Vom Elbestrand bis Valparaiso - Bernd Herzog - E-Book

Vom Elbestrand bis Valparaiso E-Book

Bernd Herzog

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Beschreibung

Vom Überleben, wegen einer verschlossenen Bunkertür zu einer unbeschwerten Kindheit am Elbstrand in Neumühlen und als Blumenjunge auf der Uhlenhorst handeln meine Kindheitserinnerungen. Von der schweren Zeit als Lehrling auf der Schlieker-Werft bis zu meiner Seefahrtzeit, mit Freud und Leid in vielen Ländern handeln meine Jugenderinnerungen. Als Rentner noch mal, wunderschöne Reisen, ehrenamtlich auf der Bark »Alexander von Humboldt« beenden meine Seefahrtzeit. Urlaub mit Planwagen und 2 PS durchs schöne Sauerland. Und dann war da noch die Geschichte vom Tapezieren, aber nu ob Platt.

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Seitenzahl: 190

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Inhalt

Vorwort

Die verschlossene Bunkertür

Meine Kindheit an der Elbe

Für fünf Mark Eis

Blumenjunge auf der Uhlenhorst

Mein langer Weg zur Schlieker-Werft

Seefahrtszeiten

Kap. I — Seekrank

Kap. II — In Amerika

Kap. III — Jahreswechsel 1961 auf See

Kap. IV — Über den Äquator nach Buenos Aires

Kap. V — Rockefeller weint

Kap. VI — Vom Arbeiten und Haie fangen

Kap. VII — Seemann ohne Schiff

Kap. VIII — Zwischen Archangelsk und Oran

Kap. IX — »World Explorer«

Kap. X — Die Mädels von Vitoria

Kap. XI — Alice von Aruba

TMS »Elsa Essberger«

Mayday

Angst

Ein Flunky in Nöten

MS »Togo«

An der Elfenbeinküste

Artisten

TMS »Roland Essberger«

The Sea or me

Kap. XII — Unter grünen Segeln

Kap. XIII — Einmal im Leben

Mit Vollzeug rund Südamerika

Urlaub mit zwei PS

Dat Schnäppchen

Vorwort

Wie es zu diesem Buch kam

Die Seefahrt war die prägendste und ereignisreichste Zeit meines Erwachsenen-Lebens. Immer wieder habe ich davon im Freundes- und Bekanntenkreis erzählt. Oft bekam ich dann hören: »Schreib das doch mal auf.« Getraut habe ich mich nicht, hauptsächlich wegen meiner Rechtschreibschwäche.

Im Herbst 2012 habe ich dann in einer Zeitung einen Artikel über die »Erinnerungswerkstatt« gelesen. Bei einem der monatlich stattfindenden Treffen wurde ich freundlich begrüßt und konnte mein Problem vortragen.

Die Norderstedter-Erinnerungswerkstatt ist kein Verein, sondern eine freie und offene Arbeitsgemeinschaft 60plus, welche ihre selbst erlebten Geschichten aufschreibt. Auf das »Selbst erlebt« wird hier großen Wert gelegt und jede(r) darf mitmachen, erfuhr ich bei dieser ersten Zusammenkunft.

Da das ganze über das Internet kommuniziert wird, genügt ein monatliches Treffen. Hier werden die neuen Beiträge der Autoren vorgelesen und diskutiert. Anschließend gehen die Geschichten an eine drei- bis fünfköpfige Redaktion, die sich aus dem Kreis der Autoren zusammensetzt. Die Redakteure machen Vorschläge für bessere Formulierungen und Rechtschreibfehler werden korrigiert. Aber nie mit dem erhobenen Zeigefinger.

Die korrigierte Version kommt dann per E-Mai oder Internetseite zurück. Die Autorin, der Autor entscheidet ob die Änderungen übernommen werden oder auch nicht, bevor die Geschichte veröffentlicht wird.

Meine erste Geschichte habe ich im Oktober 2012 veröffentlicht. Inzwischen sind es vierzig selbst erlebte Geschichten, die ich auf dieser Autoren-Plattform veröffentlicht habe.

Dieses Buch konnte auch durch die Hilfe unseres Webmasters entstehen, der bei der Gestaltung des Layouts geholfen hat.

