor. Ratlos betrachtete er sie, bis seine Tante zu ihm ins Zimmer trat.

»Wieso will sie sie nicht, Tante Judith? Sie hatte sich die Puppe doch so sehr gewünscht.«

»Schon. Aber sie weiß, dass du sie für sie gekauft hast.«

»Und von mir will sie kein Geschenk annehmen? Willst du mir das damit sagen?«

Tröstend legte seine Tante ihm die Hand auf die Schulter. »Sie ist hart geworden, Nicolae. Sehr hart. In dem einen Jahr, in dem du fort warst, hat sie zu viel erleiden müssen.«

»Und was soll ich jetzt tun?«

»Warten«

»Worauf? Dass sich ihr Herz noch mehr verhärtet?«

Hilflos zog sie ihre Hand zurück und ließ sie sinken.

»Ich werde mit ihr sprechen.«

»Nein, Tante Judith, das möchte ich nicht! Ich habe auch meinen Stolz. Wenn sie mein Geschenk nicht will, dann eben nicht. Gewiss kann ich mein Patenkind damit glücklich machen.« Daraufhin nahm er die Schachtel vom Schreibtisch und stellte sie auf den Boden.

»Und nun entschuldige mich bitte, Tante Judith, ich habe zu arbeiten.« Demonstrativ wandte er sich seinen Büchern zu.

Kaum war seine Tante aus dem Raum, trat er die Schachtel mit voller Wucht in die hinterste Zimmerecke. Anschließend verzog er sich auf die Fensterbank seines Schlafgemaches und zerrte den Vorhang vor. Bedächtig holte er das Medaillon aus seiner Westentasche. Als er es aufklappte, durchfuhr ihn ein heißer Schmerz. Die Schuld brannte erbarmungslos in seinem Herzen.

Plötzlich bewegte sich der Vorhang und er zuckte zusammen. Doch es war nur Elena. Scham stand ihr im Gesicht.

»Ich hätte fast dasselbe getan«, flüsterte sie mit seltsam belegter Stimme. »Entschuldige, Nicolae, ich wollte dich nicht heimlich beobachten, aber deine Tür zum Flur stand offen.«

Erst da erkannte er, dass sie ihr Rubincollier in Händen hielt. Verständnislos blickte er zu ihr auf.

»Im Gegensatz zu Natalia«, fuhr sie zögernd fort, »habe ich das Geschenk angenommen, widerwillig zwar, aber ich habe es getan. Ich hätte es ihm am liebsten vor die Füße geworfen, es zurückgewiesen, so wie meine kleine Schwester es fertiggebracht hat. Ich habe den Beweis seiner Liebe nicht gewollt, weil er sie mir entzogen hatte. Der Schmerz sitzt tief. Ein Geschenk, und sei es noch so wertvoll, kann ihn nicht wiedergutmachen.«

»Was dann, Elena? Sag es mir! Was dann?«

»Deine Qualen, Nicolae. Nur sie vermögen die Wunde zu heilen, die du in ihr Herz geschlagen hast.«

»Das ist niedrig. Geradezu erbärmlich!«

»Stimmt. Und doch ist es so. Ich habe mich hinterher geschämt für meine Härte unserem Vater gegenüber, trotzdem habe ich nicht anders gekonnt. So leicht sollte er mir nicht davonkommen. Ein Schmuckstück, und alles ist wieder gut?«

Nicolae hörte sie schlucken.

»Die Edelsteine in diesem Collier sind aus seinen Blutstränen gefertigt, die er um mich vergossen hatte. Als Beweis seiner Liebe, die ich am liebsten mit Füßen getreten hätte, obwohl ich mich so sehr nach ihr sehne.«

Bestürzt sah er Tränen an ihren bleichen Wangen herabtropfen.

»Papa hat recht«, erwiderte er tonlos, »Weiberherzen sind kompliziert.«

Mit einem traurigen Lächeln drückte sie ihm ihre Stirn auf die seine. »Eines Tages, Nicolae, werde ich es furchtbar bereuen. Ich tue es jetzt schon. So wie auch Natalia es tun wird. Darum gebe ich dir den Rat, ihrer Liebe nicht hinterherzubetteln. Es würde nur umso länger dauern, bis sie bereit wäre, dich wieder in ihr Herz zu lassen. Aber sei unbesorgt, sie wird es irgendwann tun. Dessen bin ich mir sicher.«

Sie küsste ihn. Dann fuhr sie in einer liebevollen Geste über die Rubine in ihrer Hand, bevor sie sich damit wieder entfernte.

