No damaged Goods - Nicole Snow - E-Book

No damaged Goods E-Book

Nicole Snow

4,0

Beschreibung

Furchtlos. Eigensinnig. Stur. Dieser Mann ist alles, was ich nicht will … In Heart's Edge zu überwintern, war nicht meine Absicht, aber auf einmal ging mein alter Van mitten im Nirgendwo in Flammen auf. Und wer kam mir zu Hilfe? Blake Silverton. Chef der örtlichen Feuerwehr. Ehemaliger Kriegsveteran. Alleinerziehender Vater. Gutausssehend und sexy as Hell. Aber auch mürrisch. Unhöflich. Misstrauisch. Weshalb wir uns auch wegen jeder Kleinigkeit streiten. Als Physiotherapeutin könnte ich ihm schließlich helfen und ihn von den Nachwirkungen seiner Kriegsverletzungen befreien. Aber Blake Silverton will sich nicht helfen lassen, denn schon längst ist der Schmerz ein Teil von ihm geworden. Doch als ich bedroht und verfolgt werde, ist er sofort an meiner Seite und bietet mir in seinem Zuhause Zuflucht. Ob das eine gute Idee ist? Ich bin mir nicht sicher … Der vierte Teil der großen "Heroes of Heart´s Edge" Reihe!

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Seitenzahl: 642

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Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Furchtlos. Eigensinnig. Stur. Dieser Mann ist alles, was ich nicht will …

In Heart’s Edge zu überwintern, war nicht meine Absicht, aber auf einmal ging mein alter Van mitten im Nirgendwo in Flammen auf. Und wer kam mir zu Hilfe? Blake Silverton. Chef der örtlichen Feuerwehr. Ehemaliger Kriegsveteran. Alleinerziehender Vater. Gutausssehend und sexy as Hell. Aber auch mürrisch. Unhöflich. Misstrauisch.

Weshalb wir uns auch wegen jeder Kleinigkeit streiten. Als Physiotherapeutin könnte ich ihm schließlich helfen und ihn von den Nachwirkungen seiner Kriegsverletzungen befreien. Aber Blake Silverton will sich nicht helfen lassen, denn schon längst ist der Schmerz ein Teil von ihm geworden.

Doch als ich bedroht und verfolgt werde, ist er sofort an meiner Seite und bietet mir in seinem Zuhause Zuflucht.

Ob das eine gute Idee ist?

Ich bin mir nicht sicher …

Über Nicole Snow

Nicole Snow ist eine Wall Street Journal und USA Today Bestseller Autorin. Sie entdeckte ihre Liebe zum Schreiben, als sie sich in ihren Mittagspausen oder in langweiligen Büromeetings Liebesszenen ausdachte und sich in Liebesgeschichten wegträumte.

Im Mittelpunkt von Nicole Snows Büchern stehen sexy Alpha-Helden, viel Spannung und noch mehr Leidenschaft.

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Nicole Snow

No damaged Goods –

Blake

Übersetzt dem amerikanischen Englisch übersetzt von Beate Darius

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Newsletter

I: Alles zum Spaß (Peace)

II: Aus dem Takt (Blake)

III. Wintersymphonie (Peace)

IV: Schiefe Töne (Blake)

V: Beweg dich im Takt (Peace)

VI: Süßer Refrain (Blake)

VII: Das Lied vom Risiko (Peace)

VIII: Rhythmus und Klang (Blake)

IX: Spiel es noch mal (Peace)

X: Tanz zu deiner Musik (Blake)

XI: Ein bisschen lauter (Peace)

XII: Herznoten (Blake)

XIII: Rock ’n’ Roll ist nicht leicht (Peace)

XIV: Ruhiges Tempo (Blake)

XV: Dreh den Bass auf (Peace)

XVI: Bleib für die Zugabe (Blake)

XVII: Verstimmt (Peace)

XVIII: Kamera-Blues (Blake)

XIX: Gebrochene Akkorde (Peace)

XX: Percussion-Trauma (Blake)

XXI: Trommelwirbel (Peace)

XXII: Es ist nicht vorbei (Blake)

XXIII: Bevor der Vorhang fällt (Peace)

Längerer Epilog: Lass die Flamme nie ausgehen (Blake)

Impressum

I: Alles zum Spaß (Peace)

Wissen Sie, normalerweise stelle ich meine Entscheidungsfindungs-Kompetenzen nicht infrage.

Wenn ich das tun würde, wäre ich nicht ich.

Mein Dad bezeichnete mich gern als eine Blume im Wind.

Vielleicht bin ich klein und zart und fragil und habe einen Hippie-Namen … und das macht mich vermutlich leicht genug, um mich mit der Luftströmung zu bewegen, aufzusteigen, in den Himmel zu schweben und mich von jedem Windstoß zu neuen Horizonten und wunderschönen Dingen treiben zu lassen.

Deshalb bin ich ich von Oahu weggeflogen.

Deshalb bin ich nach New Orleans, St. Louis, Nashville, Chicago und zuletzt Denver gezogen.

Was mich dann schließlich auf die Straße nach Vancouver getrieben hat, für mein nächstes großes Abenteuer.

… und so bin ich am Straßenrand eines abgelegenen Bergpasses gelandet, der eine Stadt mit Namen Heart’s Edge überblickt.

Ich friere mir den Arsch ab, weil ich mich nirgends aufwärmen kann, außer in meiner alten Möhre von einem Van.

Der momentan in Flammen steht und dicke, dunkle Rauchwolken in den Himmel ausstößt.

Yep.

Manchmal, wenn du eine Blume im Wind bist, stellst du fest, dass du über einem wunderschönen See schwebst.

Und manchmal landest du kopfüber auf einer brennenden Müllhalde, und bei dem verzweifelten Versuch, den Kurs zu ändern, hängst du plötzlich in dem Schlamassel fest.

Ich bin selber schuld.

Ich bin diejenige, die beschloss, nach dem Abendessen weiterzufahren und meinen Van zu bepacken, als wäre ich einer von der »Scooby-Doo«-Gang.

Ehrlich gesagt ist mein Van wahrscheinlich noch älter als der Zeichentrickfilm, aber er hat mir gute Dienste geleistet.

Bis jetzt.

Ich tuckerte fröhlich die Straße entlang, hatte irgendeinen lokalen Radiokanal eingestellt und hörte diese echt abgefahrene kleine Sendung.

Anfangs dachte ich, es wäre eine Unterhaltungssendung, doch es entpuppte sich als eine Art Ratgeber-Hotline. Der Typ, der die Sendung moderierte, hatte eine warme, angenehme Stimme, tief und rau mit einer Prise trockenem Humor.

Er klang, als würde er sehr oft lachen. Und er hat definitiv gelacht, als jemand anrief und einen Rat wollte, was zu tun sei, wenn eine Frau ihren Mann dabei erwische, wie er ihre Unterwäsche stibitze ‑ um sie zu tragen.

Er hat freundlich geantwortet: »Vielleicht denken Sie mal darüber nach zu teilen, Ma’am, oder vielleicht kaufen Sie ihm seine eigene.« Ich konnte das Grinsen in seiner Stimme hören, als er das gesagt hat. »Wir Männer sind nicht unbedingt so gebaut, in diese Spitzenfummel reinzupassen, und er wird Ihre ziemlich ausleiern. Kaufen Sie ihm was Eigenes, wenn es ihn glücklich macht.«

Die meisten Moderatoren hätten sich über die Frau und ihren Typen lustig gemacht. Oh, das arme Mädchen, so was in der Art.

Dieser Moderator jedoch …

Er hat gelacht, als wäre es keine große Sache, Leben und leben lassen. Jedenfalls fühlte ich mich gleich besser, obwohl es weder mein Anruf war noch mein Problem.

Ich habe auch über mich selbst gelacht, weil mir irgendwie warm ums Herz wurde, als ich ihn sagen hörte »Der nächste Anrufer …«

Ich verpasste jedoch, worum es bei dem Anruf ging, weil meine Karre gerade in dem Moment heißer wurde als die Stimme des Typen.

Sie gab schlicht den Geist auf.

Ging spontan in Flammen auf.

Ein großes, fettes Bumm, das wie ein Gewehrschuss durch die Nacht dröhnte und dafür sorgte, dass die blumenbemalte Motorhaube dicke Qualmwolken auskotzte.

Das Gute daran: Ich fuhr langsam, weil ich wegen der verschneiten Straßen und steilen Hänge extra vorsichtig war.

Trotzdem waren es bestimmt die panischsten dreißig Sekunden meines Lebens, als ich den brennenden Van an den Straßenrand manövrierte, meine Sachen schnappte und blitzschnell raussprang.

Das Lustige ist, ich kann noch das Radio hören, während alles unter der Motorhaube knistert und kokelt.

»Keine Ahnung«, sagt Mr. Ratgebertyp gerade. »Ich meine, Sie bitten mich, mich zwischen Football, Sex und UFO-Sichtungen zu entscheiden …«

Jemand anders beim Sender wiehert los. Er klingt älter, herzlicher. »Ach komm schon. Ich weiß, wofür du dich entscheiden wirst, das würde doch jeder. Verdammt, du bist einer der letzten Singles im Ort, Blake. Jede hier in der Stadt will ein Stück vom Kuchen. Ich wette, du kannst jede Nacht eine andere haben.«

Eine seltsame Pause entsteht. Sonderbar. Schwer.

Und als der Ratgebertyp wieder spricht, wirkt es fast … melancholisch, obwohl ein Lächeln in seiner Stimme mitschwingt. »Wie du meinst«, sagt er. »Du kennst mich. Ein echter Herzensbrecher.«

Autsch.