Hierfür danke ich ihm recht herzlich.

Bernd Herzog, im August 2020

***

Die verschlossene Bunkertür

Es muss im Frühjahr 1945 gewesen sein, als einer der letzten Bombenangriffe auf Hamburg erfolgte.

Meine Mutter, mein einjähriger Bruder, meine Großeltern und ich, im zarten Alter von fünf Jahren, wohnten in einer Dreizimmerwohnung in der Lengerckestraße in Hamburg Wandsbek. Mein Vater fuhr in einer Strafkompanie zur See, sie mussten Munition nach Norwegen bringen. An meine Oma kannich mich nur als an eine kleine verschrumpelte Frau erinnern, die immer in einem großen Sessel neben der Wohnzimmertür saß und nie ein Wort sagte. Der Opa war ein großer kräftiger Mann. Im Wohnzimmer hing ein Bild, auf dem er bei den Wandsbeker Husaren mitseinem Hengst Heros über einen für zwölf Personen voll eingedeckten Esstisch sprang. Der Opa war aber fast nie zu Hause. Meine schönsten Erinnerungen an ihn sind die Momente, wenn er mich an seinen sonst verschlossenen Schreibtisch rief, die Tür aufschloss und seine Blechkapelle aufbaute. Es waren sechs Figuren, als Affen dargestellt und mit verschiedenen Instrumenten. Die Figuren waren mit einem Federaufzugwerk versehen und wurden von Hand aufgezogen.

Ansichtskarte, Gruß vom Königlich Preußischen Husarenregiment Königin Wilhelmina der Niederlande No. 15 in Wandsbek

Fünfzehn Jahre später, ich fuhr bereits zur See, habe ich ihn noch mal im Altersheim besucht und er baute seine Kapelle nocheinmal für mich auf. Auch das Bild mit Heros hing noch über seinem Bett. Beide Sachen sind jedoch nach seinem Tode aus dem Altersheim verschwunden.

Erinnern kann ich mich auch noch gut, dass wir Kinder immer im Treppenhaus spielten. Hier war esam längsten hell, es gab nämlich kein Dach mehr. Man konnte direkt in den Himmel sehen und das Ziehen der Wolken beobachten.

Die Nacht, in der die Bunkertür verschlossen war, begann wie so viele vorher. Auf der anderen Seite unseres Wohnblocks war ein Kleingartenverein und hier war ein starker Scheinwerfer aufgestellt. Wenn der bei uns ins Schlafzimmerfenster schien, war es trotz der Verdunkelungsrollos im Zimmer taghell. Kurz darauf heulten dann auch die Luftschutz Sirenen. Damit wurde die Bevölkerung aufgefordert, sich in die Keller oder Bunker zu begeben. Das Geräusch macht mir auch siebzig Jahre später noch Gänsehaut.

In aller Eile wurde mein Bruder in den Kinderwagen gelegt, der kleine Koffer mit Papieren dazu gestopft und ich angezogen. Oma blieb wie bei jedem Alarm in ihrem Sessel sitzen. Opa war sowieso nicht da. Im Treppenhaus war schon reichlich Gedränge, da alle aus dem Vier-Stockwerke-Haus auf die Straße und in die Bunker wollten. Irgendjemand hat dann meiner Mutter geholfen, den Kinderwagen die Treppen herunter zu tragen. Nur ich hatte es nicht so eilig! Auf den Treppen lagen nämlich wunderschöne bunte Bilder von Autos, Flugzeugen und Schiffen. Die wurden von den feindlichen Flugzeugen abgeworfen und sollten Parolen verbreiten, wie schön doch das Leben sein kann, wenn wir den Krieg endlich beenden würden. Und da unser Haus kein Dach mehr hatte, lagen die Bilder haufenweise im Treppenhaus. Die musste ich erst mal einsammeln. Meine Mutter schrie von unten und eine Frau schubste mich dann runter. Auf das Fußende des Kinderwagens mit meinem Bruder darin war ein Brett gelegt, auf das ich gesetzt wurde. Die Straße war schon ziemlich leer und meine Mutter rannte mit uns in Richtung des zwei Straßen entfernten Bunkers. In dem kleinen überdachten Vorraum zur großen stählernen Bunkertür standen schon zwei Frauen mit Kinderwagen. Die Tür war geschlossen, davor stand ein älterer Bunkerwart mit einem Gewehr in der Hand, nicht auf dem Rücken. Es kamen noch ein paar Frauen mit Kindern dazu. Sie bettelten ihn an, beschimpfen und bedrohten ihn, aber er machte die Tür nicht wieder auf.

