Winterzauber - Weihnachten auf Stonebridge Island - Ella Thompson - E-Book

Winterzauber - Weihnachten auf Stonebridge Island E-Book

Ella Thompson

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Beschreibung

Mistelzweige und Schneegestöber - Weihnachten in den Silver Brook Stables

Weihnachten 1990. Olivia Cooper ist eine starke Frau. Als ihr Ex-Mann Scott der Alkohol- und Spielsucht verfällt, wirft sie ihn kurzerhand raus. Sie zieht ihre beiden Töchter Abigail und Summer alleine groß und leitet erfolgreich die Silver Brook Stables – das Familiengestüt der Coopers. Immer an ihrer Seite ist Gestütsverwalter Jack, der für Olivia wie ein Fels in der Brandung ist. Zwischen den beiden entwickelt sich eine zarte Liebe. Doch dann steht Scott plötzlich wieder vor der Tür. Mit einer Nachricht, die nicht nur das Aus für das Gestüt, sondern auch für Olivias und Jacks gemeinsame Zukunft bedeuten könnte.

Die Weihnachtsnovelle zur Stonebridge-Island-Saga

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Seitenzahl: 176

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Das Buch

Der Pick-up rumpelte über die unebenen Holzbohlen der Brücke, die über den Silver Brook führte, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Nicht weil der Gestütsbetrieb reibungslos funktionierte. Nicht weil sich das Sonnenlicht in den Dachgauben des Ranchhauses brach, das ihr Leben lang ihr Zuhause war. Sondern weil ihr Gestütsverwalter, Jack Campbell, aus dem Wald trat …

Olivia sah ihm nach, wie er das Pony zum Sattelplatz führte. Jack Campbell war eine Konstante in ihrem Leben, solange sie sich erinnern konnte. Er war der Mann, dem sie uneingeschränkt vertraute. Innerlich schüttelte sie den Kopf über sich selbst. Feiertage machten sie immer ein bisschen rührselig.

Die Autorin

Ella Thompson, geboren 1976, verbringt nach Möglichkeit jeden Sommer an der Ostküste der USA. Ihre persönlichen Lieblingsorte sind die malerischen New-England-Küstenstädtchen. An den endlosen Stränden von Maine genießt sie die Sonnenuntergänge über dem Atlantik – am liebsten mit einer Hundenase an ihrer Seite, die sich in den Wind reckt.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Originalausgabe 10/2021

Copyright © 2021 by Ella Thompson.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München

Copyright © 2021 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Diana Mantel

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik-Design, München, unter Verwendung von © Bigstock (CasoAlfonso); Shutterstock.com (kesipun, jack photo); iStockphoto (lucky-photographer)

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-27687-4V002

www.heyne.de

ELLA THOMPSON

WINTERZAUBER – 

Weihnachten auf Stonebridge Island

Novella

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Prolog

»Meine Lieben, hier ist Coast 93.1 – eure Radiostation Nr. 1 in North-Eastern Maine.« Die Stimme aus dem Autoradio kämpfte kurz mit dem statischen Rauschen, das auf Stonebridge Island hinter jeder Hügelkuppe lauern konnte, und kehrte dann gut gelaunt und kräftig in die Kabine des Pick-ups zurück. »Wir haben den 21. November 1990. Morgen ist Thanksgiving! Seid ihr bereit für den Feiertag? Dieses Jahr solltet ihr nicht nur euren Truthahn vorbereiten, sondern auch überprüfen, ob eure Schneefräse funktioniert und das Notstromaggregat genug Diesel hat. Denn pünktlich zu Thanksgiving wird der erste Schneesturm der Saison über die nordöstlichen Küstenregionen hinwegfegen. Von Nova Scotia bis Bar Harbor werdet ihr knietief in der weißen Pracht versinken. Also Leute: Happy Thanksgiving! Passend zum Wetter spiele ich euch ›Ice Ice Baby‹ von Vanilla Ice.«

Olivia Cooper drehte das Radio leiser. Bon Jovi wäre ihr lieber gewesen. Sie hielt den Pick-up in der Spur, als er von einer Windböe erfasst und ordentlich durchgeschüttelt wurde. Die ersten Vorboten des Sturms.

