No white Knight - Nicole Snow - E-Book

No white Knight E-Book

Nicole Snow

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Beschreibung

Attraktiv. Sexy. Smart. Ich habe ihn vom ersten Moment an gehasst…

Holt Silverton denkt tatsächlich, dass ich meine Ranch an ihn verkaufe, damit er ein Einkaufszentrum in Heart´s Edge bauen kann. No way! Seine schönen Worte und sein charmantes Gehabe kann er sich sparen, denn ich kenne seinen Ruf. Keine Frau, mit der er damals keine Affäre hatte, bevor er aus unserem kleinen Örtchen verschwand und Jahre nicht gesehen wurde. Jetzt ist er wieder da und meint mich umstimmen zu können. Aber ich werde meine Ranch, mein Land und meine Pferde niemals hergeben. Auch wenn die Steuerschulden meines verstorbenen Vaters mir die Luft zum Atmen nehmen.

Leider gibt zwei Dinge, mit denen ich nicht gerechnet habe: Holt ist stur wie ein Stier und hinter seinem Designeranzug verbirgt sich noch immer der raue und stürmische Junge vom Land. Und er möchte mir angeblich helfen, mein Schuldenproblem zu lösen. Aber das darf ich nicht zulassen, denn dann würde er das dunkle Geheimnis entdecken, das ich seit Jahren hüte. Und das wäre mein endgültiger Untergang ...

Der sechste Teil der großen "Heroes of Heart´s Edge" Reihe!

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Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Attraktiv. Sexy. Smart. Ich habe ihn vom ersten Moment an gehasst …

Holt Silverton denkt tatsächlich, dass ich meine Ranch an ihn verkaufe, damit er ein Einkaufszentrum in Heart´s Edge bauen kann. No way!

Seine schönen Worte und sein charmantes Gehabe kann er sich sparen, denn ich kenne seinen Ruf. Keine Frau, mit der er damals keine Affäre hatte, bevor er aus unserem kleinen Örtchen verschwand und Jahre nicht gesehen wurde. Jetzt ist er wieder da und meint mich umstimmen zu können. Aber ich werde meine Ranch, mein Land und meine Pferde niemals hergeben. Auch wenn die Steuerschulden meines verstorbenen Vaters mir die Luft zum Atmen nehmen.

Leider gibt zwei Dinge, mit denen ich nicht gerechnet habe: Holt ist stur wie ein Stier und hinter seinem Designeranzug verbirgt sich noch immer der raue und stürmische Junge vom Land. Und er möchte mir angeblich helfen, mein Schuldenproblem zu lösen.

Aber das darf ich nicht zulassen, denn dann würde er das dunkle Geheimnis entdecken, das ich seit Jahren hüte. Und das wäre meine endgültiger Untergang …

Der sechste Teil der großen »Heroes of Heart´s Edge« Reihe!

Über Nicole Snow

Nicole Snow ist eine Wall Street Journal und USA Today Bestseller Autorin. Sie entdeckte ihre Liebe zum Schreiben, als sie sich in ihren Mittagspausen oder in langweiligen Büromeetings Liebesszenen ausdachte und sich in Liebesgeschichten wegträumte.

Im Mittelpunkt von Nicole Snows Büchern stehen sexy Alpha-Helden, viel Spannung und noch mehr Leidenschaft.

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Nicole Snow

No White Knight – Holt

Übersetzt dem amerikanischen Englisch übersetzt von Beate Darius

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Newsletter

I. Wilde Pferde (Libby)

II. Ernstzunehmende Pferdestärken (Holt)

III. Schwing die Hufe (Libby)

IV. Mustang Sally (Holt)

V. Einen Esel zum Brunnen führen … (Libby)

VI. Wieder im Sattel (Holt)

VII. Auf die Sprünge gekommen (Libby)

VIII. Das richtige Pferd (Holt)

IX. Halt die Zügel im Zaum (Libby)

X. Einen Hals haben wie … (Holt)

XI. Runter vom hohen Ross (Libby)

XII. Schau einem geschenkten Gaul ins Maul (Holt)

XIII. Heu machen (Libby)

XIV. Wenn die Pferde durchgehen (Holt)

XV. Pferdchenspiel (Libby)

XVI. Vier Reiter (Holt)

XVII. Außenseiter (Libby)

XVIII. Ein Pferd in diesem Rennen (Holt)

XIX. Persönliches Rodeo (Libby)

XX. Mich tritt ein Pferd (Holt)

XXI. Auf einem Problem herumreiten (Libby)

XXII. Das Pferd von hinten aufzäumen (Holt)

XXIII. Zügle dein Temperament! (Libby)

XXIV. Zeit, etwas zu berappen (Holt)

XXV. Keine zehn Pferde … (Libby)

Längerer Epilog: Auf der Weide grasen (Holt)

Impressum

I. Wilde Pferde (Libby)

Sag einem Mädchen, dass es drei Wünsche frei hat, und ich werde dir zwei von ihnen direkt nennen.

Ich hätte auf Dad hören sollen.

Und ich hätte wegbleiben sollen.

Das ist der einzige Gedanke, der mir im Kopf herumschwirrt, als ich vorsichtig blinzelnd dieses grässliche, staubbedeckte Bild in mich aufnehme.

Ich darf nicht zulassen, dass jemand diesen Ort findet.

Ich wünschte, jemand hätte mich davor bewahrt.

Und mir bleibt kaum Zeit Atem zu holen, zu verschwinden, ein schmerzvolles Grinsen aufzusetzen und einfach so zu tun, als hätte ich das hier nie gesehen.

Gott sei Dank wissen meine Arme und Beine noch, was sie zu tun haben, während mein Gehirn wie leergefegt ist.

Ich schwinge mich wieder in den Sattel und ergreife die Flucht, als wäre eine wütende Hundemeute hinter mir her.

Ich bin allein.

Keiner hat mich hier gesehen. Unmöglich.

Trotzdem habe ich das Gefühl, dass die leeren Augen des Todes da drin mich verfolgen.

Zum Teufel mit Wünschen! Ich bin alt genug, um zu wissen, dass sie sich nicht erfüllen.

Die Zügel meines Pferdes fest umklammernd und in wildem Trab wünsche ich mir doch noch etwas auf der Flucht.

Dass niemand herausfindet, was sich am Ende der Nowhere Lane befindet.

Meinem Vater zuliebe.

Wegen der Farm.

Und meinetwegen.

***

Jeder Mensch besitzt Intuition.

Einige Leute schwören auf ihren Spinnensinn wie Spiderman. Bei anderen glühen die Ohren, wenn sie sich über einen guten Freund ernsthaft Gedanken machen. Manche behaupten, dass sie übersinnliche Fähigkeiten hätten, einen sechsten Sinn oder so.

Und ich?

Ich habe einfach einen Riecher für Ärger.

Wenn der mir sagt, dass etwas gewaltig stinkt, höre ich darauf.

Bei dieser Staubwolke, die da gerade vom Highway zu meiner Ranch herüberweht und die trockene Sommererde zu einem rötlichgelben Minitornado auftürmt, lassen Sie mich Ihnen eins sagen: Da macht meine Nase eine Menge mehr, als bloß zu kribbeln.

Sie brennt wie Feuer, weil ich großen Ärger wittere.

Eine Minute später biegt ein alter Ford Taurus in die Auffahrt draußen vor meinem Zaun und ich rechne nicht bloß mit Ärger, sondern mit einer Katastrophe.

Ich habe sie seit Jahren nicht gesehen, doch ich erkenne die Frau hinter dem Lenkrad auf Anhieb wieder.

Sie ist schließlich meine Schwester.

Und wo immer Sierra Potter auftaucht, ist Ärger vorprogrammiert.

An das sonnengewärmte Holz des Zaunes gelehnt, beobachte ich, wie sie den Wagen abstellt und aussteigt.

Schwesterherz sieht mich noch nicht. Das ist ziemlich offensichtlich, denn sie zupft und zuppelt an ihrer Kleidung herum, als fühlte sie sich unbeobachtet.

Sie hat sich herausgeputzt. Natürlich.

Aber wenn das schick sein soll, dann nur mit viel gutem Willen.

Ich sehe sofort, dass es ein Secondhand-Kleid ist. Der schrillpinke Fummel passt weder zu ihrem Hautton noch zu ihren mausblonden Haaren.

Blauäugige Blondinen haben für gewöhnlich keine knalligen Farben nötig, die einem in den Augen wehtun, aber … na ja, sie probiert es eben.

Ich habe bloß keinen Schimmer, wieso.

Wenn meine Schwester sich so viel Mühe gibt, will sie irgendwas.

Für eine Sekunde kaue ich an meiner Lippe und blinzle.

Ich hoffe, dass sie erwachsen geworden ist.

Ich hoffe, dass sie keine Hintergedanken hat.

Ich hoffe, dass ich es mit einer anderen Frau zu tun habe als der, die damals weggelaufen ist. Das hat mein Vertrauen zu Sierra nachhaltig angekratzt.

Während ich noch mit hoffen beschäftigt bin, stupst eine warme, samtige Nase gegen meine Schulter. Als ich mich reflexartig umdrehe, bekomme ich einen Schwall Heuatem ab.

Frosts schneeweiß gescheckter Kopf stößt mich mit einem leisen Wiehern an. Ich war mit meinem Tinker-Hengst unterwegs, um die Zäune zu kontrollieren, und lange genug abgesessen, dass ihm wohl langweilig geworden ist.

Mit einem kleinen Lächeln streichle ich seine Nüstern und über den kräftigen Hals.

