Orks vs. Zwerge - T.S. Orgel - E-Book

Orks vs. Zwerge E-Book

T. S. Orgel

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Beschreibung

Die größte Schlacht aller Zeiten

Ihr Hass aufeinander wurzelt tiefer als die Gebeine der Erde – schon seit Jahrtausenden sind Orks und Zwerge erbitterte Feinde. Nun prallen sie in einer gewaltigen Schlacht aufeinander, in der sich die Zukunft beider Völker entscheiden muss. Auf der einen Seite kämpft der Orkhauptmann Ragroth erbittert um Anerkennung, Beute und das nackte Überleben, während auf der anderen Seite der Zwergenkrieger Glond für einen Geheimauftrag eingeteilt wird, der ihn mitten in die Reihen der Feinde führt. Doch auf beide wartet eine finstere Überraschung, die das Schicksal von Orks und Zwergen für immer verändern wird.

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Seitenzahl: 654

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DAS BUCH

Sie ist die mächtigste Zwergenstadt des Nordens: Eingefasst von gewaltigen Mauern markiert Derok die Grenze der zivilisierten Länder des Reiches. Erst vor wenigen Hundert Jahren haben Zwerge diese Region den Orks abgerungen. Nun jedoch sind ihre Feinde zurückgekehrt, und sie brennen auf Rache: Die größte Orkarmee, die es je gegeben hat, marschiert auf Derok zu. Unzählige Dörfer und Siedlungen sind unter ihrem Ansturm bereits gefallen, und es scheint, als könnte auch Derok der Wut der Orks nicht standhalten. Der Zwergenkrieger Glond, der in den Kerkern der Bergfestung auf sein Todesurteil wartet, wird überraschend für einen Geheimauftrag auserwählt. Noch vor Tagesanbruch müssen er und seine Gefährten den Tempel erreichen, der inmitten des umkämpften Stadtzentrums liegt. Denn dort liegt etwas verborgen, das das Schicksal Deroks entscheiden kann. Auf der anderen Seite findet sich Krendar, ein junger Ork auf seinem ersten Kriegszug, im Trupp des alternden Häuptlings Ragroth wieder. Und Ragroth setzt alles daran, in dieser entscheidenden Schlacht zu Ruhm und Reichtum zu gelangen. Als die Orks von dem legendären Zwergenschatz im Tempel erfahren, fassen sie einen riskanten Plan …

Und während um Derok die alles entscheidende Schlacht tobt, beginnt für Krendar und Glond ein atemberaubender Wettlauf, an dessen Ende es nur einen Sieger geben kann …

DIE AUTOREN

T. S. Orgel ist das gemeinsame Pseudonym der Brüder Tom und Stephan Orgel. Tom lebt mit Frau und Kind im Spessart und verdient sein Geld als selbständiger Grafik-Designer und Texter. Er treibt schon lange nicht mehr genug Sport und leidet unter Rollenspielentzug.

Sein Bruder Stephan lebt und arbeitet irgendwo in Hessen in der Verlagsbranche, unter anderem als Fachredakteur. Er ist deutlich fitter als sein Bruder und noch immer begeisterter Rollenspieler. Nach einer Reihe von Kurzgeschichten und elektronischen Veröffentlichungen ist »Orks vs. Zwerge« ihr erster gemeinsamer Roman.

www.twitter.com/HeyneFantasySF

@HeyneFantasySF

www.heyne-magische-bestseller.de

T.S. Orgel

ORKS

VS.

ZWERGE

Roman

Originalausgabe

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Originalausgabe 11/2012

Redaktion: Catherine Beck

Copyright © 2012 by Thomas & Stephan Orgel

Copyright © 2012 dieser Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Karten: Andreas Hancock

Umschlagillustration: Alexander Tooth

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-08901-6

»Die schlimmsten Streitigkeiten entstehen erst dann, wenn beide Seiten gleichermaßen im Recht und im Unrecht sind.«

Winston Churchill

Eins

Die Trommeln schwiegen.

Diesen einen bedeutsamen Moment, bevor sie das Tempo aufnahmen. Den einen Augenblick, bevor all das Brüllen, das Rennen, das Töten begann, bevor die Erde unter den Schritten erbebte, wenn das Dröhnen der Trommeln zum Herzschlag der Krieger wurde und Blut fließen musste. Krendar hielt die Augen starr geradeaus gerichtet, füllte seine Lungen mit eisigem Nebel und wartete auf den nächsten Schlag.

Diese Pause war das Schlimmste, schlimmer als die Stunden zuvor, schlimmer als die tausend monotonen Schläge. Der junge Aerc wusste das, weil ihn die anderen darauf vorbereitet hatten. Viele der Älteren hatten schon einmal auf diesen einen Schlag gewartet. Auf der einen oder der anderen Seite. Und die Älteren kannten die Geschichten.

Mit einem angestrengten Grinsen entblößte er seine Hauer. Der Nebel bildete feine Tropfen auf den Borsten seiner Haut, auf den Muskeln seiner nackten Beine und den zerkratzten Lederwickeln, die seine Unterarme schützen sollten. Heute war die große Nacht. Die Nacht, in der aus Rekruten Krieger wurden. Krieger, über die man Lieder sang. Wenn sie Glück hatten, würden sie unter denen sein, die die Lieder sangen. Über sich und über die Nacht, in der die Stämme das Land ihrer Ahnen zurückgewonnen hatten.

Sein Blick huschte zur Seite, zu dem Burschen neben ihm. Das starre Grinsen in dessen Gesicht war ein Spiegel seines eigenen.

BOOOM.

Krendar ließ die Luft in einem gewaltigen Brüllen aus seinen Lungen strömen. Es mischte sich mit dem aus unzähligen rauen Kehlen, als alle Aerc in den Schrei einfielen. Brüllen war wichtig, das hatten sie ihm eingeschärft. Es vertrieb den nagenden Wurm der Angst aus den Gedärmen.

BOOOM.

Der nächste Schlag, der erste Schritt. Und dann rannten sie.

Durch den Nebel, über zertretenes Gras, durch zerstampfte Büsche und schlammige Erde. Sie liefen im Gleichschritt und brüllten, die langen Spieße vorgestreckt. Hinter ihnen blökten die Hörner der Weststämme ihre dumpfe Klage in die hereinbrechende Nacht.

Krendar trat auf das Bein eines Toten, der halb im Schlamm versunken lag, stolperte, fing sich wieder. Rechts neben ihm lief ein narbiger Veteran, einen halben Kopf größer als er, mit Armen so dick wie seine Oberschenkel und über und über mit gelblichem Fett beschmiert. Vor ihm rannten die Merssan-Brüder, der eine mit rot, der andere mit blau gefärbten Haaren. Sie schwangen Haumesser und grölten ein ihm unbekanntes Lied. Seine Stiefel klatschten durch den Schlamm, jeder Schritt rief ein schmatzendes Geräusch hervor, versuchte, ihn zu Fall zu bringen. Doch fallen durfte er nicht. Nicht mit dreihundert Stammeskriegern in seinem Rücken. Also riss er weiter die Füße aus dem Morast und brüllte, wie sie alle brüllten, während er auf einen Feind zulief, den er bislang noch nie gesehen hatte.

Dann tauchten sie vor ihnen im Nebel auf. Stumme, reglose Gestalten. Krendar hätte sie für Felsen gehalten, für eine niedrige Mauer, wäre das donnernde Gebrüll nicht noch stärker angeschwollen. Sie standen einfach da. Ohne auf das Brüllen der Krieger zu antworten, ohne ihrerseits loszustürmen, in beängstigender, bewegungsloser, vollkommener Stille.

Nein, nicht vollkommen. Jetzt begannen auch dort Trommeln zu schlagen. Langsam, schwer, rollend, dröhnend und in erschreckender Eintönigkeit. Ein weiteres Geräusch mischte sich darunter, als die Wühler begannen, die Waffen gegen ihre Schilde zu schlagen, rhythmisch, furchterregend, voll grimmiger Entschlossenheit. Krendar konnte jetzt Metall blitzen sehen, Rüstungen, blanke Waffen, polierte Schilde. Und dazwischen schimmerten Zähne in hässlichen Gesichtern, die so bleich waren wie die Schädel der Toten. Die Gesichter von Zwergen.

Keine hageren Menschen, die mit dünnen Stimmen gegen den Kampfruf der Stämme anschrien und durcheinanderliefen, bis sie von der Flutwelle der Krieger davongespült wurden. Die Wühler standen wie Felsblöcke, an denen sich die heranrollende Woge brechen würde. Mit erschreckender Klarheit wurde Krendar bewusst, dass der Wurm noch immer in seinen Innereien wühlte. Es fühlte sich an, als habe er soeben Geschwister bekommen.

Hätte der junge Aerc gekonnt, er wäre in diesem Augenblick zur Seite ausgebrochen, statt sich dieser schrecklichen Wand zu stellen und unweigerlich an ihr zerrieben zu werden. Doch die Trommeln, die Hörner und der Kampfschrei peitschten ihn vorwärts, Hunderte von Kriegern hinter ihm schoben ihn direkt in diesen Wall aus Metall. Noch zehn Schritte, noch acht.

Krendar klemmte den Speerschaft fester unter die Achsel und schrie.