Ich frage mich, was passiert ist, dass er so klingt.

Aus seiner Stimme spricht echter Schmerz. Die Art verdrängter Kummer, der Zähne und Klauen hat.

Schmerz ist etwas, das ich aus meinem Beruf kenne.

Und ich weiß, wie jemand klingt, dessen Herz einen Volltreffer mit einem Vorschlaghammer eingesteckt hat.

Hallo, geht’s noch? Ich stehe hier rum und mache mir Sorgen um diesen Typen, dabei sollte ich mich um mich selbst kümmern.

Ich bin ein Schönwetter-Mädchen. Selbst eingepackt in einen dicken Mantel friere ich mir gerade den Arsch ab, und an dem klaren Nachthimmel braut sich was zusammen.

Ich muss weg von der Straße, bevor ein Unwetter herunterkommt.

Und, logisch, bevor mein Van zu Stahlkonfetti explodiert.

Ich fummle mit halb tauben Fingern mein Handy aus der Manteltasche und wähle 9-1-1. Ich habe Glück, denn nach mehrmaligem Klingeln meldet sich eine verschlafene Männerstimme undeutlich mit »Langley«.

Ich blinzle erstaunt.

Normalerweise heißt es dann: 911, was ist Ihr Notfall?

Nach einem Moment sage ich zögernd: »Ähm … ist da die Polizei? Das Kommissariat von Heart’s Edge?«

»Allerdings. Sheriff Langley, zu Ihren Diensten, Miss. Schätze mal, dass Sie eine Ortsfremde sind, wenn Sie das nicht wissen.«

»Ja, stimmt.« Ich lächle sarkastisch. »Hören Sie, mein Van ist liegen geblieben und irgendwie in Brand geraten –«

»Ein Brand? Da bin ich nicht der Richtige für Sie, aber ich verbinde Sie gleich weiter an den Zuständigen.«

Ich schaffe es nicht einmal zu protestieren, bevor ein sonderbarer Summlaut ertönt.

Die Verbindung ist nicht getrennt, aber er ist nicht mehr dran.

Ich warte einen Augenblick, währenddessen höre ich leises Stimmengewirr aus dem Radio. Dann ein Knacken, ein Klicken und eine andere Männerstimme in der Leitung.

»Feuerwehr und Rettungsdienst.« Tief, kernig, geschäftsmäßig. »Was brauchen Sie?«

Warte mal.

Wieso höre ich seine Stimme zweimal?

Das zweite Mal kommt sie aus meinem Van mit diesem komischen zeitverzögerten Echo.

Aber ich versuche es: »Ähm, hallo, mein Name ist Peace und mein Van ist liegen geblieben und in Brand geraten.«

Jetzt höre ich es wieder.

Das Echo, bloß diesmal …

Oh Mist.

Es ist meins.

Und es kommt aus dem Radio im Van.

Ich bin live im Radio mit dem Hotline-Typen, der offenbar auch der Ersthelfer für das städtische Feuerwehrteam ist.

»Ähm«, ich suche nach Worten und fahre dann fort, »also, ich habe im Büro des Sheriffs angerufen und sobald er Feuer hörte, hat er mich zu Ihnen durchgestellt.«

»Wo ist das Feuer ausgebrochen? Von welcher Größenordnung sprechen wir?«, gibt der Mann – Blake – sachlich zurück. Ich glaube, so hat ihn der andere Mann im Radio genannt.

Seine Freundlichkeit ist einer ruhigen Autorität gewichen. Sein Ton glättet ein paar verknotete Nervenbahnen, die ich jetzt erst bemerke, als sie anfangen sich zu entspannen.

»Ich bin nicht sicher … eine kleine Flamme, eine Menge Rauch.« Ich mag das Echo meiner Stimme im Radio nicht, denn ich klinge verängstigter, als mir lieb ist, aber ich sitze nun mal hier fest. Hilflos. »Ich bin von auswärts und ein bisschen rumgefahren, um mir die Wälder und Berge anzuschauen –«

»Können Sie die Stadt sehen von da, wo Sie sind?«, fragt er.

Ich drehe mich langsam um und lasse meinen Blick schweifen. Bloß Himmel, Wald, Landstraße und eine Schneise in den Bäumen, aber nicht die Lichter der Stadt. »Nein.«

»Was sehen Sie?«

Ich gehe näher an den Waldrand, dabei ziehe ich meine Jacke enger um meinen Körper, mein Atem ist eisig auf meiner Zunge und weht in kleinen Wölkchen vor mir her. Ich spähe durch die dünnen Stämme, die kahlen Äste.

»Durch die Bäume … da ist ein Tal.« Mit zusammengekniffenen Augen blicke ich auf Hänge aus roter Erde mit halb verdorrtem Gestrüpp und auf einen dunklen Felshang und davor auf etwas, das aussieht wie die Überreste eines ziemlich großen Gebäudes. »Und etwas, das aussieht wie ein altes, verfallenes, unbewohntes Gebäude. Sind das Ruinen?«

»Das ›Paradise Hotel‹. Alles klar. Richtung?«, blafft er.

Das kann ich klarer beantworten, als ich aufblicke und den Himmel absuche. Der Polarstern funkelt hell hinter den Wolken, die sich für meinen Geschmack zu schnell zusammenballen. Aber er ist eindeutig da, strahlend und silbrig weiß vor dem tiefen Blau.

»Osten«, antworte ich.

»Irgendwelche anderen Orientierungspunkte in der näheren Umgebung?«

Ich zermartere mir das Hirn, um mich an Dinge zu erinnern, die ich im Dunkeln passiert habe. »Ja, ich glaube, ich bin an einer Jagdhütte vorbeigefahren. So ungefähr eineinhalb Meilen zurück am Rand der Straße?«

»Ich weiß, wo Sie sind.« Ich höre schnelle Schritte, sowohl aus dem Radio als auch im Handy, und im Sender verabschiedet er sich mit einem leisen Murmeln. »Übernimm für mich, Mario. Ich fahre zu einem Einsatz.«

Dann wird seine Stimme wieder lauter und richtet sich an mich. »Bleiben Sie, wo Sie sind, Lady. Ich komme. Halten Sie Abstand zu Ihrem Fahrzeug, für den Fall, dass die Benzinleitung Feuer fängt.«

Ich nicke, als ob er mich sehen könnte.

Dann beschimpfe ich mich selbst als Idiotin.

Ich beiße mir auf die Lippe, stopfe die Hand ohne Handy in die Tasche und balle sie mehrmals zusammen, um sie aufzuwärmen. Ich habe keine Handschuhe dabei, weil ich nicht damit gerechnet hatte, viel im Freien zu sein. »Blake? So heißen Sie doch, oder?«

Nach einer kurzen Pause kommt ein eigenartig knappes »Jap. Woher wissen Sie das?«

Ich lasse ein leises Lachen hören. »Ich hab Ihre Sendung im Radio gehört, bevor mein Van Feuer fing. Ich … ich nehme mal an, dass es bald anfängt zu schneien.«

Eine weitere, lange Pause vergeht, bevor sein schroffer Tonfall sanfter wird. Es ist, als wenn er dich mit seiner Stimme führen könnte, dieser leicht melodische Rhythmus in seinem rauen Bariton hüllt dich ein wie Samt und nimmt dich mit, egal, was er gerade sagt.

Ich bin ein Musik-Nerd; es ist in meinen Genen.

Und seine Stimme ist wie Musik, selbst wenn er etwas so Simples fragt wie: »Wie heißen Sie?«

»Peace«, antworte ich. »Peace Rabe.«

Er stößt ein weiches, kehliges Lachen aus, und irgendetwas in meiner Brust krampft sich zusammen. »Rabe? Das ist doch so was wie wilder Brokkoli?«

»Nicht«, stöhne ich unter Lachen. »Damit hatte ich lange genug in der Highschool zu kämpfen.«

»Okay, kleine Miss Brokkoli. Ich mach’s nicht.«

»Sie haben es gerade gemacht.«

»Vielleicht«, meint er, und meine Magengrube zieht sich zusammen bei dem weichen Klang dieses einen Wortes, fast wie ein Seufzen. »Und machen Sie sich keine Sorgen mehr um den Schnee, okay?« Er fügt sanft hinzu: »Das kommt alles in Ordnung, Peace. Ich bin gleich bei Ihnen.«

»Okay, Blake«, antworte ich, und obwohl mir so kalt ist, dass sich meine Zehen wie Eisklümpchen anfühlen, ist mir gleichzeitig irrsinnig warm am ganzen Körper. »Ich werde warten.«

Die Leitung ist tot.

Um die Wärme von meinem Atem einzufangen, ziehe ich meinen Mantelkragen um Mund und Nase. Ich habe ein Flattern in der Magengegend und höre Blakes letzte gemurmelte Worte im Radio. Er sagt irgendetwas Unverständliches, bevor er ausgeblendet wird. Die Stimme des anderen Mannes übernimmt lachend.

Ich schätze, Hilfe ist unterwegs.

Und ich sollte nicht ständig hoffen, dass der Mann, der zu meiner Rettung kommt, so einnehmend ist wie diese brummende, melodische, perfekte Löwenstimme.

***

O Gott.

Also ist er nicht bloß einnehmend.

Er ist …

Nein.

Nö.

Nada.

Ich sollte den großen Mann, der eben aus dem Feuerwehrwagen steigt, bestimmt nicht so anstarren, wie ich es gerade tue. Nicht wenn mir eiskalt ist und ich gefühlt von Kopf bis Fuß blau verfroren sein muss, und allmählich bekomme ich dieses flaue Gefühl im Bauch, als ob mir gleich schlecht werden würde.