»Mir gefällt es auch nicht, mein Großer. Lass uns mal sehen, was sie will, okay?«, murmele ich. »Dann werden wir sie in die Wüste schicken.«

Grausam? Wohl kaum.

Wenn Sie Sierra so kennen würden wie ich, würden Sie sie auch von Ihrem Grundstück jagen.

Manchmal ist Verwandtschaft ohne jede Bedeutung – ihr hat sie todsicher noch nie etwas bedeutet.

Frost wirft schnaubend seine Mähne zurück, heftig genug, um mir fast den Hut vom Kopf zu fegen.

Vermutlich stimmt er mir zu.

»Guter Junge«, flüstere ich mit einem Klaps auf sein Hinterteil. Ich schwinge mich wieder in den Sattel und der Hengst trottet los.

Tinker haben viele Vorzüge. Sie sind wunderschön mit ihren langen, üppigen Mähnen und dem dichten Fesselbehang, zudem sind sie kompakt und richtige Energiebündel.

Für ein Mädchen mit meiner Statur sind sie ideal.

Wir umrunden die Scheune und kommen in Sichtweite des Tors. Sobald wir auftauchen, dreht sich meine Schwester schnell um und setzt ein Lächeln auf, strahlend und künstlich, so klebrig wie Kaugummi und genauso widerwärtig pink wie ihr Kleid.

Igitt.

Sie hat immer versucht, sich so zu kleiden, als wüsste sie, was in den Metropolen angesagt ist. Blöd nur, dass wir nie in einer Großstadt gelebt haben, und nach ihrem Outfit zu urteilen, würde es mich überraschen, wenn sich daran etwas geändert hätte.

Außerdem würde man denken, dass sie in ihrem Leben noch nie ein Pferd gesehen hat.

Weil sie Frost beäugt, als würde er unter mir plötzlich einen Satz nach vorn machen, um sie wie ein Raubtier anzufallen. Während ich das Pferd zum Gatter lenke, koche ich innerlich.

Dort bleiben wir abwartend stehen.

Ich werde nicht absitzen, bis sie mir guten Grund dazu gibt.

Und ich werde diesen Zaun nicht passieren oder das Tor für sie öffnen.

Eigentlich ist es auch ihre Ranch, theoretisch.

Aber es ist mein Zuhause und Frosts Weideland.

Nicht ihres.

Später werde ich diesen Gedanken bereuen wie irgendeine gottverfluchte Prophezeiung.

Jetzt gerade steht Sierra großspurig da und erwartet eindeutig von mir, dass ich vom Pferd springe und sie mit einer dicken Umarmung begrüße. Eben das, was Geschwister, die sich nicht gegenseitig an die Gurgel gehen wollen, für gewöhnlich tun.

Doch je länger sich das Schweigen hinzieht, umso mehr verblasst ihr Lächeln, bis sie schmollend die Arme vor der Brust verschränkt.

»Echt jetzt, Libby? Du hast mich acht Jahre nicht gesehen und bist immer noch sauer auf mich?«

»Schätze, das wird auch so bleiben.« Ich stütze meine Hand auf meinen Schenkel, direkt neben dem Sattelholster für die abgesägte Schrotflinte, die ich immer bei mir habe, um Raubtiere zu verscheuchen. »Du hast bestimmt einen Grund herzukommen. Oder bist du bloß hier, um mich zu piesacken?«

»Ich lebe hier«, schnappt sie.

»Einen Teufel tust du.«

»In Dads Testament steht es so.« Ihr Lächeln kehrt zurück, triumphierend, und Angst sammelt sich in meiner Magengrube wie dicker Schlamm. »Mein Name steht da auch drin, Liberty Jane Potter. Und ich bin wegen meiner Hälfte von unserer Ranch hier.«

An dieser Stelle beginnt mein Konflikt.

Ein Teil von mir möchte einen kaltblütigen Mord begehen.

Der Rest von mir will ihr nicht die Genugtuung geben, mich explodieren zu sehen wie eine Atombombe.

Es ist deprimierend offensichtlich.

Verdammt, es hätte mir klar sein müssen.

Vor acht Monaten konnte Sierra es nicht einrichten, zu Dads Beerdigung nach Hause zu kommen, aber wenn sie ein bisschen Kohle braucht?

Natürlich befördert sie deswegen ihr falsches Plastiklächeln in ihrer beschissenen kleinen Karre hierher und taucht aus heiterem Himmel auf, von wo auch immer sie sich vor Jahren abgesetzt hat.

Ein Moskito, der auf eine nackte Ratte zuschießt, ist bestimmt nicht schneller als Sierra, wenn es um Geld geht.

»Das mit der Ranch kannst du knicken«, bringe ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Vor dir steht die Frau, die sie seit Jahren am Laufen hält. Diejenige, die sich auch um Dad gekümmert hat, als er krank war. Ist mir egal, was im Testament steht. Du nimmst mir jedenfalls nicht mein Zuhause weg!«

»Nun hab dich doch nicht so, Libby.« Sie seufzt mit einem theatralischen Augenaufschlag. Die Ich-mein-es-doch-nur-gut-Nummer hat sie drauf, das muss ich ihr lassen. »Ich bin auch hier, um dir zu helfen. Du weißt, dass der Ranch die Zwangsversteigerung droht, oder? Die Grundsteuer wurde jahrelang nicht bezahlt, und –«

»Und ich werde diesen Mist aus der Welt schaffen«, schnappe ich.

Sie blinzelt. Was hatte sie sonst erwartet?

Gott. Mein Nacken fühlt sich heiß an, und ich bin auf hundertachtzig, gereizter als eine in die Enge getriebene Klapperschlange.

»Na schön, wenn es sein muss, dann lass es uns rechtsverbindlich machen. Ich werde dir deine Hälfte der Ranch abkaufen. Du verkaufst mein Land jedenfalls nicht und machst meine Pferde heimatlos.«

»Unser Land«, korrigiert sie.

Heilige Hölle.

Am liebsten würde ich direkt vom Pferd springen und ihr eine knallen.

Wir sind immer so gewesen.

Wie Feuer und Wasser.

Es ist, als wären wir wieder Teenager, die sich anzicken, wer das letzte Stück Kuchen bekommt. Nur dass es jetzt um viel mehr geht als um Gebäck.

Sie setzt wieder dieses falsche Lächeln auf und stützt die Hände in die Hüften.

»Die Bank wird sie dir sowieso wegnehmen, sobald das Finanzamt denen aufs Dach steigt. Aber vorher wird sie versuchen, sie für einen Bruchteil ihres Werts zu kaufen«, sagt sie. »Und jetzt die gute Nachricht. Ich habe einen Käufer gefunden, der bereit ist, uns eine ganze Menge mehr zu zahlen, und er will sogar die volle Steuerlast übernehmen.«

Ich unterdrücke den Drang zu prüfen, ob mir schon Dampf aus den Ohren schießt.

Von allen dreisten, schwachsinnigen, demütigenden Vorschlägen ist dieser das Allerletzte.

»Ist mir egal. Leck mich mit deinem Käufer, Sierra!«, fauche ich.

»O, es wird dir nicht mehr egal sein, wenn die Bank bei dir vorstellig wird, Libby.«

Meine Hand zuckt.

Ihr Blick streift zu meiner Hüfte und sie rümpft die Nase.

»Denk nicht mal dran«, droht sie mit erhobenem Zeigefinger. »Ich habe meine Abschrift von dem Testament. Ich bin kein Eindringling auf meinem eigenen Besitz. Wenn du auf mich schießt, landest du im Gefängnis, und dann machst du nichts mehr, um mich am Verkauf zu hindern.«

Ich hasse es, dass sie recht hat.

Aber ich würde lieber sterben, als es zuzugeben.

Sierra mit verengten Augen musternd, schicke ich ein stilles Stoßgebet zum Himmel, dass sich der Boden unter ihren Füßen auftun und sie verschlucken soll, sage jedoch keinen Ton.

Irgendwas stimmt da nicht, und es ist nicht bloß ihre übliche Raffgier.

Sierra ist nicht der Typ, der Ahnung davon hat, worauf Steuern erhoben werden.

Sie würde bestimmt nicht über den Dokumenten brüten, um sich über unseren Besitz zu informieren.

Sie ist von zu Hause ausgerissen, als sie gerade mal siebzehn war.

Und hat dabei die letzten Erinnerungsstücke an unsere Mutter mitgehen lassen ‑ Moms kostbare Sammlung von Tiffanyglas ‑ und ist mit einem Typen durchgebrannt, der einen abgeranzten Van fuhr. Diese Karren, in denen es nach altem Schmieröl und billigem Gras und vergammelten Cheeseburgern riecht.

Deswegen überrascht es mich überhaupt nicht, dass sie zurückkehrt, um schnell an Geld zu kommen.

Was mich misstrauisch macht, ist, dass sie gerade jetzt auftaucht.

Gerade als ich in der Klemme sitze.

Die Ranch hat schon nicht besonders viel abgeworfen, als Dad noch lebte, aber nun wird es zusehends schlimmer.

Es wird immer schwieriger, den Laden über Wasser zu halten, mit den paar Kröten, die ich einnehme, weil ich Reitstunden gebe und Boxen an reitbegeisterte Menschen in Heart’s Edge vermiete.

Von den jahrelang nicht bezahlten Steuern habe ich erst nach Dads Tod erfahren. Da bekam ich einen Brief von dieser Bank, die das zuständige Finanzamt vertritt.

Böse Überraschung.

Fast so böse wie das Wiedersehen mit Sierra.

