No gentle Giant - Nicole Snow - E-Book

No gentle Giant E-Book

Nicole Snow

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Beschreibung

Groß. Stark. Ein Herz aus Eis?

Vor Paxton „Alaska“ Charter haben viele Leute Angst. Auch ich finde ihn unheimlich. Dabei hat er mir schon einmal in einer Notlage geholfen. Jetzt ist er an meiner Seite, als es mit meinem Café schwierig wird. Und ich kann es kaum glauben: hinter der harten Schale aus Ruppigkeit, steckt ein warmherziger Single Dad, der alles für seinen kleinen Sohn tun würde. Aber ich habe schon genug Probleme und darf mich jetzt nicht auch noch in einen ehemaligen Seal verlieben. 

Doch wenn Alaska etwas will, dann bringt ihn keiner davon ab. Und offensichtlich will er mich – koste es, was es wolle ...

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Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Groß. Stark. Ein Herz aus Eis?

Vor Paxton »Alaska« Charter haben viele Leute Angst. Auch ich finde ihn unheimlich. Dabei hat er mir schon einmal in einer Notlage geholfen. Jetzt ist er an meiner Seite, als es mit meinem Café schwierig wird. Und ich kann es kaum glauben: hinter der harten Schale aus Ruppigkeit, steckt ein warmherziger Single Dad, der alles für seinen kleinen Sohn tun würde. Aber ich habe schon genug Probleme und darf mich jetzt nicht auch noch in einen ehemaligen Seal verlieben. 

Doch wenn Alaska etwas will, dann bringt ihn keiner davon ab. Und offensichtlich will er mich – koste es, was es wolle …

Über Nicole Snow

Nicole Snow ist eine Wall Street Journal und USA Today Bestseller Autorin. Sie entdeckte ihre Liebe zum Schreiben, als sie sich in ihren Mittagspausen oder in langweiligen Büromeetings Liebesszenen ausdachte und sich in Liebesgeschichten wegträumte.

Im Mittelpunkt von Nicole Snows Büchern stehen sexy Alpha-Helden, viel Spannung und noch mehr Leidenschaft.

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Nicole Snow

No gentle Giant – Alaska

Aus dem amerikanischen Englisch von Cécile G. Lecaux

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Kapitel 1: Keine Goldgräberstadt (Felicity)

Kapitel 2: Alles, Was Glänzt (Alaska)

Kapitel 3: Schwarzes Gold (Felicity)

Kapitel 4: Klar Schiff (Alaska)

Kapitel 5: Ein Echtes Goldstück (Felicity)

Kapitel 6: Es Ist Nicht Alles Gold, Was Glänzt (Alaska)

Kapitel 7: Der Schatz (Felicity)

Kapitel 8: Der Hüter Des Schatzes(Alaska)

Kapitel 9: Die Goldmine (Felicity)

Kapitel 10: Goldene Regeln (Alaska)

Kapitel 11: Schweigen Ist Gold (Felicity)

Kapitel 12: Der Goldtransport (Alaska)

Kapitel 13: Herz Aus Gold (Felicity)

Kapitel 14: In Gold Geschmiedet (Alaska)

Kapitel 15: Der Goldene Moment (Felicity)

Kapitel 16: Der Goldene Käfig (Alaska)

Kapitel 17 : Alles, Was Glänzt (Felicity)

Kapitel 18: Goldene Fesseln (Alaska)

Kapitel 19: Der Fluch Des Goldes (Felicity)

Kapitel 20: Goldstaub (Alaska)

Kapitel 21: Goldrausch (Felicity)

Kapitel 22: Gold Und Blei (Alaska)

Kapitel 23: Goldgräber (Felicity)

Kapitel 24: Der Goldregen (Alaska)

Kapitel 25: Reiner Als Gold (Felicity)

Kapitel 26: Tag Der Abrechnung (Alaska)

Kapitel 27: Goldregen (Felicity)

Kapitel 28: Reden Ist Gold (Alaska)

Kapitel 29: Goldene Zeiten (Felicity)

Impressum

Kapitel 1 Keine Goldgräberstadt (Felicity)

Es gibt in meinem Leben eine einzige Konstante, eine Sache, auf die ich mich verlassen kann: Was richtig gut anfängt, endet in einer Katastrophe.

Manche Leute haben sechs Richtige im Lotto. Sie finden die große Liebe, werden reich, berühmt oder was auch immer. Alles ganz easy.

Als hätten sie das Glück bestellt und an die Haustür geliefert bekommen, alles makellos und perfekt und mit lebenslanger Garantie.

Aber ich?

Nichts dergleichen. Meine vermeintlichen Schätze entpuppen sich jedes Mal als Fakes, als wertloses Katzengold.

Und es wäre grenzenlos dumm von mir zu glauben, dass meine aktuelle Glückssträhne nicht früher oder später endet und das Leben mir wieder mal einen Tiefschlag verpasst, der sich gewaschen hat.

Vielleicht ist das der Grund, weshalb ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll, dass die Umsätze meines kleinen Cafés aktuell durch die Decke gehen.

Der Strom glücklicher Gäste, Stammkunden wie Touristen, will einfach nicht abreißen, und ich schreibe kontinuierlich schwarze statt der gewohnten tiefroten Zahlen.

Mein »Nest«, so heißt mein Café, entwickelt sich zu einem gemütlichen eben solchen, und meine letzte Geschäftsidee – selbst geröstete Kaffeebohnen, die ich über einen Premium-Online-Shop verkaufe – ist ebenfalls gut angelaufen. Trotz des Rabatts, den ich meiner Freundin Clarissa Regis einräume, damit sie die Chicagoer Niederlassung ihrer expandierenden Ladenkette »Sweeter Things« in einem Joint-Venture mit »Sweeter Grind« immer gut mit Kaffee versorgen kann.

Ich sollte überglücklich sein. Meinen Geburtstag groß feiern. Meinen Erfolg mit einem kräftigen tropischen Cocktail mit Trinkhalm und Schirmchen begießen.

Nachdem ich all die Jahre so hart darum gekämpft habe, mein Café über Wasser zu halten, immer mit einem Fuß am Abgrund, grenzt es an ein Wunder, dass jetzt alles so gut läuft. Ja, ich sollte mich definitiv freuen.

Stattdessen schaue ich immer noch ständig über die Schulter, als spürte ich den heißen Atem der nächsten Katastrophe bereits im Nacken, und als rechnete ich damit, dass die Blase von jetzt auf gleich wieder platzen könnte.

Das tut sie immer, früher oder später.

Darauf kann ich mich verlassen.

Es wird nicht ewig so gut laufen.

Ich habe gelernt, die kleinen Freuden des Lebens zu genießen, bevor sie mir wieder entrissen werden.

Wenn Leben für den Moment eine Überlebensstrategie ist, dann kommt sie mir sehr zugute. Die aktuelle Ruhe vor dem unausweichlichen Sturm stimmt mich zufrieden.

Im gedämpften gemütlichen Licht sehe ich die kleinen Grüppchen von Gästen, die sich bei mir eingefunden haben, um ein wenig zu plaudern und dabei reichlich Kaffee zu trinken. Der Duft ihrer Getränke, von kräftigem schwarzem Espresso bis hin zur süßen Latte, wabert durch mein Nest.

Außenstehenden mag es seltsam vorkommen, aber ich kann jede Nuance meiner Getränke riechen und weiß genau, welche Zutaten den jeweiligen Duft erzeugen.

Eine Prise Muskatnuss und etwas Vanille in einem schaumigen Cappuccino. Die Schlagsahne, die die Latte so wunderbar cremig macht, die präzise kräftige Röstung, die dem Kaffee Charakter verleiht, ohne dass er bitter oder verbrannt schmeckt.

Es sind die kleinen Dinge, die dafür sorgen, dass meine Gäste ihren Aufenthalt bei mir genießen und von meinem Kaffee nicht genug bekommen können.

Es spielt keine Rolle, dass die Getränke nur eine kurze Lebensdauer haben und manchmal schneller getrunken sind, als ich gebraucht habe, um sie zuzubereiten.

Wer ins »Nest« kommt, fühlt sich wie zu Hause, sobald ihn der Duft und die Atmosphäre einhüllen und er den ersten Schluck auf der Zunge schmeckt.

Darum kneife ich auch jetzt die Augen zusammen vor Konzentration, ganz darauf fokussiert, das Aroma für Andrea Silvertons Pfefferminz-Mokka mit Sahne richtig hinzubekommen, als die Glocke über der Tür bimmelnd einen weiteren Gast ankündigt.

Ich kann nicht gleich aufblicken. Erst muss ich die Schlagsahne oben auf den kalten Minzkaffee-Traum geben. Ich rühre einmal kräftig um und bin dann wieder ansprechbar.

»Tada!« Ich schiebe zufrieden den Kaffee-Shake über den Tresen.

Andrea, Blakes punkige Tochter mit den lila gefärbten Haaren, grinst mich an.

Sie scheint heute ohne den Clark-Jungen da zu sein, aber ich wette, dass es keine zehn Minuten dauert, bis er aufkreuzt und sich mit ihr an einen Ecktisch verzieht, wo die beiden die Köpfe zusammenstecken und sich anschmachten, bis Blake erscheint, um seine Frau abzuholen, seine Tochter mitzuschleifen und Clark widerwillig anzubieten, ihn zu Hause abzusetzen.