Donnernd prallten sie gegen die Reihen der Zwerge. Sein Spieß kratzte über einen metallenen Schild, glitt davon ab, zwischen zwei Zwergen hindurch und traf auf etwas dahinter. Ein kurzer Widerstand, dann ein Ruck, und die Waffe glitt tiefer, bevor sich ihr Schaft durchbog und zersplitterte. Er prallte auf einen Schild, zerschnitt sich an der geschliffenen Kante den Unterarm und wurde nur deshalb nicht von einem Kurzschwert aufgespießt, weil er zu eng an den Zwerg herangedrängt wurde. Für einen Moment standen sie einander so dicht gegenüber, dass er die groben Poren sehen konnte, aus denen die Gesichtshaare des Wühlers sprossen. Der faulige Atem der Kreatur schlug ihm entgegen. Dann krachte eine Streitaxt in den Schädel des Wühlers und fällte ihn. Irgendjemand rempelte Krendar an, und er stolperte mehr als er sprang, auf den toten Wühler hinauf, von dort auf den Schild eines anderen, wich einem Spieß aus und war plötzlich oben, auf den Schultern und Köpfen der gepanzerten Zwerge. Mit dem zerbrochenen Speerschaft wehrte er den Hieb einer Axt ab. Das gesplitterte Holz wurde ihm aus der Hand gerissen und dann, einfach weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte und nicht wagte, stehen zu bleiben, lief er weiter, trat auf Panzerplatten und Helme.

Um ihn herum liefen weitere Krieger auf den dicht gepackten Reihen der Zwerge, hieben mit Keulen und Äxten auf bärtige Gesichter ein, schlugen Lücken in die Reihen der Wühler, stürzten und verschwanden unter den Waffen der Feinde, die sich unablässig hoben und senkten. Krendar hatte nichts zum Hacken, er hatte nur seinen Schwung, den Schrei, der noch immer aus seinen Lungen quoll und die sich windenden Würmer in seinem Magen. Also lief er. Und plötzlich war es vorbei.

Krendars nächster Sprung ging ins Leere, seine Füße trafen auf Schlamm, glitten unter ihm weg; er stürzte und überschlug sich. Dann lag er still und starrte hinauf in die Nacht. Seine Arme und Beine fühlte er nicht mehr; die Angst verstopfte seine Kehle, erstickte den Schrei und ließ nur ein seltsam dünnes Wimmern übrig. Hier hinten, hinter den Reihen des Feindes, gedämpft durch Nebel und Ohren voller Schlamm, klangen die Trommeln, das Brüllen und Tosen der Schlacht weit entfernt, unwirklich. Vielleicht war das nur ein Traum, und er würde in den saftigen Weidegründen seines Stammes aufwachen, zwischen den friedlich weidenden Herden seines Hauses.

Der weiße Schemen eines großen Nachtvogels glitt über ihn hinweg. Ein Totenvogel. Das gewaltige Tier schlug völlig lautlos mit den Schwingen und stieg schnell hinauf, hoch hinauf über ihn, wo die Nebelschwaden für einen Moment zur Seite glitten und den Blick auf zwei frühe Sterne freigaben. Sie schienen ihm zuzuzwinkern, und Krendar zwinkerte zurück. Als er die Augen wieder öffnete, hatte ein fahles Zwergengesicht den Vogel und die Sterne ersetzt. Alles, was jetzt noch blinkte, war das Blatt einer Axt.

Dichter Nebel floss von den Bergen herab. Er legte sich wie ein Leichentuch über Bäume und Sträucher, sammelte sich an den Spitzen der Blätter und tropfte in dünnen Rinnsalen zu Boden. Die Königlichen standen reglos wie aus Stein gemeißelt. Schwer gepanzerte Elitekrieger, die ihre Bärte nach Art der Unteren zu Zöpfen geflochten hatten und deren blitzende Klingen nach Waffenfett und Tod stanken. Über ihren Köpfen flatterte träge die Standarte mit den drei goldenen Türmen, dem Zeichen des Großkönigs. Die Flanken wurden von barbarischen Clankriegern geschützt, deren Gesichter und Arme mit rituellen Narben übersät waren, und hinter ihnen marschierten in langen Reihen die Deroker Gildenverbände auf. Der bunt zusammengewürfelte Haufen aus Bürgern und Rekruten der Stadtwacht war mit einem Arsenal unterschiedlichster Waffen ausgerüstet. Hämmer, Äxte, Spitzhacken und andere Werkzeuge des täglichen Gebrauchs, die in größter Eile zu Mordwerkzeugen umfunktioniert worden waren. Was ihnen an Erfahrung fehlte, machten die Deroker durch unbändige Kampfeslust wett, und ihre Anführer hatten alle Hände voll zu tun, die undisziplinierten Männer und Frauen in Reih und Glied zu halten.

Glond warf einen Blick nach links und sah die mächtige Gestalt von Tork Hammerfest, dem Waffenschmied aus Dunbree, dessen mächtiger Brustkorb sich hob und senkte wie ein Blasebalg. Seine Hände hielten den gewaltigen Schmiedehammer wie ein Kinderspielzeug, und aus seinem geöffneten Mund dampfte heißer Atem in die nebelkalte Luft. Rechts stand Pike, der Bergmann aus den unteren Kohlegruben, das Gesicht so dunkel vom Ruß, dass man es im Dämmerlicht kaum erkennen konnte. Erwartungsvoll blitzten seine Augen aus der Schwärze hervor.

Pike fletschte die Zähne. »Was zitterst du so, Junge? Kannst es wohl nicht mehr erwarten, deine Klinge in einen dieser dreckigen Orkbäuche zu rammen, was?« Er klopfte Glond auf die Schulter und hinterließ einen schwarzen Handabdruck. »Keine Sorge, es werden genug für dich da sein. Ich habe gehört, sie sind uns eins zu zehn überlegen.«

»Eins zu zwanzig«, rief eine Reihe hinter ihnen Kjeld Steinvogel, der in den Gruben Pikes Vormann war. Man erzählte sich, dass er mit bloßen Händen einen Grubenteufel erwürgt hatte und direkt danach zum Angeln aufgebrochen war, weil er gerade so schön entspannt war.

»Eins zu zwanzig, sagst du?« Pike lachte. »Dann wirst du wohl heute nicht mehr rechtzeitig zum Abendessen zu Hause sein, alter Freund.«

»Eher als du, da wette ich drauf.«

»Darauf gehe ich ein: Wer als Erster seine Zwanzig voll hat!«

Irgendwo in der Ferne ertönte ein einsames Horn. Ein lang gezogener, klagender Laut, der Glond das Blut in den Adern gefrieren ließ. Er starrte auf das kurze Schwert in seiner zitternden Rechten. Mit der breiten, kaum armlangen Klinge war es wie geschaffen für die engen Formationen, in denen die Dalkar kämpften. Die Klinge war matt und schartig und mit dunklen Rostflecken überzogen, die ihn an getrocknetes Blut erinnerten.

Ein zweites Horn ertönte, und kurz darauf drang das dumpfe Dröhnen von orkischen Kriegstrommeln durch den Nebel.

»Die Hundeschnauzen spielen uns ein Ständchen«, rief Pike, und die Dalkar lachten. Raues und selbstbewusstes Lachen, das Dalkar von sich gaben, die zum Angeln aufbrachen und einen besonders guten Fang erwarteten. In ihrem Rücken begannen nun auch die eigenen Trommeln zu schlagen, und wer einen Schild besaß, fiel mit ein. Schlug mit seinem Hammer, Kurzschwert oder was auch immer er in Händen hielt, dröhnend gegen das Metall und lachte.

Glond wollte schreien. Heißkalte Schauer jagten über seinen Rücken, und er fühlte sich mit einem Mal schrecklich eingeengt zwischen den Hunderten nach Schweiß, Starkbier und Blutdurst stinkenden Kriegern. Das Zittern in seiner Schwerthand verstärkte sich. Er schloss die Augen und versuchte, sich zu beruhigen.

»Standhalten!«, brüllte jemand ganz in der Nähe.

Dann lief ein Beben durch die Reihen, so als wären zwei gigantische Steinböcke mit den Köpfen gegeneinandergeprallt. Die Dalkar wurden einen Schritt zurückgeschoben. Einen Augenblick später brandeten Schreie auf und das Geklirr von Metall, das auf Metall schlug.

Glond wurde heftig angerempelt, und der Aufprall presste ihm die Luft aus den Lungen. Die Welt begann sich um ihn zu drehen. Das blutgierige Gebrüll der Krieger dröhnte dumpf in seinen Ohren und verband sich mit den Schreien der Verwundeten zu einem infernalischen Getöse. »Ich kann nicht«, stieß Glond hilflos hervor. Er starrte auf seine Schwerthand. Er hatte jegliches Gefühl darin verloren. »Ich kann nicht«, wiederholte er. Doch niemand hörte ihm zu. Wie von allein löste sich das Kurzschwert aus seinem Griff und fiel schmatzend in den Schlamm.

Glond drehte sich mit weit aufgerissenen Augen zur Seite, wurde angestoßen und sah plötzlich Torks bärtiges Gesicht dicht vor seinem. Im nächsten Augenblick steckte ein Speer darin. Ein hässliches Ding mit einer Spitze aus grob gehämmertem Eisen. Der Waffenschmied hätte es jedem seiner Lehrlinge um die Ohren gehauen, der so etwas bei ihm abgeliefert hätte.

Tork verdrehte die Augen, ein Schwall Blut schoss aus seinem Mund. Glond brüllte auf und stieß ihn von sich. Doch die Reihen waren so dicht zusammengeschoben, dass der Schmied nicht umfiel, sondern wie ein Stehaufmännchen wieder zu ihm zurücktaumelte.

