Tot am Klavier - Klaus Steinvorth - E-Book

Tot am Klavier E-Book

Klaus Steinvorth

0,0

Beschreibung

Mia, 15 Jahre alt, steht unter Schock, weil sie im Musiksaal ihrer Schule einen Drogentoten findet. An der Tafel steht die Warnung: "Denk an mich und mach es nie wieder!" Aber sie kennt den Drogentoten nicht. Sie weiß nur, dass ihre Mutter, die Musiklehrerin in iher Schule ist, ihr den Besuch des Techno-Clubs verboten hat, weil sie dort Drogenhandel vermutet. Mia, die Techno-Fan ist, hat die Abwesenheit ihrer Eltern, die zu einer Hochzeit eingeladen sind, ausgenutzt, um den Club zu besuchen. Soll sie dafür bestraft werden? Mia ist fasziniert von Kevin, dem gut aussehenden Besitzer des Techno-Clubs, der ihr eine Freikarte geschenkt hat, die sie gern annimmt. Ihre Mutter will nicht, dass sie sich mit einem erwachsenen Mann abgibt. Steht deshalb die Warnung an der Tafel? Aber es gibt keine Verbindung zwischen dem Drogentoten und ihren Eltern. Allerdings hat Mia eine ältere Mitschülerin, die den Club regelmäßig besucht und den Ruf hat, Drogen zu nehmen. Kann sie erklären, warum der Drogentote am Klavier sitzt? Einige Tage später findet Mia diese Schülerin leblos am Klavier. Wer will die Schule vor den Gefahren der Drogen warnen? Eine spannende Geschichte über das gerade jetzt wieder aktuelle Drogenproblem nimmt ihren Lauf.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 226

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Klaus Steinvorth

Tot am Klavier

Für meine Enkelinnen Cassia, Charlotte und Rosa

Mia, 15 Jahre alt, ist fasziniert von Kevin, dem gut aussehenden Besitzer eines Techno-Clubs, der ihr eine Freikarte geschenkt hat. Sie will die Abwesenheit ihrer Eltern, die zu einer Hochzeit eingeladen sind, nutzen, um den Club am Sonntag Abend zu besuchen. Allerdings will ihr drei Jahre älterer Bruder Paul sie nicht aus ihrer Wohnung lassen, weil sie am Montag Morgen eine Musikprobe haben, für die Mia ausgeschlafen sein muss. Ihre Mutter ist Musiklehrerin an ihrer Schule und es ist die letzte Probe für das Konzert am Ende des Schuljahres. Mia überlistet Paul, indem sie vorgibt, mit ihrem Schulfreund Nico für das Konzert zu üben und nimmt deshalb ihr Cello mit. Sie überlistet aber auch Nico, um mit Kevin, der sie in seinem Sportwagen abholt, in den Club zu fahren. Dort gibt sie sich ihrer Techno-Begeisterung hin, vergisst die Zeit, sie hätte, weil minderjährig, den Club um 22 Uhr verlassen müssen, und wird um Mitternacht durch eine Polizeirazzia aus dem Club getrieben, weil Paul, der sie vermisst, die Polizei eingeschaltet hat.

Mia findet Zuflucht in der Wohnung ihrer Mitschülerin Leni, die sie früh am Morgen verlässt, denn sie muss für ihre Mutter den Musiksaal aufschließen. Wie groß ist ihr Schock, als sie einen toten Junkie am Klavier findet! An der Tafel steht die Warnung, dass auch sie so endet, wenn sie mit Drogen weitermacht. Mia hat nämlich im Club zum ersten Mal Ecstasy und Hasch ausprobiert.

Aber ihr Albtraum geht weiter. Denn sie findet wieder einen Junkie, der vor ihren Augen tot vom Klavierhocker rutscht. Diesmal ist es Leni, die ihr Zuflucht nach der Razzia gewährte.

Wer will Mia so erschrecken und warnen? Wer ist für das Ende der beiden Junkies am Klavier verantwortlich? Hat das etwas damit zu tun, dass Mias Mutter Musiklehrerin ist?

Diese Fragen versucht Leni zusammen mit ihrer Freundin Anna zu beantworten und stößt dabei auf verwirrende Zusammenhänge.

Eine spannende Geschichte über das gerade jetzt wieder aktuelle Drogenproblem nimmt ihren Lauf.

Klaus Steinvorth hat Jugendbücher geschrieben, die bei Ensslin, Fischer und epubli veröffentlicht wurden.

