Norden und Süden - Elizabeth Gaskell - E-Book

Norden und Süden E-Book

Elizabeth Gaskell

4,5

Beschreibung

England in den Wirren der industriellen Revolution: die selbstbewusste, prinzipientreue Pfarrerstochter Margaret Hale zieht mit ihren Eltern vom ländlichen Süden in eine aufstrebende Metropole im Norden. Nur langsam gewöhnt sie sich an den Rauch, den Lärm und den rauen Umgangston. Als sie den erfolgreichen Fabrikbesitzer John Thornton kennenlernt, wird er zur Zielscheibe ihrer Vorurteile. Noch ahnt sie nicht, welch einflussreiche Rolle er bald in ihrem Leben spielen wird... - Der viktorianische Klassiker von Elizabeth Gaskell, der bereits zweimal von der BBC verfilmt wurde, liegt nun endlich in einer zeitgemäßen deutschen Übersetzung vor. Die 2. Auflage verfügt über einige Verbesserungen.

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Inhaltsverzeichnis

Geleitwort zur deutschen Ausgabe

Vorwort zur Originalausgabe

1. "Eilt zur Vermählung"

2. Rosen und Dornen

3. Blinder Eifer schadet nur

4. Zweifel und Zwangslagen

5. Entscheidung

6. Abschied

7. Neue Szenen und Gesichter

8. Heimweh

9. Ankleiden zum Tee

10. Schmiedeeisen und Gold

11. Erste Eindrücke

12. Vormittagsbesuche

13. Eine sanfte Brise an einem schwülen Ort

14. Die Meuterei

15. Dienstherrn und Arbeiter

16. Der Schatten des Todes

17. Was ist ein Streik?

18. Zuneigungen und Abneigungen

19. Besuche von Engeln

20. Männer und Gentlemen

21. Die dunkle Nacht

22. Ein Wurf und seine Folgen

23. Fehler

24. Bereinigte Fehler

25. Frederick

26. Mutter und Sohn

27. Fruchtstück

28. Trost in Kümmernis

29. Ein Sonnenstrahl

30. Endlich daheim

31. Alte Freunde soll man nicht vergessen

32. Missgeschicke

33. Frieden

34. Falsch und wahr

35. Sühne

36. Einigkeit macht nicht immer stark

37. Ein Blick gen Süden

38. Eingelöste Versprechen

39. Freunde finden

40. Misstöne

41. Das Ende der Reise

42. Allein! Allein!

43. Margaret zieht um

44. Ruhe, aber kein Frieden

45. Nicht ganz ein Traum

46. Einst und jetzt

47. Etwas fehlt

48. "Nie mehr wird zu finden sein"

49. Beschaulichkeit und frische Luft

50. Veränderungen in Milton

51. Ein Wiedersehen

52. "Pack die Wolken fort"

Verzeichnis der Anmerkungen

Geleitwort zur deutschen Ausgabe

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Autorin Elizabeth Gaskell (1810 – 1865) wurde als Pfarrerstochter in London geboren, wuchs in einem Dorf im Norden Englands auf und heiratete einen Pfarrer, mit dem sie in Manchester eine Familie gründete. Zwar ist "Norden und Süden" kein autobiografischer Roman, jedoch lässt Gaskell ihre Hauptfigur jenen Kulturschock erleiden, den eine junge Frau vom Lande damals wie heute nach dem Umzug in eine Großstadt durchleben muss.

Überhaupt ist die Geschichte von erstaunlicher Aktualität. Natürlich beschert uns der höhere Stand der Technik viele Annehmlichkeiten, von denen im Viktorianischen England niemand zu träumen wagte. Doch der aufmerksame Leser wundert sich darüber, wie wenig sich im Sozialverhalten der Industriegesellschaft seit ihren Anfängen geändert hat. Themen, wie Arbeitslosigkeit, Lohnerhöhungen, Konflikte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Streiks, Konkurrenzkampf und soziales Elend, beschäftigen uns im Europa des 21. Jahrhunderts noch genauso wie die Menschen in der Frühzeit des Kapitalismus. Die technologischen Errungenschaften haben uns bei der Bewältigung unserer Probleme nicht geholfen. Umso bemerkenswerter sind die zukunftsweisenden Lösungsansätze, die Gaskell bereits in "Norden und Süden" suggeriert. Zeigt sie uns über die Jahrhunderte hinweg den Ausweg aus unserem Dilemma?

Aber nicht nur die Arbeitswelt, sondern fast alle Lebensbereiche werden hier beleuchtet. Wir sehen Parallelen in Bezug auf den Schulunterricht, den Umgang mit Anwälten und Ärzten, den Ablauf von Umzügen oder das Ausrichten von Hochzeiten und Beerdigungen. Dieser Roman von Gaskell wird dadurch so wertvoll, dass sie in ihm nicht nur die realistischen Erlebnisse einer jungen Frau erzählt, sondern gleichzeitig ein umfassendes Gemälde ihrer im Umbruch befindlichen Gesellschaft zeichnet. Und da sie dabei so viele gegensätzliche Figuren zu Wort kommen lässt, wirkt die Geschichte lebendig und ergreifend.

Die erste Fassung des englischen Originals, "North and South", erschien 1854–55 als Fortsetzungsroman in der literarischen Wochenzeitschrift "Household Words" von Charles Dickens. Der Zeitdruck, unter dem Gaskell stand, zwang sie zu einer Kürze, die sie selbst als unzulänglich empfand. Daher erweiterte sie den Text stark, bevor er 1855 in Buchform veröffentlicht wurde. Zehn Jahre später kam eine deutsche Übersetzung mit dem Titel "Margarethe" heraus.

Da diese alte Übersetzung des Buches schwer erhältlich und nicht mehr zeitgemäß ist, habe ich mich der Aufgabe angenommen, den Roman für moderne Leser zu übersetzen. Damit Sie zum Verständnis des Buches nur Deutschkenntnisse benötigen, wurden auch die den Kapiteln vorangestellten Gedichte sowie die Zitate aus fremdsprachigen Quellen ins Deutsche übertragen. Außerdem finden Sie am Ende des Buches zahlreiche Anmerkungen, die Ihnen die Zusammenhänge erläutern.

Diese Übersetzung widme ich den Einwohnern des idyllischen Odenwaldes, in dem ich aufwuchs und den Elizabeth Gaskell in Kapitel 41 auf Seite 433 erwähnt.

Mein herzlicher Dank für ihre freundliche Unterstützung geht an Andy Nice, Rechtsanwältin Katharina Scharfenberg, Ingrid und Jim Lyon, Silke Remmel, Dominique Neerschulte, Frank Radermacher sowie Gregor Halajkiewicz.

In die zweite Auflage sind Anregungen einer ganzen Reihe von Liebhabern des Buches eingeflossen, denen ich hier ebenfalls wärmstens danken möchte: Heike Schmidtke und Kathrin Ackermann vom Argon Verlag, in dem das ungekürzte Hörbuch erschien, Schauspielerin Gabriele Blum, die dem Hörbuch ihre Stimme lieh, Literatur-Blogger Paul Hübscher, der mich auf der Leipziger Buchmesse 2015 interviewte, sowie den aufmerksamen Lesern Volker Sayn und Andreas Kohnen, die einzelne Stellen mit mir diskutierten. Die zweite Auflage verfügt über einige verbesserte Formulierungen, eine Vielzahl zusätzlicher Anmerkungen und eine Kopfzeile, welche die Orientierung in diesem umfangreichen Buch erleichtert.

Viel Vergnügen beim Lesenwünscht Ihnen

Christina Neth

Übersetzerin

Vorwort zur Originalausgabe

Bei ihrem Erscheinen in "Household Words" 1 musste diese Geschichte den Bedingungen entsprechen, welche von den Erfordernissen einer wöchentlichen Publikation diktiert werden, und sich ebenso auf gewisse angekündigte Grenzen beschränken, um der Öffentlichkeit die Treue zu halten. Obwohl diese Bedingungen so milde wie irgend möglich gehalten wurden, sah sich die Autorin außerstande, die Erzählung in der ursprünglich beabsichtigten Weise zu entwickeln, und war insbesondere dazu gezwungen, die Ereignisse gegen Ende mit einer unwahrscheinlichen Geschwindigkeit voranzutreiben. In gewissem Maße, um diesem offensichtlichen Mangel abzuhelfen, wurden verschiedene kurze Passagen eingeschoben und einige neue Kapitel hinzugefügt2. Mit dieser knappen Erläuterung empfehlen wir die Geschichte der Gunst des Lesers an:

"Ihn demütig um Gnade und Barmherzigkeit ersuchend,Mitgefühl zu haben mit ihrer groben Machart."3

KAPITEL 1

"Eilt zur Vermählung" 4

"Umworben und verheiratet und alles." 5

"Edith!" sagte Margaret sanft. "Edith!"