Vielleicht ist mir auch bloß schwindlig von einer drohenden Unterkühlung.

Ich denke, mit dieser Entschuldigung für mein verdammt unhöfliches Angaffen könnte ich leben.

Und es ist bestimmt auch der einzige Grund, warum ich meinen Blick nicht von Blake reißen kann, als er und zwei weitere Männer sich mit geschmeidiger Leichtigkeit von dem Einsatzfahrzeug schwingen. Sie tragen feuerabweisende Overalls, die lässig bequem sitzen und jede ihrer Bewegungen unterstreichen, geballte Kraft in jeder Kontur ihres Körpers.

Keine Ahnung, wieso ich mir sicher bin, dass der Mann mit den dunklen, rostbraunen Haaren Blake sein muss.

Der eine von ihnen ‑ er ist attraktiv und hat schwarze Locken wie eine griechische Gottheit – scheint viel zu jung zu sein für so eine Stimme. Der andere Typ, dunkelblond und ernst und alt genug, um mein Vater zu sein, passt … auch nicht.

Doch der große Mann mit dem Drei-Tage-Bart und den leicht grau melierten Schläfen, mit Augen von einem tiefen Blau, dass die Nacht dagegen hell erscheint, mit entschlossenen Bewegungen und einem in sich ruhenden Selbstvertrauen bei jedem Schritt …

Das muss er sein.

Das ist so Blake.

Er hat seinen Overall bis zur Taille hinuntergestreift und vorn zusammengebunden, sein enges schwarzes Shirt spannt über seiner Brust und den harten Bizepsmuskeln. Er ruft seinen Leuten etwas zu.

Sie treten in Aktion, indem sie den schweren Schlauch von der Seite des Fahrzeugs herunterziehen, als wenn er nichts wiegen würde, und den Wasserstrahl auf die Motorhaube meines Vans richten. Ich tippe mal, es ist gut, dass es ein kleines Feuer ist. Der dicke Strahl kommt bestimmt aus den Wasservorräten des Trucks statt aus einem Hydranten, aber ganz ehrlich, ich denke momentan nicht an Logistik.

Ich lausche Blakes Stimme – ruhig, befehlend, rau – als er seine Männer anweist, meinen armen, klapprigen Van zu löschen, bis die Flammen zu feuchtem Rauch erstickt sind und nur noch ein jämmerlicher Haufen Stahl übrigbleibt.

Es ist beinahe so, als wäre ich gar nicht hier.

Blake ist dermaßen konzentriert auf das, was er tut, dass ich mich halb zu Tode erschrecke, als er sich zu mir dreht.

Und diese tiefblauen Augen sehen mich an und fangen meinen Blick ein wie zwei strahlende Scheinwerfer.

Das rot und golden aufblinkende Licht des Feuerwehrautos flackert über sein Gesicht und unterstreicht die männlichen Züge seines Gesichtes.

Feine Linien, Sorgenfalten, aber vielleicht auch Lachfalten ziehen sich um seinen Mund, seine Augen. Er hat ausgeprägte Wangenknochen, einen sinnlichen Mund, und sein Puls pocht gut sichtbar an seinem sehnig festen Hals.

O. Mein. Gott.

Er ist grimmiger, als ich dachte.

Härter.

Ein Fels von einem Mann.

Die Weichheit, die ich in seiner Stimme bemerkt hatte, spiegelt sich nicht in seinem Gesicht. Fast als wäre sein Körper eine Hülle aus Granit, um die in seinem Innersten verborgene Sanftheit einzusperren.

Warum, Blake? Ich kann nicht anders, als mich das zu fragen.

Aber ich denke, ich bekomme einen kleinen Hinweis auf eine Antwort, als er sich umdreht und mit ausladenden Schritten zu mir kommt.

Er bewegt sich wie ein Mann, der um seine Kraft weiß.

Geschmeidig und kontrolliert, unter dem von Schweiß dunkel an seinem Oberkörper klebenden schwarzen Shirt ziehen sich harte Muskelstränge von seinen breiten Schultern über seine Brust. Die harte Linie seines Sixpacks und die schmalen Hüften bewegen sich in einem Rhythmus, der so sinnlich ist wie das Anschleichen eines jagenden Panthers.

Doch er bewegt sich auch wie ein Mann, der weiß, was die Hölle ist.

Irgendwie glaube ich nicht, dass es allein die Feuerwehreinsätze waren, wo er diese Erfahrungen gemacht hat.

Er zieht sein rechtes Bein ganz leicht nach. Irgendeine Verletzung, und an seinem Gang ist erkennbar, dass er gelernt hat, sich nichts anmerken zu lassen, aber das schafft er nicht immer.

Seine Muskulatur hat mit seinem Gewicht zu kämpfen. Er ist so gebaut, dass sie diese Wand von einem Körper stützt, doch jede Unze gut trainierter Muskel ist auch eine Unze Druck auf eine unsichtbare Verletzung, was dazu führt, dass er sich bei jedem Schritt leicht nach links neigt.

Ich würde es wahrscheinlich nicht bemerken, wenn ich nicht gewöhnt wäre, nach Schmerzen zu forschen.

Denn das ist die Aufgabe von Physiotherapeuten.

Den Schmerz von Leuten zu erkennen, um ihn lindern und vertreiben zu können.

Aber er ist stoisch, verschlossen, als er vor mir stehen bleibt und mich mit einem kritischen Blick mustert, so dass ich mir wie einer von diesen Dummies vorkomme, an denen sie dir Erste Hilfe beibringen.

Yep. So viel zum Thema Flattern im Bauch. Meine Schmetterlinge gefrieren sofort zu Eis.

»Sie sind Peace?«, knurrt er.

Ich lächle schwach und ziehe meine halb gefrorenen Finger aus meiner Tasche, um ihm kurz zuzuwinken. »Die einzige Person hier draußen mit einem brennenden Autowrack. Blake, richtig?«

Er lässt bloß ein Grunzen hören und wirft mir noch einen dieser Blicke zu. »Sie sind nicht verletzt?«

»Nein.« Ich schüttele den Kopf. »Ich bin rausgesprungen und weggelaufen, sobald ich den Van am Straßenrand geparkt hatte. Mir ist bloß kalt.«

»Sie haben Glück, dass es heute Abend nicht kalt genug ist für Erfrierungen, aber Sie werden sich unter Umständen eine Erkältung geholt haben.«

Er tritt einen Schritt zurück, um zu dem Feuerwehrfahrzeug zu gehen, und zieht eine dieser steifen, dicken Feuerwehrjacken aus einem Seitenfach. Sie ist dunkelgrau mit reflektierenden gelben und orangen Streifen an Ärmeln und Rücken.

Langsam kommt er zu mir zurück und legt das Teil um meine Schultern.

Einen Moment lang bin ich nahezu umschlungen von seinen Armen. Er greift um mich, um die Jacke fester zu ziehen und mich darin einzupacken.

Jetzt sind meine Schmetterlinge aufgetaut.

Und es liegt definitiv nicht an der Jacke, dass mein Gesicht glutheiß ist und meine Ohren trotz der Kälte brennen, dass es fast wehtut.

Oh nein.

Warum muss er so … so … sein?

Ich vernehme den schwachen Hauchs von Eau de Cologne, als er den Rücken durchdrückt und mich weiter mit diesem dunklen, unbewegten Blick ansieht.

»Danke«, sage ich kaum hörbar und kralle meine Finger in die Jacke, um sie enger um mich zu ziehen. »Dass ihr hier rausgekommen seid.«

»Es ist mein Job.«

»Richtig.« Mehr fällt mir als Antwort nicht ein.

Ich ziehe meine Unterlippe zwischen die Zähne und überlege angestrengt, was ich sagen soll, dann spähe ich an ihm vorbei zu den beiden anderen Männern, die den Wasserschlauch abgestellt haben und gerade die Haube meines Vans angehoben haben, um in den Motorraum zu sehen. »Sie haben es schnell gelöscht. Ich bin ein bisschen erstaunt. Es passiert nicht jeden Tag, dass ich sehe –«

»Dass ein Typ mit einem verfluchten Bein wie meinem diese Arbeit macht?«, unterbricht er mich. »Hab ich schon tausendmal gehört, Schätzchen.«

Oh, Scheißstadt!

Falsche Richtung.

Absolut die falsche Richtung.

Er kann unmöglich denken, dass ich gemeint habe ‑

Ihhh. Er hat genau mitbekommen, dass ich ihn genau angestarrt hab.

Ich merke es in dem Moment, als sich sein Blick brutal verdunkelt und er seinen Mund zu einer schmalen Linie zusammenpresst. Es ist ein nicht zu übersehender Hinweis, dass ich ihn buchstäblich auf dem falschen Fuß erwischt habe, und es reicht, um das Klima zwischen uns auf eisige Minusgrade herunterzukühlen. Er dreht sich um und wendet mir seinen breiten Rücken zu.

Die Linie seiner Schultern, sein Trapezmuskel, ist stark angespannt.

Als würde er innerlich Steine mit sich herumtragen.

»Blake, es tut mir leid«, stammele ich. »Ich wollte Ihnen nicht zu nahe –«

»Geschenkt. Keine Ahnung, wovon Sie reden«, sagt er tonlos, und diese gleichgültige Stimme klingt überhaupt nicht wie der freundliche Mann, der mich am Telefon beschwichtigt hat.