Bildnachweis. Cover: apost.com Rückseite healthline.com

1. Der Club lockt

Mia sah auf die Uhr. Es war höchste Zeit, sich fertig zu machen. Sie eilte ins Badezimmer, warf einen Blick auf ihr Spiegelbild. Bleich das Gesicht, blassblau die Augen, dagegen die sehr gerade Nase und das energisches Kinn, das sie von Papa hatte. Dazu Mamas großer Mund, der niemals ruhig war, auch jetzt musste er spöttisch zucken. Insgesamt nichts, was für eine Castingshow geeignet wäre. Schon gar nicht ihre Überlänge. Ja, sie war in der letzten Zeit gewachsen und gewachsen, überragte Mama, hatte Papa erreicht und würde, sollte sie weiter hochschießen, auch Paul schaffen, der zwei Zentimeter größer, aber auch drei Jahre älter war. Was ihn glauben ließ, er wäre Big Brother!

Wenn sie ihn schaffte, könnte er nicht mehr auf sie herabgucken und wie ein kleines, dummes Mädchen behandeln, das zu Hause bleiben musste, weil es nachts zu gefährlich war. An diesem Wochenende waren ihre Eltern weg, zu einer Hochzeit in Kopenhagen eingeladen, da glaubte Big Brother sicherlich, den großen Hammer schwingen zu müssen.

Immerhin hatte ihre Größe den Vorteil, dass jeder sie für 16+ hielt, das magische Alter für den Clubeintritt. Leider war sie erst 15 1/2, in dem Punkt konnte sie ihren Eltern nichts vormachen, weshalb sie zu tausend Tricks griff, um ihnen den Club zu verheimlichen. Fast immer mussten Verabredungen mit Freundinnen dafür herhalten und dann konnte sie sich auch für 16+ aufhübschen, ohne Verdacht zu erregen, sie brauchte nur mit Kleidung und Schminke etwas nachhelfen. Wenn man geschickt war, konnte man eine Menge vortäuschen.

So wirkte vor dem Spiegel ihr Stift Wunder. Hier die Augenbrauen, da die Wimpern, dort der Mund, jetzt ein bisschen Rouge und schließlich die großen Ohrringe. Sie ließ die rote Haarflut auf die Schultern fallen und war selbst erstaunt, dass eine junge Frau mit Schick und Charme sie anlächelte.

Schade, dass die Jungs aus ihrer Klasse sie jetzt nicht sahen. Sie schienen sich von ihr abzuwenden, nachdem sie auf sie herabgucken konnte. Sie schwärmten eher von den Superfrauen, die sie auf ihre Handys herunterluden und sich gegenseitig zeigten und dabei lachten oder vielmehr meckerten wie Ziegenböcke! Andererseits wurde sie auch von ihnen zur Klassensprecherin gewählt. Obwohl sie sich da nicht viel vormachen durfte. Ihre Mutter war Lehrerin in ihrer Schule, da hofften wohl viele auf den direkten Draht. Trotzdem! Es hätte auch andersrum sein können: Man strafte sie ab, weil sie Tochter einer Lehrerin war.

Auf jeden Fall war es nicht leicht, die Jungs zu verstehen. Sie verhielten sich oft so anders, dass sie aus ihnen nicht klug wurde. Sie konnten stundenlang über ein Tor reden, Tricks und Tipps zum Reichwerden austauschen, stolz ihre Muskelmasse vergleichen: Fußball, Zocken und Fitness, die waren wie drei Zimmer, die sie nicht betreten durfte.

Es gab auch Jungs, mit denen sie reden konnte. Nico zum Beispiel. Er war nett und freundlich und half ihr in Mathe, wo er Spitze war. Nur musste er immer Recht haben, auch so eine Eigenschaft, die Jungs hatten! Egal, worüber man redete, er wusste alles besser!

Da war Kevin anders. Er war groß und stark und cool. Er war so cool, wie er aussah. Er trug die teuersten Klamotten, wo alles aufeinander abgestimmt war, farb- wie formmäßig. Er konnte es sich leisten, denn seine Mutter besaß mehrere Boutiquen und sein Vater leitete eins der großen Hotels in der Nähe des Hauptbahnhofs.

