Nora oder Ein Puppenhaus - Henrik Ibsen - E-Book

Nora oder Ein Puppenhaus E-Book

Henrik Ibsen

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Beschreibung

Rowohlt E-Book Theater Henrik Ibsens Werk ist reich an starken Frauenfiguren, die bis heute begehrte und immer wieder neu interpretierte Rollen für Schauspielerinnen sind. Die bekannteste unter ihnen ist wohl Nora, die ihren Mann verlässt, nachdem sie einsehen muss, dass sie ihr Leben in einem goldenen Käfig eingerichtet hat. Die vom vielfach ausgezeichneten Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel neu ins Deutsche übertragenen Stücke Ibsens wurden und werden von zahlreichen Theatern gespielt. Der Übersetzer: «Mein Ziel mit diesen Neuübersetzungen ist es, den Text behutsam zu entrümpeln und doch möglichst nah bei ihm zu bleiben, in einer Weise, die das innere Verhältnis der Figuren zueinander freilegt, ohne es platt herauszustellen, so, wie es Ibsen auf seine Weise, mit dem Zungenschlag seiner Zeit, auch gemacht hat. Insgesamt geht es mir um eine möglichst schlichte, möglichst zeitlose, möglichst klare Sprache.»

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Seitenzahl: 129

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Henrik Ibsen

Nora oder Ein Puppenhaus

Schauspiel in 3 Akten

Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

Personen1. Akt2. Akt3. AktAlternativer SchlussNachwort des Übersetzers
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Personen

Advokat Helmer

Nora, seine Frau

Doktor Rank

Frau Linde

Rechtsanwalt Krogstad

Helmers drei kleine Kinder

Anne-Marie, Kindermädchen bei Helmers

Das Hausmädchen bei Helmers

Ein Dienstbote

 

Ort der Handlung ist Helmers Wohnung.

[zur Inhaltsübersicht]

1. Akt

Ein gemütlich und geschmackvoll, aber nicht luxuriös eingerichtetes Wohnzimmer. Eine Tür hinten rechts führt in den Flur, eine weitere Tür hinten links in Helmers Arbeitszimmer. Zwischen diesen Türen ein Klavier. In der Mitte der linken Wand eine Tür, weiter vorn ein Fenster. Beim Fenster ein runder Tisch mit Lehnstühlen und einem kleinen Sofa. In der rechten Seitenwand, etwas zurück, eine Tür, weiter vorn vor derselben Wand ein Kachelofen, davor ein paar Lehnstühle und ein Schaukelstuhl. Zwischen dem Ofen und der Seitentür ein kleiner Tisch. Kupferstiche an den Wänden. Eine Etagere mit Porzellan und anderem Nippes; ein kleiner Bücherschrank mit Büchern in Prachteinbänden. Auf dem Boden ein Teppich; Feuer im Ofen. Ein Wintertag.

Es klingelt im Flur; kurz darauf hört man, dass geöffnet wird. Vergnügt summend kommt Nora ins Zimmer; sie trägt Winterkleidung und bringt eine Anzahl Pakete mit, die sie auf dem Tisch rechts ablegt. Sie lässt die Tür zum Flur hinter sich offen, wo man einen Dienstboten sieht, der einen Weihnachtsbaum und einen Korb trägt; beides gibt er dem Dienstmädchen, das ihnen geöffnet hat.

NORA

Versteck den Weihnachtsbaum gut, Helene. Die Kinder sollen ihn erst heute Abend sehen, wenn er geschmückt ist. (Zum Boten, nimmt das Portemonnaie heraus) Wie viel –?

DER DIENSTBOTE

Fünfzig Öre.

NORA

Hier, eine Krone. Nein, nein, stimmt so.

Der Bote dankt und geht. Nora schließt die Tür. Sie lacht weiter stillvergnügt, während sie Hut, Mantel, Schal ablegt. Sie nimmt eine Tüte mit Makronen aus der Tasche und isst ein paar davon; dann geht sie vorsichtig zur Tür ihres Mannes und lauscht.

NORA

Doch, er ist da. (Summt weiter, während sie nach rechts zu dem Tisch geht)

HELMER

(in seinem Zimmer) Ist das meine Lerche, die da draußen trällert?

NORA

(macht gerade einige Pakete auf) Ja, das ist sie.