Doch wie Margaret fast vermutete, war Edith eingeschlafen. Sie lag zusammengerollt auf dem Sofa im hinteren Salon in der Harley Street und sah sehr hübsch aus in ihrem weißen Musselin und den blauen Bändern. Wenn Titania6 je weißen Musselin mit blauen Bändern getragen hätte und auf einem karmesinroten Damastsofa in einem hinteren Salon eingeschlummert wäre, hätte man Edith mit ihr verwechseln können. Margaret war aufs Neue verwundert über die Schönheit ihrer Cousine. Seit ihrer Kindheit waren sie zusammen aufgewachsen, und immer wieder hatten alle, ausgenommen Margaret, Bemerkungen über Ediths hübsches Aussehen gemacht; Margaret aber hatte erst in den letzten paar Tagen darüber nachgedacht, als die Aussicht, ihre Gefährtin bald zu verlieren, jede niedliche Eigenart und jeden Liebreiz, den Edith besaß, zu verstärken schien. Sie hatten über Hochzeitskleider und Trauzeremonien gesprochen; und Captain Lennox und was er Edith über ihr zukünftiges Leben auf Korfu erzählt hatte, wo sein Regiment stationiert war; und die Schwierigkeit, ein Klavier richtig gestimmt zu halten (eine Schwierigkeit, die Edith als eine der gravierendsten zu betrachten schien, die sie während ihres Ehelebens würde heimsuchen können), und welche Kleider sie für ihre Besuche in Schottland, die gleich nach ihrer Hochzeit stattfinden sollten, benötigen würde; doch der Flüsterton war zuletzt schläfriger geworden; und Margaret stellte nach einer Pause von mehreren Minuten fest, dass Edith sich, wie sie vermutet hatte, trotz des Stimmengewirrs im Nebenzimmer zu einem weichen Ball aus Musselin und Bändern und seidigen Locken zusammengerollt hatte und in ein friedliches Verdauungsschläfchen hinübergeglitten war.

Margaret war im Begriff gewesen, ihrer Cousine einige der Pläne und Vorstellungen darzulegen, die sie bezüglich ihres zukünftigen Lebens in der Landpfarrei hegte, wo ihr Vater und ihre Mutter lebten und wo sie stets ihre heiteren Ferien verbracht hatte, obwohl das Haus ihrer Tante Shaw in den vergangenen zehn Jahren als ihr Zuhause gegolten hatte. Doch in Ermangelung eines Zuhörers musste sie über die Veränderung in ihrem Leben wie bisher im Stillen nachsinnen. Es war ein frohes Nachdenken, wenn auch etwas getrübt durch das Bedauern darüber, auf unbestimmte Zeit von ihrer sanftmütigen Tante und ihrer lieben Cousine getrennt zu sein. Während sie an die Wonne dachte, die wichtige Position der einzigen Tochter im Pfarrhaus von Helstone auszufüllen, drangen Teile der Unterhaltung aus dem Nebenraum an ihre Ohren. Ihre Tante Shaw sprach mit den fünf oder sechs Damen, die dort zu Abend gegessen hatten und deren Ehegatten sich noch im Esszimmer aufhielten. Sie waren die altvertrauten Bekannten des Hauses; Nachbarn, welche Mrs. Shaw Freunde zu nennen pflegte, weil sie zufällig mit ihnen öfter dinierte als mit irgendwelchen anderen Leuten und weil sie, wenn sie oder Edith etwas von ihnen wollte – oder umgekehrt – nicht zögerten, noch vor dem Mittagessen im Hause der anderen zu erscheinen. Diese Damen und ihre Ehegatten waren in ihrer Eigenschaft als Freunde zu einem abendlichen Abschiedsessen eingeladen, das Ediths bevorstehender Hochzeit zu Ehren stattfand. Edith hatte sich ziemlich gegen diese Vereinbarung gesträubt, denn Captain Lennox sollte just an diesem Abend mit einem späten Zug eintreffen; doch obgleich sie ein verwöhntes Kind war, war sie zu unbekümmert und müßig, um einen sehr starken eigenen Willen zu haben, und gab nach, als sie hörte, dass ihre Mutter jene zusätzlichen Köstlichkeiten der Saison fest bestellt hatte, von denen man immer annimmt, dass sie gegen übermäßige Betrübnis bei Abschiedsessen helfen. Sie gab sich damit zufrieden, sich, mit dem Essen auf ihrem Teller lediglich spielend, auf ihrem Stuhl zurückzulehnen und ernst und abwesend auszusehen, während alle um sie herum sich der Bonmots von Mr. Grey erfreuten, des Gentleman, der bei Mrs. Shaws Dinnerpartys stets am Tischende saß, und Edith baten, ihnen im Salon etwas Musik darzubieten. Mr. Grey war besonders liebenswürdig bei diesem Abschiedsessen, und die Herren blieben länger unten als gewöhnlich. Es war gut, dass sie das taten – nach den Gesprächsfetzen zu urteilen, die Margaret aufschnappte.

"Ich habe selbst zu viel gelitten; nicht dass ich nicht äußerst glücklich mit dem bedauernswerten lieben General gewesen wäre, aber ein Altersunterschied ist doch ein Nachteil: und ich war fest entschlossen, dass Edith diesem nicht ausgesetzt sein sollte. Natürlich sah ich es – ganz ohne mütterliche Parteilichkeit – voraus, dass das liebe Kind wahrscheinlich früh heiraten würde; tatsächlich hatte ich oft gesagt, dass ich sicher sei, sie würde heiraten, bevor sie neunzehn würde. Ich hatte eine deutliche Vorahnung, als Captain Lennox", – und hier nahm die Stimme einen Flüsterton an, doch Margaret war es ein Leichtes, die fehlenden Worte zu ergänzen. Der Lauf, den die wahre Liebe in Ediths Fall genommen hatte, war bemerkenswert reibungslos gewesen. Mrs. Shaw hatte, wie sie es ausdrückte, der Vorausahnung nachgegeben und ziemlich auf die Heirat gedrängt, obgleich sie hinter den Erwartungen zurückblieb, die viele von Ediths Bekannten für sie, eine junge, hübsche Erbin, gehegt hatten. Doch Mrs. Shaw sagte, ihr einziges Kind solle aus Liebe heiraten – und seufzte nachdrücklich, als wäre die Liebe nicht ihr Motiv gewesen, den General zu heiraten. Mrs. Shaw genoss die Romantik der derzeitigen Verlobung sichtlich mehr als ihre Tochter. Nicht, dass Edith nicht mit Haut und Haaren verliebt gewesen wäre; dennoch hätte sie sicher ein gutes Haus im Stadtteil Belgravia all der Idylle des Lebens auf Korfu, das Captain Lennox beschrieb, vorgezogen. Dieselben Passagen, die Margaret zur glühenden Zuhörerin machten, schienen Edith zum Erschauern zu bringen; teils wegen des Vergnügens, das es ihr bereitete, wenn ihr liebevoller Verehrer sie aus ihrer Abneigung herauszulocken versuchte, und teils weil ihr jeder Lebensstil, der einen zigeunerhaften oder vorläufigen Charakter hatte, von Grund auf zuwider war. Doch wäre jemand mit einem schönen Haus, einem schönen Anwesen und obendrein einem schönen Titel dahergekommen, hätte Edith immer noch an Captain Lennox festgehalten, solange die Versuchung anhielt; wenn sie vorüber war, konnte es sein, dass sie kaum Skrupel gehabt hätte, ihr Bedauern darüber durchscheinen zu lassen, dass Captain Lennox in seiner Person nicht alles Wünschenswerte vereinen konnte. Hierin war sie ganz die Tochter ihrer Mutter, die, nachdem sie General Shaw aufgrund keines wärmeren Gefühls als Respekt für seinen Charakter und seine Stellung aus freien Stücken geehelicht hatte, ständig, wenn auch still, ihr hartes Los beklagte, mit jemandem vereint worden zu sein, den sie nicht lieben konnte.

"Ich habe keine Kosten für ihre Aussteuer gescheut," waren die nächsten Worte, die Margaret vernahm. "Sie hat all die zauberhaften indischen Tücher und Schals, die mir der General geschenkt hat, die ich aber nie wieder tragen werde."

"Das Mädchen hat wirklich Glück," entgegnete eine andere Stimme, die Margaret Mrs. Gibson zuordnen konnte, einer Dame, die doppelt an der Unterhaltung interessiert war, da eine ihrer Töchter in den letzten paar Wochen geheiratet hatte. "Helen hatte ihr Herz an ein indisches Tuch gehängt, aber ganz ehrlich, als ich sah, was für ein exorbitanter Preis verlangt wurde, musste ich ihn ihr verwehren. Sie wird ziemlich neidisch sein, wenn sie hört, dass Edith indische Tücher hat. Was für Schals sind es denn? Die aus Delhi mit den wundervollen schmalen Borten?"

Margaret hörte wieder die Stimme ihrer Tante, doch dieses Mal war es, als hätte sie sich aus ihrer halb liegenden Position erhoben und als spähte sie in den schwächer beleuchteten hinteren Salon. "Edith! Edith!" rief sie und ließ sich wieder hinuntersinken, als hätte die Anstrengung sie erschöpft. Margaret trat zu ihr.

"Edith schläft, Tante Shaw. Geht es um etwas, das ich erledigen kann?"

Alle Damen sagten: "Armes Kind!" kaum dass sie diese erschreckende Nachricht über Edith vernahmen; und der winzige Schoßhund in Mrs. Shaws Armen begann zu bellen, als ob dieser Ausbruch des Mitleids ihn in Aufregung versetzte.

"Ruhig, Tiny! Du unartiges kleines Mädchen! Du wirst dein Frauchen aufwecken. Ich wollte Edith nur bitten, Newton zu sagen, sie solle ihre Tücher herunterbringen. Würdest du das vielleicht tun, meine liebe Margaret?"