Der Hammer war aber, dass er den Club besaß, von dem sie immer schon geträumt hatte. Techno, Pop, Rap, Rave, Rock, alles war da, was sie bis zur Besinnungslosigkeit tanzen ließ, wo sie durch die Decke abging und endlich mal weg vom Alltag war, wo alles so normal ablief. Seitdem musste sie jeden Samstag in den Club, aber auch in die Trickkiste greifen, um ihren Eltern etwas vorzumachen. Das konnte ganz schön nervig sein, und doch nahm sie es auf sich, die Anziehungskraft des Club war einfach zu groß.

Es hatte vor einigen Wochen angefangen, als Kevin ihr über den Weg gelaufen war. Er hatte sie gefragt, ob sie seinen Club besuchen wollte. Er hätte noch eine Karte übrig, die könne sie haben, umsonst. Er wedelte mit der Karte vor ihrem Gesicht.

Sie konnte es nicht glauben. Der Club war sowieso der Hammer, aber er war auch exklusiv. Man kam da nur hinein mit Begleitung oder auf Empfehlung. Und jetzt seine Einladung? Sie hatte ihn misstrauisch angesehen. War das sein Ernst?

Kevin hatte gelächelt. Es war dieses Wahnsinnslächeln, halb spöttisch, halb betrübt, das ihr Herz klopfen ließ. Er sagte nur: „Ich dachte, du bist ein Techno-Fan!“

Natürlich war sie ein Techno-Fan! Deshalb musste sie unentwegt auf seine Karte starren, die er noch in der Hand hielt. Sie nickte schnell. Techno war ihr Ding.

„Ich stehe an der Tür. Damit du reinkommst.“

„Wirklich? Wann?“, stammelte sie. Sie konnte es nicht glauben.

„Ruf mich an! Warte, gib mir dein Handy!“

Sie reichte es ihm, er speicherte seine Nummer ein und als sie ihr Handy zurückbekam, hatte sie die Karte in der Hand.

„Sag, wann du kommen willst!“

Es ging ihr zu schnell. Musste sie ihm nicht sagen, dass sie noch nicht 16 war?

Wieder dieses megacoole Lächeln. „Komm Samstag um 20 Uhr. Dann kannst du zwei Stunden bleiben und entscheiden, ob es dir gefällt und du wiederkommst.“

Sie starrte ihn an. Sie konnte es nicht fassen.

„Okay?“, fragte er.

„Warum ich, gerade ich?“, stotterte sie. „Ich bin eine Bohnenstange! Siehst du das nicht?“

Er lachte. „Ich mag deinen Humor. Nimm es einfach an!“

Sie hatte es angenommen, sie konnte gar nicht anders. Sein Lächeln hatte sie wehrlos gemacht.

Am Samstag war sie zu Anna gegangen, mit Mamas Erlaubnis, aber im Club gewesen, ohne ihre Erlaubnis! Das hatte sie umgeworfen, ein Event, so high und geil und so  viel besser als in ihren kühnsten Träumen! Kevin stand am Eingang und winkte sie durch, ein Lächeln genügte. Ein paar Türen taten sich auf, sie hörte die wummernden Bässe und den harten metallischen Klang der elektronischen Musik und sie war in ihrem Element. Und sie wurde süchtig nach dem schnellen Takt, der in ihren Körper fuhr und sie tanzen ließ. Sie musste das am Ende jeder Woche haben, sonst wurde sie grantig und griesgrämig. 

Am Freitag Abend waren ihre Eltern zur Hochzeit von Mamas Cousine nach Kopenhagen geflogen, am Samstag war sie auf Annas Geburtstagsparty gewesen, jetzt am Sonntag musste sie in den Club, es war die letzte Gelegenheit, bevor die neue Woche begann. Nur musste sie mit der Sturheit ihres Bruders rechnen, der nicht so leicht auszutricksen war.

Sie verließ das Badezimmer und stieß prompt auf ihn. Er runzelte die Stirn und verschränkte die Arme. „Du willst doch nicht weg?“

Sie war sich zu schade für eine Antwort. Sie ging an ihm vorbei in das Bad ihrer Eltern, nahm reichlich aus Mamas Parfümflasche. Es war tagsüber heiß gewesen, es würde in der Techno-Nacht noch heißer hergehen. Deshalb trug sie über ihrer Jeans nur ein knappes weißes Oberteil, das Bauch, Schultern und Arme frei ließ.

