Nina und Nana - Klaus Steinvorth - E-Book

Nina und Nana E-Book

Klaus Steinvorth

0,0

Beschreibung

Nina, die 12-jährige Tochter sehr reicher Eltern, schließt Freundschaft mit einem gleichaltrigen Mädchen, das ihr Gegenteil ist: Sie ist arm, schwarz, muslimisch, ein Flüchtlingskind, das ihre Mutter verloren hat. Kann so eine Freundschaft bestehen? Die beiden Mädchen verstehen sich gut. Nana begeistert Nina mit ihren akrobatischen Kunststücken, aber die Erwachsenen machen es ihnen schwer. Als ein Baby in Nanas Familie krank wird, erlauben ihnen Ninas Eltern, dass sie bis zur Gesundung des Babys im Gartenhaus ihres Parks übernachten dürfen. Jetzt beginnen die Probleme. Für Ninas Mutter ist der Park ihr großes Hobby und ihr Gärtner sieht durch die Flüchtlinge die Ordnung und Sauberkeit des Parks gestört. Ninas Vater denkt nur an seine Arbeit, aber kaum an die Flüchtlinge. Und Nanas Vater fühlt sich in seiner Religion angegriffen, als er in der Zeitung des Gärtners eine Mohammed-Karikatur entdeckt. Das sorgt für einen Wirbel, der nicht nur die Familien von Nina und Nana erfasst, sondern auch die Schule, wo Ninas Lehrerin nur unter Aufbietung ihrer pädagogischen Fähigkeiten den Streit schlichten kann. Nanas Vater aber will nicht mehr in Gartenhaus bleiben, sondern zieht mit seiner Familie weiter in die nächste Flüchtlingssiedlung vor den Toren der Stadt. Nina verspricht Nana, sie dort zu besuchen, aber es wird nicht einfach sein, weil Nanas Vater, in seinem religiösen Stolz verletzt, ihre Freundschaft nicht will. Für ihre Freundschaft sprechen aber Ninas Neugier und Offenheit und Nanas Wunsch, mit ihrer Hilfe Ärztin zu werden.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 205

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

Klaus Steinvorth

Nina und Nana

Für Rosa

Nina, die 12-jährige Tochter sehr reicher Eltern, schließt Freundschaft mit einem gleichaltrigen Mädchen, das ihr Gegenteil ist: Sie ist arm, schwarz, muslimisch, ein Flüchtlingskind, das ihre Mutter verloren hat. Kann so eine Freundschaft bestehen?

Die beiden Mädchen verstehen sich gut. Nana begeistert Nina mit ihren akrobatischen Kunststücken, aber die Erwachsenen machen es ihnen schwer. Als ein Baby in Nanas Familie krank wird, erlauben ihnen Ninas Eltern, dass sie für eine Zeitlang im Gartenhaus ihres Parks übernachten.

Jetzt beginnen die Probleme. Für Ninas Mutter ist der Park ihr großes Hobby und ihr Gärtner sieht durch die Flüchtlinge die Ordnung und Sauberkeit des Parks gestört. Ninas Vater denkt nur an seine Arbeit, aber kaum an die Flüchtlinge. Und Nanas Vater fühlt sich in seiner Religion angegriffen, als er in der Zeitung des Gärtners eine Mohammed-Karikatur entdeckt.

Das sorgt für einen Wirbel, der nicht nur die Familien von Nina und Nana erfasst, sondern auch die Schule, wo Ninas Lehrerin nur unter Aufbietung ihrer pädagogischen Fähigkeiten den Streit schlichten kann. Nanas Vater aber will nicht mehr in Gartenhaus bleiben, sondern zieht mit seiner Familie weiter in die nächste Flüchtlingssiedlung vor den Toren der Stadt. Nina verspricht Nana, sie dort zu besuchen, aber es wird nicht einfach sein, weil Nanas Vater, in seinem religiösen Stolz verletzt, ihre Freundschaft nicht will.

Für ihre Freundschaft sprechen aber Ninas Neugier und Offenheit und Nanas Wunsch, mit ihrer Hilfe Ärztin zu werden.