Er stapft zu meinem Van, greift in das offene Fenster auf der Fahrerseite und schaltet das Radio aus, das die ganze Zeit im Hintergrund gedudelt hat.

Ich folge ihm.

Ich bin ziemlich neben der Spur und unsicher, was ich sagen soll. Diese Nacht gehört definitiv in die Top Ten der surrealsten Nächte meines Lebens.

»Hey, es tut mir leid«, bekenne ich nochmals gegenüber seiner Rückansicht. »Ich wollte nicht unhöflich oder neugierig sein. Ich bin bloß – wissen Sie, ich bin Physiotherapeutin und –«

»Hab schon von Ihnen gehört!« Einer der anderen Männer – der mit den dunklen Locken – sieht grinsend unter der Motorhaube hervor. »Sie arbeiten im Hotel, nicht? Wollen Sie da die Horden von Wintersport-Touris behandeln?«

Mein Mund verzieht sich zu einem kleinen Lächeln. »Mhm, ja. Ich fand, ich sollte über den Winter Wurzeln schlagen und mich um die Touristen kümmern. Ich hielt es für keine schlechte Idee, um meine Brötchen zu verdienen.«

Der Dunkelhaarige richtet sich lachend auf, zieht einen seiner dicken Handschuhe aus und hält mir seine Hand hin. »Nicht bloß die Touristen. Wir haben zunehmend mehr Fälle von posttraumatischen Belastungsstörungen in dieser Stadt. Verdammt, inzwischen haben wir vermutlich kollektives PTBS, nach allem was Galentron –«

»Justin«, knurrt Blake und wirft ihm einen warnenden Blick zu.

»Sorry, Chief.« Justin zuckt kurz zusammen, doch er hält mir weiter grinsend seine Hand hin. »Ich bin echt unprofessionell.«

»Ist schon okay.« Ich nehme schnell seine Hand und drücke sie herzlich. »Ich hab’s auch nicht so mit Professionalität. Wie die meisten Hippie-Kinder.«

»Fand gleich, dass Sie ein bisschen was von einem Punk haben. Schöne Haare, im Übrigen.«

Er meint meine im Ombré-Look lila gefärbten Haarspitzen. Das finden die meisten Leute sonderbar, und in Kleinstädten wie dieser sehen sie mir immer hinterher, aber ich bin es gewohnt und hab nichts dagegen, außerdem ist es ein guter Eisbrecher.

Ich lächle Justin an. »Hey, Danke.«

Sein Grinsen wird breiter.

»Hey, was dagegen, wenn ich ein paar Fotos mache? Ich halte so was gerne fest, und hm … das ist mein erster ausgebrannter Van mitten in der Nacht hier in der Gegend. Die Ruinen von dem alten ›Paradise Hotel‹ sind nicht weit weg, vielleicht krieg ich die im Hintergrund mit auf das Bild …«

Hotelruinen? Mhm.

Mit einem gequälten Lachen winke ich in Richtung Van. »Tun Sie sich keinen Zwang an. Wenn Sie mir versprechen, dass Sie mir die Fotos für die Versicherung schicken. Ich bin sogar bereit, Ihnen eine Massage im Tausch anzubieten.«

Justin zieht sich bereits lachend den anderen Handschuh aus und fischt in der Jackentasche nach seinem Handy.

Während er Fotos macht und das Blitzlicht in grellen Intervallen die Nacht durchtrennt, spähe ich zu Blake.

Er ist unter der Kühlerhaube verschwunden, um den Motorraum zu inspizieren, doch er scheint nicht wirklich viel sehen zu können. Ich trete von einem Fuß auf den anderen.

»Also, wenn jemand von der Feuerwehrcrew vorbeikommen möchte, gebe ich gern einen dicken Rabatt für meine mutigen Retter.«

Blake könnte mich genauso gut nicht gehört haben.

Justin horcht auf und sagt: »Ja? Krass.«

In der Zwischenzeit hebt der andere Typ, der mit den dunkelblonden Haaren, den Kopf und richtet den Blick auf mich. Seine Miene hellt sich auf.

»Was wollen Sie denn für eine Autoreparatur ausgeben?«

Ich lache. »Wieso? Glauben Sie, Sie können mir da einen Nachlass beschaffen?«

»Bei der Feuerwehr bin ich ehrenamtlich. Ich arbeite bei Mitch’s Autobody.« Er grinst. »Fragen Sie einfach nach Rich.«

»Mach ich gern.«

Aus irgendeinem Grund scheint das Blake unter die Haut zu gehen.

Seine Schultern spannen sich an, und seine Hände umklammern den Rand der Haube, bis seine Knöchel hervortreten. Er drückt sich hoch, um mir einen Blick zuzuwerfen. »Holen Sie alles, was Sie brauchen, aus Ihrem Wagen. Wir werden Sie mit in die Stadt zurücknehmen und morgen einen Abschleppwagen zu dem Van schicken.«

Ich blinzele benommen.

Keine Ahnung, wieso ich mich seltsam ernüchtert fühle.

Vielleicht, weil ich für ein paar Sekunden eine Schulmädchenphantasie um diese überzeugende, dunkle Stimme aufgebaut hatte, und ich mich fragte, wie es sich anfühlen würde, diese Stimme seufzend an meinem Ohr zu hören.

Was soll’s.

Abweisender Idiot: 1 Punkt.

Einsames Mädchen: 0 Punkte.

Diese Runde geht an dich, Blake.

Mein Name mag Peace sein, aber ich gehe nicht kampflos zu Boden.

Wenn Mr. Knurrisaurus nicht mitspielen möchte, ist es sein Pech.

***

Ich denke weniger ans Kämpfen und mehr an Schlaf, als ich endlich meinen Kram aus dem Van hole.

Ich habe einen Haufen Zeug dabei, da ich oft zu Patienten fahre, anstatt sie zu mir kommen zu lassen. Justin, Rich und Blake helfen mir jedoch. Es ist ein ziemlich eigenartiger Anblick, wie meine Klapptische, Gerätschaften und Kisten mit Massageölen sich auf der Ladefläche des Löschwagens neben den Leitern stapeln.

So wie es aussieht, haben meine Sachen bei dem Schwelbrand keinen Schaden genommen, ein Glück.

Die ganze Zeit quatschen Rich und Justin miteinander und mit mir, sie sind freundlich und lustig, und es ist unschwer zu erkennen, dass sie mich beruhigen wollen.

Blake dagegen sagt keinen Ton.

Als ob er abzutauchen versucht.

Ich kann jedoch nicht anders, als ihn zu betrachten.

Bis auf das eine Mal, wo er meinen Blick auffängt, beobachte ich, dass sein Hinken stärker wird, während er meine Sachen schleppt, und ich habe schlagartig Schuldgefühle, weil er meinetwegen hier draußen ist und sich um meinen Krempel kümmert.

Es ist nicht schwer zu erkennen, dass er zu den Männern gehört, die aus Stolz Mauern um sich aufbauen.

Allerdings ist es mein eigener Stolz, der mich wachhält, als die drei Männer mich in das Führerhaus des Feuerwehrautos packen. Gut, dass ich zierlich bin, sonst wären wir alle auf Kuschelkurs.

Ich sitze eingezwängt zwischen Rich und der Tür, und es fällt mir schwer, an dessen wärmendem Körper nicht einzuschlafen, während die Autoheizung die Eisklümpchen unter meiner Haut tauen lässt. Rich erinnert mich in gewisser Weise an meinen Dad, besonders als er davon erzählt, dass er nach Hause will, um seinen Kindern eine Gutenachtgeschichte vorzulesen. Das Gespräch verklingt zu einem leisen Murmeln mit Justin, während ich immer wieder einnicke.

Sie sind eine Art Sandwich aus netter Gesellschaft, eingeklemmt zwischen meinem Schweigen an einer Tür und Blake hinter dem Lenkrad.

Irgendwie ist es liebenswert.

Offen gestanden ist es das erste Mal, seit ich mich mit dem Wind treiben lasse, dass ich mich so ähnlich fühle wie in einer Familie.

Mir ist angenehm warm und ich bin fast eingeschlafen, als der Feuerwehrtruck vor dem »Charming Inn«-Hotel anhält – dieses wunderschöne touristische Fleckchen liebe ich wirklich –, mit seinen weißen Säulen vor dem im Plantagenstil gebauten Haupthaus und einem weitläufigen Gelände voller Cottages, die eine grandiose Aussicht über die Klippen bieten.

Ich werde munter, als der Truck mit laufendem Motor anhält. Alle drei Männer sehen mich an, in ihren Gesichtern eine stumme Frage.

»In diese Richtung«, sage ich und zeige auf einen Weg, der auf einer Seite des Grundstücks am Zaun entlangführt. »Ich bin in einem der Cottages weiter hinten untergebracht. Ich möchte im Haupthaus niemanden wecken. Soweit ich weiß, haben die Besitzer ein kleines Kind.«

»Warren und Haley«, brummt Blake leise. »Sie werden ihre Kinder schon ins Bett gebracht haben.«

Oh.

Oh nein.

Ich habe keinen Schimmer, wie es kommt, dass ich mich so schnell und so heftig verknallt habe.

Womöglich ist es das Hilflose-junge-Frau-Syndrom.

Und da ist dieser Tick warmer, rauer Zuneigung in seiner Stimme, als er Warren und Haley sagt.

Das lässt durchblicken, dass ihm die Besitzer des Hotels wichtig sind. Freunde. Vielleicht Familie.

Die Glücklichen, und ich wünsche mir spontan, dass er in diesem weichen Bariton Peace zu mir sagt, mit der gleichen warmen Zuneigung.

