Opas Seefahrtzeit – Ing-Assi und Seemaschinist 1959 bis 1964 - Bernd Herzog - E-Book

Opas Seefahrtzeit – Ing-Assi und Seemaschinist 1959 bis 1964 E-Book

Bernd Herzog

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Beschreibung

Bernd Herzog, Geburtsjahrgang 1940, berichtet aus seiner Fahrzeit in den 1960er Jahren auf unterschiedlichen Schiffen. Er musterte 1960 zunächst als Ing.-Assi auf dem MS "AUGUSTENBURG" an. Man brachte auf der ersten Reise VW-Käfer über den Atlantik in die Staaten. Dann fuhr er auf dem Seelenverkäufer MS "EMIL BERGER" durch Norwegens Bergwelt nach Archangelsk, um Schnittholz zu holen. Weitere Schiffe waren die "WORLD EXPLORER", TMS "ELSA ESSBERGER", MS "TOGO" und TMS "ROLAND ESSBERGER" Bernd Herzog fuhr mit Begeisterung zur See, bis seine Braut ihn vor die Entscheidung stellte: "The sea or me". Er schildert dann noch ausführlich seine Erfahrungen als ehrenamtlicher Maschinist unter grünen Segeln auf SS "ALEXANDER VON HUMBOLDT", zuletzt bei einem Einsatz an Südamerikas Westküste von Valparaiso bis Callao. Dieses Buch erinnert an die Welt der Seefahrt früherer Jahrzehnte. Rezensionen zur Buchreihe: Ich bin immer wieder begeistert von der "Gelben Buchreihe". Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. Danke, Herr Ruszkowski. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights der Seefahrts-Literatur. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechselungsreiche Themen aus verschiedenen Zeitepochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlich hat. Alle Achtung!

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Bernd Herzog

Opas Seefahrtzeit – Ing-Assi und Seemaschinist 1959 bis 1964

Fahren auf „ALEXANDER VON HUMBOLDT“ – Band 64 in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Widmung

Beginn meiner Seefahrt auf MS „AUGUSTENBURG“

Mit MS „AUGUSTENBURG“ in Amerika

Mit MS „AUGUSTENBURG“ über den Äquator nach Buenos Aires

MS „EMIL BERGER“

Mit MS „WORLD EXPLORER“ – unter fremder Flagge

TMS „ELSA ESSBERGER“ (Tankmotorschiff)

MS „TOGO“

TMS „ROLAND ESSBERGER“

Besatzung auf deutschen Handelsschiffen um 1960

SS „ALEXANDER VON HUMBOLDT“

Einmal im Leben! – Mit Vollzeug auf ALEXANDER VON HUMBOLDT rund Südamerika

Seemännische Umgangssprache und Fachausdrücke – A – L

Seemännische Umgangssprache und Fachausdrücke – M – S

Seemännische Umgangssprache und Fachausdrücke –T– Z

Weitere Informationen

Die maritime gelbe Buchreihe

Impressum

Vorwort des Herausgebers

Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein Hotel für Fahrensleute mit zeitweilig 140 Betten. In dieser Arbeit lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

Im Februar 1992 kam mir der Gedanke, meine Erlebnisse bei der Begegnung mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen, dem ersten Band meiner maritimen gelben Reihe „Zeitzeugen des Alltags“: Seemannsschicksale.

Insgesamt brachte ich bisher über 3.800 Exemplare davon an maritim interessierte Leser und erhielt etliche Zuschriften als Reaktionen zu meinem Buch.