Bildnachweis

Cover: dreamstime.com

Rückseite: welt.de

1. Kapitel. Der Unfall

Nina sprang die Treppe hinunter. Endlich war die Schule aus. „Dreimal x ist nix!“, sang sie laut. „Hoppe, mach mal fix!“, sang Lisa weiter, die neben ihr lief. Frau Hoppe war ihre Klassenlehrerin, bei der sie Mathe hatten, und sie sagte bei jedem, der etwas länger brauchte: „Mach mal fix!“ Dabei machte sie selbst nicht fix und wollte zu keinem Ende kommen. Auch die Uhrzeiger machten nicht fix, sondern bewegten sich wie Schnecken. Da guckte man am besten nicht hin und war ganz überrascht, dass es doch klingelte.

Jetzt konnte es nach Hause gehen. Nina wurde mit Papas großem Wagen nach Hause gebracht. Sie hatten einen neuen Fahrer, weil HerrKramer krank geworden war. Der neue hieß Ibrahim, war schwarz, weil er aus Afrika kam, hatte Kräuselhaar und große Augen, die lustig funkelten und manchmal rollten. Er sprach nicht so gut Deutsch, aber besser Englisch, weshalb er mit Nina Englisch sprechen sollte. Sie hatten in der Schule gerade mit Englisch angefangen und dann könnte sie doch mit ihm unterhalten, hatte Papa gesagt.

Ibrahim stand an der Wagentür, die er geöffnet hatte, tippte an seine Mütze und bat sie, einzusteigen. „Please, get in, missus!“, sagte er.

Lisa kicherte. Mit ihr stand die halbe Schule um den großen Wagen und staunte den schwarzen Fahrer an. Denn es war das erste Mal, dass Ibrahim sie von der Schule abholte.

„Willst du mit?“ Nina drehte sich zu Lisa.

Lisa zögerte. Damit hatte sie nicht gerechnet.

„Ibrahim macht einen kleinen Umweg und bringt dich nach Haus. Nicht wahr, Ibrahim?“

Er rollte mit den Augen, was heißen konnte, dass er sie nicht verstand oder nicht verstehen wollte.

„I show you the way!“, sagte Nina und reckte sich. Sie war stolz auf ihren englischen Satz. Papa sprach manchmal mit ihr englisch. Er konnte gut Englisch, er brauchte es für seineArbeit.

Ibrahim wiegte den Kopf. Nina wusste, dass er noch Papa abholen musste und der durfte nicht warten.

„She shows you the way“, sagte Nina und zeigte auf Lisa, die schnell sagte: „Yes, yes!“ und stolz war, dass sie mitreden konnte.

Das entschied. Ibrahim nickte und fuhr mit einer Affengeschwindigkeit rückwärts über den Parkplatz. Er hupte und guckte scharf in den Rückspiegel. Die Schüler sprangen beiseite und Nina dachte schon, der Wagen würde andere schrammen. Aber er flutschte unbeschadet durch. Auf der Straße fuhr er noch schneller. Er überholte mehrere Autos und winkte durch das Fenster, als wollte er sich entschuldigen. Papa durfte eben nicht warten.

Doch bald klebte hinter ihnen ein Auto, das sie immer wieder zu überholen versuchte. Als eine Ampel vor ihnen auf Rot schaltete, fuhr Ibrahim langsamer. Das nutzte der Fahrer hinter ihnen aus, um nach vorn zu schießen und sie abzudrängen. Ibrahim trat auf die Bremse, aber es war zu spät. Der Überholer raste auf sie zu und schrammte sie, Ibrahim hatte Mühe, sein Auto auf der Straße zu halten.

Aus dem schweren Überholwagen stürzte einMann, der finster aussah mit seinem schwarzen Schnurrbart und seinen schwarzen Augenbrauen. Er riss Ibrahim hoch, der gerade die Tür öffnete, und schrie: „Du kannst in Afrika wie ein bekloppter Affe fahren! Aber nicht in Deutschland!“

Ibrahim rief. „No, sir! No, sir!“

Da hatte er schon zugeschlagen und Ibrahim sackte weg. DerGangster sprang in seinen Wagen und raste davon.

