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Sex mit Lasse ist einfach wunderbar. So romantisch, so vertraut, so aufregend. Doch als Meike danach die Augen aufschlägt, holt die Wirklichkeit sie ein. Lasse ist für immer fort und der Mann neben ihr im Bett ist Ben, ihre neue Online-Bekanntschaft. Zugegeben: Er ist attraktiv wie ein Parfum-Model, verboten schlank und schrecklich charmant. Nur ist er eben nicht Lasse, die Liebe ihres Lebens. Aber wenn sie mit ihm schlafen muss, um für einen Moment mit Lasse zusammen zu sein, dann ist das schon okay. Leider muss Meike feststellen, dass sich ihr erotisches Erlebnis nicht so ohne weiteres wiederholen lässt, und ihre Suche nach Lasse entwickelt sich bald zur nackten Obsession …
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Veröffentlichungsjahr: 2015
Stephanie Lay
Obsession: Verrückt nach Ihm
Copyright © 2014 Stephanie Lay, Luxemburger Str. 124, 50939 Köln
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagfoto © Maksim Šmeljov / Fotolia.com
eBook-Version: 1.2
Dieses eBook wurde mit großer Sorgfalt erstellt. Sollten sich dennoch Schreib- oder Formatierungsfehler eingeschlichen haben, freut sich die Autorin über eine kurze Nachricht unter [email protected].
Mit Lasse zu schlafen, ist unbeschreiblich.
Unbeschreiblich schön, unbeschreiblich scharf, unbeschreiblich befriedigend. Unbeschreiblich eben.
Meikes Gedanken, sonst betriebsam wie eine Horde Ameisen, kommen vollständig zum Stillstand. Ihr Herz schlägt im gleichen Takt wie Lasses, als ob sie ein gemeinsames hätten.
Sie kann ewig in Lasses Armen liegen, sich an seiner Unterlippe festsaugen, den kleinen Höcker auf seiner Nase streicheln.
Sie liebt alles an Lasse, aber am meisten liebt sie seine Haare. Seine widerspenstigen braunen Naturlocken fühlen sich aufregend und flauschig an, ein bisschen wie ein Wolfspelz. Sein kurzer Dreitagebart, an den sie sich so gerne schmiegt, ist gerade lang genug, um ihre Wangen nicht zu zerkratzen. Seine Brusthaare tanzen wie Schilfblätter in der Meeresbrise, wenn sie sanft dagegen haucht. Sie liebt es, mit den Fingerkuppen über das krause Haar seiner Scham zu streichen, ohne dabei die weiche Haut zu berühren. Es macht ihn jedes Mal scharf.
Meike kennt Lasses Körper besser als ihren eigenen. Unendliche Stunden hat sie ihn Zentimeter für Zentimeter mit Händen, Zunge und Zähnen studiert. Sie hat ihn ertastet, gestreichelt, geküsst und geleckt. Häufig wild und stürmisch, geradezu gierig nach seiner Nähe. Dann wieder zärtlich verspielt und verträumt.
Meike weiß jedes leise Stöhnen, jedes lustvolle Seufzen, jedes Zucken seines Körpers zu deuten. Sie fühlt sich ihm so unendlich nah, genießt die intime Vertrautheit mit ihm. Ein einziger Blick in seine braunen Augen und alles ist gesagt. Ich gehöre für immer dir, Wölfchen.
Mit Lasse zu schlafen, ist unbeschreiblich. Die Zeit verliert an Bedeutung, fließt auf einmal langsamer und bleibt schließlich ganz stehen. Alles um sie herum verschwimmt zu einer diffusen Wolke aus Licht und Schatten. Selbst ihre nackten Körper verlieren ihre Konturen, werden zu flüchtigen Schemen, die sich aneinander reiben, gegeneinander aufbäumen, ineinander verkeilen, als würden sie im Wasser treiben.
Je stärker sie dem Höhepunkt entgegen fiebern, desto kühner lassen sie sich fallen. Das letzte bisschen Wirklichkeit wird einfach weggerissen, ohne Rücksicht auf Verluste. Davon gefegt von einem Wirbelsturm aus Lust und Verlangen. Und als sie ihn endlich erreichen, diesen endlosen herrlichen Moment, gibt es nur noch Meike und Lasse.