Irgendwann wird er mit dem Freund seiner Tochter schon warm werden. Er hat ja reichlich Zeit, daran zu arbeiten, da Peace, seine Frau, fast jeden Abend im Café auftritt, um ein durstiges Publikum mit ihrer Gitarre zu verzaubern.

»Danke, Fliss.« Andrea macht ein Peace-Zeichen und zwinkert mir zu, wie immer die Lässigkeit in Person. »Was bin ich dir schuldig?«

»Das geht heute mal aufs Haus«, necke ich sie. »Deine Stiefmutter ist immerhin mein bestes Zugpferd.«

Andrea schneidet eine Grimasse und wirft einen Blick auf Peace Silverton, die auf einem Barhocker sitzt und leise an den Saiten ihres Instruments zupft. Ihre Stimme legt sich in einer beruhigenden, beinahe hypnotischen Melodie über das Stimmengewirr der Menge. »Hör bloß auf mit dem Stiefmutter-Kram. Sie ist meine Freundin.«

»Schon gut. Ich werde dich nicht wieder daran erinnern, was für ein Schwerenöter dein Dad ist.«

»Felicity!«, protestiert Andrea peinlich berührt und errötet bis in die Haarwurzeln.

»Ja? Kann ich noch was für dich tun?« Aber ich will sie nicht länger ärgern, zumal noch andere Gäste warten. Lachend scheuche ich sie davon und wische mit einem Geschirrtuch die Kondenswassertropfen fort, die ihr Shake auf dem hochglanzlackierten Tresen hinterlassen hat. »Geh und such dir einen Sitzplatz, solange es noch welche gibt.«

Sie streckt mir die Zunge raus, und ich wende mich lächelnd meinem nächsten Kunden zu. Als ich gerade etwas sagen will, registriere ich, dass es ein Kind von vielleicht elf, zwölf Jahren ist, das ich noch nie hier gesehen habe. Ein dunkelhaariger, hagerer Junge, der so schlaksig wirkt, dass er vermutlich noch um einiges wachsen wird. Ich ahne, wer er ist, die Ähnlichkeit ist unverkennbar: Das muss der Sohn des begehrtesten Junggesellen von Heart’s Edge sein.

Kater Mozart, der mal wieder bei mir zu Besuch ist, streicht laut maunzend um seine Knöchel.

Der Junge senkt den Blick und sieht aus, als fürchte er, über die eigenen Füße oder den Stubentiger zu stolpern. Ich glaube, ich habe ihn doch schon das eine oder andere Mal gesehen und ihm eine Limo verkauft.

Seinen Namen hat er aber nie genannt, und er war jedes Mal ganz schnell wieder weg, das Gesicht unter seinem langen Pony verborgen, eine Kamera an einem verstellbaren Riemen um den Hals.

Heute ist er das erste Mal in Begleitung da.

Ein paar Sekunden später bimmelt die Türglocke erneut, und ein wahrer Hüne von einem Mann kommt herein. Der Eisklotz, wie ich ihn insgeheim nenne. Wobei Conan der Barbar auch passen würde. Ehrlich, ich übertreibe nicht.

Er ist bestimmt zwei Meter groß, der Umfang seines Bizeps dürfte dem meines Kopfes entsprechen, und ich wette, er würde nicht mal ein Zauberschwert brauchen, um eine ganze Armee von Bösewichten in Schach zu halten.

Aber er ist nicht nur groß und muskulös, sondern auch unfassbar attraktiv mit seinen dunklen Haaren, den kantigen, wie in Stein gemeißelten Gesichtszügen.

Im Ernst, Alaska Charter lebt noch nicht allzu lange in der Stadt, und doch würde ich wetten, dass jede Single-Frau im Ort nachts Unanständiges von ihm träumt, auch und vor allem ich selbst.

Bei mir hat er jedenfalls innerhalb kürzester Zeit einen Eindruck hinterlassen, der eingeschlagen hat wie ein Blitz. Und das so nachhaltig, dass ich ihn vermisst habe, als er den Winter über fort war, nachdem er monatelang täglich im Café gewesen war, während er an dem großen Bauprojekt im Tal mitgearbeitet hatte.

An dem Ort, den alle kennen und den doch niemand erwähnt. Dort, wo sich früher einmal das alte Hotel befand und der noch ältere Minenschacht, ein Ort, der bei den Einheimischen als unheilvoll gilt und dementsprechend gemieden wird.

Aber nachdem ich ihn eine ganze Weile nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte, war ich davon ausgegangen, dass er nur als Saisonkraft hier gearbeitet und gewohnt hatte, hatte doch auch Holt Silverton seine Baustelle über den Winter stillgelegt.

Dann, vor ein oder zwei Wochen, ist er wiederaufgetaucht und hat sich wie früher seine große Thermoskanne bis zum Rand mit Kaffee auffüllen lassen und eine lange Liste von Kaffeebestellungen für sämtliche Bauarbeiter aufgegeben.

Und diesmal hat er diesen Jungen bei sich, der Alaska wie aus dem Gesicht geschnitten ist und nur sein Sohn sein kann.

Hm.

Conan der Barbar ist also Vater.

Davon ist mir bislang über den üblichen Kleinstadttratsch nichts zu Ohren gekommen. Ich muss gestehen, dass ich ein klein wenig enttäuscht bin und mich frage, ob es auch irgendwo die dazugehörige Mom gibt, die womöglich eines Tages ebenso unverhofft wie der Junge hier aufschlägt.

Nein.

Seien wir realistisch.

Bei einem Mann seines Aussehens hätte ich sowieso nie eine Chance. Nicht, dass es mir an Selbstbewusstsein mangeln würde, aber … Ich habe einen Laden, um den ich mich kümmern muss.

Außerdem stehe ich in direktem Konkurrenzkampf zur Geier-Schwadron, will sagen, zu sämtlichen Single-Frauen von Heart‘s Edge, die es sich allesamt zur Aufgabe gemacht haben dürften, dieses Prachtexemplar zu erobern.

Ich weiß, wann es besser ist, im Hintergrund zu bleiben, um eine sichere Niederlage zu vermeiden.

Das heißt allerdings nicht, dass ich etwas dagegen hätte, diskret einen Blick zu riskieren, als Alaska stehen bleibt, um seinem Sohn in einer beinahe zärtlichen, beschützenden Geste eine kräftige Pranke auf die Schulter zu legen.

Er beugt sich herab und flüstert dem Jungen etwas ins Ohr, woraufhin dieser nickt und sich bückt, um die Katze auf den Arm zu nehmen.

Sie können von Glück sagen, dass Mozart stinkfaul ist und sich gerne herumtragen lässt.

Während der Junge den miauenden Kater an sich drückt, richtet Alaska sich wieder zu voller Größe auf und kommt mit seiner üblichen Metalltrinkflasche auf den Tresen zu.

Mein Blick gleitet an ihm herab und …

Oh. Wow.

Das Grau der Stahlflasche hat in etwa die gleiche Farbe wie das silbergraue Tattoo an seinem Arm, ein aufwändiges, stilisiertes Kunstwerk, das seine Muskeln noch kraftvoller erscheinen lässt. Die Muskeln spannen und entspannen sich unter der Haut, und die Sehnen treten hervor, als er die Flasche auf den Tresen stellt und den Arm hebt. Er streicht sich mit einer Hand das dicke schwarze Haar aus dem bärtigen Gesicht, in dem zwei ausdruckvolle, fast schwarze Augen funkeln.

Man sollte meinen, dass ein so dichter Bart das Gesicht verdecken würde, aber tatsächlich trägt er nur dazu bei, den Fokus auf seinen entschlossenen Mund zu lenken, der aussieht, als wäre er es gewöhnt, Befehle zu erteilen. Trotzdem wirken seine Lippen bei näherer Betrachtung auch verführerisch sinnlich, und umspielt sie nicht auch der Anflug eines Lächelns? Und als er spricht, klingt seine Stimme ausgesprochen freundlich, wenn auch ein wenig heiser, als hätte er eine lange Schicht bei eisigem Wind hinter sich.

»Guten Abend«, grüßt er höflich.

Reiß dich zusammen, Felicity. Benimm dich.

Ich eigne mich weder zur Stiefmutter noch bin ich auf eine Affäre aus.

Hör auf, seine Lippen anzustarren. Die Lachfältchen um seine Augen und die markanten Wangenknochen über dem Bart.

Den unglaublich breiten und muskulösen Brustkorb, der sich unter dem geradezu unanständig eng anliegenden dunkelgrauen T-Shirt abzeichnet.

Die Schultern, das Sixpack, die schmale Taille und die Hüften in den perfekt sitzenden Jeans. Ein Körper zum Dahinschmelzen.

Und der seine Wirkung auf mich nicht verfehlt, so dass es mir schwerfällt, mich zu konzentrieren und auch nur ein vernünftiges Wort hervorzubringen.

Während ich also noch damit kämpfe, mein Gehirn wieder auf Kurs zu bringen, schenke ich ihm mein strahlendstes und professionellstes Barista-Lächeln und greife nach seiner Trinkflasche.

»Hey. Wie immer?«

»Yep.«

Ich gebe mir alle Mühe, das Prickeln zu unterdrücken, das mir beim Klang seiner Stimme in einem wohligen Schauer den Rücken hinunterläuft.

Aber auch wenn er mir gegenüber sehr freundlich ist, wirkt Alaskas Blick beinahe misstrauisch, als würde sich hinter seinen strahlenden Augen ein dunkles Geheimnis verbergen. Ich versuche den Gedanken zu verdrängen, ob er jeden so ansieht oder nur mich.