HELMER

Ist das mein Eichhörnchen, das da so raschelt?

NORA

Ja!

HELMER

Wann ist mein Eichhörnchen denn nach Hause gekommen?

NORA

Grad eben. (Steckt die Makronentüte in die Tasche und wischt sich den Mund ab) Komm raus, Torvald, schau dir an, was ich gekauft habe.

HELMER

Stör mich nicht! (Kurz danach öffnet er die Tür und schaut herein, die Feder in der Hand) Gekauft, sagst du? Das alles? Hat mein Vögelchen wieder mit Geld um sich geworfen?

NORA

Torvald, ich finde, dieses Jahr können wir uns endlich was leisten. Das erste Weihnachten, wo wir nicht sparen müssen.

HELMER

Ja, aber verschwenden dürfen wir auch nichts.

NORA

Ach, Torvald, ein bisschen Verschwendung schadet nicht. Oder? Nur ein bisschen. Bei dem, was du jetzt verdienst, haben wir doch genügend Geld.

HELMER

Ja, ab Neujahr, aber ausgezahlt wird das Gehalt erst in einem Vierteljahr.

NORA

Dann leihen wir uns eben so lange was.

HELMER

Nora! (Geht zu ihr und fasst sie scherzhaft ans Ohr) Gleich wieder so leichtsinnig? Stell dir vor, wenn ich heute ein paar tausend aufnehme – du gibst das in der Weihnachtswoche restlos aus, und Silvester kriege ich einen Dachziegel auf den Kopf und liege da –

NORA

(legt ihm die Hand auf den Mund) Sag nicht so was.

HELMER

Doch, mal angenommen, das passiert – was dann?

NORA

Wenn so was Schlimmes passieren würde, wären mir Schulden auch egal.

HELMER

Und die Leute, von denen ich das Geld geliehen hätte?

NORA

Die? Wen kümmern die? Die kennen wir doch gar nicht.

HELMER

Nora, Nora, typisch Frau! Nein, im Ernst jetzt, du weißt, was ich von so was halte. Keine Schulden machen! Kein Geld leihen! Ein Haus, auf dem Schulden und Hypotheken lasten, hat etwas Unfreies und damit auch Unschönes an sich. Wir haben es bis heute geschafft, die paar Monate halten wir auch noch durch.

NORA

(geht zum Ofen) Ja, wie du willst, Torvald.

HELMER

(folgt ihr) Na, na, meine kleine Lerche, jetzt lass nicht gleich die Flügel hängen. Was? Schmollt mein Eichhörnchen etwa? (Zückt sein Portemonnaie) Rat mal, Nora, was ich hier habe?

NORA

(dreht sich rasch um) Geld!

HELMER

Da. (Gibt ihr ein paar Scheine) Ich weiß ja auch, dass Weihnachten ein teurer Spaß ist.

NORA

(zählt) Eins – zwei – drei – vier. Oh, danke, Torvald, damit komme ich erst mal aus.

HELMER

Das musst du aber auch wirklich.

NORA

Werd ich schon. So, jetzt komm, ich zeige dir, was ich gekauft habe. Und so günstig! Schau, hier ist was Neues zum Anziehen für Ivar – und ein Säbel. Dann ein Pferd und eine Trompete für Bob. Und für Emmy eine Puppe und ein Puppenbett; alles ganz einfach, sie macht es ja sowieso gleich wieder kaputt. Und hier noch Kleiderstoff und Tücher für die Hausmädchen; die alte Anne-Marie müsste eigentlich viel mehr kriegen.

HELMER

Und was ist in dem Paket da?

NORA

(schreit auf) Nein, Torvald, das darfst du erst heute Abend sehen!

HELMER

Aha. Aber sag mal, du kleine Verschwenderin, was wünschst du dir eigentlich selber?

NORA

Was ich mir wünsche? Ich brauche nichts.

HELMER

Na komm, raus damit. Eine Kleinigkeit, über die du dich freuen würdest.

NORA

Nein, ich weiß wirklich nichts. Das heißt doch, Torvald –

HELMER

Na?

NORA

(fingert an seinen Knöpfen herum, ohne ihn anzusehen) Wenn du mir etwas schenken willst, dann könntest du doch – du könntest –

HELMER

Na, sag schon.