Nina ballte die Faust. Sie hatte so eine Wut auf diesen Gangster, dass sie es schade fand, dass sie nur ein kleines Mädchen war und nicht der Sheriff, der aus der Hüfte schoss.

Dann sah sie Ibrahim, der stöhnte.

„Was hast du?“, rief Nina. „Ist es schlimm?“

„It's okay“, sagte er und stand auf. Aus seinem Mund tropfte Blut. Er setzte sich hinter das Steuer und legte den Kopf auf seine Hände. Sein Körper zuckte. Er weinte! Nina hatte noch nie Papas Fahrer weinen sehen. Also war es überhaupt nicht okay!  

„Ruf deinen Vater an!“, flüsterte Lisa.

Das wollte Nina gerade tun. Sie hatte ihr Handy schon in der Hand. Sie brauchte nur einen Knopf zu drücken, weil die Nummer eingespeichert war. Aber es dauerte eine Ewigkeit, bis er sich meldete.

„Papa!“, rief sie aufgeregt. „EinGangster hat uns angefahren. Erhat Ibrahim zusammengeschlagen!“

„Ist dir was passiert?“ Sie hörte, wie er stark atmete.

„Nein, aber...“

„Warte!“, sagte Papa. „Gib mir mal Ibrahim!“

Sie reichte ihm ihr Handy und hörte, wie er „No, sir!“ und „Yes, sir!“ sagte. Mehr verstand sie nicht. Er sprach auch ein anderes Englisch, als sie es in der Schule lernten. Aber Papa verstand ihn gut. Er war im Computer-Business, da sprachen sie nur  Englisch.

Ibrahim gab ihr das Handy zurück. Papa war noch dran. „Ich schicke euch Herrn Müller. Der wird Ibrahim helfen. Ich benachrichtige auch die Polizei. Du verhältst dich ganz ruhig. Okay?“

„Okay“, sagte sie.

„Was hat dein Papa gesagt?“, fragte Lisa.

Richtig, sie war auch noch da! Papa wusste nichts von ihr. Und ihre Mutter auch nicht. „Willst du zu Hause anrufen?“, fragte Nina und reichte ihr das Handy.

Ihre Mutter sprach so laut, dass Nina sie durch das Telefon hören konnte. Sie regte sich auf, dass Lisa mitgefahren war. Sie wollte gleich mit ihrem Auto zu ihnen kommen, sagte Lisa, als sie Nina das Handy zurückgab. Sie seufzte: Ihre Mutter hatte immer Angst, dass was passierte. Und dann passierte auch noch was!

„Meine Mama hat noch mehr Angst!“, sagte Nina. „Deshalb rufe ich sie nicht an.“

Sie hoffte, dass Papa es auch nicht tat.

Lisas Mutter war bald da, weil sie nicht weit weg wohnte. Sie nahm Lisa in den Arm und weinte fast vor Freude oder vor Angst und Lisa hielt ganz still und versuchte sie dann zu beruhigen.

„Hallo, Nina!“, sagte die Mutter und hieltLisa fest im Arm. „Ist dir was passiert?“

„Mirist nichts passiert, nur Ibrahim“, sagte Nina und Lisa entwand sich den Armen ihrer Mutter und wollte zurück zu Nina.

„Nein!“, sagte ihre Mutter streng. „Wir fahren jetzt nach Hause. Das Mittagessen ist mir schon kalt geworden.“

Es half nichts, Lisa musste mit. Sie ging höflich zu Ibrahim und sagte lächelnd „Good bye!“ Ibrahim wollte auch lächeln, aber er konnte nur das Gesicht verzerren, seine Lippen waren blutig geschlagen.  

Lisas Mutter fragte besorgt, ob alles okay war. Ibrahim sagte: „Yes, madam, everything okay!“

Dann kam Herr Müller. Der war noch dicker als Papa. Papa hatte einen kleinen Bauch, Herr Müller einen großen. Den schob er zu Ibrahim, der aus dem Wagen gesprungen war, gerade stand und mit zwei Fingern an der Mütze tippte. Das Blut an seinem Mund lief nicht mehr. Sie unterhielten sich englisch. Nina verstand wieder nur „Yes, sir!“, „No, sir!“

Schließlich kam die Polizei. Sie kamen mit drei Wagen, Blaulicht und heulenden Sirenen. Sie alle zuckten zusammen, Ibrahim zitterte und lehnte sich an die Tür. Mehrere Polizisten umringten sie, schauten durch die Scheiben, liefen hin und her. Herr Müller sagte etwas, da gingen sie zu ihm.