Ein Schifffahrtsjournalist urteilte über Band 1: „...heute kam Ihr Buch per Post an – und ich habe es gleich in einem Rutsch komplett durchgelesen. Einfach toll! In der Sprache des Seemannes, abenteuerlich und engagiert. Storys von der Backschaftskiste und voll von Lebenslust, Leid und Tragik. Dieses Buch sollte man den Politikern und Reedern um die Ohren klatschen. Menschenschicksale voll von Hochs und Tiefs. Ich hoffe, dass das Buch eine große Verbreitung findet und mit Vorurteilen aufräumt. Da ich in der Schifffahrtsjournalistikbranche ganz gut engagiert bin, ...werde ich gerne dazu beitragen, dass Ihr Buch eine große Verbreitung findet... Ich bestelle hiermit noch fünf weitere Exemplare... Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit dem Buch, das wirklich Seinesgleichen sucht...“

Diese Rezensionen beflügelten mich: Ich bin immer wieder begeistert von der „Gelben Buchreihe“. Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. Danke, Herr Ruszkowski.

oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights der Seefahrts-Literatur. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechselungsreiche Themen aus verschiedenen Zeitepochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlich hat. Alle Achtung!

Diese Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage ermutigen mich, in weiteren Bänden noch mehr Menschen vorzustellen, die einige Wochen, Jahre oder ihr ganzes Leben der Seefahrt verschrieben haben.

In diesem Band 64 können Sie wieder den Bericht eines ehemaligen Seemanns lesen. Bernd Herzog erzählt sehr informativ aus seiner Seefahrtszeit um 1960 und von zwei Reisen 2005 und 2006 als ehrenamtlicher Maschinist auf der Bark SS „ALEXANDER VON HUMBOLDT“ der Deutschen Stiftung Sail Training (DSST).

In diesem Zusammenhang wurde ich bei der Lektüre des Manuskripts wieder einmal an den bekannten Theologieprofessor und langjährigen Prediger auf der Kanzel des Hamburger Michels, Helmut Thielicke, erinnert, der 1958 eine Seereise nach Japan auf einem Frachtschiff der Hapag unternahm und seine Erlebnisse an Bord in dem Buch „Vom Schiff aus gesehen“ zusammenfasste. Seine hautnahen Begegnungen auf dieser wochenlangen Reise mit Seeleuten brachten ihn zu dem Bekenntnis, dass ihm eine ganz neue, bisher unbekannte Welt erschlossen worden sei und er nun eigentlich sein kurz zuvor veröffentlichtes Ethikwerk umschreiben müsse: „Ich bemühte mich nach Kräften, offen zum Hören zu bleiben und – so schwer es mir fällt – selbst meine stabilsten Meinungen in diesem thematischen Umkreis als mögliche Vorurteile zu unterstellen, die vielleicht einer Korrektur bedürfen. Ich frage mich ernstlich, was an diesen meinen stabilen Meinungen christlich und was bürgerlich ist… Ich merke, wie schwer es ist, sich im Hinblick auf alles Doktrinäre zu entschlacken und einfach hinzuhören – immer nur hören zu können und alles zu einer Anfrage werden zu lassen... Bei meiner Bibellektüre achte ich darauf, wie nachsichtig Jesus Christus mit den Sünden der Sinne ist und wie hart und unerbittlich er den Geiz, den Hochmut und die Lieblosigkeit richtet. Bei seinen Christen ist das meist umgekehrt.“

Hamburg, 2013 / 2014 Jürgen Ruszkowski

Widmung

In Andenken an meine erste große

und unvergessene Liebe – die See

Von Opa Bernd

für seine Enkelkinder

Nils, Björn, Lilli, Madita

Beginn meiner Seefahrt auf MS „AUGUSTENBURG“

– Kühlschiff „AUGUSTENBURG“ – Aquarell von Erhard Neumann –

Schneeweiß mit einem Rumpf, der eher einer Jacht als einem Frachtschiff glich, lag sie an den Pfählen.

Seekrank

Am 30. September 1960 hatte ich meine 3½ jährige Lehrzeit als Schiffsmaschinenbauer auf der Schliecker Werft beendet und damit die Voraussetzung für eine Tätigkeit als Ingenieurs-Assistent bei der Seefahrt erfüllt.

Dass ich zur See fahren würde, stand schon bei meiner Geburt fest! Recherchen und ein bisschen Rechnen haben ergeben, dass meine Mutter im Januar 1940 auf dem Nordatlantik mit an Bord der „BÄRENFELS“ von der Bremer-Lloyd-Reederei war, wo mein Vater als 1. Ingenieur fuhr.

