Nur vier Wochen - Natalie Rabengut - E-Book + Hörbuch

Nur vier Wochen E-Book und Hörbuch

Natalie Rabengut

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Beschreibung

Anikas Leben ist streng durchgeplant: perfektes Abitur, perfektes Studium mit perfektem Abschluss und die perfekte Karriere als Anwältin in der renommierten Kanzlei ihres Vaters. Endlich soll sie die langersehnte Partnerschaft bekommen, als ihr Vater seine Meinung ändert. Aus Sorge, dass sie nur noch für die Arbeit lebt, zögert er, sie zur Partnerin zu machen. Rasend vor Wut beschließt Anika, den erstbesten Mann zu heiraten, der ihr über den Weg läuft – nur um ihren Standpunkt klarzumachen, dass sich gefälligst niemand in ihr Leben einzumischen hat. Prompt läuft sie dem Tätowierer Boris in die Arme, den die Aussicht darauf, eine vollkommen Fremde zu heiraten, nicht unbedingt begeistert. Allerdings muss er schnell einsehen, dass Anika keine einfache Verhandlungspartnerin ist … Gefühlvolle Handlung. Explizite Szenen. Happy End. Alle Bücher der Reihe sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden, sind aber durch wiederkehrende Figuren miteinander verbunden.

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Seitenzahl: 354

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Zeit:8 Std. 27 min

Sprecher:Fanny Bechert

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NUR VIER WOCHEN

DATE-REIHE 7

NATALIE RABENGUT

ROMANTISCHE LIEBESKOMÖDIE

Copyright: Natalie Rabengut, 2014, Deutschland.

Covergestaltung: Natalie Rabengut

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet.

Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.

www.blackumbrellapublishing.com

INHALT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Nächster Band der Reihe: Dreiviertelvoll

Über Natalie Rabengut

KAPITEL1

Gelangweilt starrte ich an die Decke, bis mir einfiel, dass ich wenigstens ein bisschen stöhnen könnte. Das würde das ganze Verfahren erheblich abkürzen.

Also glitt ich mit meinen Fingern in Hennings Nacken, vergrub sie in den Haaren und krallte meine andere Hand in seine Schulter. »Oh Gott, jaaaa!«, keuchte ich sehr authentisch und spürte direkt, wie es ihn anspornte.

Jeden Sonntag das gleiche Programm: erst Golf spielen mit meinem Vater, dann in die Sauna, anschließend ein bisschen Lesen, bevor es Spaghetti Carbonara pünktlich zum Tatort gab. Es folgte der obligatorische Sex nach dem Tatort – natürlich erst, nachdem Henning sich die Zähne geputzt hatte, er war da sehr genau. Zum Abschied gab es einen Kuss auf die Wange, bevor Henning zu sich nach Hause fuhr, wo er auf seiner speziellen Kaltschaummatratze schlief. Bei mir blieb er eigentlich selten über Nacht. Mich störte das nicht besonders.

So konnte ich wenigstens noch ein bisschen lesen, bevor ich schlafen ging. Am liebsten las ich momentan erotische Romane oder historische Liebesromane. Meine Freundin Kat hatte mich darauf gebracht – vermutlich, damit ich aufhörte, ihr einen blutrünstigen Thriller nach dem anderen nachzuerzählen. Kat war für so etwas einfach zu zart besaitet. Jetzt las ich von Männern, die sich verzehrten, Frauen, die schier unendlich oft kommen konnten, und fand es tatsächlich irgendwie toll.

Mit der Realität hatte das nichts zu tun, das beste Beispiel bemühte sich gerade über mir. Sofort fühlte ich mich für den Gedanken schäbig. Henning konnte ja nichts dafür. Naja, nicht ganz jedenfalls. Es gehörten bekanntermaßen immerhin zwei dazu. Es war nicht so, dass ich nicht erregt gewesen wäre, aber das letzte Bisschen fehlte irgendwie. Was auch immer dieses geheimnisvolle Bisschen war.

Ein wenig hegte ich die Hoffnung, dass die Lektüre weiterer Liebesromane mich in das Geheimnis totaler Erregung und hemmungsloser Hingabe einweihen würde. Gut, zu multiplen Orgasmen würde ich natürlich ebenfalls nicht nein sagen, aber das erschien mir dann doch sehr unrealistisch.

Überrascht bemerkte ich, dass Hennings Gewicht von meinem Körper verschwand. Er war also schon fertig und an seinem zufriedenen Lächeln konnte ich ablesen, dass es ihm gefallen hatte. Das war schön.

Ich zog die Decke hoch und erwiderte das Lächeln, aber es kostete mich einige Mühe. Die Frage, wann sich das alles so automatisiert hatte, brannte in mir. Aber wie sollte ich das formulieren, ohne Henning zutiefst zu verletzten?

Vermutlich war ich selbst an meiner Misere schuld. Am Anfang hatte ich häufig Orgasmen vorgetäuscht, weil ich nicht wollte, dass Henning sich unzulänglich fühlte und nun war er überzeugt, alles richtig zu machen. Den Plan hatte ich damals einfach nicht durchdacht.

Sonst funktionierte alles zwischen uns ziemlich einwandfrei, mein Vater mochte ihn auch, und so waren fünf Jahre ins Land gezogen, ohne dass ich nur ein Wort verloren hätte.

Henning kam aus dem Bad und gab mir einen pfefferminzfrischen Kuss auf die Wange. So oft, wie er sich die Zähne putze, sollte ich in seiner Gegenwart stets eine Sonnenbrille tragen.

»Morgen ist dein großer Tag«, sagte er und sah mich liebevoll an.

»Ich hoffe es. Und du fährst nach der Verhandlung auf deine Golftour.«

Seine Augen leuchteten. »Ich kann es kaum erwarten. Beides. Gute Nacht und schlaf schön.«

Einen weiteren Kuss bekam ich noch auf den Scheitel, dann verschwand Henning und zog die Wohnungstür hinter sich zu. Stille erfüllte meine Wohnung und ich durchbrach sie mit einem lauten Seufzer.

Morgen wurde das Urteil in einem wichtigen Fall gefällt, den ich betreut hatte. Genau wie mein Vater war ich Anwältin geworden und ich hoffte, dass er mich morgen zur Partnerin in der Kanzlei machen würde. Darauf wartete ich gefühlt schon mein ganzes Leben.

Endlich würde es sich auszahlen, dass ich gelernt hatte, wenn andere feiern waren und dass ich Praktika absolviert hatte, wenn andere im Urlaub waren. Ich konnte es kaum erwarten. Die Aussicht darauf, meinen eigenen Namen auf dem großen silbernen Schild über dem Empfang der Kanzlei lesen zu können, versetzte mich in einen regelrechten Rausch. Dieses Gefühl kam einem Orgasmus wohl ziemlich nah – näher jedenfalls, als es Henning schaffte.