Jetzt stieg Nina aus. Sie wollten hören, was die Polizei sagte.

Sie fragte Ibrahim nach seinen Papieren und er gab ihnen ein Papier, das von Hand zu Hand wanderte. Jeder schüttelte den Kopf. Keiner konnte lesen, was darauf stand. Auch Herr Müller nicht. „Haben Sie keinen internationalen Führerschein?“, fragte der erste Polizist.

Ibrahim sagte: „Yes, sir!“ und zeigte auf sein Papier: „international“. Aber die Polizisten waren nicht zufrieden.

Herr Müller sagte, dass ihr richtiger Fahrer, Herr Kramer, krank geworden war, und Ibrahim ihn für die Zeit ersetzte. Die Firma würde für ihn bürgen und fehlende Papiere nachreichen. Jetzt sollte man sich doch bitte schön um den Unfall kümmern. Hier ging es offensichtlich um Fahrerflucht!

Der erste Polizist machte ein strenges Gesicht. Er wollte von Ibrahim einen Ausweis sehen, einen Personalausweis, wenn möglich.

Ibrahim zeigte ihnen ein zweites Papier, auf das die Polizisten ihre Köpfe fallen ließen. Sie schüttelten sie, als sie aufschauten. „Das ist nur ein Flüchtlingsschein“, sagte der erste Polizist.

Herr Müller seufzte. Seine Firma würde sich darum kümmern.

Der erste Polizist sah immer noch streng aus. „Tun Sie das! Ein Fahrer ohne gültige Papiere kann ein Verkehrsrisiko sein, dem man nicht unbedingt sein eigenes Kind anvertraut.“

Herr Müller bekam einen roten Kopf.

„Das ist nicht mein Papa!“, rief Nina.

Herr Müller beeilte sich zu versichern, dass der Vater des kleinen Mädchens sein Chef war.

Nina wollte wieder rufen, dass sie nicht klein war, unterließ es aber. Das wäre jetzt kindisch. Es gab wichtigere Sachen.

Der Polizist zuckte die Achseln„Wir werden bei Ihrer Firmanachfragen müssen.“

Er schrieb die Adresse von Papas Firma auf und klappte sein Büchlein zu. Dann wandte er sich an Ibrahim. Ob er sich das Kennzeichen des Fluchtautos gemerkt hatte?

Ibrahim sah ihn hilflos an und zeigte auf das verkrustete Blut an seinem Mund.

Herr Müller übersetzte ihm die Frage.

Ibrahim antwortete schnell auf Englisch. Es war klar, dass er nicht viel sehen konnte, weil man ihn zusammengeschlagen hatte.

Nina ärgerte sich, dass sie nicht auf die Autonummer geschaut hatte. Es war alles viel zu schnell gegangen!

Aber die Polizisten fragten sie, ob sie das Fluchtauto beschreiben konnte.

„Es war groß und schwarz“, sagte Nina sofort.

Der Polizist nickte und sah sie an.

„Allradantrieb!“, sagte Nina. „Ranger. Pick-up!“

Papa benutzte so einen Wagen, wenn er zum Angeln fuhr.

Das Gesicht des Polizisten leuchtete auf. „Du hast gut beobachtet!“, lobte er sie.

Nina freute sich.

Die Polizisten gingen noch einmal um den Wagen herum und sahen sich den Schaden an. Über dem linken Vorderrad gab es die Schramme und die Beule. Der Wagen konnte weiterfahren, aber Ibrahim durfte es nicht, Herr Müller musste fahren.

Er schob seinen Bauch unter das Steuer und fuhr los. Ibrahim drückte sich zusammen, als wollte er ganz klein werden. Er tat Nina leid.

„Don't worry! Take it easy!“

Das hatte sie von Papa gehört.