Paul hatte immer noch nicht seinen Platz verlassen. „Wohin gehst du?“

Sie hob die Schultern. „Was geht es dich an?“

„Es geht mich sehr viel an! Mama und Papa sind weg. Sie machen mir Vorwürfe, wenn dir was passiert.“

„Ich kann auf mich allein aufpassen!“

„Kannst du nicht!“, sagte ihr Bruder eine Spur schärfer. „Weißt du nicht, was über dich gesagt wird?“

„Man sagt viel!“ Sie zuckte die Achseln. „Das weißt du auch!“

Ihre Mutter war Musiklehrerin in ihrer Schule. Viele mochten sie nicht, da lästerten viele über sie und ihren Bruder.

„Man hat dich im Club gesehen und ich wette, es zieht dich dorthin, weil Mama und Papa nicht hier sind!“

„Red nicht so einen Schwachsinn! Ich geh zu Anna!“

„Vergiss nicht, dass wir morgen die Generalprobe haben! Wie kannst du fit sein, wenn du die Nacht durchmachst?!“

„Ich hab noch nie die Nacht durchgemacht!“, schrie sie. Sie war so wütend, dass ihr die Tränen kamen. Paul ertrug Tränen nicht. Deshalb heulte sie wie ein Schlosshund.

„Okay, reg dich ab!“, sagte er beschwichtigend. „Du spielst mir deinen Part vor, damit ich sehe, dass du's kannst. Dann kannst du zu Anna. Aber du musst um 10 Uhr zurück sein. Du weißt, dass es jeden Sonntag so ist. Wenn du später kommst, macht mich Mama fertig.“

Sie hatte keine Lust, sich länger seine Mahnungen und Warnungen anzuhören und drängte an ihm vorbei zu ihrem Haustürschlüssel, der am Haken im Flur hing, aber er ließ es nicht zu. Sie ärgerte sich, dass sie ihn dorthin gehängt hatte. Alle in der Familie taten es. Es wäre das beste Mittel, um ihn nicht zu verlieren, sagte Mama. Jetzt musste sie um ihren eigenen Schlüssel kämpfen! Leider war Paul stärker als sie, ein kräftiger Stoß und sie fiel zu Boden.

Jetzt schrie sie los und bedachte ihn mit allen Schimpfwörtern, die sie kannte. Sie kannte nicht nur viele, sondern auch solche, die schockieren mussten, weil man es von ihr nicht erwartete. Aber wenn sie wütend war, schrie sie die schlimmsten heraus, die sie sonst nicht auszusprechen wagte. Paul konnte sie damit nicht schocken. Er wartete, bis sie fertig war, und sagte: „Dein Verhalten zeigt mir, dass du in den Club willst. Weil du süchtig nach ihm bist!“

Sie war noch außer Atem, konnte nicht antworten.

„Du bist süchtig, weil du im Club deine kleinen Tabletten kriegst und nicht siehst, wie du deine Gesundheit ruinierst, und nicht siehst, wie Kevin an deiner Sucht verdient!“

Es klingelte. Durch die Sprechanlage hörten sie, dass es Nele war, Pauls Freundin.

„Hör zu“, sagte Paul. „Sie soll dir sagen, was gut für dich ist!“

Als ob sie je was anderes sagen würde als er! Mia wurde so wütend, dass ihr die Worte fehlten. Sie rannte in ihr Zimmer, weil sie beide zusammen nicht aushalten konnte. Einen älteren Bruder zu haben war schlimmer als die Pest! Immer wusste er alles besser, immer musste er sich in alles einmischen. Und das Schlimmste war, dass ihm Mama und Papa auch noch Recht gaben. Besonders wenn sie weg waren. Dann bekam er den Auftrag auf die Kleine aufzupassen. Auf die Kleine! Selbst wenn sie 80 wäre und zwei Meter groß, wäre sie immer noch die Kleine für sie!

Sie öffnete das Fenster um ihr Gesicht abzukühlen. Um den Blick hätte jeder sie beneidet. Sie wohnten im obersten Stock eines Hochhauses mit freier Sicht auf den Stadtsee. Links der Kleine See mit der berühmten Silhouette der vier Kirchtürme, davor die Doppelbrücke, über die ein nie endender Fluss von Autos und Eisenbahnen zog, direkt unter ihr der Große See, gefüllt mit Segelbooten und Verkehrsdampfern. Und darüber pfiff der Wind, der sich aus den Straßenzügen auf die freie Wasserfläche stürzte und sie in ständiger Bewegung hielt, sodass die Segler ihre Not mit den plötzlichen Böen hatten.