Glond schlug panisch um sich und drehte sich weiter. Hinter ihm stand ein knochiger Bursche in einer Lederweste, der verwirrt die Stirn runzelte. »Hey, Meista. Da vorn ist die Front!« Dem Dialekt nach musste das ebenfalls ein Bergmann aus Dunbree sein, der sich in dieser mörderischen Enge sicherlich pudelwohl fühlte.

Glond überließ ihm gern das Feld. Er stieß den verdutzten Dalkar zur Seite, um sich an ihm vorbeizudrücken, aber die hinter ihm Stehenden drängten sofort durch die Lücke nach vorn, jeder Einzelne wild darauf, endlich dem Feind gegenübertreten zu dürfen.

Das Waffenklirren war jetzt direkt in Glonds Rücken. Ein weiterer Speer rauschte an ihm vorbei und verschwand in der Menge. Neben ihm stieß Pike einen wilden Schlachtruf aus, schwang seine Spitzhacke dicht an Glonds Kopf vorbei und traf auf Widerstand. Blut und Knochensplitter spritzten ihm ins Gesicht.

»Eins!«

Glond wurde angerempelt, stürzte auf die Knie, und der Bergmann schlug ein weiteres Mal zu. »Zwei!«

Zu mehr kam er nicht, denn ein schweres Haumesser – so eines, wie Metzger sie verwendeten, um damit Schweine zu halbieren – trennte ihm den Arm von der Schulter.

Pike torkelte seitwärts und spießte sich selbst an einer ausgestreckten Glefe auf. Als er schreiend zu Boden ging, warf sich Glond nach vorn und kroch durch die entstandene Lücke ins Freie. Ein schwerer Stiefel streifte seine Schläfe, und für einen Augenblick wurde ihm schwarz vor Augen. Er wurde in den Schlamm gestoßen, bekam keine Luft mehr, schlug um sich und zappelte wie ein Fisch auf dem Trockenen. Dann fanden seine Hände festen Halt. Keuchend stemmte er sich nach oben und sog gierig frische Luft in die brennenden Lungen. Er rappelte sich auf und stolperte vorwärts. Kletterte über die Leiber blutender und sterbender Dalkar hinweg und schlug ihre Hilfe suchend ausgestreckten Hände beiseite.

Durch den Nebel drangen die wilden, tierischen Laute der Orks. Es kam ihm vor, als wären sie überall und nirgendwo zugleich, wie die rachedurstigen Geister der in den Gruben zurückgebliebenen Bergleute. Er duckte sich unter einem Ast, der plötzlich vor seinem Gesicht auftauchte, glitt aus, kugelte Hals über Kopf einen Hang hinunter und landete platschend in einem schmutzigen Bachlauf.

Benommen wälzte er sich herum und blieb auf dem Rücken liegen. Direkt über seinem Kopf schwang sich ein großer Vogel aus dem Geäst in die Lüfte und verschwand mit leisem Flügelschlag in die Nacht.

Lautlos glitt der Vogel davon. Seine breiten Schwingen hoben ihn hoch hinaus über den Nebel, der dicht über dem sumpfigen Boden klebte und dürre Bäume, zertrampelte Gärten und zerbrochene Zäune verbarg. Die grauen Schwaden verhüllten zwei ineinander verbissene Heere, dämpften das Brüllen der Kämpfenden, die Geräusche von Stahl auf Stahl, von Stahl auf Holz, Leder, Fleisch und Knochen, das Schreien und Wimmern der Verwundeten– all die hässlichen Geräusche des Schlachtfelds.

Die Krieger der Orks nannten ihn Totenvogel. Sie bezeichneten auch Krähen und Raben als Totenvögel, weil diese von Tod und Aas angezogen wurden. Tod und Aas gab es in der Welt der Stämme so regelmäßig wie wiederkehrende Jahreszeiten. Diesen Vogel hier jedoch nannten sie so, weil er in der Nacht flog, lautlos, wie die Geister der Welt, weil er bleich war, wie das Gesicht eines Toten, und weil sein Schrei selbst die mächtigsten Krieger erschauern ließ. Er begleitete, so hieß es, die Geister der Gefallenen zu den Ahnen. Wenn das tatsächlich der Fall war, hatte er heute Nacht viel zu tun.

Die Menschen bezeichneten ihn als Bewahrer der Weisheit und Weissagung. Ein Vogel, dessen Blick auch die tiefste Dunkelheit durchdringen konnte, wo das menschliche Auge blind in die Finsternis starrte, erschien ihnen als würdiges Symbol für das Streben nach Wissen und Erkenntnis.

Die Zwerge nannten ihn Eule. Nützlich bei der Beseitigung von Nagetieren auf den Feldern und in den Kornspeichern der Stadt und deshalb ein willkommener Gast hinter ihren Mauern.

In dieser Nacht war die Jagd nicht erfolgreich.

Die ehemals reichen Gärten im Norden und Osten Deroks lagen in Trümmern und wimmelten von Orks, die auf die Mauern der Zwergenstadt zuströmten. Schwarze, rauchende Flächen schwelten dort, wo sich noch vor wenigen Tagen erntereife Felder bis zum Fuß der nahen Berge erstreckt hatten. Dort am Horizont glommen jetzt die Feuer eines gewaltigen Heerlagers, aus dem immer neue Wellen von Orkkriegern kamen. Die Eule hatte keine Vorstellung von Zahlen, doch die Scharen der Angreifer waren größer, als es sich jeder der Bewohner hätte vorstellen können. Tausende Krieger schwärmten über die verwüsteten Ebenen vor den Toren, und noch mehr standen hinter ihnen bereit, um in die Stadt einzufallen, sobald eine Bresche geschlagen worden war. Und das würde nicht mehr lange dauern.

Ein loderndes Geschoss stieg von einem der Stadttürme auf und kreuzte die Flugbahn des Vogels. Mit einem unwirschen Schrei wich er aus und schraubte sich höher in die Nacht. Weit im Westen klebte der Nebel dichter über dem sumpfigen Land unterhalb der Stadtmauern, die das Viertel der Menschen umgaben. Doch auch dort krochen Orks durch die kalten Schwaden und vertrieben die Beute des Jägers in ihre Verstecke.

Der Vogel stieg noch höher und glitt über die brennende Mauer hinweg über den Ostteil der Stadt. In den tiefen Schluchten zwischen den Häusern hasteten Trupps schwer gepanzerter Zwerge in Richtung der Verteidigungsanlagen. Hoch beladene Wagen und Karren rumpelten in die Gegenrichtung davon. Nach Süden, wo der nahe Fluss die Stadt durchschnitt. Einem kalten Leichentuch gleich verdeckten die feuchten Schwaden die meisten der prächtigen Häuser und Straßen. Nur in der Mitte der Stadt, wo auf einem felsigen Hügel die ältesten Gebäude standen, ragten einzelne Dächer aus der zornig orangerot glimmenden Nebelsee. Doch auch dorthin flog er heute Nacht nicht. Die großen Kornspeicher Deroks, die das felsige Ufer des Flusses säumten, waren geleert. Im flussabwärts liegenden Hafen herrschte fieberhafte Geschäftigkeit, und die Ratten hatten sich beunruhigt in ihre Löcher verzogen. Weitere Geschosse fauchten durch die Nacht nach Norden und Osten in die Wellen der Angreifer, und die Eule drehte ab, um in Richtung Süden über den Fluss zu fliegen. Sie war nicht, wie die fliehenden Zwerge und Menschen unter ihr, auf eine der drei Brücken angewiesen, die den eisigen Fluss überspannten. Doch ihr Ziel war dasselbe: die Ruhe und Sicherheit des Südufers und der Festung Deroks, die auf einem Felsen hoch über der Schlucht thronte. Die Feste ragte aus dem Nebel wie eine einsame, zerklüftete Insel. Sie war in dieser Nacht hell erleuchtet, ein Leuchtfeuer, das die Scharen der Flüchtenden ebenso anzog wie die Horden des Feindes. Seit beinahe einhundert Wintern thronte sie auf dem Berg. In ihrem Schatten war Derok zur nördlichsten Stadt der Zwerge und Menschen herangewachsen. Einem Bollwerk, das die zivilisierten Regionen stromabwärts von den wilden Steppen der Orks im Norden trennte. Bis heute hatte Derok Zwerge und Menschen sicher vor den Übergriffen der Stämme bewahrt. Das schien sich nun geändert zu haben.

Geräuschlos flog der Nachtvogel einen weiten Kreis über die Gärten der Festungsanlage. Auch hier würde er heute kein Glück haben. Die Terrassen wimmelten von grimmigen Arbeitern der Zwerge, die Reihen von Wurfmaschinen aufbauten. Karren brachten Felsbrocken und schwere Ölfässer, Strohballen wurden mit Steinen beschwert und mit Pech getränkt, Seile geflochten, Katapultmannschaften nahmen Messungen und Ausrichtungen vor. Einem geschulten Auge wäre nicht entgangen, dass selbst die größten der Katapulte ihre Ladungen niemals über die Grenzen der Stadt hinaus werfen würden. Aber das war auch nicht die Absicht. Es schien, als hätten die Verteidiger nicht vor, ihre Stadt den Orks zu überlassen. Sie würden sie niemandem überlassen.

Mit einem enttäuschten Schrei glitt die Eule die Steilwand hinab zu den schmalen, düsteren Öffnungen, die tief in den Fels hineinführten, um Luft in die Gewölbe und Verliese unter der Festung zu bringen. In einem dieser Schächte hatte sie ihr Nest. Sie schüttelte ihr Gefieder und hüpfte in die Dunkelheit des Berges.