Er machte ein schiefes Gesicht.

Herr Müller sagte, er würde sie jetzt nach Hause bringen und ihr Vater würde anschließend kommen. Das sollte sie bitte ihrer Mutter ausrichten.

Sie versprach es.

2. Kapitel. Blacky jault

Herr Müller setzte sie  vor dem Tor zu ihrer Villa ab, wendete und fuhr zurück zu Papa. Nina drückte auf den Knopf der Sprechanlage, schon öffnete sich das Tor und ihr Pudel Blacky sprang ihr bellend entgegen, gefolgt von Oma und  Konstanze. Oma war immer schon bei ihnen gewesen und kümmerte sich um Nina, weil Mama und Papa wenig Zeit hatten. Papa war bei der Arbeit und Mama im Garten, wo auch ihre Kunstwerke standen.  Konstanze war ihre Köchin, die sich beim Laufen die Hände abwischte, weil sie gerade das Mittagessen fertiggemacht hatte. Sie umarmten beide Nina und freuten sich, dass ihr nichts passiert war. Sie hatten gehört, dass zwei Gangster ihren Wagen gestoppt hatten, und geglaubt, sie wollten sie entführen.

„Nein!“, lachte Nina und schüttelte den Kopf.

„Doch!“, sagte Konstanze. „Denk an Thomas!“

Thomas war der Sohn eines Millionärs, den zwei Gangster entführt hatten, um viel Geld von seinem Vater zu erpressen. Zum Glück wurden die Gangster gefasst und Thomas befreit. Seitdem hieß es immer: „Denk an Thomas!“ Dabei kannte sie Thomas überhaupt nicht und wusste auch nicht, ob Papa Millionär war. Keiner wollte ihr die Frage beantworten.

Als sie die Eingangshalle betraten, stürzte Mama auf sie zu, hielt sie fest und küsste sie und wollte sie nicht lassen. „Kind, welche Angst habe ich um dich gehabt! Ich dachte schon, man wollte dich entführen!“

Ach, immer diese Ansgt, dachte Nina, aber konnte nicht protestieren, weil Mama sie so fest drückte. Dann ging das Drücken in ein Schaukeln über und Nina hörte Papas Wagen auf der Auffahrt. Die Autotür knallte, Schritte knirschten auf dem Kies, stapften auf der Treppe, waren vor der Tür und es klingelte.

Jetzt ging Mama zum Eingang und nahm sie immer noch umschlungen mit und Nina watschelte wie eine Ente, denn es war nicht einfach mit Mama Schritt zu halten. Als Papa die Tür öffnete, war sie schon zur  Hälfte frei, denn Mama brauchte einen Arm, um ihn zu begrüßen, aber jetzt sah er sie und hob sie hoch und sie blickte in sein Gesicht mit den Bartstoppeln und den ernsten Augen.

Er lächelte, was nicht häufig vorkam, und sagte: „Gott sei Dank, dass dir nichts passiert ist!“

Er küsste sie auf die Stirn und stellte sie wieder auf den Boden und wandte sich Mama zu, die mit ihm reden wollte.

Aber Nina war nicht zufrieden. Sie bekam nicht die Gelegenheit, ihnen zu erzählten, wie es passiert war.

„Ibrahim hat geweint!“, rief sie.

Jetzt sah Papa sie an und machte ein betrübtes Gesicht: „Traurige Geschichte! Mal sehen, was wir für ihn machen können.“

Konstanze rief aus der Küche, dass sie sich an den Tisch setzen sollten. Mama hakte sich bei Papa ein und zog ihn in das Esszimmer. Oma folgte ihnen. Aber Nina blieb stehen. Keiner hatte sie gefragt, wie es passiert war. Wollten sie denn das gar nicht wissen?

Sie setzte Blacky auf einen Stuhl und befahl ihm ruhig zu sein. Was er auch tat, als sie ihm einen Hundekeks gab. Dann band sie ihm die Dose, die noch halb mit seinen Keksen gefüllt war, zwischen die Hinterbeine. Als Blacky merkte, was zwischen seinen Hinterbeinen hing, war es zu spät. Er drehte sich jaulend im Kreis, bekam aber nicht die Dose zu fassen.

