Ocean View Avenue – Eine Chance für die Liebe - Ella Thompson - E-Book

Ocean View Avenue – Eine Chance für die Liebe E-Book

Ella Thompson

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Beschreibung

Bist du bereit, die Liebe in dein Herz zu lassen?

Gleich hinter der Ocean View Avenue, wo man die Sonne im Atlantik untergehen sehen kann, liegt die Schreinerei, die Brooke McNally vor Kurzem übernommen hat. Während sie die neue berufliche Herausforderung und ihre Tochter Reeva unter einen Hut zu bekommen versucht, lernt Brooke den Webdesigner Owen kennen. Nach dem Tod seiner Frau ist Owen mit seinem Sohn Theo nach Jamestown gekommen, um noch mal ganz neu anzufangen. Während sich ihre Kinder anfreunden, stellt die freiheitsliebende Brooke Owens Geduld bei jeder ihrer Begegnungen auf die Probe. Aber Gegensätze ziehen sich ja bekanntlich an ...

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Seitenzahl: 546

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ZUMBUCH

Brooke wusste nicht, was sie denken sollte, als sie aus Owens Haus flüchtete. Es war ihr egal, dass sie sein Büro nicht vermessen hatte. Sie presste die Hand auf ihren Brustkorb, weil ihr Herz noch immer klopfte wie verrückt, als sie mit dem Lieferwagen den Weg zurück zur Schreinerei einschlug. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass sie schon mal so geküsst worden war – und geküsst hatte. Und sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals so in den Bann eines Momentes gezogen worden zu sein, dass sie alles um sich herum vergessen hatte. Nur um im nächsten Moment in die Realität zurückkatapultiert zu werden, in der Owen die Situation mit »Scheiße« betitelte. Wie hatte sie überhaupt jemanden küssen können, der alles in sich vereinte, was Brooke abstieß? Owen war so negativ, launisch, voller Vorurteile über sie. Aber verdammt, dieser Kuss …

ZURAUTORIN

Hinter dem Pseudonym Ella Thompson verbirgt sich die SPIEGEL-Bestsellerautorin Jana Lukas. Nach Möglichkeit verbringt sie jeden Sommer an der Ostküste der USA. Ihre persönlichen Lieblingsorte sind die malerischen New-England-Küstenstädtchen. An den endlosen Stränden genießt sie die Sonnenuntergänge über dem Atlantik – am liebsten mit einer Hundenase an ihrer Seite, die sich in den Wind reckt.

Ella Thompson

Ocean View Avenue

Eine Chance für die Liebe

Roman

Wilhelm Heyne VerlagMünchen

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Originalausgabe 05/2024

© 2024 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Diana Mantel

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

unter Verwendung von © Arcangel Images (Sue Anne Hodges), FinePic®, München

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-30361-7V001

www.heyne.de

Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen.

(afrikanisches Sprichwort)

Prolog

Vor zehn Jahren

Scott Davis’ dunkle Locken fielen ihm in die Stirn. Sie verliehen ihm ein verwegenes, wildes Aussehen. Diese Locken waren Brooke vor zwei Monaten als Erstes an ihm aufgefallen und hatten sie wie magisch angezogen. Gemeinsam mit seinem herausfordernden Lächeln, das er aufblitzen lassen konnte, wann immer ihm danach war. Und diese unglaublich blauen Augen. Für einen Moment hatten sie sich voller Schock geweitet, nur um sich im nächsten Moment in blaues Eis zu verwandeln. So kalt, dass sich die Härchen in Brookes Nacken aufstellten. Das charmante Lächeln war verschwunden. Stattdessen bildete sein Mund eine gerade, zornige Linie.

Angeekelt ließ er den Stick fallen. Er prallte auf die Kücheninsel, federte nach und kippte auf die Seite, sodass Brooke die beiden hellblauen Linien sehen konnte, als sie den Kopf senkte. Striche, die sie die ganze Nacht hindurch angestarrt hatte. In der Angst vor dem, was ihr Vater sagen oder tun würde.

Angst vor Scotts Reaktion hatte sie allerdings nicht gehabt. Sie hatten doch so viel Spaß gehabt in den letzten Wochen. Und er hatte gesagt, dass er sie liebt. Aber jetzt war nichts mehr davon in seinem Blick zu lesen.

»Scott?«, flüsterte Brooke. Sie hasste sich dafür, wie sehr die Unsicherheit ihre Stimme zittern ließ.

Ein Ruck ging durch seinen Körper, dann machte er einen Schritt zurück. Und noch einen. »Denk nicht mal dran, mir das anzuhängen.« Seine Stimme klang flach und emotionslos.

»Anhängen?« Brooke stand noch immer wie versteinert da, sah dabei zu, wie er sich im Türrahmen umdrehte und mit langen Schritten im dämmrigen Flur des Ranchhauses verschwand. Er ging, wurde ihr plötzlich klar. Er ließ sie allein. »Scott!« Diesmal klang ihre Stimme schrill. Aber sie löste sich aus ihrer Erstarrung und rannte ihm nach. »Warte doch!«

Er war bereits auf der Veranda, als sie ihn einholte. Als sie nach seinem Arm griff, um ihn aufzuhalten, drehte er sich zu ihr um. »Das war’s, Baby. Spar dir die Mühe, mich anzurufen.«

Als er sich wieder umwandte und den Fuß auf die erste Treppenstufe stellte, glitten ihre klammen Finger von seiner Haut. Als sie den Kontakt zu ihm verlor, begann ihre Welt zu rotieren, als wäre er ihr Fels in der Brandung, der unter ihren Füßen zu Staub zerfiel. »Aber … wir haben beide …«

»Nein, Baby. Nicht wir.« Er wedelte mit einer abgehackten Bewegung zwischen ihnen hin und her. »Deine Pussy. Dein Problem.«

Sie stand wie angewurzelt auf der Veranda und sah zu, wie er den Kickstarter seines Motorrades durchtrat, sich auf den Sitz schwang und Gas gab.

Der April war viel zu heiß und zu trocken. Selbst für Kansas. Die Reifen des Motorrades wirbelten eine Staubwolke auf, die in den unnatürlich blauen Himmel stieg. Als Scott nur noch ein kleiner Punkt auf der Zufahrtsstraße zur Ranch war, gaben Brookes Beine nach. Sie sank auf die Verandastufen und presste die Hand auf ihren Bauch.

Benji ließ sich neben ihr auf die aufgeheizten Holzdielen fallen. Brooke vergrub das Gesicht im Fell ihres Hundes und ließ den Tränen freien Lauf, die sie zurückgehalten hatte, seit sie auf diesen verdammten Test gepinkelt hatte.

Sie wusste nicht, wie lange sie auf der Veranda gesessen und geweint hatte, als sie den Schrei ihres Vaters hörte. »Brooke!!!«

Ihr Körper erstarrte zu Eis. Charles McNally war zu Hause. Und er hatte den Schwangerschaftstest gefunden.

1

Jetzt

Ein leichter Wind bauschte die Vorhänge in Brooke McNallys Schlafzimmer und trug den frischen Geruch nach Ozean und das Rauschen der Wellen herein. Brooke streckte sich. Sie liebte den frühen Morgen, wenn die Welt gerade erst erwachte – und ihre Tochter definitiv noch schlief.

Früher war sie um diese Uhrzeit oft mit ihrer Schwester in den Tag gestartet. Aber seit Blake Marshall – Lord of Late Nights, wie sie ihn gerne nannten – Harper verfallen war, schaffte sie es morgens oft nicht mehr so früh aus dem Bett.

Brooke grinste bei dem Gedanken an das Glück ihrer Schwester, das sie mehr als verdient hatte. Blake trug sie und das Baby, das sie im Winter bekommen würden, auf Händen. Nicht weniger hatte Harper verdient.

Das Grinsen wurde noch breiter, als Brooke bewusst wurde, dass heute einer der wundervollsten Tage ihres Lebens war. Sie schob die Bettdecke zur Seite und stand auf. Ihr Zimmer war das kleinste im Haus, aber sie brauchte auch nicht viel. Bett, Kleiderschrank, eine Kommode und ein paar Regale, alles Möbel, die sie selbst gebaut hatte, reichten ihr völlig. Der Rest ihres Lebens spielte sich im Erdgeschoss ihres Zuhauses ab. Und in der Schreinerei, zu der sie nur über den Hof hinter dem Haus laufen musste.

Im Pyjama (Shorts, auf denen bunte Cupcakes tanzten, und ein ausgewaschenes T-Shirt mit den Umrissen der Insel, auf der sie lebte, und dem Slogan Jamestown Girl) huschte sie leise ins Bad und dann die Treppe hinunter. Die Zeitschaltuhr an der Kaffeemaschine hatte dafür gesorgt, dass ihr Lieblingsgetränk bereits auf sie wartete. Brooke goss sich eine Tasse ein, inhalierte tief und trank ihren ersten Schluck mit geschlossenen Augen. Sie blieb an die Kücheninsel gelehnt stehen und genoss die wilde Vorfreude, die gemeinsam mit dem Koffein durch ihre Blutbahnen schoss.

Im nächsten Moment hörte sie das Klackern von Luckys Krallen auf dem Holzboden. Er hatte offenbar mitbekommen, dass jemand aufgestanden und bereit war, mit ihm rauszugehen. Mit seinem roten Lieblingsball im Maul stieß er Brooke an. Sie stellte ihren Kaffee zur Seite und beugte sich herunter, um den Hund zu kraulen, was er mit enthusiastischem Schwanzwedeln quittierte.