Aber sie achtete nicht auf das Panorama, das sie sonst nie langweilte. Ihre Gedanken kreisten um die Musikaufführung in zwei Tagen. Mama leitete sie und war von gnadenloser Genauigkeit, wenn es um die Qualität ihrer Musik ging. Dieser Drill, auf sie zu hören, wenn sie dirigierte! Mia wurde Teil einer großen Maschine, ein kleines Rädchen, und wehe, wenn sie sich nicht rechtzeitig drehte! Schrecklich, wenn sie ihren Einsatz um Sekundenbruchteile verpasste oder aus dem Takt kam. Dann konnte Mama ausrasten!

Paul liebte den Drill, er spielte die erste Geige, er konnte den Ton vorgeben, aber ihr war das Cello aufgedrängt worden, weil ein Cellospieler fehlte. Keiner fragte, ob sie wollte oder nicht, Mama auch nicht, sie ging davon aus, dass sie genau so verrückt nach klassischer Musik war wie Paul. Nicht dass sie musikalisch unbegabt war. Mama hatte ihr genug Musikgene vermacht. Sie konnte also mit dem Cello umgehen. Aber sie spielten Klassik und sie wollte etwas Neues.

Oder würde es ihr gefallen, wenn Mama nicht das Orchester dirigierte? Es war eben auch schnell peinlich, wenn die eigene Mutter in der Schule das Kommando hatte. Sie konnte ja nie gegen sie aufmucken oder gar öffentlich kritisieren. Paul war da nicht zimperlich, ihm rutschte schon mal ein freches Wort gegen Mama heraus. Aber wenn Mia den vorwurfsvollen Blick Mamas auf sich gerichtet sah, stieg ihr das Blut hoch: Sie blamierte die eigene Mutter vor ihrem Orchester!

In zwei Tagen sollte die Musikaufführung stattfinden, morgen früh die letzte Probe sein und kurz davor Mama mit Papa aus Kopenhagen zurückkommen. Weil es zeitlich so knapp wurde, es gab nur den Frühflug, war Mama nervös geworden. Eigentlich passte ihr die Hochzeit gar nicht, aber ihrer Lieblingscousine konnte sie nicht absagen. Jetzt fürchtete sie, nicht rechtzeitig zurückzukommen und die Probe zu  verpassen. Es half nicht, dass Papa ihr gut zuredete, Mama hatte eine böse Ahnung, die sie nicht losließ. Sie beruhigte sich schließlich damit, dass Paul (der gute Paul!) für die Frühstunde die Schule aufschloss, damit alles bereit wäre, falls sie wider Erwarten doch später kam. Die Frühstunde war die einzige Zeit, die man noch für die Probe hatte.

Wahrscheinlich hatte der Auftrag Paul so aufgeblasen, dass er sich noch wichtiger nahm als zuvor. Deshalb glaubte er wohl, den großen Macker zu spielen. Aber nicht mit ihr! Sie marschierte entschlossen in sein Zimmer, wo sie schon vor der Tür die Liebesgeräusche eines frisch verliebten Paars hörte. Dieser Macker! Und Nele machte mit! Sie stieß die Tür auf und erblickte die beiden knutschend auf dem Sofa.

„Mir Vorschriften machen, Paul Berger! Und sich selbst einen Scheiß darum kümmern!“, rief sie.

Eigentlich waren ihr seine Liebesaktivitäten egal. Aber es sah anders aus, wenn nur er machen konnte, was er wollte!

Paul drehte sich nicht einmal nach ihr um! „Ich kann meinen Geigenpart“, ertönte es aus der Tiefe des Sofas. „Und Nele weiß ihre Lieder in und auswendig.“

Sie sang ein paar Lieder und Mama begleitete sie am Klavier.

„Herzlichen Glückwunsch!“, sagte Mia. „Aber auf die Cellistin müsst ihr diesmal verzichten. Na ja, du wirst etwas stärker geigen, Paul, dann fällt es nicht auf.“

Er richtete sich auf. „Das ist nicht dein Ernst!“

„Und ob! Nur wenn du mir meinen Schlüssel gibst, überleg ich's mir!“

Paul sprang aus dem Sofa. „Das klingt nach Erpressung, dem man nie nachgeben muss, sonst wiederholt sie sich!“

„Wie du meinst!“ Mia wandte sich zum Gehen.

„Halt!“ Seine Hand berührte ihre Schulter, die sie wegschlug. „Darüber musst du mit Mama sprechen. Ich wünsche dir schon jetzt viel Glück.“

„Ich werde ihr sagen, dass ich nicht üben konnte, weil du mir meinen Schlüssel nicht gegeben hast!“

„Was sagst du?“ Paul sperrte Mund und Nase auf.