Sie bog von der Old Country Road ab und fuhr unter dem Torbogen hindurch, der die Gäste in den Silver Brook Stables willkommen hieß, ergänzt vom Wappen des Gestüts: der Silhouette eines Pferdekopfes, mit einer Mähne, die zu einer Welle stilisiert war. Auf den weiß eingezäunten Koppeln, zwischen denen sie hindurchfuhr, glitzerte das mit Raureif überzogene Gras in der Sonne, die immer wieder zwischen den tief hängenden, anthrazitfarbenen Wolken hervorblitzte. Ihre Pferde grasten friedlich oder spazierten in Gruppen entspannt über die letzten Reste des Herbstlaubes. Eingekuschelt in ihr dichtes Winterfell, mit Mähnen, die fröhlich im Wind flatterten.

Immer wenn Olivia auf das Gestüt zufuhr, zog dieses wilde Kribbeln durch ihren Magen. Das war ihr Leben. Nie hätte sie gedacht, dass sich die Verantwortung für die Pferde und ihre Mitarbeiter bereits auf ihre Schultern legen würde, kaum dass sie volljährig geworden war. Jetzt, mit neunundzwanzig, konnte sie mit Stolz behaupten, dass sie in die großen Stiefel hineingewachsen war, die ihre Eltern ihr hinterlassen hatten. Und sie würde ihr Leben auf dem Gestüt mit nichts auf der Welt tauschen wollen.

Der Pick-up rumpelte über die unebenen Holzbohlen der Brücke, die über den Silver Brook führte, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Nicht weil der Gestütsbetrieb reibungslos funktionierte. Nicht weil sich das Sonnenlicht in den Dachgauben des Ranchhauses brach, das ihr Leben lang ihr Zuhause war. Sondern weil ihr Gestütsverwalter, Jack Campbell, aus dem Wald trat. Neben ihm ihre Tochter Abby, die das gescheckte Pony Polka am Zügel führte. Auf dem Pferderücken ihre zweite Tochter: Summer. Olivias Mädchen. Die beiden wertvollsten Schätze ihres Lebens.

Olivia parkte neben dem kleinen Rasenrondell auf dem Hof, wo bereits zwei andere Pick-ups standen. Der leicht verbeulte Wagen, den Benny, einer der Teenager, die hier einen Aushilfsjob hatten, fuhr. Und Jacks metallic schwarzer F 150, den er sich vor ein paar Monaten, nach dem Verkauf seines Hauses, geleistet hatte. Olivia vermutete, dass er den Erinnerungen entfliehen hatte wollen, nachdem seine Frau ihn hatte sitzen lassen, und sich stattdessen ein PS-starkes Männerspielzeug gegönnt hatte. Sie lehnte sich gegen den Kotflügel ihres ebenfalls nicht ganz rost- und beulenfreien Wagens und genoss die Wärme, die sich vom Motor aus in ihrem Rücken ausbreitete.

Ihre beiden Mädchen hatten sie längst entdeckt. Abby, die das Pony mit ihrer Schwester auf dem Rücken führte, winkte wild mit der linken Hand – Olivia konnte von ihrem Wagen aus erkennen, wie stolz sie war, Polka führen zu dürfen. Sie liebte es, Verantwortung zu übernehmen.

Summer, ihre Vierjährige, schenkte ihr einfach nur ein seliges Lächeln und streichelte Polka unablässig. Olivias Kinder waren von Anfang an mit den Pferden in Berührung gekommen. Aber Summer schien eine ganz besondere Verbindung zu den großen Tieren mit dem sanften Blick und dem seidigen Fell zu haben.

»Mommy! Wir waren ausreiten!«, rief Abby unnötigerweise quer über den Hof.

»Das sehe ich, mein Schatz. Ihr seht aus, als hättet ihr richtig viel Spaß gehabt«, rief Olivia zurück.

Ein Satz, der immer dafür sorgte, dass Summer aufhorchte. Ihr Kopf ruckte hoch, das Grinsen in ihrem Gesicht erreichte fast ihre Ohren. »Hast du gehört, Jack?«, fragte sie den großen, stillen Mann neben sich. »Mommy hat gesehen, wie viel Spaß wir hatten«, wiederholte sie ihre Worte. »Ich hätte noch viel mehr Spaß, wenn ich selbst ein Pferd wäre.« Der altbekannte, unerfüllte Traum ihrer Jüngsten. Sie ließ ihren Oberkörper nach vorne kippen und umarmte den Hals des Ponys. »Dann könnte ich bei Polka im Stall schlafen.«

»Ja, Mommy! Wir wollen Ponys sein! Und im Stall schlafen!«, rief Abby, während Jack ihr ein Zeichen gab, das Pferd anzuhalten, als sie Olivia erreichten.