»Nur noch schnell den Kaffee für Harper vorbereiten, dann gehen wir«, versprach sie ihm und richtete sich wieder auf, um die geblümte Lieblingstasse ihrer Schwester aus dem Regal zu nehmen und einen Schluck Milch hineinzugießen. Sie hatte sich bereits wieder zu ihrem eigenen Kaffee umgedreht, als ihr einfiel, dass Blake bei Harper übernachtete. Also stellte sie die schwarze Lord-of-Late-Nights-Tasse, die ihre Tochter Reeva ihm zum Geburtstag vor einer Woche geschenkt hatte, neben die von Harper.

»Jetzt können wir«, erklärte sie dem ungeduldig hin und her laufenden Hund und griff nach ihrer Tasse. Lucky raste vor ihr her zur Haustür und sah sich nach ihr um, als wolle er sichergehen, dass sie auch wirklich kam.

Brooke ließ ihn raus und folgte ihm auf die schmale Veranda. Unter ihren nackten Füßen knirschte der Sand, den der Wind in der Nacht auf die Stufen geweht hatte, die zur Ocean View Avenue hinunterführten. Als Brooke und ihre Schwester vor zehn Jahren ihr altes Leben hinter sich gelassen hatten, hätte sie sich niemals träumen lassen, einmal in einem kleinen, aber gemütlichen Häuschen zu wohnen, das nur von einer breiten Promenade vom Strand getrennt war. Und vom Atlantik, dessen Wellen sanft auf dem Sand ausrollten.

Lucky tobte längst durch das Wasser. Brooke folgte ihm barfuß. Der Sand fühlte sich kühl unter ihren Füßen an. Aber die Luft war bereits warm und ließ einen perfekten Sommertag am Meer erahnen.

Sie machte sich keine Gedanken darüber, dass jemand sie schräg anschauen könnte, weil sie, nur mit einem Pyjama bekleidet, über den Strand lief. Um diese Uhrzeit, zu der die Sonne sich gerade erst hinter der stählernen Konstruktion der Pell Bridge erhob und das Wasser glatt wie Glas in der Bucht lag, waren noch nicht viele Leute unterwegs. Die, die Brooke kannten, machten sich nichts daraus. Und alle anderen – waren ihr egal. Ein Prinzip, das Brooke verinnerlicht hatte. Früher aus reinem Selbstschutz. Aber in Jamestown, Rhode Island, war das so gut wie nie nötig, weil sie und ihre Liebsten hier gemocht wurden. Teil einer großen Familie waren.

Brooke trank ihren Kaffee. Warf den Ball für Lucky und ließ das kalte Ozeanwasser über ihre Zehen hinwegschwappen.

Die Anwesenheit ihrer Schwester spürte sie, bevor diese, ebenfalls barfuß und im Pyjama, ihren eigenen Kaffee in der Hand, neben sie trat. Harper stieß sie sanft mit der Schulter an. »Morgen«, murmelte sie. Ihre Stimme klang noch ein wenig rau und schlaftrunken. »Bist du aufgeregt?«

Brooke lehnte sich für einen Moment an ihre Schwester. »So was von aufgeregt.« Sie nippte an ihrem Kaffee und blickte auf den Horizont. »Alles ist neu und doch irgendwie gleich.« Sie warf Harper einen Seitenblick zu und schaffte es nicht, ihr breites Grinsen zu kontrollieren. »Ich bin so unglaublich glücklich.«

Harper lachte. Sie bückte sich, um Luckys Ball aufzuheben und ihn in die Wellen zu schleudern. Mit einem begeisterten Bellen stürzte sich der Hund hinterher. »Wahrscheinlich wirst du heute Abend Muskelkater haben, vor lauter Lächeln.« Sie legte Brooke den Arm um die Schultern. »Dieses Jahr passieren viele Dinge zum ersten Mal. Und das fühlt sich wirklich gut an. Apropos, Reeva macht zur Feier des Tages Frühstück.«

Brooke schüttelte sich eine Haarsträhne aus der Stirn und seufzte. Ihre Tochter liebte es, Frühstück zu machen. Aber die Küche erinnerte im Anschluss immer an ein Schlachtfeld.

»Sie hat Blake erlaubt, ihr zu assistieren«, ergänzte Harper.

Brooke konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. »Das macht es nicht unbedingt besser.«

»Womit du absolut recht hast.« Harper stieß sie abermals mit der Schulter an. »Na komm, lass uns reingehen und das Chaos genießen.«

Brooke pfiff nach Lucky, und als er angetrabt kam, kehrten sie um. Sie wischten ihm auf der Veranda den Sand aus dem nassen Fell und von den Pfoten und folgten dann ihm und dem Duft nach frisch gebratenem Speck ins Haus.

Reeva und Blake standen zusammen am Herd und grinsten sie breit an, als die Schwestern in den offenen Wohn- und Küchenbereich traten. Ja, es hatte sich wirklich viel verändert, dachte Brooke. Zum Beispiel hatte Reeva plötzlich eine Vaterfigur in ihrem Leben, die sie anbetete. Sosehr sie im Moment auch vor Glück übersprudelte, brach ihr der Gedanke doch das Herz, dass sie ihrer Tochter in den vergangenen neun Jahren genau das nicht hatte bieten können.

»Seid ihr bereit für ein Frühstück für werdende Mütter und frischgebackene Schreinereibesitzerinnen?«, holte Blake sie aus ihren Gedanken.

Reeva balancierte eine Platte mit nicht ganz identisch aussehenden Pancakes zum Esstisch. Blake folgte ihr mit dem gebratenen Speck und dem Rührei. Sie hatten sich Mühe gegeben. Blumen hatten auf mysteriöse Weise ihren Weg aus den Kästen auf der Veranda in kleine Blumenvasen auf dem Tisch gefunden. Frisch gepresster Orangensaft stand neben der Thermoskanne mit Kaffee. Und zu Brookes Freude waren die Winterservietten endlich aufgebraucht und durch eine Version mit rosa Herzchen und den Worten Home, Sweet Home ersetzt worden.

Brooke setzte sich. »Das sieht fantastisch aus.«

Reeva warf Blake ein zahnlückiges, zufriedenes Grinsen zu. »Wir wünschen dir einen absolut perfekten ersten Tag als Chefin.«

»Danke, Süße.« Brooke beugte sich zu ihr hinüber und küsste sie auf den Scheitel.

Blake goss ihnen Saft ein und hob sein Glas dann zu einem Toast. »Auf einen neuen Lebensabschnitt. Viel Erfolg!« Sie stießen mit dem Saft an, und Brooke musste schlucken. Manchmal ließ sich das Ausmaß an Glück, das um ihr Leben herumwirbelte, gar nicht begreifen.

Nach dem Frühstück brachte Brooke ihre Tochter zur Schule und schlüpfte in ihre Arbeitsklamotten, die sich aus einer dunkelgrünen Latzhose, einem schwarzen Poloshirt mit dem Logo Wood by Wilson und ihren von Kratzern und Leim- und Farbflecken überzogenen Stahlkappenstiefeln zusammensetzten. Die Haare band sie zu einem festen Zopf, den sie durch die hintere Öffnung ihrer alten, unter Holzstaub ergrauten Baseballkappe schob.

»Ich bin bereit«, sagte sie, als sie auf die Veranda trat, auf der es sich Harper und Blake gemütlich gemacht hatten. Blake mit einem Kaffee, der genauso stark und schwarz war, wie Brooke ihn liebte. Harper war nach der einzigen Tasse, die sie sich während ihrer Schwangerschaft gönnte, zu einem Kräutertee übergegangen, den ihre Freundin Naya für sie zusammengestellt hatte.

Blake erhob sich. »Deine neue Buchhalterin wird dich in die Schreinerei begleiten. Und ich muss langsam los.« Er küsste sie auf die Wange. »Toi, toi, toi.«

Harper stand ebenfalls auf. »Na dann, lass uns starten, Boss.«

Brooke prustete los, was automatisch ein wenig der nervösen Energie in ihrem Inneren abbaute. »Nenn mich nicht Boss. Das wirkt kein bisschen glaubwürdig.«

Statt zu antworten, zog Harper sie lachend von der Veranda und um das Haus herum.

Das Tor zur Schreinerei stand offen, aber von dem Krach der Kreissägen, Hobel und Nagelpistolen war noch nichts zu hören. Ihre Kollegen – ihre Angestellten, korrigierte sie sich im Stillen – waren noch nicht da. Sie würden frühestens in einer halben Stunde hier auftauchen. Aber Brooke war schon immer ein bisschen eher da gewesen und hatte sich in Ruhe angesehen, was an dem Tag alles erledigt werden musste, sogar bevor sie am vergangenen Tag ihre Unterschrift auf den Vertrag gesetzt und Wood by Wilson übernommen hatte. Sie war neue Aufträge durchgegangen. Hatte die Unterlagen alter Aufträge in das Kabuff namens Büro geworfen, wo es in einem chaotischen Wirrwarr mit anderen Schriftstücken der Ablage verschmolzen war. Sie hatte …

»Herzlichen Glückwunsch!«

Brooke zuckte zusammen, als sie über die Schwelle der Werkstatt trat und ihre drei Angestellten, Harry, Parker und Harvey, mit einem großen Blumenstrauß vor ihr standen.

