Outlander - Ein Hauch von Schnee und Asche - Diana Gabaldon - E-Book
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Outlander - Ein Hauch von Schnee und Asche E-Book

Diana Gabaldon

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Beschreibung

Im sechsten Band ihrer legendären Highland-Saga "Outlander" begeistert die Welt-Bestseller-Autorin Diana Gabaldon erneut mit einer spannenden Geschichte von leidenschaftlicher Liebe und dramatischem Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit. Claire und Jamie, Gabaldons außergewöhnliches Liebes-Paar, das auch in der TV-Verfilmung der "Outlander"-Serie Fans weltweit in seinen Bann zieht, muss in diesem sechsten Band fürchten, in den Vorwehen des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs alles zu verlieren: ihr Haus, ihre Zukunft, ihre Liebe. Im Jahr 1772 stehen die Vorzeichen in der Neuen Welt auf Krieg: Claire macht sich große Sorgen um ihren geliebten Ehemann: Zwar hat sie, die als Zeitreisende aus dem 20. Jahrhundert Wissen über die Zukunft besitzt, Jamie davor gewarnt, dass die amerikanischen Kolonien bald um ihre Unabhängigkeit kämpfen und diesen Krieg gewinnen werden, und Jamie hat sich um politische Neutralität bemüht. Doch nun bittet ihn der Gouverneur von North Carolina, das Hinterland für die britische Krone zu einen. Wird Jamie, wie schon in seiner schottischen Heimat, erneut auf der Seite der Verlierer stehen? Und was hat es mit jenem Zeitungsartikel aus der Zukunft auf sich, der von Claires und Jamies Tod bei einer Feuersbrunst berichtet? "Denn genau das ist die Outlander-Reihe: Historisch korrekt und trotzdem frisch, lustvoll und üppig erzählt." Neue Westfälische "Die US-amerikanische Autorin schreibt in flottem Stil und hat gründlich recherchiert: Durch ihre detaillierten Beschreibungen liefert sie dem Leser ein anschauliches Bild des 18. Jahrhunderts. So werden die Buchseiten zum persönlichen Steinkreis, der den Leser in die Vergangenheit zieht." Freisinger Tagblatt Alle Bände der "Outlander"-Reihe von Diana Gabaldon: • »Outlander« • »Outlander - Die geliehene Zeit« • »Outlander - Ferne Ufer« • »Outlander - Der Ruf der Trommel« • »Outlander - Das flammende Kreuz« • »Outlander - Ein Hauch von Schnee und Asche« • »Outlander - Echo der Hoffnung« • »Outlander - Ein Schatten von Verrat und Liebe«

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Seitenzahl: 2692

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Diana Gabaldon

Outlander – Ein Hauch von Schnee und Asche

Roman

Aus dem Englischen von Barbara Schnell

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Im Jahr 1772 stehen die Vorzeichen in der Neuen Welt auf Krieg: Claire macht sich große Sorgen um ihren geliebten Ehemann: Zwar hat sie, die als Zeitreisende aus dem 20. Jahrhundert Wissen über die Zukunft besitzt, Jamie davor gewarnt, dass die amerikanischen Kolonien bald um ihre Unabhängigkeit kämpfen und diesen Krieg gewinnen werden, und Jamie hat sich um politische Neutralität bemüht. Doch nun bittet ihn der Gouverneur von North Carolina, das Hinterland für die britische Krone zu einen. Wird Jamie, wie schon in seiner schottischen Heimat, erneut auf der Seite der Verlierer stehen? Und was hat es mit jenem Zeitungsartikel aus der Zukunft auf sich, der von Claires und Jamies Tod bei einer Feuersbrunst berichtet?