Wie schon gesagt: Mit Lasse zu schlafen, ist unbeschreiblich.
Nach einer Weile beruhigt sich Meikes Herzschlag. Ihr Körper ist erschlagen, ihr Kopf frei. Sie hört nichts außer Lasses Atem.
Und Vogelgesang.
Intensiver, regelrecht penetranter Vogelgesang, wie ihn ein verliebtes Männchen ausstößt. Aus voller Brust und Überzeugung. Der Schleier, der Meike und Lasse von der Welt trennt, beginnt sich aufzulösen. Verträumt öffnet Meike die Augen und blinzelt in das goldene Sonnenlicht. Die Umgebung schwankt leicht. Angenehm und beruhigend, wie auf den Planken eines Segelboots in der Karibik. Als der Vogel erneut zwitschert, verschwindet der Schleier vollständig.
Die Realität hatte Meike wieder. Sie lag auf einem Wasserbett und der Vogel war ein Handy.
Bens Handy.
»Sorry«, entschuldigte sich Ben, als er das Handy aus den verstreuten Kleidungsstücken fischte und den Anruf wegdrückte. Das Wasserbett wabbelte bei jeder Bewegung, konnte aber nicht mal im Ansatz mit der Unruhe in Meikes Kopf mithalten.
Hatte sie nicht eben noch mit Lasse geschlafen? Ihrem Liebhaber? Ihrem Wölfchen? Was zum Teufel macht sie in Bens kenterndem Wasserbett? Instinktiv zog sie die Decke über ihre blanken Brüste.
»Ich könnte die Heizung einschalten«, schlug Ben vor. Sein breites Grinsen strahle so viel Charme aus, dass Meike ihm die spitze Bemerkung sofort verzieh. Er hatte ja Recht, es war Hochsommer. Er lag nackt neben ihr, feine Schweißperlen glitzerten um seinen Bauchnabel, seine leicht gespreizten Schenkel waren ihr einladend zugewandt. Ben bot keinen schlechten Anblick. Breite Schultern, flacher Bauch und wunderbar definierte Muskeln. Offenbar verbrachte er viel Zeit im Fitnessstudio, ganz im Gegensatz zu Meike, deren Workout sich auf das Zahlen des Mitgliedsbeitrags beschränkte. Bei dem Gedanken schob sie die Decke ein Stück höher.
»Alles okay?«, fragt Ben.
Gar nichts ist okay, dachte Meike. Überhaupt nichts, aber wie sollte sie ihm das bloß erklären? Sie verstand es ja selbst nicht. Ihr Kopf war vollgestopft mit Wortfetzen, Bildern und Eindrücken von Lasse: Lasse in der Sonne, Lasse am See, Lasse im Bett. Für Ben war da einfach kein Platz. Er kam ihr wie einer dieser Klassenkammeraden vor, die man nach einer Ewigkeit zufällig auf der Straße traf und an deren Namen man sich beim besten Willen nicht erinnern konnte. Dass mit dem Namen war kein Problem, aber das Kondom auf seinem Penis schon. Verdammt, hatte sie wirklich mit ihm geschlafen? »Ich bin nur …«, setzte sie an und rang nach Worten. Verrückt? Durchgeknallt? »Etwas durch den Wind.«
»Ich weiß, was du meinst.« Bens charmantes Grinsen bekam eine leicht anzügliche Note.
Von wegen! Du hast keine Ahnung, was ich meine. Vielleicht hattest du gerade guten Sex, aber den hattest du mit mir, nehme ich an. Ich aber, und das ist ein himmelweiter Unterschied, hatte ihn mit Lasse. Und du kamst nicht mal als Statist vor.Meikes Gedanken überschlugen sich. Sie musste irgendwie Abstand gewinnen, aber das ging nicht, solange ein nackter, gut aussehender Mann sie erwartungsvoll ansah und verwirrte. Sie brauchte schleunigst ein Ablenkungsmanöver. »Wer hat denn angerufen?«
Für einen Moment guckte Ben irritiert, dann zuckte er mit den Schultern. »Ist doch egal.«
»Vielleicht ein Kunde«, bohrte sie weiter. Ihr Unterbewusstsein überflog Bens Vita. Immobilienmakler. Selbständig. Single.