Überrascht presste sie die Hand auf ihr wild schlagendes Herz. »Jungs!«, rief sie übermütig und drehte mit den Blumen, die Parker ihr in die Hand drückte, eine Pirouette auf der Stahlkappe ihres Stiefels. »Danke«, sagte sie. Und damit meinte sie nicht nur den netten Empfang und die Glückwünsche, sondern auch, dass sie nach der Übernahme der Schreinerei genauso zusammenarbeiten würden wie davor.

Ihre Mitarbeiter applaudierten ihr. Doch dann glitt Harveys Blick an ihr vorbei und blieb hinter ihr hängen. »Was machst du denn hier?«, fragte er.

»Bist du nicht ab heute Pensionär?«, schob Harry nach.

Und auch Parker ließ sich zu einem Kommentar hinreißen. »Ich habe die Wette gewonnen«, bemerkte er selbstzufrieden. »Ich wusste, dass du es keinen Tag zu Hause aushalten wirst.«

Brooke wusste ganz genau, wer hinter ihr stand. Sie reichte die Blumen an ihre Schwester weiter, stützte die Hände in die Hüften und drehte sich mit gespielt strenger Miene zu ihrem ehemaligen Boss und Mentor Ray Wilson um. »Zivilisten ist der Zutritt zur Werkstatt verboten, Sir«, sagte sie und musste sich auf die Lippe beißen, um nicht loszulachen. »Wenn Sie ein Möbelstück in Auftrag geben möchten, vereinbaren Sie bitte einen Termin.«

*

Owen Mitchell beendete das Telefonat und ließ das Handy sinken. Die Streitgespräche mit seiner Schwiegermutter Janet laugten ihn immer aus. Er wusste, dass es ihre Masche war, ihn an seine Schuld zu erinnern. Sie schaffte es, ihn dazu zu bringen, seine Entscheidungen infrage zu stellen. Selbst jetzt noch, nachdem die Möbelpacker einen LKW beladen und sich auf den Weg Richtung Ostküste gemacht hatten. Jetzt, wo völlig klar war, dass Theo und er Kalifornien verlassen würden. Owen wusste vor allem, dass er Janet das Herz brach. Noch einmal. Dass er ihr alles nahm, was für sie von Bedeutung war. Aber nur, wenn er sie verletzte, würde seine eigene vernarbte Seele es irgendwie schaffen zu überleben. Er konnte nur hoffen, dass seine Entscheidung die richtige für Theo war.

»Scheiße!« Owen schob sich die Haare aus dem Gesicht und erinnerte sich dunkel daran, dass er schon vor Wochen vorgehabt hatte, zum Friseur zu gehen. Das Wort hallte von den leeren Wänden wider, die ihn umgaben. Er hatte das Handy bereits auf den Küchentresen gelegt, doch jetzt griff er noch einmal danach und rief seine Favoriten auf.

»Schatz«, antwortete seine Mutter Anna im nächsten Moment, obwohl es in Jamestown, Rhode Island, schon fast Mitternacht war – als hätte sie nur auf diesen Anruf gewartet. »Ist alles in Ordnung bei euch?«

»Mache ich einen Riesenfehler?«, fragte er statt einer Begrüßung.

Für einen Moment herrschte Stille in der Leitung. Owen konnte sich vorstellen, wie seine Mutter die Augen schloss und schluckte. »Nein«, sagte sie dann mit fester Stimme. »Du tust genau das Richtige. Das einzig Richtige.«

Owens Fingerspitzen glitten über den grau gesprenkelten Granit des Küchentresens, genau über die Stelle, an der immer ihre Obstschale gestanden hatte, die Claire und er gleich nach dem Einzug in dieses Haus in diesem kleinen Laden an der Strandpromenade gefunden hatten. »Es fühlt sich an«, begann er mit rauer Stimme, »als würde ich Claire verlassen und einfach abhauen.«

»Schatz, du verlässt sie nicht«, versicherte ihm seine Mutter. Owen hatte vergessen, wie oft er diese Frage seit seinem Entschluss, nach Hause zurückzukehren, gestellt hatte. Sich selbst. Seinen Eltern. Den wenigen Freunden, die er noch hatte. Die Antwort der anderen war immer die gleiche gewesen – und seine Mutter sagte es jetzt ebenso: »Theo und du beginnt einen neuen Lebensabschnitt. So platt das klingt, genau das hätte sich Claire für dich gewünscht. Für euch. Und wenn du …« Sie stockte. »Wenn du nicht mehr da wärst«, fuhr sie schließlich fort, »hätte sie genau das Gleiche getan.«

»Danke.« Owen rieb sich über die brennenden Augen.

»Versuch, ein wenig zu schlafen. Theo und dir morgen eine gute Fahrt. Meldet euch zwischendurch mal, ja?«, bat seine Mutter.

»Danke, Mom. Das machen wir. Gute Nacht.« Er legte das Handy auf den Küchentresen und ging ein letztes Mal durch die Räume, die einst so viel Fröhlichkeit und Glück versprochen hatten. So viel Leben versprüht hatten. Jetzt strahlten sie nur noch eine unerträgliche, hämische Kälte aus. Als ob dieses Haus ihn und die Träume, die Claire und er hier geträumt hatten, verhöhne.

Seine beiden letzten Koffer und seine Laptoptasche standen in seinem ehemaligen Schlafzimmer. Theo lag in seinem Zimmer im Schlafsack auf einer Isomatte und schlief. Die sandfarbenen Locken hingen ihm ins Gesicht, und Owen erinnerte sich daran, dass er nicht der Einzige war, der einen Friseurtermin brauchte.

Er war dankbar dafür, dass sein Sohn die letzte Nacht in seinem alten Zuhause verschlief und nicht von Erinnerungen, guten wie schlechten, heimgesucht wurde. Owen konnte sich noch in allen Details an den strahlend hellen Sonntagvormittag erinnern, an dem Claire und er darüber gestritten hatten, in welcher Farbe sie das Kinderzimmer ihres damals noch ungeborenen Sohnes streichen sollten. Oder ob Tapeten nicht doch besser wären. Owen hatte Claire schließlich den Mund zugehalten und sie ihn zärtlich in die Handfläche gebissen. Lachend und sich küssend waren sie zu Boden getaumelt und hatten sich geliebt. Genau hier, mitten in diesem Zimmer. Umgeben vom Sonnenlicht, das alles um sie herum zum Leuchten gebracht hatte. Owen blinzelte gegen das Brennen hinter seinen Lidern an und versuchte, die Erinnerung zur Seite zu schieben.

Leise schloss er Theos Zimmertür hinter sich. Doch bereits im Flur überfiel ihn die nächste Erinnerung, als er über die lose Kugel des Treppenpfostens strich. Wie oft hatte Claire ihn darum gebeten, dieses verdammte Ding zu befestigen, weil es sonst noch mal jemandem auf den Kopf fallen würde? Er hatte es ihr immer versprochen – und dann doch nie Zeit dafür gehabt. Bis es zu spät gewesen war.

Wie die Wellen in einem Orkan fegte Erinnerung für Erinnerung über ihn hinweg, als er ins Erdgeschoss zurückkehrte. So viel war in diesem Haus geschehen. So viel hatten sie zusammen erlebt.

Neben der Haustür stand noch die Weinflasche, die einer der Nachbarn zum Abschied vorbeigebracht hatte. Owen griff danach, dankbar, dass sie billig genug war, um über einen Schraubverschluss zu verfügen, denn sein Korkenzieher war längst auf dem Weg nach Osten. Er goss den Wein mangels Alternativen in einen Plastikbecher. Langsam drehte er sich in seinem Wohnzimmer im Kreis. Betrachtete die helleren Vierecke an den Wänden, an denen Bilder und Fotos ihr Leben dokumentiert hatten. Dann ließ er sich auf den Boden sinken. Den ersten Becher Wein leerte er auf ex. Er hatte nicht erwartet, dass sein Herz mehrmals brechen könnte. Schließlich hatte er sich gefühlt, als hätte er es in den letzten zwei Jahren geschafft, dieses verdammte Ding wenigstens so weit zusammenzutackern und -zukleben, um funktionieren zu können. Auf einmal aber befand er sich in einer Situation, die ihn einfach wieder dahin zurückgeworfen hatten, wo er am Anfang gestanden hatte. Mit einem Haufen scharfkantiger Trümmer im Brustkorb statt eines Herzens. Theo und er hatten Entscheidungen treffen müssen. Harte, schreckliche Entscheidungen. Sie konnten nicht alles mit nach Rhode Island nehmen. Claires Kleider, zum Beispiel, hatte er zum größten Teil gespendet und verschenkt. Nur ihr Hochzeitskleid und den Strohhut mit den bunten Bändern, den sie am Strand immer getragen hatte, hatte er behalten.

Owen leerte auch den zweiten Becher Wein auf ex. Aber er half nicht, seine Gedanken zu betäuben. Irgendwann legte er sich einfach zurück und starrte an die Decke. Dann spürte er sie. Claire. Sie lag neben ihm. So wie früher, als sie noch keine Couch gehabt hatten und deshalb einfach eine Picknick-Decke auf dem Boden ausgebreitet hatten, wenn sie fernsehen wollten.

»Es tut mir leid«, flüsterte Owen. »Ich will dich nicht verlassen.«

Claire beugte sich zu ihm herüber und küsste ihn.

Owen fragte sich, wie es sein konnte, dass er sie schmecken und fühlen konnte, dass er ihren Duft einatmete, wenn sie nicht mehr da war.