Doch er sagt nichts weiter, als er den Truck über knirschenden Kies und knackende Zweige auf den schmalen Weg steuert und das letzte Stück weiterfährt.

Gerade als ich aussteige, fallen die ersten dicken, schweren Schneeflocken aus den Wolken und legen sich auf die kleinen Hügel auf dem Gelände. Ich bin sicher, der dicke Tiefschnee lässt nicht mehr lange auf sich warten.

Bin ich froh, dass ich nicht in einem Schneesturm festsitze.

Wortlos helfen sie mir, meine Sachen aus dem Feuerwehrwagen zu laden. Wir tragen sie in das Blockhaus mit seinen deckenhohen Fenstern und Glastüren.

Als die letzte Kiste scheppernd auf einem Beistelltisch landet, drehe ich mich zu Blake und halte ihm meine Hand hin. »Danke noch mal für –«

Ich blicke auf seinen Rücken.

Auf seinen Rücken und seine fest zusammengeballte Faust, die er gegen seinen Oberschenkel presst. Eindeutig der Versuch, den Schmerz zu brechen und gerader zu gehen, mit verkrampfter Wirbelsäule.

Ja.

Ich kenne diese Angewohnheit.

Da ist garantiert eine Verletzung, die er sich möglicherweise bei einem Feuerwehreinsatz zugezogen hat oder auch woanders. Er ist auf eine Weise durchtrainiert, die auf einen Ex-Soldaten schließen lässt.

Vielleicht ist er in physiotherapeutischer Behandlung gewesen, vielleicht hat er sich ganz gut erholt, aber die Wunde will nicht richtig ausheilen.

Und er wirkt wie ein Mann, der nicht wirklich zuhört, wenn Leute ihn von einer Schmerztherapie überzeugen wollen.

»Hey«, sagt Justin mit einem lässigen Grinsen, gerade als die Tür hinter Blake zuschlägt. »Kümmern Sie sich nicht um ihn. Er kann eben … nicht gut mit Aufmerksamkeit. Zu viele Leute starren ihn bereits in der Stadt an, dann kommt noch eine Wildfremde dazu und er macht dicht.«

Ich lege die Stirn in Falten. »Wieso starren die Leute ihn an?«

Justin lacht und holt tief Luft.

Rich verdreht die Augen. »Oh, lassen Sie ihn bloß nicht davon anfangen. Es ist seine Lieblingsgeschichte. Die …«

»… Helden von Heart’s Edge!«, beendet Justin für ihn. Seine Augen leuchten.

Ich hebe fragend eine Braue.

Er ist höchstens ein paar Jahre älter als ich, vielleicht knapp dreißig, doch in seinem jungenhaften Grinsen spiegelt sich definitiv die Heldenverehrung eines großen Fans. »So nennen sie sie in den Zeitungen. Sie machen noch immer Schlagzeilen. Hat dafür gesorgt, dass manch einer wieder an Helden glaubt.«

»Schlagzeilen über was?«, frage ich verblüfft und neige mich an Justin vorbei, um Blake nachzublicken, dessen Silhouette langsam mit dem fallenden Schnee und der nächtlichen Dunkelheit verschmilzt und durch die Glasscheibe kaum mehr erkennbar ist.

»Mhm, mal überlegen …« Justin legt den Kopf schief, spitzt nachdenklich die Lippen und zählt an den Fingern ab. »Berühmt-berüchtigten Arzneimittelkonzern zerschlagen, eine allerübelste Forschungsgesellschaft gestoppt, bevor sie die ganze Stadt umgebracht hat, und sie dann daran gehindert, uns abzufackeln …«

Ich starre ihn an, mein Herz hüpft ein wenig schneller. »Okay, wow. Die Touristenführer haben mich vor nichts davon gewarnt. Ich dachte, Heart’s Edge sei bloß ein verschlafener, friedlicher Ort?«

Justin klopft mir grinsend auf die Schulter. »Ach was, machen Sie sich keinen Kopf. Seit Herbst sind wir im Nullkommanichts wieder eine verschlafene Kleinstadt geworden. Hier passiert Ihnen schon nichts.«

»Außer einem vorübergehenden Anfall von Langeweile«, setzt Rich nach. »Die einzige große Party für die nächsten paar Monate ist der Winterkarneval. Ansonsten gibt es bloß diese Schickeriatypen, die für ein, zwei Monate einen auf Landleben machen wollen, bis sie die beschissene Internetverbindung satthaben.«

Ich lache. »Ich mach mir nicht wirklich Sorgen, solange Netflix funktioniert.«

»Könnte nach den ersten schweren Schneefällen kurzzeitig nicht funktionieren sein, so wie alles andere«, meint Rich. »Aus irgendeinem Grund spielen die unterirdischen Internetkabel um diese Jahreszeit verrückt. Aber normalerweise ist es nach ein bis zwei Tagen wieder okay.« Er zieht Justin am Arm. »Komm, Alter. Die kleine Lady hatte eine anstrengende Nacht. Gönn ihr ein bisschen Ruhe.«

Er richtet sich wieder an mich. »Ich werde Ihren Van morgen früh holen und in die Stadt abschleppen. Sie kommen zu Mitch’s, wenn Sie auf sind. Warren oder Hay werden Sie bestimmt in die Stadt fahren. Fragen Sie nach mir.«

Irgendwie wünsche ich mir, ich könnte Blake bitten, mich zu fahren.

Es ist schwer, diesem Mysterium von Mann zu widerstehen.

Diese Wärme und Freundlichkeit, als er im Radio sprach, und dann die weiche, fast vertrauliche Art, wie er gesprochen, mir gut zugeredet und mich beruhigt hat. Wie melodisch er meinen Namen gesagt hat, als käme ein Musikakkord über seine Lippen.

Bloß um kalt und grimmig und distanziert zu werden, sobald ich seinen Schmerz bemerkte.

Er lässt mich an ein Lied denken, das sich um einen Mann dreht.

Melodie in seinen Bewegungen.

Raue Lyrik in jedem seiner Atemzüge.

Mich hat seit Längerem keine Muse geküsst. Vielleicht könnte er mein zündender Funke sein.

Selbst als ich Justin und Rich mit meinen Dankesbezeugungen verscheucht habe, bleiben meine Gedanken wie gebannt an Feuerwehrchef Blake hängen.

An der schmerzvollen Dissonanz in seiner Musik, und was ich tun könnte, um sie herauszukitzeln, bis er wieder in Harmonie ist.

Ich sollte mir einen Mietwagen nehmen, solange sie meinen Van in der Werkstatt reparieren, falls das überhaupt möglich ist.

Einen Leihwagen nehmen, einsteigen und die Stadt ein bisschen mehr erkunden …

Und hoffen, dass ich meinem dunklen Ritter in der schwer entflammbarer Rüstung vielleicht zufällig noch einmal begegne.

Wir werden einfach sehen, ob wir noch einmal neu anfangen können, und diesmal auf dem richtigen Fuß.

II: Aus dem Takt (Blake)

Verdammt, bin ich ein Idiot.

Da war diese hübsche Kleine, die es darauf angelegt hat, irgendwas mit meinem verhunzten scheiß Bein zu machen.

Und ich hatte nichts Besseres zu tun, als ihr die Zähne zu zeigen wie ein tollwütiger Hund und sie zu verscheuchen.

Ich meine, fuck.

Es ist ihr beschissener Job, und wenn sie darin gut ist, müsste ich offiziell ein Volltrottel sein, sie nicht beim Wort zu nehmen.

Schätze, ich bin dämlich.

Auch weil ich keine Ahnung habe, wie ich diesen Feuerwehrtruck einparken soll, ohne ihm eine Beule zu verpassen, denn mein Bein ist so verkrampft, dass es sich nicht mal ausstrecken lässt.

Scheiße.

Zumindest kann ich Gas und Bremse mit meinen rechten Fuß bedienen, aber ich bin erschöpft. Nicht nur heute Abend. In den letzten Jahren haben sich die Katastrophen überschlagen. Zuerst der gute alte Warren und die Drogen, dann Doc und Galentron, dann Tiger – ich meine, Leo – und wieder Galentron.

Es reicht, dass ein Mann sich die Decke über den Kopf ziehen und nie mehr aus seinem bequemen Bett aufstehen will. Allerdings, wenn ich bedenke, dass ich der Typ bin, der dafür sorgt, dass Heart’s Edge nicht noch einmal abfackelt, kenne ich diesen Luxus nicht.

Mein Oberschenkel macht mich halb wahnsinnig, als ich endlich den Truck einparke und den Motor abwürge.

Ich muss morgen den Wartungscheck durchführen lassen.

Im Moment brauche ich mein Bett, plus eine Vicodin oder auch ein Dutzend.

Am meisten brauche ich mein Zuhause und meine Tochter.

Nicht irgendeine naive Weltverbesserin, die in diesem Ort gelandet ist, als wäre er ein beschissener Mädels-Magnet und als hätte irgendein nackter kleiner Posaunenengel beschlossen, dass ich an der Reihe sei.

So haben sie bereits Warren und Doc an den Eiern gekriegt:

junge Frauen in kaputten Autos.

Eine schöne Scheiße ist das hier manchmal, Alter.

Schöne Scheiße.

Ich beiße die Zähne zusammen, schiebe mich aus der Fahrerkabine – und breche halb zusammen.

Mein Bein macht schon seit Monaten Ärger, das ist nichts Neues für mich, aber heute Abend? Langsam reicht es.