Margaret ging hinauf in das alte Kinderzimmer ganz oben im Haus, wo Newton damit beschäftigt war, einige Spitzen in Ordnung zu bringen, die für die Hochzeit benötigt wurden. Während Newton (nicht ohne ein leises Murren) ging, um die Tücher hervorzuholen, die an diesem Tag bereits vier- oder fünfmal zur Schau gestellt worden waren, ließ Margaret ihren Blick im Kinderzimmer umherschweifen, dem ersten Raum in diesem Haus, mit dem sie vor neun Jahren Bekanntschaft gemacht hatte, als sie ganz ungezähmt aus dem Wald hierhergebracht wurde, um am Zuhause, am Spiel und am Unterricht ihrer Cousine Edith teilzuhaben. Sie erinnerte sich an das dunkel und düster wirkende Londoner Kinderzimmer, über das eine strenge und förmliche Kinderfrau herrschte, die es mit sauberen Händen und zerrissenen Kleidern sehr genau nahm. Sie entsann sich ihres ersten Tees7 hier oben – getrennt von ihrem Vater und ihrer Tante, die irgendwo drunten zu Abend aßen, in der Tiefe einer unendlichen Treppenflucht, denn falls sie sich nicht hoch droben im Himmel befand (so dachte das Kind), mussten sie wohl tief drunten im Schoß der Erde sein. Zu Hause – ehe sie herkam, um in der Harley Street zu leben – war das Ankleidezimmer ihrer Mutter ihr Kinderzimmer gewesen, und da sie in der Landpfarrei früh zu Bett gingen, hatte Margaret ihre Mahlzeiten stets mit ihrem Vater und ihrer Mutter eingenommen. Oh, wie gut erinnerte sich das würdevolle, hochgewachsene Mädchen von achtzehn Jahren an die mit solch wilder Leidenschaft vergossenen Tränen des Kummers der kleinen Neunjährigen, die in jener ersten Nacht ihr Gesicht unter dem Bettzeug versteckte; und daran, wie die Kinderfrau ihr gebot, nicht zu weinen, da dies Miss Edith stören würde; und wie sie genauso bitter – wenn auch leiser – weitergeweint hatte, bis ihre prachtvolle, hübsche Tante, die sie eben erst kennengelernt hatte, sachte mit Mr. Hale die Treppe hinaufgekommen war, um ihm seine schlafende kleine Tochter zu zeigen. Da hatte die kleine Margaret schließlich ihr Schluchzen unterdrückt und versucht, still dazuliegen, als ob sie schliefe, aus Angst, ihren Vater unglücklich zu machen durch ihren Kummer, den sie vor ihrer Tante nicht zum Ausdruck zu bringen wagte und von dem sie glaubte, sie dürfe ihn gar nicht empfinden nach dem langen Hoffen und Planen und Organisieren, das sie zu Hause durchgemacht hatten, bis ihre Garderobe so zusammengestellt werden konnte, dass diese ihren vornehmeren Umständen entsprach, und bis Papa seine Pfarrei verlassen konnte, um auch nur für ein paar Tage nach London hinaufzukommen.

Jetzt war ihr das alte Kinderzimmer ans Herz gewachsen, obwohl es nur ein unbewohnter Raum war; sie sah ringsumher und empfand bei dem Gedanken, es in drei Tagen für immer zu verlassen, eine Art katzenhaftes Bedauern.

"Ah, Newton!" sagte sie. "Ich glaube, wir alle werden dieses alte Zimmer, das wir so lieb gewonnen haben, nur ungern verlassen."

"Also was mich angeht, Miss, trifft das nicht zu. Meine Augen sind nicht mehr so gut wie früher, und das Licht hier ist so schlecht, dass ich nur direkt am Fenster genug sehe, um Spitzen auszubessern – und da zieht es immer so fürchterlich, dass man meint, vor Kälte zu sterben."

"Nun, ich wage zu behaupten, dass es Ihnen in Neapel sowohl an Licht als auch an Wärme nicht fehlen wird. Sie sollten sich soviel Stopfarbeit wie möglich bis dahin aufheben. Danke, Newton, ich kann sie hinunterbringen – Sie haben ja zu tun."

Und so ging Margaret beladen mit Schals, deren würzigen orientalischen Duft sie erschnupperte, hinunter. Ihre Tante bat sie, als eine Art Schneiderpuppe dazustehen, damit sie die Tücher an ihr vorführen konnte, denn Edith schlief immer noch. Niemand dachte darüber nach, aber Margarets hochgewachsene, exquisite Gestalt in dem schwarzen Seidenkleid, das sie aus Trauer für einen entfernten Verwandten ihres Vaters trug, brachte die langen, schönen Falten der bezaubernden Schals zur Geltung, welche Edith fast erdrückt hätten. Margaret stand genau unter dem Kronleuchter, recht still und passiv, während ihre Tante die Stoffe an ihr drapierte. Gelegentlich, wenn sie herumgedreht wurde, erhaschte sie einen Blick auf sich selbst im Spiegel über dem Kamin und lächelte ihr eigenes Abbild dort an – die gewohnten Gesichtszüge in der üblichen Aufmachung einer Prinzessin. Sie berührte die Schals sanft, wie sie so an ihr hingen, freute sich an ihrer weichen Oberfläche und den leuchtenden Farben und fand Gefallen daran, so großartig gekleidet zu sein – sie genoss es, wie ein Kind das tun würde, mit einem wortlosen, zufriedenen Lächeln auf den Lippen. Just in diesem Moment öffnete sich die Tür, und Mr. Henry Lennox wurde plötzlich angekündigt. Einige der Damen zuckten leicht zusammen, fast so, als seien sie beschämt ob ihres weiblichen Interesses für Kleider. Mrs. Shaw hielt dem Neuankömmling ihre Hand hin; Margaret stand völlig unbeweglich da in der Annahme, sie werde noch als Auslage für die Tücher gebraucht; doch sie sah Mr. Lennox heiter und amüsiert an, als wähnte sie sich seines Mitgefühls darüber sicher, in einer so lächerlichen Pose überrascht zu werden.

Ihre Tante war so damit beschäftigt, Mr. Henry Lennox – dem es nicht möglich gewesen war, zum Abendessen zu erscheinen – alle erdenklichen Fragen zu stellen über seinen Bruder, den Bräutigam, seine Schwester, die Brautjungfer (die für die Feier mit dem Captain aus Schottland herkommen würde), und verschiedene weitere Mitglieder der Familie Lennox, dass Margaret klar wurde, dass sie nicht mehr als Schalträgerin benötigt wurde, und sich der Unterhaltung der übrigen Gäste widmete, deren Anwesenheit ihre Tante für den Augenblick vergessen hatte. Fast unverzüglich kam Edith aus dem hinteren Salon herbei, blinzelte und zwinkerte aufgrund des helleren Lichts, schüttelte sich die leicht zerzausten Locken aus dem Gesicht und sah alles in allem aus wie Dornröschen, das man gerade aus seinen Träumen aufgestört hatte. Selbst in ihrem Schlummer hatte sie instinktiv gespürt, dass ein Lennox es wert war, dass sie für ihn aufwachte; und sie hatte ihn so viel zu fragen über die liebe Janet, die zukünftige, bislang unbekannte Schwägerin, für die sie soviel Zuneigung bekannte, dass Margaret, wäre sie nicht sehr stolz gewesen, auf die plötzliche Rivalin beinahe hätte eifersüchtig sein können. Als sich Margarets Tante wieder am allgemeinen Gespräch beteiligte und Margaret dadurch sehr viel mehr in den Hintergrund rückte, fiel ihr auf, dass Henry Lennox seinen Blick auf einen leeren Stuhl neben ihr richtete; und sie wusste nur zu gut, dass er, sobald Edith ihn aus ihrer Befragung entlassen hätte, diesen Stuhl in Besitz nehmen würde. Nachdem der Bericht ihrer Tante über seine Verpflichtungen recht verworren ausgefallen war, hatte sie nicht mit Bestimmtheit gewusst, ob er an diesem Abend erscheinen würde; sie war beinahe überrascht, ihn zu sehen; und jetzt war ihr ein angenehmer Abend gewiss. Seine Vorlieben und Abneigungen stimmten ziemlich genau mit ihren überein. Margarets Gesicht war erhellt von einer ehrlichen, offenen Fröhlichkeit. Allmählich kam er näher. Sie empfing ihn mit einem Lächeln, das völlig ungetrübt war von etwaiger Schüchternheit oder Befangenheit.

"Nun, ich nehme an, Sie sind alle ganz in ihre Beschäftigung vertieft – weibliche Beschäftigung, meine ich. Nicht zu verwechseln mit meiner Beschäftigung, der wahren und wirklichen Beschäftigung mit dem Gesetz. Mit Tüchern zu spielen, ist eine ganz andere Arbeit, als Vereinbarungen abzufassen."

"Ah, ich wusste doch, wie sehr es Sie amüsieren würde, uns alle dabei zu ertappen, wie wir schöne Accessoires bewundern! Aber indische Schals sind tatsächlich ganz perfekte Vertreter ihrer Gattung."

"Ich zweifle nicht daran. Ihre Preise sind auch ganz perfekt. Sie lassen nichts zu wünschen übrig."

Die Herren kamen nach und nach herein, und das Stimmengewirr wurde lauter.

"Dies ist Ihre letzte Dinnerparty, nicht wahr? Bis Donnerstag gibt es keine weiteren?"

"Nein. Ich glaube, nach dem heutigen Abend werden wir uns wieder ruhig fühlen, was ich gewiss seit Wochen nicht getan habe; zumindest jene Art Ruhe, wenn die Hände nichts mehr zu tun haben und alle Vorbereitungen für ein Ereignis, das einem Herz und Sinn beschäftigen muss, beendet sind. Ich werde froh sein, Zeit zum Nachdenken zu haben, und ich bin sicher, Edith auch."