NORA

(rasch) Du könntest mir Geld schenken, Torvald. Nur so viel, wie du gerade übrig hast, dann kann ich mir in den nächsten Tagen was davon kaufen.

HELMER

Nein wirklich, Nora –

NORA

Ach bitte, Torvald, bitte, bitte. Du, dann hänge ich das in einem goldenen Umschlag an den Weihnachtsbaum, wär das nicht hübsch?

HELMER

Was für Tierchen sind das, die immer so flatterhaft und verschwenderisch sind?

NORA

Ja, ja, Schmetterlinge, ich weiß schon. Aber komm, wir machen es so, wie ich gesagt habe, dann kann ich mir überlegen, was ich am meisten brauche. Das ist doch vernünftig, oder?

HELMER

(lächelt) Ja, wäre es, aber nur, wenn du das Geld, das ich dir gebe, wirklich zusammenhalten und nur etwas für dich kaufen würdest. Aber dann geht es für den Haushalt weg und für lauter unnützes Zeug, und dann muss ich wieder ran.

NORA

Ach, Torvald –

HELMER

So ist das aber, meine kleine Nora. (Legt den Arm um sie) So ein Schmetterling ist zwar hübsch, aber teuer! Es kostet einen Mann ein Vermögen, sich einen Schmetterling zu halten.

NORA

Sei nicht ungerecht, Torvald, ich spare, wo ich kann.

HELMER

(lacht) Ja, genau: wo du kannst. Du kannst nur nicht.

NORA

(summt und lächelt stillvergnügt) Wenn du wüsstest, was für Ausgaben wir Lerchen und Eichhörnchen haben, Torvald.

HELMER

Du komisches kleines Ding. Ganz, wie dein Vater war. Du nutzt jede Gelegenheit, um an Geld zu kommen, und wenn du welches hast, zerrinnt es dir zwischen den Fingern, und du weißt nie, wo es geblieben ist. Na, man muss dich nehmen, wie du bist. Das liegt im Blut. Doch, doch, Nora, so was ist erblich.

NORA

Wenn ich nur mehr von Papas Eigenschaften geerbt hätte!

HELMER

Ich will dich gar nicht anders haben, als du bist, meine süße kleine Lerche. Aber was mir gerade auffällt. Du siehst heute so – so – wie soll ich sagen? – verdächtig aus.

NORA

Ich?

HELMER

Ja, du. Sieh mir mal in die Augen.

NORA

(schaut ihn an) Na?

HELMER

(droht ihr mit dem Finger) Hat mein Naschkätzchen heute etwa in der Stadt genascht?

NORA

Nein, wie kommst du darauf?

HELMER

Hast du wirklich nicht einen kleinen Abstecher in die Konditorei gemacht?

NORA

Nein, ich schwöre dir, Torvald –

HELMER

Auch nicht ein bisschen Konfitüre genascht?

NORA

Nein, wirklich nicht.

HELMER

Nicht mal ein, zwei Makronen geknabbert?

NORA

Nein, Torvald, glaub mir, ich –

HELMER

Jetzt erschrick nicht gleich, das war nur ein Scherz, was sonst –

NORA

(geht zum Tisch rechts) Ich würde doch nichts tun, das du nicht willst.

HELMER

Nein, ich weiß schon, schließlich hast du mir dein Wort gegeben. (Geht zu ihr) Behalt du ruhig deine kleinen Weihnachtsgeheimnisse für dich, meine liebe Nora. Heute Abend, wenn der Weihnachtsbaum brennt, kommt sowieso alles ans Licht.

NORA

Hast du Doktor Rank eingeladen?

HELMER

Nein, aber das ist nicht nötig, selbstverständlich isst er bei uns. Aber ich lade ihn noch ein, er schaut heute Vormittag vorbei. Guten Wein habe ich bestellt. Du glaubst nicht, Nora, wie ich mich auf heute Abend freue.

NORA

Ich mich auch. Und die Kinder erst!

HELMER

Es ist wirklich ein schöner Gedanke, dass man endlich eine gute, sichere Stellung hat, die auch noch gut bezahlt wird. Es ist geradezu ein Genuss, daran zu denken, was?

NORA

Ja, es ist wunderbar!