„Ich wollte mit Nico üben. Aber ich konnte nicht.“

„Ich dachte, du wolltest zu Anna!“, rief Paul.

Das wollte sie auch, aber ihr fiel ein, dass Anna an diesem Abend ihren tatsächlichen Geburtstag mit ihren Eltern und Verwandten feierte. Gestern hatte sie mit ihren Freundinnen in den Tag gefeiert.

„Nico versteht mehr. Er spielt ja bei uns mit.“

Er schlug die Pauke und die Trommeln im Orchester.  

Paul grinste. „Nico? Der macht doch alles, was du willst. Dann können wir dich gleich in den Club bringen!“

Statt einer Antwort holte Mia ihr Handy heraus und rief Nico an. Er war zum Glück gleich dran. Er schien immer auf ihren Anruf zu warten. „Hör mal, Nico!“, sagte sie und stellte auf laut. „Ich muss noch meinen Cellopart vorspielen, mein Bruder will das so. Ich möchte aber lieber dir vorspielen als meinem Bruder, der keine Ahnung hat. Hast du was dagegen, wenn ich gleich mit dem Cello zu dir komme?“

„Was dagegen? Du kannst immer zu mir kommen!“ Seine Stimme überschlug sich vor Freude.

„Gut! Sag das bitte meinem Bruder!“

Sie reichte ihm ihr Handy und er brummte: „Kannst du garantieren, dass meine Schwester bei dir Cello spielt?“

„Klar! Du kannst dein Handy anmachen und sie live hören.“

„Mir genügt, dass sie nach einer halben Stunde anruft und ein paar Takte vorspielt.“

„Mach ich!“, rief Mia dazwischen.

„Sie soll aber nicht die ganze Nacht bei dir bleiben, sondern spätestens um zehn Uhr zurückkommen. Das ist sonntags ihre Zeit!“, knurrte Paul.

„Mach ich!“, rief Mia wieder.

Paul hörte nicht auf sie. „Kannst du das garantieren?“, fragte er Nico.

„Ich werde mein Bestes geben.“

„Wie?“

„Ich werde auf die Pauke hauen!“

Da musste selbst Paul grinsen, weil Nico gern auf die Pauke haute. Jeden anderen würde es langweilen, wenn er nur ab und zu schlagen durfte. Nicht so Nico. Sein Gesicht strahlte, hochrot, weil von Pickeln übersät, und dann kam sein präziser Schlag, Mama brauchte nicht die Hand zu heben.

Nele lachte auf. Dann beugte sie sich zu Paul vor und flüsterte, damit es Nico nicht hörte: „Lass ihn doch! Er macht das schon. Und wir haben unsere Ruhe!“ Ihre Augen zwinkerten.

Damit hatte Mia gerechnet. Prompt wurde Paul freundlich. „Okay, Nico, wir machen das: Ich hole Mia um 10 Uhr ab. Ist das okay?“

„Yeah, that's okay, big brother!“, war die Antwort.

„Yeah, big brother is watching you!“, sagte Paul lässig und grinste zufrieden, als er sich Mia zuwandte. Sie sagte sofort: „Jetzt gib mir meinen Schlüssel!“

Paul schüttelte den Kopf. „Du brauchst keinen Schlüssel! Ich hole dich von Nico ab.“

Mia explodierte. „Du hast kein Recht auf meinen Schlüssel! Ich ruf sofort Mama an, wenn du ihn mir nicht gibst!“

Paul grinste wieder unverschämt: „Mama hat deinen Schlüssel genommen! Sie hatte ihren verlegt und war in Eile!“

Das machte Mia sprachlos. Wieso konnten sie über ihren Schlüssel bestimmen, ohne ihr etwas zu sagen? Sie würde nie wieder ihren Schlüssel an den Haken hängen! Sie zückte ihr Handy und tippte Mamas Nummer.

„Halt!“ Pauls Arm war wie eine Schranke vor ihrem Gesicht. „Nun warte doch! Ich hab Mama versprochen, dir einen Ersatzschlüssel zu besorgen.“

Er langte in seine Hosentasche und zog ein Schlüsselbund heraus und versuchte den Haustürschlüssel davon zu lösen. Es gelang ihm nicht.