Wieder seufzte ich, dann griff ich nach meinem E-Book-Reader. Es wurde Zeit, das England des 19. Jahrhunderts zu besuchen.

* * *

Beschwingt tänzelte ich die Stufen des Gerichts herunter, mein Vater und Henning folgten in einigem Abstand. Ich hätte die ganze Welt umarmen können. Das Urteil war noch mehr zu unseren Gunsten ausgefallen, als ich es mir in den kühnsten Träumen ausgemalt hatte.

Allerdings waren sowohl mein Vater als auch Henning für ihre Verhältnisse sehr still und schienen irgendwelchen Gedanken nachzuhängen. Vielleicht hatte Henning aber auch bloß schon mit den Baldrian-Tropfen angefangen, die er vor Langstreckenflügen stets nahm. Heute Abend würde er in die Karibik aufbrechen, wo er drei Wochen lang mit einer Horde Männer von Golfplatz zu Golfplatz tingeln würde.

Davon träumte er schon so lange wie ich von der Partnerschaft in der Kanzlei. Pragmatisch, wie wir beide waren, hatten wir ausgemacht, dass er sich nicht groß melden brauchte. Zum einen wusste man ja nie, wie die Mobilfunknetze am anderen Ende der Welt waren und zum anderen war da noch der Zeitunterschied. Er würde mir eine SMS schreiben, wenn er angekommen war und dann wieder vor dem Abflug.

Gut gelaunt ließ ich mich in den Beifahrersitz des Mercedes’ meines Vaters sinken. »Das war großartig«, verkündete ich. Jetzt, da uns niemand hören konnte, durfte ich mich wohl zwei Minuten in meiner eigenen Großartigkeit aalen.

Mein Vater sagte nichts, sondern lenkte den Wagen aus der Tiefgarage. Im Rückspiegel begegnete ich Hennings Blick und er sah sofort unangenehm berührt weg. Das machte mich stutzig. Die Augen meines Vaters wiederum blickten so stur auf die Straße, dass ich sofort wusste, dass etwas im Gange war – etwas, das mir nicht gefallen würde.

»Was ist los?«, fragte ich und mein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass ich nicht eher Ruhe geben würde, bis ich die gewünschte Antwort hatte.

Henning rutschte nervös auf dem Sitz herum und schob einen Finger zwischen Hals und Hemdkragen, als würde er schlecht Luft bekommen. Mein Vater gab weiterhin vor, sich unglaublich auf den Verkehr konzentrieren zu müssen.

Ich verschränkte die Arme und räusperte mich geräuschvoll. Für einen kurzen Augenblick zog mein Vater abwehrend die Schultern hoch, dann lenkte er den Wagen rechts an den Straßenrand und stellte den Motor ab. Als er mir das Gesicht zuwandte, bekam ich ein ungutes Gefühl im Bauch.

»Anika, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.« Sorgenvoll betrachtete er mich.

Sicherheitshalber schwieg ich. Das war kein guter Anfang. Das war ein Anfang, der mich wissen ließ, dass jetzt etwas Unangenehmes folgen würde.

»Ich denke, es wäre nicht klug, dich jetzt schon zur Partnerin zu machen.«

Wie bitte? Jetzt schon? Dafür hatte ich die letzten 14 Jahre gearbeitet! Seit dem Schulabschluss, um genau zu sein! »Papa, ich kann dir leider nicht folgen.«

Mein Vater sah mir fest in die Augen. »Ich will nicht, dass du möglicherweise bereust, so verbissen an deiner Karriere gearbeitet zu haben. Du gönnst dir gar keinen Spaß. Was ist denn mit einer Familie und Kindern? Deine Mutter –«

Mit einer energischen Handbewegung schnitt ich ihm das Wort ab. Am allerwenigsten wollte ich jetzt etwas von meiner Mutter hören. »Soll das ein Scherz sein?«

Henning krümmte sich förmlich auf dem Rücksitz zusammen. Wütend schnallte ich mich ab, damit ich mich besser umdrehen konnte. »Du wusstest davon? Du wusstest davon und hast nichts gesagt?«

Er schien noch weiter zu schrumpfen und ich konnte mich mit Mühe davon abhalten, nach ihm zu schlagen. Gestern Abend hatte er doch sogar noch gesagt, dass heute mein großer Tag wäre! Und dafür ließ ich ihn mit mir schlafen? Ein schöner Freund war er! Dabei steckte er mit meinem Vater unter einer Decke! Vermutlich spekulierte er darauf, an meiner Stelle der Partner in der Kanzlei zu werden.

Schnell korrigierte ich mich selbst. Nein, das war Unsinn, dafür hätte Henning sowohl Zielstrebigkeit und Rückgrat besitzen müssen – und das hatte er beides nur, wenn es um Golf ging. Er konnte mir nicht einmal in die Augen sehen, also drehte ich mich wieder zu meinem Vater.

Ich war so wütend, dass ich kaum einen geraden Satz bilden konnte. »Ich werde also keine Partnerin, weil ich stattdessen heiraten und Kinder kriegen soll?«

Abwehrend hob mein Vater die Hände. »Das ist jetzt sehr überspitzt formuliert. Ich wollte lediglich andeuten, dass du idealerweise deine Situation überdenkst und überlegst, was du willst, bevor du dir noch mehr Arbeit aufhalst.«

»Gut, ich habe darüber nachgedacht. Ich entscheide mich für die Partnerschaft in der Kanzlei.«

»Nein, Anika. Ich werde dich nicht zur Partnerin machen. Nicht jetzt.«

Blind tastete ich nach dem Griff, riss die Tür auf und stieg aus. »Ich laufe nach Hause und du –« Ich wandte mich an Henning. »Viel Spaß mit deinen verdammten Golfschlägern!«

Damit schmetterte ich die Tür zu, bevor ich noch Dinge zu meinem Vater sagte, die ich eventuell bereuen würde. Der Motor startete und ich wirbelte herum. Wo war ich überhaupt?

Schnell orientierte ich mich: ganz in der Nähe der Innenstadt, offensichtlich in einer Nebenstraße, in der ich bisher noch nicht gewesen war. Ich stand direkt vor einem Laden, den ich im ersten Moment für eine Galerie gehalten hatte, doch dann las ich den großen Schriftzug am Fenster: Heritage Tattoos.