»Genau das ist die Outlander-Reihe: Historisch korrekt und trotzdem frisch, lustvoll und üppig erzählt.« Neue Westfälische

Inhaltsübersicht

Widmung

Prolog

Erster Teil

Zwiegespräch mit Unterbrechungen

Die Hütte der Holländer

Halte deine Freunde dicht bei dir

Eine Schlange in Eden

Die Schatten, die das Feuer wirft

Ein Hinterhalt

James Fraser, Indianeragent

Zweiter Teil

Opfer eines Massakers

Die Schwelle zum Krieg

Die Pflicht ruft

Blutbild

Weitere Wunder der Wissenschaft

In guten Händen

Das Volk der Snowbird

Bis zum Hals im Wasser

Dritter Teil

Le Mot Juste

Die Grenzen der Macht

Brumm!

Heuernte

Gefährliche Geschenke

Es zündet

Verhext

Anästhesie

Rühr mich nicht an

Asche zu Asche

Vierter Teil

Die Zukunft im Blick

Die Mälzerei

Verwünschungen

Gut, wirklich

Der Gefangene

Und dann zu Bett

Der Galgen ist viel zu schade

In welchem Mrs. Bug Hand anlegt

Beweisstück A und Beweisstück B

Fünfter Teil

Laminaria

Winterwölfe

Le Maître des Champignons

Ein Teufel in der Milch

Ich bin die Auferstehung

Sechster Teil

Im Märzen der Bauer

Der Büchsenmacher

Generalprobe

Heimatlose

Scottie

Böses Blut

Von nun an ging’s bergab

Wenn du zum Weibe gehst …

Judasohren

Des Nordwinds Gift

Auf Messers Schneide

Berufen

Disneyland

Siebter Teil

Prinzipien

Ein Empfang für Flora MacDonald

Wendigo

Teer und Federn

Pastors Heimkehr

Achter Teil

»Liebet einander«

Fröhliche Brautschau

Der apokalyptische Reiter geht um

Pestilenz

Amöben

Der Augenblick der Entscheidung

Ich bin die Auferstehung, Teil 2

Der Augenblick der Deklaration

Dunkelheit steigt auf

Wer zuletzt lacht

Neunter Teil

Junge Wilde

Die Biberattacke

Emily

Black Pudding

Lug …

… und Trug

So romantisch

Läuse

Zehnter Teil

Gefahrvolle Korrespondenz

Der achtzehnte April

Reine Männersache

Alarm

Die Welt steht kopf

Im Zweifel für den Angeklagten

Nicht das Ende der Welt

Neue Deklarationen

Im Salatbeet

Die geraubte Braut

Prioritäten

Die Gerechtigkeit ist mein, sagt der Herr

Im Sog des Skandals

Der Mond ist aufgegangen

Sechsundvierzig Bohnen für mich

Gar kein dummer Plan

Amanuensis

In welchem ich eine Dame spiele

Auf und davon

Die Cruizer

Pulver, Verrat und Intrige

Für jemanden, der es wert ist

Elfter Teil

Ein Geist lässt sich nicht fernhalten

Maighistear àrsaidh

Ein Ausflug ans Meer

Nachtwache

Anemone

Das Verhör

Im Bett mit einem Hai

Der verlorene Sohn

Stelldichein

Neumond

Ganz schön groß

Was man schwarz auf weiß in der Zeitung liest

Der Geruch von Licht

Der einundzwanzigste Januar

Eidbrecher

Die Geister von Culloden

Zwölfter Teil

Amanda

Finger aus der Nase!

Der Neunte Graf von Ellesmere

Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang

Bedauerlich

Muss i denn …

Ginge es nur um mich selbst …

Eine Brücke über den Abgrund

Der Wächter

Die Rückkehr des Wilden

Eigentum des Königs

Epilog I: Lallybroch

Epilog II: Der Teufel im Detail

Danksagung

Leseprobe »Outlander«

Dieses Buch ist Charles Dickens, Robert Louis Stevenson, Dorothy L. Sayers, John D. MacDonald und P. G. Wodehouse gewidmet.