„Verdammt!“, murmelte er. „Es ist Mamas Schulschlüssel. Ich krieg den Haustürschlüssel davon nicht los. Ach egal!“, sagte er plötzlich und reichte ihr das Bund. „Es ist nur für eine kurze Zeit, um Viertel vor 10 hole ich dich ab. Ich weiß zwar nicht, warum du den Schlüssel brauchst, aber bitte, wenn etwas passiert, bist du verantwortlich!“

Er rief Nico an und bat ihn, einen Blick auf den Schulschlüssel zu werfen, den er seiner Schwester mitgeben musste. Nicht dass er verlorenging! Zu viel hing daran!

Mia nahm den Schlüssel und dachte, was für ein Kontrollfreak doch ihr Bruder war. Wie konnte es Nele bloß mit ihm aushalten? Dann rannte sie in ihr Zimmer, um das Cello zu holen. Keine Sekunde länger wollte sie bleiben. Sie rannte wieder zurück, an Paul und Nele vorbei, die immer noch wie die Ölgötzen herumstanden, und schlug die Tür hinter sich zu.

2. Techno

Mia wartete ungeduldig auf den Fahrstuhl, und als er kam, wählte sie schon während der Fahrt nach unten Kevins Nummer. Es rauschte stark und ihr Herz klopfte heftig, aber seine Stimme war zu hören.

„Mia Berger, erinnerst du dich?“

„Natürlich! Wo bist du? Was kann ich für dich tun?“

Seine Stimme war sanft und entschlossen. Sie sah ihn vor sich, wie er wartete, ihr zu helfen.

„Kannst du mich abholen? Nicht vor der Schule, man darf mich nicht sehen. Besser hinter meinem Haus, vor dem Eisenwarengeschäft Rohde.“

„Oha! Klingt nach Verschwörung! Kann ich dich retten?“ Er lachte. „Okay, ich komme sofort!“

Sie atmete auf und wunderte sich. Erst mal, dass sie ihn überhaupt angerufen hatte und seine Hilfe wollte und dann, dass er bereit war, sie sofort abzuholen. Jedes Mal, wenn sie im Club war, hatte er sich zu ihr gesetzt und gefragt, wie es ihr gefiel. Nicht lange natürlich, er hatte ja so viel zu tun. Es war nett gewesen, aber sie waren sich nicht näher gekommen, er war freundlich zu allen! Klar, er wollte, dass viele seinen Club besuchten. Davon lebte er. Diesmal musste sie so kläglich geklungen haben, dass er ihr schnell helfen wollte. Komisch, dass man so schnell Hilfe bekam, wenn man auf hilflos machte. Aber eigentlich mochte sie es nicht.

Und sie mochte es überhaupt nicht, dass sie jetzt Nico belügen musste. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, aber konnte nicht zurück. Dann sollte er wenigstens nicht auf sie warten, wenn sie ihn schon versetzte!

Nico klang aufgeregt. „Wann kommst du?“

„Nicht jetzt, Nico, ich komm erst später, aber noch vor 10. Es kam was dazwischen. Es geht um Anna. Es ist sehr schlimm! Ich kann's dir nur sagen, wenn ich komme!“

Von Nico kam nur schweres Keuchen.

„Ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann. Du bist doch  mein bester Freund!“

Eine Pause. Dann eine müde Stimme: „Und wenn dein Bruder anruft?“

Er dachte an alles! Sie müsste ihn zum Bruder haben, nicht Paul! „Du sagst, ich bin bei dir. Hörst du, das ist wichtig. Bitte, Nico, tu es für mich!“

Er wurde ärgerlich: „Weiß du, dass du unverschämt bist?!“

„Ich weiß! Wenn ich bei dir bin, erkläre ich alles.“

Ein Seufzer. „Auf deine Erklärung bin ich gespannt.“

Gut, das war geschafft! Wie sie es ihm erklären würde, wusste sie nicht, aber daran wollte sie nicht denken. Jetzt wartete sie auf Kevin. Ihr Herz klopfte, weil sie das Gefühl hatte, sie war sie ihm mehr wert, als er bis jetzt gezeigt hatte.

Sein roter Sportwagen kam um die Ecke geschossen und sie hatte nur noch Augen für ihn.  Er aber riss seine auf, als er ihr Cello sah. „Du bist sicher, dass du in den Club willst? Ich fürchte, unsere Leute stehen nicht auf Klassik.“

„Ich auch nicht. Ich will mich von dem Ding erholen.“

Sie erklärte ihm, zu welchen Tricks sie greifen musste, um ihren misstrauischen Bruder zu überlisten. Da nickte er nur und verstaute  ihr Cello auf der Hinterbank.