»Ist Vorschrift, Ist Vorschrift, ich darf nicht«, wehrte er sich. Daraufhin zogen sich die Mütter mit uns Kindern auf die Rückseite des Bunkers zurück. Es muss dann aber noch eine Weile mit dem Fliegerangriff gedauert haben, denn ich kann mich sehr gut daran erinnern, die bunten Bilder aus der Hosentasche geholt zu haben, woraufhin einige Frauen an zu kreischen fingen: »Schmeiß die weg, schmeiß die weg, die sind alle vergiftet!«. »So ein Quatsch«, dachte ich, »die habe ich schon tagelang in der Tasche und bin gar nicht giftig«. Dann kamen die Bomber. Ohrenbetäubender Lärm, kreischende Menschen, der Boden unter uns zittert, die Bunkerwand, an der wir lehnen, vibriert. Ringsherum Bombeneinschläge, Feuer, Häuser brennen und dann gefühlte totale Stille, vielleicht sind es nur Sekunden. Der Staub legt sich und unsere kleine Gruppe geht nach vorn zum Bunkereingang. Die Bunkertür mit dem Vorbau ist verschwunden. Nichts bewegt sich. –

Eine Luftmine ist durch das Bunkerdach gebrochen. Alle, die im Bunker waren, sind tot.

***

Meine Kindheit an der Elbe

Manchmal tun sie mir etwas leid, die Kinder von heute. Sechs Stunden Schule, dann noch Schularbeiten, Musik-Unterricht, Training im Sportverein, Schwimmen, Reiten, und das alles mit einer Hand, weil in der anderen Hand ja immer das Smartphone gehalten werden muss. Auch das Tablet muss immer in Reichweite sein. Spielzeug ist nicht so wichtig, hat man ja sowieso im Überfluss. Selbst die Kleinsten passen kaum in ihr Bettchen zwischen all ihren Kuscheltieren.

Nicht alle, aber die meisten Kinder haben heute alles, was es zu kaufen gibt. Sie kaufen sich sogar Hosen, die schon zerrissen sind, denn sie selbst können ihr Zeug ja gar nicht auftragen. Ja, sie haben vermeintlich alles, nur eines haben sie nicht: Zeit.

Zeit zum Träumen, Zeit zum Toben, Zeit, um Bücher zu lesen, Zeit für Abenteuer, Zeit zum Sterne zählen, Zeit um im Gras zu liegen und den Wolken nachzuschauen, Zeit, um im Regen durch die Pfützen zu plantschen.

Von unserer Wohnung im Bahrenfelder Kirchenweg war es eine halbe Stunde zu Fuß zum Övelgönner Strand. Vorbei an der Adolf-Jäger-Kampfbahn des Fußballvereines Altona 93. Hier mussten wir erst einmal nachschauen, ob das Loch im Zaun hinter der Tribüne noch da war, durch das wir an den Sonntagen, wenn es ein Heimspiel gab, krochen, um die fünfzig Pfennig zu sparen, die wir sonst an der Kasse bezahlen müssten, oder ob der Platzwart es schon entdeckt hatte. Einmal, zum Glück war ich nicht dabei, hat er Hans und Herbert beim Durchkriechen erwischt, sie mussten die fünfzig Pfennig bezahlen und sich ein heftiges Geschimpfe anhören. Aber sie hatten ihr Loch im Zaun auch wirklich zu dicht am Kassenhäuschen gemacht.