Prolog

Die Zeit hat viele Eigenschaften, die man auch Gott nachsagt.

Da ist die Tatsache, dass sie schon immer existiert hat und nie ein Ende nimmt. Da ist die Vorstellung der Allmacht – denn gegen die Zeit hat schließlich nichts Bestand, oder?

Kein Berg, keine Armee.

Und dann heilt die Zeit natürlich alle Wunden.

Lässt man einer Sache nur genug Zeit, so erledigt sich jedes Problem;

jeder Schmerz lässt nach, jede Strapaze findet ein Ende, jeder Verlust Linderung.

Asche zu Asche, Staub zu Staub. Bedenke, Mensch, dass du aus Staub bist und wieder zu Staub werden wirst.

Und wenn die Zeit Gott ähnlich ist, muss die Erinnerung wohl der Teufel sein.

Erster Teil

Kriegsgrollen

   

Kapitel 1

Zwiegespräch mit Unterbrechungen

Der Hund witterte sie zuerst. Da es so dunkel war, spürte Ian Murray nur, wie Rollo neben seinem Oberschenkel plötzlich den Kopf hob und die Ohren spitzte. Er legte dem Hund die Hand auf den Hals und fühlte seine warnend gesträubten Haare.

Sie waren so gut aufeinander eingespielt, dass er gar nicht bewusst »Menschen« dachte, sondern gleich die andere Hand an sein Messer legte und reglos dalag. Atmete. Lauschte.

Im Wald war kein Laut zu hören. Bis zur Dämmerung waren es noch Stunden, und die Luft war so still wie in einer Kirche, während Nebel wie Weihrauch langsam vom Boden aufstieg. Er hatte sich zum Ausruhen auf den umgestürzten Stamm eines riesigen Tulpenbaums gelegt, denn er wurde lieber von Waldläusen gekitzelt als von Feuchtigkeit durchdrungen. Er ließ die Hand auf dem Hund liegen und wartete.

Rollo knurrte, ein leises, unablässiges Grollen, das Ian kaum hören, aber gut spüren konnte, weil sein Arm die Vibrationen weiterleitete und jeden Nerv seines Körpers in Alarmbereitschaft versetzte. Er hatte nicht geschlafen – er schlief kaum noch des Nachts –, doch er hatte geruht, zum Himmel aufgesehen und war in seine übliche Diskussion mit Gott vertieft gewesen.

Die Ruhe war mit Rollos Bewegung dahin. Ian setzte sich behutsam auf und schwang die Beine seitlich über den halb verwesten Baumstamm. Sein Herz schlug jetzt schnell.

Rollos Ausdruck blieb unverändert warnend, doch sein großer Kopf wanderte jetzt und folgte etwas Unsichtbarem. Es war eine mondlose Nacht; Ian konnte die schwachen Umrisse der Bäume und die beweglichen Schatten der Nacht sehen, sonst aber nichts.

Dann hörte er sie. Etwas Lebendiges zog vorüber. Ein gutes Stück entfernt, aber es kam mit jeder Sekunde näher. Er stand auf und trat leise in die Schwärze am Fuß einer Kastanie. Ein Schnalzen mit der Zunge, und Rollo stellte das Knurren ein und folgte ihm, lautlos wie der Wolf, der sein Vater gewesen war.

Ians Ruheplatz überblickte einen Wildwechsel. Die Männer, die dem Pfad folgten, waren nicht auf der Jagd.

Weiße. Das war allerdings seltsam, sehr seltsam. Er konnte sie nicht sehen, doch das brauchte er nicht; der Lärm, den sie machten, ließ keine Verwechslung zu. Auch Indianer bewegten sich nicht unbedingt lautlos, und viele der Highlander, unter denen er gelebt hatte, konnten sich wie Geister im Wald bewegen – doch er hatte nicht den geringsten Zweifel. Metall, das war es. Er hörte Zaumzeug klingeln, Knöpfe und Schnallen klirren – und Gewehrläufe.