Vor dem Fenster stand ein attraktiver Mann und musterte mich belustigt. Offensichtlich hatte er meinen theatralischen Auftritt mitbekommen. Entschlossen marschierte ich auf ihn zu. Jetzt erst bemerkte ich die Tätowierungen, die alles an Haut bedeckten, die zu sehen war. Er trug eine Jeans, ein Shirt und darüber eine Anzugweste.

Seine dunklen Haare wirkten, als wäre er gerade aus dem Bett gestiegen, durch das er sich mit einer hübschen Frau gerollt hatte, waren aber vermutlich mit Gel genau in diese Form gebracht worden. Der Kontrast zu seinen kobaltblauen Augen war unglaublich. Das leicht spöttische Lächeln vertiefte sich, als ich näherkam.

Sicherlich hatte er irgendetwas mit diesem Tattoostudio zu tun, immerhin waren selbst seine Handrücken tätowiert. Die Worte meines Vaters schossen durch meinen Kopf, die Wut flackerte wieder auf.

Allerdings hatte er nicht genau spezifiziert, wen ich heiraten sollte. Vermutlich spekulierte er auf Henning, doch das konnte er getrost vergessen –  ganz sicher nicht, nachdem dieser Waschlappen mir eiskalt in den Rücken gefallen war.

Dicht vor dem Mann blieb ich stehen und bohrte frech meinen Zeigefinger in seine Brust. Er roch sehr gut, nach Sandelholz, aber auch ein wenig fruchtig – eine sinnliche Mischung. Ich musste den Kopf in den Nacken legen, um ihn anzusehen, da er größer war als ich. Wie in den historischen Liebesromanen, schoss es mir durch den Kopf, da musste die Frau den Kopf ebenfalls immer in den Nacken legen, um den Mann anzusehen. Bloß lief ich nicht Gefahr, gleich gegen meinen Willen vor den Altar gezerrt zu werden, wie es in den Romanen immer passierte.

Ich hatte eher das genaue Gegenteil vor. Die leichten Fältchen um seine Augen ließen mich schätzen, dass er etwas älter war als ich.

»Wie heißt du?«, wollte ich wissen und ignorierte, wie unhöflich ich mich dabei fühlte. Aber ich hatte keine Zeit zu verlieren, denn ich musste meinem Vater eine Lektion erteilen; der Plan dazu hatte sich schon längst in meinem Gehirn geformt. In wenigen Wochen war das große jährliche Sommerfest der Kanzlei – da würde ich meinem Vater gern meinen Ehemann präsentieren.

»Boris«, antwortete er ruhig und seine samtige Stimme jagte einen Schauer über meinen Rücken. Fast wäre ich zurückgezuckt, schaffte es aber noch, mich zusammenzureißen. Mein Puls jagte inzwischen, das war sicherlich die Wut. Möglicherweise spielte die Anwesenheit von Mr. Sexy eine Rolle, vielleicht war das aber auch nur mein Zorn, der mich das denken ließ. Eigentlich hatte ich für Tattoos nichts übrig. Oder Drei-Tage-Bärte. Aber schwere Zeiten erforderten ja bekanntermaßen schwere Geschütze.

»Sehr gut. Boris, bist du Single?« Ich unternahm den nutzlosen Versuch, irgendwie verführerisch zu klingen und wirkte dadurch vermutlich eher, als hätte ich einen gewaltigen Dachschaden.

Nachdem er sich sehr langsam geräuspert hatte, nickte er. Mein Herz schlug noch schneller und ich fühlte mich, als wäre ich eine geraume Weile gerannt. Dazu kam jetzt ein Rauschen in den Ohren. Ich konnte meine eigene Stimme kaum hören, als ich sagte: »Ich finde, wir sollten heiraten.«

Dann kippte ich um.

* * *

Als der Raum aufhörte, sich um mich zu drehen, schlug ich vorsichtig die Augen auf. Es roch nach Desinfektionsmittel, aber die Decke sah wie eine normale Zimmerdecke aus, nicht wie ein Krankenhaus.

Ich erschnupperte einen Hauch Sandelholz und Boris fiel mir wieder ein. Entsetzt richtete ich mich auf und bemerkte, dass er lässig an der Wand lehnte. Obwohl ich mich inzwischen etwas ruhiger fühlte, fand ich ihn immer noch bemerkenswert attraktiv. »Was ist passiert?«, wollte ich von ihm wissen.

»Du bist vor dem Laden umgekippt und ich dachte irgendwie, es wäre meine Pflicht, dich nicht einfach auf dem Bürgersteig liegen zu lassen.« Der Spott, der in seiner Stimme mitschwang, brachte mich direkt wieder auf die Palme.

»Das kann nicht sein, ich bin noch nie umgekippt«, protestierte ich.

Er zuckte nur gleichgültig mit den breiten Schultern. »Einmal ist immer das erste Mal.«

Wenigstens schien er starke Nerven zu besitzen, das war gut. Um mich zu sammeln, sah ich erst einmal auf die Uhr. In Ordnung, ich konnte nicht mehr als ein paar Minuten bewusstlos gewesen sein.

Boris setzte sich neben mich auf die Liege, so nah, dass unsere Oberschenkel sich berührten. Die Stelle begann zu prickeln, was mich immens irritierte.

»Spät dran?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe Urlaub. Ich habe nur darüber nachgedacht, worüber wir gesprochen haben.« Gut, eigentlich hatte ich keinen Urlaub, aber vermutlich etwas an die 300 Überstunden, die mein Vater mir nach heute wohl kaum verweigern konnte. Das musste ich Boris aber nicht auf die Nase binden. Dass wir uns jetzt in dem Tattoostudio befanden, bestätigte meinen Verdacht, dass er etwas mit dem Laden zu tun haben musste.

»Nachdem du mich praktisch mit den Augen ausgezogen hast, wolltest du mich direkt heiraten«, rekapitulierte er das Geschehene kurz für mich.

»Richtig, ich habe gerade erfahren, dass ich dringend heiraten muss. Also, wie sieht’s aus?« Damit ich seine Reaktion sehen konnte, drehte ich den Kopf zu ihm. Erst jetzt fiel mir auf, wie dicht seine Lippen vor meinen waren. Überrascht stellte ich fest, dass ich ihn gern küssen würde. Das war wirklich etwas Besonderes, denn sonst machte ich mir nicht viel aus küssen und geküsst werden. Stattdessen flackerte jetzt die Frage in mir auf, wie es wohl wäre, von Boris geküsst zu werden.