»Ich hab ne Mailbox.«
»Willst du nicht trotzdem mal gucken?«
»Du bist interessanter.« Er sagte es so selbstverständlich, dass sie lächeln musste.
»Ohh.«
Wie charmant er doch war. Und wie diszipliniert, sie hätte keinen Anruf so lange ignorieren können. Nicht einmal in Lasses Gegenwart.
Mehr um ihr einen Gefallen zu tun, griff Ben nach dem Handy und drehte es demonstrativ in ihre Richtung. Auf dem Display stand irgendwas mit Notar Soundso. »Keine Frau, siehst du«, fügte er hinzu.
Meike kam sich wie ein Idiot vor, so hatte sie das gar nicht gemeint. »Ich dachte doch nur …«
»Schon gut. Das war ein Witz«, sagte er sanft. Aber es war keiner. Zumindest hatte Meike das vage Gefühl, ihn irgendwo tief hinter der bezaubernden Fassade verletzt zu haben. Wenigstens ein kleines bisschen.
Noch ein Grund, endlich alleine zu sein. Weit weg von allen Fettnäpfchen. In Bens Gegenwart würde sie sich um Kopf und Kragen plappern. Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
»Ich spring schnell unter die Dusche.«
Statt einer Antwort zog er sie zu sich heran und schlug die Decke zur Seite. Zärtlich legte er eine Hand auf ihre Hüfte und fing an, mit den Fingerspitzen ihre Haut zu erforschen. Höchste Zeit für den Rückzug, dachte Meike. Mit einer unkoordinierten Drehung löste sie sich aus Bens Armen und rollte unbeholfen über den schwankenden Untergrund zur Bettkante. »Du kannst ja in der Zwischenzeit den Notar zurückrufen«, schlug sie vor, um sicher zu gehen, dass er nicht mitkam.
»Handtücher sind im Schrank«, rief er hinter ihr her. Der Ausdruck, den sie auf seinem Gesicht sah, bevor sie im Flur verschwand, war schwer zu lesen. Sein Lächeln drückte Neugier und Belustigung aus. Aber in seinen braunen Augen lag ein Hauch von Enttäuschung.
Endlich alleine, lehnte sie sich gegen die Badezimmertür. Sie hatte noch nie nach dem Sex geduscht. Die Dusche danach war eine billige Erfindung des Kinos, um nach der Sexszene noch eine Duschszene zeigen zu können. Eingeseifte Brüste hinter Milchglasscheiben funktionierten im Film hervorragend. Im wahren Leben wäre Meike nie eingefallen, Lasses Geruch von der Haut zu waschen. Er roch nach Moschus und Kastanienblüten und einem Hauch Pfirsich. So charakteristisch, dass sie ihn mit verbunden Augen unter Tausend Männern erkennen würde. Sein Geruch war einzigartig.
Und er lag schon die ganze Zeit in der Luft, stellte Meike fest. Es war, als sei Lasse ganz in der Nähe.
Sie warf einen Blick auf die Ablage unter dem Badezimmerspiegel, auf der ein Deo und ein Aftershave von Davidoff standen. Meike träufelte ein paar Spritzer der korallenblauen Flüssigkeit auf ihren Handrücken und roch daran. Der Duft war übertrieben intensiv, geradezu beißend. Wie ein Brühwürfel Karibik. Garnier, Boss und Axe aus dem Spiegelschrank stanken penetrant nach synthetischem Dschungel, künstlicher Oase und imitiertem Gebirge. Nichts hatte diese natürliche Leichtigkeit, die so typisch für Lasse war und sie regelmäßig um den Verstand brachte. Doch je mehr sie sich auf den Geruch konzentrierte, desto mehr entglitt er ihr. Bens Körperpflegemittel, die sie im Bad versprüht hatte, waren daran nicht unschuldig. Meike schnupperte neugierig an Bens Handtüchern und an seinem auf einem Bügel hängendem Esprit-Hemd. Beide besaßen das weiche Aroma eines teuren Waschmittels. Bens Rasierschaum roch nach Eukalyptus und erinnerte kein bisschen an Lasse, der nie einen Nassrasierer besessen hatte und seinen Bart immer mit einem Langhaarschneider gestutzt hatte.