HELMER

Weißt du noch, letztes Weihnachten? Schon drei Wochen vorher hast du jeden Abend hinter verschlossenen Türen bis nach Mitternacht Papierblumen für den Weihnachtsbaum gebastelt und so viele andere schöne Sachen, mit denen du uns überraschen wolltest. Uh, so wie in diesen drei Wochen habe ich mich noch nie gelangweilt!

NORA

Ich mich nicht.

HELMER

(lächelt) Und so besonders war es dann gar nicht.

NORA

Hör bloß auf, mich damit aufzuziehen. Was kann ich dafür, wenn die Katze reinkommt und alles zerreißt?

HELMER

Nein, dafür hast du nichts gekonnt, meine arme kleine Nora. Du hattest uns allen eine Freude machen wollen, und die Absicht zählt! Aber es ist gut, dass diese Zeiten jetzt vorbei sind.

NORA

Ja, das ist wirklich wunderbar.

HELMER

Jetzt muss ich nicht mehr allein hier herumsitzen und mich langweilen, und du musst deine lieben Augen und zarten Hände nicht mehr quälen –

NORA

(klatscht in die Hände) Nein, das ist jetzt vorbei! Ach, es ist so schön, das zu hören! (Hakt sich bei ihm unter) Ich muss dir was erzählen, Torvald, ich habe nämlich überlegt, wie wir uns neu einrichten könnten. Gleich nach Weihnachten – (Es klingelt im Flur.) Oh, es klingelt. (Räumt etwas auf) Wir kriegen Besuch – wie schade.

HELMER

Für Besuch bin ich nicht zu Hause, vergiss das nicht.

DAS HAUSMÄDCHEN

(in der Tür) Gnädige Frau, da ist eine fremde Dame –

NORA

Ja, bitte sie herein.

DAS HAUSMÄDCHEN

(zu Helmer) Und der Herr Doktor ist auch gekommen.

HELMER

Ist er gleich in mein Zimmer gegangen?

DAS HAUSMÄDCHEN

Ja.

Helmer geht in sein Zimmer.

Das Mädchen führt Frau Linde, die einen Reisemantel trägt, ins Wohnzimmer und schließt die Tür hinter ihr.

FRAU LINDE

(zaghaft und etwas zögerlich) Guten Tag, Nora.

NORA

(unsicher) Guten Tag –

FRAU LINDE

Du erkennst mich wohl nicht.

NORA

Nein, ich weiß nicht – Doch, natürlich – (Laut) Was! Kristine! Bist du’s wirklich?

FRAU LINDE

Ja, ich bin’s.

NORA

Kristine! Und ich erkenne dich nicht wieder, also so was. Aber wie denn auch – (Leiser) Du hast dich so verändert, Kristine!

FRAU LINDE

Ja, nicht wahr. Neun oder zehn Jahre sind auch eine lange Zeit –

NORA

So lange haben wir uns nicht mehr gesehen? Tatsächlich. Ach, die letzten acht Jahre waren eine glückliche Zeit, weißt du. Und jetzt bist du in der Stadt? Hast die weite Reise gemacht, mitten im Winter? Ich muss schon sagen.

FRAU LINDE

Heute früh bin ich angekommen, mit dem Dampfer.

NORA

Um dir ein paar schöne Weihnachtstage zu machen, was. Ach, das freut mich. Ja, wir machen uns ein paar schöne Tage, auf jeden Fall. Aber leg doch ab. Ist dir auch nicht kalt? (Ist ihr behilflich) Komm, wir setzen uns gemütlich an den Ofen. Nein, setz du dich in den Lehnstuhl! Den Schaukelstuhl nehme ich. (Ergreift ihre Hände) Ja, jetzt erkenne ich dein Gesicht wieder, ich hab dich nur im ersten Moment nicht – Aber blass bist du geworden, Kristine – vielleicht auch ein bisschen dünn.

FRAU LINDE

Und viel, viel älter, Nora.

NORA

Ja, vielleicht ein bisschen, ein ganz kleines bisschen, gar nicht viel. (Hält inne; ernst) Aber ich rede so viel – Liebe Kristine, kannst du mir verzeihen?

FRAU LINDE

Was meinst du, Nora?

NORA

(leise) Arme Kristine, du bist doch Witwe.

FRAU LINDE

Ja, seit drei Jahren.

NORA

Ich habe es in der Zeitung gelesen. Glaub mir, Kristine, ich wollte dir schreiben, aber dann ist immer was dazwischengekommen, und ich habe es immer wieder aufgeschoben.