Gott sei Dank ist keiner da, der mich so sieht. Ich habe die Jungs abgesetzt, nachdem ich mich selbst ausgetrickst hatte, indem ich Peaces Massage ablehnte.

Ich stütze mich mit einer Hand an der Wagentür ab, und mein gutes Bein drückt mich wieder hoch. Währenddessen baumelt dieses verdammte Verräterteil nutzlos an meiner Hüfte und brennt, als hätte ich es in heiße Lava getaucht.

Gewöhnlich ist es nicht so schlimm. Ich habe das Bein schon viel stärker beansprucht, aber noch nie hat es so gelodert vor Schmerzen.

Heute habe ich mich jedoch den ganzen Tag mies gefühlt.

Stöhnend sinke ich auf das Trittbrett und lehne meinen Rücken gegen den kalten Stahl des Fahrzeugs. Ich presse meine Faust gegen meinen Oberschenkel und fühle durch den Overall die dicke, pochende Narbe.

Eine verfluchte Splitterbombenverletzung, vor über zehn Jahren.

Schätze, ich kann froh sein, dass ich das überlebt habe.

Wenn man das Überleben nennt.

Manchmal holt mich dieser brennende Schmerz reflexartig zurück in den verhängnisvollen Tag unter der heißen afghanischen Sonne. Überall spritzte Blut, während Menschen von einer Splitterbombe zerfetzt wurden. Ich hatte das Gefühl, in einem Bienenschwarm zu stehen, scharfe Stacheln bohrten sich in meine Haut, ritzten kleine blutende Kratzer in mein Gesicht, meine Arme, meine Brust.

Der Stachel, der mich richtig traf, war weniger wie eine Biene und dafür mehr wie eine Kugel. Eine Explosion von Höllenschmerzen, als sich ein glühendes Metallteil in meinen Oberschenkel grub.

Es sollte sich nicht mehr so real anfühlen. Nicht nach all den Jahren.

Aber auch wenn die Wunde vernarbt ist, auch wenn der Geruch von meinem eigenen Blut nur eine tiefsitzende Erinnerung ist …

Manchmal schmerzt sie, als wäre sie nie verheilt.

Manchmal schmerzt es auch, als wäre es nie verheilt.

Mist.

Langsam dämmert es mir. Ich weiß jetzt, was mit mir los ist.

Ich lege den Kopf in den Nacken, starre in den schneegesprenkelten Himmel und atme den frischen Geruch ein. Das macht einen klaren Kopf und lässt mich zur Ruhe kommen, dabei klopfe ich auf den verhärteten Muskel, bis er anfängt zu entspannen, so dass ich mich nach Hause schleppen kann.

Ich habe nicht vergessen, was heute ist.

Es ist Abigails Todestag.

Heute sind es vier gottverfluchte Jahre.

Vier Jahre, und ich weiß immer noch nicht, wie ich damit umgehen soll, die Mutter unserer gemeinsamen Tochter zu verlieren und die Frau, die versprochen hatte, mein Leben für immer perfekt zu machen, und die mir stattdessen die Hölle auf Erden bereitete.

Wie trauert man, wenn man sich nicht mehr liebt, aber ein gemeinsames Kind hat?

Wenn sie möglicherweise nicht die Eine gewesen ist, aber ganz sicher jemand?

Es ist, als ob diese Frage in dem ganzen Schmerz in meinem Körper verkapselt wäre, und jedes Mal, wenn ich dagegen rebelliere, verkrampft sich mein Bein bloß schlimmer. Und gibt mir zu verstehen, wie sehr es mir wehtun muss.

Aus meinem Herzen bin ich nie schlau geworden, also staut sich der ganze Schmerz in meinem Körper an.

Ich weiß nicht, wie lange ich hier auf der Feuerwache bleibe. Irgendwie habe ich das Zeitgefühl verloren, als der Anruf einging von diesem hübschen Rotschopf mit den lila Haarspitzen und den grünen Augen, der sie aussehen lässt wie pure Erotik.

Peace.

Peace halt mich fest, Brokkoli – sorry, nein. Rabe.

Wer zum Teufel gibt seiner Tochter den Namen Peace?

Wahrscheinlich derselbe Typ Mensch, der ein Mädchen großzieht, die Mountain Trucking in einem Van machen würde, der um einiges älter aussieht als sie und mit handgemalten Blumen in strahlenden Knallfarben bedeckt ist.

Die Kleine sieht aus, als könnte sie nicht älter als Jahrgang 1990 sein, aber sie hat es echt drauf.

Sieht aus, als hätte sie Spaß daran, nackt mit Henna bemalt in einem Hexenzirkel herumzutanzen oder so, mit Blumenkränzen im Haar und um ihre Handgelenke und Fußknöchel und …

… ich sollte nicht an eine nackte Fremde denken.

An eine verflucht gut gebaute, süße, schlagfertige Fremde mit einem zierlichen Körper und einem hübschen, fröhlichen Gesicht.

Keine Entschuldigungen.

Auch wenn es eine arschlange Zeit her ist.

Ich bin froh, als mich das Summen des Handys aus meinen Gedanken reißt. Ich ziehe es aus der Tasche, lese den Text – und stöhne auf.

Wie bescheuert ist das denn? Dad, du warst hier und bist ohne mich wieder gefahren?

Oh Hölle.

Ich habe vergessen, dass Andrea im »Charming Inn« ist und bei Haley Zeichenstunden nimmt. Ich sollte sie dort abholen.

Ich sehe auf die Uhr.

Mist.

Vor ungefähr zwanzig Minuten.

Okay, mein Bein macht schwer Ärger, aber das braucht sie nicht zu wissen. Das geht keinen etwas an und schon gar nicht mein kleines Mädchen.

Sie ist sechzehn.

Ich will nicht, dass sie sich zu viele Gedanken macht, weil ich hier der alleinerziehende Vater bin, außerdem hat sie genug am Hals.

Wenigstens geht es mit meinem Bein halbwegs wieder, als ich mich hochziehe. Der Obberschenkel brennt zwar wie Hölle, aber er lässt sich belasten, als ich mich zu meinem alten Militärjeep schleppe.

Das Wagendach ist mit Schnee bedeckt. Ich fege ihn runter, bevor ich mich hinter das Steuer klemme, die Scheinwerfer einschalte und in die Nacht hinausfahre, um meine Tochter aufzusammeln.

Es ist eine knappe Meile Fahrt, vorbei an den Außenbezirken der Stadt und zurück zum »Charming Inn«.

Ich rede mir ein, dass ich nicht hinsehe, als ich an dem Gelände mit den Blockhäusern vorbeifahre.

Ich schwöre, ich gebe nichts auf das Licht, das noch in einer Fensterreihe brennt.

Überhaupt nichts.

Als ich vor dem Haupthaus bremse, wartet Andrea bereits draußen mit Haley und Ms. Wilma. Sie strahlt und unterhält sich lebhaft mit Haley, ihren Skizzenblock an ihre Brust gedrückt, während Ms. Wilma sie mit einem freundlich amüsierten Ausdruck auf ihrem faltigen Gesicht beobachtet.

Andrea dreht sich wie ein Kreisel und wirft dabei lachend die Arme hoch.

Ich kenne eine Menge junger Mädchen, die dazu erzogen wurden, sich klein zu machen. Nicht zu viel Raum einzunehmen.

Ich liebe meine Tochter, weil sie Raum einnimmt.

Sie hat keine Angst, ihre Präsenz zu zeigen und sie selbst zu sein, mit ihrer wilden Mähne und den halb geschorenen Haaren, die an den Spitzen meistens pink sind, und das knallige Violett darunter macht sie zu meiner kleinen Violet.

Ein tapferes Veilchen, und ein helles Köpfchen.

Als sie aufblickt und mich vorfahren sieht, verdunkelt sich ihre eben noch strahlende Miene.

Seufzend reibe ich mir mit einer Hand übers Gesicht.

Ich liebe meine Tochter, aber sie ist ein sechzehnjähriges Mädchen, das seinen Dad für die megagrößte Peinlichkeit auf dem Planeten hält. An ihrem Gesichtsausdruck erkenne ich bereits, dass ich in Schwierigkeiten bin, bevor sie überhaupt ins Auto steigt.

Ich habe mich nicht getäuscht.

Sie kommt die Stufen heruntergetrampelt in diesen hohen Springerstiefeln – keine Ahnung, wo sie die dicken, klobigen Dinger herhat, und verdammt, sie schnürt sie nie und wird sich irgendwann selbst umbringen – und schmeißt sich in den Wagen.

Dann drückt sie sich sofort in eine Ecke, um aus dem Fenster zu starren.

Okay.

Dann eben kein Gespräch.

Heute Abend werde ich mit Schweigen gestraft.

Ich warte ab, ob es gleich vorbei ist, dann winke ich Hay und Ms. Wilma freundlich zu, bevor ich aufs Gas drücke und den Jeep wieder in Richtung Stadt steuere.

Das Schweigen liegt wie Blei über uns.

Ich wüsste gern, was zur Hölle ich diesmal falsch gemacht habe, aber ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher, ob das irgendwas ändern würde.

Als wir in die Stadt zurückkommen und der Schriftzug vom »Brody’s« wie ein zweiter Mond über der Hauptstraße leuchtet, spähe ich zu ihr hinüber. Unter ihrem dünnen, ausgefransten Baumwollrock trägt sie dicke schwarze Wollstrümpfe, die an den Knien zerrissen sind.