»Ich muss heute Überstunden machen«, erklärt er ganz entspannt. »Ich arbeite an einer komplizierten Elektroinstallation, die noch heute fertig werden muss.«

Ich lächle, komme aber nicht dazu, etwas darauf zu erwidern, weil bereits wieder die Türglocke bimmelt und meiner Frage zuvorkommt, was dann aus dem Jungen wird, der gerade das Gesicht zwischen Mozarts Ohren vergräbt und das Kinn am Kopf des Katers reibt. Ich sollte mich nicht in anderer Leute Angelegenheiten einmischen.

Ich habe gerade Alaskas Trinkflasche bis zum Rand gefüllt, als neue Gäste hereinkommen, die mir bei Weitem nicht so willkommen sind wie mein Gegenüber.

Mitch, der Inhaber der Autowerkstatt, mit Frau, Kindern und dem überfreundlichen Boxer Momo, der sofort ein helles Bellen von sich gibt und die Ohren spitzt, als er Mozart entdeckt.

Mist.

Das geht schief. Drei, zwei, eins … und die Hölle bricht los.

Mozart legt die Ohren an. Momo hechelt und rennt begeistert los. Mozart faucht. Momo steuert geradewegs auf den Jungen zu.

Im nächsten Moment hat der orangene Kater sich mit gesträubtem Fell aus den Armen des Jungen gewunden, dessen Kamera am Trageriemen wild hin und her pendelt. Immerhin war der Junge so schlau, den Kater loszulassen, damit der ihm nicht die Arme zerkratzt.

Der Hund ist leider weniger schlau und scheint nicht zu erkennen, dass Mozart alt, erfahren und der Herr im Haus ist und sich vor nichts und niemandem fürchtet.

Im nächsten Moment geht es in meinem Café zu wie in einem alten Tom-und-Jerry-Cartoon, in dem Tom und die alte Bulldogge Spike aneinandergeraten.

Der Junge scheint das ähnlich zu sehen – oder zumindest scheint er das Ganze für ein gutes Fotomotiv zu halten, da er zurückweicht und mit der Kamera draufhält. Leider stößt er beim Zurückweichen gegen den Tisch im Schaufenster, auf dem ich ein paar Dutzend brandneuer Keramiktassen mit dem verschnörkelten goldenen Logo des »Nests« auf einem herbstlichen Farbverlauf von Rost bis Senfgelb zu einer Pyramide aufgetürmt habe.

»O nein«, stöhne ich entsetzt und werfe einen panischen Blick auf Alaska.

Ich muss handeln, wenn ich noch etwas retten will. Als ich gerade loslaufe, passieren zu viele Dinge gleichzeitig.

Ich schieße hinter dem Tresen hervor.

Momo bellt so hysterisch, dass die Fensterscheiben klirren.

Mozart macht mit buschigem Schwanz einen Buckel und faucht angriffslustig, zerkratzt im nächsten Moment mit einem gezielten Pfotenhieb Momo die Nase, rennt dann los, um sich vor dem zuschnappenden Hundemaul in Sicherheit zu bringen – geradewegs auf den Jungen zu.

Alaska wirbelt wie in Zeitlupe herum, eine Hand ausgestreckt.

Mozart springt dem Jungen zwischen die Beine, und ich komme eine Sekunde zu spät, als der Junge das Gleichgewicht verliert, rückwärts taumelt und in meiner liebevoll dekorierten Auslage voller zerbrechlicher Souvenirs landet.

Wer noch nie sein Leben wie einen Film vor seinem inneren Auge hat vorbeiziehen sehen, sollte einer Szene beiwohnen, in der ein angehender Teenager mit seinem knochigen Hintern auf einem runden Glastisch landet, und zwar in exakt dem richtigen Winkel, um diesen zum Kippen zu bringen, so dass knappe fünf Dutzend Tassen in die Luft katapultiert werden.

Willkommen im leidgeprüften Heart’s Edge, Montana. Wir wurden schon von Explosionen, Bränden und allerlei Pech heimgesucht. Ja, beinahe kommt es uns vor, als würden wir von keiner der sieben biblischen Plagen verschont, aber bei alledem hat wohl doch niemand im Café damit gerechnet, mit Tassen beschossen zu werden.

Die Leute springen inmitten der zerschellenden Tassen wie von der Tarantel gestochen von ihren Plätzen auf, schneller als ich »Ach du Scheiße« sagen kann, wobei ich das gleich mehrmals wiederhole, während ich mich durch den Tassenhagel zu dem Jungen vorkämpfe.

Überall zerschellen Tassen, scharfkantige Splitter schleudern wie Schrapnelle durch die Luft, aber mir geht es jetzt erst mal nicht darum, meinen Besitz zu schützen, sondern um den dürren Jungen, der droht, jeden Moment in die rasiermesserscharfen Bruchstücke auf dem Fußboden zu stürzen und sich zu verletzen.

Nach diesem Zwischenfall werde ich wohl meine Haltung gegenüber Haustieren, insbesondere Hunden, in meinem Café überdenken müssen.

Ich bekomme den Jungen zu fassen, kurz bevor er auf dem Boden aufschlägt. Ich klemme ihn mir buchstäblich unter den Arm und mache im Fallen eine Drehung. Zwar ist der Sturz nicht mehr zu verhindern, aber wenigstens kann ich ihn mit meinem Körper schützen, auch wenn ich weiß, dass es wehtun wird.

Aber das ist mir egal.

Ich wappne mich für den Aufprall, kneife die Augen zu und rechne mit einem gebrochenen Ellbogen, wobei ich bete, dass sich keine Scherbe allzu tief in meine Haut bohrt.

Was mich im nächsten Moment berührt, ist jedoch keine scharfkantige Scherbe, sondern ein muskulöser Arm, der sich wie ein stählernes Tau um meine Mitte legt und mit einem so kräftigen Ruck nach oben zieht, dass es mir buchstäblich den Atem raubt.

Ich reiße die Augen auf.

Alaska.

Sein Griff lockert sich auch nicht, als er mit den Knien zu Boden geht und sich schützend über mich beugt, so dass sein Körper mich einschließt wie ein Kokon, während sich mein Körper ebenso schützend um den des Jungen legt.

Heilige Scheiße.

Sein Körper fühlt sich unglaublich an. Hart und warm.

Nicht nur mein Herz brennt lichterloh, als ich in seine überraschend gelassenen unergründlichen Augen blicke.

Schwer atmend verharre ich reglos in seinen Armen, während die letzten Tassen und Splitter auf uns herabregnen und von seinem breiten Rücken abprallen, bevor sie auf dem Fußboden zu Porzellanstaub und kleinen glänzenden Fragmenten zerspringen.

Die Stille, die abrupt nach dem ohrenbetäubenden Lärm eintritt, ist beinahe unheimlich.

Alle um uns herum sind wie erstarrt – außer Mitch, der Momo zwischenzeitlich angeleint hat und sich redlich abmüht, den hysterischen Boxer möglichst sanft aus dem Café zu bugsieren.

Mozart seinerseits ist bereits aus dem Katastrophengebiet geflüchtet.

Typisch.

Aber der Kater kümmert mich gerade wenig.

Ich starre stattdessen wie gebannt auf den Berg von einem Mann, der mich in seinen Armen hält, und frage mich, woran es liegen mag, dass ich mich fühle, als stünde ich unter Strom – als hätte ich gerade einen dreifachen Espresso heruntergekippt.

»Sind Sie okay?«, fragt er atemlos.

Bin ich? Und meint er überhaupt mich? Ich bin zu eingeschüchtert, um zu antworten, vor allem als mir bewusst wird, dass ich den Jungen immer noch so fest an mich drücke, als fürchte ich, er könnte auseinanderbrechen, wenn ich ihn loslasse.

Mit einem erschrockenen Aufschrei lockere ich meinen Griff, aber er hat vor Schreck die Arme um meinen Hals geschlungen und das Gesicht an meiner Schulter vergraben.

Die Art, wie er sich schutzsuchend an mich klammert, weckt tief in meinem Inneren ein mir völlig unbekanntes, warmes Gefühl.

Ich habe keine jüngeren Geschwister, und das bisschen Familie, das ich habe, wohnt weit verstreut. Sogar meine Cousine Ember Caldwell habe ich erst verhältnismäßig spät näher kennengelernt, so dass ich noch nie in der Situation war, ein Kind beruhigen zu müssen.

Die Art, wie der Junge sich an mich krallt, weckt meinen Beschützerinstinkt, und nach einem zögerlichen Blick auf Alaska lege ich ihm eine Hand auf den Rücken.

»Hey. Dir ist doch nichts passiert, oder? Es ist alles okay. Es ist vorbei. Auch wenn es hier aussieht, als wäre ein Tornado durch das Café gefegt.«

Ein Schniefen, gefolgt von einer erstickten, unglücklichen leisen Stimme. »Aber … ich … ich habe Ihre Tassen zerbrochen. Sind Sie denn nicht wütend?«

»Nein, ich …« Ich unterbreche mich. Eigentlich müsste ich wütend sein, immerhin hat das Porzellan eine Stange Geld gekostet, und mit den Tassen ist der Gewinn aus ihrem Verkauf pulverisiert worden, aber ich bin vor allem erleichtert, dass offenbar niemand verletzt wurde.