Zwei

Ragroth rannte. Zusammen mit Urok, Grurach und dem Rest seines Trupps schleppte er eine roh gezimmerte Sturmleiter durch Nieselregen, Gräben und Nebelschwaden. Andere Gruppen trugen weitere Leitern links und rechts von ihnen, kämpften sich durch schwarzen Schlamm und brüllten, um sich Mut zu machen.

Etwas fauchte im Nebel. Ein Lichtschein riss die Schwaden auseinander und traf krachend die Leiter, die neben ihnen getragen wurde. Ließ sie in einem Schauer aus Splittern und Feuerzungen zerbersten, rammte zwei der Krieger in den Boden und überrollte einen dritten. Ragroth hörte nicht auf zu brüllen. Er lief weiter, während rund um ihn flammende Katapultgeschosse niedergingen und mit dumpfem Schmatzen im Acker einschlugen oder noch mehr Krieger unter sich begruben. Zornig schwirrende Blitze regneten auf sie herab, trafen auf Fleisch, kreischten über Rüstungen, pochten in Schilde.

Der Aerc vor Grurach bekam einen der kurzen Brandpfeile direkt in den Kopf, das Geschoss stoppte nur eine Handbreit vor Grurachs Gesicht. Er stieß den Toten beiseite, lief über ihn hinweg und brüllte noch immer.

Mehr Leichen, über die sie stolperten, Reste früherer Katapultgeschosse, zersplitterte Leitern, die wie Skelette aus dem Nebel ragten, Speere, tieferer Schlamm. Der Gestank sprang Ragroth an wie ein Raubtier, drängte sich durch seine weit geöffneten Nüstern, presste sich an seinen gefletschten Zähnen vorbei die Kehle hinab und hinterließ dort eine saure, brennende Spur. Verbrannter Braten war dabei und Erdpech, der metallische Geruch von Blut, verschmortes Horn und erkaltetes Fett, der beißende Gestank von Fäkalien und der widerlich süßliche Odem der Verwesung. Das war nicht der Geruch eines ehrenhaften Kampfs. Dieser Pesthauch war das Werk ihrer Feinde.

Aufwärts ging es jetzt, über die Körper von Gefallenen, Berge von abgeschlachteten Kriegern und toten Feinden. Seine hornigen Füße glitten auf Panzerplatten aus, versanken in schlaffem Fleisch, wichen brennenden Strohkugeln aus. Starre Leichenhände schienen ihn festhalten zu wollen. Die Geister der Toten blieben nicht gern allein.

Und dann war sie da. Schwarz und glatt ragte sie vor ihnen in den Nebel empor: die Mauer, die den Feind verbarg und seit drei Sonnenuntergängen jedem Ansturm trotzte. Aber nicht diesem. Heute würde die Stadt der Wühler fallen. Heute würden sie auf ihren Wehrmauern blutige Ernte halten.

Mit einem letzten vielstimmigen Brüllen rammten die Aerc den Fuß der Leiter zwischen die Körper der Gefallenen und stemmten sich gegen das raue Holz. Hoch und immer höher stieg das andere Ende in den Nebel. Noch bevor es die Krone der Mauer berührte, kletterten die Ersten hinauf. Links und rechts krachten weitere Leitern gegen den Stein, eilten Dutzende Krieger die rohen Sprossen hinauf, um Ruhm zu erringen, um die Toten zu rächen, um zu sterben – in erster Linie aber, um Wühler zu schlachten.

Klatschend ging ein Sturzbach auf die Leiter neben ihnen nieder. Heiße Spritzer trafen sie an Armen und Gesichtern, kreischende Krieger fielen herab und wälzten sich in den Toten. Als Wolken von Dampf aufstiegen und sich mit dem Nebel vermischten, stank es nach kochendem Fleisch. Einige Schritte weiter wurde eine Leiter von der Mauer geschoben und fiel in die nachfolgenden Massen. Nichts, was sie kümmern musste.

Ragroth schwang sich auf ihre Leiter und erklomm Sprosse für Sprosse. Der Krieger vor ihm erreichte die Mauerkrone. Im selben Moment bohrte sich ein Speer in seine Schulter und stieß ihn in die Tiefe. Ragroth duckte sich, dann schnellte er hinauf, packte den Speer und zog. Ein erschrockenes Gesicht tauchte über der Mauer auf, und Ragroth hieb den Dorn seiner Kriegskeule hinein. Der Besitzer von Gesicht und Speer stolperte nach hinten. Der Aerc ließ sich die letzten Sprossen hinaufziehen, wälzte sich über die Mauerkrone und warf sich zur Seite. Eine eiserne Speerspitze schrammte funkensprühend über die Stelle, an der er soeben gewesen war. Er riss die Keule los und schwang sie tief. Der Hartholzkopf zermalmte ein Knie. Schreiend kippte der Speerträger weg und verschaffte ihm genug Raum, um aufzustehen.

Menschen. Die Krone der Mauer wimmelte von Menschen, die so dicht gedrängt standen, dass sie sich gegenseitig behinderten. Ein eisernes Messer stach nach Ragroth. Grurachs Streitaxt rauschte an ihm vorbei und zertrennte den zugehörigen Ellbogen. Ragroth fing die herabfallende Klinge auf und rammte sie durch ein ledernes Wams, während seine Keule in die Hüfte eines weiteren Menschen biss. Es war beinahe lächerlich einfach, die Verteidigung der Menschen beiseitezufegen. Sie waren schwächlich, die meisten kleiner als ein Aerc, und so, wie sie ihre Waffen hielten, musste man ihnen wohl nur genug Zeit lassen, und sie würden sich selbst damit verletzen. Nicht, dass Ragroth ihnen diese Zeit gab. Er zerhackte einen Speerschaft, packte einen der Menschen am Wams und schob ihn in den nächsten Hieb des Aerc neben sich, riss einem dritten mit den Krallen den ungedeckten Hals auf.

Rechts von ihm stand ein anderer Truppführer der Stämme auf einer der Zinnen. Er hieb seine Stachelkeule auf die Schädel der Verteidiger, bevor er sie in die Höhe riss und ein heiseres Brüllen ausstieß. »Vorwärts, Wölfe! Macht sie nieder! Haut sie in Stücke. Ich will diese Stadt brennen sehen! Für die Stämme, für Rogoru! Ich will …«

Was er noch alles wollte, erfuhr Ragroth nicht mehr. Ein Spieß bohrte sich in den Wanst des Schreihalses und stieß ihn von der Zinne.

Weniger brüllen, mehr hauen. Sonst wird das nichts mit dem Brennen. Ragroth fletschte die Zähne und fegte eine Speerspitze beiseite. In seinem Rücken spürte er die gewohnte Masse der Brüder Urok und Grurach, die auf der anderen Seite wüteten. Hinter ihnen erreichten weitere Krieger die Mauerkrone und fielen über die Menschen her. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Grurach unwirsch den Kopf schüttelte.

»Was soll das?«, brüllte der narbige Krieger über den Schlachtenlärm hinweg. »Dafür sind wir nicht hier! Ich denke, wir sollen Erdmaden töten!«

Grurachs Bruder öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen. Doch statt Worten kam die eiserne Spitze eines Zwergen-Kurzpfeils heraus. Urok stolperte einen Schritt rückwärts und kippte langsam über die Zinnen.

Für einen endlos erscheinenden Augenblick blieb die Welt stehen. Grurach starrte dem Körper seines Bruders nach, wie er grotesk langsam hinabtrudelte, den Leichenbergen am Fuß der Wand entgegen. Die Gesichter der Aerc um sie waren stumm, die Fratzen der Menschen zu Schreien verzerrt, doch kein Laut drang bis zu ihnen vor. Dann schlug Urok auf, und sein Blut malte einen dunklen Stern auf den Boden. Die Zeit kehrte zurück und mit ihr der Lärm der Schlacht. Brüllend fuhr Grurach herum, und sein nächster Hieb enthauptete einen der Menschen. Ein zweiter Mensch stach ihm einen Spieß in den Schenkel, doch er bemerkte es nicht einmal.

»Grurach! Zurück in die Formation!«, brüllte Ragroth, doch der narbige Krieger schien ihn nicht zu hören. Er zermalmte seinen Gegner, warf einen dritten von der Mauer und brach einem vierten die Nase.

Ragroth knirschte mit den Zähnen.

Ein schwarzer Pfeil schwirrte aus dem Turm vor ihnen und durchschlug Grurachs Schulter. Plötzlich gehorchte der Arm des bulligen Aerc nicht mehr. Er fiel herab, die Faust öffnete sich ohne sein Zutun, und die Axt entglitt Fingern, die dem Krieger nicht mehr gehorchten. Mit der Linken packte Grurach einen Mann und schlug dessen Gesicht an einer Zinne zu Brei. Wieder surrte ein Kurzpfeil heran. Tief grub er sich in die Brust des Aerc und zerschlug seinen Schrei.

Ragroth sah den großen Aerc schwanken und noch immer auf den Bolzen in seiner Brust starren. Beinahe zögerlich sank der Krieger auf die Knie und kippte schließlich vornüber aufs Gesicht. Etwas Kleines, Schwarzes fauchte an Ragroth vorbei und bohrte sich in einen Menschen neben ihm, der prompt zu kreischen begann. Scheiße. Ragroth packte den Schreienden und riss ihn zwischen sich und den Turm. Ein weiterer Bolzen schlug in den Kerl ein und beendete das Gekreische. Ragroth drückte sich zwischen zwei Zinnen und zog den Kopf ein. »Achtung!«, brüllte er. »Pfeilwerfer!«

»Was du nicht sagst, Broca!«, rief der Aerc, den sie den Linken nannten. Er schwenkte seinen Schild, aus dem mindestens drei schwarze Bolzen ragten. »Der ganze Turm da drüben ist voll davon!« Der sehnige, grauhäutige Aerc riss seinen Spieß aus den Eingeweiden eines der Verteidiger. Sein Bruder beförderte den Menschen mit einem Tritt von der Mauer. Hinter ihre Schilde geduckt, liefen die beiden zu Ragroth herüber. Neben ihnen gingen zwei weitere Aerc unter den zornigen Bissen der Kurzpfeile zu Boden.