»Andrea, du musst diese Strümpfe entweder stopfen, oder ich kauf dir neue«, seufze ich. »Es ist Winter.«

Ich sehe ihr Profil und nehme undeutlich wahr, dass sich ihr Gesicht mürrisch verzieht. »Ich mag sie so, wie sie sind.«

»Willst du dir unbedingt die Kniescheiben abfrieren?«

»Mir ist nie kalt, klar?«, schnappt sie. »Ich bin okay. Du bist nicht Mom, also hör auf, mich ständig zu bemuttern.«

Aha. Jetzt kommt’s raus. Hat nicht lange gedauert.

Das ist der wahre Grund, warum sie schlecht drauf ist, und heute Abend kann ich ihr das weiß Gott nicht verdenken.

Seit vier Jahren ist mein kleines Mädchen sauer auf Abby, weil sie von uns gegangen ist, und auf mich, weil ich ihr erhalten bleibe.

Ich denke, sie wäre vielleicht genauso zu Abigail, wenn ich derjenige gewesen wäre, den Andrea tot auf dem Boden gefunden hätte. Sauer auf mich, weil ich weg bin, und auf ihre Ma, weil sie noch da ist. Keine Ahnung.

Eigentlich will sie ihre ganze Familie zurück, auch wenn wir uns schon vor Abbys Unfall irgendwie auseinandergelebt hatten.

»Hey«, versuche ich einzulenken. »Wollen wir noch kurz ins ›Brody’s‹? Sie haben ihre Milchshake-Maschine repariert, so dass sie wieder die extracremigen Shakes machen können und –«

»Ich hab schon mit Haley gegessen«, pampt sie mich an. »Und keine Zeit. Ich muss Hausaufgaben machen.«

»Ist auch ziemlich spät«, räume ich ein. »Tut mir leid, dass ich dich erst jetzt abgeholt habe. Hatte noch einen Notruf.«

»Ja, hab ich gehört«, schnaubt sie. »Es war im Radio.«

Ich zucke zusammen. Sie mag meine Sendung nicht, aber verdammt, ich brauche irgendwas, um mich zu beschäftigen. Es war seinerzeit Warrens Idee, um mich abzulenken.

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es mir irgendwann Spaß machen würde.

Die halbe Zeit rufen Leute an, um mich zu verscheißern, aber so läuft das hier in Heart’s Edge.

Jeder kennt jeden, und wir blödeln gern mal herum.

Das unterhält die Leute.

Mich hält es beschäftigt, Fragen zu beantworten über Beziehungen oder die letzte Bigfoot-Sichtung, da die Legende von Nine keine große Sache mehr ist.

Hin und wieder helfe ich Leuten tatsächlich. Kann nicht sagen, dass mir das etwas ausmacht. Auch wenn es mein Kind höllisch nervt.

Ich warte ein paar Sekunden ab, bis sich die Wogen zwischen uns ein wenig geglättet haben, dann versuche ich es erneut: »Wenn du Hilfe brauchst bei deinen Hausaufgaben –«

»Ich komme klar.« Sie lässt mich nicht einmal meinen Satz beenden. »Ich habe nur Einsen. Ist alles Babykram. Ich brauche keine Hilfe. Und vor allem kann ich darauf verzichten, dass du diesen blöden Scheiß machst.«

»Hey verdammt, pass auf, was du sagst.«

»Oh, das ist spitze. Ich soll nicht fluchen, aber du!« Wütend wirft sie mir einen scharfen, harten Blick zu. Sie hat die hellbraunen Augen ihrer Mutter, und sie funkeln bernsteinfarben, wenn sie sauer ist wie jetzt. »Ich weiß, was du versuchst. Okay. Ich weiß es. Es ist der Tag. Dieser Tag. Du versuchst, wiedergutzumachen, dass Mom tot ist, aber das kannst du nicht, und ich hasse es, wenn du es versuchst. Also hör auf damit. Lass mich in Ruhe, Dad. Wenn ich jemanden zum Kuscheln brauche, habe ich dafür Mr. Fucking-Zisch.«

Ich kann sie nicht mal für das F-Wort anmachen.

Nicht wenn mich ihre Worte wie eine Tonne Backsteine treffen und mehr wehtun als das Hämmern in meinem Bein.

Wenn ich den Blick nicht auf der Straße halten müsste, würde ich meine Augen zukneifen gegen den Schmerz.

Gottverdammt, meine Tochter weiß, wie man Schläge austeilt.

Keine Ahnung, was mehr wehtut.

Dass sie mit so viel Verachtung auf mich blickt … oder dass sie sich lieber halb zu Tode quetschen lassen würde von ihrer Albino Boa constrictor, statt eine Umarmung und ein bisschen Trost von ihrem alten Herrn anzunehmen.

Ich weiß nicht, was ich ihr antworten soll.

Also sage ich bloß: »Okay, Andrea. Wie du meinst.«

Manchmal kann man nur eins tun, nämlich Leuten ihren eigenen Kopf lassen. Besonders wenn sie sechzehn sind und ihre Gefühle Achterbahn fahren.

Ich möchte das für sie in Ordnung bringen. Ich möchte alles in Ordnung bringen.

Aber mit einer Sache hat sie recht – ich kann’s nicht.

Deswegen respektiere ich ihren Wunsch, auf ihre Weise zu trauern.

Und versuche, mich mühsam auf meine Weise durch diesen Mist zu arbeiten.

***

Danach reden wir auf der Rückfahrt kein Wort mehr miteinander.

Meinetwegen. Ich habe andere Dinge im Kopf neben meiner durchgeknallten Tochter und meinem brennenden Bein, als ich in unsere Einfahrt biege. Meine Scheinwerfer gleiten über das Auto, das auf einer Seite geparkt steht.

Ein schöner Wagen. Ein Benz, anscheinend brandneu, in glänzendem Schwarz.

Ich hab keinen Schimmer, wem der gehört.

Doch ich bekomme die Antwort eine Sekunde später, als meine Scheinwerfer auf der Veranda eine vertraute Gestalt erhellen. Der Atem strömt wie kalter Rauch aus seinem Mund.

Es ist jemand, den ich jahrelang nicht gesehen habe und der dort herumlungert wie Luzifer persönlich, gekommen, um eine Schuld einzufordern.

Holt.

Scheiße.

Das hat mir heute Abend noch gefehlt.

Ich warte nicht auf Andrea. Ich parke den Jeep, reiße die Tür auf und merke nicht einmal den Schmerz, als ich herausspringe und zur vorderen Treppe stapfe.

»Nein«, blaffe ich, bevor mein Bruder auch nur ein einziges Wort herausbringt. »Egal, was du willst, die Antwort ist immer Nein.«

Ich habe schon eine Schlange im Haus.

Jetzt habe ich noch eine auf meiner verdammten Veranda.

Holt bewegt sich sogar wie eine Schlange. Die biblische Sorte. Wir sind fast gleich groß, nur ein paar Jahre auseinander, und damit endet jede Ähnlichkeit.

Halbbrüder sind wir genau genommen, und er kommt nach dem nichtsnutzigen Wichser, der eines Nachts die Stadt unsicher machte und unsere Single-Mama schwängerte. Holts Haar ist dunkel wie die Nacht und unterstreicht die scharf geschnittenen, herben Gesichtszüge, wie gemacht für das lässig hinterhältige Raubtiergrinsen, das er gerade auf mich richtet.

»Du weißt doch gar nicht, was ich will«, sagt er. Er strafft sich katzenhaft geschmeidig und hebt seine Hände. »Jedenfalls solltest du wissen, dass ich verdammt nochmal nichts von dir will.«

»Du willst immer irgendwas«, knurre ich, obwohl die Beifahrertür des Jeeps hinter mir zuschlägt und ich registriere, wie Andrea sich hinter uns bewegt. »Den Tag möchte ich sehen, wo du mal nicht die Hand aufhältst.«

»Onkel Holt?«, sagt Andrea leise. »Bist … bist du das?«

Holts Augen schnellen an mir vorbei. Sie sind so blassbraun, dass sie in der Verandabeleuchtung leicht gelblich-golden schimmern.

Wie ich schon sagte.

Der verdammte Typ ist eine Schlange.

»Hey, Kleines«, sagt er mit einem fast schuldbewussten Lächeln und breitet die Arme aus. »Wow, bist du gewachsen. Komm und drück deinen Onkel.«

»Nein«, blaffe ich erneut und schiebe mich zwischen meine Tochter und meinen Bruder. Vielleicht bin ich besitzergreifend, aber er hat die unangenehme Angewohnheit, alles anzutatschen, was ihm nicht gehört, und es dann einzusacken. »Bleib von ihr weg. Sag mir, was zum Teufel du willst, und dann verschwindest du.«

»Jesus, Dad«, zischt Andrea hinter mir. »Du bist ätzend.«

»Danke für das Kompliment«, zische ich zurück. »Holt, rede. Du hast sechzig Sekunden, und das ist echt großzügig von mir.«

Holt seufzt. »Können wir das nicht drinnen machen?«

»Du bist nicht willkommen in meinem Haus.«

»Ach komm. Du hältst mich wohl für scheiß Dracula. Als ungebetener Gast darf ich nicht rein.«

»Kommt hin«, blaffe ich zurück. »Du saugst alles aus, was du in die Finger kriegst.«

»Fies«, sagt er. Er hebt eine Braue und schiebt eine Hand in die Tasche seiner schwarzen Biker-Lederjacke. »Besonders, weil ich hier bin, um dir das zu geben.«

Er reicht mir ein gefaltetes Stück Papier.

Stirnrunzelnd nehme ich es, schnippe es auf – und kapiere langsam, worauf ich da starre.

Ein Scheck.