»Sehe ich aus, als wäre ich böse? Wie heißt du?«

»Eli«, murmelt er.

»Eli«, wiederhole ich und muss lächeln.

Es ist unwichtig, dass Alaska mich immer noch festhält wie ein Ritter, der ein Burgfräulein vor dem Drachen gerettet hat. Oder dass alle Leute uns anstarren.

Aber ein völlig verstörter Junge klammert sich an mich wie ein Ertrinkender, und alles andere hat Zeit bis später.

Eli hebt langsam den Kopf. Unter seinem Haarschopf hervor – er trägt das Haar beinahe wie einen Helm geschnitten, wie es vor zehn Jahren mal modern war – schauen mich zwei dunkelbraune Augen an. Es sind die Augen seines Vaters, und jetzt sind sie weit aufgerissen, glitzern von Tränen und schauen so traurig und schuldbewusst, dass es mir das Herz bricht.

»Ich bin nicht böse«, sage ich beruhigend. »Versprochen.«

»Wirklich nicht?«

»Das waren doch nur Tassen«, sage ich und schenke ihm ein, wie ich hoffe, beruhigendes Lächeln. »Niemand wurde verletzt, und das ist alles, was zählt.«

»Elijah«, sagt Alaska sanft, aber bestimmt. »Was sagt man?«

»Es … es tut mir leid, Ma’am.« Eli reibt sich die Augen. »Und ich …« Erst jetzt schaut er sich um und macht große Augen, als er die Verwüstung um uns herum wahrnimmt. »Ich weiß nicht, ob mein Taschengeld reicht, um für das alles zu bezahlen.«

»Du kannst es abarbeiten, auch wenn es ein paar Jahre dauern wird. Und am besten fängst du gleich damit an, indem du mir beim Aufräumen hilfst«, entgegnet Alaska trocken und richtet dann seine braunen Augen auf mich.

Ich rede mir ein, dass mir das Herz nur vor Erleichterung bis zum Hals schlägt, weil ich um ein Haar in einem Tassenhagel umgekommen wäre.

»Was bin ich Ihnen schuldig?«, fragt er.

»Äh.« Meine Wangen glühen, als würde ich bei hochsommerlichen Temperaturen Kaffeebohnen rösten. »Darf ich vielleicht erst mal aufstehen?«

Alaska blinzelt.

Er räuspert sich etwas zu laut, und es klingt wie das Brummen eines Grizzlys, woraufhin Eli kichert und unter dem Pony hervor mit einem spöttischen Grinsen zu seinem Vater aufblickt.

»Willst du uns beide wie Babys tragen, Dad?« Dann wendet er sich immer noch grinsend an mich. »Stark genug wäre er. Ich hab mal gesehen, wie er …«

»Das reicht«, unterbricht Alaska ihn brummig und zerzaust ihm mit einer Hand das Haar, während er mich mit der anderen hochzieht, bis ich wieder festen Boden unter den Füßen habe. Jetzt lasse ich auch Eli herunter, so dass wir alle drei etwas unsicher inmitten des Scherbenhaufens stehen, der einmal eine Tassenpyramide war.

O mein Gott.

Die böse Vorahnung einer drohenden Katastrophe, die mir schon seit Wochen Magenschmerzen bereitet, hat mich also nicht getrogen. Glück ist eine Illusion.

Es ist eben nicht alles Gold, was glänzt.

Ich streiche mir das Haar zurück und rechne in Gedanken zusammen, wie teuer die Tassen waren, setze auch den Tisch auf die Liste, dessen Glasscheibe gesprungen ist, sowie die Massivholzdielen, die ich gerade erst habe ersetzen lassen, nachdem die Dreckskerle, die hinter meiner besten Freundin Libby her waren, den alten Boden vollständig zerschrammt hatten. Es tut mir in der Seele weh, als ich die tiefen Kratzer in den honigfarbenen brandneuen Eschenholzdielen sehe.

Verdammt.

Ich will den Mann ja nicht ausnehmen oder gar übervorteilen, nachdem er seine eigene Gesundheit aufs Spiel gesetzt hat, um Schaden von mir abzuwenden, aber ich kann es mir schlicht nicht leisten, auf eine Entschädigung zu verzichten. Wenn er schon so anständig ist, für den Schaden aufzukommen, werde ich das Angebot gerne annehmen.

Ich hänge an dem Laden, und ich bin auf ihn angewiesen.

Er ist meine einzige Einnahmequelle.

Niemand geht in ein schäbiges Café mit zerschrammtem Inventar und kaputten Dielen, auch wenn ich der einzige Laden bin, der abgesehen vom Diner richtig guten Kaffee anbietet.

Ich setze zum Sprechen an und wende mich Alaska zu, als mir alles Blut aus dem Gesicht weicht, das eben noch geglüht hat. Eins von Alaskas Hosenbeinen hat sich verfärbt, und der Fleck wird zusehends größer.

Er hat sich verletzt.

Die Jeans ist zerrissen und blutig, und eine Keramikscherbe steckt unterhalb der Kniescheibe in seinem Bein.

Grundgütiger.

Und er steht nur da und schaut mich mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an, als würde er gar nichts spüren.

»Äh.« Ich starre immer noch sein Bein an. »Brauchen Sie einen Arzt?«

»Wie?« Er senkt den Blick, blinzelt, runzelt dann die Stirn und zieht die Scherbe aus seinem Fleisch, als handelte es sich um ein lästiges Insekt.

Ich kann gar nicht hinsehen.

Als ich mich ihm schließlich doch wieder zuwende, lässt er gerade die blutige Scherbe auf den Boden fallen und zieht den Riss in der Hose auseinander, um die rosa schimmernde Wunde genauer zu betrachten.

»Nein. Sieht schlimmer aus, als es ist. Da wurde wohl ein größeres Blutgefäß getroffen, darum blutet es so stark. Es tut aber nicht besonders weh«, brummt er.

Ich mustere ihn aus zusammengekniffenen Augen. »Ganz sicher, dass das nicht nur so ein ›Indianer kennen keinen Schmerz‹-Ding ist?«

Er überrascht mich mit einem herzlichen dröhnenden Lachen, das mir durch und durch geht und die Mauer, die ich um mein Herz errichtet habe, in sich zusammenstürzen lässt.

Verdammt. Verdammt und noch mal verdammt.

Ich will ihn nicht toll finden. Ich bin doch nicht so blöd und renne mit offenen Augen ins Verderben.

»Es geht mir gut. Ehrlich.« Die nussbraunen Augen funkeln, und er schaut mich an, als würden wir uns schon länger kennen und als bedeutete es ihm etwas, dass ich mich um ihn sorge. »Sie brauchen keine Anzeige wegen Körperverletzung zu fürchten, Miss … Felicity, richtig?«

»Ja, das ist richtig, aber Sie irren sich. Ich mache mir keine Sorgen wegen einer Anzeige, sondern um Ihr Bein. Darf ich die Wunde wenigstens säubern, damit sie sich nicht entzündet?« Ich zeige mit einer vagen Geste in den Flur, der zu meinem Büro führt. »Ich habe hinten einen Erste-Hilfe-Kasten. Dann können wir uns auch über die Schadensregulierung unterhalten.«

Er betrachtet mich nachdenklich und nickt schließlich schmunzelnd. »Unter einer Bedingung.«

»Und die wäre?«, frage ich mit hochgezogener Braue.

»Sie zeigen dem da zuerst die Besenkammer, damit er schon mal anfangen kann, die Scherben zusammenzufegen.« Er deutet dabei mit dem Daumen auf Eli.

»Hey!« Eli schiebt die Unterlippe vor. »Dad!«

»Nix Dad!«, entgegnet Alaska streng, auch wenn seine Mundwinkel zucken, als müsste er sich das Lachen verkneifen. »Du fegst, während ich mich von der hübschen Lady verarzten lasse und den Schaden begleiche, den du angerichtet hast. Keine Widerrede.«

Nein, ich erröte nicht, weil er mich als hübsche Lady bezeichnet hat.

Gar nicht.

Trotzdem freue ich mich über die Ausrede, in die Besenkammer zu verschwinden, um Kehrblech und Besen zu holen. Kurz darauf drücke ich Eli beides in die Hand.

»Aber sei vorsichtig«, ermahne ich ihn. »Schneide dich nicht.«

Er streckt mir spielerisch die Zunge raus. »Dad sagt, ich bin in einer Wachstumsphase. Ich bin erst zwölf. Ich werde noch viel größer.«

»Dad sagt auch, du sollst weniger quatschen und mehr arbeiten.« Alaska verwuschelt seinem Sohn mit offensichtlicher Zuneigung das Haar, und Eli grinst mich an. »Dann mal los. Lassen Sie uns reden. Und hinterher genehmige ich mir erst mal einen Drink. Ich habe mir sagen lassen, hier gibt es eine ziemlich gute Fassbrause.«

»Klar. Bassfrause. Ich meine … Sie wissen, was ich meine.«

Der Mann bringt mich ganz durcheinander. Typisch, dass ich mich auch noch verhaspeln und lächerlich machen muss.

Egal. Ach ja. Mein Büro.

Gleich werde ich mit einem Mann, in den ich seit dem vergangenen Jahr verknallt bin, in einem winzigen Raum alleine sein.

Mit dem Mann, bei dessen Anblick ich Herzrasen bekomme und ins Schwitzen komme.

Ich packe das.

Ich muss.