»Ich bin immer bei dir«, wisperte sie an seinen Lippen. »Und bei Theo.« Aber sie sagte nicht, dass es richtig war zu gehen, sie und ihre gemeinsamen Erinnerungen zurückzulassen. Ihr Leben mit Füßen zu treten.

Stattdessen spürte Owen, wie sie ihm langsam entglitt. Er krümmte sich zusammen und versuchte, den Schmerz ihres Verlustes wegzuatmen. So wie er es in der Therapie gelernt hatte, die er begonnen, aber nie beendet hatte.

Er schloss die Augen und atmete den Duft seines bisherigen Lebens ein, bis ihn der Schlaf erlöste.

2

Brooke konnte nicht aufhören zu lächeln. Sie war Besitzerin von Wood by Wilson, einer der traditionsreichsten Firmen der Region mit fantastischem Ruf und genügend Aufträgen, um sich auch künftig keine Gedanken um die Hypothek machen zu müssen, die sie dafür aufgenommen hatte. Sie war dankbar, dass sie weiterhin ihren Traum leben und Möbel bauen konnte. Und nahezu demütig, dass Ray Wilson, der vom ersten Moment an die einzig wirkliche Vaterfigur ihres Lebens gewesen war, sie gefragt hatte, ob sie sein Erbe weiterführen wollte.

Sie hatte den Holzstaub des Tages von ihrer Haut gespült und wischte mit dem Handtuch den beschlagenen Spiegel über dem Waschbecken frei. Dann blinzelte sie ein paar Tränen weg, als sie sich selbst in die Augen sah. Wer hätte gedacht, dass aus der verängstigten, schwangeren Siebzehnjährigen, die aus Kansas geflohen war, eine Geschäftsfrau werden würde, die gleich zwei Firmen betrieb und sich ein wundervolles Leben aufgebaut hatte?

»Schluss mit den Sentimentalitäten«, murmelte sie und hängte das Handtuch zum Trocknen auf. Ihr Erfolg glich einem kleinen Wunder, das ließ sich nicht abstreiten. Sie war Harper dankbar, dass sie sich vor zehn Jahren gemeinsam mit ihr auf die Reise gemacht hatte. Sie war so glücklich, ihre beste Freundin, Naya, kennengelernt zu haben, und konnte ihr gar nicht genug danken, dass sie im passenden Moment die richtige Idee gehabt hatte. Und Ray … er war ihr wie ein rettender Engel vorgekommen. Aber alles andere hatte sie mit harter Arbeit selbst erreicht. Und das musste gefeiert werden. Sie zog den Handtuchturban vom Kopf und fuhr sich durch die Haare. Sie würden im warmen Abendwind von allein trocknen. In einem Tanktop und bequemen Shorts lief sie barfuß die Treppe hinunter.

In der Küche hörte sie Harper und Naya darüber diskutieren, welche Sorte Eis sie sich für ihren Junkfood-Abend gönnen sollten. Naya in ihren üblichen zerschlissenen Jeans und einem Tanktop, die Haare mit der pinkfarbenen Strähne fielen ihr offen über den Rücken, und das kleine goldene Herz an ihrer Halskette funkelte. Harper trug ein hübsches Sommerkleid im Hippie-Style und hatte sich die Haare zu einem lässigen Knoten auf dem Kopf zusammengebunden. Brooke war so froh, dass ihre Schwester endlich ihren hässlichen mausgrauen Outfits abgeschworen hatte. Aber sie musste sich ja auch nicht mehr für die Arbeit verkleiden. Brooke mochte diese Version von Harper, die nur nach ihrer Laune angezogen war, verdammt gerne.

Für einen Moment schloss sie die Augen und lächelte. Ihr Leben war perfekt. Komplett. Sie würde es nicht anders haben wollen. »Das Eis mit den Brownie-Stückchen und Kuchenteig«, rief sie, als sie die Augen wieder öffnete, und ging in den Küchenbereich, um Naya zur Begrüßung zu umarmen.

»Stimmt. Deine Party. Deine Entscheidung.« Ihre beste Freundin drückte Brooke fest an sich. »Herzlichen Glückwunsch, Big Boss.« Als sie wieder losließ, schob sie sich die pinke Strähne, die in ihrem schwarzen Haar leuchtete, hinter das Ohr. »Wie war dein erster Tag als Besitzerin der Schreinerei?«

»Fantastisch. Ich habe das Gleiche gemacht wie an jedem anderen Tag auch. Aber zu wissen, dass ich jetzt noch viel mehr für Reevas Zukunft tun kann, lässt mich nachts noch besser schlafen.« Sie nahm das Tablett, das ihre Schwester und ihre beste Freundin bereits mit allen möglichen ungesunden Sachen gefüllt hatten, und ging voraus auf die Veranda vor dem Haus. Naya folgte ihr, während Harper noch das Eis aus dem Gefrierschrank holte. »Der einzige Wermutstropfen war Ray selbst. Er kam vorbei, um nach dem Rechten zu sehen.« Sie legte die Hand auf ihren Brustkorb. »Das hat mir ein bisschen das Herz gebrochen. Also haben wir einen Kaffee getrunken, und dann ist er davongeschlurft.« Sie seufzte. »Er braucht sicher noch ein wenig Zeit, um sich von seinem Geschäft zu verabschieden.«

Naya nickte. »Es ist ja auch sein Lebenswerk. Ich würde mir aber keine Sorgen machen.« Sie wies mit dem Finger in Richtung Strandpromenade, wo neben Dexter Simpsons Eiswagen der Tisch der Poker-Gang stand, an dem Dex, Ray und Neele Chapman, die Besitzerin des Piece of Heaven, zockten, wann immer sie Zeit hatten – und vor allem versuchten, unschuldige Opfer an ihren Spieltisch zu locken. »Rays Freunde werden schon dafür sorgen, dass es ihm gut geht.«

»Ja, wahrscheinlich.« Brooke hob die Hand, als die Poker-Gang sie entdeckte und alle drei zu ihnen herüberwinkten. »Wenn das nicht hilft, stelle ich ihn als Aushilfe ein.«

Harper, die das Eis neben den Rest der ungesunden Snacks platzierte, lachte. »Solange du ihm nicht die Buchhaltung überlässt.«

»Niemals.« Brooke umarmte ihre Schwester. »An meine Bücher lasse ich von jetzt an niemanden außer dich.« Sie hatten viel zu lange gebraucht, das Chaos, das Ray über die Jahrzehnte mit seinem verhassten Papierkram angestellt hatte, in Ordnung zu bringen.

»Lasst uns erst mal anstoßen«, schlug Naya vor und ließ den Korken der Champagnerflasche knallen, die sie kalt gestellt hatten. Er zischte prompt unkontrolliert aus der Flasche, knallte gegen die Holzdecke der Veranda und ließ sie alle drei zusammenzucken. »Sorry.« Naya grinste. »Ich glaube, das ist ein Zeichen für einen explosiv guten Start in deine berufliche Zukunft.«

»Ganz sicher.« Brooke goss Eistee in eine Sektflöte und reichte sie Harper, während ihre Freundin ihnen Champagner einschenkte. Mit den Gläsern zum Toast erhoben standen sie auf der kleinen Veranda, den Blick auf den Strand und das Meer gerichtet, und Brookes Herz drehte vor lauter Glück einen Looping in ihrer Brust.

»Auf Wood by Wilson und Smells like Wood«, sagte ihre Schwester.

»Auf dich, Brooke«, schloss sich Naya an.

»Auf uns.« Brooke stieß mit den beiden an. »Danke für eure Unterstützung und den Mut, den ihr mir zugesprochen habt. Ohne euch wäre ich diesen Schritt nicht gegangen.«

»Das kann man nie wissen.« Naya lehnte sich an den Verandapfosten neben sich und nippte an ihrem Champagner. »Du hast so viel Talent. Und so viel Liebe für das, was du tust.«

Harper ließ sich in ihren Deckchair sinken und griff nach den Pringles, ihren Lieblingschips. »Das war schon klar, als du neben Mom im Schuppen gestanden und ihr beim Restaurieren alter Möbel geholfen hast.« Sie lachte leise. »Du hast damals eine umgedrehte Kiste gebraucht, weil du nicht einmal groß genug warst, um über die Werkbank zu schauen.«

»Hm.« Brookes Lächeln begann, melancholisch zu schmecken. Sie hatte sich immer zu ihrer Mom geflüchtet, wenn sie ihren Vater wütend gemacht hatte. Meistens hatte sie gar nicht gewusst, was seinen Zorn auf sie ausgelöst hatte. Aber in Mommys Schuppen hatte sie sich immer sicher gefühlt. Zwischen den alten, beschädigten Möbeln. Dem Geruch nach Beize, Lack und Lösungsmitteln. Holzleim und dem zarten Duft nach Rosen, der immer an Alice McNally gehangen hatte. Die Haare, die den gleichen goldblonden Ton wie Brookes und Reevas gehabt hatten, zurückgebunden, einen konzentrierten Ausdruck im Gesicht, hatte ihre Mutter ihr erklärt, woran man ein wertvolles Möbelstück erkannte. Wie man alte, geschmacklose Schichten farbigen Lacks entfernte. Die wunderschöne Maserung des Holzes wieder sichtbar werden und für sich selbst sprechen ließ. All das hatte etwas Magisches gehabt, und der Schuppen war nicht nur zu Brookes Zufluchtsort geworden. Sie hatte sich in Holz verliebt. In die vielfältigen Möglichkeiten und den Zauber, mit den eigenen Händen etwas Wundervolles zu erschaffen.