»Hör mir doch mal zu«, meint sie hinterhältig, an die Motorhaube ihres Wagens gelehnt. »Mein Freund arbeitet bei der Bank –«

»Nee. Den kannst du dir sonst wohin schieben«, zische ich. »Deine Freunde machen bloß Ärger, das kenn ich. Wundert mich eigentlich nicht, dass du mit so einem Geier zusammen bist.«

»Er ist kein Geier!« Ihre Augen sprühen Blitze. »Er möchte uns helfen –«

»Helfen, wobei? Seinem Boss die Taschen vollzustopfen?« Mein Temperament geht mit mir durch. »Verdammt, Sierra, ist es dir so egal? Die Ranch ist doch Heimat!«

Ihre Miene wird eisig und das beantwortet meine Frage, bevor sie überhaupt den Mund aufmacht.

»Vielleicht für dich«, sagt sie. »Für mich war sie das nie.«

Darauf weiß ich offen gestanden keine Antwort.

Sie hat nicht unrecht.

Wäre unsere Ranch ein Zuhause für sie gewesen, würde sie begreifen, warum ich sie um nichts in der Welt aufgeben kann. Hinzu kommt, und das ist viel entscheidender: Sie darf niemals in fremde Hände fallen.

Es geht ja nicht bloß um mich und die Pferde.

Sierra würde von dem gruseligen Geheimnis am Ende unseres Grundstücks erfahren.

Manche Dinge lässt man besser auf sich beruhen, und wenn ich hier bis an mein Lebensende Wache schieben muss – von mir aus.

Einzig und allein für Dad.

Frost stampft mit dem Huf auf und schnaubt, um seine Empathie zu zeigen. Wahrscheinlich spürt er die Wut, die von mir abstrahlt.

»Mir reicht’s. Ich habe mir genug Mist angehört. Los, verschwinde!« Ich lege meine Hand leicht auf den Griff der Schrotflinte. »Vielleicht bin ich nicht verrückt genug, um meine eigene Schwester abzuknallen, aber ich werde in deine blöden Reifen schießen und dann musst du zu Fuß in die Stadt zurückgehen.«

»Du bist so unzivilisiert«, meint sie naserümpfend.

»Stimmt. Ich –«

Ich breche ab, da mich entferntes Motorengeräusch von ihr ablenkt.

Genialer Moment für Gesellschaft!

Als ich den Kopf recke, sehe ich ein weiteres Fahrzeug, das die Straße heruntergejagt kommt – und es sieht wesentlich schicker aus als der Gebrauchtwagen-Schnapper, den Sierra fährt.

Der Wagen ist schwarz, ein glänzender Mercedes-Benz, und so schnittig, dass der Staub nicht daran haften kann, sondern direkt abrutscht.

Ich ziehe den Atem zwischen den Zähnen ein. Meine Fäuste verkrampfen sich, sodass Frost erneut unter mir schnaubt und einen aufgebrachten kleinen Schritt zur Seite tänzelt.

So wahr mir Gott helfe … Meine Hand krampft sich um den Flintenknauf.

»Du hast die Bank hierher bestellt?«

»Nicht die Bank«, antwortet Sierra. »Unseren Käufer. Er kommt, um sich umzusehen, und für ein Gespräch, Libby. Komm schon, hör dir einfach an, was er zu sagen hat.«

»Dazu hast du kein Recht!« Ich schüttel energisch den Kopf.

Ernsthaft.

Ich weiß nicht, wieso ich es überhaupt in Erwägung ziehe, mich hintergangen zu fühlen.

Das ist Sierra in Perfektion.

Und ich schäume praktisch vor Wut, während der schnittige Benz – ein Schlitten, der Geld, Macht, Obermacker herausschreit – neben dem Taurus meiner Schwester anhält, der daneben noch schäbiger wirkt.

Übelkeit steigt in mir auf, wie morgens nach einem bösen Besäufnis. Trotzdem kann ich meinen Blick nicht von dem glänzenden schwarzen Wagen abwenden.

Die Autotür schwingt auf und ein Mann, der absolut dem entspricht, was ich erwartet habe, steigt aus und glättet die Revers seines gebügelten Zweireihers.

O ja.

Ich kenne diesen Typ. Genau der Bossy-Typ, auf den Sierra abfährt und den ich nicht abkann.

Gebräunt. Markante Kinnpartie. Gepflegter, geradezu messerscharf getrimmter Bart.

Haar schwarz wie die Sünde und klassisch in einem weichen Schwung nach hinten gekämmt.

Wenigstens ist er groß und er geht bestimmt ins Fitnessstudio. Er sieht aus wie ein Kerl, der zu wuchtig für den Style ist, den er trägt, aber sein Anzug ist perfekt geschnitten, wie für ihn gemacht. Als würde er seine Masse und seine trainierten Muskeln mit mehr Anmut und Eleganz mit sich herumtragen als der übliche Bürohengst.

Perfekt geknotete Krawatte.

Silberne Manschettenknöpfe.

Gepflegte Nägel, doch seine Hände sind breit und schwielig, weil er vielleicht, aber nur vielleicht weiß, wie man mit einem Hammer umgeht, aber das bezweifle ich. Vermutlich hat er diese Schwielen vom Herumschippern mit seiner Jacht oder so.

Ganz klar.

Er sieht nach Geld aus.

Und diese verschlagenen, selbstbewussten, goldbraunen Schlangenaugen sehen nach einem dicken, fetten Leck mich aus.

Er kommt näher. Sein Gesicht ist markant, mit kantigen Zügen, so symmetrisch, dass man ihn fast als schön bezeichnen könnte.

Aber auch gefallene Engel waren schön.

Luzifer soll die schönste Kreatur überhaupt gewesen sein.

Und als ich beobachte, wie dieser in einen Anzug gesteckte Koloss meinen Besitz taxiert, als gehörte er ihm bereits, und seine dunklen, zusammengezogenen Brauen den vereinnahmenden Blick verbergen wollen …

Glaube ich es beinahe.

Allerdings werde ich auf seine Lügen nicht hereinfallen.

Ich bin bereits im Kampfmodus. Wenn es sein muss, schwinge ich mich von Frosts Rücken und über den Zaun, ohne mich lange mit dem Tor abzumühen.

Ich will, dass Mr. Superschlau von hier verschwindet, am liebsten schon gestern.

Nein, ich habe null Bock zu erfahren, mit wie viel bunten Zuckerstreuseln er mir die Sache versüßen will.

Das ist es nämlich, wie solche Männer dich rumkriegen, indem sie dir Honig ums Maul schmieren, aber ich weiß das eine oder andere über Geschäfte mit dem Teufel. Und die erste Regel ist wirklich leicht zu merken.

Mach’s nicht.

II. Ernstzunehmende Pferdestärken (Holt)

Als Sierra Potter mich warnte, dass ihre kleine Schwester ein schwieriger Fall sein könnte, meinte sie damit wohl nicht das verdammte Problem, meinen Blick von ihr loszureißen.

Weil Liberty Potter absolut umwerfend ist.

Das ist mein erstes Dilemma.

Dilemma Nummer zwei: Ich starre sie hingerissen an und merke nicht, dass sie wie ein wütender Grizzlybär auf mich losstürmt, bis ich sie direkt vor der Nase habe.

Ich bin ziemlich sicher, dass mir echte Gefahr droht von diesem kleinen Feger, der mich mit blauen Augen anblitzt, als wollte sie mich um die Ecke bringen.

Sie zögert bei den letzten ein, zwei Schritten, um mir eine Sekunde zum Überlegen zu geben, wie ich aus dieser Sache noch herauskomme.

Ich will nicht lügen.

Ich hatte ein schlechtes Gefühl bei diesem Vertrag, seit Sierra und ihr Finanzberater – ich schätze mal, so nennt sich dieser verdammte Typ – in meiner kleinen, in einem Trailer untergebrachten Baufirma auftauchten, sich an meinen Schreibtisch setzten und so taten, als wären sie sich mit ihren billigen, gefakten Designerklamotten zu schade für mein mobiles Office.

Ich erkenne Stil, wenn ich ihn vor mir habe.

Ich erkenne Reichtum.

Ich erkenne Mode.

Ich erkenne Klasse.

Ich habe jahrelang in einem piekfeinen New Yorker Penthouse gewohnt. Das Geld für den Anzug, den ich gerade trage, könnte die aufgelaufene Steuerlast für diese Ranch erheblich verringern.

Sierra Potter und Declan Eckhard dagegen würden Klasse auch dann nicht erkennen, wenn sie sie direkt vor der Nase hätten.

Außerdem bin ich rührselige Geschichten gewöhnt und war mir nicht wirklich sicher, was ich davon halten sollte, als Sierra auf einem Klappstuhl mir gegenüber am Schreibtisch saß, ihre vollkommen trockenen Augen mit einem Taschentuch betupfte und mir diese Story auftischte.

Ihr armer Vater sei letztes Jahr gestorben – ja, ich erinnerte mich an Dr. Mark Potter, er war ein netter, ruhiger Typ, der dauernd in den Bergen unterwegs war und einen trockenen Humor hatte.

Ich war nicht in der Stadt, als er starb. Tut mir leid um ihren Verlust.

Aber ich bin nicht so lange aus Heart’s Edge weggewesen, um nicht mehr zu wissen, dass Sierra Potter damals abgehauen ist, mit irgendeinem Mistkerl in dessen Van. Tagelang ließ Sheriff Langley überall in der Stadt Vermisstenanzeigen aufhängen.