»Na ja.« Olivia legte den Kopf schief und betrachtete ihre in dicke Daunenjacken, Schals und Mützen eingepackten Töchter einen Augenblick. »Ihr seht eher aus wie kleine Mädchen, die nicht im Stall schlafen sollten, sondern im Haus, wo sie mit ihrer Mom Plätzchen backen und heißen Kakao mit Marshmallows trinken können.«

»Kakao!«

»Plätzchen!«

Die beiden hatten das gleichzeitig gerufen – der Traum von der Übernachtung im Pferdestall war sofort vergessen. Zumindest für den Moment. Olivia streckte die Arme aus. Summer ließ sich hineinfallen und von Polkas Rücken heben.

Abby hatte Olivias Gestütsverwalter bereits die Zügel in die Hand gedrückt und war mit einem »Danke, Jack« unterwegs in Richtung Haus.

Summer blieb stehen und blickte zu Olivias Verwalter hinauf. »Du kannst ins Haus kommen, Jack, und auch einen Keks haben. Und Kakao«, lud sie ihn ein, bevor sie ihrer Schwester folgte. Wenn Summer nicht mit einem Pferd schmuste, rannte sie. In einem Tempo, das ihre große Schwester alt aussehen ließ. Und auch heute schaffte sie es, vor Abby die Verandastufen des Ranchhauses hinaufzustürmen.

Olivia musste lächeln, als sie ihren Töchtern nachsah, wie sie im Haus verschwanden. Sie drehte sich zu Jack um.

Von seinem Gesicht war unter dem Stetson und dem gegen die Kälte hochgezogenen Schal nicht viel zu erkennen. Aber auch seine Augen lachten. Er zog ein Leckerli aus der Tasche und hielt es Polka hin. »Mit Plätzchen und Kakao können wir zwei nicht mithalten«, sagte er zu dem Pony und strich ihm über den Hals.

Olivia schüttelte den Kopf. »Normalerweise vergessen sie nie, sich bei ihren vierbeinigen Freunden zu bedanken. Der Feiertag lässt sie ein bisschen durchdrehen. Sie sprechen schon seit Tagen von nichts anderem als der Thanksgiving-Party. Danke, dass du sie für eine Weile abgelenkt hast.«

»Wir hatten jede Menge Spaß.« Er warf einen Blick auf die Ladefläche des Pick-ups. »Kann ich dir helfen, das reinzutragen?«, fragte er.

Olivia seufzte und öffnete die Ladeklappe. »Ich habe keine Ahnung, wer das alles essen soll«, murmelte sie.

»Solange du nicht diejenige bist, die kocht«, zog Jack sie gut gelaunt mit der Tatsache auf, dass Olivia, abgesehen von Plätzchen für ihre Kinder und dem Bananenbrot, das sie regelmäßig buk, eine komplette Versagerin in der Küche war. Was ihr nichts ausmachte, da eine ihrer besten Freundinnen in einer Bäckerei arbeitete und eine andere ein Restaurant leitete.

»Du kannst mir helfen, das alles reinzuschleppen. Und dann müssen die Wohltätigkeitspakete aufgeladen werden, die wir gepackt haben. Die muss ich heute noch im Rathaus abgeben. Du kannst dir einen Kakao verdienen.«

»Aber nur, wenn ich auch Marshmallows bekomme.« Jack legte ihr in einer kurzen, kameradschaftlichen Geste die Hand auf die Schulter. »Ich versorge Polka, und dann kümmere ich mich darum.«

Olivia sah ihm nach, wie er das Pony zum Sattelplatz führte. Jack Campbell war eine Konstante in ihrem Leben, solange sie sich erinnern konnte. Er war der Mann, dem sie uneingeschränkt vertraute. Innerlich schüttelte sie den Kopf über sich selbst. Feiertage machten sie immer ein bisschen rührselig. Sie schnappte sich die ersten beiden Tüten von der Pritsche ihres Pick-ups und folgte ihren Kindern in die Küche.

*

Jack brauchte keinen Wecker. Er schlug die Augen im Morgengrauen auf, wie jeden Tag. Den Pferden war es egal, ob Thanksgiving war, Weihnachten oder Ostern. Sie hatten Hunger, und ihre Ställe mussten gemistet werden.