Brookes Vater hatte es nie leiden können, dass Alice so viel Zeit in ihrem Schuppen verbrachte. Aber sie war eine gute Restauratorin gewesen, und ihr Name hatte sich über die Grenzen des Countys hinweg herumgesprochen. Ein Zubrot, auf das die McNallys nicht hatten verzichten können.

Doch dann war Alice bei einem Autounfall gestorben, als Brooke gerade einmal zehn und Harper zwölf Jahre alt gewesen waren. Nachbarn hatten Harper und sie bedauert, weil sie nun ohne Mutter aufwachsen mussten. Andere hatten ihren Vater bemitleidet, weil er jetzt zwei Mädchen am Hals hatte, die kurz vor der Pubertät standen. Und hinter ihrem Rücken hatten böse Zungen behauptet, ihre Mom sei auf der Flucht gewesen, als ihr Wagen von einem Truck von der Straße katapultiert worden war. Auf der Flucht vor ihrem grausamen Ehemann, dessen Schikanen sie keine Sekunde länger ertragen hatte. Flucht. Ohne ihre Kinder.

Es waren nie Beweise gefunden worden, dass Alice ihren Mann verlassen und Brooke und Harper zurückgelassen hatte. Ihre Schwester hatte ihr außerdem über die Jahre immer wieder versichert, wie sehr ihre Mom sie geliebt hatte. Was Brooke auch ohne ihre Schwester klar gewesen war. Und doch hatte sich ein winziger Hauch Zweifel nie aus ihren Gedanken streichen lassen. Was wahrscheinlich einer der Gründe war, warum sie zu einem so widerspenstigen, rebellischen Teenager herangewachsen war. Wann immer sie den Bogen überspannt und von ihrem Vater eine Tracht Prügel kassiert hatte, war der Schuppen ihr Rückzugsort gewesen. Hier hatte sie den Geist ihrer Mutter noch immer spüren können. Den zarten Duft nach Rosen zwischen all den anderen Werkstattgerüchen erahnen können. Bis dieses kleine Refugium nach einem Streit mit ihrem Vater in Flammen aufgegangen war, als Brooke sechzehn gewesen war. Charles McNallys Art, sie zu bestrafen. Mit dem Feuer war alles verschwunden. Jede Erinnerung. Der Duft. Einfach alles. »Ich denke so gern daran zurück, wie ich Mom geholfen habe.«

Harper kannte sie zu gut. Sie hatte mit Sicherheit gespürt, dass Brookes Gedanken in die Vergangenheit abgeglitten waren, und drückte ihre Hand. »Auf jeden Fall hat diese Zeit dir geholfen, den Regency-Schrank zu erkennen, der der Anfang von allem gewesen ist.«

Vor zehn Jahren

Brookes Finger krallten sich an der Kante des Fließbandes fest, das die Waren vor ihr auftürmte, und wartete, bis die Welle aus Übelkeit über sie hinweggeschwappt war. Lebensmittel über Lebensmittel tauchten vor ihr auf, und sie war sich sicher, dass sich ihr Gesichtsausdruck beim Anblick von rohem Fleisch, Fisch und Erdbeeren (neuerdings hasste sie Erdbeeren) grünlich verfärbte.

Die ältere Frau, deren Einkäufe sie eigentlich in Tüten mit dem Walmart-Logo verpacken sollte, hielt Gabby, der Kassiererin, ihre Kreditkarte hin und warf Brooke einen skeptischen Blick zu. »Sie sollten hier keine Drogensüchtigen einstellen«, wisperte sie.

Gabby drehte den Kopf und bedachte Brooke mit einem aufmunternden Lächeln. »Wir stellen auch keine Drogensüchtigen ein, Ma’am«, sagte sie dann höflich. »Dieses Mädchen ist schwanger. Und ist es nicht eine Schande, dass sie sich als Packerin in einem Supermarkt zehn Stunden am Tag die Beine in den Bauch stehen muss, damit sie das Geld für ihre Vorsorgeuntersuchungen zusammenkratzen kann?«

Die Kundin wurde knallrot, murmelte etwas, das Brooke nicht verstehen konnte, und schnappte sich ihre Einkäufe, die sie inzwischen eingepackt hatte.

»Wir machen Schluss für heute«, verkündete Gabby und schaltete das Licht über ihrer Kasse aus.

Brooke wollte protestieren. Sie hatte ihre Stunden bereits voll und konnte sich eine Überstunde gutschreiben. Am Morgen hatte sie sich noch ganz okay gefühlt und gehofft, zwölf Stunden zu schaffen. Aber dann waren ihr die Knie weich geworden. Sie hatte Hunger. Die Hormone spielten verrückt, und sie hatte das Gefühl, jeden Moment umzukippen.

Gabby zog sie einfach hinter sich her, in den Personalbereich, wo sie ihre Taschen aus den Spinden holte, und dann weiter auf den Parkplatz. Der frische Wind, der von der Bucht aus nach Newport hineinwehte, half ihr ein wenig – aber nicht viel. Gabby führte sie zu ihrem klapprigen Honda Civic, wo sie Brooke auf den Beifahrersitz platzierte. Widerstand war zwecklos. Und Brooke viel zu erschöpft, um ihn zu leisten. Sie hatte keine Ahnung, was mehr an ihr nagte – die Übelkeit oder der Hunger.

Die Kassiererin bog vom Parkplatz des Supermarktes auf den Connell Highway ein und hielt auf den großen Kreisverkehr zu. Im ersten Moment war Brooke nicht klar, wohin sie eigentlich fuhren. Doch dann begriff sie, dass der Wagen auf den von Schlaglöchern und Pfützen übersäten Parkplatz vor dem Bishops’s rumpelte und sich mehr schlecht als recht in eine Parklücke quetschte. »Komm mit«, kommandierte Gabby, und Brooke stieg aus.

Sie sah das rot-weiß gestreifte Diner, das direkt am Kreisverkehr zur Navy-Base lag, jeden Tag. Auf dem Weg zur Arbeit und auf dem Rückweg. Sie wäre allerdings nie auf die Idee gekommen, hineinzugehen – dazu hatte sie schlicht kein Geld übrig. Das, was Harper in ihrem Job bei Marshall Construction nach Hause brachte, reichte gerade einmal für die Miete und das Nötigste darüber hinaus. Wenn ihre Schwester die Probezeit in vier Monaten hinter sich gebracht hatte, würde sie mehr bekommen. Aber bis dahin … Brookes Lohn bei Walmart war nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber sie hatte nicht wählerisch sein können. Niemand war bereit, eine Schwangere einzustellen, geschweige denn, ihr eine Krankenversicherung zu zahlen.

Hinter Gabby stapfte sie die wacklige Metalltreppe nach oben und inhalierte den Duft nach Pommes, Speck und Kaffee, als sie die Tür öffnete. Eine neue Welle der Übelkeit schwappte über ihren leeren Magen hinweg, verwoben mit dem dringenden Bedürfnis, etwas zu essen. Für den Bruchteil einer Sekunde war sie versucht, ihr restliches Geld auf den Tisch zu legen und alles an Essen zu ordern, was sie dafür bekommen würde. Aber das war lächerlich. Und egal, wie sehr ihr hier das Wasser im Mund zusammenlief, Harper schuftete wie eine Besessene und aß selbst viel zu wenig. Da konnte Brooke unmöglich ihr Geld in einem Diner auf den Kopf hauen. »Gabby, ich …«, begann sie und versuchte, einen Schritt zurück und in Richtung Ausgang zu machen.

»Setz dich da hin.« Die Kassiererin ignorierte ihren Protest und schob sie in eine der mit türkisfarbenem Kunstleder bezogenen Sitznischen. »Hey, Angie«, rief sie und winkte der Frau zu, die hinter dem Tresen stand, der sich über die gesamte Länge des Diners erstreckte. Davor fanden sich die üblichen verchromten Hocker mit roten Sitzflächen auf schwarz-weiß gemustertem Schachbrettlinoleum. Wie in unzähligen Diners in Amerika. Das Resopal des Tisches in ihrer Sitznische war zerkratzt, aber sauber. Und der Koch, der neben der Frau hinter dem Tresen – Angie – behände zwischen seinen Bratzonen hin und her tänzelte, war unglaublich dick und sang gut gelaunt und laut einen spanischen Popsong mit, der aus den Lautsprechern unter der Decke klang. Der Laden war gut besucht, und Brooke fühlte sich von Sekunde zu Sekunde zunehmend mehr fehl am Platz.

»Hey, Gabby.« Angie war zu ihnen herübergeschlurft. Die Kellnerin humpelte und wirkte müde. Mit der linken Hand wischte sie im Vorbeigehen den Tresen mit einem Lappen ab. Aber tatsächlich schien diese Putzaktion eher dazu zu dienen, sich beim Laufen abzustützen. »Hast du wieder einen deiner Sozialfälle angeschleppt?«, fragte sie und milderte die Beleidigung mit einem Lächeln ab. Was nichts daran änderte, dass Brooke sich nicht so sehen wollte, auch wenn sie genau das war.

»Tee für meine Freundin.« Gabby betonte das Wort, als wolle sie Angie widersprechen. »Kaffee für mich. Was willst du essen?«, wandte sie sich an Brooke.