Nun war es nicht mehr weit, nur noch die Treppen von Lüdemanns Weg hinunter und wir waren in unserer riesigen großen Sandkiste. Sie war, je nach Strandabschnitt oder nach Tidenstand zehn bis fünfzig Meter breit, aber zwei Kilometer lang, vom Fähranleger Övelgönne bis zum Anleger Teufelsbrück. Hier konnten wir mit anderen Kindern aus Neumühlen Fußball spielen, natürlich barfuß, die Schuhe dienten als Torpfosten. Das war für mich als einer der Kleinsten sehr anstrengend. Aber ich konnte mich ja auch einfach in den warmen Sand legen und den Wolken nachschauen, mit den Möwen um die Wette schreien oder einfach nur träumen, Sandburgen bauen und spielen, sie gegen Störtebeker und seine Likedeeler zu verteidigen. Erwachsene konnten wir nicht stören, die mussten zu der Zeit noch mindestens achtundvierzig Stunden in der Woche arbeiten und hatten meistens noch einen langen Arbeitsweg zurückzulegen. Wenn es sehr warm war, plantschten wir manchmal entlang der Wassergrenze bis nach Teufelsbrück. Die Schuhe wurden an den Schnürsenkeln zusammengebunden und um den Hals gehängt, und manchmal fuhren wir mit der Fähre nach Övelgönne zurück.

Einmal wollte ich für den Fußmarsch besonders schlau sein und mich nicht mit den Schuhen abschleppen. Also habe ich ein Loch in den Sand gebuddelt, die Schuhe reingelegt und die Stelle mit einem Stock markiert, es war dort, wo heute das Lüftergebäude für den neuen Elbtunnel steht. Nachdem wir am späten Nachmittag von unserem Marsch zurück waren, konnte ich den Stock nicht wiederfinden. Entweder hatte mich jemand beim Einbuddeln der Schuhe beobachtet, denn in den 1950er Jahren waren Schuhe sehr begehrt und teuer, oder es war einfach nur der Stock aus dem Sand gezogen worden. Alles Suchen und Buddeln mit meinen Freunden waren vergeblich, sodass ich barfuß nach Hause gehen musste. Zum Glück waren es nur Turnschuhe, die ich von einem Nachbarjungen bekommen hatte, weil sie ihm zu klein geworden waren. Geschickt konnte ich den Verlust noch zwei Tage verbergen, bis mich meine Mutter fragte, warum ich immer die guten Lederschuhe anziehe. Da musste ich beichten und das anschließende Geschimpfe über mich ergehen lassen. – Heute ist der Fußmarsch dort nicht mehr möglich, da einige Gebäude bis an die Wasserkante gebaut wurden, oder der Strand mit Steinaufschüttungen geschützt wurde.

Meistens spielten wir zwischen dem Övelgönner Anleger und der heutigen Strandperle, hier gab es schon vor dem Ersten Weltkrieg eine kleine Trinkhalle.

Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen Eva und Max Lührs das Gelände und eröffneten hier Lührs Gaststätte. Neben der Gaststätte gab es auch noch Räume im Elbhang, die für den Bootsbau genutzt wurden. Hier hatte Herbert Lührs, der Bruder von Max Lührs, die Mütze auf. Ihm gehörte auch ein langer Steg, der zu einem Bootshaus in der Elbe führte. Das Bootshaus wird wunderschön beschrieben in dem Buch »Jan Himp und die kleine Brise« von Hans Leip. Es wurde neunzehnhundertvierundreißig veröffentlicht.

Zwischen den Stegpfeilern zu dem Bootshaus konnten wir bei Ebbe fangen spielen, auch dann, wenn wir schon bis zu den Knien im Wasser standen. Die Pfähle waren oft mit scharfkantigen Muscheln bewachsen, sodass man sich schnell mal eine Schramme an den Armen oder Beinen holen konnte. Uns machte es nichts aus, die Verletzung wurde mit salzhaltigem Elbwasser ausgewaschen, bis es nicht mehr blutete. Wichtig war, die Wunde nicht von Mutter entdecken zu lassen, sonst hätte es vielleicht ein Strandverbot gegeben. Aber nicht nur im Sommer, nein, auch im Winter hatten wir hier einen riesigen Spielplatz.