War ich doch schon mit 5 Jahren bei meinem Vater an Bord im Hamburger Hafen, wo mein Vater bei der Marine-Dienstgruppe der britischen Besatzer arbeitete, so dass meine Mutter meine Lebensmittel-Marken mit für meinen Bruder verwenden konnte.

Am 4. Oktober 1960 habe ich dann als Ingenieurs-Assistent auf dem 3.638-BRT-Kühlschiff „AUGUSTENBURG“ angemustert.

An Bord wurde ich vom II. Ingenieur Meier begrüßt. Herr Meier war kein Hamburger, er war „Blankeneser“. Da wir einen Supercargo mit an Bord hatten, wurde mir erst mal eine Kammer auf dem Achterdeck über der Schraube zugewiesen.

Da wir noch einige Tage an den Pfählen liegen sollten, fuhr Herr Meier jeden Abend nach Hause.

Von Blankenese mit der Straßenbahn zum Hafen kam Herr Meier über den Gänsemarkt, wo er für die Besatzung jeden Tag beim Stadtbäcker Brötchen holte – bis, ja bis ihn zufällig ein anderes Besatzungsmitglied beim Brötchenkauf beobachtete. Herr Meier kaufte nämlich Brötchen vom Vortag, die waren 2 Pfennige billiger. Uns hat er natürlich den vollen Preis berechnet.

War eben ein echter Blankeneser. Bloß, nun war es vorbei mit morgens Brötchen, wenn wir auch so kleinlich waren.

Aber nun war es auch soweit. Wir verholten an die Pier und wurden mit Hunderten von VW-Käfer-Autos beladen. Alle fabrikneu mit Wachs überzogen, wurden sie bis in die hintersten Ecken geschoben und jeder einzeln verzurrt. Mir kam das ja etwas übertrieben vor, aber ich wurde bald eines Besseren belehrt!

Endlich ging es los! Nach Amerika zu den Indianern, hatte ich doch so viel bei Karl May gelesen, zu den Wolkenkratzern, hatte ich in der Zeitung doch Bilder gesehen, wie die Bauarbeiter im achtzigsten Stock auf einem Eisenträger sitzend Frühstück machten!

Die Wachen waren eingeteilt. Es gab an Bord drei Wachen, von 4 bis 8 Uhr, 8 bis 12 Uhr und von 12 bis 4 Uhr, jeweils am Tag und in der Nacht, darum wurde die nächtliche 12 bis 4 Wache auch Hundewache genannt.

Auf Revierfahrt wurden die Wachen doppelt besetzt, das heißt, man musste zwei Stunden vor und zwei Stunden nach seiner eigentlichen Wache in der Maschine sein. Also 8 Stunden Dienst, 4 Stunden frei und wieder 8 Stunden Dienst. Revierfahrt war vom Ablegen, bis das Schiff die offene See erreicht hatte, der letzte Lotse das Schiff verlassen hatte oder der Kapitän es für erforderlich hielt. Das alles für umgerechnet 300 Mark plus 60 Mark Überstundenpauschale im Monat. Davon wurde die Hälfte auf ein Sparbuch überwiesen, die andere Hälfte war Bordguthaben, von dem man Geld entnehmen konnte für Landgang und für Waren, die wir an Bord kaufen konnten. Außerdem hatte man noch ein Uniformkonto, auf das die Reederei jeden Monat 24 Mark überwies. In meinem Fall hatte ich bei dem Uniformausstatter Brennecke eine Erstausstattung für 370 Mark erhalten. Diese wurde mit den 24 Mark durch die Reederei abbezahlt. Wenn man aber bei der Reederei kündigte oder entlassen wurde, musste die Restsumme selber bezahlt werden.