Ratlos betrachtete sie sich im Spiegel. Was sie sah, gefiel ihr nicht. Durch einen zweiten Spiegel, der sich im ersten spiegelte, erschien das Badezimmer endlos. Unzählige Meikes fragten sich, was Ben eigentlich an ihr fand. Sie war jetzt 31. Ihr Gesicht sah noch immer hübsch aus, wenn auch etwas voller als mit Anfang 20. Aber ihre Figur hatte sich in Lichtgeschwindigkeit zu einem unförmigen Etwas verwandelt, das kaum zu beherrschen war. Die Rettungsringe um ihre Hüften ließen sich ebenso wenig ignorieren wie ihr zu breiter Hintern. Eiscreme, Schokolade und Kummer hatten eindeutig ihre Spuren hinterlassen. Ben schien es nicht zu stören, was in ihr die vage Hoffnung weckte, dass sie in Wirklichkeit gar nicht so schrecklich aussah. Die Vorstellung, dass ein Adonis wie er auf sie stand, war einerseits schmeichelhaft, andererseits aber zutiefst beunruhigend. Wer wusste schon, was für Macken er sonst noch hatte?
Meike stellte die Dusche an, um ihre Flucht ins Badezimmer zu rechtfertigen. Der heiße Wasserstrahl tat gut und half ihr einen Moment zu entspannen. Als sie die Augen schloss, kehrten ihre Gedanken sofort zu Lasse zurück. Ihrem Ein und Alles. In ihrer Vorstellung wurden die Wassertropfen zu Lasses Händen, die sie überall begehrten. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass er in diesem Moment zu ihr in die Dusche stiege, um seinen nackten Körper an ihren zu pressen. Sie wollte seine harte Erregung spüren und stellte sich vor, wie er voller Leidenschaft in sie eindrang. Meikes Herz schlug schneller, ihre Atmung beschleunigte sich. Ihre Nase nahm den vertrauten Geruch von Kastanienblüten und Moschus wahr. Lasse schien zum Greifen nahe zu sein, so wie früher.
Sie öffnete die Augen und erwartete fast, ihn vor sich zu sehen. Doch die Dusche war leer. Natürlich war sie das. Sie konnte sich Lasse nicht einfach herbeiwünschen, indem sie die Augen schloss. Was für eine alberne Idee. Meike stellte das Wasser ab und ließ es an sich herunter tropfen.
Aber den Sex mit Lasse hatte sie sich nicht eingebildet, ganz bestimmt nicht. Sie hatte ihn berührt, geküsst und tief in sich gespürt. Er hatte sie wund geritten, so wie in alten Zeiten, als sie sich wild und zügellos geliebt hatten. Mein Gott, ihr Unterleib brannte wie nach jedem geilen Wochenende mit Lasse.
Meike zog ein frisches Handtuch aus dem Schrank, so wie Ben es gesagt hatte, und wickelte sich darin ein. Vielleicht war Ben einfach ein verdammt guter Liebhaber. Vielleicht hatte er die gleiche Saite in ihr zum Klingen gebracht, die auch Lasse angeschlagen hatte. Vielleicht war der Geruch, den sie die ganze Zeit wahrzunehmen glaubte, mehr ein Gefühl als eine Tatsache.
Aber so war es nicht. Sie wischte den Gedanken beiseite. Wenn Ben so unvergesslich im Bett wäre, wieso hatte sie dann keine Erinnerung an ihn? Hatte er sie angesehen oder die Augen geschlossen? War er fordernd oder zurückhaltend gewesen, stand er auf Pornostellungen oder auf Blümchenkuscheln? Verdammt, sie wusste nicht mal, ob er oben oder unten gelegen hatte. Es war ihr erstes Mal mit ihm gewesen, und es fühlte sich an, als sei es nie passiert.
Als sie zurück ins Schlafzimmer kam, fest in das Handtuch eingepackt, lag Ben auf dem Wasserbett. Irgendwie hatte sie erwartet, dass er inzwischen wenigstens seine Schiesser-Boxershorts trug, aber er war noch immer nackt. Geschickt schenkte er zwei Gläser Prosecco ein, den er höchstpersönlich in Venetien erstanden hatte, wie er munter verkündete. Er goss je einen großzügigen Schuss Aperol dazu und plauderte dabei über die Herkunft des Likörs. Statt zuzuhören beobachtete Meike die Wassertropen auf dem eiskalten Glas und die winzigen Perlen, die in der orange-roten Flüssigkeit nach oben stiegen. Der erste Schluck schmeckte herrlich erfrischend, aber der Nachgeschmack war überraschend bitter. Nicht das, was sie erwartet hatte.