Wenn die Elbe zugefroren war und nur die Fahrrinne von den Eisbrechern freigehalten wurde, die Tag und Nacht die Elbe rauf und runter fuhren, sprangen die großen Jungen auf den Eisschollen herum. Mit langen Stangen schoben sie sich von Scholle zu Scholle. Wir kleineren Kinder kletterten am Strand über die durch Ebbe und Flut aufgetürmten Eisberge, welche bis zu zwei Meter hoch sein konnten. Mit den ersten Frühlingsstürmen verschwand dann das Eis, und viel Holz wurde an den Strand gespült. Das Holz wurde nun eifrig gesammelt, es wurde für die Osterfeuer gebraucht. Es waren noch nicht so große Feuer wie heute, und schon gar nicht so eine Massenveranstaltung. Dafür waren es aber viele Feuer. An jedem Strandabschnitt entlang der Elbe von Neumühlen bis Rissen und auf der anderen Elbseite von Finkenwerder bis Stade brannten am Ostersonnabend die Feuer. Wir lütten Kinder waren stolz, wenn die großen Jungen uns erlaubten, das von uns gesammelte Holz auf ihren Aufbau zu legen.

Und dann war da noch der Fähranleger Neumühlen, wo wir auf dem Geländer saßen und Schiffe-Raten spielten, bis wir Querrillen am Hintern hatten. Nuggis Fischbude gab es noch nicht, sodass wir freie Sicht zum aufkommenden Schiffsverkehr hatten. Die Fährschiffe waren noch nicht solche Schuhkartons wie heute, sondern hatten alle ihre individuelle Bauweise und waren nach Hamburger Stadtteilen benannt. Nur die »Jan Molsen«, als die größte der Fähren war leicht zu erkennen. Besonders spannend war es, wenn am Horizont nur eine Rauchwolke zu sehen war. Meistens war es dann ein englisches Dampfschiff, das mit Kohlen befeuert wurde. Mit den Länderflaggen kannten wir uns bestens aus, es gab ja auch noch nicht so viele. Die Skandinavier, die Trikolore der Franzosen, und den Union Jack der Engländer. Deutsche Schiffe gab es nur wenige. Schiffe mit Flaggen von Liberia oder Panama gab es noch nicht.

An den kleinen Hafen Neumühlen habe ich aber noch andere Erinnerungen, teilweise auch durch Erzählungen. Der Hafen lag im Schatten des großen, mit Backsteinen erbauten Kühlhauses. Es ging das Gerücht um, dass hier während der Nazizeit tausende Tonnen Lebensmittel gehortet wurden, obwohl es in Hamburg nur noch Lebensmittel auf Marken gab. Heute befindet sich im Kühlhaus ein nobles Seniorenheim. Mein Vater hatte geschworen, als im strengen Winter 1947-1948 die Temperaturen bis auf minus zwanzig Grad sanken und die Fensterscheiben in unserem Schlafzimmer von innen und außen mit Eisblumen bedeckt waren: Meine Kinder sollen nie wieder so frieren. Mit seinen Bordkameraden stahlen sie im Neumühlener Hafen, der unter Bewachung der englischen Militärpolizei stand, eine ganze Schute Steinkohle, welche für die englischen Besatzer vorgesehen war, die in ganz Hamburg in beschlagnahmten Häusern wohnten. Da alle Fahrer der Lastwagen, welche die Kohlen vom Hafen zu deren Häusern bringen sollten, Deutsche waren, so auch unser Nachbar, kann ich mich an die Aufregung erinnern, als vor unserem Haus zwei Militärpolizisten erschienen und das Abladen der Kohle überwachten. Es war so viel Kohle, dass das ganze Haus noch 1954, als wir auszogen, damit beheizt wurde.