Da er nicht antwortete, hatte ich das Gefühl, mein Angebot noch etwas schmackhafter machen zu müssen. »Ich bin natürlich bereit, die geopferte Zeit entsprechend zu vergüten. Ich weiß ja nicht, was so ein Tätowierer im Monat verdient, aber die Welt kann es ja nicht sein. Sagen wir für vier Wochen?« Das Studio war eigentlich recht geschmackvoll eingerichtet und längst nicht so heruntergekommen, wie ich mir solche Einrichtungen bisher vorgestellt hatte.

Ein verärgerter Ausdruck huschte über Boris’ Gesicht, was dafür sorgte, dass ich mich ein wenig für meinen Hochmut schämte. Aber ich musste einfach vorgeben, selbstbewusster zu sein, als ich mich fühlte.

Nach einem langen Moment sagte er: »Eigentlich kann ich nicht klagen. Ich denke, wir sollten dich nach Hause bringen, Prinzessin.«

»Anika«, murmelte ich.

»Was?«

»Ich heiße Anika und nicht Prinzessin«, klärte ich ihn auf und versuchte, mich durch den eindringlichen Blick aus seinen unglaublich blauen Augen nicht verunsichern zu lassen.

»Dann solltest du dich vielleicht nicht wie eine Prinzessin aufführen, Prinzessin.«

Meine Augen wurden schmal und ich konnte die steile Falte zwischen meinen Augenbrauen förmlich vor mir sehen.

Doch bevor ich etwas sagen konnte, fuhr Boris fort: »Da ich gleich noch arbeiten muss, wäre es schön, wenn du mir jetzt verraten würdest, wo du wohnst, damit ich dich nach Hause bringen kann.«

»Wozu?« Genervt, weil er nicht einfach zustimmte, mich zu heiraten, verschränkte ich die Arme. An meinem Vorschlag gab es ja wohl absolut nichts auszusetzen! Hatte er verstanden, dass ich angeboten hatte, ihn zu bezahlen?

»Damit ich nicht schuld bin, wenn du auf dem Weg wieder umkippst und schlimmstenfalls draufgehst.«

»Ich habe doch schon gesagt, dass ich eigentlich nicht dazu neige, in Ohnmacht zu fallen.« Dieser Mann schien einfach gar nicht zuzuhören.

Wieder präsentierte er mir dieses spöttische Lächeln. »Mich würde es eher beruhigen, wenn du nicht dazu neigen würdest, wahllos Männern Heiratsanträge zu machen.«

»Das war nicht wahllos«, klärte ich ihn auf. So elegant wie möglich stand ich von der Liege auf, allerdings wackelte der Boden unter meinen Füßen. Boris umfasste meinen Oberarm. Sein Griff war fest – fest und unnachgiebig. Warum zog ich nur dauernd die Vergleiche zu diesen blöden historischen Liebesromanen? Ich sollte wirklich aufhören, die Dinger zu lesen.

»Alles klar, Prinzessin, damit hast du dich für den Begleitservice qualifiziert.«

Ich zerrte an meinem Arm, was sich als sehr nutzlos erwies; Boris dachte scheinbar nicht einmal daran, mich loszulassen. »Du sollst mich nicht Prinzessin nennen.«

Sein leises Lachen verursachte ein Prickeln in meinem Bauch. »Geht klar, Prinzessin.«

Oh Mann, so würde ich hier nicht weiterkommen. Außerdem fühlte ich mich merkwürdig schwach. »Brahmsstraße.«

Er nickte knapp und ließ meinen Arm los. Als er seine Hand zurückzog, fielen mir die schwarzen Linien auf. Bevor ich mich selbst daran hindern konnte, nahm ich seine Hand und betrachtete das verschlungene Muster auf der Innenfläche. Ich konnte mir nicht einmal im Ansatz vorstellen, wie schmerzhaft das gewesen sein musste. Natürlich war er selbst schuld, aber irgendwie hatte ich plötzlich die Ahnung, dass ich bei einem Mann, der sich ein paar Stunden lang in der Handfläche tätowieren ließ, mit meiner Trotzschiene nicht weit kommen würde. Mit Honig fängt man Bienen oder so ähnlich hieß das Sprichwort doch.

»Es tut mir leid; ich glaube, ich bin ein wenig durcheinander. Es wäre sehr nett, wenn du mich nach Hause bringen würdest. Meine Knie sind tatsächlich etwas weich.« Vielleicht würde ich mehr erreichen, wenn ich es mit »verführerisch« versuchte.

Boris nahm eine Jeansjacke vom Haken und zog sie an. Als er die Tür öffnete, stand sein Kollege mit hochrotem Kopf davor. Hatte er etwa gelauscht?

Mein Begleiter ging glatt darüber hinweg und sagte: »Ich begleite Prinzessin kurz nach Hause, dann bin ich wieder da. Mein Termin kommt ohnehin erst gegen 14 Uhr. Fackelt den Laden nicht ab, okay?«

Er ließ mir den Vortritt, und als ich aus der Ladentür trat, hatte ich das deutliche Gefühl, von hinten eindringlich gemustert zu werden. Ich unterdrückte den Impuls, mich umzudrehen und ihn zurechtzuweisen, doch ich sah mich bloß so konzentriert wie möglich um und würdigte ihn keines Blickes. Hoffentlich hatte er ein Auto, das hier irgendwo parkte.

Stattdessen schlenderte er leise pfeifend an mir vorbei, direkt auf die Straßenbahnhaltestelle zu. Das leise Klingeln, das aus der Entfernung ertönte, verriet mir, dass die Bahn sich bereits näherte. Ich betete, dass er wenigstens Kleingeld dabei hatte, um ein Ticket zu ziehen.

Er beschleunigte seinen Schritt, nahm meine Hand und verschränkte seine Finger mit meinen. Diese Geste verblüffte mich so sehr, dass ich stehenblieb und dann gezwungen war, hinter ihm herzustolpern. Das fing ja schon gut an.

In der Bahn schien kein Sitz frei zu sein, zumindest war ich mir dessen angesichts der Menschenmassen in diesem übelriechenden, rappelnden Ungeheuer absolut sicher – doch Boris schob mich in Richtung einer leeren Bank, und noch bevor ich protestieren konnte, weil ich kein gültiges Ticket hatte, saß ich mit meinem Hintern schon auf der Sitzbank.

Mein Begleiter setzte sich neben mich; wieder so nah, wie er es schon im Tattoostudio getan hatte. Ich rückte noch weiter ans Fenster und er folgte mir frecherweise. Nicht, dass es mir unangenehm gewesen wäre, aber es war mir fremd, wie mein Körper auf ihn reagierte. Praktisch ununterbrochen stellte ich mir die Frage, wie es wohl wäre, ihn zu küssen, ihn auszuziehen, mit ihm zu schlafen. Mein Puls flatterte und für einen Moment fürchtete ich, wieder ohnmächtig zu werden. Mein dezenter Hinweis, mich loszulassen, indem ich meine Finger in seiner Hand bewegte, brachte gar nichts.