"Was Edith angeht, bin ich mir nicht so sicher; aber ich kann mir vorstellen, dass Sie es sein werden. Wann immer ich Sie in letzter Zeit gesehen habe, wurden Sie von einem Wirbelwind erfasst, den jemand anderes verursacht hatte."

"Ja", sagte Margaret ziemlich traurig bei der Erinnerung an die nicht enden wollende Aufregung um Nichtigkeiten, die seit über einem Monat andauerte. "Ich frage mich, ob einer Heirat immer ein – wie Sie es nennen – Wirbelwind vorausgehen muss oder ob die Zeit davor in einigen Fällen nicht eher ruhig und friedlich verlaufen kann."

"Beispielsweise, indem Aschenputtels gute Fee die Aussteuer und das Hochzeitsmahl bestellt und die Einladungen schreibt", entgegnete Mr. Lennox lachend.

"Aber sind all diese Mühen unbedingt vonnöten?" fragte Margaret und sah in Erwartung einer Antwort direkt zu ihm auf. Ein unbeschreibliches Gefühl des Überdrusses all der Vorbereitungen, die auf einen hübschen Effekt abzielten und bei denen Edith in den vergangenen sechs Wochen die zuletzt entscheidende Instanz dargestellt hatte, lastete gerade schwer auf ihr, und sie sehnte sich danach, dass ihr jemand zu ein paar angenehmen, stillen Gedanken im Zusammenhang mit einer Heirat verhülfe.

"Oh, natürlich", antwortete er, dieses Mal in einem ernsteren Ton. "Es gibt Formen und Zeremonien, die eingehalten werden müssen, nicht so sehr zum eigenen Vergnügen, sondern um der Welt den Mund zu stopfen, denn wenn man das nicht täte, könnte man nicht so vergnügt durchs Leben gehen. Aber wie würden Sie eine Hochzeit planen?"

"Oh, darüber habe ich noch nie wirklich nachgedacht; ich hätte nur gern, dass es ein strahlender Sommermorgen wäre; und ich würde gern im Schatten von Bäumen zur Kirche gehen; und nicht so viele Brautjungfern haben; und kein Hochzeitsmahl. Ich glaube fast, ich entscheide mich gegen genau jene Dinge, die mir dieser Tage die größten Unannehmlichkeiten bereitet haben."

"Nein, das glaube ich nicht. Das Konzept der würdevollen Schlichtheit steht ganz im Einklang mit Ihrem Charakter."

Seine Worte gefielen Margaret nicht recht; sie schreckte noch mehr davor zurück und vor der Erinnerung an frühere Gelegenheiten, bei denen er versucht hatte, sie in eine Diskussion (in der er ihr Komplimente machte) über ihren Charakter und ihre Vorgehensweisen zu verwickeln. Sie schnitt ihm das Wort ab, indem sie sagte: "Es ist nur natürlich, dass ich an die Kirche in Helstone denke und den Weg, der zu ihr führt, statt an eine Kutschfahrt über eine gepflasterte Straße zu einer Londoner Kirche."

"Erzählen Sie mir von Helstone. Sie haben es mir nie beschrieben. Ich hätte gern eine Vorstellung von dem Ort, an dem Sie leben werden, wenn Harley Street Nummer 96 schäbig und schmutzig, öde und verlassen aussehen wird. Zunächst einmal: Ist Helstone ein Dorf oder eine Stadt?"

"Oh, es ist nur ein Dörfchen; ich glaube nicht, dass ich es überhaupt als Dorf bezeichnen könnte. Da ist die Kirche und nahebei auf der Wiese stehen ein paar Häuser – oder eher Häuschen – die von Rosen umrankt sind."

"… welche das ganze Jahr über blühen, besonders an Weihnachten – vervollständigen Sie Ihr Bild doch!" entgegnete er.

"Nein", erwiderte Margaret etwas ärgerlich, "ich beschwöre kein Bild herauf. Ich versuche, Helstone so zu beschreiben, wie es wirklich ist. Sie hätten das nicht sagen sollen."

"Ich bin reumütig", antwortete er. "Aber es hörte sich tatsächlich eher wie ein Dorf in einer Geschichte an als eines im richtigen Leben."

"Das stimmt auch", ereiferte sich Margaret. "Alle anderen Orte in England, die ich gesehen habe, wirken so hart und prosaisch, gemessen am New Forest. Helstone ist wie ein Dorf in einem Gedicht – in einem von Tennysons Gedichten. Aber ich werde nicht länger versuchen, es zu beschreiben. Sie würden mich nur auslachen, wenn ich Ihnen sagen würde, wie es mir erscheint – wie es wirklich ist."

"Das würde ich sicher nicht. Aber ich merke schon, Sie sind fest entschlossen. Na gut, dann erzählen Sie mir doch von dem, was ich noch lieber wüsste: wie die Pfarrei aussieht."

"Oh, ich kann mein Zuhause nicht beschreiben. Es ist mein Heim, und ich kann seinen Zauber nicht in Worte fassen."

"Ich füge mich. Sie sind sehr streng heute Abend, Margaret."

"Wie das?" sagte sie und richtete ihre großen, sanften Augen direkt auf ihn. "Das war mir nicht bewusst."

"Nun ja, weil ich eine unüberlegte Bemerkung gemacht habe, wollen Sie mir weder erzählen, wie Helstone ist, noch wollen Sie mir etwas über Ihr Zuhause sagen, obwohl ich Ihnen erklärt habe, wie gern ich etwas über beide Orte hören würde, besonders über letzteren."

"Aber ich kann Ihnen tatsächlich nichts über mein eigenes Zuhause sagen. Ich glaube nicht recht, dass wir darüber reden können, solange Sie es nicht kennen."

"Nun, dann –", er hielt einen Moment inne, "erzählen Sie mir, was Sie dort tun. Hier lesen Sie, oder Sie haben Unterricht oder bilden sich auf andere Art und Weise weiter, bis der Mittag naht; Sie gehen vor dem Mittagessen spazieren, nach dem Essen fahren Sie mit Ihrer Tante in der Kutsche aus, und am Abend folgen Sie irgendeiner Einladung. So, nun füllen Sie Ihren Tag in Helstone aus. Reiten Sie, nehmen Sie die Kutsche oder gehen Sie zu Fuß?"

"Zu Fuß, auf jeden Fall. Wir haben kein Pferd, nicht einmal für Papa. Er läuft bis in den äußersten Winkel seiner Gemeinde. Die Spaziergänge sind so schön, dass es eine Schande wäre zu fahren – und fast genauso schlimm zu reiten."

"Werden Sie viel gärtnern? Das ist, glaube ich, eine passende Beschäftigung für junge Damen auf dem Lande."

"Ich weiß nicht. Ich fürchte, so harte Arbeit würde mir nicht gefallen."

"Gartenpartys mit Bogenschießen – Picknicks – Bälle nach Jagden?"

"Oh nein!" rief sie lachend aus. "Papas Pfarrstelle ist ziemlich klein; und selbst, wenn es so etwas bei uns in der Nähe gäbe, bezweifle ich, dass ich hingehen würde."

"Ich sehe schon, Sie wollen mir einfach nichts erzählen. Sie sagen mir immer nur, dass Sie dies und das nicht tun werden. Bevor der Urlaub zu Ende ist, sollte ich Ihnen wohl einen Besuch abstatten und mir ein Bild davon machen, womit Sie sich wirklich beschäftigen."

"Ich hoffe, Sie werden das tun. Dann sehen Sie selbst, wie schön Helstone ist. Jetzt muss ich gehen. Edith setzt sich hin, um zu spielen, und ich weiß gerade genug über Musik, um die Seiten für sie umzublättern; außerdem wird Tante Shaw es nicht wollen, dass wir uns unterhalten."

Edith spielte hervorragend. In der Mitte des Stücks ging die Tür halb auf, und Edith sah Captain Lennox zögern, ob er hereinkommen solle. Sie warf ihre Noten herunter, eilte aus dem Zimmer und ließ eine verwirrte und errötende Margaret zurück, die den verwunderten Gästen erklären musste, welcher Anblick Edith zu ihrer plötzlichen Flucht veranlasst hatte. Captain Lennox war früher eingetroffen, als man erwartet hatte; oder war es wirklich schon so spät? Sie sahen auf ihre Uhren, waren gebührend schockiert und verabschiedeten sich.

Dann kam Edith vor Freude glühend zurück und führte ihren großen, gutaussehenden Captain halb schüchtern, halb stolz herein. Sein Bruder schüttelte ihm die Hand, und Mrs. Shaw begrüßte ihn auf ihre liebenswürdige, freundliche Art, der immer auch etwas Schwermütiges anhaftete, was auf ihre alte Gewohnheit, sich als Opfer einer Vernunftehe zu betrachten, zurückging. Nun, da sie, nach dem Hinscheiden des Generals, alle erdenklichen Annehmlichkeiten und so wenige Nachteile wie möglich hatte, war sie recht verblüfft gewesen, eine Angst – wenn nicht gar eine Sorge – zu entdecken. Jedoch war sie in jüngerer Zeit darauf verfallen, ihre eigene Gesundheit als eine Quelle der Beunruhigung zu sehen; wann immer sie darüber nachdachte, setzte bei ihr ein nervöses Hüsteln ein; und ein zuvorkommender Arzt verordnete ihr genau das, was sie sich wünschte: einen Winter in Italien. Mrs. Shaw hatte genauso ausgeprägte Wünsche wie andere Leute auch, aber es missfiel ihr, irgendetwas aus dem offen bekannten Motiv ihres eigenen Wohlgefallens und Vergnügens heraus zu tun; sie zog es vor, durch die Anordnung oder den Wunsch einer anderen Person dazu genötigt zu werden, sich etwas Gutes zu tun. Sie redete es sich wahrhaftig ein, dass sie sich einer schwerwiegenden äußeren Notwendigkeit beugte; und somit konnte sie auf ihre höfliche Weise stöhnen und klagen, derweil sie in Wirklichkeit genau das tat, was ihr gefiel.