Ein ganz besonderes Erlebnis aus meiner Kindheit war ein Stapellauf, bei dem mein Bruder und ich dabei sein durften. Unser Vater war zu der Zeit technischer Inspektor bei der Reederei Gebrüder Ullmann. Diese ließ auf der Stülckenwerft, die dort war, wo heute die Theater stehen, zwei der ersten neuen, nach dem Krieg in See gehenden Schiffe bauen. Das erste Schiff »St. Michael«, benannt nach unserer Hamburger Hauptkirche, wurde im Dezember 1950 vom Stapel gelassen. Das zweite Schiff »St. Katharina«, auch benannt nach einer Hamburger Hauptkirche, wurde im März 1951 bei immer noch leicht vereister Elbe vom Stapel gelassen. Bei diesem Stapellauf durfte mein Bruder, sieben Jahre, und ich als Elfjähriger dabei sein. Beim Stapellauf selbst, wenn das Schiff von den Helgen gleitet, dürfen keine Gäste an Bord sein, sondern nur die verantwortlichen Werft-Arbeiter. Aber anschließend fuhr eine Bar kasse mit Reederei-An ge hörigen und Gästen zum Schiff, so auch wir Jungs mit unserem Vater. Nun wurde von oben eine Leiter heruntergelassen und in die Barkasse gestellt, von wo wir nach oben klettern mussten.

MS St.Michael und St. Katharina

Bei mir ging auch noch alles gut, aber bei meinem Bruder fing die Barkasse an abzutreiben und die Leiter geriet in eine Schräglage. Er hat sich nur noch festgeklammert und konnte sich vor Angst nicht mehr bewegen. Da kam von unten ein Werftarbeiter mit einer affenartigen Geschwindigkeit die Leiter hoch, packte ihn unter seinem Arm, reckte die andere Hand nach oben, wo sie ergriffen wurde, und die beiden wurden an Deck gehievt.

Währenddessen klatschte die Leiter zwischen die Eisschollen in die Elbe. Ich weiß nur noch von einem vielfachen Aufschrei und dann Applaus von den vielen Zuschauern. Aber auch das Geschimpfe der Werftarbeiter habe ich noch in Erinnerung.

Eine Feier fand dann später im Hotel Atlantik statt, aber ohne uns Kinder. Diesen Zwischenfall habe ich aber erst im Jahr 2016 von Herrn Peter Tamm erfahren, der meinen Bruder und mich in sein Büro ins Schifffahrtsmuseum eingeladen hatte. Wir hatten dem Museum Unterlagen aus dem Nachlass unseres Vaters zur Verfügung gestellt und überlassen. Unsere Schwester wurde im Jahr 1954 geboren und wurde auf den Namen »Katharina« getauft. Wenn es ein Junge geworden wäre, hätte er selbstverständlich »Michael« geheißen.

***

Für fünf Mark Eis

Es war im Sommer 1948, ein paar Wochen nach der Währungsreform, die am 20. Juni stattgefunden hatte und bei der jeder Erwachsene 40.- D-Mark erhalten hatte. Die Familie, meine Eltern, mein Bruder und ich, hatte vom Wohnungsamt zwei Zimmer und Küche zugewiesen bekommen, da unsere Wohnung in Wandsbek durch Bomben zerstört war. Die Zimmer waren aber nicht zusammen hängend, da jetzt im Hochparterre einer alten Villa aus einer großen Wohnung drei kleine Wohnungen gemacht wurden. Aus der Küche mit dem anschließenden Wohnzimmer konnte man in den Garten mit seinen großen Obstbäumen sehen. Das Schlafzimmer war auf der anderen Seite des Hauses, zur Straße hin gelegen, über einen Flur zu erreichen. Da das Haus unmittelbar neben der Eisenbahnbrücke im Bahrenfelder Kirchenweg stand, war es hier natürlich besonders laut, da alle zehn Minuten eine S-Bahn über die Brücke fuhr. Außerdem fuhren nachts die Güterzüge, die aus Altona kamen, donnernd über die Brücke. Eine Heizung gab es im Schlafzimmer auch nicht, sodass im besonders kalten Winter 1947/1948 die Fenster total zugefroren waren. An den Lärm hatten wir uns aber wohl gewöhnt, denn wir wachten auf, wenn mal eine Betriebsstörung war und die Züge nicht fuhren.

Beschwert hat sich keiner, wo auch. Die Eltern hatten wohl andere Sorgen und waren froh, ein Dach über dem Kopf zu haben.