»Wir haben die Mauer, aber das war’s auch, Broca«, meldete der Linke dem Truppführer. »Solange wir nicht in die Türme kommen …«

»… sind wir totes Fleisch«, beendete sein Bruder den Satz. Wieder einmal stellte Ragroth fest, dass er diese Angewohnheit anstrengend fand. Fast noch schlimmer als die Tatsache, dass er die beiden Korrach, wie sich die grauen Aerc aus den östlichen Bergen selbst nannten, nicht auseinanderhalten konnte. Er war schon vor Längerem davon abgekommen, sie mit Namen ansprechen zu wollen. Stattdessen nannte er sie nur den Linken und den Rechten. Je nachdem, welcher wo stand. Sie schien es nicht zu stören. Trotzdem ging es ihm auf die Nerven. »Verluste bisher?«

»Bei uns oder insgesamt?«

Ragroth schnaubte. »Es ist mir scheißegal, wie viele Idioten Drangog zu den Ahnen schickt. Die Weststämme sind sowieso zu groß. Wie sieht’s bei uns aus?«

Die Korrach sahen sich an. »Grurach und Urok«, sagte der Linke.

»Außerdem die Fadrach-Brüder«, fügte der Rechte mit einer Spur Bedauern hinzu.

»Dreck.« Ragroth spielte mit dem Gedanken, einen Blick um die Zinne auf den Wehrgang zu werfen. Neben ihnen ging ein Krieger unter gleich drei Kurzpfeilen der Zwerge zu Boden, und er verwarf die Idee wieder.

»Vielleicht …«

»… sollten wir Modrath hier hochholen.«

Ragroth stierte den Rechten an. »Kannst du mir verraten, wie wir seinen fetten Arsch die Leiter hochbekommen sollen?« Er warf einen schnellen Blick die Außenseite der Mauer hinab. Dort unten schwärmten Hunderte von Kriegern. Ihm fiel auf, dass er sie recht gut sehen konnte. Was bedeutete, dass sich der Nebel lichtete – und das wiederum hieß, dass die Zwerge in den Türmen bald ebenfalls sahen, wohin sie schießen mussten.

Hier oben konnten sie ohnehin niemanden verfehlen, ob mit Fackeln oder ohne. Der Wehrgang auf der Mauer sah anders aus als erwartet: Eine massive Rückwand versperrte Sicht und Zugang zur Stadt. Verlassen konnte man ihn nur über zwei kleine Türen in den Türmen, die ihn flankierten. Doch wie es aussah, waren diese Türen nicht nur mit Eisen beschlagen, sondern auch noch fest verschlossen. Anders war es wohl kaum zu erklären, warum sich die fliehenden Menschen vor ihnen sammelten und panisch dagegenhämmerten, bis sie von den Aerc niedergemacht wurden. Die Krieger der Aerc allerdings fielen ihrerseits unter den Kurzpfeilen, die aus Löchern neben den Türen schwirrten. Jetzt, da die meisten Verteidiger tot waren, hatten die Schützen im Turm freies Schussfeld. Das Ganze war eine verdammte Falle. Nur dass das unten keiner wusste, weshalb unaufhörlich weitere Aerc die Sturmleitern erklommen.

Ragroth stieß ein tiefes Knurren aus. »Holt mir die verdammten Skrag. Sagt ihnen, sie sollen mich einsammeln. Wir müssen die Tür da aufmachen.« Er deutete mit dem Daumen in Richtung Turm. »Hat dieses Arschloch Urumai nicht auch noch ein Paar Skrag?«

Die Korrach sahen sich an und zuckten mit den Schultern. »Ich glaube …«, sagte der Linke.

»… du hast recht«, ergänzte der Rechte.

»Dann sagt ihm, dass er sie auf den anderen Turm schicken soll. Wir müssen da rein. Sonst gibt es hier oben nur noch Leichen, wenn der Nebel weg ist.«

Der Linke zuckte mit den Schultern. »Wenn du’s sagst, Broca.«

»Sag ich. Und dann will ich euch wieder hier oben sehen. Wir haben heute noch Wühler zu schlachten.«

»Geht klar, Broca.« Die beiden Korrach nickten synchron. Sie stiegen auf die benachbarte Zinne und stießen die dort angelegte Belagerungsleiter von der Wand. Ohne auf die Schreie und Flüche der Krieger zu achten, die gerade daran nach oben kletterten, sprangen sie nacheinander auf die kippende Leiter und rutschten ihre Rückseite hinab.

»Blöde Ärsche«, murmelte Ragroth halbherzig. Er hob den toten Menschen an und schob sich in dessen Deckung hinter der Zinne hervor, um nochmals den Wehrgang zu mustern. Er war breit genug, um auch mit größeren Truppen ordentlich darauf laufen zu können. Ein steiles Schieferdach schützte ihn nicht nur vor Regen, sondern auch gegen Angriffe von oben. Leider war er tatsächlich völlig ungeschützt, was die Schießscharten der beiden Türme an seinen Enden betraf. Was vermutlich auch die Absicht war. Über der kleinen Tür in der Wand des Turms ragte ein Vorsprung aus der massiven Wand.

Nachdenklich leckte sich Ragroth über die Hauer. Das Ganze gefiel ihm überhaupt nicht. Zwei junge Krieger waren auf die eigentlich schlaue Idee gekommen, sich direkt an der Tür aus dem Schussfeld der Zwerge zu ducken. Beinahe hätte Ragroth sie beglückwünscht, als der Vorsprung über der Tür plötzlich zu dampfen begann. Noch ehe die beiden es bemerkten, schoss schäumende Flüssigkeit auf sie herab. Wo immer sie die Haut der Aerc berührte, warf diese sofort Blasen. Und sie berührte viel Haut.

Kreischend und um sich schlagend rannten die beiden Pechvögel den Wehrgang entlang. Grimmig stellte Ragroth fest, dass ihnen kein einziger Kurzpfeil der Zwerge folgte. Panisch prallten sie in die nachkletternden Aerc und sorgten für noch mehr Durcheinander, bevor sie niedergemacht wurden. Angewidert spuckte Ragroth aus. Auf eine derart unehrenhafte Schweinerei konnten auch nur die Erdmaden kommen. Er sparte sich die Glückwünsche.

Weitere Krieger sprangen von den Leitern auf die Zinnen und dann auf den Wehrgang. Dort brüllten sie ihre Herausforderungen und wurden von den Pfeilen der unsichtbaren Verteidiger niedergemacht.

Ragroths mächtige Kiefer mahlten. Jetzt wurde ihm klar, warum die Angriffe an den drei vorangegangenen Tagen gescheitert waren. Die Zwerge hatten gar nicht vor, sich einem ehrlichen Kampf zu stellen. Diese bärtigen kleinen Drecksäcke wollten das einfach aussitzen. Am Ende würden sie sogar erfolgreich damit sein. Schon jetzt wurden die Schüsse vom Turm gezielter. Je mehr Brandherde das schlammige Leichenfeld am Fuß der Mauer beleuchteten, desto mehr Aerc fielen unter den bösartigen, kleinen Pfeilen und den riesigen Feuerkugeln, die krachend von den Türmen geschleudert wurden. »Kommt schon«, murmelte er. »Kommt schon.«

Eine Bewegung am Rande der Dunkelheit zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Ein großer blauschwarzer Schatten schoss durch die Nebelschwaden. Er huschte an den heranstürmenden Aerc vorbei, sprang mit kraftvollen Sätzen von Leichenberg zu Leichenberg, setzte scheinbar mühelos über einen umgestürzten Wagen, landete auf allen vieren und galoppierte weiter, ohne im Geringsten langsamer zu werden. Eine zweite Gestalt folgte dichtauf.

Krieger zuckten vor ihnen zurück und änderten die Richtung, sodass sich wie von selbst ein Weg vor den Schatten auftat. Am Fuß des Turms hielten sie an, richteten sich auf und musterten die glatte Wand. Die Skrag. Im flackernden Licht der Brände schienen ihre Körper ebenso rastlos zu zucken wie ihre vielen Schatten. Ragroth war sich beinahe sicher, die schwarzen, breiten Nüstern beben zu sehen, als ihre Blicke die Steine nach oben wanderten.

Der größere der beiden stieß ein tiefes Bellen aus und sprang an der Wand hinauf. Einen Moment lang klebte er am Fels wie eine Fliege, dann zog er sich höher. Der zweite Skrag folgte. Mit unheimlicher Geschwindigkeit erklommen sie die scheinbar fugenlose Mauer, wichen den Schießscharten aus und waren in wenigen Augenblicken in der Dunkelheit verschwunden, die das obere Ende des Turms einhüllte. Ein dumpfes Pochen verkündete, dass sie auf dem Dach des Wehrgangs angekommen waren, und nur Momente später klirrten die schweren Schieferplatten über seinem Kopf. Ein langer, haariger Arm tauchte direkt vor ihm auf, baumelte vom Dachrand herab und streckte ihm eine ledrige Pranke mit schwarzen Klauen entgegen.