Mit einem Klicken und einem leisen Zischen schaltete sich die Zeitschaltuhr seiner Kaffeemaschine ein. Im nächsten Moment atmete Jack das Aroma des frisch aufgebrühten Koffeins ein. Er schob die Decke zur Seite und ging barfuß zu der winzigen Küchenzeile an der gegenüberliegenden Wand seines Cottages. Dann goss er den ersten Schluck Kaffee aus der Kanne in den Porzellanbecher, auf dem zu lesen stand, dass das Glück dieser Erde auf dem Rücken der Pferde lag. Gleich neben dem Spruch grinste ihm ein Pony entgegen. Abby und Summer hatten ihm den Becher zu seinem Geburtstag im Frühjahr geschenkt. Gefüllt mit Schokolinsen, die sie selbst vernichtet hatten, noch bevor der Geburtstagslunch, auf den Olivia bestanden hatte, vorüber gewesen war. Bei dem Gedanken an die beiden kleinen Wildfänge musste er grinsen. Er trat an das große Panoramafenster, das auf die Halfmoon Bay hinauszeigte.

Die Wetterfrösche hatten recht behalten. Der Schnee, der die Bucht bedeckte, schimmerte bläulich im fahlen Zwielicht. Die Kronen der Pinien bogen sich unter dem heftigen Wind, der noch mehr von der weißen Pracht über die Insel fegte. Jack nippte an seinem Kaffee und betrachtete das Naturschauspiel ein paar Minuten lang. Dann füllte er seine Tasse nach, stellte sie im Bad auf den Rand des winzigen Waschbeckens und zwängte sich in die Dusche. Nichts an der Hütte, in der er lebte, war groß. Aber mehr als das, was er hier hatte, brauchte er nicht. Das Haus, das er mit seiner Ex-Frau Jill bewohnt hatte, war nach ihrem Weggang von der Insel zu groß und still gewesen. Als Olivia beschlossen hatte, die alten, baufälligen Rancharbeiterunterkünfte auf dem Gestüt abreißen zu lassen und stattdessen die kleinen Cottages zu bauen, hatte er die Idee für gut befunden. Jack hatte sein großes, leeres Haus verkauft und war im Sommer der Erste gewesen, der in eine der Hütten gezogen war. Hier war er genau da, wo er hingehörte. In der Nähe der Pferde. Und in der Nähe von Olivia und den Mädchen. Für den Fall, dass sie ihn brauchten. Er hatte Olivias Vater, James Cooper, nicht nur versprochen, sich um sein Gestüt zu kümmern – er hatte seine Hand darauf gegeben, für Olivia da zu sein, wenn sie ihn brauchen sollte. Einmal hatte sie ihn wirklich gebraucht. Und dieses eine Mal war er einen Wimpernschlag zu spät gekommen, erinnerte er sich, während er erst Wollsocken und dann seine gefütterten Stiefel anzog.

Er ballte seine Hand zur Faust und betrachtete sie einen Moment. Jack verlor nicht oft die Beherrschung, aber Olivias Ex-Mann, Scott Martin, schaffte es, ihn seine gute Erziehung vergessen zu lassen. Er hatte rotgesehen, als er vor ein paar Jahren erfahren hatte, dass dieser Mistkerl die Hand gegen Olivia erhoben hatte. Wie gerne hätte er dieses Arschloch vom Hof geprügelt. Aber Olivia war allein mit ihm fertiggeworden. Zum Glück. Das war drei Jahre her, und Scott war seitdem nicht mehr aufgetaucht. Trotzdem fühlte Jack sich besser, wenn er in der Nähe der Cooper-Familie war.

Er schnappte sich seine Lammfelljacke, band sich seinen Schal um und setzte den Stetson auf. Dann machte er sich auf den Weg zu den Ställen. Vor dem Cottage versank er bis zu den Knien im Schnee. Wenn er mit seiner Arbeit mit den Pferden fertig war, würde er die Schneefräse anwerfen und den Hof und die Zufahrt freiräumen. Andernfalls würden es Olivias Thanksgiving-Gäste nicht bis zu den Silver Brook Stables schaffen.

Im Erdgeschoss des Ranchhauses brannte bereits Licht, stellte Jack fest, als er den Hof überquerte. Olivia tauchte in dem gelben Rahmen aus warmer Helligkeit auf, die das Küchenfenster in die Dämmerung malte. Sie trug einen Morgenmantel. Ihre dunklen Locken waren zu einem schiefen Knoten auf dem Kopf zusammengefasst. Sie trank aus einem großen, pinkfarbenen Kaffeebecher, auf dem »Beste Mommy der Welt« stand. Ebenfalls ein Geschenk von Abby und Summer. Ohne ihren Kaffee abzustellen, nahm sie die Milch aus dem Kühlschrank und platzierte Cornflakes und Schüsseln auf den Tisch. Im nächsten Moment stellte sie ihren Becher doch zur Seite und breitete mit einem strahlenden Lächeln die Arme aus. Ihre Töchter stürmten, noch in ihren Pyjamas, in die Küche und warfen sich mit dem Urvertrauen, das nur kleine Kinder hatten, in ihre Arme. Olivia zog sie an sich und schloss für einen Moment die Augen. Jacks Schritte wurden langsamer. Er stellte sich vor, wie sie den warmen Geruch der Mädchen, an denen noch der Schlaf hing, einatmete.