Über fünfhunderttausend Dollar, unterzeichnet von der Anwaltskanzlei, die Moms Vermögen verwaltete, nachdem …

Ja.

Letztes Jahr.

Es ist mir wohl nicht vergönnt, dass die Leute um mich herum ein langes Leben haben.

Vielleicht bin ich deswegen so psycho-beschützerhaft mit Andrea.

Und vielleicht bin ich deswegen nicht interessiert an einer hübschen Rothaarigen mit einem Hauch Lila im Haar, die mich anzumachen versucht. Brauch nicht noch mehr Probleme.

Mist, so wie ich Holt einen Vampir nenne, bin ich selbst wie der Kuss des Todes.

Und dieser Scheck fühlt sich furchtbar nach Blutgeld an.

Meine Kinnlade wiegt gefühlt eine Tonne, als ich zu Holt hochsehe. »Sie hat alles dir vermacht. Keine Ahnung, wieso zum Henker du mir das gibst.«

»Weil es richtig ist, so zu handeln, Blake«, erklärt Holt ruhig.

»Bullshit. Du würdest das Richtige nicht erkennen, selbst wenn es an dir hochspringen und dich am Arsch kriegen würde.« Ich zerknülle den Scheck in meiner Faust – dann überlege ich es mir anders. Ich falte ihn auseinander und reiße ihn in kleine Streifen, die ich mittig noch einmal durchreiße. »Du versuchst, Vergebung zu erkaufen. So leicht bin ich nicht zu bestechen.«

»Verdammt, Mann«, knurrt Holt, er verfällt kurz in seinen alten Kleinstadtdialekt und legt seufzend den Kopf in den Nacken. »Du bist deswegen noch immer sauer auf mich?«

»Sie war meine Frau –«

»Und es war bereits vorbei. Die Tinte auf den Papieren war noch nicht ganz getrocknet«, gibt er zurück. »Es ist nichts passiert. Und du verstehst die Situation nicht –«

»Hört ihr jetzt endlich auf?«, presst Andrea heraus, ihre Stimme schwer vor Emotion.

Holt und ich verstummen und drehen uns zu ihr.

Sie steht auf den Stufen, ihr Gesicht ist tränenüberströmt und zu einer wütenden Grimasse verzerrt, ihre Finger krallen sich in den Skizzenblock. Sie funkelt uns an.

»Sie war meine Mom«, stammelt sie. »Ihr steht da und streitet wegen meiner Mom, und sie ist tot. Und deine Mom ist auch tot, Dad? Ich hatte … ich hatte eine Großmutter, von der ich nichts wusste? Und du hast mir nie gesagt, dass sie gestorben ist? Und jetzt streitet ihr über scheiß Geld, als wenn das alles wäre, was zählt?« Ihre Lippen beben. »Arschlöcher! Ihr seid beide Arschlöcher, und ich hasse, dass ich mit euch verwandt bin.«

Bevor einer von uns etwas sagen kann, drängt sie sich an Holt vorbei und rennt über die Veranda. Es folgt ein hektisches Klimpern ihrer Hausschlüssel, und ich höre ein Schniefen, ein gepresstes Luftholen, das ein Schluchzen sein könnte.

Dann verschwindet sie im Innern, um vor uns zu flüchten.

Ich Idiot.

Ich denke, ich verschwinde ebenfalls.

Holt sieht mit gerecktem Kopf über seine Schulter, bevor er wieder zu mir blickt, mit einem kleinen, beinahe zerknirschten Lächeln, das ich an ihm so nicht kenne.

»Tja, sie hat nicht unrecht«, sagt er weich. »Vielleicht hab ich es falsch angefangen. Ich hätte warten sollen, bevor ich –«

Ich hole tief Luft und lasse die Scheckschnipsel durch meine Finger flattern. »Ich will, dass du gehst. Sofort«, schnappe ich. Ich bin ruhiger, aber immer noch stocksauer. »Ich hab nicht den Nerv für diesen Mist, Mann. Es ist absolut nicht der Tag für so was. Ich kann mich nicht mit dir und deinem Scheiß befassen, Holt. Verschwinde.«

Ich rechne halb damit, dass er argumentiert. Dass er irgendetwas Schmieriges, Aalglattes sagt, um mich zu überzeugen.

Ärgerlich halte ich eine Faust hoch, bereit, ihm eine reinzuhauen, sollte er mir pampig kommen.

Aber er nickt bloß und sieht mich dabei sonderbar an. »Okay, Blake. Okay.«

Seufzend tritt er zurück, um von der Veranda zu gehen, dabei streift er meine Schulter. Dann, nur einen Schritt hinter mir, bleibt er stehen und dreht sich um.

»Es tut mir leid«, weht es so leise und erstickt zurück, dass ich es kaum höre. »Ich wollte dich nicht verletzen. Nicht heute Abend oder … jemals.«

Ich weiß nicht, was ich tun soll.

Ich weiß es einfach nicht.

Also sage ich nichts.

Ich höre bloß, wie Holts Schritte über den Kies knirschen, bevor die Tür seines Schickimicki-Autos zuschlägt und der Motor aufheult.

Das grelle Aufblenden der Wagenscheinwerfer wischt über mich hinweg, dass es mir kurz die Sicht nimmt, als mein Bruder wegfährt. Dann bin ich wieder allein.

***

Schätze mal, Holt ist nicht der Einzige, der heute Abend mit großen dramatischen Friedensangeboten scheitert.

Ich will bloß mit Andrea reden. Ohne dass meine Tochter Lust bekommt, mir ein Messer in die Eingeweide zu stoßen. Ich bin nicht zu stolz, um zuzugeben, dass ich nervös bin.

Um nicht zu sagen panisch.

Fuck, wenn ich meine Tochter jetzt nicht erreiche, wird sich dieser Riss zwischen uns weiter vertiefen.

Dann wird es nicht bloß am Todestag ihrer Ma sein, dass sie zu wütend ist, mich anzusehen.

Es wird jeden Tag so sein.

Und irgendwie werden wir so enden wie ich und meine eigene Ma, wie ich und Holt.

So weit auf Distanz, als wären wir nicht verwandt, mit nichts als tiefer Ablehnung zwischen uns.

Wenn Andrea erwachsen ist und selbst Kinder hat, möchte ich nicht, dass die Geschichte sich wiederholt.

Ich will nicht, dass sie mich lediglich als Beerdigungsanzeige kennen, die in der Post auftaucht, und erst erfahren, dass es mich gab, wenn ich schon wochenlang im Grab liege.

Hölle.

Mir ist schlecht. Es hält mich nicht davon ab, mit Nachdruck an Andreas Zimmertür zu klopfen.

»Violet?«, rufe ich leise. »Bist du wach?«

Für gewöhnlich reicht dieser Spitzname, dass sie mich anbrüllt, verdammt nochmal damit aufzuhören, und dass es voll peinlich ist, aber diesmal kommt nichts. Eisiges Schweigen.

Seufzend lege ich meine flache Hand auf die Tür und presse meine Stirn gegen das Holz.

»Komm schon, Kleines. Ich will bloß reden. Lass mich dir wenigstens Gute Nacht sagen. Ich werde bestimmt nicht mehr mit dir streiten. Dein großer blöder Dad will doch nur eine Umarmung.«

Wieder nichts.

Gottverdammmich.

Okay. Was soll’s.

Ich darf nichts übers Knie brechen.

Ich weiß ganz genau, wie Andrea tickt.

Wenn ich sie jetzt bedränge, wird das alles nur schlimmer machen und sie noch tiefer verletzen.

Deswegen werde ich ihr Zeit lassen, bis sie sich wieder gefangen hat, und morgen können wir dann vielleicht wie normale Menschen miteinander reden.

Verdammt, wenn ich bloß wüsste, wie ich auf sie zugehen soll. Es ist grotesk, ich bin Mf. Radio Man und das alles, rette den Leuten den Tag und helfe ihnen, in ihrem Leben aufzuräumen. Dabei bekomme ich nicht mal mein eigenes Leben geregelt.

Bei den Leuten, die Abend für Abend anrufen, um sich Rat bei mir zu holen, fällt mir immer etwas ein.

Doch wenn es um mein eigenes Kind geht, meine eigene Vergangenheit, bin ich leer.

Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn einem die Worte fehlen, wenn man sie am nötigsten braucht.

III. Wintersymphonie (Peace)

Ich sollte schlafen.

Es ist fast Mitternacht, und ich bin müde.

Ich bin dabei, meine Sachen in das zweite Schlafzimmer zu räumen, das ich als Arbeitsraum benutze, damit sich nicht alles im Wohnzimmer stapelt. Aber wenn ich ehrlich bin?

Ich bin ziemlich aufgewühlt nach dem heutigen Abend.

Klar, es war bloß eine kleine Panne. Das hätte jedem passieren können, der mit einem uralten Van herumdüst.

Ich bin es gewöhnt, unabhängig zu sein.

Ich mache die Dinge immer mit mir selbst aus, und wenn ich von Pontius zu Pilatus laufe und wieder zurück. Ich bitte nicht gerne um Hilfe.

Aber wenn ich heute Abend keinen an die Strippe bekommen hätte, wenn der gute alte Sheriff Langley nicht den Hörer in dieser verschlafenen Kleinstadt aufgenommen hätte, hätte ich wahrscheinlich zu Fuß zurückzulaufen müssen.

Bei Eis und Schnee.

Allein.

In einer Gegend, die ich nicht kenne.

Alles hätte mir da passieren können. Aber an so etwas mag ich gar nicht denken. Es weckt schlimme Erinnerungen.