Deswegen fällt es mir schwer, ihr abzukaufen, dass sie jetzt ganz besorgt wegen ihrer Schwester Libby ist, die so viel Pech mit ihrer Grundsteuer gehabt hat, und dass es ihr Leben erleichtern würde, wenn sie einfach das Land verkaufen und ihr gemeinsames Erbe aufteilen würden.

Sierra erklärte, es sei auch zu Libbys Bestem.

Absolut selbstlos.

Ohne Hintergedanken.

Und Declan, na ja, er war halt von der Bank mitgekommen. Neue Filiale, gerade erst in der Stadt eröffnet. Confederated Bank & Credit Union.

Noch nie von denen gehört, aber vermutlich sind sie in Chicago eine große Sache.

Declan tönte, er könne den Besitz für kleines Geld bekommen, oder einfach bis zur Zwangsversteigerung warten.

Wenn sie die Forderungen des Finanzamts eintreibt, hat die Bank allerdings ein berechtigtes Interesse daran, dass Libby ihre Steuerschulden bezahlt. Auf diese Weise holt die Bank das meiste Geld heraus, und Libby braucht eine Menge Cash, sonst verliert sie auf einen Schlag ihr Zuhause und ihre Existenz.

Was wiederum bedeutet, dass sie einen Käufer braucht, der bereit ist, den Besitz plus Steuerforderung zu übernehmen.

Und offenbar bin ich der richtige Mann, um Liberty davon abzubringen, sich selbst ins Knie zu schießen, indem sie diesen wundervollen Altruisten mit null Hintergedanken glaubt.

Ich bin nicht so dumm, meinen Kopf für nichts in den Rachen eines Tigers zu stecken.

Wie sich herausstellt, ist Libby Potters Besitz tatsächlich der Schlüssel zu einem großen, von der Stadt ausgeschriebenen Bauvorhaben, für das ich mein Angebot abgegeben habe.

Wenn ich es schaffe, das Land zu erwerben, das eine neue Straße zu einem geplanten Einkaufszentrum werden soll, dann habe ich den Auftrag für den Bau dieser Mall in der Tasche.

Vielleicht ist das der Grund, warum ich nervös beobachte, wie sie sich vor meinen Augen verwandelt.

Ich kann es nicht abstreiten. Als ich Libby auf diesem hübschen Schecken mit der wuscheligen Mähne sitzen sehe, fühle ich mich, als wäre ich im falschen Film.

Sonnenlicht reflektiert von wildem blondem Haar.

Blaue Augen wie ein zugefrorener See.

Ein schlanker, zierlicher Körper mit perfekten Kurven, verpackt in eine enganliegende Jeans. Wadenhohe Cowboystiefel. Ein Arsch wie ein Pfirsich.

Das um ihre Taille geknotete Baumwollhemd hält kaum ihre Brüste im Zaum, die sich so fest an das rot-schwarze Karo schmiegen, dass ich die Knöpfe nur beneiden kann.

Meine Reaktion auf ein hübsches Mädchen und das rhythmische Auf und Ab ihrer Hüften mit jeder Bewegung des Pferdes?

Verdammt archaisch.

Ich könnte kaltblütig morden, um mit diesem Pferd den Platz zu tauschen.

Und als sie beim Absitzen ihre Beine weit spreizt, sich die Muskeln ihrer Schenkelinnenseiten kurz anspannen und dabei ihre fliegenden Haare wie geschmolzenes Gold schimmern … mach schon, erschieß mich auf der Stelle.

Sicher, es ist eine Weile her.

Seit ich aus New York weg bin, habe ich keine Frau mehr nackt gesehen.

Sierra hat zwar versucht, mich ein bisschen anzumachen, direkt vor dem spöttisch grinsenden Declan, um an meinen früheren Ruf als die Aufreißer-Granate von Heart’s Edge anzuknüpfen.

Ich hab nicht mal zu ihr hingesehen.

Aber es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass ich mit dem jüngeren Potter-Mädchen mehr machen möchte als bloß einen Schaufensterbummel.

Und ich begreife, wie tief ich in der Scheiße sitze, als sie nahe genug vor mir steht, um mir eine zu verpassen.

Ich kann die Schweißperlen auf ihrem schlanken, sonnengebräunten Hals sehen.

Wahrscheinlich blafft sie mich seit einer Minute an, ohne dass ich ein einziges Wort gerafft hätte.

Kopfschüttelnd rufe ich mir ins Gedächtnis, wo zur Hölle ihre Augen sind und konzentriere mich darauf.

Nee, auf den zweiten Blick sind sie nicht wie Eis.

Mehr wie pure blaue Laser, und ich glaube, sie versucht, mich mit ihrem Höllenblick zu verbrennen.

Ich blinzle. »Sorry, was haben Sie gerade gesagt?«

Sie mustert mich von oben bis unten, dann verdreht sie die Augen.

»Sie haben mich schon gehört«, schnappt sie – habe ich aber wirklich nicht. »Ich sagte, dass ich kein Vieh halte und deswegen nicht verstehe, wie sich auf meinem Grundstück ein Haufen Mist von dieser Größe ansammeln konnte.«

Was zum Teufel …?

Ich runzle die Stirn und frage mich, ob ich ihr irgendwann zu nahe getreten sein könnte.

Sie ist definitiv keins von den Mädchen in Heart’s Edge, die einen Grund haben, mich zu hassen.

Sie ist zu jung. Sie kann höchstens Mitte zwanzig sein.

Ich gehe auf die vierzig zu, und als sie alt genug war, um meinem Club der gebrochenen Herzen beizutreten, war ich bestimmt schon lange weg aus der Stadt.

Also, entweder hasst sie mich allein wegen meines Rufs oder sie ist bloß sauer auf den Typen in dem feinen Anzug, der hier rausgekommen ist, um mit ihr über ihr Land zu reden.

Als Sierra sagte, ihre Schwester sei schwierig, hat sie wohl eher kleine Teufelin gemeint.

»Okay, schauen Sie«, sage ich und halte defensiv meine Hände hoch. »Mir ist schon klar, dass Katzen Krallen haben. Aber Sie kennen nicht einm-«

»Ich weiß genau, wer Sie sind«, faucht sie. »Ich weiß auch genau, was Sie vorhaben. Ich bin nicht die Art Mädchen, die auf Ihren Bullshit reinfällt, Playboy. Halten Sie Ihre scheiß Zunge im Zaum.«

Ich hebe eine Braue. »Ich hatte nicht die Absicht, meine Zunge bei Ihnen einzusetzen.«

Obwohl ich jetzt gerade ziemlich stark darüber nachdenke, wie diese sonnengebräunte, samtige Haut wohl schmecken würde, während ich höher, höher und noch höher lecke.

Beherrsch dich, Cowboy!, sage ich mir im Stillen.

Sie funkelt mich nun noch heftiger an.

Ihr kleiner Rosenknospenmund presst sich zu einer wütenden Linie zusammen, ihre Wangen laufen rot an. Sie hat hinreißende Wangenknochen, und dieses Rotwerden – ich möchte, dass sie echt rot wird, nicht bloß vor Zorn – unterstreicht, wie hübsch sie ist.

Sie hat das Gesicht eines Engels, aber das Mundwerk eines Truckers.

»Das wäre dann wohl das erste verdammte Mal«, sagt sie bissig. »Ich hab gehört, dass Sie Ihre Zunge benutzen, um bei so ziemlich allem Ihren Willen zu bekommen, und ich meine damit nicht zum Reden, Holt Silverton.«

»Schön zu wissen, dass ich mich nicht vorstellen muss.« Ich schmunzle. »Da muss sich jemand ziemlich intensiv mit meinem Ruf beschäftigt haben, dass er sich so gut an meinen Namen erinnert.« Ich versuche, auf nett und freundlich zu machen, und halte ihr meine Hand hin. »Sie sind Libby Potter, richtig? Hab Sie nicht mehr gesehen, seit Sie ein kleines Mädchen waren. Tut mir leid, das mit Ihrem alten Herrn.«

Ihr Laserblick wird noch schärfer und sie mustert mich eisig.

Und sie ignoriert bewusst meine Hand.

Auch okay.

Ich bin geschäftlich hier. Nicht, damit mir diese kleine Sirene den Kopf verdreht. Ich habe fest vor, es weiter so zu halten.

Also lasse ich meine Hand sinken und grinse sie scheißfreundlich an. Ich lasse meinen Blick über die Ranch streifen, um einen ersten Eindruck zu gewinnen.

Es ist eine gepflegte kleine Ranch; das langgestreckte flache Holzhaus steht in einiger Entfernung vom Hauptgatter. Ein paar gut erhaltene, frisch gestrichene Scheunen zeichnen sich verstreut am Horizont ab.

Das Land um die Gebäude sieht ganz passabel aus. Heart’s Edge ist am Rand des Bergtals oft ziemlich trocken und staubig, doch ihr ist es gelungen, einige beeindruckend satte Weideflächen anzulegen, wo Pferde und mehrere Schafe friedlich in der milden Sommersonne grasen.

Etwas weiter weg wird die Einmündung zu einer geschotterten, struppig zugewachsenen Straße erkennbar, die von einem Weg abgeht, der draußen an den Zäunen entlangführt. Ein schmaler Wasserkanal erstreckt sich über eine Seite des Grundstücks.

Nach einer flüchtigen Bestandsaufnahme konzentriere ich mich wieder auf Libby und bemerke die Waffe an ihrer Hüfte.

Ich kann nur hoffen, dass sie nicht so angepisst ist.

Es wäre schade, die himmlische Ruhe zu stören, indem sie meinen Kopf ins Jenseits pustet.

Alles in allem ist es ein ziemlich nettes Fleckchen Erde. Lauschig. Alles, was ein Cowgirl sich wünschen kann.