Ragroth fletschte die Zähne. Dann spannte er sich an und sprang. Seine Finger fanden raues Fell und krallten sich fest. Für einen langen Lidschlag baumelte er haltlos über verflucht viel Leere, ehe sich die harten Finger um seinen Unterarm schlossen und ihn auf das Dach zogen. Aus dieser Nähe stank der Skrag unglaublich nach nassem Raubtier. Vom Schwall fauligen Atems, der in weißen Wolken zwischen seinen Hauern hervorquoll, ganz zu schweigen. Nur mit Mühe unterdrückte Ragroth den Impuls zurückzuzucken. Stattdessen nickte er unwirsch und tastete sich auf allen vieren über den nassen Schiefer in Richtung Turm. Dem Skrag schien der schmierige Untergrund nicht das Geringste auszumachen. Mit wenigen großen Sprüngen hatte er ihn überholt und polterte über das Dach, als ginge es nicht direkt neben ihnen mehr als acht Mannslängen tief hinab.

Die Wesen waren wie üblich vollkommen unbekleidet. Sofern man kurzes, struppiges Fell und breite Gürtel nicht als Kleidung zählte. In die längeren Haare auf Schädel, Schultern und Rücken waren dünne Zöpfe geflochten, und darin schimmerten kleine Steine, Knochen, Zähne und Federn. Durch alle möglichen und unmöglichen Körperstellen waren Knochensplitter getrieben, die meisten mit seltsamen Ornamenten verziert. Außerdem waren die Skrag muskulöser als alle anderen Aerc, mit langen, sehnigen Gliedmaßen, die einem Krieger glatt den Kopf abreißen konnten. Das Gleiche galt für ihre Füße – Ragroth hatte es schon erlebt.

Er fluchte stumm, jedoch von Herzen. Nein, er konnte die Waldteufel fast noch weniger ausstehen als die Korrach-Brüder. Ein Aerc sollte diese Kletterei nicht mögen. Scheiße, ein Aerc sollte nicht mal so aussehen!

Ragroth hatte keine Ahnung, woher sie kamen und was sie in diesem Krieg wollten. Vielleicht waren die Zwerge auch in ihr Stammesland eingefallen, vielleicht wucherten auch dort die steinernen Städte der bärtigen Eindringlinge aus dem Boden, obwohl er keine Ahnung hatte, wo das sein sollte. Er kannte niemanden, der schon einmal ein Dorf der Waldteufel gesehen hatte. Die Kriegsherren der Stämme hatten jedenfalls beschlossen, dass diese Dinger Aerc waren. Ragroth war zwar anderer Ansicht, aber das interessierte ja niemanden.

Immerhin, im Krieg gegen die Wühler sind sie unbezahlbar. Das muss man ihnen lassen. Und dabei muss man sie nicht einmal bezahlen.

Es gab nur wenige von ihnen im Heer der Stämme, aber sie alle teilten einen unstillbaren Hass auf Zwerge. In der Regel machten sie, was man ihnen sagte, solange es dazu führte, dass noch mehr Wühler starben. Und dafür waren sie ja hier.

Über ihnen flog mit lautem Krachen eine neuerliche Brandkugel in den Himmel. Ragroth kniff die Augen zusammen und wandte den Blick ab. »Also gut, ihr geht rauf und legt jeden um, den ihr seht.« Als würdet ihr jemanden am Leben lassen, selbst wenn ich das will. »Aber vor allem sorgt ihr dafür, dass der Feuerwerfer aufhört, unsere Leute zu beschießen. Dann lasst ihr mir ein Seil runter. Aber keiner geht in den Turm, bevor ich es sage. Verstanden?« Natürlich habt ihr mich verstanden. Die Frage ist – habt ihr heute Lust, Befehle zu befolgen?

Die Skrag musterten ihn mit ihren schmalen, im Feuerschein rot glimmenden Augen. Der größere fletschte unwirsch die riesigen Reißzähne und stieß ein dumpfes Grollen aus. Doch der kleinere, das Weibchen, fauchte den anderen an, worauf das Grollen verstummte. Sie schlug die Pranke auf ihre nackte Brust, wandte sich um und kletterte die Wand hinauf.

Der männliche Skrag starrte Ragroth noch einen Augenblick lang an. Der Aerc hielt seinem Blick stand, und am Ende war es der Skrag, der zuerst die Augen senkte. Er wiegte seinen hässlichen Schädel, hob die Pranken und ließ sie auf die Schieferplatten klatschen. Schließlich klopfte er sich selbst auf die Schulter und verschwand ebenfalls die Wand hinauf in der Nacht.

Drei

Mit einem Aufschrei erwachte Glond. Einige Augenblicke lang blieb er schwer atmend liegen und lauschte dem hektischen Hämmern seines Herzens, das sich nur mühsam wieder beruhigte. »Es ist vorbei«, murmelte er benommen. »Es war alles nur ein Albtraum.«

Doch dann spürte er den kalten Steinboden unter sich und erinnerte sich wieder daran, wo er sich befand. Und dass der Albtraum gerade erst begonnen hatte.

Stöhnend richtete er sich auf. Seine Haut brannte, und seine Muskeln waren ein einziger Klumpen dumpfen, pulsierenden Schmerzes. Er spürte jeden Schlag und Tritt so, als hätten sich die Kerkerwächter eben erst über ihn hergemacht und nicht schon vor vielen Stunden. Oder waren es Tage? Wie lange saß er schon in diesem stinkenden Loch?

Durch das vergitterte Fenster in der Tür fiel schwaches Fackellicht und beleuchtete die Silhouette einer fetten Ratte, die vor dem Blechnapf hockte, den sie ihm in die Zelle geschoben hatten. Sie nagte an etwas, das entfernt an einen Finger erinnerte. Kurz hielt sie in ihrer Arbeit inne und warf Glond einen geringschätzigen Blick aus vereiterten Augen zu, ehe sie ihm den Rücken zudrehte und sich erneut über ihren Fund hermachte.

Irgendwo rasselte es, und eine Tür knallte ins Schloss. Schwere Schritte hallten durch die niedrigen Gänge heran. Für einen Augenblick hatte Glond die irrwitzige Hoffnung, dass sie nicht anhalten und einfach an seiner Zelle vorübergehen würden. Dass sie irgendeinen anderen armen Teufel quälen wollten. Aber es war vergeblich. Knirschend drehte sich ein Schlüssel im Schloss, die Tür wurde aufgestoßen.

Die Ratte huschte in eine dunkle Ecke, und zwei Gestalten betraten die Zelle, die so niedrig war, dass sie ihre Fackeln senken mussten. Glond blinzelte in die plötzliche Helligkeit und sah Stahl aufblitzen. Das waren nicht die üblichen Wächter in ihren speckigen Lederharnischen. Die beiden Dalkar trugen schwere Kettenhemden und gut gepflegte Kurzschwerter an den Gürteln. Soldaten.

»Was für ein Dreckloch«, sagte der eine und trat angewidert den Blechnapf zur Seite. Er trug die Barthaare nach Art der Unteren zu Zöpfen geflochten. »Es stinkt nach Pisse.«

»Es gibt Schlimmeres.« Der andere war etwas kleiner als sein Kamerad, und in seinen Augen blitzte eine Spur Mitleid auf. Aber vielleicht hoffte Glond das auch nur. »Bist du Glond ohne Namen? Der Verräter?«

»Wer soll er denn sonst sein?«, brummte der mit den Zöpfen. »Er wird die Zelle sicherlich nicht mit seinem Nachbarn getauscht haben.«

»Vorschrift ist Vorschrift. Wir wollen doch nicht aus Versehen den Falschen abholen, stimmt’s?«

»Kommt am Ende doch ohnehin auf das Gleiche heraus.«

»Es gibt Unterschiede.« Der Kleinere strich sich über den Bart. »Hat man dir eine angemessene Mahlzeit zukommen lassen?«

Glond warf einen Blick auf den umgekippten Blechnapf, dessen undefinierbarer Inhalt träge über die Steinplatten floss. Er zuckte mit den Schultern. Es war vermutlich egal, ob er etwas Angemessenes zu Essen hatte oder nicht. Wie hatte der mit den Zöpfen gesagt? Am Ende kam es ohnehin auf das Gleiche heraus.

»Dann komm jetzt. Kannst du laufen?«

Ragroth wartete einen langen Moment, ehe er behutsam den Atem ausstieß. Diese verdammten Skrag jagten ihm Schauer über den Rücken. Vorsichtig setzte er sich auf den Dachfirst und lehnte sich an die kalte Wand des Turms. Vielleicht war es möglich, ihn hier zu treffen, falls ihn jemand auf dem anderen Turm entdecken sollte. Aber er bezweifelte, dass ihn bei Dunkelheit und Nebel irgendjemand sah. Kein Grund, sich deswegen auch noch den Kopf zu zerbrechen. Wenn er jetzt auf diesem Scheißdach ausrutschte und sich unten das Genick brach, wäre er auch nicht weniger tot. Außerdem war die Aussicht hier oben sehenswert.

Zu seiner Linken, tief unter ihm, brannten inzwischen zahllose Feuer, wo die flammenden Geschosse und Brandpfeile der Zwerge niedergegangen waren. Im flackernd erleuchteten Rauch und Nebel stürmten noch immer zahllose Schatten gegen die Mauern an. Viel zu viele stürzten, von den unablässig regnenden Geschossen von den Mauern und aus den Türmen niedergestreckt. Für einen Moment fühlte Ragroth so etwas wie Scham, weil er nicht mit den restlichen Stämmen der Aerc kämpfte und starb, sondern hier oben in Sicherheit saß. Das Gefühl hielt allerdings nur sehr kurz an. Dort unten zu verrecken half den Stämmen nicht. Aber wenn es ihnen gelang, den Turm zu öffnen, könnte die Stadt endlich fallen. Und dafür war er schließlich hier oben.