Die nächste Schule war für mich in der Fischers Allee in Altona. Der Schulweg führte also vom Bahrenfelder-Kirchenweg, Friedensallee, Hohenzollernring, Bleikennallee zur Fischers Allee. Für die drei Kilometer Schulweg brauchten wir mit unseren kurzen Beinen meistens eine Stunde, da ja auch noch mal in den Trümmern am Straßenrand nach Brauchbarem gestöbert wurde. Aus dem Umkreis unserer Wohnung waren noch drei Jungen mit mir in der gleichen Klasse, sodass der Schulweg nie langweilig wurde. Der Ränzel war auch nicht schwer, außer Schiefertafel, Kreide, ein Heft und Bleistift war ja sowieso nichts drin. Unter dem Ränzel hing noch das Kochgeschirr, ein ovaler Blechtopf aus Wehrmachtsbeständen, das jeder Schüler für die Schulspeisung mitbringen musste.

Die letzten Meter zur Schule wurden immer gerannt. Nicht weil wir die Schule so liebten, sondern unsere Lehrerin Fräulein Schumacher. Sie war die schönste, netteste, lustigste von der gaaanzen Welt. Fräulein Schumacher sah aus wie Schneewittchen aus unseren Märchen büchern, nur hatte sie blonde Haare.

Sie hat nie geschimpft, immer bunte Kleider an und war immer lustig. In der letzten Stunde hat sie uns jeden Tag eine Geschichte vorgelesen, aber nicht aus Märchenbüchern, sondern etwas über Indianer und Trapper. Auch eine Klassenreise hat sie, als einzige der ganzen Schule, mit uns gemacht. Es ging mit der S-Bahn nach Wedel und dann zu Fuß in ein Landschulheim mitten in den Wedeler Dünen. Von morgens bis abends machte sie Spiele mit uns oder es ging zum Strand an die Elbe. Nur das Frühstück in dem Heim gefiel uns gar nicht, es gab nämlich Ziegenmilch von den Ziegen, welche ein Bauer in der Nähe hatte und diese Ziegen wurden mit Fischmehl gefüttert. Aber Fräulein Schumacher handelte mit den Heimeltern aus, dass wir auch ein Glas Wasser statt der Ziegenmilch zum Frühstück trinken durften. Alles andere, das wir zugeteilt bekamen, musste natürlich aufgegessen werden, denn es war für die Heimeltern sicher nicht leicht, für 40 Jungen jeden Tag genügend Essen zu beschaffen, wir waren ja auch alles kleine Spiddel.

Viel zu schnell ging die Woche vorbei und wir fuhren wieder mit der S-Bahn nach Altona. Hier musste ich umsteigen, um die eine Station nach Bahrenfeld zu fahren. Zu Hause angekommen stand ich vor verschlossener Tür. Meine Eltern waren nämlich nach Altona gefahren, um mich dort abzuholen. Sie hatten wohl Angst, dass ich nicht alleine umsteigen konnte. Wenn die wüssten, wie oft ich mich schon auf dem Bahnhof herumgetrieben hatte. Ich war ganz schön beleidigt, war doch kein Baby mehr.

Montag begann nun die Schule wieder mit der gehassten Schulspeisung in der großen Pause. Hierzu war eine Ecke an der Schule abgesperrt. In diese Ecke mussten alle Schüler zur großen Pause rein. Beim Reingehen in diese abgesperrte Zone bekam jeder Schüler eine Kelle Maissuppe, wohl auf Wasser gekocht, jeden Tag dasselbe, in sein Kochgeschirr. Auch betteln nach einer kleinen Portion half nichts, der große Junge, der die Suppe austeilte, haute mir jeden Tag die volle Kelle in meinen Topf. Dabei hatte ich doch im Gegensatz zu den meisten Mitschülern überhaupt keinen Hunger. Mein Vater arbeitete ja schon im Hafen und wir hatten immer etwas zum Essen, sogar Schokolade brachte er manchmal mit. Aus der abgesperrten Zone durften wir erst raus, wenn wir das leere Kochgeschirr vorzeigen konnten. Damit wir das Essen nicht auskippten oder einem anderen Schüler gaben, waren immer ein paar Lehrer mit in der abgesperrten Zone. Obwohl es heute ja wohl ein ganz anderer Mais ist, den meine Enkel mit Butter bestrichen sehr gerne essen, wird mir noch immer nur bei dem Geruch schlecht.