Wenigstens habe ich mein vorprogrammiertes Desaster jetzt hinter mich gebracht. Warum also ist da immer noch dieses beklemmende Gefühl in meiner Brust, so eine Ahnung, dass es noch schlimmer kommen wird?

Obwohl die Musik wieder spielt, kommt es mir vor, als würde jeder einzelne Gast im Café uns nachblicken, als Alaska und ich mein Büro ansteuern.

Noch ist es Peace nicht gelungen, die Aufmerksamkeit der Leute nach dem Zwischenfall wieder auf sich zu ziehen. Zudem ist die Hälfte der Gäste gegangen.

Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die meisten Blicke reinem Neid von Seiten der Single-Damen-Fraktion geschuldet sind, die am heutigen Abend zahlreich vertreten ist und die ihre Abneigung mir gegenüber für den Abend hintangestellt hat wegen der Live-Musik, die eine perfekte Atmosphäre schafft, um einen Mann kennenzulernen.

Dating-Apps haben sich in den eher kleinen Ortschaften in Montana bislang nicht durchsetzen können.

Trotzdem fürchte ich, dass die finsteren Blicke einen anderen Hintergrund haben könnten. Diese verfluchten alten Gerüchte.

Obwohl ich mir nie etwas habe zuschulden kommen lassen, hat mein Vater umso mehr dazu beigetragen, den Ruf unserer Familie zu ruinieren, und viele Leute denken bestimmt, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.

Schlechter Baum. Schlechte Gene. Wie das halt so ist.

Ich meine, lange Zeit hieß es, ich würde für Geld mit einem Typen ins Bett gehen, bis der dann ins Gras gebissen hat … Es dauert wirklich ewig, bis solche Gerüchte in Vergessenheit geraten und das Getuschel aufhört. Einiges von dem Geflüster an den Tischen ist sicherlich wenig charmant.

Bestimmt denken sie, dass ich mich nur deshalb mit Alaska unter vier Augen besprechen will, um ihm an die Wäsche zu gehen.

Und mich lassen nicht seine braunen Augen erröten, sondern die Scham wegen der Gedanken, die den Gästen ins Gesicht geschrieben stehen, als ich das kleine, vollgestellte Büro betrete.

Er ist sehr still, und ich frage mich, ob er etwas von dem gehässigen Getuschel hinter meinem Rücken mitbekommen hat.

Sind ihm, obwohl er noch neu in der Stadt ist, Gerüchte über mich zu Ohren gekommen? Fragt Alaska sich vielleicht, wie lange es dauert, mich flachzulegen? Ich kann nur hoffen, dass er nicht ahnt, welche Wirkung er auf mich hat.

Ich vermeide es, ihn anzusehen, als ich um den überladenen Schreibtisch herumgehe und die unterste Schublade öffne, um darin herumzukramen. Ernsthaft, die Schublade ist ein Fass ohne Boden, und ich muss erst drei Beutel Süßigkeiten von »Sweeter Things« herausnehmen, bevor ich auch nur ansatzweise Land sehe.

Endlich finde ich ganz unten den Erste-Hilfe-Kasten.

Es gibt in meinem Büro nur einen Stuhl, also stehe ich auf und rolle diesen um den Schreibtisch herum.

»Setzen können …« Ich hebe den Kopf und verstumme schlagartig.

Er hat sich bereits auf die Schreibtischkante gesetzt, das gesunde Bein angewinkelt, das verletzte vor sich ausgestreckt.

Er mustert mich ruhig, als könnte er durch mich hindurchsehen, woraufhin mein Herz wieder einen kleinen Sprung macht.

Mir ist noch nie ein Mann begegnet, der einer Frau mit einem Blick das Gefühl geben kann, splitterfasernackt zu sein, ohne dass es etwas Abstoßendes hätte.

Ich sehe in seinen Augen aufrichtiges Interesse, Sympathie und Neugier.

Er gibt mir das Gefühl, durchsichtig zu sein, als könnte er auf den Grund meiner Seele sehen. Ich scheine mit meiner Einschätzung ganz richtig zu liegen, als ich nämlich den Blick senke und den Stuhl nun für mich selbst heranziehe, sagt er, noch bevor ich dazu gekommen bin, den Erste-Hilfe-Kasten zu öffnen: »Sie sind angespannt.«

Ich zucke innerlich zusammen, klappe den Deckel hoch und krame im Inhalt des Kastens, bis ich eine sterile Kompresse gefunden habe. Ich nehme sie heraus und reiße die Verpackung auf. »Mit mir ist alles in Ordnung.«

»Tut mir leid, dass mein Sohn ein solches Chaos veranstaltet hat. Ich verspreche Ihnen, dass ich für den Schaden in voller Höhe aufkomme. Ich kann mir das leisten, Miss Felicity.«

»Das ist nicht …« Ich unterbreche mich und beiße mir auf die Unterlippe, um mich auf seine Wunde zu konzentrieren. Zuerst schlage ich vorsichtig den blutdurchtränkten Stoff zurück, um mir den Schnitt genauer anzusehen.

Es gibt doch nichts Besseres als etwas Blut, um den Kopf frei zu machen. Ich hole tief Luft und fange an, die Wunde zu säubern.

»Hören Sie, Sie sind noch ziemlich neu in Heart’s Edge, richtig? Trotzdem gehe ich davon aus, dass Ihnen die Gerüchte zu Ohren gekommen sind.«

»Gerüchte? Ich weiß nicht, was Sie meinen«, entgegnet er. »Ich habe den ganzen Sommer auf der Baustelle im Tal gearbeitet und bin dann für ein paar Monate zurück nach Alaska, um ein paar Dinge zu regeln. Ich bin noch nicht lange zurück. Ich schätze, bei dem ganzen Hin und Her ist die Gerüchteküche wohl an mir vorbeigegangen.«

Ich ziehe eine Braue hoch und blicke durch die Wimpern zu ihm auf. »Moment. Sie sind aus Alaska und heißen Alaska?« Interessant.

Er grinst breit und zeigt dabei zwei Reihen makelloser, strahlend weißer Zähne.

»Mein richtiger Name ist Paxton, aber wenn man auf dem Bau arbeitet, bekommt man schnell einen Spitznamen, vor allem, wenn man sich von der Masse abhebt. Bei mir ist es wohl die Größe. Eine Weile haben sie mich Yukon genannt. Auch mal Eisbär, aber dafür war ich wohl doch noch etwas zu jung.« Sein Lachen geht mir durch und durch. »Letztlich ist es bei Alaska geblieben. Ich habe mich daran gewöhnt.«

Ich ertappe mich dabei, dass ich grinse wie ein Honigkuchenpferd.

»Alaska passt zu Ihnen. Bei Paxton bin ich mir nicht so sicher.« Er hat etwas an sich, das mich entspannt, aber als ich die blutige Kompresse in den Abfalleimer werfe, eine zweite auspacke und auf die Schnittwunde lege, versteift er sich.

»Entschuldigung«, sage ich leise, während ich sehr behutsam die Wunde abtupfe.

»So schlimm ist es gar nicht. Ich stelle mich gerade an wie ein Kleinkind.«

»Dafür sind Sie etwas groß …«

Die Untertreibung des Jahrhunderts. Tatsächlich kommt er mir in dem engen Büro beinahe überlebensgroß vor.

»Ich bin für so ziemlich alle Lebensbereiche zu groß, aber auch daran gewöhnt man sich«, erwidert er lächelnd.

Seine Worte lenken meine Gedanken sofort in eine Richtung, zumal ich seiner Körpermitte gerade mit dem Gesicht sehr nahe bin, und da wird ja wohl der eine oder andere unanständige Gedankengang erlaubt sein.

Ich räuspere mich, tupfe noch etwas Blut weg und schaue mir dann den Schnitt genauer an.

»Sie haben recht, es ist nur eine oberflächliche Wunde. Ich desinfiziere das und klebe ein Pflaster drüber. Das müsste reichen.«

»Gott sei Dank. Wenn ich richtig informiert bin, gibt es hier keinen Arzt, sondern nur einen unfreundlichen Kuhdoktor, richtig?«

»Der Doc ist nicht unfreundlich. Ein bisschen sarkastisch vielleicht. Seiner Frau und den Kindern gegenüber ist er aber die Freundlichkeit in Person. In Notfällen ist es aber nicht so weit bis Missoula.« Ich sprühe etwas Wundspray auf den Schnitt und klebe dann ein großes Pflaster darüber. »Fertig.«

»Bekomme ich zum Trost noch einen Kuss auf das Pflaster?«

Ich stutze verblüfft. Unsicher, ob ich im Erdboden versinken oder es mit Humor nehmen soll, entscheide ich mich für Letzteres und krümme mich buchstäblich vor Lachen.

»Alles okay mit Ihnen, Miss Felicity?«, fragt er nach einer Weile.

»Sind Sie ganz sicher, dass Eli von Ihnen beiden das Kind ist?«, kichere ich.

»Erwachsene Männer sind auch nur große Jungs«, entgegnet er achselzuckend. Er dreht das Bein ein wenig und klopft dann auf sein Knie. »Sie haben das Zeug zur Krankenschwester. Das fühlt sich schon viel besser an. Aber noch mal zu den Gerüchten … Was haben Sie damit gemeint?«

Schlagartig ist bei mir Schluss mit lustig. Bitterkeit steigt in mir auf.

»Und ich dachte, es wäre mir gelungen, vom Thema abzulenken«, sage ich leise und bereue es, dass ich überhaupt damit angefangen habe.