»Warum musst du denn unbedingt heiraten?«, fragte Boris so laut, dass etliche Köpfe sich zu uns wandten.

Am liebsten wäre ich im Boden versunken. »Können wir das vielleicht bei mir diskutieren?«, fauchte ich.

Er sah mich unbeteiligt an und ließ seinen Daumen auf meinem Handrücken kreisen. Die Berührung schien direkt in meinen Unterleib zu strömen. Was war heute denn nur los mit mir? Genervt lehnte ich den Kopf gegen die kühle Glasscheibe des Fensters und betete, dass es sauber war. Mit einem Mal fühlte ich mich sehr erschöpft.

Die Brahmsstraße kam in Sicht und ich wandte mich wieder Boris zu. »Würdest du aufstehen?«

Er grinste mich provokant an; langsam schien er Gefallen daran zu finden, mich zu ärgern. »Sag bitte.«

Oh Gott, ich wollte ihn so gern erwürgen! »Das ist doch lächerlich.« Schweigend wartete ich, dass er aufstand. Doch die Bahn wurde schon langsamer und er machte noch immer nicht den Eindruck, als würde er aufstehen. Er meinte es tatsächlich ernst. Offenbar brauchte er das Gefühl, zu bestimmen, wo es langging.

Die Bahn hielt an und die Türen glitten auf. So ein Mist, ich musste nachgeben. »Bitte.«

Sofort sprang er auf, zog mich mit sich und nur gerade eben schafften wir es durch die Türen, die sich bereits wieder schlossen.

Atemlos stand ich auf dem Bürgersteig, als er meine Hand drückte. »Das üben wir aber noch.«

Fassungslos starrte ich ihn an. Gleich würde ich meine gute Erziehung vergessen und ihn an Ort und Stelle mit meiner Handtasche verprügeln. Es wurde Zeit, dass ich Abstand zwischen uns brachte – zumal ich langsam fürchtete, Fieber zu bekommen, so heiß, wie mein Körper sich anfühlte.

»Würdest du bitte meine Hand loslassen?«

»Nein.« Seine Antwort war so schlicht, dass ich keinen Sinn darin sah, noch weiter mit ihm zu diskutieren. Also lief ich nach Hause.

Vor der Einfahrt blieb ich stehen und beschloss, dem Ganzen ein Ende zu setzen. »Da wären wir. Du kannst jetzt gehen.«

Boris musterte das Haus. »Ich dachte, du wolltest mir noch dein charmantes Angebot unterbreiten – und einen Kaffee würde ich auch nehmen.«

Wow, er war wirklich frech. Aber vielleicht würde er meinem Angebot zustimmen, wenn ich ihm den gewünschten Kaffee servierte.

»Von mir aus.« Ich musste allen Ernstes versuchen, meinen Schlüssel mit einer Hand aus der Handtasche zu holen, weil Boris mich partout nicht loslassen wollte. Stattdessen beobachtete er mich belustigt. Endlich gab er mich frei und ich machte erleichtert einen Schritt zur Seite.

Hastig schloss ich die Tür auf und er folgte mir in den Flur. Weil ich beim besten Willen nicht wusste, was ich sagen sollte, schwieg ich einfach. Wir fuhren mit dem Aufzug nach oben und ich öffnete die Wohnungstür. Boris wirkte auf mich sehr neugierig, als er meine Wohnung betrat. Ausgiebig betrachtete er alles, bevor er schließlich den Kopf schüttelte.

Mit gerunzelter Stirn fragte ich: »Was?«

»Nichts. Ich hatte heute Morgen nur nicht damit gerechnet, dass mein Tag so verlaufen würde.«

Dass das eine glatte Lüge war, roch ich kilometerweit gegen den Wind. Aber momentan war es meine geringste Sorge. »Ich muss ins Bad.« Damit stürzte ich aus dem Raum und ließ ihn einfach stehen.

Im Badezimmer schloss ich die Tür hinter mir und legte die Hand vor den Mund. Dann murmelte ich laut: »Verdammte Scheiße!« Meine Finger dämpften meinen Fluch. Was war nur los mit mir? Ja, er sah unbestreitbar ziemlich gut aus, aber das war noch lange kein Grund, sich wie ein pubertierendes Schulmädchen aufzuführen. Ich wollte ihm ein rein geschäftliches Angebot unterbreiten und nicht mit ihm ins Bett.

Genau da lag allerdings leider der Knackpunkt, denn in Wahrheit wollte ich nichts lieber, als mit ihm ins Bett zu gehen und ich fragte mich die ganze Zeit, wie er reagieren würde, wenn ich ihn genau das jetzt fragen würde.

Boris, vergiss die Heirat und schlaf mit mir. Genau, es wäre eine super Idee, ihm das zu sagen.

Der Druck hinter meinen Schläfen nahm zu. Schnell drehte ich den Wasserhahn auf und wartete, bis das Wasser eiskalt war. Ich ließ es über meine Handgelenke laufen und benetzte meine Schläfen damit. Es war lachhaft, eigentlich hätte ich ein komplettes Eisbad gebraucht, um meine Erregung herunterzukühlen. Irgendwann zwischen heute Morgen und gerade musste ich meinen Verstand verloren haben, anders konnte ich es mir wirklich nicht erklären.

Zwar war ich noch weit davon entfernt, mich wieder beruhigt zu haben, aber ich wollte Boris nicht zu lange allein in meiner Wohnung lassen. Immerhin kannte ich ihn kaum – die absolut perfekte Voraussetzung für eine Ehe, schoss es durch meinen Kopf.

Da meine Kaffeemaschine ihren gewohnten Krach von sich gab, nahm ich an, Boris in der Küche zu finden. Ich war noch nicht ganz dort, da fragte er über die Schulter: »Nur Süßstoff oder auch Milch?«

Konnte er hellsehen? »Nur Süßstoff.«

»Wunderbar. Hier.« Er reichte mir eine Tasse und bot mir dann einen Platz an meinem eigenen Küchentisch an. Zu sagen, dass ich mich überrumpelt fühlte, war stark untertrieben. Seine Jeansjacke hing über der Stuhllehne, er legte seine muskulösen, bunten Unterarme auf den Tisch und sah mich auffordernd an. Die Erkenntnis, dass allein der Anblick seiner Arme wieder heftiges Verlangen in mir auslöste, schob ich energisch von mir.