Bei mir dauerte es also 15 Monate, bis die Uniformen bezahlt waren. Der Haken an der Geschichte war aber, dass nach 15 Monaten die Uniform auch verschlissen war, so dass man praktisch mit seinem Uniformkonto immer im Minus war.

Die beiden Hauptmaschinen bestanden aus zwei 10-Zylinder-MAN-Zweitakt-Motoren, ca.15 Meter lang und 3 Stockwerke hoch. Jede Maschine mit 3.600 PS. Die 4-bis-8-Wache war die Wache des zweiten Ingenieurs, da dieser die gesamte Verantwortung für die Maschinenanlage hatte. Auf der Wache wurden alle wichtigen Arbeiten gemacht. Zum Beispiel den Brennstoff-Tagestank über die Separatoren füllen, Leistungsmessungen der einzelnen Zylinder, Peilungen aller Brennstoff- und Ölbestände, Einteilung der Tagelöhner, das sind Schmierer und Reiniger, die zusammen mit dem Storekeeper Reinigungs- und Malerarbeiten machten, außerdem waren sie bei den Überholungen der Hilfsdiesel mit behilflich, die aber im wesentlichen von den Ing-Assis gemacht werden mussten, hatten sie doch 3 ½ Jahre Maschinenbau gelernt.

Die Hilfsdiesel dienten zur Stromerzeugung für das ganze Schiff. Es gab drei Hilfsdiesel, die nur im Hafen alle eingesetzt wurden, wenn die Winschen für den Ladebetrieb oder die Kühlanlage Strom brauchten. Im normalen Betrieb auf See genügten ein Diesel für die Stromversorgung und einer für den Notfall. Sobald wir auf offener See waren, im Atlantik nach der Passage des Englischen Kanals, wurde also ein Diesel zerlegt, natürlich nicht von den Wachhabenden, für die gab es genug andere Aufgaben. Das hieß für mich, von 4 bis 8 Uhr Wache, Frühstück, von 9 bis 12 Uhr Arbeiten an dem Diesel, Mittagessen, dann Sachen für mich erledigen z. B. Wäsche waschen (von Hand). Waschmaschinen an Bord gab es noch nicht. Berichte schreiben, lernen für die Aufnahme-Prüfung zur Ingenieurs-Schule. Manchmal ein bisschen Mittagsschlaf. Um 16 Uhr dann wieder auf Wache.

Um 18 Uhr wurde ich von einem Kollegen für eine halbe Stunde zum Abendbrot abgelöst. Das heißt aber nicht, eine halbe Stunde gemütlich essen, sondern aus der Maschine in die Kammer, Arbeitszeug ausziehen, waschen, Uniform anziehen, ohne Uniform durfte man in der Offiziersmesse nicht erscheinen, zum Essen gehen, wieder in die Kammer, umziehen und wieder in die Maschine. Alles in einer halben Stunde. Wenn man zu spät kam, war der Kollege sauer, denn Abendbrot wurde nur bis 19 Uhr serviert. Außerdem musste man sich noch mit dem Steward gut verstehen, sonst bekam man das Essen so heiß serviert oder spät, dass von der Pause nicht viel übrig blieb.

Zurück zum Auslaufen aus Hamburg, ich war also in die 4-8-Wache bei Meier-Blankenese eingeteilt.

Gesteuert wurde die Maschinen von der Stirnseite über Handräder, die Steuerbord-Maschine vom 2. Ing. die Backbord-Maschine vom 3. Ing. Meine Aufgabe war das Führen des Manöverbuchs. An einem Stehpult musste ich alle Manöver, Befehle, die von der Brücke über den Maschinen-Telegrafen kamen, aufschreiben.

Zum Beispiel: Steuerbord Maschine: 10:20 Uhr halbe Voraus, Backbord Maschine: 10:21 Uhr voll Voraus usw.