»Nein … ich …« Brooke schüttelte den Kopf, schaffte es aber nicht, ihren sehnsüchtigen Blick von der deutlich jüngeren, agileren Kellnerin abzuwenden, die gerade einen Teller mit einem riesigen Berg Pommes und Chicken Wings vorbeitrug. »Ich kann nicht …«

Gabby seufzte. »Sie nimmt einen Cheese Burger mit extra Pommes und ein Stück warmen Apfelkuchen mit Sahne zum Nachtisch.«

»Sicher.« Angie griff nach dem Bleistift, den sie sich hinter das Ohr geklemmt hatte, und zog einen Block aus der Schürzentasche, um die Bestellung zu notieren.

»Gabby«, wisperte Brooke. »Ich kann das nicht bezahlen.«

Die Kassiererin drückte ihr in einer beruhigenden Geste die Hand, wartete aber, bis Angie sich zum nächsten Tisch umgewandt hatte, um ein paar Gläser abzuräumen. »Keine Sorge, das geht auf mich, Schätzchen. Hör zu.« Sie beugte sich ein wenig vor und sah sie ernst an. »Du kannst so nicht weitermachen, Brooke. Du musst essen. Und vor allem brauchst du einen Job, bei dem du dir nicht zehn oder zwölf Stunden am Tag die Beine in den Bauch stehen musst. Das ist nicht gut für dich und das Baby.« Sie nickte der jüngeren Kellnerin zu, die den Kaffee und den Tee brachte, schloss die Hände um die Tasse und inhalierte das Aroma des Kaffees tief, bevor sie einen Schluck trank und genüsslich seufzte. »Es ist nichts falsch daran, im Supermarkt zu schuften. Mach das, solange du musst. Aber hör nicht auf, nebenher nach anderen Jobs zu suchen. Etwas, was besser zu dir passt. Was nicht so anstrengend und kräfteraubend ist. Vertrau mir.« Mit der Tasse in der Hand wies sie auf Brookes zarte Rundung unter dem T-Shirt und trank ihren Kaffee mit einem großen Schluck halb leer. »Du wirst dafür keine zweite Chance bekommen. Entweder du behandelst dein Baby schon jetzt gut, oder du versaust es, bevor es richtig begonnen hat.« Mit einem weiteren Schluck leerte sie ihre Tasse, stellte sie auf den Tisch zurück und griff nach der Rechnung, die die Kellnerin bereits neben die Getränke gelegt hatte. »Tut mir leid, dass ich keine Zeit habe, dir beim Essen Gesellschaft zu leisten, Schätzchen. Ich muss zu meiner Schicht im Dollar Tree. Lass es dir schmecken. Kommst du nach Hause?«

Brooke nickte. »Ich nehme den Bus.«

»Wunderbar.« Gabby schob sich aus der Nische.

»Gabby, danke. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Das ist unglaublich nett von dir.«

Die Ältere legte ihr die Hand auf die Schulter. »Gern geschehen. Genieß den Burger. Die sind hier wirklich gut.«

Brooke sah ihr nach, als sie an der Kasse neben dem Eingang stehen blieb, zahlte und dann die Treppe hinunterpolterte. Sie war von Anfang an nett zu Brooke gewesen. Manche sagten über Gabby, dass sie ein Helfersyndrom hatte. Irgendjemand hatte sogar mal im Personalraum getuschelt, dass sie eine Kommunistin sei. Brooke war sich nicht ganz sicher, was für Menschen Kommunisten waren. Aber wenn sie so waren wie Gabby, dann waren sie zumindest sehr menschlich.

Sie wischte die Träne weg, die sich aus ihrem Augenwinkel gelöst hatte. So viel Nettigkeit war sie nicht gewöhnt. Sicher, die Leute in Hazelton waren auch freundlich gewesen. Aber sie hatten sich sofort das Maul über Brookes Familie zerrissen, sobald sie ihnen den Rücken zugekehrt hatten. Irgendetwas sagte ihr, dass Gabby kein bisschen wie ihre alten Nachbarn war.

Die junge Kellnerin lächelte sie an, als sie ihr Essen brachte und ihr einen guten Appetit wünschte. Brooke schloss die Augen und atmete den aromatischen Duft ein. Dann griff sie nach einer Pommes, schob sie sich in den Mund und kaute sie ganz langsam. Am liebsten hätte sie genüsslich gestöhnt. Trotzdem konnte sie ihr schlechtes Gewissen nicht zur Seite schieben. Immerhin ernährte sich Harper seit Wochen fast nur noch von Cornflakes und Erdnussbutter-Sandwiches. Wenn sie überhaupt etwas aß. Und Brooke saß hier und gönnte sich ein regelrechtes Festmahl. Sie beschloss, die Hälfe des Essens für ihre Schwester einpacken zu lassen. »Der Rest ist für dich«, murmelte sie und legte die Hand auf ihren Bauch.

Brooke war nicht ganz ehrlich zu Gabby gewesen, was den Bus anging. Vom Walmart bis zum Kellerloch, wie sie ihr Apartment in Admiral Hill, einem der heruntergekommeneren Stadtteile von Newport, nannten, waren es zweieinhalb Meilen. Eine halbe Meile hatte sie auf dem Weg zum Diner bereits gespart. Und nachdem sie sich so satt gegessen hatte wie schon lange nicht mehr, fühlte sie sich ein wenig träge, aber ihr war nicht mehr schlecht vor Hunger. Die Schwangerschaftsübelkeit, die sie ständig quälte, war ebenfalls weg. Die zwei Meilen, die von ihrem Heimweg übrig blieben, konnte sie problemlos zu Fuß gehen. Wie sie es auch sonst oft tat. Ab und zu nahm sie einer ihrer Kollegen in seinem Wagen mit, wenn er in die gleiche Richtung fuhr, aber meistens war sie auf sich selbst gestellt. Den Bus zu nehmen kam für sie nur in Ausnahmefällen in Frage. Wenn es in Strömen regnete, zum Beispiel. Aber auf keinen Fall an einem so warmen Sommerabend. Sie schlenderte, die Take-Away-Box für Harper in der Hand, in Richtung Admiral Hill.

Brooke hatte fast die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht, als sie auf einen Garagenflohmarkt in einer Seitenstraße aufmerksam wurde. Sie hatte Zeit, und es war definitiv angenehmer, im Sonnenschein ein wenig durch die Sachen zu stöbern, die die Verkäufer in ihre Auffahrt geräumt hatten, als in das feuchte, dunkle Kellerloch zurückzukehren.

Aus den Gesprächen, die um sie herumdrifteten, hörte sie heraus, dass die Besitzerin des Hauses gestorben war und ihre Erben dabei waren, ihren Hausstand aufzulösen. Brooke stellte sich die Frau vor, die hier gelebt hatte. Sie hatte alte Swing-Schallplatten gehört, gern gestrickt und offenbar eine Katze besessen. Beim Lesen hatte sie zu blutrünstigen, modernen Thrillern tendiert, stellte Brooke mit einem kleinen Lächeln fest, als sie durch die angebotene Auswahl blätterte. Dafür waren ihre Lampen gefühlt aus den Siebzigerjahren. Sie strich über die verstaubten Lampenschirme, als sie zu den aufgebauten Möbeln weiterging. Drei Kommoden, zwei Nachtschränkchen und ein … Brooke spürte, wie Adrenalin ihr System flutete. Das war … Sie trat näher, nicht sicher, ob sie sich vielleicht täuschte. Ihre Mutter hatte ihr so viel über Möbel beigebracht – sie konnte sich nicht irren. Sacht strich sie über das Holz des Sekretärs. Fünfundzwanzig Dollar sollte er kosten. Fünfundzwanzig … Vorsichtig sah Brooke sich um. Niemand schien sich für das Möbelstück zu interessieren. Niemand blickte überhaupt in ihre Richtung. Die Leute interessierten sich viel mehr für die Kleidung und das Geschirr der alten Dame.

Das Adrenalin ließ Brookes Herz so schnell rasen, dass es ihr beinahe wieder schlecht wurde. Vor Aufregung zitterten ihre Hände. Gabby hatte gesagt, sie solle nach einem alternativen Job Ausschau halten. Etwas, das nicht so anstrengend war. Das sie nicht so quälte. Noch einmal strich Brooke über das Holz, betrachtete die Schäden, die behoben werden mussten. Das war viel Arbeit. Aber es war machbar.

Brooke zog das Post-it mit dem Preis von der Oberfläche des Sekretärs und ging damit zu der Frau hinüber, die mit einer umgehängten Bauchtasche den Verkauf überwachte. Ihr blieben nur ein paar Schritte Zeit, sich eine Taktik zu überlegen. Kurz zog sie in Erwägung, der Verkäuferin zu sagen, was da in der Auffahrt stand. Aber hätte sie sich nicht Gedanken darüber machen können, bevor sie das Schmuckstück für fünfundzwanzig Dollar hierher gestellt hatte? »Hi«, sagte sie und lächelte die Frau an.

»Hallo. Wie geht es Ihnen, Liebes?«, antwortete sie freundlich.