„Warum bist du sofort gekommen, als ich dich anrief?“

Ihr Herz klopfte, als sie fragte. Aber sie musste es wissen!

Er lachte. „Es gefällt mir, wie du alles auf eine Karte setzt. Darin erkenne ich mich wieder.“

Sie hätte gern weitergefragt, aber konnte nicht, weil er mit heulendem Motor über die Kreuzung schoss und ein von rechts kommendes Fahrzeug zur Vollbremsung zwang. Wütendes Hupen und die geballte Faust des Fahrers beunruhigten Kevin nicht. Er minderte kaum sein Tempo, bog mit quietschenden Reifen um die Ecke.

„Ich mag keine Rennfahrer!“, sagte Mia, die sich auf ihrem Sitz festhalten musste.

„Hier kannst du kein Rennfahrer sein!“, entgegnete Kevin lächelnd. „Hier kannst du nur zeigen, dass du Vorfahrt hast. Das ist im Leben immer wichtig!“

„Ich mag keine Vorfahrt, wenn ich sie nicht habe.“

„Ich dachte, du liebst das Risiko.“

„Nicht so! Lass mich lieber raus!“ Sie griff nach der Tür.

Das wirkte. Er fuhr merklich langsamer und sagte nichts mehr. Sie aber bereute schon, mit ihm gefahren zu ein, denn es war doch idiotisch, den kurze Weg zum Club mit dem Auto zu fahren. Die engen und vollgeparkten Straßen in ihrem Viertel waren keine Rennstrecke. Dann aber dachte sie, er tat es für sie. Um ihr zu zeigen, wie wichtig sie ihm war. Wer sie jetzt sah, musste denken: 'Boah! Sie hat es geschafft, im Sportwagen des großen Kevin zu sitzen!'

Er fuhr durch ein enges Tor in einen Hinterhof, wo er seinen Wagen neben einem Container parkte. Er strahlte, als er ausstieg. „Ich hab dir noch nicht gesagt, dass es toll ist, dass du mitgekommen bist. Es zeigt mir, du hast Mut. Das mag ich.“

Sie schaltete auf cool. „Ich hab mehr Glück als Mut. Meine Eltern sind verreist und mein Freund glaubt mir alles!“

„Ich würde dir auch alles glauben!“ Er lächelte wieder.

Das fand sie übertrieben. „Ich habe meinem Freund versprochen, vor 10 Uhr bei ihm zu sein.“

„Geh, wann du willst! Ich pass nicht auf dich auf.“

Was sollte sie dazu sagen? So schwieg sie lieber.

Er hob das Cello aus seinem Wagen und führte sie über mehrere Ecken zum Clubeingang, vor dem ein kräftiger, stachelköpfiger, auffällig tätowierter Mann stand. Er freute sich, als Kevin ihn mit Handschlag begrüßte, und warf nur einen kurzen Blick auf Mia.

„Das ist Erik“, sagte Kevin, nachdem er sie mit dem Cello vorbeigeschoben hatte. „Jetzt kennt er dich und weiß, dass du eine von uns bist!“

Er sah sie fast stolz an.

„Brauchst du ihn als Bodyguard?“

„Und ob!“, antwortete Kevin. „Hier wollen viele rein, die unseren Ruf kaputt machen.“ Er sah ernst aus. „Mit Drogen lässt sich eine Menge Geld verdienen!“

Er öffnete die Tür eines Hinterraums und brachte eine trübe Lampe zum Leuchten. „Hier ist dein Cello sicher.“

Er wollte wieder schließen, als Mia sich bückte und aus dem Seitenfach der Cellotasche Mamas Schlüsselbund holte. Es hatte nicht in ihre enge Jeanstasche gepasst, weil es furchtbar drückte und so blöd ausbeulte. Aber wohin jetzt damit?

„Was willst du mit dem Schlüsselbund?“, fragte Kevin.

„Den braucht meine Mutter für die Probe morgen früh.“

Er grinste. „Die strenge Frau Berger! Kommst du klar mit ihr?“

Jeder schien sie zu kennen! Sie zuckte die Achseln. „Ab und zu muss ich mich von ihr erholen!“

Er lachte laut. „Aber dein Cello hast du schon, um zur Probe nicht zu spät zu kommen?“