Neben dem Stehpult war das Telefon mit direkter Verbindung zur Brücke. Es klingelte, und der II. Ing. gab mir ein Zeichen, dass ich rangehen sollte. Irgendjemand sagte „Wasser an Deck“. Nun war ich ja ein plietscher Hamburger Jung und hatte schon viel davon gehört, dass die Neuen an Bord erst mal ganz schön veralbert werden, von wegen Kompassschlüssel holen und sonstigen Blödsinn. Da wir gerade erst Mal in Höhe Blankenese sein konnten, es auf der Elbe aber keine Wellen gab, sagte ich: „Na, denn passt mal auf, dass ihr keine nassen Füße bekommt“ und legte den Hörer auf. 30 Sekunden später klingelte es wieder. Jetzt ging Meier-Blankenese ran. Er sagte mir ins Ohr:„Du sollst mal auf die Brücke kommen.“ Ich machte mich also auf den Weg, die fünf Stockwerke zur Brücke hoch zu entern. Sicher wollte der Kapitän mal sehen, was für einen plietschen Assi er da an Bord hatte.

In der Brückennock angekommen, sah ich ganz viele blaue Uniformen mit ganz vielen goldenen Streifen an den Ärmeln. Die „kleinste“ Uniform mit drei Ärmelstreifen, der first Mate (erster Offizier) schoss auf mich zu. Und dann sah ich nur noch ein hassverzerrtes Gesicht mit einem großen Loch in der Mitte, aus dem immer neue Beschimpfungen hervorquollen: „Idiot, Spinner, wirst schon sehen, eingebildet“ usw. – Minuten lang. Irgendwie bin ich dann zurück in die Maschine und Meier-Blankenese grinste auch noch blöde! Wasser an Deck heißt nämlich: Deckwaschpumpe anstellen, damit die Matrosen das Deck waschen können.

Es war Oktober, und wir näherten uns der Nordsee. Hinter Cuxhaven fing es so langsam an zu schaukeln. Irgendwie wurde ich müde, und dann wurde mir schlecht, so schlecht, dass ich mich übergeben musste. Meier-Blankenese hatte das Elend wohl schon kommen sehen und gab mir einen Eimer, der am Fahrpult angebunden wurde. Immer wenn ich mich in den Eimer übergeben hatte, musste ich mich dann draufsetzen, damit es für die andern nicht so stank. Selbstverständlich mussten alle Wacharbeiten weiter durchgeführt werden. Das heißt: Temperaturen ablesen alle zwei Stunden, Wellenlager im 30 Meter langen Wellentunnel auf Backbord und Steuerbordseite mit Öl auffüllen, Hauptmaschinen reinigen usw. – und immer wieder kotzen.

Endlich war meine Wache zu Ende! Wir waren inzwischen schon auf der Nordsee. Das Schaukeln wurde immer schlimmer. Nun musste ich in meine Kammer auf das Achterdeck. Von Mittschiff bis zum Achterschiff waren es ca. 40 Meter. Um diese Strecke zu schaffen, waren so genannte Manntaue gespannt, an denen man sich festhalten konnte, wenn die Wellen über das Deck schlugen, um nicht über Bord gewaschen zu werden. Praktisch sah es so aus: An der Mittschiffstür warten, bis sich das Schiff am tiefsten Punkt der Steuerbordseite befand, dann Tür auf, raus und so schnell wie möglich nach achtern rennen. Die Tür der achteren Aufbauten (Stahltür mit zwei Riegeln), öffnen, reinspringen und die Tür wieder verriegeln, damit die nächste See nicht in die Gänge schwappt. Hatte man den richtigen Zeitpunkt zum Losrennen verpasst, musste man sich eine Schaukelperiode lang an den Manntauen festhalten und die Welle über sich ergehen lassen. Das war aber nicht das Schlimmste, viel mehr Angst hatte ich davor, dass die schwere Eisentür beim nächsten Schaukeln nach Steuerbord mir die Füße abquetschte, wenn ich nicht schnell genug war.