Okay, sie war nett. Noch einmal wollte sich das schlechte Gewissen bemerkbar machen. Doch Brooke schob es zur Seite und holte tief Luft. Das hier konnte der nächste Schritt in die sichere Zukunft ihres Babys sein. In einer Geste, die ihr gar nicht so bewusst war, legte sie die Hand auf die kleine Wölbung ihres Bauches und reichte der Frau den Zettel. »Ich interessiere mich für den Schrank da hinten.«

»Oh.« Die Verkäuferin war der Bewegung ihrer Hand gefolgt und blickte für einen Moment auf Brookes Bauch, bevor sie nach dem Zettel griff. Dann begann sie zu strahlen. »Sie werden Mutter. Herzlichen Glückwunsch. Der Schrank ist eine perfekte Wahl. Haben Sie gesehen, dass man ihn an der Vorderseite öffnen und herunterklappen kann?« Diese Frau hatte wirklich keine Ahnung, dirigierte Brooke aber zu den Möbelstücken zurück und zeigte ihr, wie der Sekretär funktionierte. »Sie könnten einen hübschen Wickeltisch daraus machen«, schlug sie vor, und Brooke musste sich beherrschen, um nicht zusammenzuzucken.

»Das ist eine tolle Idee.« Brooke behielt ihr Lächeln bei. »Ich möchte ihn wirklich gern haben. Aber ich muss gestehen, ich habe nicht so viel Geld dabei.«

Die Frau blieb freundlich. »Wie viel ist er Ihnen denn wert, Liebes?« Sie hatte offenbar nichts dagegen, ein bisschen zu feilschen.

In Brookes Tasche befanden sich zwanzig Dollar und einunddreißig Cent. Die eigentlich schon komplett verplant waren. Aber wenn das hier klappte … »15 Dollar.«

»Machen wir zwanzig«, hielt die Besitzerin entgegen.

»Achtzehn?« Brookes Herz galoppierte noch immer dahin. Selbst wenn die Frau sich nicht darauf einließ, könnte sie das Möbelstück bezahlen.

»Abgemacht.« Die Frau hielt Brooke die Hand hin.

Überwältigt schlug Brooke ein und zog die Dollarscheine aus ihrer Tasche. Sie hatte gerade einen Sekretär im Regency Stil gekauft. Mit dem Geld, das für ihre Schwangerschaftsvitamine gedacht war. Harper würde ausflippen. Aber dieser Sekretär konnte ihr komplettes Leben verändern.

Jetzt

Naya lachte und spielte mit ihrer zarten goldenen Halskette. Der Herzanhänger daran blitzte im Licht der untergehenden Sonne auf. »Ich kann mich noch wie heute daran erinnern, wie du ausgerastet bist, als Brooke ihr letztes Geld für diesen verdammten Schrank ausgegeben hat«, sagte sie zu Harper.

»Das war kein verdammter Schrank«, protestierte Brooke.

»Ihre Worte, nicht meine«, ergänzte Naya mit einem Blick in Harpers Richtung. »Damals zumindest.«

»Du hattest einfach das Geld für deine Schwangerschaftsvitamine ausgegeben«, verteidigte sich Harper. »Die waren wichtig.«

»Aber wir hatten den Sekretär. Der alles verändert hat.« Brooke hob das Glas und stieß noch einmal mit ihrer Schwester und ihrer Freundin an.

Als Brooke das Möbelstück bei diesem Garagenverkauf entdeckt hatte, war ihr klar gewesen, dass sie ihn haben musste. Weil sie ihn verdammt teuer weiterverkaufen konnte, wenn sie ihn erst einmal restauriert hatte. Darüber, wo sie ihn aufbereiten wollte und wie sie ihn dorthin bekommen sollte, hatte sie nicht eine Sekunde lang nachgedacht. Die Verkäuferin konnte ihr nicht weiterhelfen. Harper und sie gingen zu Fuß, und Naya verfügte über ein altes, klappriges Fahrrad. Aber Brooke brauchte mindestens einen Pick-up oder einen Lieferwagen.

Sie hatte sich auf den warmen Asphalt gesetzt, den Rücken an den Sekretär gelehnt, den jetzt ein roter Verkauft-Sticker zierte, und die Schreinereien angerufen, die sie in Newport ergoogelt hatte. Niemand war an ihr und ihrem Schrank interessiert gewesen.

Als sich dunkle Wolken vom Meer her über den Himmel geschoben hatten, war ihr bewusst geworden, dass sie den Sekretär von der Straße bekommen musste, bevor er in einen Regenschauer geriet. In ihrem Leben hatte es nur eine Person gegeben, die den Transport organisieren konnte. Ganz einfach, weil sie alles organisieren konnte: Naya. Die Frau, die im benachbarten Kellerloch gewohnt hatte und in den wenigen Monaten seit ihrem Einzug zu einer wunderbaren Freundin geworden war.

»Und du hast auf diesem Weg Ray kennengelernt«, sagte die Freundin.

Naya hatte den Schreiner aus Jamestown von ein paar sozialen Projekten gekannt. Brooke war damals gar nicht auf die Idee gekommen, außerhalb von Newport zu suchen. Aber Ray hatte sich sofort in seinen Lieferwagen geschwungen und war über die Pell Bridge gefahren. Er war eingetroffen, kurz nachdem Brookes fuchsteufelswilde Schwester von Nayas Gepäckträger gesprungen war.

Brooke angelte nach einem sauren Gummiwurm und schob ihn sich in den Mund. »Ray hat unser Leben wirklich verändert. Keine Ahnung, wie lange ich es als Einpackerin bei Walmart noch ausgehalten hätte.«

Er war kein Mann großer Worte gewesen. War er noch immer nicht. Aber damals war er mit seinem Lieferwagen mit der Aufschrift Wood by Wilson vorgefahren, Harry auf dem Beifahrersitz. Er hatte den Sekretär von allen Seiten betrachtet und sich dann am Kopf gekratzt, bevor er von Brooke wissen wollte, ob sie diejenige war, die das Schätzchen erkannt hatte. »Gutes Auge«, hatte er gebrummt und das Möbel mit Harrys Hilfe eingeladen. Weil Brooke es nicht allein lassen wollte, war sie mitgefahren. Und weil Harper ihre Schwester auf keinen Fall mit zwei fremden Männern wegfahren lassen wollte, war sie ebenfalls eingestiegen. Naya war der Meinung, dass sie nicht alleine zurückbleiben wollte. Also wurde auch ihr Fahrrad in den Transporter verfrachtet, und sie hatten sich auf den Weg nach Jamestown gemacht.

Brooke und Harper waren erst einmal über die Pell Bridge gefahren – auf ihrem Weg nach Newport. Sie hatten damals von der Insel, die sie überquert hatten, und auf der sich Jamestown befand, nicht viel bemerkt. Das Städtchen lag versteckt vor dem Highway an der südlichen Spitze der Insel – und war so zauberhaft, dass Brooke sich auf der Stelle in diesen Ort verliebt hatte, als Ray die Ocean View Avenue hinunterfuhr. Genau wie in die Schreinerei. Ray hatte sich von ihr erklären lassen, wie sie den Schrank aufbereiten wollte und dann mit einem Brummen genickt, das wohl sein Einverständnis symbolisieren sollte. Sie hatten sich darauf geeinigt, dass der Schreiner zwanzig Prozent des Verkaufswertes bekam und sie dafür seine Werkstatt und die Werkzeuge der Schreinerei benutzen durfte. Als wäre das nicht genug gewesen, hatte er ihr einen kleinen Vorschuss gegeben, den sie dringend gebraucht hatte – um Harper wegen der Schwangerschaftsvitamine zu beruhigen. Und um die Tickets für die Fähre zu kaufen, mit der sie die Bucht von nun an täglich überquerte, um zu ihrem neuen Job zu gelangen. Ein paar Wochen später hatte Ray ihnen ein Apartment über der Garage angeboten. Es war winzig, aber hell, mit funktionierender Heizung und heißem Wasser in der Dusche. Nirgends war ein Fleck Schimmel zu entdecken gewesen. Die Schwestern hatte keine Sekunde gezögert und das Angebot angenommen.

Harper lachte und griff nach einem Stück Apfel von dem Obstteller, den sie neuerdings unter das Junkfood mischte. »Wenn du noch länger bei Walmart geblieben wärst, hättest du wahrscheinlich irgendwann einem unfreundlichen Kunden eine Dose Bohnen an den Kopf geworfen.«

Brooke stimmte in das Lachen ein. »Ich wäre vermutlich im Knast gelandet. Stattdessen ist eine echte Geschäftsfrau aus mir geworden.«

Sie hoben noch einmal die Gläser und tranken kichernd.

»Apropos Geschäftsfrau.« Naya warf ihr einen Seitenblick zu. »Jetzt, wo du die Verantwortung für Wood by Wilson und Smells like Wood hast, solltest du dich auf jeden Fall auf der Unternehmer-Gala blicken lassen. Und du auch, wenn du dich als selbstständige Buchhalterin etablieren willst«, sagte sie an Harper gewandt.

Brookes Schwester hob sofort abwehrend die Hände. »Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich das wirklich machen will. Im Moment kümmere ich mich nur um Brookes Bücher. Aber Blake wird sicher dort sein.«

»Ich würde gern hingehen«, sagte Brooke. Die Gala wurde von der Handwerkskammer ausgerichtet, und es würden jede Menge Geschäftsleute aus Newport, Jamestown und Middletown anwesend sein.

»Dann sollten wir alle zusammen gehen und Blake mitnehmen«, schlug Naya vor.