»Hey, wir müssen nicht darüber reden, wenn Sie nicht möchten«, sagt er freundlich. Sachlich. Und er scheint es ernst zu meinen. »Allerdings scheint es Sie zu belasten, wenn ich also irgendwie helfen kann …«

»Leider nein, es sei denn, Sie haben irgendwo eine Zeitmaschine versteckt. Sie können nichts wiedergutmachen, woran Sie ja nicht einmal Anteil hatten.« Seufzend lehne ich mich auf dem Stuhl zurück und blicke zu ihm auf. Dann gebe ich mir einen Ruck. »Mein Vater war ein ziemlich kaputter Typ, und die Leute hier haben ein gutes Gedächtnis. Sie gehen davon aus, dass seine Tochter nicht viel besser ist als er. Vielleicht brauchen sie auch einfach nur etwas, worüber sie sich das Maul zerreißen können. Es wird viel geredet. Dass ich angeblich Geld für Sex genommen hätte. Und da Sie ein Kind haben, dachte ich mir, Sie würden vielleicht wissen wollen, dass es Gerede geben könnte, weil wir beide in meinem Büro verschwunden sind. Nicht, dass Ihrer Frau irgendwelche Gerüchte zu Ohren kommen.«

Ups.

Ist es zu offensichtlich, dass ich mehr über sein Privatleben und vor allem seinen Beziehungsstatus erfahren möchte?

Alaska mustert mich ernst, wirkt jedoch weder verärgert noch abgestoßen. In seinen Augen lese ich nichts als freundliche Neugier, und ich frage mich, weshalb. Warum sieht er mich an, als ob …

Ich weiß auch nicht.

Was könnte er von mir wissen wollen, dass er mich mit solch nachdenklichem Interesse mustert?

Ich bin erleichtert, als er den Blick abwendet und sich mit einer Hand, die mehr eine Pranke ist, das schwarze Haar zurückstreicht. Er kneift die Augen leicht zusammen und wirkt immer noch nachdenklich.

»Dann haben wir etwas gemeinsam. Sie haben von Ihrem Vater in der Vergangenheitsform gesprochen. Das tun wir auch, wenn es um Elis Mutter geht.«

Mein Herz tut einen Sprung und mein Puls schießt in die Höhe.

»Oh.« Ich schlucke. »Entschuldigen Sie, Alaska. Das war unsensibel.«

»Kein Problem. Ich schätze, es ist ebenso kompliziert wie das, was die Leute dazu bewogen hat zu denken, Sie würden Ihren Körper verkaufen.« Er lächelt leise und reibt sich das bärtige Kinn. »Menschen können grausam sein, nicht wahr? Was Sie tun, mit wem und weshalb geht nur Sie selbst etwas an. Ich bezweifle, dass an den Gerüchten auch nur ein Körnchen Wahrheit dran ist, aber ich sage Ihnen was: Eli und ich haben ein dickes Fell, uns macht es nichts aus, wenn man uns mit Dreck bewirft.« Er grinst, und plötzlich liegt ein Anflug von Melancholie auf seinem Gesicht. »Der Kleine macht sich gerne schmutzig. Sie brauchen ihn nur mal auf Dirt Bikes anzusprechen.«

»Sie sind mir eine Marke«, sage ich kopfschüttelnd, »Sie bringt wohl nichts so schnell aus der Fassung.«

»Ich rege mich zumindest nicht unnötig auf, Miss Felicity. Das behalte ich mir für die wirklich wichtigen Dinge vor.« Er zuckt mit den massigen Schultern, woraufhin sich jeder einzelne Muskel seines beeindruckenden Brustkorbs unter dem dünnen T-Shirt-Stoff abzeichnet. »Und ehrlich gesagt, denke ich, dass Ihr Ruf nicht dazugehört.«

Der unbekümmerte Tonfall, mit dem er das sagt, überrascht mich.

Und es klingt absolut aufrichtig.

Und nett.

Plötzlich habe ich einen Kloß im Hals und meine Augen brennen verräterisch.

Hinter mir liegen echt stressige Monate. Nein, Jahre. Genau genommen ein ganzes stressiges Leben.

Ich bin also etwas angespannt und ein wenig empfindlich.

Aber er erspart mir eine Erwiderung, indem er mich angrinst und spöttisch den Mund verzieht. »Was Sie betrifft, bin ich mir da allerdings nicht so sicher. Ich behalte Sie im Auge. Ich glaube, Sie sind für die eine oder andere Überraschung gut.«

Diesmal fällt mein Lachen etwas verhaltener aus. »Ich wünschte, dem wäre nicht so, aber tatsächlich bin ich ein Pechvogel.«

»Sie meinen, Ihnen passieren Dinge wie vorhin öfter? Dass es Tassen hagelt, meine ich?«

»Ja. Das war zwar mein erster Tassenhagel, aber es passt ins Bild.«

Hierauf entsteht eine Pause.

Wieder lächelt er, und wieder gerät mein Herz aus dem Takt.

Und als wir uns lange in die Augen sehen, frage ich mich, wie es sein kann, dass wir uns plötzlich so vertraut sind. Und alles nur wegen ein paar zerbrochener Kaffeetassen und einer Schnittwunde.

Trotzdem gedenke ich nicht, in Tränen auszubrechen in Gegenwart eines Fremden, nur weil er mir gegenüber nett und empathisch ist, bin aber froh, als er das Thema wechselt.

»Wie hoch ist der entstandene Schaden? Zählen Sie ruhig alles zusammen, und vergessen Sie den Tisch nicht.«

»Vergessen wir den Tisch und den Fußboden. Betrachten wir das als Schmerzensgeld.« Ich lächle schief. »Der Schaden für die Tassen beläuft sich aber noch auf circa achthundert Dollar, und das ist der Einkaufspreis. Den Verkaufspreis brauchen Sie mir nicht zu ersetzen.«

»Abgemacht. Ich würde Ihnen das gerne sofort bezahlen, habe aber keine achthundert Dollar in bar bei mir.« Er legt den Kopf schief. »Ich bringe das Geld morgen früh vorbei, wenn das für Sie okay ist. Ansonsten kann ich Ihnen auch einen Scheck ausstellen, wenn Ihnen das lieber ist. Wie Sie möchten.«

»Es eilt nicht, und Bargeld wäre mir ehrlich gesagt lieber.«

Das war zu einfach. Auch wenn ich jetzt schon Bedenken habe, so viel Bargeld für mehr als einen oder zwei Tage im Laden aufzubewahren, möchte ich jetzt nicht darüber nachdenken. Das hat Zeit bis später.

Also stütze ich die Hände auf die Knie und stehe auf. Zwar habe ich nicht vergessen, wie klein mein Büro ist, wohl aber, wie viel von diesem begrenzten Platz Alaska für sich beansprucht.

Als ich also aufrecht stehe und den Kopf hebe, sind wir gewissermaßen auf Augenhöhe, wenn auch nur, weil er immer noch auf meinem Schreibtisch sitzt, was ihn einiges von seiner riesenhaften Statur kostet.

Während wir so dastehen, unsere Nasen nur wenige Zentimeter voneinander entfernt, und einander anstarren, wird mir ganz schwummrig.

Und wieder geht die Phantasie mit mir durch.

Ich will ja nicht behaupten, es wäre Liebe auf den ersten Blick, aber es hat mich schon ziemlich heftig erwischt.

Wenn er nicht so ruhig und gelassen bliebe, würde ich mich vermutlich in ein brabbelndes Etwas verwandeln. Aber seine Unerschütterlichkeit gibt mir Halt, und ich schaffe es, rückwärts auf Abstand zu gehen, ohne zu stolpern. Ich räuspere mich und bringe sogar irgendwie ein Lächeln zustande.

»Sollen wir mal nach Eli sehen?« Ich nicke in Richtung Tür. »Entweder hat er in der Zwischenzeit alle Scherben aufgefegt, oder er hat sich davongestohlen.«

Alaska schnaubt. »Das würde er nicht tun. Aber Sie haben recht. Wahrscheinlich ist er inzwischen ziemlich nervös, so ganz allein da draußen.«

Ich ziehe eine Braue hoch und halte ihm die Tür auf. »Eisbären vor.«

Er wirft mir einen finsteren Blick zu und richtet sich auf. »Ich fürchte, ich werde es noch bereuen, dass ich aus dem Nähkästchen geplaudert habe«, brummt er.

Aber als er in den Flur hinaustritt und wartet, bis ich die Bürotür hinter mir geschlossen habe, lächelt er bereits wieder.

Zu meiner Überraschung ist der Boden blitzsauber. Als wir um den Tresen herumgehen, taucht gerade Elis Kopf hinter der Theke auf. Er wirkt etwas zerzaust und verschwitzt, lächelt aber.

»Hey«, sagt er. »Entschuldigung. Ich habe den Abfalleimer gesucht.«

Er leert das Kehrblech in den Eimer und lehnt es dann zusammen mit dem Besen an den Tresen. Dann reibt er sich die Hände und kommt hinter der Theke hervor. Ich lasse den Blick über den Boden schweifen und nicke anerkennend.