Ich verstehe, wieso sie es nicht aufgeben will.

Ein Pech, dass es ein Filet-Grundstück ist. Und ich kann nicht anders, als die wirtschaftlichen Chancen in jedem Quadratmeter dieses traumhaften Vermögenswertes zu erkennen.

Traumhafter Vermögenswert.

Jep.

Ich sollte mich auf das Grundstück konzentrieren, nicht auf sie.

Also schaue ich zu den Weiden und nehme meinen letzten Rest Geduld zusammen.

Dann sage ich so freundlich wie irgend möglich: »Bestimmt haben Sie eine Menge Liebe in dieses Anwesen gesteckt. Hab noch nie Pferde mit so glänzendem Fell gesehen.«

»Ach, dann wissen Sie also noch, was Pferde sind?«, gibt sie zurück. »So alt, wie Sie sind, und so lange, wie Sie weg gewesen sind, dachte ich, Sie hätten es womöglich vergessen.«

Ich schließe die Augen. Atme tief ein. Bleibe ruhig.

»Denke, ich kann ein Pferd von allem anderen unterscheiden, was zwischen Ihren Schenkeln gewesen ist, Miss.« Ich bin selbst baff, als mir das so rausrutscht.

Sie zieht hörbar zischend die Luft zwischen den Zähnen ein, begleitet von Sierras ersticktem Lachen.

Verdammte Hacke!

Ich rede mich hier um Kopf und Kragen.

Ich riskiere einen weiteren Blick zu Libby, doch sie presst die Lippen aufeinander, als würde sie einerseits gern über mein loses Mundwerk lachen, aber andererseits ist sie einfach zu sauer auf mich.

»Was zwischen meine Schenkel kommt, geht Sie nichts an, Silverton«, zischt sie. Sie hat ein bisschen diesen Kleinstadt-Singsang, gerade so viel, um ihrer Stimme einen verführerisch rauen Klang zu verleihen. »Aber ich kann Ihnen versprechen, Mister, dass Sie es in zehn Leben nicht sein werden.«

»Dachten Sie etwa, das wäre ein Angebot? Vielleicht stehe ich ja mehr auf Vollblüter als auf Arbeitspferde?«

Ihre Nasenflügel beben.

»Sehen Sie, das Problem mit Ihnen«, sagt sie freundlich – ihre Verärgerung plötzlich mit Nettigkeit verkleisternd, »ist, dass ich nicht weiß, ob Sie das wörtlich meinten oder nicht. Nachdem ich gehört habe, dass Sie so ziemlich alles auf zwei oder vier Beinen nehmen würden … schätze ich, dass dieser völlig übertriebene Anzug irgendwas kompensiert.« Sie mustert mich langsam von Kopf bis Fuß. »Vielleicht sollten Sie sich an Zweibeiner halten. Ich glaube nicht, dass Sie es draufhaben, mit einem Pferd umzugehen.«

Gottverdammt, dieses Mädchen schlägt unter die Gürtellinie.

Wortwörtlich.

Allerdings ist das ein Gebiet, auf dem ich nie unsicher bin. Mein Gesicht verzieht sich zu einem Grinsen.

Das Mädchen hat Feuer, und offen gestanden respektiere ich sie dafür, dass sie mich als Idioten bezeichnet, denn sie hat recht. Ich komme einfach hier raus und taxiere ihren Besitz ohne einen Funken Anstand.

»Lassen Sie es besser nicht auf einen Versuch ankommen«, antworte ich. »Ich bin in der Gegend aufgewachsen. Ich kenne mich mit Pferden aus.«

»Kaum zu glauben, wenn man Sie so ansieht.« Noch eine kurze Musterung, als wäre auf meinem Anzug ein scharlachroter Buchstabe, der mich als Außenseiter abstempelt. »Sie sehen nach New York aus. Ich sag Ihnen mal was: Sollten Sie sich nach Country-Feeling zurücksehnen, werde ich Sie fertigmachen, bis Sie mich anflehen aufzuhören.«

Ich ziehe beide Brauen hoch. »Schätzchen, ich denke nicht, dass Sie das so gemeint haben, wie es bei mir angekommen ist«, pariere ich.

Libby lässt ein ärgerliches Schnauben hören und verdreht die Augen.

»Machen Sie sich nicht in die Hose und behalten Sie’s für sich, Cowboy.«

»Sie scheinen sich eine Menge Gedanken zu machen, was in meiner Hose ist«, kontere ich. »Haben Sie mich vermisst, Libby? Hatte ich eine kleine Verehrerin, von der ich nichts wusste, und jetzt sind wir beide erwachsen und Sie möchten spielen?«

Ich trete noch näher an sie heran.

Ich kann einfach nicht anders.

Frauen sehen mich an, als wäre ich ein besonderer Leckerbissen. Klar, sie hören die Geschichten.

Ich bin Bad News, aber die Art Bad News, die man hören möchte, um ein paar schmutzige Tricks zu lernen. Dass sie versucht, mich abzuwimmeln, macht mich an und ich will mehr.

Mit einem sanften Lächeln beuge ich mich zu ihr hinunter, nah genug, um ihr ins Ohr zu flüstern: »Wenn Sie Vater, Mutter, Kind spielen wollen, müssen Sie mich Daddy nennen.«

Ihre Augen werden größer als der Mond.

Vom Grund ihrer Kehle dringt ein erstickter Laut.

Ihre rosig erhitzten Wangen werden knallrot vor Wut.

Ihr Mund presst sich zu einer schmalen Linie zusammen.

Meine einzige Warnung ist Sierras Aufschrei.

»O nein, Libby, nicht –«

Zu spät. Libby setzt ihre Hände mitten auf meine Brust und schubst mich.

Zum Teufel! Es ist ein Wunder, dass sie mich aus dem Tritt bringt, zumal sie mir gerade mal bis zur Schulter reicht.

Der Himmel beginnt zu trudeln und ich nehme alles als bunten Wirbel wahr, während ich nach hinten kippe.

Mein Arsch landet hart auf dem Boden und wirbelt einen Berg von ockergelbem Staub auf, der dann auf meinen frisch gereinigten schwarzen Anzug herunterrieselt.

Ich bin komplett verdreckt. Und es tut höllisch weh.

Eine Sekunde lang bleibe ich stöhnend liegen. Alle Viere von mir gestreckt, starre ich zum Himmel und lasse erst mal alles auf mich wirken.

Dann pruste ich los und kann nicht mehr aufhören zu lachen.

Das erregt offenbar Libbys Aufmerksamkeit. Ein Wimpernschlag, und sie beugt sich über mich, füllt mein Sichtfeld aus. Sie starrt auf mich herab, mit einem wütenden Stirnrunzeln – ihre Augen sind jedoch eine Spur zu weit aufgerissen für pure Verärgerung.

»Haben Sie sich eben Ihren dämlichen Kopf gestoßen, oder was?«, fragt sie. »Was ist denn bitte so verdammt lustig?«

»Nichts. Außer dass Sie genau so reagiert haben, wie ich mir das vorgestellt hab. Eine simple Ohrfeige reicht einer Libby Potter eben nicht.«

Ich setze mich ruckartig auf. Da sie immer noch über mich gebeugt ist, sind wir plötzlich Nase an Nase. Auge an Auge. Atem an Atem.

Ihre Lippen – viel zu nah.

Libby zuckt zusammen und reißt die Augen noch weiter auf.

Ich lasse meinen Blick zu ihrem Mund gleiten. Ihre Lippen sind leicht geöffnet, als hätte sie mich weiter mit Häme überschütten wollen und es sich dann anders überlegt.

Für eine Sekunde hab ich sie.

Und recke mich, um in den winzig dünnen Lufthauch zu murmeln, der unsere Lippen voneinander trennt.

Ich grinse süffisant. »Tut es Ihnen schon leid, dass Sie mich geschubst haben? Vielleicht wollen Sie ja doch lieber Krankenschwester spielen?«, flüstere ich.

Fünf Sekunden zuvor war sie drauf und dran gewesen, mir den Kopf abzureißen. Und jetzt?

Sie schaut mich nur groß an und nicht eine einzige boshafte Spitze kommt über ihre feucht schimmernden Lippen.

Ich könnte etwas Wildes machen.

Etwas Heißes und Hungriges und Schmutziges.

Ich könnte exakt die Sorte Mann sein, für die sie mich hält.

Es wäre ganz leicht, meine Finger in ihre Haare zu schieben und sie so nah an mich heranzuziehen, dass sie vor Verlangen bebend die Kontrolle verliert.

Nur ein paar Zentimeter und ich könnte sie küssen, bis sie dahinschmilzt, ihr Körper heiß und weich, als könnte ich in sie greifen und mir ihr Herz schnappen, sie in dem Gedanken wiegen, sie könnte mich haben, wenn sie nur nachgibt.

Aber ich versuche ja, mich zu bessern. Wenn ich so mit ihr umspringen würde, wäre ich schlimmer als Abschaum.

Ich würde die erste Frau seit Jahren, die tatsächlich den Nerv hat, sich mit mir anzulegen, nicht respektieren.

Also spiele ich keine Spielchen, trotzdem will ich die Oberhand nicht verlieren.

Kurz entschlossen rutsche ich von ihr weg und stehe auf, um mich abzuklopfen. Dann wende ich mich zum Gehen und tue so, als wäre mein Anzug nicht komplett ruiniert.

Wenn eine Schlacht verloren ist, wird es Zeit, das Feld zu räumen. Ich werde zurückkommen, wenn sich die aufgeheizte Stimmung zwischen uns etwas abgekühlt hat und wir beide wieder gesprächsbereit sind.