Etwas leichteren Herzens setzte sich Nicolae an seine Arbeit, nachdem er die Puppenschachtel in seiner Kommode verstaut hatte.

 

***

 

Einen Tag nachdem das Hausschwein Elza die Fünfte geschlachtet worden war, saßen Nicolae und Elena wie gewohnt beim alten Mihai, als Gekreische sie aus ihrer friedlichen Dreisamkeit riss. Durch das Fenster des Wachtturmes sahen sie Ioana und Dana in die Küche flüchten und die Tür hinter sich zuwerfen.

Im schneebedeckten Hof stand einsam und verlassen ein Wolf. Eisiger Wind zerrte an seinem Fell. Lauernd spähte er zur Schlossküche hin, an deren Fenster die ängstlichen Gesichter der Mädchen auftauchten. Es dauerte nicht lange, bis die Tür wieder geöffnet wurde und der Küchendrachen, bewaffnet mit einem Reisigbesen, sich daranmachen wollte, das Tier zu verscheuchen. Im Hintergrund hörte man die Mädchen kreischen, sodass der Wolf vor Schreck einen Satz zurück machte. Da näherte sich Florin, mit einer Mistgabel bewehrt, dem Wolf von hinten. Dieser wirbelte herum und schob sich langsam rückwärts Richtung Friedhofsmauer. Mit angehaltenem Atem schauten sie dem Spektakel von oben zu. Immer näher rückte Florin dem Wolf auf den Pelz, der sich schon bald in die Enge getrieben sah. Eingepfercht zwischen Wächterhäuschen und Mauer gab es für ihn kein Entkommen mehr. Drohend hielt Florin dem verängstigten Tier die Zacken entgegen.

»He, Florin, was hast du vor?«, rief Nicolae aus dem aufgerissenen Fenster.

»Ihm einen Denkzettel verpassen, junger Herr, damit er sich hier nie wieder blicken lässt«, antwortete dieser, ohne den Wolf aus den Augen zu lassen. »Man wird sie sonst nie wieder los.«

»Wie hat er überhaupt auf den Hof gelangen können?«

Mit ein paar umständlichen Zickzacksprüngen hielt Florin das Tier in Schach, bevor er stammelnd zu einer Antwort ansetzte.

»Ich wollte später noch mal hinunter ins Dorf reiten, drum habe ich vorhin die Tore offen gelassen.«

»Du weißt, was Heinrich jetzt mit dir täte?«

Der Stallbursche schwieg schuldbewusst.

»Sieh zu, dass du ihn vom Hof verjagst, aber schleunigst! Und dann schließe gefälligst die Tore!«

Ärgerlich zog sich Nicolae vom Fenster zurück.

Mihai schüttelte missbilligend den Kopf. »Auf diesen Burschen müsst Ihr stets ein wachsames Auge haben, junger Herr! Wenn Ihr nicht streng genug mit ihm seid, wird der faule Hund bald die Beine hochlegen und Arbeit Arbeit sein lassen. Fragt Ioana, auch sie kann inzwischen ein Lied davon singen. Legt die Gerte also besser nicht zu weit weg!«

»Du hast recht, Mihai, ich werde ihn wohl künftig besser im Blick behalten müssen.«

Sie nahmen wieder ihre Plätze ein und Mihai wollte in seiner Erzählung fortfahren, als sie abermals unterbrochen wurden. Florins Drohgebrüll hallte über den Hof, gefolgt von dem kläglichen Jaulen des Wolfes. Kurz herrschte Ruhe, bis sich das aufgeregte Geschnatter der Mägde in den Hof ergoss, die allesamt aus dem Haus gestürzt zu sein schienen, um der armen Kreatur hinterherzujohlen.

»Der kommt so schnell nicht wieder«, hörten sie Florin triumphieren.

»Da wäre ich mir nicht so sicher«, widersprach Oleanas durchdringende Stimme.