»Magnifico«, schwärmte Ben. Die Zigarette danach für Nichtraucher, schoss es Meike durch den Kopf. Nur war sie gerade nicht in Danach-Stimmung. Was sie betraf, hatte sie nie mit ihm geschlafen. Und sie hatte auch nicht vor, diese Wissenslücke zu schließen. Etwas zu entschieden stellte sie das Glas auf dem Nachttisch ab, ließ das Handtuch auf den Boden gleiten und schlüpfte in ihre Unterwäsche.
»Keine Hektik. Ich hab den Notar zurückgerufen, als du duschen warst. Der Termin ist erst morgen um Zehn.«
»Ich muss früh raus«, sagte Meike. Das war nicht gelogen, aber trotzdem eine Ausrede. Ben sah ihr beim Anziehen zu, und machte keine Anstalten, sie zurück ins Bett zu ziehen – weder mit Händen noch mit Worten. Die Stille war unangenehm, nur mit Mühe widerstand Meike dem Drang, etwas zu sagen. Doch sie wusste ganz genau, es wäre peinlich geworden. Außerdem bestand die Gefahr, sich zu etwas überreden zu lassen, das sie nicht wollte.
»Schlaf gut«, sagt Ben, als er im Hausflur auf den Lichtschalter drückte, um ihr den Weg zum Fahrstuhl zu weisen. Noch immer nackt lehnte er sich an die Wohnungstür. Lässig und selbstbewusst. Dass ein Nachbar in den Flur treten oder durch den Türspion spähen könnte, war ihm egal. Er hatte nur Augen für Meike.
»Du auch.« Für einen Moment zögerte sie. Sie bemerkte ein kleines Tattoo auf seinem Oberschenkel. Irgendein asiatisches Schriftzeichen, vielleicht auch ein indianisches. Für Lasse hätte es eine persönliche Bedeutung gehabt, Ben hatte es wahrscheinlich nur bei Men’s Health gesehen. Zugegeben, es stand ihm ausgesprochen gut. Genau wie diese verboten straffen seitlichen Bauchmuskeln, für die er bestimmt ewig im Fitnessstudio geschwitzt hatte. Ben war perfekt gepflegt, manikürt und pedikürt, gebräunt und rasiert. Natürlich komplett rasiert, weil es so Mode war, was seinen Penis selbst im schlaffen Zustand enorm erscheinen ließ. Die Art, wie er in der Tür lehnte, war ein letzter, wenig subtiler Versuch, sie wieder ins Bett zu locken. Selbst im kalten Neonlicht sah Ben umwerfend aus. Es war dem tristen Flur zu verdanken, mit seinem grauen PVC-Boden und dem beigen Rauputz, dass Ben einigermaßen natürlich wirkte. Vor einem tropischen Wasserfall hätte man ihn für eine Chanel-Werbung gehalten.
Nach einem Abschiedskuss, der für ihn einen Augenblick und für sie eine Ewigkeit dauerte, lief sie zum Fahrstuhl. Plötzlich huschte ein Lächeln über Bens Gesicht.
»Eben, als wir … im Bett waren. Wie hast du mich noch mal genannt? Das war irgendwie süß …«
Meike blieb stehen, ohne zu wissen, wovon er sprach.
»Ach ja«, fiel es ihm wieder ein. »Wölfchen!«
Meikes kassierte gerade 2,80 € für ein Stück Apfeltorte und einen Filterkaffee, als ihr Handy in der Jeans vibrierte. Da war sie also, die SMS, um die ihre Gedanken schon den ganzen Vormittag kreisten. Ben hatte sie also abserviert, wahrscheinlich knapp und diplomatisch. Definitiv eine Absage. Hätte er etwas von ihr gewollt, hätte er angerufen.
Meike fiel ein Stein vom Herzen. Das Gespräch wäre katastrophal verlaufen. Irgendetwas Seltsames war gestern in Bens Wasserbett passiert, für das es keine Erklärung gab. Mit Ben darüber zu sprechen, hätte alles nur noch schlimmer gemacht.