Harper schüttelte abermals den Kopf. »Ich hatte meine Gala dieses Jahr schon«, sagte sie. »Ich bleibe bei Reeva«, schlug sie vor, »und ihr lasst euch von Blake ausführen.«

Brooke lachte. »Das hätte ich mir übrigens auch nie vorstellen können. Ich begleite den Lord of Late Nights zu einer Gala.«

3

Owen ließ seinen SUV vor seinem neuen Zuhause ausrollen. Muschelkalk und Tannennadeln knirschten unter den Reifen.

»Ist es das?«, wollte Theo wissen und beugte sich vor, um durch die Frontscheibe einen besseren Blick auf das Strandhaus zu bekommen.

»Jepp.« Owen machte sich nicht die Mühe, das Haus so anzustarren wie sein Sohn. Er kannte es von früher. Auf dem Weg zur Grundschule war er damals jeden Tag daran vorbeigeradelt.

»Krass!« Theo sah zu ihm herüber und blickte dann wieder auf das Haus. »Das ist voll die Burg. Kann ich da oben mein Zimmer haben?« Aufregung vibrierte durch ihn wie elektrische Energie.

Owen zwang sich zu einem Lächeln, von dem er hoffte, dass es nicht so müde wirkte, wie er sich fühlte. »Das war der Plan. Falls es dir gefällt.«

»Ich liebe es!«, behauptete Theo umgehend.

Owen konnte ihn verstehen. In seinem Alter hatte er sich auch vorgestellt, wie er von diesem Turm aus als Forscher oder Seeräuber die Welt eroberte. »Da sind Grandma und Grandpa«, machte er Theo auf seine Eltern aufmerksam, die auf den Treppenstufen der Veranda gesessen und sich bei ihrer Ankunft erhoben hatten. Sie sahen so aus, wie er sich Claire und sich selbst in zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren vorgestellt hätte. Die Hand seines Dads lag auf dem unteren Rücken seiner Mutter. Als könne er nicht in ihrer Nähe sein, ohne sie zu berühren. Sie wirkten glücklich, jünger, als sie waren. Die Fahrräder, die am Zaun lehnten, zeigten, dass seine Mom in letzter Zeit viel Wert darauf legte, dass sein Dad gesünder lebte, damit sie ihr Leben als pensionierte Lehrerin und Physiotherapeut in Rente in vollen Zügen genießen konnten. Owen bemühte sich, nicht daran zu denken, dass Claire und er nie die Chance bekommen würden, als Pensionäre die Ocean View Avenue hinunterzuradeln oder bei einem Glas Wein im wunderschönen, verwunschenen Garten auf der Hollywoodschaukel zu sitzen, wie seine Eltern es in ihrem Haus oft taten, um sich von ihrem Tag zu erzählen. Diese Momente der Zweisamkeit, diese kleinen, wertvollen Augenblicke, das war das, was ihm am meisten fehlte. Die Zeit mit seiner Seelenverwandten.

In Windeseile schnallte sich sein Sohn ab und sprang aus dem Wagen, um lachend auf seine Großeltern zuzurennen und sich von ihnen in die Arme schließen und herumwirbeln zu lassen. Owen ließ den Kopf gegen die Sitzlehne sinken und atmete tief durch. Versuchte, an dem Kloß in seinem Hals vorbei Luft zu bekommen. Theos Freude war gut. Und vielleicht wurde dieser Neuanfang wenigstens für den Jungen nicht ganz so schwer wie für ihn. Owen hatte die stillen Tränen gesehen, die Theo geweint hatte, als ihr Haus im Rückspiegel immer kleiner und kleiner geworden war. Bis sie um die Ecke gebogen waren und es ganz aus ihrem Blick verschwunden war. Endgültig. Alles in Owen hatte geschrien, sofort umzukehren. Zurückzufahren. Und einfach so weiterzumachen wie in den vergangenen zwei Jahren. Die Knöchel seiner Finger waren weiß hervorgetreten, so heftig hatte er das Lenkrad umklammert. Sein Hals war so trocken wie Wüstenstaub gewesen. Und wie er es geschafft hatte, die in seinen Augen schwimmenden Tränen daran zu hindern überzulaufen, hatte er bis jetzt nicht verstanden.

Owen sah, wie seine Mutter zu ihm herüberblickte. Er löste den Sicherheitsgurt und schob die Wagentür auf. Seine Eltern hatten sich in den letzten Jahren genug Sorgen um ihn gemacht. Ganz besonders, weil sie sich auf der anderen Seite des Kontinents befunden hatten, während Theo und er durch die Hölle gegangen waren. Er setzte ein Lächeln auf und ließ sich von ihr in eine feste Umarmung ziehen, die so vertraut und tröstlich war, dass der Kloß in seinem Hals noch weiter anschwoll.

Annas Augen schimmerten feucht, als sie sich von ihm löste und ihm über die Wange strich wie damals, als er noch ein kleiner Junge gewesen war. »Schön, dass ihr da seid«, sagte sie leise.

»Mein Junge.« Owens Dad, David, schloss ihn ebenfalls in eine Umarmung und schlug ihm dann liebevoll auf den Rücken. »Wie war die Fahrt?«

»Gut.« Owen bemühte sich, sein Lächeln weiter beizubehalten. Er blickte an dem Haus hinauf, das er gekauft hatte, ohne es vorher zu besichtigen. »Sieht gar nicht so schlecht aus, wie ich es in Erinnerung hatte.« In seiner Kindheit hatte das Haus fast ein wenig bedrohlich gewirkt. Obwohl es ein Strandhaus war und der Turm, der sich an der Seite über das Dach erhob, fast rundherum mit Fenstern versehen war, hatten die von der Zeit dunkel gefärbten Zedernschindeln und der Efeu, der sich überall hinaufhangelte, etwas Düsteres an sich gehabt. Der wuchernde Efeu war inzwischen allerdings verschwunden und einem schmalen Vorgarten mit hübschen Blumen und sich im Wind wiegenden Pampasgras gewichen. Der helle Anstrich und die weißen Fensterlaibungen wirkten fröhlich und einladend. Und die Veranda, die sich an einer Seite um das Haus herumzuziehen schien, passte zur offenen Bucht, die sich hinter seinem neuen Zuhause ausdehnte.

Seine Mutter hakte sich bei ihm unter. »Es ist komplett saniert worden, als du zum Studium gegangen bist. Und letztes Jahr noch einmal renoviert. Ihr werdet es lieben«, versprach sie und zwinkerte Theo zu.

Außer dass es nicht ihr Zuhause war. Nicht zu dem Leben gehörte, das er sich mit Claire aufgebaut hatte. Er schob den Gedanken entschieden zur Seite. Seine Mutter hatte ihn zwar zu diesem Haus überredet, aber er hatte sich keine Gedanken darüber gemacht, ob es ihm gefallen würde. Jetzt spürte er tatsächlich eine Spur Aufregung und Vorfreude. Zumindest, wenn er Theo auf und ab hüpfen und immer wieder zu dem Turmzimmer hinaufblicken sah.

»Können wir reingehen?«, fragte Theo prompt.

»Na klar.« Anna bückte sich und hob eine Cupcake-Box auf, die Owen aus seiner Vergangenheit nur zu gut kannte. »Lasst uns das Haus besichtigen. Ich habe aus dem Piece of Heaven eine kleine Stärkung mitgebracht.«

Owens Dad schloss die Tür auf, und Theo stürmte voraus und die Wendeltreppe hinauf, die in den Turm führte. »Das ist so cool«, hörte er ihn im nächsten Moment brüllen.

»Ich glaube, da haben wir einen Volltreffer gelandet.« Anna schmunzelte.

»Definitiv.« Owen drehte sich einmal um die eigene Achse, um den großen, hellen Raum in sich aufzunehmen, der das Erdgeschoss ausmachte. Als Kind hatte das Haus wirklich etwas von einer Burg gehabt. Aber durch die riesigen Fensterfronten, die auf der gegenüberliegenden Wand einen Ausschnitt des Ozeans einrahmten, wirkte es viel offener und luftiger, als er sich das als Kind hätte vorstellen können.

»Da drüben ist die Küche«, erklärte Owens Vater und wies auf den Bereich hinter der Wendeltreppe, die in den Turm hinaufführte. »Dahinter ist ein ziemlich cooler Anbau, der dir gefallen könnte. Komm mal mit.« Er schlug Owen auf die Schulter und ging voraus, vorbei an der auf den ersten Blick gut ausgestatteten Küchenzeile und der Insel, an deren Seite sich ein Frühstückstresen befand, sodass man sogar morgens mit seinem ersten Kaffee auf das Meer hinausblicken konnte. Die Glaswand ließ sich an verschiedenen Stellen im Wohn- und Küchenbereich aufschieben und gab dem Betrachter das Gefühl, dass das Innere mit der Natur vor dem Haus zu einer Einheit verschmolz. Vor den Fenstertüren zog sich die wunderschöne Holzterrasse, die er bereits erahnt hatte, über die gesamte Länge des Hauses. Über einige steinige Stufen erreichte man das Holzdock, das zum Haus gehörte und an dem ein kleines Ruderboot auf den Wellen schaukelte.

Doch am meisten beeindruckte Owen der Bereich hinter der Küche. Er blieb in der Glasschiebetür stehen und betrachtete den großen, offenen Raum, den es in seinen Jugendjahren tatsächlich noch nicht gegeben hatte.

»Ich vermute, dass das so eine Art Sonnenzimmer oder Wintergarten ist«, sagte seine Mutter hinter ihm. »Vermutlich haben die ehemaligen Besitzer hier gefrühstückt. Aber du könntest …«