Nina nahm die Hundeleine, klinkte sie am Halsband fest, zog ihn mit sich. Er sträubte sich, aber es half ihm nicht, er wurde mitgezogen. Dabei lockerte sich die Dose und schepperte auf den Fliesen. Es machte einen Heidenlärm, das durch Blackys Jaulen noch schriller wurde. Die Tür zum Esszimmer war offen, alle am Tisch waren aufgesprungen, rissen ihre Augen auf. Jetzt mussten sie ihr zuhören!

Oma kam angelaufen. „Was machst du?!“

Konstanze war gerade dabei, die Suppe aus der Schüssel auf die Teller zu verteilen. Sie rief „Oh Gott!“ und ließ die Kelle auf den Teller fallen, sodass die Suppe über den Rand schwappte.

Papa rief: „Nina, was soll das?“ Und Mama gleich hinterher: „Bist du verrückt?“

Nina aber schrie Blacky an: „Du kannst in Afrika wie ein bekloppter Affe fahren! Aber nicht in Deutschland!“

Der schwarze Pudel jaulte vor Schreck auf.

Nina stellte sich hinter ihn und jammerte: „No, sir! No, sir!“ Sie tat so, als ob sie Blacky treten wollte. Er sprang erschrocken zurück, wobei sie die Leine fallen ließ, sodass er mit einem Satz durch die Tür verschwand. Man hörte es im Nebenraum scheppern. Oma stand auf. Sie wollte den armen Hund von seiner Dose befreien.

Papa schüttelte den Kopf. Dann aber fragte er. „Hat das derGangster gesagt, als er den Wagen stoppte?“

Nina nickte.

Papa sah sie ernst an. „Musstest du dem armen Blacky eine Dose zwischen die Beine binden?“

Nina sagte, sie wollte Blacky erziehen, stubenrein zu werden. Wenn er die Futterdose zwischen den Beinen hatte, würde er nicht pinkeln, hoffte sie.

Papa blieb ernst, aber es war ein verständnisvoller Ernst. „Ich glaube nicht, dass man durch Krach erziehen sollte, aber ich glaube, dass wir mit einer schwarzen Hautfarbe auch so eine Dose hinter uns her ziehen würden, die furchtbar schepperte.“

Nina nickte, weil Papa sie ansah.

„Ich glaube nicht, dass der Gangster Ibrahim gerammt und zusammengeschlagen hätte, wenn er weiß gewesen wäre.“

„Die Polizisten waren nicht freundlich zu Ibrahim“, sagte Nina. „Bei Herrn Kramer hätten sie nicht so gemeckert!“ 

„Herr Kramer hätte sie zu Schnecke gemacht!“, rief Papa, aber als Mama hüstelte, sagte er leiser, dass sie erst zu Ende essen sollten, dann würden sie weiterreden.

Nina achtete kaum auf das Essen. Sie aß nie viel, aber diesmal hatte sie überhaupt keinen Appetit, was Konstanze zum Seufzen und Kopfschütteln brachte. Nina war froh, dass Papa mochte, was sie mit Blacky gemacht hatte. Es hätte auch schief gehen können und dann wäre er eingeschnappt gewesen. Das war schlimmer als schimpfen.

Nach dem Essen nahm Papa sie in sein Arbeitszimmer mit. Normalerweise fuhr er gleich ins Büro zurück, meist mit seinem Fahrer. Aber diesmal hatte er keinen Fahrer, und wenn er allein fuhr, ließ er sich mehr Zeit. Dann konnte er nicht mit seinem Laptop arbeiten.

„Du hastalso Mitleid mit Ibrahim gehabt“, begann Papa. „Er tat dir leid, nicht wahr?“

„Ja“, sagte Nina.

„Es ist sehr schön von dir, Nina, dass du so viel Anteilnahme für andere Menschen zeigst. Ich glaube, ich hätte das als zwölfjähriges Kind nicht gemacht. Ich war zu sehr mit mir selbst beschäftigt.“

Nina freute sich über sein Lob.