FRAU LINDE

Das macht nichts, ich kann das verstehen.

NORA

Nein, das war scheußlich von mir, Kristine. Du Arme, das war sicher alles furchtbar schwer. – Und er hat dir nichts hinterlassen, wovon du leben könntest?

FRAU LINDE

Nein.

NORA

Und hast du Kinder?

FRAU LINDE

Nein.

NORA

Du hast gar nichts?

FRAU LINDE

Nichts, nicht mal eine Trauer oder eine Sehnsucht, von der ich zehren könnte.

NORA

(blickt sie ungläubig an) Kann das denn sein?

FRAU LINDE

(lächelt schwermütig und streicht ihr übers Haar) So was gibt es manchmal, Nora.

NORA

Ganz allein. Das muss entsetzlich schwer für dich sein. Ich habe drei süße Kinder. Im Moment sind sie mit dem Mädchen draußen. Aber jetzt musst du mir erst mal alles erzählen –

FRAU LINDE

Nein, nein, du zuerst.

NORA

Nein, fang du an. Heute will ich nicht egoistisch sein, heute will ich nur an dich denken. Aber eins muss ich erst noch erzählen. Hast du gehört, was uns Wunderbares passiert ist?

FRAU LINDE

Nein, was denn?

NORA

Stell dir vor, mein Mann ist Direktor der Aktienbank geworden!

FRAU LINDE

Dein Mann? Das ist ja großartig –!

NORA

Ja, kaum zu fassen. Als Advokat ist die Lage so unsicher, vor allem wenn man nur Fälle übernehmen will, die sauber sind – darauf hat Torvald immer geachtet, und ich habe ihn dabei unterstützt. Du glaubst nicht, wie wir uns freuen! Er soll schon Neujahr in der Bank anfangen, mit einem hohen Gehalt und guter Provision. Jetzt können wir ganz anders leben als bisher – ganz nach Lust und Laune. Ach Kristine, ich bin so glücklich! Es ist einfach schön, wenn man genug Geld hat und sich keine Sorgen machen muss. Oder?

FRAU LINDE

Ja, wenn man sein Auskommen hat, das muss schön sein.

NORA

Nein, nicht nur das Auskommen, ich meine mehr als genug Geld!

FRAU LINDE

(lächelt) Nora, Nora, du bist immer noch nicht vernünftig geworden. Schon in der Schule warst du eine Verschwenderin.

NORA

(lacht still) Ja, das sagt Torvald immer noch. (Droht mit dem Finger) Aber «Nora, Nora» ist gar nicht so schlimm, wie ihr alle denkt. – Nein, wir hatten es wirklich nicht so üppig, dass ich etwas hätte verschwenden können. Wir haben beide arbeiten müssen.

FRAU LINDE

Du auch?

NORA

Ja, Kleinigkeiten, Handarbeit, Häkeln und Sticken und so – (Wegwerfend) Und anderes. Du weißt doch, dass Torvald aus dem Ministerium weg ist, als wir geheiratet hatten? Er hatte dort keine Aufstiegsmöglichkeiten, und außerdem musste er von da an mehr verdienen als vorher. Aber im ersten Jahr hat er sich furchtbar überanstrengt. Er musste alle möglichen Nebentätigkeiten annehmen, weißt du, und Tag und Nacht arbeiten. Das war einfach zu viel für ihn, und er wurde todkrank. Die Ärzte meinten, er müsse in den Süden, koste es, was es wolle.

FRAU LINDE

Stimmt, ihr seid ein ganzes Jahr in Italien gewesen, oder?

NORA

Genau. Es war nicht leicht, hier wegzukommen, glaub mir. Ivar war gerade geboren. Aber es musste sein, ganz klar. Es war eine so wunderbare Reise. Und sie hat Torvald das Leben gerettet. Aber sie war unglaublich teuer, Kristine.

FRAU LINDE

Das kann ich mir vorstellen.

NORA

Zwölfhundert Taler, das sind viertausendachthundert Kronen. Viel Geld, du.

FRAU LINDE

Ja, aber es ist wirklich ein Glück, wenn man es hat.

NORA

Wir haben es von meinem Vater bekommen.

FRAU LINDE

Aha. Der ist damals gestorben, nicht wahr?

NORA