»Du bist unverschämt.«

Er grinste, bevor er an dem heißen Kaffee nippte. »Das kann schon sein. Du glänzt aber auch nicht gerade durch Höflichkeit.«

Das konnte ich leider nicht leugnen. »In Ordnung. Es tut mir leid, ich hätte nicht so mit der Tür ins Haus fallen sollen.«

»So könnte man das nennen.« Boris stellte die Tasse ab.

Okay, es wurde Zeit, das Ganze hinter mich zu bringen. »Wie stehst du zu meinem Angebot?«

»Bisher habe ich noch kein vernünftiges Angebot gehört.« Er machte Anstalten, aufzustehen und ich nahm überrascht zur Kenntnis, dass sein Becher tatsächlich schon leer war.

»Was soll das heißen und wo willst du eigentlich hin?«, fragte ich. Er sollte es ja nicht wagen, mich hier einfach sitzen zu lassen.

»Zur Arbeit, wenn die Prinzessin es mir erlaubt. Ich glaube, es war abgemacht, dass ich dich nach Hause begleite, um sicherzugehen, dass du nicht wieder umkippst und jetzt muss ich los.« Er schob den Stuhl an den Tisch und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Sofort wirkte meine Küche irgendwie … kleiner.

»Du hast dir überhaupt nicht angehört, was ich zu sagen hatte.«

Boris verschränkte die Arme und nickte knapp. »Bitte.«

»Wenn du mich für vier Wochen heiratest, können wir im Prinzip beide nur profitieren. Du bekommst von mir Geld und im Gegenzug begleitest du mich zu ein paar offiziellen Anlässen. Ich bin Anwältin und kann dafür sorgen, dass wir danach ganz schnell wieder geschieden werden.« Das stimmte zwar nicht so ganz, aber ich würde mich darum kümmern, wenn es so weit war. Im letzten Moment erinnerte ich mich daran, dass ich vielleicht lächeln sollte, und ich strich meine Haare nach hinten.

»Ich weiß nicht. Das klingt nicht nach einem Angebot, immerhin müsste ich für den Rest meines Lebens in allen amtlichen Formularen eintragen, dass ich geschieden bin und wenn ich irgendwann meine Traumfrau kennenlerne, müsste ich ihr das auch erst einmal erklären«, wandte er ein.

Damit hatte er natürlich recht, aber ich hatte das Gefühl, dass er nicht gänzlich abgeneigt war. Energisch sprang ich auf – nicht, dass ich eine Chance gehabt hätte, wenn ich versucht hätte, mich in seinen Weg zu stellen.

»Was willst du denn?« Dann sollte er ein Gegenangebot machen. Boris zuckte mit den Schultern und ich schob hinterher: »Sag mir, wie viel du willst!«

Seine Stirn runzelte sich kurz, dann sah er wieder völlig unbeteiligt aus. »10.000 Euro.«

Na, das war doch ein Wort. »In Ordnung.«

Jetzt starrte er mich wirklich an, als wäre ich gerade mit einem Raumschiff in der Küche gelandet. »Was? Du bist verrückt! Das war ein Scherz.«

Er machte einen Schritt auf mich zu und ich wich erschrocken zurück. Schlicht aus der Angst, ihn sonst aus Versehen anzuspringen. Er hatte irgendetwas an sich, das mich unglaublich anmachte.

Triumphierend wies er mit dem Kinn auf mich. »Siehst du? Du willst mich gar nicht heiraten – du hast Angst vor mir.«

»Das stimmt überhaupt nicht!« Ich würde ihm bestimmt nicht gratis das Ego aufplustern und ihn wissen lassen, dass ich gerade lediglich von meiner Pussy gesteuert wurde und nur Sicherheitsabstand hielt.

Er kam näher, hatte plötzlich einen lauernden Ausdruck in den Augen. Schnell trat ich zwei Schritte zurück.

»Ach so. Ist klar, du läufst also grundsätzlich rückwärts«, spottete er.

»Ich habe keine Angst! Vor niemandem!« Dennoch klang ich atemlos und meine Augen waren aufgerissen.

»Beweise es«, forderte er mich auf, seine Stimme klang dunkel.

So ein Mist! Was stellte er sich denn vor? Wieder erahnte ich den Hauch von Sandelholz und es war klar, was ich tun musste. Ich überbrückte die Distanz zwischen uns und küsste ihn.

Es war noch viel besser, als ich es mir vorgestellt hatte. Seine Lippen waren weich und er schmeckte nach Kaffee. Boris schlang bereitwillig die Arme um mich und zog mich an seinen festen Körper; alles, was ich spürte, waren feste Muskeln und warme Haut. Ich öffnete meinen Mund, Boris drang mit der Zunge hinein und spielte mit meiner. Meine Brustwarzen richteten sich auf und zu meiner eigenen Überraschung spürte ich, wie ich feucht wurde.

Meine Hand glitt über seinen Nacken nach oben und wühlten sich in die Haare. Es war überwältigend. Für mich gab es kein Halten mehr, mit der freien Hand strich ich über den Rücken nach unten, bis ich den Saum des T-Shirts ertastete. Zaghaft glitt ich dahinter und ertastete die Stränge seiner Rückenmuskeln. Er musste ziemlich trainiert sein.

Plötzlich packte er meine Hände und unterbrach den Kuss. Seine Hände waren so groß, dass er meine Handgelenke in einer Hand halten konnte. Er sah auf mich hinunter, schien nach den richtigen Worten zu suchen.

Erregt starrte ich ihn an. Selbst wenn mein Leben davon abgehangen hätte, wäre ich nicht in der Lage gewesen, etwas Vernünftiges zu sagen. Mir war eher danach, laut zu stöhnen.

Für einen Augenblick glaubte ich, dass er einfach davonlaufen würde, doch er umfasste meine Taille und drängte mich nach hinten. Hart prallte ich gegen die Wand, die Luft wich aus meinen Lungen. Aber ich hatte keine Zeit, mich zu beschweren.

Boris küsste mich, wie ich noch nie geküsst worden war. Sein Knie schob sich zwischen meine Schenkel, seine Zunge eroberte meinen Mund, sein Körper nagelte mich förmlich an die Wand.

Wenigstens war es beruhigend, dass er auch auf mich reagierte. Mir war so heiß wie schon lange nicht mehr. Meine Klit meldete sich mit einem bittersüßen Pochen, ich wimmerte unter Boris’ forderndem Kuss.

Urplötzlich war es vorbei und ich starrte ihn nur schwer atmend an. Er wirkte, als könnte er gar nicht begreifen, was gerade passiert war.

Ich konnte meine Gedanken kaum unter Kontrolle bringen, so sehr wollte ich ihn. »Ich würde ja sagen, dass es mir leidtut. Aber das tut es nicht.«

Wortlos sah er mich an, seine Augen funkelten und ich bildete mir ein, dass sie dunkler als gewöhnlich waren.