„Ich weiß, dass Ibrahim eine Tochter hat, die so alt ist wie du. Er spricht viel von ihr und ist stolz auf sie. Er hat nur sie, weil ihre Mama umgekommen ist. Eine traurige Geschichte!“

„Oh!“, sagte sie. „Das tut mir leid!“

Papa wurde wieder ernst. „Manchmal denke ich, dass du ein wenig einsam bist.“

„Nein, nein, ist schon okay!“, wehrte sie ab. Sie wollte nicht, dass er deswegen ein schlechtes Gewissen bekam. Er fand es schade, dass sie nicht Geschwister hatte.

„Nun heißt Ibrahims Tochter Nana. Ist das nicht ein witziger Zufall? Nina und Nana, das passt doch zusammen! Ich glaube, sie würde sich freuen, wenn ihr euch seht.“

„Ja!“, rief sie und war schon sehr gespannt. Wie sie wohl aussah? „Wo wohnt sie?“

„Sie wohnt im Flüchtlingsheim in der Innenstadt. Wo früher der alte Parkplatz war“, sagte Papa und schüttelte den Kopf. „Jetzt regen sich die Leute auf, weil sie ihre Autos nicht parken können!“

„Ja“, rief Nina. „Das hat Lisas Papa auch gesagt. Und jetzt gibt es eine Fußgängerzone. Das ist doch viel schöner!“

Lisas Vater war bei der Zeitung. Der wusste Bescheid.

„Kann ich Nana jetzt nicht besuchen? Bitte, Papa!“

Er sagte ein bisschen streng: „So schnell geht das nicht. Wir werden Ibrahim einladen und er bringt Nina mit.“

Wenn Papa es in dem Ton sagte, hatte es keinen Zweck, länger zu betteln. Deshalb würde sie aber ihren Plan nicht aufgeben, Nana sofort zu sehen. Er durfte es nur nicht wissen.

Papa sah jetzt unruhig aus. Er warf einen Blick auf seine Uhr. Er musste ins Büro.

„Bitte, Papa! Kannst du mich nicht mitnehmen und bei Lisa absetzen?“

Er sah sie genauer an. „Warum?“

„Du weißt doch, dass wir mit Blacky und Bianca immer rausgehen. Und ich will wissen, was sie zum Unfall sagt. Sie wardoch dabei gewesen!“

Papa war einverstanden. Sie sollte sich aber sofort fertigmachen.

Das machte sie sich in Windeseile, denn sie hoffte, Lisa zu überreden, mit ihr ins Flüchtlingslager zu gehen, um Nana zu sehen. Dann holte sie Blacky und setzte ihn auf ihren Schoß, nachdem sie in das Auto eingestiegen war. Wenn sie ihn kraulte, blieb er still. Aber sie brauchte keine Angst zu haben, dass er das Auto nass machte. Tatsächlich war Blacky stubenrein. Ihr war bloß keine andere Erklärung eingefallen. Zum Glück wusste Papa wenig über Blacky. Und Mama auch nicht viel mehr.

3. Kapitel. Die Artisten   

Wenn Papa allein fuhr, durfte Nina neben ihm sitzen, und das war ein ganz anderes Fahrgefühl, weil die Straße auf sie zurollte und Papa neben ihr saß, den sie nicht wie sonst von hinten angucken musste. Aber das Schönste war, dass er dann nicht in sein Laptop guckte, was er immer tat, wenn er seinen Fahrer hatte. Deshalb fragte sie ihn, warum er nicht öfter allein fuhr. Brauchte er überhaupt einen Fahrer? Alle Väter, die sie kannte, brauchten keinen Fahrer, und in der Schule machten sie oft blöde Bemerkungen, weil sie von einem Fahrer abgeholt wurde.

„Hm“, machte Papa und strich sich mit der freien Hand über das Kinn. „Mit einem Fahrer kann ich schon im Auto arbeiten und mittags nach Hause kommen. Das ist doch gut, oder?“

Doch, das war gut, aber musste sie unbedingt im Auto mitkommen? Konnte sie nicht wie alle anderen Schüler allein in die Schule fahren?