Er wandte sich ab und warf einen ersten Blick auf die Stadt auf der anderen Seite der Mauer. Der Anblick rückte die Schlacht in weite Ferne. Unter ihm erstreckten sich die schemenhaften Silhouetten der Zwergenstadt in den Nebel. Nur wenige Fackeln und Lichter flackerten auf dieser Seite der Mauer. Sie beleuchteten hohe, dunkle und abweisend wirkende Bauten aus Stein.

Beeindruckt sog Ragroth die Luft zwischen den Zähnen hindurch. Derart riesige Häuser hatte er noch nie gesehen. Das waren nicht die Zelte der Wüstenstämme oder die Grassodenhäuser der Aerc in den nördlichen Steppen. Selbst die in den Fels gebauten Burgen der Korrach waren nicht derart riesig. Und auch mit den geduckten Langhäusern der menschlichen Dörfer und Städte des Nordens hatten diese Bauten keine Ähnlichkeit. Fast jedes Gebäude war so hoch wie die Mauer: drei, vielleicht vier Ebenen, vollständig aus Stein geschichtet und mit dunklen Schieferplatten bedeckt. Schmale, dunkle Fensteröffnungen und Rauchlöcher schienen ihn lauernd zu mustern.

Langsam ahnte er, warum es den Kriegsherren so wichtig war, diese Stadt der Wühler zu erobern. Vor ihm lagen mehr Höhlen, als sein ganzer Stamm benötigte – und das war nur das, was er im Nebel erkennen konnte. Was dahinter lag? Vielleicht wussten es die Ahnen. Ragroth bezweifelte allerdings, dass seine Ahnen schon einmal etwas derart Gewaltiges gesehen hatten.

Was allerdings sicher war: Die Ahnen wollten, dass sie die Wühler von hier vertrieben. Sie vernichteten.

Noch vor einhundert Wintern war dies hier heilige Erde der Stämme gewesen. Dann waren die Wühler gekommen. Sie hatten Tod und Verwüstung über die Aerc gebracht und das Land an sich gerissen. Diese monströse Stadt war aus den Knochen ihrer Ahnen gewachsen, eine abartige Wucherung, um die auf mehrere Tagesmärsche kein Platz für Jagdwild mehr war. Oder für Aerc. Schwächliche Menschen bestellten hier schlammige Felder, und die Wühler trieben ihre Schächte in jeden Hügel und Berg, in ihrer unersättlichen Gier nach Gold und Eisen.

Doch nicht mehr lange. Dieses steinerne Wühlernest hier war das Tor zu den Ländern der Menschen und Zwerge. Sobald es gefallen war, würden die Krieger der Aerc jede Siedlung der Bärtigen aus dem Land brennen, wie man schwärende Wunden ausbrannte. Wenn dieser Feldzug vorbei war, würde es wieder den Stämmen gehören. Und es würde heilen können.

Doch zuerst musste diese Stadt aus dem Fleisch des Landes geschnitten werden. Das war es, was die Häuptlinge sagten. Und diese sagten, was ihnen die Drûaka, die Totensprecherinnen, von den Ahnen übermittelten.

Was Ragroth betraf – er brauchte den Ruhm. Wenn er sich in dieser Schlacht einen Namen machte, konnte er vielleicht heimkehren. Gold und Waffen der Feinde waren eine willkommene Zugabe. Doch was er wirklich brauchte, war ein Name, der so groß war, dass die Ältesten nicht länger vorgeben konnten, er würde nicht mehr existieren. Dann bestand die Chance, seine letzten Winter an seinem eigenen Herdfeuer zu verbringen. Wenn er ehrlich war – lange blieb ihm nicht mehr.

Es wurde Zeit für Heldentaten. Oder die Art von Dummheiten, die andere dafür hielten.

Eine Bewegung in der Schlucht zwischen den Zwergenhäusern erregte seine Aufmerksamkeit. Gestalten liefen dort unten in den Nebel, sie zogen einen hoch beladenen Handkarren hinter sich her. Wie es aussah, räumten die Bewohner in aller Hast ihre Häuser. Schien so, als vertrauten die Zwerge ihrer Mauer nicht mehr. Die Kriegsherren würde dieser Anblick freuen.

Irgendjemand brüllte unten hinter der Mauer Befehle, im typisch groben Tonfall der Zwerge. Stiefel donnerten, Waffen klirrten. Vielleicht wollten die Wühler die Verteidigung ihrer Stadt also doch nicht allein den Menschen überlassen. Ihm sollte es recht sein. Dann konnte er doch noch auf einen ordentlichen Kampf hoffen.

Ein Geräusch über ihm ließ ihn zusammenfahren. Metall scharrte auf Stein. Ein Körper rauschte heran und krachte auf das Schieferdach direkt vor seinen Füßen. Aufgerissene Augen starrten ihn an, blutige Lippen versuchten, Laute zu formen. Selbst wenn Ragroth die Sprache der Wühler verstanden hätte, wäre es in diesem Fall wohl nutzlos gewesen. Das einzige Geräusch, das der Zwerg von sich gab, war das leise Blubbern, mit dem das Gemisch aus Luft und Blut aus seiner zerfetzten Kehle strömte. Der Aerc musterte den Sterbenden mit mildem Interesse. Die Skrag hatten ihm seine Bartzöpfe gelassen. Ragroth fragte sich wirklich, ob die Waldkreaturen Aerc waren. Er kannte keinen Krieger, der sich diese Trophäen hätte entgehen lassen. Leise quietschend löste sich der Körper und rutschte über das Dach weiter nach unten. Auf der Stadtseite.

Fluchend angelte Ragroth nach dem Körper, verfehlte ihn um Fingerbreite und musste von ihm ablassen, um nicht selbst über die nassen Schindeln zu schlittern. Vor seinen Augen glitt der Zwerg über den Rand des Dachs und verschwand. Einen Augenblick später verkündete ein Scheppern, dass der Tote in der Stadt angekommen war. Alarmierte Rufe gellten.

Ragroth stieß einen Strom von Verwünschungen in Richtung Skrag aus und zog sich wieder auf den Dachfirst. Das hätte wirklich besser laufen können. Über ihm krachte es. Mehrfach. Noch mehr Schreie gellten durch die Nacht. Eine Feuerschale flog vom Turm, zog im Fallen einen Schweif aus Funken hinter sich her wie ein fallender Stern und zerplatzte auf einem nahen Dach. Etwas Großes knirschte und zerbarst kurz darauf mit hässlichem Splittern. Dann nichts mehr, nur noch der konturlose Lärm der Schlacht weit unter ihm.

Irgendwann tauchte ein Schatten am Rand des Turms über ihm auf, und er hörte das charakteristische Bellen, mit dem die Skrag auf sich aufmerksam machten. Einen Moment später klatschte das Ende eines dicken Taus neben ihm auf den Schiefer. Ragroth packte den rauen Hanf und zog probehalber. Es schien zu halten. Er warf einen letzten Blick in die Tiefe. Ihm wurde gerade klar, dass er nicht wusste, ob die Skrag überhaupt so etwas wie das Knüpfen von Knoten beherrschten. Er zuckte mit den Achseln. Vermutlich würde er es gleich herausfinden. Mit einem entschlossenen Knurren bleckte er die Zähne und zog sich Hand über Hand nach oben.

Die große Halle der Bergfestung war düster, die Decke wurde von massiven Säulen aus schwarzem Basalt getragen. Die schmucklosen Steinwände wiesen keine Fensteröffnungen auf, und nur eine Handvoll Feuerschalen spendete flackerndes Licht. Ein sicheres Zeichen dafür, dass Standesvertreter aus den Clans der Unteren anwesend waren. Die alten Dalkar lebten schon so lange im Dunkeln, dass ihnen zu viel Helligkeit in den Augen schmerzte.

Von den Oberen hielt sich dagegen keiner gern in düsteren Räumen auf. Ihre Versammlungen fanden zumeist in Amphitheatern unter freiem Himmel statt und ihre Gildentreffen in Räumen mit hohen, offenen Fenstern.

Ihre Vertreter hatten sich in der linken Hälfte der Halle zusammengefunden. Es waren nicht mehr viele da, denn die meisten hatten bereits den Weg nach Süden angetreten. Nach Dunbree oder Gottfeste, wo der Hauptteil der Armeen zusammengezogen wurde.

Rothaar stand noch unter ihnen, den mächtigen Bauch in ein dunkelblaues Gildengewand gehüllt und mit Ketten und Ringen behangen, die wohl mehr wert waren als das Vermögen sämtlicher Anwesenden zusammen. Die unzähligen in seinen Bart gesponnenen Goldfäden erweckten den Eindruck, er würde von innen heraus glühen. Rothaar wischte sich mit dem Ärmel über die schweißnasse Stirn. Er hatte in Derok am meisten zu verlieren. Gerüchten zufolge gehörten ihm die halbe Oststadt und der Großteil der billigen Mietshäuser der Menschen im Westen.

Turak und Anon, die Sprecher des Gildenrats, waren ebenfalls noch da. Die Brüder waren wahrscheinlich zu alt, um die Stadt zu verlassen, und es grenzte schon an ein Wunder, dass sie freiwillig in die Festung am Südufer des Flusses gekommen waren.