Sein Brustkorb zog sich zusammen, als er die drei beobachtete. Olivias Töchter wanden sich schließlich aus der Umarmung und begannen herumzuhüpfen. Olivia griff lachend nach ihrer Tasse und tanzte mit ihnen durch die Küche. Vielleicht zu einem Bon-Jovi-Song aus dem Radio. Olivia mochte Bon Jovi.

Jack wurde bewusst, dass er stehen geblieben war und zum Haus hinüberstarrte. Wie ein Stalker im trüben Licht des anbrechenden Tages. Er schüttelte über sich selbst den Kopf, zog seinen Schal gegen den Wind über seine Nase und stapfte in Richtung Stutenstall. Vor dessen Tod hatte er Olivias Vater versprochen, immer ein Auge auf sein kleines Mädchen zu haben – das längst eine erwachsene Frau war. Unabhängig und stolz. Sie würde mit Sicherheit nicht viel davon halten, dass er vor lauter Starren seinen Job vergaß. Und sein Job waren die Pferde.

Normalerweise ging es auf dem Gestüt recht locker zu. Der Unabhängigkeitstag am 4. Juli zum Beispiel wurde an einem Lagerfeuer hinter dem Haus gefeiert. Am Weihnachtsmorgen hüpften die Coopers in ihren Motto-Pyjamas durchs Haus. Nur Thanksgiving bildete eine Ausnahme: An diesem Tag herrschte bei Olivia Krawattenzwang. Zumindest bis nach dem Essen das Footballspiel lief. Bei dieser Gelegenheit ließen die Männer die nervigen Dinger, die einen strangulierten, meistens unauffällig in ihren Taschen verschwinden. Jack betrachtete sich im Spiegel und rückte den Knoten der dunkelblauen Krawatte zurecht. Wenn er so ein Ding tragen wollte, wäre er nicht Gestütsverwalter, sondern Banker geworden. »Was soll’s«, brummte er und griff nach seiner Lammfelljacke. Diesen einen Tag im Jahr würde er es aushalten.

Auf dem Hof parkten bereits einige Pick-ups der Freunde, die Olivia eingeladen hatte. Jack trat auf die Veranda und klopfte sich den Schnee von den Stiefeln. Die Fenster des Ranchhauses strahlten einladend warm in die Nacht. An der Tür hing ein großer, herbstlicher Kranz aus Getreideähren, Äpfeln und Ahornblättern. Darunter hatte eines der Mädchen einen selbst gebastelten Truthahn gehängt, dessen rechter Flügel schon ein wenig lahm herunterhing. Kürbisse und Windlichter, in denen dicke Kerzen flackerten, waren einladend links und rechts von der Tür aufgestellt. Jack trat in den Windfang. Er zog seine Stiefel aus und stellte sie neben die Ansammlung der Schuhe, die Olivias Gäste ausgezogen hatten, um keinen Schnee ins Haus zu schleppen. Dann öffnete er die Tür und trat in den warmen Kokon aus Lachen, Gesprächen und Essensdüften.

Olivia war die Erste – und Einzige –, die er wahrnahm, obwohl der Raum bereits voller Menschen war. Sie stand am Kamin. In einem Cocktailkleid, das eine Handbreit oberhalb ihrer Knie endete. Ihre schlanken Beine steckten in schwarzen Riemchen-High-Heels. Ihre Wangen waren gerötet, und die ausdrucksstarken, bernsteinfarbenen Augen glänzten. Das flackernde Kaminfeuer warf rotgoldene Schatten auf ihre Haut, und ein paar Haarsträhnen hatten sich aus dem lockeren Haarknoten in ihrem Nacken gelöst und rahmten ihr Gesicht ein. Für den Bruchteil einer Sekunde schoss der Gedanke durch seinen Kopf, dass sie die schönste Frau war, die er jemals gesehen hatte. Es war fast, als würde sie von Tag zu Tag schöner.