»Blitzblank. Gut gemacht, Eli.«

»Dad sagt, was man macht, soll man gleich im ersten Anlauf richtig machen, sonst macht man sich nur doppelte Arbeit.« Eli steuert den Tisch an, dessen Platte sauber in der Mitte durchgebrochen ist, ohne zu splittern. »Ich lehne die kaputte Tischplatte an die Wand.«

»Lass mal.« Mit ausgestrecktem Arm gehe ich auf ihn zu. »Die ist schwer, und ich möchte nicht, dass du dich schneidest. Ich mache das schon.«

Eli zögert und wirft einen fragenden Blick auf Alaska. Sein Vater nickt.

»Sie hat recht. Allerdings …«

Er kommt mir zuvor, packt das schwere massive Tischgestell und richtet es scheinbar mühelos wieder auf.

Alle, die bis jetzt so getan haben, als würden sie uns nicht beachten, starren nun herüber und sehen zu, wie er die Einzelteile des Tisches aufsammelt und an die Wand neben der Eingangstür lehnt.

Ich verfolge ebenfalls jede seiner Bewegungen.

Ich meine, ich bin zwar gestresst, aber nicht tot.

Als er sich mit einem zufriedenen Lächeln aufrichtet, reiße ich den Blick von seinen stahlharten Bauchmuskeln los. »So. Gibt es sonst noch was zu tun?«

»Vergessen Sie das hier nicht.« Ich greife hinter die Bar und reiche ihm seine Trinkflasche. »Das geht aufs Haus.«

»Nicht nur bildhübsch, sondern auch noch großzügig.« Er zwinkert mir lächelnd zu und hängt sich die Tragelasche der Flasche über den Finger. »Ich komme morgen wieder, um Kaffee für die ganze Mannschaft zu holen.« Er legt Eli eine Hand auf die Schulter. »Sag gute Nacht, Eli.«

»Gute Nacht, Ma’am!«, sagt der Junge artig, winkt mir noch einmal zu und wendet sich dann ab, um seinem Vater nach draußen zu folgen.

Lächelnd blicke ich ihnen nach, setze aber sofort wieder eine ernste Miene auf, als mir bewusst wird, dass mich alle anstarren. Immer noch.

Oh Mann.

Peace hat gerade ihren letzten Song beendet – nach dem ganzen Desaster und nachdem die Hälfte der Gäste vorzeitig gegangen ist, wird sie wohl heute keine Zugabe geben –, aber sie sitzt noch auf ihrem Barhocker, die Gitarre auf dem Schoß und mustert mich mit einem belustigten leisen Lächeln.

»Was?«, sage ich in den Raum und stöhne innerlich, als ich hinter den Tresen zurückkehre. »Kommt schon, wenigstens hat es diesmal nicht gebrannt. Kriegt euch mal wieder ein. Ich gebe auf den Schreck einen aus, aber hört endlich auf, mich anzustarren.«

Allgemeines Gelächter und vereinzelter Applaus.

Ganz ehrlich, so schlimm sind die Leute hier gar nicht.

Nur einige von ihnen sind von der üblen Sorte und beurteilen mich gerne nur wegen meiner Herkunft, mit den anderen komme ich ganz gut klar. Sie sind nett zu mir. Sie haben sogar eine Spendenaktion organisiert, um mein Café zu retten.

Und wenn es ein paar von den Single-Damen der Geier-Fraktion Spaß macht, mich mit Blicken zu durchbohren, bitte sehr …

Es ist ja nicht so, als wäre zwischen mir und dem unwiderstehlichen Muskelberg etwas vorgefallen, auch wenn ich zugeben muss, dass mein Herz, obwohl nichts passiert ist, ziemlich überreagiert, was lächerlich ist.

Die Arbeit hält mich noch fast eine Stunde auf Trab, in der ich kostenlose Drinks ausschenke und dabei in Gedanken durchrechne, was es mich diesmal kostet, die Leute bei Laune zu halten und den Abend zu retten.

Im Grunde ist es zu verschmerzen, und wie immer beruhigt mich das Mixen der einzelnen Getränke.

Als Mitch wieder hereinkommt, um sich zu entschuldigen – diesmal ohne Kind und Kegel, vor allem ohne Momo –, kann ich bereits wieder lachen und mit Peace herumalbern.

Sie behauptet, sie habe nicht wegen der fliegenden Tassen früher Schluss gemacht, sondern weil ihr die Finger wehtun. Dabei weiß ich genau, dass der wahre Grund der schmunzelnde Mann ist, der sie an sich zieht und in den Armen wiegt, während er auf einem Bein balanciert.

Ich bringe Blake seinen üblichen Kaffee – nicht, dass er mich überhaupt wahrnehmen würde, wenn er mit seiner Frau beschäftigt ist – und wende mich dann lächelnd an Mitch.

»Hey. Alles klar? Das war ja vielleicht ein Auftritt.«

»Das kannst du laut sagen. Aber keiner von uns wurde verletzt. Auch Momo nicht. Tut mir echt leid, das Ganze«, seufzt er. »Ich habe nicht damit gerechnet, dass der Kater hier ist, sonst hätte ich Momo zu Hause gelassen. Der Hund neigt zu Überreaktionen. Wenn du willst, komme ich für den Schaden auf und …«

»Lass stecken.« Ich hebe abwehrend die Hand. »Ist schon erledigt. Du schuldest mir nichts, Mitch. Nichts für ungut. Möchtest du noch etwas bestellen?«

»Gerne! Wenn meine Frau ihre abendliche Koffeindosis nicht bekommt, schläft sie noch vor den Kindern ein.« Dann stützt er sich mit beiden Händen auf die Theke, beugt sich vor, wirft noch einen Blick nach rechts und links und senkt die Stimme. »Sag mal … könnten wir uns vielleicht morgen nach Ladenschluss mal unterhalten?«

Oh, oh.

Da ist es wieder.

Alarmstufe rot. Meine sämtlichen Alarmglocken schrillen.

Wusste ich es doch: Meine Pechsträhne hält an.

Ich stelle die Tasse ab, die ich gerade abgetrocknet habe, und mustere ihn argwöhnisch. »Mal sehen. Meine Angestellten könnten abschließen, wenn es wichtig ist.«

»Na ja, wichtig ist relativ. Vielleicht … ich weiß nicht. Ich denke nur, wir sollten das nicht hier besprechen. Es geht um den Wagen, den du mir verkauft hast.«

»Dads alte Rostlaube?« Ich blinzle.

Die Karre ist schon Jahre nicht mehr richtig gelaufen. Sie hat seit dem Tod meines Erzeugers nur noch als Staubfänger bei mir rumgestanden. Das Ding war praktisch ein Oldtimer, und ich dachte mir, es wäre besser, es zum Schrottpreis zu verkaufen, anstatt Geld in Reparaturen zu investieren und es einem Sammler zu überlassen. Also habe ich die Kiste an Mitch verkauft, um sie einfach loszuwerden.

Mitch nickt und beugt sich noch weiter vor. »Es war etwas darin versteckt, das vermutlich deinem Vater gehört hat. Ich dachte mir, ich sollte es dir aushändigen.«

Schlagartig vibrieren meine Nervenenden, als stünde ich unter Strom.

»Was ist es denn?«, frage ich langsam, obwohl ich es eigentlich gar nicht wissen will.

Mein Gefühl hat mich also nicht getrogen. Die Tassen waren nicht das einzige Unglück an diesem Tag. Alles, was mit meinem Vater und seinen schmutzigen Geschäften zu tun hat, kann nur Ärger bringen.

Mitch scheint der gleichen Ansicht zu sein, sonst würde er nicht so geheimnisvoll tun und mich auch nicht so eindringlich und unheilvoll ansehen.

»Nicht hier«, sagt er. »Ich bin morgen in der Werkstatt. Klopf einfach.«

»Okay«, sage ich nur und verkneife mir ein verzweifeltes Aufstöhnen.

Ich habe schon genug Probleme.

Bitte, lieber Gott, ich möchte nichts mehr mit meinem Vater zu tun haben, erst recht nicht nach seinem Tod.

Kapitel 2 Alles, Was Glänzt (Alaska)

Ich liebe schöne Sonnenuntergänge, aber jeden Abend Punkt sieben einen vorgesetzt zu bekommen, überfordert mich.

Ich komme aus dem Land der Mitternachtssonne. In Fairbanks geht die Sonne manchmal erst kurz vor Mitternacht unter, und ich bin es gewohnt, schlafen zu gehen, während die Feuerkugel noch hoch am Himmel steht oder sich Monate am Stück gar nicht blicken lässt.

Heute sitze ich jedoch nach dem Essen draußen auf der Veranda der gemütlichen kleinen Blockhütte, die ich im »Charming Inn« gemietet habe, und schaue zu, wie die Sonne hinter dem hübschen, mit Blumen bewachsenen Hügel untergeht.

Eigentlich sollte ich einfach mein Bier genießen und dabei den Himmel betrachten, bis dort die Sterne funkeln. Mein allabendliches Ritual.

Stattdessen lausche ich Elis Stimme, die durch das Fenster nach draußen dringt. Er ist im Wohnzimmer, spielt auf seinem Tablet und führt dabei ein so enthusiastisches Selbstgespräch, als hätte er Publikum.

Das macht er öfter.

Die meiste Zeit ist es lustig, und gerade jetzt begeistert er sich für Katzenleckerlis. Und das nur, weil ich gesagt habe, es wäre cool, wenn er eine Kleinigkeit für den struppigen alten Stubentiger aus dem Café hätte.