In diesem Tenor begann sie mit Captain Lennox über ihre eigene Reise zu sprechen. Der junge Mann stimmte pflichtschuldig allem zu, was seine zukünftige Schwiegermutter ihm sagte, während seine Augen Edith suchten, die damit beschäftigt war, den Teetisch umzudecken und – trotz seiner Beteuerungen, dass er innerhalb der letzten beiden Stunden zu Abend gegessen hatte – alle möglichen köstlichen Speisen zu bestellen.

Mr. Henry Lennox lehnte sich an den Kaminsims, sichtlich amüsiert über die Familienszene. Er stand nahe bei seinem Bruder; er war der Unscheinbare in einer ausnehmend gutaussehenden Familie; doch sein Gesicht war intelligent, aufmerksam und lebhaft; und hin und wieder fragte sich Margaret, worüber er wohl nachdachte, während er zwar schwieg, aber offenbar – mit leicht sarkastischem Interesse – alles beobachtete, was Edith und sie taten. Die sarkastische Gefühlsregung wurde von Mrs. Shaws Unterhaltung mit seinem Bruder hervorgerufen; sie war unabhängig von seinem Interesse, das von dem sich ihm bietenden Bild geweckt wurde. Er fand den Anblick der beiden Cousinen, die mit ihren kleinen Arrangements rund um den Tisch so beschäftigt waren, sehr hübsch. Es war Ediths Wille, das meiste selbst zu erledigen. Ihre Stimmung war derart, dass sie es genoss, ihrem Verlobten zu zeigen, wie gut sie sich als Ehefrau eines Soldaten zu benehmen wusste. Sie bemerkte, dass das Teewasser kalt war, und ließ sich den großen Wasserkessel aus der Küche heraufbringen; was einzig darin resultierte, dass dieser, als sie ihn an der Tür in Empfang nahm und ihn hereintragen wollte, zu schwer für sie war und sie mit einem schwarzen Fleck auf ihrem Musselinkleid schmollend hereinkam und ihre rundliche, kleine weiße Hand mit dem Abdruck des Griffs Captain Lennox unter die Nase hielt, wie es ein verletztes Kind getan hätte, und natürlich wurde sie auch wie ein solches verarztet. Margarets rasch angepasstes Spiritusstövchen war der wirksamste Behelf, wenn es auch nicht so zu der Zigeunerromantik passte, von der Edith es sich in mancher ihrer Stimmungen in den Kopf setzte, dass sie dem Kasernenleben am nächsten käme.

Nach diesem Abend herrschte geschäftiges Treiben, bis die Hochzeit vorüber war.

KAPITEL 2

Rosen und Dornen

"Wo das grüne Licht traf die Wiese lind, Auf des Ufers Moos du gespielt als Kind; Bei dem Baum vorm Haus, durch den dein Aug' Den Sommerhimmel mit Lieb' geschaut."

(Felicia Hemans)8

Margaret trug wieder ihr Tageskleid, dieses Mal auf der ruhigen Heimreise mit ihrem Vater, der nach London heraufgekommen war, um bei der Hochzeit zu helfen. Ihre Mutter war wegen einer Vielzahl fadenscheiniger Gründe zu Hause geblieben, die niemand zur Gänze verstand außer Mr. Hale, dem durchaus bewusst war, dass alle seine Argumente zugunsten eines grauen Satinkleides, das weder wirklich alt noch vollkommen neu war, auf taube Ohren gestoßen waren – und dass sich seine Frau, da er nicht das Geld dazu besaß, sie von Kopf bis Fuß neu einzukleiden, nicht auf der Hochzeit der einzigen Tochter ihrer einzigen Schwester zeigen würde. Wenn Mrs. Shaw den wahren Grund dafür, dass Mrs. Hale ihren Ehemann nicht begleitete, erraten hätte, hätte sie ihre Schwester mit Kleidern überhäuft; doch es war fast zwanzig Jahre her, seit Mrs. Shaw die arme, hübsche Miss Beresford gewesen war, und sie hatte tatsächlich alle Klagen vergessen, außer jener über das aus einem großen Altersunterschied in der Ehe entspringende Unglück, über welches sie sich eine halbe Stunde lang ergehen konnte. Die gute Maria hatte den Mann ihres Herzens geheiratet, der nur acht Jahre mehr zählte als sie, die Sanftmut in Person war und jenes blauschwarze Haar hatte, das man so selten sah. Mr. Hale war einer der erbaulichsten Prediger, denen sie je zugehört hatte, und ein vorbildlicher Hirte seiner Gemeinde. Vielleicht war das nicht unbedingt die logische Schlussfolgerung aus allen diesen Prämissen, aber es war doch typisch für Mrs. Shaw, daraus für das Schicksal ihrer Schwester abzuleiten: "Eine Heirat aus Liebe – was kann die gute Maria noch zu wünschen übrig haben?" Wäre Mrs. Hale ganz ehrlich gewesen, hätte sie womöglich als Antwort schon eine Liste parat gehabt: "Ein Kleid aus silbergrauer Glacéseide, einen weißen Basthut – oh! Dutzende von Dingen für die Hochzeit und Hunderte von Dingen für das Haus."

Margaret wusste nur, dass ihre Mutter es ungünstig gefunden hatte, herzukommen; und sie bedauerte die Vorstellung nicht, dass ihre Begegnung und Begrüßung in der Pfarrei in Helstone stattfinden würden, anstatt während des Trubels der letzten zwei oder drei Tage in dem Haus in der Harley Street, wo sie selbst die Rolle des Figaro9 hatte spielen müssen und überall gleichzeitig gebraucht wurde. Ihr Geist und ihr Körper schmerzten nun von der Erinnerung an alles, was sie in den vergangenen achtundvierzig Stunden gesagt und getan hatte. Der zwischen all den anderen Verabschiedungen so eilig genommene Abschied von jenen, mit denen sie so lange zusammengelebt hatte, bedrückte sie nun und ließ sie wehmütig den vergangenen Zeiten nachtrauern; es war nicht von Bedeutung, wie jene Zeiten gewesen waren – sie waren unwiederbringlich vorüber. Margaret war es schwerer ums Herz, als sie es je für möglich gehalten hätte auf dem Weg zu ihrem eigenen geliebten Zuhause, dem Ort und dem Leben, nach dem sie sich jahrelang gesehnt hatte – zu dem Zeitpunkt, der für die Sehnsucht wie geschaffen ist, kurz bevor die scharfen Sinne im Schlaf ihre Konturen verlieren. Sie riss ihre Gedanken gewaltsam weg von der Erinnerung an die Vergangenheit hin zu der vielversprechenden, heiteren Betrachtung der hoffnungsvollen Zukunft. Ihre Augen begannen zu sehen, nicht das Traumbild dessen, was hinter ihr lag, sondern den Anblick, der sich ihr tatsächlich bot: ihren lieben Vater, der sich im Zugabteil schlafend zurücklehnte. Sein blauschwarzes Haar war nun grau und fiel ihm dünn über die Brauen. Seine Gesichtsknochen traten deutlich hervor – zu deutlich, um schön zu sein, wären seine Züge weniger fein geschnitten gewesen; so aber waren sie auf ihre Weise wohlgestaltet, um nicht zu sagen anmutig. Das Gesicht war entspannt; doch es war eher ein Ausruhen nach großer Ermüdung als die heitere Ruhe im Gesichtsausdruck eines Menschen, der ein ruhiges, zufriedenes Leben führte. Es quälte Margaret, diesen erschöpften, besorgten Ausdruck zu sehen; und sie ging die ihr bekannten Lebensumstände ihres Vaters noch einmal durch, um die Ursache für die Linien zu finden, die so deutlich von gewohnheitsmäßiger Betrübnis und Niedergeschlagenheit zeugten.

"Armer Frederick!" dachte sie mit einem Seufzen. "Oh, wenn Frederick doch nur ein Pfarrer geworden wäre, anstatt zur Marine zu gehen und für uns alle verloren zu sein! Ich wünschte, ich wüsste alles darüber. Ich habe es aus Tante Shaws Mund nie verstanden; ich wusste nur, dass er wegen dieser schrecklichen Angelegenheit nicht nach England zurückkehren konnte. Armer, geliebter Papa! Wie traurig er aussieht! Ich bin so froh, dass ich nach Hause komme und zur Stelle bin, um ihn und Mama zu trösten."