»Jack!«, hörte er, wie sein Name im Duett gerufen wurde, und im nächsten Moment umklammerten Abby und Summer seine Beine und grinsten zu ihm herauf. »Frohes Thanksgiving!«

»Hey, ihr zwei.« Jack beugte sich zu den beiden hinunter. »Ihr seht umwerfend aus«, sagte er mit Blick auf die identischen Truthahn-Haarsprangen.

»Ja. Voll thanksgivingisch«, sagte Abby altklug und strich über den Haarschmuck. »Die haben wir von Maxine. Sie passen zu ihren Ohrringen.«

Jack lachte. Erleichtert, dass es zwei kleine Mädchen geschafft hatten, ihn abzulenken, bevor seine Gastgeberin bemerkte, dass er sie anstarrte. Wenn es einen Gedanken gab, den er sich verkneifen sollte, dann den an Olivias Schönheit. Sie war nicht nur sein Boss, sie könnte zudem seine Tochter sein. Zumindest fast, mit den fünfzehn Jahren, die sie jünger war als er.

»Erzählst du uns Pferdegeschichten?«, bettelte Summer.

»Jetzt lasst Jack doch erst mal ankommen.« Olivia trat zu ihnen, und er konnte ihren leichten, frischen Duft wahrnehmen, der ihn eher an den Frühling erinnerte als an den Winter, in den sie gerade schlitterten.

*

Olivia ging wie immer das Herz auf, wenn sie Jack gemeinsam mit ihren Töchtern sah. Manchmal hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie ihn als Vaterersatz für die Mädchen missbrauchte. Abby und Summer brauchten einen Mann in ihrem Leben, zu dem sie aufblicken konnten. Einen klugen, starken Mann, der trotzdem sanft und liebevoll war. Zuverlässig. Diese Art von Vorbild brauchten sie. Auf jemanden wie ihren leiblichen Vater konnten sie dagegen getrost verzichten.

Sie schenkte Jack an der Bar ein Glas von seinem Lieblingsscotch ein, bevor sie zu ihm hinüberging, um ihn wenigstens für diesen Abend vor ihren anhänglichen Kindern zu retten.

»Jetzt lasst Jack doch erst mal ankommen«, sagte sie, als sie hörte, wie Summer ihn anbettelte, Pferdegeschichten zu erzählen. Olivia reichte ihm das Glas. Seine von der Arbeit auf dem Gestüt rauen Finger strichen über ihre, als er den Tumbler entgegennahm, und schickten ein warmes Kribbeln über ihre Haut. »Frohes Thanksgiving«, wünschte sie ihm und stieß mit ihm an, bevor sie an ihrem Champagner nippte.

»Danke. Das wünsche ich dir auch.« Jacks Lächeln ließ die kleinen Fältchen in seinen Augenwinkeln erscheinen. Er blickte zur gedeckten Tafel hinüber, an der sie gemeinsam mit ihren Freunden essen würden. Sie war mit Kerzen dekoriert. Mit Blättern, die der Herbst bunt gefärbt hatte. Äpfel, Nüsse und kleine Kürbisse waren auf dem weißen Tischtuch verteilt, und ihre Töchter hatten auf jeden Platz einen Tannenzapfen gelegt, den sie davor akribisch für jeden Gast individuell ausgewählt hatten. »Sieht toll aus«, sagte er mit einem Nicken in die Richtung. »Und es riecht verdammt gut.«

Olivia drehte das Champagnerglas zwischen ihren Fingern. Sie war nervös in Jacks Gegenwart. Was irgendwie … lächerlich war. Sie arbeiteten zusammen, und dabei hatte sie sich nie so merkwürdig gefühlt. Jeans, Stiefel und eine Mistgabel waren offenbar etwas völlig anderes als dieses Cocktailkleid (zu dem Marsha sie überredet hatte) und Jack in Hemd und Krawatte. »Bei der Deko haben mir die Mädchen geholfen.« Sie hob in einer unschuldigen Geste die Hände. »Und mit dem Essen habe ich nichts zu tun.«

»Jack erzählt uns Pferdegeschichten.« Summer hüpfte begeistert auf ab.

»Das klingt toll.« Olivia strich ihrer Jüngsten den Zopf hinter die Schulter. »Belagert ihn nur nicht zu sehr. Vielleicht will sich auch der eine oder andere Erwachsene mit ihm unterhalten.« Sie lächelte Jack an. »Ich muss zurück in die Küche.«

»Fass dort lieber nichts Essbares an«, rief er hinter ihr, als sie sich zum Gehen wandte.