Wir sind Mozart seit gestern mehrmals begegnet, aber er scheint ziemlich sauer auf Eli zu sein, da er ihn ignoriert, anstatt sich wie sonst ein paar Streicheleinheiten abzuholen. Offenbar macht er ihn für die Begegnung mit dem Hund verantwortlich.

Tatsächlich war ich ein wenig besorgt, dass Mozart sich an den Scherben im »Nest« verletzt haben könnte, nachdem der Boxer ihn quer durch das ganze Café gejagt hatte. Aber Miss Wilma höchstpersönlich hat mir erzählt, dass er ein Streuner ist und immer zurück nach Hause findet – so wie er sich immer mit den Ferienkindern anfreundet, die herkommen.

So ähnlich wie Eli.

Er wurde hierher verpflanzt, und ich bin froh darüber.

Mein Sohn ist für mich das Wichtigste auf der Welt.

Und nach allem, was wir wegen seiner Mutter durchgemacht haben, haben wir gelernt, uns aufeinander zu verlassen.

Es war die Hölle für mich, von ihm getrennt zu sein in den Monaten, die ich im vergangenen Jahr hier für Holt gearbeitet und in denen ich versucht habe, mir darüber klar zu werden, ob das ein Ort ist, an dem ich mich niederlassen möchte.

Ich musste entscheiden, ob ich nach allem, was ich über diesen Ort gehört habe, meinen Sohn hier großziehen möchte.

Heart’s Edge hat eine ziemlich ereignisreiche Vergangenheit. Es wird von Spuk getuschelt, von Geheimagenten und Geisterstädten. Die Hälfte der Bewohner hat in den vergangenen zehn Jahren gleich mehrere wahre Krimis durchlebt, wobei nach den letzten Skandalen mehrere Millionen Dollar nötig waren für eine Image-Kampagne.

Trotzdem hatte ich ein gutes Gefühl.

Außerdem hatte ich keine Alternative. Ich konnte Eli nicht länger in Fairbanks lassen.

Sicher, er hatte Spaß bei seinen Großeltern, die ihn den Sommer über furchtbar verwöhnt haben, um die verlorene Zeit nachzuholen, nachdem wir lange keinen Kontakt gehabt hatten.

Das hat damit zu tun, dass ich mich falsch entschieden habe, als ich vor der Wahl stand: Frau oder Familie.

Aber nachdem wir Katelyn und ihren »schlechten Einfluss«, wie Ma es nennt, los sind, hat sich das geändert.

Meine Eltern waren überglücklich, als ich sie gebeten habe, Eli den Sommer über bei sich aufzunehmen, und sie haben ihn behandelt wie einen Prinzen, während ich mir den Arsch aufgerissen habe, um Kohle anzusparen für unseren Neuanfang, und den Ort unter die Lupe genommen habe, um herauszufinden, ob er als neues Zuhause taugt.

Ja, ich denke, ich könnte mich dauerhaft in Heart’s Edge niederlassen, und das nicht nur, weil ich ein Auge auf eine bestimmte hübsche junge Dame geworfen habe.

Eine hübsche junge Dame, die vermutlich ziemlich sauer auf mich ist, nachdem ich ihr ziemlich viel Geld schulde wegen der zerbrochenen Tassen.

Dabei liegt mir viel daran, mich mit Felicity zu vertragen.

Nicht nur, weil sie den besten Kaffee verkauft und meine ganze Crew mit Koffein versorgt und so bei der Stange hält. Tatsächlich habe ich schon verdammt lange kein Date mehr gehabt.

Seit der Katastrophe mit Katelyn, dem Scheidungskrieg und dem Sorgerechtsstreit vor ihrem Tod. Bisher hielt ich es für eine gute Idee, mich von Frauen fernzuhalten oder zumindest Bekanntschaften auf einem rein freundschaftlichen Niveau zu halten.

Und dann passierte das am gestrigen Abend.

Ich weiß nicht einmal genau, wie es überhaupt dazu kommen konnte, aber da war eine Verbindung zwischen Felicity und mir, etwas, das sich nur schwer greifen, geschweige denn, in Worte fassen lässt.

Tatsächlich gefällt mir vieles an ihr.

Die Art, wie sie losgespurtet ist, um Eli zu beschützen.

Das Aufheben, das sie wegen des kleinen Schnitts gemacht hat, den ich kaum gespürt habe. Dass sie darauf bestanden hat, mich zu verarzten, anstatt sauer zu sein, dass mein Sohn gerade ihre gesamte Auslage pulverisiert hatte.

Und dann diese stille, traurige Art, wenn sie von sich selbst spricht, während sie gleichzeitig versucht, mich und Eli davor zu schützen, unter ihrem vermeintlich schlechten Ruf zu leiden.

Ich weiß genau, was ich gedacht habe, als sie den Kopf mit dem zimtbraunen Haar über mein Knie gebeugt und dabei so verloren ausgesehen hat.

Sie hat durch lange, geschwungene Wimpern zu mir aufgesehen, aus ihren veilchenblauen Augen, die für gewöhnlich sprühen vor Energie und Fröhlichkeit, und jetzt traurig und nachdenklich dreinschauten.

Bei diesem Blick war mein Blut übergekocht. Ich war so wütend.

Ich wollte nicht, dass sie es bemerkte, damit sie nicht etwa glaubte, ich wäre wütend auf sie, aber ganz ehrlich, ich hasse es, wenn Menschen aus reiner Bosheit oder Sensationslust andere verletzen.

Diese Gerüchte, die über sie kursieren. Dieser abscheuliche Tratsch, und sie versucht auch noch, andere davor zu bewahren, in das üble Gerede hineingezogen zu werden, für das sie nichts kann.

Ich kenne diese Frau nicht. Oder kaum. Und doch wollte ich sie spontan beschützen. Mich zwischen sie und alles stellen, was ihr das Leben schwer macht, so wie sie, ohne zu zögern, Eli davor hatte bewahren wollen, sich zu verletzen.

Bis gestern war sie für mich nur die Kaffeetante.

Nett, hübsch anzusehen, aber mehr nicht.

Aber gestern habe ich sie das erste Mal richtig wahrgenommen.

Und jetzt ist sie Miss Felicity und hat einen festen Platz in meinen Gedanken. Und auch wenn das voreilig sein mag, ist es mir auf einmal verdammt wichtig, was sie von mir denkt.

Und ich möchte nicht, dass sie denkt, ich wäre jemand, der seine Schulden nicht bezahlt.

Ich weiß, was es heißt, selbstständig zu sein. Manchmal entscheiden schon fünfzig Dollar mehr oder weniger in der Kasse darüber, ob man weiter oben schwimmt oder untergeht.

Ich habe das Geld heute Morgen am Automaten abgehoben. Wegen einer Baustellenkontrolle hatte ich es so eilig, dass ich es nicht geschafft habe, schnell im Café vorbeizuschauen. Dann gab es ein Problem auf der Baustelle, und ich musste Überstunden machen.

Als ich am Nachmittag endlich Feierabend hatte, brauchte ich erst einmal eine ordentliche Mahlzeit, um mich wieder wie ein normaler Mensch zu fühlen, und musste mich um Eli kümmern.

Nach ein paar Sandwiches fühle ich mich jetzt endlich wieder halbwegs fit und kann sie heute Abend abpassen, bevor sie schließt. Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Höchste Zeit.

Ich trinke mein Bier aus und werfe die leere Flasche in den kleinen Abfalleimer auf der Veranda, bevor ich mich mit einem letzten bedauernden Blick auf den Abendhimmel aus meinem Stuhl quäle.

Scheiße, ich habe vor lauter Tagträumerei von Felicity gar nicht gemerkt, wie spät es schon ist.

Plötzlich wird mir bewusst, dass auch Eli verstummt ist.

Als ich einen Blick durch den Glaseinsatz der Hintertür werfe, sehe ich ihn zusammengerollt in einer Ecke der Couch dösen und mit halb geschlossenen Lidern schläfrig fernsehen.

Ich gehe hinein und schließe leise die Tür hinter mir, um ihn nicht zu erschrecken, gehe rüber zur Couch, lege ihm zärtlich eine Hand auf den Kopf und verwuschele ihm das Haar.

»Hey, kleiner Mann.« Ich lächle, als er zusammenzuckt und mit einem verschlafenen Schnauben zu mir aufblinzelt. »Ich fahre schnell im Café vorbei und bringe Felicity das Geld. Möchtest du mitkommen oder lieber schon ins Bett gehen? Ich kann die Fords bitten, rüberzukommen und nach dir zu sehen.«

Sofort ist er hellwach und seine Augen leuchten.

»Darf ich die Kamera mitnehmen?«

Ich ziehe die Brauen hoch. »Du möchtest bei den Lichtverhältnissen ein leeres Café fotografieren?«

»Ja … würde ich gerne.« Er senkt schüchtern den Blick.

Ich muss erst grinsen und dann lachen. Er ist so ein großer Junge, aber wenn es ums Fotografieren geht, wird er ganz scheu und unsicher. Daran – und an dem Glanz in seinen Augen, sobald dieses Thema zur Sprache kommt – erkennt man, wie wichtig ihm sein Hobby ist.

»Bei der Innenbeleuchtung könnte das tatsächlich ein paar ganz ordentliche Schwarz-Weiß-Aufnahmen geben. Die Lichtreflexe erzeugen interessante Effekte. Und wenn ich die Belichtung entsprechend einstelle, kann ich sogar Farbfotos schießen, aber so, dass nur die goldenen Lichtreflexe im Vordergrund sind und …«