»Ich muss gehen.« Auf dem Absatz drehte er sich um und rannte förmlich zur Wohnungstür.

Verzweiflung machte sich in mir breit und ich folgte ihm in den Flur. »Was ist mit meinem Angebot? Heiratest du mich?« Meine Lippen fühlten sich irgendwie wund an, als ich die Frage aussprach. Mein Herz raste.

»Auf gar keinen Fall.« Damit verschwand Boris.

Es war kaum hörbar, aber da war ein winziges Zittern in seiner Stimme gewesen. Ein kurzer Moment des Zögerns, der Bruchteil einer Sekunde, aber genug für mich. »Wir werden sehen«, verkündete ich der geschlossenen Tür, dann ging ich zurück in die Küche. Ich hatte nicht einmal den Kaffee ausgetrunken.

Hätte nicht die zweite Tasse auf dem Tisch gestanden, hätte ich ernsthaft gezweifelt, ob das gerade passiert war.

KAPITEL2

Tatsächlich verschlief ich den restlichen Tag, denn kurz nachdem Boris gegangen war, verkroch ich mich im Bett. Eigentlich hatte ich nur ein wenig nachdenken wollen, aber irgendwie musste ich eingeschlafen sein. Als ich aufwachte, war es fast vier Uhr morgens.

Ich hatte damit gerechnet, dass ich meine Meinung über den Plan, Boris zu heiraten, nach einer ordentlichen Portion Schlaf ändern würde – doch das Gegenteil war der Fall. Die Idee erschien mir noch grandioser als gestern. Mein einziges Problem war, dass ich Boris erst einmal davon überzeugen musste.

Aber ich war nicht ohne Grund gut in meinem Job, meine Recherchekompetenzen waren hervorragend. Kurzerhand stieg ich aus dem Bett und holte meinen Laptop. Im Wohnzimmer blieb ich stehen, denn ich bildete mir ein, noch immer einen Hauch von Sandelholz erahnen zu können – was wahrscheinlich Blödsinn war, aber es veranlasste mich dazu, mich umzusehen.

Was hatte Boris wohl für einen Eindruck bekommen, als er sich hier umgesehen hatte? Leider hatte ich für Inneneinrichtung überhaupt kein Händchen und gleichzeitig auch absolut kein Interesse daran, deswegen war alles eher auf Nummer sicher eingerichtet. Warmes Braun, helles Creme – ich fand es durchaus vorzeigbar. Warum hatte er also den Kopf geschüttelt?

Ich nahm mir vor, es noch herauszufinden, und kuschelte mich wieder unter die warme Bettdecke. Während ich darauf wartete, dass der Computer einsatzbereit war, dachte ich über meine Strategie nach. Da ich weder eine Telefonnummer noch E-Mail-Adresse von Boris hatte, musste ich ihn wieder im Laden besuchen. Ich würde ihn sowieso leichter überzeugen können, wenn wir uns gegenüberstanden, denn dann würde er mir nicht ausweichen können.

Endlich konnte ich die Suchmaschine benutzen und gab den Namen des Tattoo-Studios ein. Ich staunte nicht schlecht, als ich las, dass es tatsächlich Boris gehörte. Außerdem arbeiteten zwei weitere Männer dort, die ich gestern schon getroffen hatte: Philip und Felix, außerdem gab es eine Auszubildende namens Lene.

Leider gab die Seite nicht viel her, wenn man sich nicht für Tattoos interessierte. Seufzend blätterte ich durch die Bildergalerie. Wirklich schlauer war ich nicht. Da der Computer aber ohnehin schon an war, schrieb ich meinem Vater zumindest eine E-Mail, dass ich einen Teil meiner Überstunden einlösen wollte.

Da ich damit gerechnet hatte, Partnerin zu werden, hatte ich für den Augenblick keine weiteren Fälle angenommen, um mich nach der Partnerschaft den noch hochrangigeren Fällen widmen zu können – es würde mich also niemand vermissen.

Nachdem ich die Nachricht abgeschickt hatte, klappte ich den Laptop zu und stellte ihn auf den Boden neben dem Bett. Eigentlich hätte ich nicht mehr müde sein dürfen, aber ich schlief sofort wieder ein.

* * *

Die Öffnungszeiten von Heritage Tattoos hatte ich auf der Internetseite erfahren und so stand ich pünktlich um 12 Uhr dort vor der Tür. Von Boris und Philip war allerdings keine Spur zu sehen, nur Felix saß im Laden an einem Zeichentisch und arbeitete an einem Entwurf.

Er wirkte sofort nervös, als ich ihn ansprach. »Hallo.«

Felix schluckte, schob seine Brille hoch und erwiderte schüchtern: »Hi.«

»Ich bin Anika, ich war gestern schon mal hier.«

»Als ob ich das vergessen hätte.«

Über den Hinweis ging ich einfach hinweg. »Wann kommt Boris in etwa? Ich würde gern etwas mit ihm besprechen.«

Felix fixierte krampfhaft einen Punkt hinter mir an der Wand. »Heute gar nicht.«

Es fiel mir schwer, zu entscheiden, ob er log oder ob ich ihn einfach nur verlegen machte. »Aber ich dachte, er arbeitet hier.«

»Ja, aber nur an vier Tagen in der Woche.« Sofort lief er rot an, als hätte er sich irgendwie verplappert. Ich runzelte die Stirn. Wie finanzierte man sich denn bitte den Lebensunterhalt, wenn man nur vier Tage in der Woche arbeitete? Vielleicht sollte ich mein finanzielles Angebot einfach aufstocken, dann würde er mit Sicherheit nicht nein sagen können.

»Kannst du mir vielleicht seine Nummer geben? Dann rufe ich ihn einfach an.«

Mein Gegenüber schüttelte eifrig den Kopf. »Nee, das machen wir nicht.«

»Aber wie soll ich Boris denn dann erreichen?« Aufgebracht trat ich einen Schritt näher an Felix heran, der auf seinem Stuhlzusammenschrumpfte. »Wo kann ich ihn denn finden, wenn er nicht arbeitet?«

Er wirkte, als würde er am liebsten die Flucht ergreifen, hielt sich aber tapfer auf dem Stuhl. »Also mir ist echt nicht wohl dabei, solche Sachen einfach auszuplaudern.«

Ich rollte mit den Augen. »Sehe ich aus wie ein Profi-Killer? Ich schwöre, ich möchte nur mit ihm reden. Gestern hatte ich den Eindruck, dass Boris groß genug ist, um sich gegen mich zu wehren, falls es nötig sein würde.«

Felix zuckte hilflos mit den Achseln.