Doch ich bin nicht darauf vorbereitet, dass sie mir etwas hinterherruft, und ihre Tonlage dabei ist schwer zu beschreiben. Es ist nicht direkt Ärger oder Verachtung. Auch nicht beißender Spott. Es klingt beinahe wie … Enttäuschung?

»Schätze, ich weiß jetzt, wer die guten Gene in Ihrer Familie abbekommen hat«, sagt sie seelenruhig. »Blake hat sämtliches Ehrgefühl geerbt und für Sie kein Fitzelchen übriggelassen. Sein schlimmstes Verbrechen ist seine kuriose Lebenshilfe-Sendung im Radio, mit gelegentlichen Verschwörungstheorien.«

Mist.

Ich wollte gerade einen Schritt auf die geriffelten, dreckverkrusteten Eisenplanken setzen, die eine Brücke über den Wassergraben bilden, um von der Ranch zur Straße zu kommen.

Doch als sie meinen Bruder erwähnt, treffen ihre Worte mich so hart, als knallte mir eine Abrissbirne gegen die Rippen.

Mein Fuß rutscht von den Planken ab, und ich weiß nicht, was sich schlimmer anfühlt. Die wütende Bombe, die in meiner Brust hochgeht, oder wie erneut alles in einem wirbelnden Farbenrausch vor meinen Augen kreiselt.

Das ist definitiv nicht mein Tag.

Ich knalle zum zweiten Mal auf den Arsch.

Nur dieses Mal lande ich nicht auf staubtrockener Erde.

Ich klatsche in das schlammige Wasser auf dem Boden des Grabens. Während ich einsinke, quillt der Dreck laut schmatzend unter mir hervor, kaltes Wasser dringt durch den Hosenstoff.

Wenn ich behaupten würde, dass ich nicht weiß, warum diese letzte spitze Bemerkung so schmerzt, wäre das gelogen.

Ich weiß es sogar sehr genau.

Es ist auch nicht so, dass ich es nicht verdient hätte.

Verdammt, als ich nach Heart’s Edge zurückkehrte, wollte nicht mal mein eigener Bruder glauben, dass ich keine unlauteren Absichten hatte.

Erst nachdem ich sein Leben unter Einsatz eines Löschwagens gerettet hatte, nahm Blake mir ab, dass ich ihn nicht über den Tisch ziehen wollte.

Ich mache ihm keinen Vorwurf deswegen. Nicht nach dem bösen Blut, das es in unserer Kindheit und Jugend gegeben hat, als wir uns ständig zu übertrumpfen versuchten, sehr zur Belustigung unserer Mutter. Wir stritten um ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, darum der Lieblingssohn zu sein, und spannten uns sogar gegenseitig die Freundinnen aus.

Na ja, die Sache mit den ausgespannten Freundinnen geht mehr auf mein Konto.

In meiner Glanzzeit hatte ich mit neunzig Prozent der akzeptablen Frauen in Heart’s Edge wenigstens eine heiße Nummer im Fond eines Pick-ups geschoben.

Damals dachte ich, ich hätte es voll drauf. Ein geborener Player.

In New York City musste ich lernen, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, was das überhaupt bedeutet. Diese Stadt hat mich in kleine Stücke zerkaut und dann hat sie mich wieder in den seltsamen kleinen Ort zurückgespuckt, aus dem ich stamme.

Es gibt aber keinen Grund, sich deswegen graue Haare wachsen zu lassen.

Ich bin ja bereit heimzukehren und damit anzufangen, in meinem Leben auszumisten.

Ich bin bereit, alles richtig zu machen.

Aber das bedeutet noch lange nicht, dass die anderen bereit sind, mich machen zu lassen.

Während ich in mehr als einer Beziehung tief im Dreck stecke, denke ich, dass ich nicht aufgeben darf.

Aber man muss auch erkennen, wann eine Sache ausgereizt ist – und dieses Gespräch ist beendet.

Ich ziehe mich aus der schlammigen Brühe und erhebe mich mit einem letzten Rest Würde.

Als wäre ich nicht triefend nass und dreckverschmiert, streiche ich meine Revers glatt und deute eine Verbeugung zu Sierra an.

»Miss Potter«, sage ich höflich und nicke dann auch kurz Libby zu.

Sierra starrt mich nur ungläubig an. Und Libby? Zur Hölle, sie sieht total selbstzufrieden aus ‑ wie eine Katze, die Sahne genascht hat. Ihre Augen glitzern vor Belustigung.

Verdammtes kleines Biest.

»Miss Potter«, wiederhole ich und schiebe nach, »es war mir ein Vergnügen. Ich hoffe, das bald zu wiederholen. Das nächste Mal etwas weniger Verbalerotik, wenn’s geht.«

Letzteres kann ich mir einfach nicht verkneifen.

Doch der selbstgefällige Ausdruck auf ihrem Gesicht verblasst nicht die Spur.

Wenn überhaupt, verstärkt er sich noch.

Libby nimmt eine Hand von der Hüfte und zeigt mir fröhlich den Mittelfinger.

Krass. Zeit zu gehen.

Ich nicke noch einmal kurz, dann drehe ich mich um, drücke mein Rückgrat durch und verschwinde.

Als ich mich hinters Steuer klemme, ist ein überaus würdeloses Platschen zu hören und die Drecksbrühe läuft über die schicken Ledersitze.

Während ich den Wagen zurücksetze, ignoriere ich hartnäckig, wie kalt und klamm und unwohl mir zumute ist.

Der Tag ist für mich gelaufen.

Aber ich werde nicht aufgeben.

Auf gar keinen Fall.

Nicht bei der Chance, meinen Ruf wiederherzustellen.

Und auch nicht bei dieser faszinierenden Wildkatze Liberty Potter.

***

Frisch geduscht und in Arbeitsklamotten fühlt sich mein Ego ein bisschen weniger verletzt an, obwohl sich mein Arsch noch immer mächtig beschwert.

Ich bin ziemlich stolz auf mich, als ich einen letzten Rundgang durch The Menagerie mache. Meine Crew und ich konnten den Job in Rekordzeit erledigen und sogar günstiger als im Kostenvoranschlag angepeilt.

Meine Jungs haben gute Arbeit beim Wiederaufbau der Tierklinik von Doc und Ember geleistet. Ich denke, die beiden sind genauso glücklich wie ihre Viecher, wieder eine anständige Praxis zu haben, nach der Brandstiftung vor ein paar Monaten, die beträchtlichen Schaden verursacht hat.

Ich wünschte, wir wären noch schneller gewesen, aber es gibt eine Menge Arbeit in der Stadt und meine Truppe ist nicht sehr groß. Ich habe versucht, alles selbst zu stemmen, damit die Stadt keine Fremdfirmen einschaltet, aber wenn man bedenkt, wie viel Scheiße in Heart's Edge abläuft …

Zuerst das Stadtmuseum, das von einem Irren in die Luft gesprengt wurde. Dann der Kollateralschaden rund um diese Explosion, dazu der Neubau an der Stelle, wo das Paradise Hotel gestanden hat, die Instandsetzung alter Gebäude und jetzt die Planung dieses Mall-Projekts.

Ich habe alle Hände voll zu tun, aber damit kann ich umgehen. Zum Glück sind etliche Collegekids über den Sommer zu Hause und auf der Suche nach Ferienjobs.

Jedenfalls hat meine Stammmannschaft – ein paar loyale Typen, die mir geblieben sind und für einen Neuanfang den weiten Weg nach Heart’s Edge auf sich genommen haben – gerade einen verdammt guten Job in The Menagerie geleistet.

Ich bin stolz auf ihre Arbeit, und nicht zuletzt darauf, sie zu kennen.

Außerdem ist es nett, bei Doc und Ember zu sein.

Beide sind ursprünglich nicht von hier, deswegen ist ihnen mein früherer eher zweifelhafter Ruf wohl nicht bekannt.

Sie sind mir gegenüber sehr zugänglich.

Händeschütteln, Dankbarkeit und Komplimente für die harte Arbeit, um ihre Praxis wieder in Schuss zu bringen. Woraufhin ich strahle, zufrieden, dass ich etwas Sinnvolles aus dem Tag gemacht habe, außer Miss Libby Großklappe auf den Senkel zu gehen.

Nachdem er mir den Scheck gegeben hat, greift Doc in die Tasche seiner gebügelten Stoffhose und zieht seine Brieftasche heraus. Er drückt mir einen 50-Dollar-Schein in die Hand. Ich runzle die Stirn und schaue ihn an.

»Genehmigt euch ein paar Runden auf mich«, sagt er über seine Brillengläser hinweg. »Meine Patienten können ihre Dankbarkeit nicht zeigen, also ist es das Mindeste, was ich tun kann.«

Ich danke ihm, salutiere kurz und gehe.

Offen gestanden klingt Docs Vorschlag gar nicht übel, nach dem Tag, den ich hinter mir habe.

Ich bin immer noch aufgekratzt, weil wir so viel geschafft haben, als ich eine Stunde später im Brody’s aufkreuze. Mein idiotischer Bruder sitzt bereits an einem der Tische.

Unsere örtliche Kneipe ist eine Mischung aus Fastfood-Lokal und gemütlicher Berghütte mit verwittertem Holz. Es ist der Ort, an dem jeder Teenager hier sein erstes Bier schlürft und die ergrauten alten Männer ihr letztes runterkippen.