In meiner Achterdeck-Kabine ging es aber nun erst richtig los. Das Schiff bewegte sich ja nicht nur von rechts nach links, sondern auch von oben nach unten und das natürlich besonders im Heckbereich. Es ging 10 Meter nach unten und dann wieder 10 Meter nach oben. Dazu schüttelte sich der ganze Heckbereich, wenn die Schiffsschrauben aus dem Wasser kamen. Beim Eintauchen mahlten die Schrauben ganz schwer, beim Auftauchen rasten die Schrauben, bis der Regler die Maschinenumdrehungen herunter gefahren hatte, das dauerte so zwei Minuten. Und mir war so schlecht!

Endlich lag ich in meiner Koje und es ging etwas besser, da stand auch schon Meier-Blankenese in der Tür: „Alte Sau, nach der Wache duscht man sich“, war sein heißer Tipp. Und mir war so schlecht! Habe ich gedacht. Ich hatte einen wahnsinnigen Durst auf eiskalte Cola, aber jeder Schluck kam in hohem Bogen wieder raus. Ich weiß heute nicht mehr, wie ich meine Wachen überstanden habe, aber krank sein gab es nicht! Die Wellen, die ich beobachten musste, um nach achtern zu meiner Koje zu kommen, wurden zu meinen Feinden. Mal waren sie über mir und dann wieder ganz unten. Sie waren hässlich und grau, mit weißen Schaumkronen. Immer aufs Neue und immer bösartiger schmissen sie das Schiff in alle Richtungen. Hörte das denn nie auf?! Mir war so schlecht, dass ich ernsthaft überlegt habe, über Bord zu springen. Es war die Hölle!

Mit MS „AUGUSTENBURG“ in Amerika

Endlich, endlich waren wir in Jacksonville in Florida. Nie wieder Seefahrt – koste es was es wolle – nur noch zurück nach Hause!

Ein Kamerad kam mit mir an Land, um das nächste Reisebüro zu finden. Aber auf dem Weg kamen wir an einem Eiscafé vorbei, die uralte Wirtin sprach uns an, in einem Englisch, von dem wir kein Wort verstanden. Jedenfalls brachte sie uns zwei riesige Eisbecher. Wo war meine Übelkeit? Das erste Essen seit zwei Wochen, das ich bei mir behielt! Hey, mir ging es gut!

In Jacksonville wurden die Autos ausgeladen, und damit ging auch der Supercargo von Bord, und ich konnte meine Kabine mittschiffs beziehen. Mein neues Reich, zwei Meter breit, drei Meter lang, mit Koje, Sofa, Schreibtisch, Waschbecken und Bullauge. Betten machen und reinigen musste der Steward. Ich war glücklich!

Von Jacksonville sollte es nach New Orleans gehen. Kurz nach Auslaufen von Jacksonville hatte ich Freiwache. Wir fuhren sehr dicht an der Küste Floridas entlang, herrliche Strände und riesige Hotels waren zu sehen. Rechts und links sah man Sportboote mit Anglern, die auf Schwertfischfang waren. Um besser sehen zu können, machte ich es mir mit meinem Kumpel auf dem Bootsdeck bequem. Hier standen auch zwei Korbsessel, die wir uns an die Reling zogen. Die Füße hoch gelegt. Der erste Steward Rockefeller brachte uns noch zwei Kissen. Das Schiff bewegte sich leicht in der Dünung. Die Füße auf die Reling gelegt, eine Flasche Becks Bier in der Hand. Was war die Seefahrt doch schön!

Bis, ja, bis der Kapitän zur Brücke wollte. Erst ist er ja noch vorbei gelaufen, aber dann, nach zwei Stufen auf der Treppe zur Brücke abrupte Kehrtwendung und dann wieder nur ein riesiges Loch in der Mitte des Gesichtes vom Kapitän: „Also, so eine Frechheit hat man ja noch nie erlebt – Idioten – sich erlauben“ usw.! Schließlich gehöre das Steuerbord-Bootsdeck nur dem Kapitän, das Backborddeck nur dem Ersten Ingenieur. Im fluchtartigen Verlassen des Bootsdecks konnte ich noch das Grinsen von Rockefeller sehen.