Mit einem fröhlichen Lächeln, das keine Spur von Müdigkeit aufwies, war sie bereit, ihren Vater nach seinem Erwachen zu begrüßen. Er erwiderte ihr Lächeln, aber nur zaghaft, so als wäre dies eine außerordentliche Anstrengung. Sein Gesicht nahm wieder die üblichen Linien der Besorgnis an. Er hatte die Angewohnheit, seinen Mund immer wieder leicht zu öffnen, wie um zu sprechen, was seine Lippen ständig aus der Fasson brachte und seinem Gesicht einen unentschlossenen Ausdruck verlieh. Aber er hatte dieselben großen, sanften Augen wie seine Tochter – Augen, die sich langsam und fast majestätisch in ihren Höhlen hin- und herbewegten und die von ihren durchscheinenden weißen Lidern gut verhüllt wurden. Margaret sah mehr ihm ähnlich als ihrer Mutter. Zuweilen wunderten sich die Leute, dass so gutaussehende Eltern eine Tochter hatten, die von dem gängigen Schönheitsideal so weit abwich; manche sagten, sie sei überhaupt nicht schön. Sie hatte einen breiten Mund, nicht eine Rosenknospe, die sich gerade weit genug öffnen konnte, um ein "Ja" und "Nein" und "wenn Sie erlauben, Sir" entweichen zu lassen. Doch der breite Mund war ein sanft geschwungener Bogen voller, roter Lippen; und die Haut, wenn auch nicht weiß und makellos, war elfenbeinfarben, geschmeidig und zart. Zwar war ihr Gesichtsausdruck für einen so jungen Menschen im Allgemeinen zu würdevoll und zurückhaltend, aber jetzt, wo sie mit ihrem Vater redete, war er frisch und fröhlich – voller Grübchen und Blicken, die von kindlicher Freude und grenzenlosem Vertrauen in die Zukunft sprachen.

Es war Ende Juli, als Margaret nach Hause zurückkehrte. Die Bäume im Wald bildeten ein einziges dunkles, sattes, schattiges Grün; der Farn unter ihnen fing alle schräg einfallenden Sonnenstrahlen ein; das Wetter war schwülwarm, nichts regte sich unter der brütenden Hitze. Margaret war früher neben ihrem Vater hergelaufen, wobei sie mit grausamem Entzücken den Farn zertrat, den sie unter ihrem leichten Fuß nachgeben fühlte und der seinen ihm eigenen Duft verströmte – draußen auf dem weiten Gemeindeland, hinein in das warme, aromatische Licht, wo sie zahllose wilde, freie Lebewesen sah, die ausgelassen den Sonnenschein genossen, und die Kräuter und Blumen, die dieser hervorbrachte. Dieses Leben – zumindest diese Spaziergänge – ließen alle Erwartungen Margarets wahr werden. Sie war stolz auf ihren Wald. Seine Menschen waren ihre Menschen. Sie schloss herzliche Freundschaft mit ihnen; lernte und gebrauchte ihre besonderen Redewendungen gern; ging ungezwungen mit ihnen um; wiegte ihre Säuglinge in ihren Armen; sprach langsam und deutlich, wenn sie mit den alten Leuten redete oder ihnen vorlas; brachte den Kranken unter ihnen feine Mahlzeiten; beschloss bald, an der Schule zu unterrichten, wohin ihr Vater jeden Tag ging, als habe man ihm diese Aufgabe zugewiesen, doch sie war ständig versucht, irgendeinen Freund – Mann, Frau oder Kind – in einer der Hütten im grünen Schatten des Waldes besuchen zu gehen. Ihr Leben draußen war vollkommen. Ihr Leben im Haus hatte seine Nachteile. Mit der gesunden Scham eines Kindes tadelte sie sich selbst für ihre guten Augen, wenn sie sah, dass dort nicht alles so war, wie es sein sollte. Ihre Mutter – ihre Mutter, die immer so lieb und zärtlich zu ihr war – schien bisweilen sehr unzufrieden mit der Situation der Familie; dachte, dass der Bischof seltsamerweise seine episkopalen Pflichten vernachlässigte, indem er Mr. Hale keine bessere Pfarrstelle gab; und machte ihrem Ehemann fast schon Vorwürfe dafür, dass er es nicht fertigbrachte zu sagen, dass er die Gemeinde gern verlassen würde, um sich um eine größere zu kümmern. Er seufzte laut und antwortete, dass er dankbar sein sollte, wenn er im kleinen Helstone tun könne, was vonnöten sei; doch jeder Tag überwältigte ihn mehr; die Welt wurde immer verwirrender. Margaret sah, dass sich ihr Vater jedes Mal, wenn seine Frau ihn wiederholt dazu drängte, auf eine Beförderung hinzuwirken, mehr und mehr zurückzog; und sie bemühte sich bei solchen Anlässen darum, ihre Mutter mit Helstone zu versöhnen. Mrs. Hale behauptete, ihre Gesundheit leide darunter, dass so viele Bäume in der Nähe standen; und Margaret versuchte dann, sie hinauszulocken auf das liebliche, weite, hochgelegene, sonnenbeschienene, wolkenbeschattete Gemeindeland; denn sie war sich sicher, dass sich ihre Mutter zu stark an ein Leben im Haus gewöhnt hatte dadurch, dass sie selten weiter ging als bis zur Kirche, zur Schule und zu den benachbarten Häuschen. Das half eine Zeit lang; aber als der Herbst nahte und das Wetter wechselhafter wurde, fand ihre Mutter den Ort zunehmend schädlicher für ihre Gesundheit; und sie äußerte noch häufiger ihren Unmut darüber, dass ihrem Ehemann, der gebildeter war als Mr. Hume und ein besserer Gemeindepfarrer als Mr. Houldsworth, nicht dieselbe Beförderung zuteil geworden war, welche diese beiden früheren Nachbarn der Hales erhalten hatten.

Diese Beeinträchtigung des häuslichen Friedens, die mit stundenlanger Unzufriedenheit einherging, war das, worauf Margaret nicht vorbereitet war. Sie wusste – und hatte den Gedanken sogar begrüßt – dass sie so manchen Luxus würde aufgeben müssen, der ihr in der Harley Street nur lästig gewesen war und ihre Freiheit dort beschnitten hatte. Ihr großes Vergnügen an jedem sinnlichen Genuss wurde aufgewogen, wenn nicht gar übertroffen, von ihrem bewussten Stolz darauf, dass sie, falls nötig, auf sie alle verzichten konnte. Aber die Wolke zeigt sich nie in der Himmelsrichtung, in der wir nach ihr Ausschau halten. Es hatte leichte Klagen und ein vorübergehendes Bedauern seitens ihrer Mutter über eine Kleinigkeit in Bezug auf Helstone und die Position ihres Mannes dort gegeben, als Margaret zuvor ihre Ferien zu Hause verbracht hatte; doch da ihre Erinnerungen an jene Tage im Allgemeinen glücklich waren, hatte sie die weniger angenehmen kleinen Details vergessen.

In der zweiten Septemberhälfte hielten die herbstlichen Regenfälle und Stürme Einzug, und Margaret war gezwungen, mehr Zeit als bisher im Haus zu verbringen. Helstone war ein gutes Stück von jeglichen Nachbarn ihres eigenen Bildungsstandes entfernt.

"Es ist zweifelsohne einer der abgelegensten Orte in England", sagte Mrs. Hale in einer ihrer schwermütigen Stimmungen. "Ich muss es immerzu bedauern, dass Papa hier wirklich niemanden hat, dem er sich anschließen könnte; er verschwendet sich so, sieht er doch von einem Ende der Woche zum anderen niemanden außer Bauern und Landarbeitern. Wenn wir auch nur auf der anderen Seite der Gemeinde wohnten, wäre uns schon geholfen; von dort aus könnten wir beinahe zu Fuß zu den Stanfields gehen – zu den Gormans ganz bestimmt."

"Gormans?" fragte Margaret. "Sind das jene Gormans, die ihr Vermögen mit Handel in Southampton gemacht haben? Oh, ich bin froh, dass wir sie nicht besuchen. Ich mag keine Geschäftsleute. Ich glaube, wir sind viel besser dran mit unserem Bekanntenkreis aus Kleinbauern und Feldarbeitern und Leuten, die sich nichts auf sich einbilden."

"Du darfst nicht so engstirnig sein, meine liebe Margaret!" sagte ihre Mutter und dachte dabei insgeheim an einen jungen, gutaussehenden Mr. Gorman, den sie einmal im Hause von Mr. Hume getroffen hatte.

"Nein! Ich finde, dass mein Geschmack recht weit gefasst ist; ich mag alle Leute, deren Beschäftigung mit dem Land zu tun hat; ich mag Soldaten und Seeleute, und die drei sogenannten gelehrten Berufsstände10. Ich bin mir sicher, dass du nicht von mir verlangst, dass ich Metzger, Bäcker und Hutmacher bewundere, nicht wahr, Mama?"

"Aber die Gormans waren weder Metzger noch Bäcker, sondern sehr angesehene Kutschenbauer."

"Nun gut. Dennoch ist Kutschenbauen ein Handwerk, und in meinen Augen ein sehr viel entbehrlicheres als das des Metzgers oder des Bäckers. Oh, wie mich die täglichen Fahrten in Tante Shaws Kutsche ermüdet haben und wie ich mich danach gesehnt habe, zu Fuß zu gehen!"

Und Margaret ging zu Fuß – dem Wetter zum Trotz. Sie war unter freiem Himmel an der Seite ihres Vaters so glücklich, dass sie fast tanzte; und mit der sanften Gewalt des Westwinds hinter sich, als sie ein Stück Heideland überquerte, schien sie vorwärts getragen zu werden, so leicht und mühelos wie ein herabgefallenes Blatt, das von der herbstlichen Brise hinweggeweht wurde. Doch die Abendstunden angenehm zu gestalten, erwies sich als schwierig. Direkt nach dem Tee zog sich ihr Vater in seine kleine Bibliothek zurück, und sie und ihre Mutter waren miteinander allein. Mrs. Hale hatte sich nie viel aus Büchern gemacht und ihren Mann schon zu Beginn ihrer Ehe in seinem Wunsch, ihr vorzulesen, während sie arbeitete, entmutigt. Eine Zeit lang hatten sie es mit Backgammon versucht; aber als Mr. Hale sich immer mehr für seine Schule und seine Gemeinde einsetzte, bemerkte er, dass die Unterbrechungen, die sich aus diesen Pflichten ergaben, von seiner Frau als Widrigkeiten betrachtet wurden, die sie nicht als die naturgegebenen Umstände seines Berufs akzeptieren konnte, sondern die sie bei jedem Auftreten bedauerte und zu bekämpfen suchte. Daher zog er sich, als die Kinder noch klein waren, in seine Bibliothek zurück, um seine Abende (wenn er zu Hause war) mit der Lektüre der hypothetischen und metaphysischen Bücher zu verbringen, die ihn so ergötzten.