Am liebsten hätte ich mit dem Fuß auf den Boden gestampft, denn ich wollte nicht bis morgen warten müssen. Geduld war nicht unbedingt meine Stärke und außerdem wollte ich Boris tatsächlich gern wiedersehen. »Okay, dann nenn mir doch einen öffentlichen Ort, an dem ich Boris finden kann, damit du weißt, dass ich ihn nicht ausweiden werde.«

Er dachte noch einen Augenblick nach und sagte schließlich langsam. »Also, abends ist Boris immer im Starfox.«

»Wo?« Ich verstand nur Bahnhof.

»Im Starfox – das ist ein Klub im Westviertel«, erklärte Felix mir mit einer Stimme, die besagte, dass er nicht fassen konnte, dass ich diesen ominösen Klub nicht kannte.

Wenn Boris seine Abende lieber mit Ausgehen verbrachte, statt zu arbeiten, würde er dem Geld, das ich ihm anbieten würde, noch weniger widerstehen können.

»Wunderbar, danke.« Damit drehte ich mich um und verließ den Laden, bevor der arme Felix noch einen Herzanfall bekam.

Auf dem Rückweg sah ich in der Kaffeetante vorbei und ergatterte einen freien Stuhl am Fenster. Kat, meine beste Freundin, winkte mir von hinter dem Tresen zu und bedeutete mir, dass sie sich sofort um meinen Kaffee kümmern würde. Erleichtert sah ich aus dem Fenster und grübelte über das große Mysterium Boris nach – und darüber, dass ich heute Abend wohl in einen Klub gehen würde. Es war eine ganze Weile her, dass ich das zum letzten Mal getan hatte. Andererseits ging ich ja nicht zum Vergnügen hin.

Kat unterbrach meinen Gedankengang, als sie den großen Becher Cappuccino vor mir auf den Tisch stellte. »Hier. Sorry, ich habe leider nicht viel Zeit. Maja hat den Vormittag frei und wie immer rennen sie mir dann die Bude ein.«

Ich bekam einen flüchtigen Kuss auf die Wange, dann war sie schon wieder verschwunden. Mir war aber nicht entgangen, dass sie leichte Schatten unter den Augen hatte. Wir hatten uns schon lange nicht mehr ausführlich unterhalten, weil wir beide so viel zu tun gehabt hatten: Sie mit ihrer bevorstehenden Hochzeit und ich mit dem großen Fall, den ich als Sprungbrett für die Karriere hatte nutzen wollen.

Nachdenklich sah ich hinter ihr her. Hatte sie abgenommen? Sie strahlte auch nicht so wie sonst. Für den Moment würde ich sie in Ruhe lassen, aber demnächst würde ich unter vier Augen mit ihr reden.

* * *

Gegen 22 Uhr machte ich mich auf den Weg zum besagten Starfox, über das ich nicht viel im Internet hatte herausfinden können –  nur, dass es aus zwei Sälen, einer Kneipe und im Sommer zusätzlich einem Biergarten bestand, wusste ich schon. In den Sälen fanden öfter Konzerte statt, das Publikum war angeblich eher alternativ. Wirklich klug war ich aus der Beschreibung nicht geworden.

An der Kasse musste ich sechs Euro bezahlen, bekam einen Stempel auf den Handrücken und eine kleine Papierkarte in die Hand. Außerdem musterte die Frau in dem Kassenhäuschen mich, als würde ich einer sehr seltenen Spezies angehören.

Laute Musik dröhnte aus den Boxen, erstaunlicherweise war es aber nicht zu laut. Mir kam der Verdacht, dass es sich um eine ehemalige Fabrik oder etwas Ähnliches handeln musste, denn die Wände bestanden aus Ziegelsteinen und waren nicht verputzt. Daran klebten unzählige Poster von Veranstaltungen, von der Decke hingen Lampen, die mit Drahtkörben versehen waren. Das verstand man wohl unter Industrie-Charme.

Ziemlich viele Leute drängelten sich durch das Starfox. Ich bahnte mir langsam meinen Weg durch die erste Halle und fragte mich, wie ich Boris wohl auftreiben sollte. Vermutlich wäre es sinnvoll, mir einen strategischen Platz zu suchen, von dem aus ich den Schuppen im Auge behalten konnte.

Hatte ich bei meiner kurzen Recherche nicht etwas von einer Bar gelesen? Das wäre sicherlich ein guter Startpunkt. Ich folgte einfach den großen, hölzernen Hinweisschildern und schon kam die Bar in Sicht.

Boris war gar nicht zu übersehen. Er saß mit dem Rücken zu mir und goss gerade Whiskey in zwei Gläser. Neben ihm hockte eine kleine, sehr zierliche Frau, mit der er sich offensichtlich unterhielt und Whiskey trank.

Eifersucht flammte in mir auf, doch dann rief ich mich zur Vernunft. Er hatte immerhin gesagt, dass er Single war und irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass er gelogen hatte. Das war bestimmt nur seine Schwester – genau das würde ich mir einfach die ganze Zeit sagen.

Boris sagte irgendetwas, sie lachte und er fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Worüber zum Teufel redeten sie?

Die Frau hatte unglaublich kurze Haare und das auch nur oben auf dem Kopf, der Rest war abrasiert, dadurch kam das Tattoo in ihrem Nacken gut zur Geltung. Auch ihre Arme waren tätowiert und ich fragte mich, ob das der Typ Frau war, auf den Boris stand.

Darüber hatte ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Im Gegensatz zu der Winzigkeit der Frau fühlte ich mich wie ein Trampel, meine Hüften waren viel breiter und meine Brüste größer. Außerdem hatte ich sicherlich die Antithese zu ihrer Frisur; statt dunklen und kurzen Haaren hatte ich lange, blonde Locken. Seufzend sah ich an mir herunter. Vielleicht würde es doch nicht so leicht werden, Boris dazu zu überreden, mich zu heiraten.

Trotzdem spürte ich, wie mein Plan, sie einfach als seine Schwester zu sehen, schnell bröckelte. Unbedingt musste ich herausfinden, in welchem Verhältnis sie zueinanderstanden – und auch, warum Boris schon wieder das Glas vollgoss. Die beiden schienen gemeinsam wegen irgendetwas zu leiden.

Die Lady sagte etwas, Boris sah sie überrascht an und packte dann ihren Barhocker. Er drehte ihn und zog ihn mit der gleichen Bewegung zu sich heran. Die beiden saßen jetzt sehr nah voreinander und redeten. Mein Körper spannte sich an; auf mich wirkte es eindeutig, als würden sie flirten.