Langsam näherten wir uns auf dem Wege nach New Orleans dem Mississippi. Tom Sawyer, Huckleberry Finn – all die Abenteuer hatte ich doch gelesen, und nun war ich hier! Der Mississippi – wie beschrieben, unübersichtlich und breit in der Mündung, lehmartige Farbe, Baumstämme und schwimmende Inseln, Neger (damals übliche und gesellschaftlich nicht zu beanstandende Bezeichnung) in Kanus und Raddampfer – wie aus den Romanen. In endlosen Kurven zog sich der Fluss über 300 km bis zur Stadt. Für uns in der Maschine bedeutete das 24 Stunden Manöverwache, also 8 Stunden Dienst, dann 4 Stunden frei und wieder 8 Stunden Wache.

New Orleans – wir lagen an einer Holzpier direkt unterhalb der Altstadt und sollten tiefgefrorene Hähnchen laden. In Deutschland konnten die meisten es sich nämlich nach dem Krieg erstmals wieder leisten, in ein Restaurant zum Essen zu gehen. Der Werbespruch einer Restaurant-Kette „Heute bleibt die Küche kalt, wir gehen in den ‚Wienerwald’“ war 1960 der „Renner“ in Deutschland, und wir waren die Lieferanten.

An der Pier stand schon der Reederei-Agent mit einem riesigen Chevrolet. Er sollte uns Greenhorns, die noch nie in den USA waren, zur Immigration in die City bringen.

Riesige Häuser mit 30 bis 40 Stockwerken – von Hamburg kannte ich Häuser mit fünf höchstens sechs Stockwerken – acht Fahrstühlen nebeneinander. Mir war ganz schwindelig.

Bei der Immigrationsbehörde ging es dann ganz flott. „Sit down, please“ – ein Schild mit einer Nummer vor den Bauch halten, ein Blitz, der Stuhl dreht sich um 90 Grad, noch ein Blitz, „thank you, next please“. Im Nebenraum noch die Fingerabdrücke hinterlassen, „moment please“.

Alle Seeleute wurden so erfasst. Dafür brauchten wir kein Visum. Der Ausweis wurde bei der Abfahrt wieder geprüft. Fehlte ein Besatzungsmitglied, mussten 10.000 US-Dollar für die Fahndung vom Kapitän hinterlegt werden. Wenn wir mit dem Schiff aus Südamerika kamen, wurde sogar noch eine ärztliche Untersuchung auf Geschlechtskrankheiten durchgeführt. Nach einer halben Stunde stand ich mit meinem nagelneuen Landgangausweis wieder auf der Straße.

– Landgangsausweis –

Wenn ich da an Hamburg denke, wo die Ausstellung meines Seefahrtbuches über eine Woche gedauert hat, dann musste man sich schon sehr wundern.

Es war heiß, in den Kammern wurde es bis zu 40° C warm. Klimaanlagen gab es nur für die Ladung, aber nicht für die Besatzung – zu teuer! Die Hähnchen wurden in riesigen Trucks aus Texas angeliefert, gekühlt mit Trockeneis. Trockeneis? Das war doch die Idee, wenn das Trockeneis bei der Hitze die Hähnchen tiefgefroren halten konnte, dann konnte es sicher auch meine Kammer kühlen! Also einen großen Blecheimer holen, mit Trockeneis füllen und in das Waschbecken meiner Kammer füllen. Dann noch den Lüfter auf volle Pulle, Fenster fest zuschrauben und die Tür schließen. Ich muss ja wohl herrlich geschlafen haben, und wenn mein Kollege nicht zum Wecken gekommen wäre, hätte ich mich bei meiner ersten Amerikareise in die ewigen Jagdgründe verabschiedet. Bewusstlos war ich nämlich schon!

Trockeneis ist auf - 80°C gekühltes Kohlendioxid (CO2) und wirkt erstickend! Meier-Blankenese hat das nie erfahren, er hätte sonst bestimmt das Auspeitschen wieder eingeführt!