Ich verknüpfe eine Menge Erinnerungen mit dem Laden – an Mädchen, mit denen ich Poolbillard gespielt habe und die sich in einer Weise über die Tische beugten, dass sie mich total vom Spiel ablenkten. Und wie ich von weitem meinem älteren Bruder und seinen Freunden beim Darts spielen zugesehen habe.

Viel hat sich seither nicht geändert.

Immer noch die gleiche laute Jukebox-Musik, Kellnerinnen in Jeansröcken oder verboten kurzen Shorts, der Geruch von dicken Burgern und Onion Rings, lärmende Collegekids und noch lautere Highschool-Schüler, die darauf hoffen, nicht vor die Tür gesetzt zu werden, weil sie zu jung sind.

Dieser Ort ist so zeitlos, dass ich gefühlt derjenige bin, der sich verändert hat.

Nicht das Brody’s. Nicht die Stadt.

Aber wenn ich mich verändert habe, gilt das auch für Blake, der endlich der glücklich verheiratete Mann ist, von dem er schwor, dass er es nie sein würde.

Er ist jetzt ruhiger, dieser große Zausel von einem Mann mit den rotbraunen Haaren und dem grau melierten Bart. Ehrlich gesagt sehen wir uns nicht besonders ähnlich. Nachdem sein alter Herr Geschichte war, jubelte mich irgendein namenloser Filou in einem Moment wilder Leidenschaft unserer Mom unter.

Dass ich meine Finger nicht bei mir behalten kann und für mein Leben gern flirte, ist also womöglich genetisch bedingt.

Ich werde es wohl nie erfahren.

Ich hatte nie einen Dad, nur einen älteren Bruder, der manchmal mein einziger Freund war, manchmal mein schlimmster Feind, und hundertprozentig jemand, von dem ich nie zugegeben hätte, dass ich zu ihm aufgeschaut habe.

Von unseren früheren Streitereien merkt man jetzt nichts mehr.

Als Blake mich sieht, zeigt er auf den schäumenden Krug Bier, der schon auf mich wartet.

»Hab schon für dich mitbestellt«, ruft er und nimmt einen Schluck aus seinem Krug. »Nach dem, was ich gehört hab, kannst du ein Bier vertragen.«

»Scheiße, du weißt es schon?« Ich sinke auf die Holzbank und stöhne auf. Gottverdammt, ich bin wirklich hart auf dem Arsch gelandet. »So schnell?«

»Kleinstadt. Das ist wie stille Post. Egal was passiert, jeder weiß es innerhalb von zehn Minuten.« Er grinst mich verschlagen an. »Dann hattest du also ein bisschen Spaß mit den Potter-Schwestern, hm?«

»Bei dir hört sich das wie eine Party an. Das war es nicht mal ansatzweise«, knurre ich.

»Überrascht mich nicht, dass du voll in die Scheiße getappt bist. Libby lebt schon ihr ganzes Leben auf dieser alten Ranch. Sie hat es nicht so mit Fremden, die es darauf anlegen, sie ihr unterm Arsch wegzukaufen, selbst wenn sie Geldprobleme hat.«

Kopfschüttelnd hebe ich meinen Bierkrug, nehme einen Schluck und das weichschaumige Prickeln entspannt mich.

»Keine Ahnung, wie sie es schafft, diese Ranch am Laufen zu halten, wenn sie mit den Grundsteuern so weit im Rückstand ist. Da draußen auf den Feldern gibt es keine Wasserleitungen, und trotzdem hat sie Bewässerungsgräben angelegt? Woher hat sie das Geld?«

»Größtenteils von Stallmieten und Reitstunden, vermute ich. Allerdings möchte ich wetten, dass sie auch Wolle von ihren Schafen verkauft.« Blake zieht eine Grimasse. »Aber ich denke, die Behörden werden ihr am Ende das Land wegnehmen. Wirklich traurig. Sie hat die Energie ihres Daddys.«

»Ich versteh nicht, wieso sie so verdammt dickköpfig ist«, gebe ich zurück, und ich will nicht lügen, es klingt leicht hitzig. Stunden später, ein Job erfolgreich abgeschlossen, und dieses Mädchen macht mich immer noch mordsmäßig sauer. »Wäre es nicht vernünftiger, einen kleinen Streifen Land zu verkaufen, als aus purem Stolz alles zu verlieren?«

»Stolz ist eine verdammt harte Kiste«, betont Blake und zeigt mit einem Finger auf mich. »Denk dran, aus blödem Stolz wären wir uns vor ein paar Monaten fast an die Gurgel gegangen. Die Leute werden bescheuert wegen Dingen, an denen sie hängen. Du weißt, wie es ist.«

Ich hasse es, dass er recht hat.

Kein Wunder, dass jede Nachteule in Heart’s Edge seine alberne Lebenshilfe-Sendung im Radio einschaltet.

»Also wenn du Libby wirklich helfen willst, dann versuch mal, dich in sie hineinzuversetzen«, schlägt Blake vor. »Vielleicht bringst du sie zur Vernunft. Dann bekommst du deinen Auftrag und sie behält ihre Farm. Völlig problemlos.«

»Es ist eine Überlegung wert«, räume ich widerwillig ein, obwohl ich im Stillen denke, dass der Versuch, Libby Potter zur Vernunft zu bringen, so ähnlich wäre, wie wenn eine Schlange versuchte, mit einem Mungo zu plaudern. »Ich kann ja teilweise nachvollziehen, was sie vermutlich denkt. Baut man eine Zufahrtsstraße entlang deines Anwesens, bist du plötzlich eine landschaftliche Attraktion. Besucher und Touristen sehen dich als Teil des Einkaufszentrums.«

»Ja, aber sieh auch mal die andere Seite«, meint er. »Mehr Leute bemerken die Potter Ranch, buchen vielleicht öfter Reitstunden oder mieten Boxen, sodass sie ein höheres regelmäßiges Einkommen hat und nicht wieder in ein tiefes Loch fällt.«

Was er sagt, stimmt.

Gefühle und gesunder Menschenverstand vertragen sich halt nicht besonders.

Ich werde es trotzdem weiter probieren.

Weil Libby nicht die Einzige ist, die im Begriff steht, alles zu verlieren.

»Hey.« Blake tritt unter dem Tisch nach mir »Schluss mit der miesen Laune. Komm schon. Du bist doch heute mit The Menagerie fertiggeworden, oder? Dann lass uns ein bisschen feiern.«

»Sorry«, antworte ich mit einem trockenen Grinsen. »Ich war in Gedanken bei meinem Job.«

»Du machst mir echt Sorgen.« Er schmunzelt. »Wo ist Mr. Playboy? Du denkst nur noch an Lieferungen und Rechnungen und Baupläne … Es muss in letzter Zeit eine Menge einsamer Betten in Heart’s Edge geben.«

»Nicht du auch noch«, blaffe ich. »Denkt eigentlich jeder, dass ich noch immer die größte männliche Nutte in der Stadt bin?«

»Ehrliche Antwort oder freundliche Antwort?« Blake sieht mich an, und seine dunkelblauen Augen blitzen.

»Ehrliche Antwort.«

Blakes Schmunzeln verwandelt sich in ein fettes Grinsen. »Jep.«

»Gottverdammich.«

»Nicht fluchen, Bro.« Er genießt das. Ich sehe es ihm an. Doch er wird wieder ganz ernst, als er sagt: »Sieh mal, ich war total baff, als du gesagt hast, dass du hierbleiben willst. Und sieh dich jetzt an – du hast dich richtig gut eingelebt. Du baust die Stadt wieder auf, du unterstützt Doc und Ember und dein Laden brummt. Wir kommen super miteinander klar. Andrea liebt dich. Du machst dich nicht schlecht, Holt. Wenn Leute über dich und die Ladys tratschen wollen, lass sie doch. Solange du deinen Ruf weghast, kannst du dich immer flachlegen lassen. Ich wette, eine ganze Horde Mädels würde zu gern wissen, was es mit dem ganzen Gerede auf sich hat.«

Schade, dass ich nicht mehr daran interessiert bin, einfach bloß flachgelegt zu werden.

New York City hat dafür gesorgt.

Mein Verstand versucht, ein Bild von wutblitzenden blauen Augen heraufzubeschwören, das ich hartnäckig verdrängt habe.

Nein.

Verdammt, nein!

Geschäft und Vergnügen zu vermischen, hat mir schon einmal fast das Genick gebrochen. Das passiert mir nie wieder.

Deswegen bin ich froh, das Thema wechseln zu können, indem ich mich erkundige, wie sich meine Nichte Andrea in der Schule macht, ob sie noch auf diesen Punk Clark steht und wie es in Blakes neuer Ehe mit seinem süßen Hippiemädchen läuft.

Blake meint, dass er in meiner Crew aushelfen könnte, einfach um etwas zu tun zu haben. Bevor er in der Sommersaison ständig auf Waldbrände achten muss und dann voll im Stress ist.

Alles andere ist immer nur ein Zusatzjob für den Chef der städtischen Feuerwehr.

Während wir uns unterhalten, streift mein Blick durch die Bar.

Es sind viele Gesichter hier, die ich nicht wiedererkenne. Ich war eine ganze Weile fort.

Einige Leute sind erwachsen geworden und sehen so anders aus, als wären sie Fremde. Andere sind aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen nach Heart’s Edge gezogen, und dann gibt es noch die ehemaligen Galentron-Mitarbeiter, die hiergeblieben sind, nachdem das Unternehmen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus der Stadt verschwunden ist.

Es ist nicht mehr derselbe Ort, an dem ich aufgewachsen bin.

Ein Typ sticht mir besonders ins Auge.

Keine Ahnung, woher ich ihn kenne, aber er hat etwas an sich, das einem deplatziert vorkommt.