Zehn weitere Ratsmitglieder waren geblieben, wahrscheinlich von ihren Familien dazu bestimmt, die letzten Güter in Sicherheit zu bringen, bevor sie ebenfalls den Weg in die sicheren Berge antraten.

Ihnen gegenüber, streng getrennt durch den breiten Mittelgang, standen die Vertreter der unteren Clans. Die Farben ihrer Kleidung waren gedeckter und ihre Mienen finsterer als die der Oberen. Wo die Oberen mit kostbaren Gewändern und goldenen Ketten protzten, hielten die Unteren mit glänzenden Rüstungen und martialischen Waffen dagegen.

Glonds Augen wanderten über ihre Reihen. Ganz vorn stand Meister Dornem, der Hertig des Eirimm-Clans. Er war der Befehlshaber der Bergfestung und offizieller Stadtmeister von Süd-Derok. Neben ihm hatte sich Brückenmeister Bärung positioniert, die mächtigen Arme vor der Brust verschränkt, sein gesamtes Erscheinungsbild ein Ausbund an Unnachgiebigkeit und Härte. Abseits von den anderen standen die Botschafter der Bergclans. Dem Protokoll nach gehörten sie zu den Unteren, doch in Wahrheit bildeten sie eine Partei für sich. Engstirnige Quadratschädel, die vernarbten Unterarme auf mächtige Schlachtenhämmer gestützt und mit einer offen zur Schau gestellten Abneigung gegen alles, was anders war als sie.

Die Halle war erfüllt von dem Gemurmel der Männer und Frauen, gelegentlichen zornigen Wortgefechten und dem ungeduldigen Scharren eisenbeschlagener Stiefel.

Wäre die Situation nicht so ernst für ihn gewesen – Glond wäre in helles Gelächter ausgebrochen. Hier standen die mächtigsten Männer Deroks auf einem Fleck versammelt. Starrköpfige Streithammel, die sich eher die eigenen Bärte abgeschnitten hätten, als miteinander zu reden. Doch der Krieg hatte sie wie Ratten in ihrem Loch zusammengetrieben, und aus lauter Hilflosigkeit begannen sie nun, sich gegenseitig aufzufressen.

Die Wächter stießen ihn vorwärts, und die Räte stellten einer nach dem anderen ihre Streitgespräche und gegenseitigen Anschuldigungen ein und wandten ihm die Köpfe zu.

Ihre Mienen verdüsterten sich zusehends.

Doch die Blicke, die sie ihm zuwarfen, beunruhigten Glond nicht halb so sehr wie das eine Auge des Mannes, der ihn vom Kopfende der Halle aus voller Abscheu musterte. Kearn Einauge war unter den Dalkar eine Legende. Durch sein pechschwarzes Haar zog sich eine Vielzahl grauer Strähnen, und trotzdem war es noch so dicht wie das eines jungen Mannes. Sein Bart war nach Art der Unteren zu vier Zöpfen geflochten, deren Enden von silbernen Klammern zusammengehalten wurden. Den massigen Leib schützte ein schweres Kettenhemd, über dem er einen schwarzen, ornamentverzierten Plattenpanzer trug. Er stützte die Hände auf den Griff eines beinahe mannslangen Streitkolbens, der auf den Namen Rabenschwinge hörte, Zeichen und Privileg seiner adligen Herkunft. Der Hertig des Dornom-Clans war bekannt für seine gnadenlose Härte, und Glond fragte sich, ob er hier war, um als Henker ein Exempel an ihm zu statuieren.

Kearn stand zur Rechten eines steinernen Throns. Erst als er sich zu ihm hinüberbeugte, erkannte Glond, dass darauf jemand saß. Ein uralter Dalkar, dessen eingefallenes Gesicht an die rissige Oberfläche von Tonschiefer erinnerte und dessen mächtiger Bart einem dornigen Gestrüpp ähnelte. Seine Finger klammerten sich wie fette, haarige Spinnenbeine um die steinernen Armlehnen des Throns. Er hielt die Augen geschlossen, und hätte er nicht den Kopf gedreht, hätte Glond ihn für eine Statue gehalten.

Kearn flüsterte ihm etwas ins Ohr. Eine Weile lang geschah nichts, dann machte der alte Dalkar eine wegwerfende Handbewegung, die dem Einäugigen nicht zu gefallen schien. Der Held funkelte Glond mit seinem gesunden Auge an und spuckte auf den Boden. Brüsk drehte er sich um und stapfte zu den Vertretern der Unteren hinüber.

»Du bist also Glond«, stellte der alte Dalkar fest. Seine Stimme klang wie das Donnern eines fernen Gewitters. »Du weißt, wer ich bin?«

Natürlich wusste Glond, wer dieser Dalkar war. Jedes Kind hatte am Kamin den Geschichten gelauscht, die sich die Alten über General Variscit erzählten. Dem einstigen obersten Befehlshaber der Vereinigten Clanbünde, den sie den Drachentöter nannten. Offiziell war er schon vor einem halben Jahrhundert von all seinen militärischen Ämtern zurückgetreten, aber er galt seit Jahren als einer der engsten Vertrauten des Großkönigs. Wenn er in dessen Auftrag unterwegs war, hatte sein Wort das Gewicht der Krone.

Ehrfürchtig neigte Glond den Kopf. »Ay, General Variscit.«

»Gut, dann können wir uns die Zeremonie des gegenseitigen Vorstellens ja sparen.« Der General beugte sich nach vorn. »Auch wenn sie auf deiner Seite ohnehin nicht sehr lang ausgefallen wäre, nicht wahr?«

Bei dieser offensichtlichen Beleidigung zuckte Glond zusammen. Der General wusste also, dass er von seinem Clan verstoßen worden war und man ihm den Stammbaum genommen hatte.

»Glond ohne Namen. Du warst den Gildenverbänden zugeteilt, die den nördlichen Talweg zur Stadt halten sollten. Man berichtete uns, dass du im Augenblick des Angriffs deinen Platz verlassen hast und feige geflohen bist. Deine gesamte Einheit wurde vom Feind ausgelöscht, und du bist der einzige Überlebende. Du hast den Namen deiner Familie entehrt.«

Aufgebrachtes Schnaufen lief durch die Reihen der Ratsmitglieder. Einige stießen zornige Laute aus oder stampften mit den Stiefeln auf.

Rothaar schüttelte ungläubig den Kopf. »Das ist keiner von unserer Art. Das ist … das ist jedenfalls keiner von uns.«

»Es ist eine Seuche!«, rief Anon und schlug mit seinem knorrigen Eichenstab hart auf den Steinboden. »Schaut euch doch nur mal die blauen Flecken auf seiner Haut an. Es ist eine Seuche, die der Feind eingeschleppt hat, um uns zu schwächen.«

»Verbrennt ihn«, schlug einer der Unteren pragmatisch vor.

Über das Gesicht des Generals zog ein freudloses Lächeln. Er hob die massige Hand, und das wütende Gemurmel verebbte.

»Wir haben schon ausgiebig darüber diskutiert, wie es die Art der Dalkar ist. Doch wir sind zu keinem Schluss gekommen, was die Ursache dieses Verhaltens ist. Möglich, dass es sich um eine Seuche handelt. Vielleicht ist es auch ein Fluch oder sogar ein böser Zauber. Was auch immer es sein mag, die meisten von euch sind sich einig, dass es nichts Dalkarisches sein kann und aus der Welt geschafft werden muss.«

Die Ratsmitglieder nickten in seltener Einstimmigkeit.

»Ay«, murmelte Kearn, und sein gesundes Auge funkelte blutgierig.

»Hast du etwas dazu zu sagen?«, wandte sich der General wieder an Glond.

Glond rieb sich über die blauen Flecken an seinem Arm. Was sollte er dazu schon sagen? Eine bessere Erklärung für sein Verhalten hatte er ja selbst nicht. Es gab nichts, was er zu seiner Entschuldigung hervorbringen konnte. Um Gnade betteln? Er hätte auch einen Berg bitten können, ihm den Weg frei zu machen. Stumm schüttelte er den Kopf.

Die tief in ihren Höhlen liegenden Augen des Generals musterten Glond einige Herzschläge lang. Kaum merklich neigte er den Kopf und wandte sich an die Räte. »Noch vor wenigen Jahren hätte ich ihn persönlich an den Barthaaren aus den Höhlen geschleift und ihm unter freiem Himmel den Schädel zertrümmert …«

Zustimmendes Stiefelstampfen.

»Aber die Zeiten ändern sich. Der Feind steht in unseren Städten, und wir sind zu wenige, um ihm zu widerstehen. Jeder Dalkar wird gebraucht, sei er auch noch so unwichtig oder verdorben. Dieser Mann hier lebt in den Gassen der Weststadt. Er kennt die Straßen und die Menschen, die in ihnen leben. Er spricht sogar ihre schreckliche Sprache, die uns in den Ohren schmerzt …«

»Worauf wollen Sie hinaus? Wollen Sie ihn uns verkaufen?«, rief Turak und erntete Gelächter.

Der General zog eine Augenbraue hoch. »Sie sind ein schneller Denker. Kein Wunder, dass Sie Mitglied dieses Rats geworden sind. Es stimmt. Ich habe beschlossen, diesen Dalkar hier als sechsten Mann mit auf die Mission zu schicken.«

Ein empörter Aufschrei ging durch die Reihen der Ratsmitglieder.

»Wie bitte?« Turak riss die Augen auf. »Was soll der Schwachsinn?«

»Er will uns verhöhnen«, rief Rothaar, der sich mit dem Ärmel über die rotfleckige Stirn wischte.