„Dazu müssen wir Mama überreden. Du weißt, wie ängstlich sie ist!“

Das wusste sie. „Aber wie können wir sie überreden?“

Papa setzte sein seltenes Lächeln auf. „Eine Frage der Zeit, mein Liebes! Jetzt, wo du willst, wird sie bald nachgeben.“

Seine Hand fuhr über ihren Arm und dann über Blacky, der ganz still hielt. Jetzt hätte sie am liebsten Papa umarmt, aber er fuhr ja und sie war angeschnallt.

Dann waren sie bei Lisa angekommen. Papa strich ihr über das Haar und sagte, dass sie Lisas Mutter von ihm grüßen sollte. Dann gab er Gas und düste davon. Sie sah dem Wagen nach. Eigentlich schade, dass er so viel arbeiten musste. Weiter dachte sie nicht, denn sie hörte Lisa von ihrem Fenster rufen.

Lisa winkte und war im nächsten Moment unten und ließ Bianca frei, die auf Blacky zuraste. Sie war ein weißer Pudel, die mit dem schwarzen Pudel von Nina ein schönes Paar abgab. Das fanden die beiden wohl auch, denn sie tanzten wie verrückt herum und waren nicht zu trennen.

Lisa musste aber erst von ihrer Mutterloskommen, die fragte, ob sie die Hausaufgaben gemacht hatte, während sie Nina zuwinkte.

„Haben wir schon in der Freistunde gemacht!“

„Hundertprozentig!“, bestätigte Nina. „Alles fix und fertig! Und ich soll Sie von meinem Papa grüßen!“

„Oh danke! Sag ihm, er soll nicht so viel arbeiten!“

„Papa arbeitet genau so viel!“, sagte Lisa.

„Die armen Papas!“, meinte ihre Mama und schloss die Tür hinter sich.

Nina erzählte, dass Ibrahim eine Tochter hatte, die sie unbedingt sehen musste. Schon der Name! „Nina und Nana, das gehört zusammen. Findest du nicht auch?

Lisa fand, dass Nana kein schöner Name war. „Na! Na! Das klingt doch albern!“

So durfte sie es nicht aussprechen! „Naanaa!“ Für Nina klang es geheimnisvoll.

Lisa lachte. „Naanaa!“ So konnte ein Gespenst rufen!

„Also willst du nicht mitkommen?“

„Das habe ich nicht gesagt.“

„Bitte, Lisa, lass mich nicht allein! Mir ist lieber, wenn wir zusammen gehen. Und mit unseren Hunden!“

Lisa zögerte.

„Du bist doch meine Freundin. Oder?“

Das entschied. Sie kam mit. Sie machte zwar noch ein langes Gesicht, als sie hörte, dass Nana im Flüchtlingsheim wohnte, aber weil es nicht so weit weg war, wollte sie es auf einen Versuch ankommen lassen. Wenn es ihr nicht passte, würde sie wieder gehen.

„Okay“, sagte Nina.

Das Flüchtlingsheim bestand aus vielen Hauskisten, in denen die Familien mit ihren Kindern lebten. „Das sind Container“, sagte Lisa. Sie wusste das richtige Wort, weil ihr Vater darüber gesprochen hatte. Zwischen den Containern sah man eine grüne Fläche mit Rasen, Büschen und Wäschestangen. An der einen Ecke gab es ein kleines Feld, auf dem einige Kinder Fußball spielten.

Vielleicht war Nana dabei. Denn mit den Jungen spielten auch Mädchen Fußball. Ein Mädchen fiel auf. Sie hatte um ihren Kopf ein rotes Tuch geschlungen und sprang hin und her. Jetzt wurde sie unter lautem Gelächter umarmt. Gleich darauf holte sie sich den Ball, ließ ihre Gegner stehen und schoss ein Tor.

Wenn sie doch Nana wäre! Sie hatte etwas, was Nina sofort gefiel. So eine Freundin wünschte sie sich!

Blacky und Bianca freuten sich, weil sie von der Leine genommen waren und ein freies Feld vorfanden, auf dem sie hin und her rasen konnten. Sie machten auch vor dem Fußballplatz nicht Halt und liefen an den Beinen der Kinder vorbei. Die schauten hoch und blieben stehen, als sie die beiden Mädchen sahen.