Er wirkt mit Weste und Krawatte fehl am Platz in einer Kneipe wie dem Brody’s, seine Anzugjacke hängt auf dem Barstuhl neben ihm und seine Hose hat messerscharfe Bügelfalten.

Nicht eine Strähne löst sich aus seinem ordentlich frisierten schwarzen Haar, sein Gesicht ist glatt und leer mit einem brütenden Ausdruck.

Das größte Warnsignal? Er trinkt allein.

Alle anderen sitzen vor ihrem dritten bis fünften Bier an diesem Abend, aber dieser Typ trinkt Wein.

Wein – im Brody’s.

»Blake.« Ich unterbreche seine Schimpftirade über die Dummheit der Leute, die jeden Sommer unsachgemäß mit ihren Propangas-Grills hantieren, und deute mit einer Kinnbewegung zu dem Typen. »Wer ist das? Hab den noch nie hier gesehen.«

»Wer?« Blake reckt den Kopf. »Ach der. Weiß den Namen nicht mehr, aber er arbeitet bei der neuen Bank. Du weißt schon, Confederated irgendwas oder so ähnlich. Sie kaufen jeden Mist in der Stadt auf. Neulich hab ich mitbekommen, wie er mit irgendwem von der Stadtverwaltung verhandelt hat. Sie standen vor dem alten Theater, das vor einiger Zeit abgebrannt ist.«

Interessant … Meine Hand schließt sich fester um das Bierglas.

So weit ich weiß, gibt es nur einen Mann bei der Confederated Bank, der in Heart’s Edge Liegenschaften aufkauft. Dieser scheiß Declan Eckhard, der aussieht, als würde er über Leichen gehen, und der mit Sierra in meinem Büro gewesen ist.

Vielleicht stellt die Confederated Bank aber noch Leute ein, weil sie neu ist.

Vielleicht.

Aber irgendwas daran kommt mir komisch vor.

Blake quatscht weiter, ich bestelle mir noch ein Bier, und die Zeit vergeht, während wir reden.

Allmählich wird es Zeit für eine Mütze Schlaf.

Ich stehe auf, klopfe meinem Bruder auf die Schulter und will zum Ausgang.

»Holt, warte!«, ruft er mir nach und ich bleibe kurz stehen. »Das Gästezimmer ist noch frei, falls du mal was Netteres willst als das Inn.«

Ich schmunzle. »Haha, du meinst, nachdem deine Frau in dein Bett umgezogen ist?«

»Hey, kein Wort über mein Nachtleben.« Blake grinst albern. Wenn er angetrunken ist, wird er ausgelassen wie ein junger Hund, aber das ist gut so. Lange Zeit war es eine Maske, um damit Trauma, Verlust, Trauer und Einsamkeit zu überdecken, aber seit er glücklich verheiratet ist, ist es sein wahres, zufriedenes Selbst. »Also, ich hätte da ein Wörtchen mitzureden, wenn du jede Nacht mit einer anderen Frau aufkreuzen würdest. Vor den Augen meiner Tochter. Aber mir gefällt die Vorstellung nicht, dass du die ganze Zeit in einem Hotelzimmer lebst, wo du doch zur Familie gehörst.«

Ein Teil von mir möchte sein Angebot annehmen.

Nur um zu spüren, dass ich ein Teil von etwas bin.

Doch es ist Blakes Familie, sein Leben, sein Zuhause. Er ist frisch verheiratet mit einer jungen Frau, die beinahe seine Tochter sein könnte, und ich wäre definitiv das fünfte Rad am Wagen.

Ich werde mir ein Haus bauen, wenn ich dazu bereit bin. Und wenn es so weit ist, werde ich es mit meinen eigenen Händen tun.

Ich werde mir selbst beweisen, dass ich tatsächlich Dinge aufbauen kann, statt Herzen zu brechen und meine Zukunftsperspektiven zu zerstören. Dass ich mehr bin als irgendein Mistkerl, der sich einredet, er sei glücklich und erfolgreich.

Das bedeutet aber auch, dass ich es im Alleingang schaffen muss.

Heute Abend wird mein Ruf mich noch einmal retten.

»In meinem Bett wartet bereits jemand auf mich«, lüge ich. »Ich werde irgendwann anders auf dein Angebot zurückkommen.« Ich strecke eine Hand aus und wuschle ihm durchs Haar. »Sag der Kleinen Hi von mir.«

»Du alter Teufel!« Blake schwenkt ausgelassen zu mir herum, aber da bin ich schon weg, um hinaus in die hellen Lichter und zu dem schwach beleuchteten Parkplatz zu laufen.

Die Milchstraße über mir überstrahlt sämtliche Straßenlaternen.

Höchste Zeit, um wirklich eine Mütze Schlaf zu kriegen.

Ich habe so ein Gefühl, dass ich das brauchen werde, um mich für die nächste Konfrontation mit Libby Potter zu wappnen, und dass die Ranch entscheidend für meine Zukunft sein wird.

III. Schwing die Hufe (Libby)

Bei meinem aufbrausenden Temperament ist Koffein wahrscheinlich keine gute Idee.

Aber ich bin süchtig nach diesen Mocha Latte, die Felicity im The Nest serviert, außerdem ist sie eine meiner engsten Freundinnen.

Gerade jetzt brauche ich eine Freundin.

Ich muss jemanden um mich haben, dem ich vertraue.

Und bei meiner verkorksten Familie kann ich das getrost vergessen.

Jedes Mal, wenn ich Sierra sehe, habe ich nur den einen Gedanken: Was willst du denn jetzt wieder von mir?

Dagegen ist Felicity angenehme, freundliche Gesellschaft, die nichts weiter erwartet als ein Lächeln. Außerdem ist es ziemlich cool, eine Freundin zu haben, die mir immer Gratisgetränke mit extra Sahne spendiert.

Also sitze ich heute Morgen auf einem Barhocker an der langen, blank polierten Kaffeebar im The Nest und höre ihrem munteren Geschnatter zu, während sie wie ein Wasserfall redet über …

Irgendwas von dem Fund einer Stadt unter der Stadt?

Es ergibt keinen Sinn für mich, aber Felicity ist ganz aufgeregt. Es geht um eine archäologische Ausgrabung oder so.

Offenbar wurden alte Städte wie Heart’s Edge auf ihren Ruinen immer wieder aufgebaut. Auf den Fundamenten alter Gebäude werden sozusagen neue errichtet.

Jetzt finden sie unter dem ganzen Mist, der in letzter Zeit in die Luft gejagt und niedergebrannt und gesprengt wurde, Fragmente von Gebäuden, die wohl noch aus den alten Silberrausch-Siedler-Tagen stammen. Antiquitäten, Kunstgegenstände, Werkzeuge, Kleidung – Vermächtnisse früherer Siedler. Western-Kram.

Keine Ahnung, warum sie darauf abfährt, aber okay, wenn es ihr gefällt.

Reflexartig wandert meine Hand zu meinem Hals, das ist ein Tick von mir, und ich merke es nicht, bis ich kühles, hartes Metall und winzige polierte Steine unter meinen Fingern spüre.

Es ist eine Kette – der Anhänger ist das Sternbild Aries, der Widder.

Neun winzige hellere und weniger helle Sterne, nicht größer als Sandkörner. Alle aus einem roten Stein geschliffen, der eher matt ist mit einem rosa Schimmer. Ich habe nie herausgefunden, wie er heißt, und diese neun kleinen Elemente sind auf Silberstäben so fein wie Bindfäden aneinandergereiht.

Dads Geschenk in mehr als einer Weise.

Seinetwegen und dank seiner früheren Karriere bei der NASA kenne ich jeden dieser neun Sterne, von Sheratan bis Mesarthim, egal, ob ich auf die zarte Kette in meiner Handfläche schaue oder in den nächtlichen Himmel.

Es ist das letzte Geschenk, das mich an ihn erinnert.

Anders als die geflüsterten Worte, die ich jeden verdammten Tag meines Lebens auszublenden versuche. Ich darf nicht darüber nachdenken, was sie womöglich bedeuten.

Das scheint in letzter Zeit ein Dauerthema für mich zu sein.

Die Dinge auszublenden, die Leute sagen.

Ob es die Worte meines Vaters auf dem Sterbebett sind …

Oder Holt Silvertons Gequatsche von seinen Zungeneinsätzen, die Vorstellung, was er in der Hose hat und das ganze andere lächerliche, gemeine, fiese –

Gott.

Der Mann macht mich ganz irre.

Er kommt hereinstolziert wie ein blöder eitler Pfau und mustert mich, als hätte er schon gewonnen, dabei ahnt er nicht mal, was auf dem Spiel steht.

Und dann geht er und ich höre, wie er diesen ganzen obszönen Mist labert …

Wow, hat das gutgetan, dabei zuzusehen, wie er auf seinen Arsch geknallt ist.

Zwei Mal.

Sein edles Outfit konnte er nachher vermutlich in die Tonne kloppen. Geschieht ihm recht!

Wenn man ihn sieht, würde man ihm nicht abnehmen, dass er von hier ist.

Ich fand es super, dass er sich den Dreck von Heart’s Edge aus dem Gesicht wischen musste.

Ein mahnender Hinweis, dass er nicht einfach wegwischen kann, wer er ist.

»‑ibby?«

Ich brauche eine Minute, bis mir klar ist, dass Felicity mich meint. Ups.

Ich habe abwesend auf ihre Hände gestarrt, während sie Gläser spülte, und im Geiste bloß diese teuflischen whiskygoldenen Augen gesehen.

»Libby.«