Als Margaret zuletzt hier gewesen war, hatte sie eine große Kiste Bücher mitgebracht, die ihr von Lehrern oder der Gouvernante empfohlen worden waren, und die Sommertage waren ihr viel zu kurz vorgekommen, um vor ihrer Rückkehr in die Stadt mit ihrer Pflichtlektüre fertig zu werden. Jetzt waren da nur die schön gebundenen, wenig gelesenen englischen Klassiker, die aus der Bibliothek ihres Vaters aussortiert worden waren, um die kleinen Bücherregale im Wohnzimmer zu füllen. Thomsons "Jahreszeiten", Hayleys "Cowper", Middletons "Cicero" waren bei weitem die leichtesten, neuesten und unterhaltsamsten. Die Bücherregale erwiesen sich nicht als ergiebige Quelle. Margaret erzählte ihrer Mutter jede Einzelheit ihres Lebens in London, und Mrs. Hale hörte sich alles interessiert an; bisweilen war sie amüsiert und hakte nach, manchmal aber hatte sie ein wenig die Neigung, die komfortablen Lebensumstände ihrer Schwester mit den ärmeren Verhältnissen der Pfarrei in Helstone zu vergleichen. An solchen Abenden konnte es leicht vorkommen, dass Margaret ziemlich abrupt zu reden aufhörte und dem Tropfen des Regens auf die Bleifassung des kleinen Erkerfensters lauschte. Ein- oder zweimal hatte Margaret sich dabei ertappt, gedankenverloren die Wiederholung des monotonen Geräuschs zu zählen, während sie sich fragte, ob sie es wagen sollte, eine Frage zu einem Thema zu stellen, das ihr sehr am Herzen lag, nämlich, wo Frederick jetzt war, was er tat und wie lange es her war, seit sie von ihm gehört hatten. Doch das Bewusstsein, dass die empfindliche Gesundheit ihrer Mutter sowie deren entschiedene Abneigung gegen Helstone auf die Zeit zurückgingen, in der Frederick in jene Meuterei verstrickt war – deren ganze Geschichte Margaret nie gehört hatte und die nun dazu verurteilt schien, in traurige Vergessenheit zu geraten – ließ sie innehalten und sich jedes Mal, wenn sie sich dem Thema näherte, wieder davon abwenden. Wenn sie mit ihrer Mutter zusammen war, schien ihr Vater derjenige zu sein, der ihr am besten darüber Auskunft geben konnte; und wenn sie mit ihm allein war, glaubte sie, es würde ihr leichter fallen, mit ihrer Mutter darüber zu sprechen. Wahrscheinlich gab es ohnehin nicht viel Neues zu hören. In einem der Briefe, die sie vor ihrem Abschied von der Harley Street erhalten hatte, hatte ihr Vater ihr berichtet, dass sie von Frederick gehört hatten; er sei noch in Rio, es gehe ihm sehr gut und er lasse sie herzlich grüßen; was recht trocken klang und nicht die lebendigen Neuigkeiten darstellte, nach denen sie sich sehnte. Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen Fredericks Name erwähnt wurde, sprach man stets von ihm als dem "armen Frederick". Sein Zimmer wurde in genau dem Zustand erhalten, in dem er es verlassen hatte; alles wurde regelmäßig abgestaubt und in Ordnung gebracht von Dixon, Mrs. Hales Hausangestellter, die keine anderen Arbeiten im Haushalt anrührte, sich aber immer an den Tag erinnerte, als sie von Lady Beresford als Dienstmädchen für Sir Johns Mündel, die hübschen Miss Beresfords, die Schönheiten von Rutlandshire, eingestellt wurde. Dixon hatte Mr. Hale immer als den Hemmschuh betrachtet, der die Aussichten ihrer jungen Herrin auf ein gutes Leben zunichte gemacht hatte. Wer konnte sagen, was noch aus Miss Beresford geworden wäre, wenn sie es nicht so eilig damit gehabt hätte, einen armen Landpfarrer zu heiraten? Doch Dixon war zu loyal, um sie in ihrem Elend und ihrem Niedergang (ach weh! ihrem Eheleben) im Stich zu lassen. Sie blieb bei ihr, widmete sich ihren Interessen und hielt sich dabei stets für die beschützende gute Fee, deren Aufgabe es war, dem heimtückischen Riesen, Mr. Hale, Einhalt zu gebieten. Frederick, der junge Herr, war ihr Liebling und ihr ganzer Stolz gewesen; und ihre würdevolle Miene und Manier wurden ein wenig milder, wenn sie einmal die Woche sein Zimmer betrat, um es so sorgfältig herzurichten, als würde er noch am selben Abend heimkommen.

Margaret konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es in jüngster Zeit eine Nachricht von Frederick gegeben hatte, von der ihre Mutter nichts wusste und die ihren Vater besorgt und unruhig stimmte. Mrs. Hale schien keine Veränderung im Aussehen oder Verhalten ihres Mannes wahrzunehmen. Er war stets empfindsam und sanft von Gemüt, seine Stimmung leicht zu beeinträchtigen durch jede kleine Neuigkeit bezüglich des Wohlergehens anderer. Tagelang war er deprimiert, nachdem er an einem Sterbebett gesessen oder von einem Verbrechen gehört hatte. Doch jetzt fiel Margaret auf, dass er geistesabwesend war, als wären seine Gedanken mit einem Thema beschäftigt, das ihn so sehr bedrückte, dass ihm keine der alltäglichen Tätigkeiten, wie das Trösten von Hinterbliebenen oder das Unterrichten an der Schule in der Hoffnung, dadurch die Missstände in der folgenden Generation zu lindern, davon Erleichterung verschaffen konnte. Mr. Hale ging nicht so oft hinaus zu seinen Gemeindemitgliedern wie gewöhnlich; er schloss sich mehr in seinem Arbeitszimmer ein; wartete angespannt auf den Dorfpostboten, der die Hausbewohner durch ein Klopfen auf den Fensterladen der hinteren Küche herbeirief – ein Signal, das früher oft wiederholt werden musste, bevor sich irgendjemand der Tageszeit hinreichend bewusst war, um zu verstehen, worum es ging, und sich um ihn zu kümmern. Jetzt hielt sich Mr. Hale im Garten auf, wenn es ein schöner Morgen war, und falls nicht, stand er verträumt am Fenster des Arbeitszimmers, bis der Postbote entweder zum Haus gekommen oder den Weg hinuntergegangen war, wobei dieser halb respektvoll, halb vertraulich den Kopf in Richtung des Pfarrers schüttelte, der ihm bis jenseits der Weinrosenhecke und des großen Erdbeerbaumes11 nachsah, bis er sich vom Fenster abwandte, um mit allen Anzeichen eines schweren Herzens und eines beschäftigten Geistes sein Tagwerk zu beginnen.

Doch Margaret war in einem Alter, in dem jede Befürchtung, die nicht eindeutig auf der Kenntnis von Tatsachen beruht, von einem schönen sonnigen Tag oder glücklichen äußeren Umständen leicht für eine Weile verscheucht wird. Und als die strahlenden vierzehn schönen Tage des Oktobers nahten, waren alle ihre Sorgen so leicht weggeblasen wie Distelwolle, und sie dachte an nichts anderes als die Herrlichkeit des Waldes. Die Farnernte12 war beendet; und nun, da es aufgehört hatte zu regnen, war so manche tief gelegene Waldlichtung erreichbar, in die Margaret bei Juli- und Augustwetter nur hineingelugt hatte. Zusammen mit Edith hatte sie zu zeichnen gelernt; und derweil die Düsternis des schlechten Wetters angedauert hatte, hatte sie ihr tatenloses Schwelgen im Zauber des Waldes während der vorherigen Schönwetterperiode hinlänglich bereut, um zu dem Entschluss zu kommen, so viel wie möglich zu skizzieren, bevor der Winter endgültig hereinbrach. Dementsprechend war sie eines Morgens damit beschäftigt, ihr Zeichenbrett vorzubereiten, als Sarah, das Hausmädchen, die Wohnzimmertür weit aufstieß und "Mr. Henry Lennox" ankündigte.

KAPITEL 3

Blinder Eifer schadet nur

"Wirb um einer Dame Herz Edel, denn das Ziel ist hoch; Mutig, wie auf Tod und Ehr' – Mit loyalem Ernste auch.

 Führ sie weg von Tanzes Ort, Deute ihr das Firmament, Schütz sie durch dein ehrlich' Wort Ohne schmeichelnd' Kompliment."

(Elizabeth Barrett Browning)13

"Mr. Henry Lennox." Margaret hatte erst vor einem Augenblick an ihn gedacht und sich an seine Fragen bezüglich ihrer voraussichtlichen Beschäftigungen zu Hause erinnert. Es war, wie wenn man von der Sonne sprach und im nächsten Moment ihre Strahlen erblickte; und das Strahlen der Sonne überkam Margarets Gesicht, als sie ihr Zeichenbrett hinlegte und auf ihn zuging, um ihm die Hand zu geben. "Gib Mama Bescheid, Sarah", sagte sie. "Mama und ich möchten Sie so vieles über Edith fragen; ich bin Ihnen so dankbar, dass Sie hergekommen sind."