»Was schreibt er denn?«, fragte Luda am anderen Ende der Verkaufstheke. Meikes Kollegin, eine gertenschlanke Russlanddeutsche Anfang 20, war immer top gestylt. An ihr sah selbst der gelbweiß gestreifte Backstuben-Kittel sexy aus. Meike kam sich in der Uniform vor, wie in einen Mehlsack gezwängt, was zur »Backstube Meisterlich« natürlich passte.
Knapp die Hälfte der Tische war besetzt, hauptsächlich mit Rentnern, die den ganzen Tag Kaffee tranken, lautstark quatschten und den Zeiten hinterher trauerten, in denen man hier noch rauchen durfte. Aus der gleichen Ära stammte wahrscheinlich auch das klobige Mobiliar mit seinen abgerundeten Ecken und spießigen Kunstlederbezügen. Allmählich ging es auf die Mittagspause zu, die ersten Schreibtischtäter bestellen bereits Brötchen und Kaffee am Straßenverkauf-Fenster. Während der Kaffeeautomat zischend einen Latte Macchiato to go zauberte, fischte Meike ihr Handy aus der Tasche und drückte auf das blinkende Briefkasten-Symbol.
die nacht war sehr schön. ich vermisse dich
Meike verstand die Welt nicht mehr. Hatte sie irgendwas verpasst? Sie war doch nach dem Sex förmlich aus Bens Bett geflohen, hatte seine hartnäckigen Annäherungsversuche ignoriert und ihn nackt im Flur stehen gelassen. Wie konnte er sie da vermissen?
»Mach’s nicht so spannend«, bettelte Luda auf dem Weg zum Backautomaten.
»Er vermisst mich.«
»Wow, dem hast du ja richtig den Kopf verdreht.« Luda rollte das R von »richtig«, wie es nur Russen können.
Meike hielt inne. Bis eben hatte sie fest mit einer Absage gerechnet und sich eingeredet, dass es das Beste sei, Ben nie wieder zu sehen. Aber da lag sie komplett falsch. Dass Ben auf ihre Speckröllchen stand, ihre verrückten Macken ertrug und sie vermisste, war eine Offenbarung. Sie hatte völlig vergessen wie gut es sich anfühlte, von einem Mann auf diese Weise beachtet zu werden. Noch dazu von einem, der umwerfend aussah, Charme und Witz besaß, und ein guter Kerl zu sein schien.
Sie gönnte sich ein winziges Lächeln, bevor sie ihre Freude herunter schluckte, um nicht jedes private Detail mit Luda teilen zu müssen.
Doch Luda war ihr Lächeln nicht entgangen. »Hast du deinen Facebook-Status schon geändert?«
»Es war nur ein Date.« Meike versuchte, so beiläufig wie möglich zu klingen, während sie ein Stück Donauwelle auf einen Teller schaufelte.
Die beiden hatten inzwischen auf Bäckereifachverkäuferinnenautopilot umgeschaltet und die Gäste völlig ausgeblendet. Immer, wenn sich ihre Wege hinter der Verkaufstheke kreuzten oder sie am Kaffeeautomaten oder an der Kasse aufeinander trafen, führten sie ihre Unterhaltung tuschelnd fort.
»Aber eins mit Happy End, stimmt’s?« Luda zwinkerte ihr verschmitzt zu, um klarzustellen, dass sie mit Happy End Sex meinte und nicht etwa den Beginn einer wunderbaren platonischen Freundschaft. Verdammt, woher zum Teufel wusste sie das nur immer?
»Na und?«, verteidigte sich Meike. »Ich bin 31, da muss ich nicht erst einen Monat lang Händchen halten und fünf Mal ins Kino gehen, bevor was läuft. Wir waren Cocktails trinken und es hat gepasst.«
»Hey, das brauchst du mir nicht zu erklären. Es ist nur … bisher hast du nie mit einem rum gemacht.« Sollte das jetzt ein Vorwurf sein? Das rollende »rum gemacht« kam so versaut rüber, als hätte sie mit Ben irgendwas Verbotenes angestellt. Andererseits klang alles, was über Ludas feuerrote Lippen kam, irgendwie schlüpfrig.