"Sagte ich nicht, dass ich kommen würde?" fragte er, wobei sein Ton gedämpfter war als zuvor.

"Aber ich habe davon gehört, dass Sie so weit weg in den Highlands seien, dass ich nie geglaubt hätte, Sie könnten bis nach Hampshire reisen."

"Oh!" sagte er in einem leichteren Ton. "Unser junges Paar trieb solch närrischen Schabernack, ging alle möglichen Risiken ein, stieg auf diesen Berg, segelte auf jenem See, dass ich der Meinung war, sie bräuchten einen Mentor, der auf sie aufpasste. Und das erwies sich als richtig: Sie waren von meinem Onkel nicht im Zaum zu halten und versetzten den alten Herrn während sechzehn der vierundzwanzig Stunden in Panik. Als ich einmal sah, wie wenig man die beiden allein lassen konnte, betrachtete ich es als meine Pflicht, an ihrer Seite zu bleiben, bis ich sie in Plymouth sicher eingeschifft wusste."

"Sie waren in Plymouth? Oh! Edith hat das nie erwähnt. Ehrlich gesagt, hat sie in letzter Zeit in einer unglaublichen Eile geschrieben. Sind sie wirklich am Dienstag ausgelaufen?"

"Sind wirklich ausgelaufen und haben mich von einer großen Verantwortung befreit. Edith hat mir alle Arten von Nachrichten für Sie gegeben. Ich glaube, ich habe irgendwo eine winzig kleine Mitteilung für Sie; ja, hier ist sie."

"Oh, vielen Dank!" rief Margaret aus; und da sie sie eigentlich gern allein und unbeobachtet gelesen hätte, brachte sie dann die Entschuldigung vor, sie werde ihrer Mutter nochmals Bescheid geben (Sarah sei sicher ein Fehler unterlaufen), dass Mr. Lennox da sei.

Als sie den Raum verlassen hatte, fing er an, sich in seiner prüfenden Weise umzusehen. Das Licht der Morgensonne ergoss sich über das kleine Wohnzimmer und ließ es sich von seiner besten Seite zeigen. Das mittlere Erkerfenster stand offen, und üppige Rosen und scharlachrot blühende Geißblattranken lugten um die Ecke; der kleine Rasen sah bezaubernd aus mit seinen Verbenen und Geranien in allen möglichen kräftigen Farben. Doch es war gerade die Pracht, die draußen herrschte, welche die Farben drinnen armselig und blass wirken ließ. Der Teppich war alles andere als neu; der Chintz war schon oft gewaschen worden; die Räumlichkeit an sich war kleiner und schäbiger, als er es von einem Hintergrund und Rahmen für Margaret, die selbst so königlich wirkte, erwartet hatte. Er nahm eines der auf dem Tisch liegenden Bücher in die Hand; es war das "Paradiso" von Dante, in der echten alten italienischen Bindung aus weißem Pergament und Gold; daneben lag ein Wörterbuch sowie ein paar Wörter, die Margaret von Hand herausgeschrieben hatte; es war nur eine langweilige Liste von Wörtern, aber irgendwie gefiel es ihm, sie sich anzusehen. Mit einem Seufzen legte er sie wieder hin.

"Die Pfarrstelle ist offenbar so klein, wie sie sagte. Das ist seltsam, denn die Beresfords gehören einer guten Familie an."

Margaret hatte inzwischen ihre Mutter gefunden. Es war einer von Mrs. Hales launenhaften Tagen, an denen alles und jedes eine Schwierigkeit darstellte; und das Erscheinen von Mr. Lennox fiel in diese Kategorie, obwohl sie es insgeheim als Kompliment auffasste, dass er es der Mühe wert gefunden hatte, ihnen einen Besuch abzustatten.

"Es kommt höchst ungelegen! Wir essen heute früh zu Abend, und auch nur kalten Braten, damit die Dienstmädchen mit dem Bügeln weitermachen können; und trotzdem müssen wir ihn selbstverständlich zum Essen einladen – wo er doch Ediths Schwager ist. Und dein Vater ist heute Morgen in so einer gedrückten Stimmung wegen irgendetwas – ich weiß nicht, was. Gerade eben bin ich ins Arbeitszimmer gegangen, und er hatte sein Gesicht, mit den Händen bedeckt, auf den Tisch gelegt. Ich habe ihm gesagt, dass ich mir sicher sei, die Luft in Helstone tue ihm genauso wenig gut wie mir, und er hat plötzlich seinen Kopf gehoben und mich gebeten, nicht ein Wort mehr gegen Helstone zu sagen, er könne es nicht ertragen; wenn es auf Erden einen Ort gebe, den er liebe, dann sei es Helstone. Aber trotz allem bin ich sicher, dass es an der feuchten, müde machenden Luft liegt."

Margaret fühlte sich, als hätte sich eine dünne, kalte Wolke zwischen sie und die Sonne geschoben. Sie hatte geduldig zugehört, in der Hoffnung, dass es ihre Mutter erleichtern würde, ihr Herz auszuschütten; doch jetzt war es an der Zeit, sie gedanklich zu Mr. Lennox zurückzuführen.

"Papa mag Mr. Lennox; sie haben sich beim Hochzeitsmahl ganz famos verstanden. Ich glaube fast, seine Anwesenheit wird Papa guttun. Und mach dir keine Sorgen wegen des Abendessens, liebe Mama. Kalter Braten eignet sich hervorragend als Mittagessen, und als solches wird Mr. Lennox höchstwahrscheinlich ein Abendessen um zwei Uhr betrachten."

"Aber was sollen wir bis dahin mit ihm machen? Es ist jetzt erst halb elf."

"Ich werde ihn fragen, ob er mit mir zeichnen gehen will. Ich weiß, dass er malt, und damit ist er dir aus dem Weg, Mama. Aber jetzt komm bitte hinein; es wird ihm so seltsam vorkommen, wenn du es nicht tust."

Mrs. Hale nahm ihre schwarze Seidenschürze ab und strich sich über das Gesicht. Ihr Aussehen war das einer sehr hübschen, damenhaften Frau, als sie Mr. Lennox mit der Herzlichkeit begrüßte, die jemandem gebührte, der beinahe ein Verwandter war. Offenbar erwartete er es, dass man ihn einlud, den Tag hier zu verbringen, und er nahm die Einladung so fröhlich und bereitwillig an, dass Mrs. Hale sich wünschte, sie könnte das kalte Rindfleisch mit etwas bereichern. Alles war zu seiner Zufriedenheit; er fand Margarets Idee, zusammen zeichnen zu gehen, wundervoll, wollte Mr. Hale um nichts in der Welt stören, wo er ihn doch schon so bald beim Essen treffen würde. Margaret holte ihr Zeichenmaterial heraus, damit er sich etwas aussuchen konnte, und nachdem das Papier und die Pinsel hinlänglich ausgewählt worden waren, zogen die beiden in der ausgelassensten Laune los.

"Lassen Sie uns hier bitte für ein oder zwei Minuten Halt machen", sagte Margaret. "Das sind die Häuschen, die mir während der verregneten zwei Wochen keine Ruhe ließen und mir ein schlechtes Gewissen einflößten, weil ich sie nicht gezeichnet hatte."

"Bevor sie einstürzten und vom Erdboden verschwanden. Gewiss, wenn sie gezeichnet werden sollen – und sie sind sehr malerisch – warten wir damit besser nicht bis nächstes Jahr. Aber wo sollen wir uns hinsetzen?"

"Oh! Sie hätten genauso gut direkt aus einer Kanzlei in Temple14 kommen können, anstatt zwei Monate in den Highlands verbracht zu haben! Sehen Sie sich diesen schönen Baumstumpf an, den die Holzfäller gerade am rechten Ort stehen ließen, damit wir gutes Licht haben. Ich lege meine Decke darauf, und er wird einen richtiggehenden Thron des Waldes abgeben."

"Mit Ihren Füßen in jener Pfütze als königlichem Schemel! Warten Sie, ich mache Platz, und dann können Sie von drüben näher rücken. Wer lebt in diesen Hütten?"

"Landbesetzer haben sie vor fünfzig oder sechzig Jahren gebaut. Eine ist unbewohnt; die Waldarbeiter werden sie abreißen, sobald der alte Mann, der in der anderen lebt, gestorben ist – der arme Kerl! Sehen Sie – da ist er – ich muss hingehen und mit ihm sprechen. Er ist so taub, dass Sie alle unsere Geheimnisse hören werden."

Der alte Mann stand, auf seinen Stock gestützt, barhäuptig vor seiner Hütte in der Sonne. Seine starren Gesichtszüge entspannten sich langsam zu einem Lächeln, als Margaret zu ihm ging und mit ihm redete. Mr. Lennox beeilte sich, die beiden Gestalten in seine Skizze aufzunehmen, und beendete die Landschaft mit einer nebensächlichen Anspielung auf sie – wie Margaret bemerkte, als es Zeit wurde, aufzustehen, das Wasser und einige Papierschnipsel wegzutun und sich gegenseitig die Zeichnungen zu zeigen. Sie lachte und errötete; Mr. Lennox beobachtete ihre Reaktion.

"Nun, das nenne ich hinterhältig", sagte sie. "Ich hätte wohl kaum daran gedacht, dass Sie den alten Isaac und mich zu Zeichnungsobjekten machen würden, als Sie mich baten, ihn nach der Geschichte dieser Häuschen zu fragen."