Eine ganze Menge. Sie waren jetzt so nah, dass er sie zu riechen begann. Er beugte sich ein wenig vor und schloss die Augen, um so viele Anhaltspunkte zu erschnüffeln, wie er konnte.

Sie transportierten Pelze; jetzt fing er den Geruch von getrocknetem Blut und kaltem Fell auf, der Rollo wahrscheinlich geweckt hatte … Aber keine Fallensteller, bestimmt nicht. Fallensteller reisten einzeln oder zu zweit.

Arme Männer, und schmutzig dazu. Keine Fallensteller und keine Jäger. Um diese Jahreszeit war Wild leicht zu finden; fast bei jedem Schritt sprang ein Kaninchen vom Boden auf, und in den Flüssen wimmelte es von Fischen – doch diese Männer rochen nach Hunger. Und dem Schweiß der Trunksucht.

Dicht bei ihm jetzt, vielleicht drei Meter von der Stelle entfernt, an der er stand. Rollo prustete leise, und Ian krallte ihm erneut die Hand in den Nacken, doch die Männer machten zu viel Lärm, um es zu hören. Er zählte die vorüberziehenden Schritte, die rumpelnden Wasserflaschen und Patronendosen, die Grunzlaute der Fußlahmen und die Seufzer der Erschöpften.

Er kam auf dreiundzwanzig Männer, und sie hatten ein Maultier – nein, zwei Maultiere dabei; er konnte das Ächzen vollbepackter Satteltaschen und das nörgelnde, schwere Atmen hören, das typisch für ein beladenes Maultier war, stets am Rand des Jammerns.

Die Männer hätten sie niemals entdeckt, aber ein verirrter Luftzug trug Rollos Geruch zu den Maultieren hinüber. Ohrenbetäubendes Quieken erschütterte die Dunkelheit, und vor ihm explodierte der Wald in einem Durcheinander aus rumpelnden Geräuschen und Schreckensrufen. Ian rannte schon, als hinter ihm Pistolenschüsse krachten.

»A Dhia!« Etwas traf ihn am Kopf, und er fiel der Länge nach hin. War er tot?

Nein. Rollo schob ihm besorgt seine feuchte Nase ins Ohr. Sein Kopf summte wie ein Bienenstock, und Ian sah gleißende Lichtblitze vor seinen Augen.

»Ruith«, keuchte er und schubste den Hund an. »Lauf weg! Los!« Der Hund zögerte und winselte tief in seiner Kehle. Ian konnte ihn nicht sehen, doch er spürte, wie das große Tier einen Satz machte und sich umdrehte, sich wieder drehte, unentschlossen.

»Ruith!« Er rappelte sich auf alle viere auf und drängte Rollo. Schließlich gehorchte der Hund und lief davon, so wie es ihm beigebracht worden war.

Ihm selbst blieb keine Zeit zum Weglaufen, selbst wenn er auf die Beine gekommen wäre. Er ließ sich auf den Bauch fallen, drückte Hände und Füße fest in das verrottende Laub und wand sich wie verrückt, um sich einzugraben.

Ein Fuß traf ihn zwischen den Schulterblättern, doch das Keuchen, mit dem ihm der Atem verging, wurde von den feuchten Blättern erstickt. Es spielte keine Rolle, sie machten solchen Lärm. Wer auch immer auf ihn getreten war, bemerkte ihn gar nicht; er bekam noch einen betäubenden Hieb versetzt, als der Mann in Panik über ihn hinwegrannte – sicher hielt er ihn für einen umgestürzten Baumstamm.

Die Schüsse verstummten. Die Rufe nicht, doch er verstand sie nicht. Er wusste, dass er flach auf dem Gesicht lag, kalte Nässe im Gesicht und den Geruch abgestorbenen Laubes in der Nase – doch er hatte das Gefühl, aufrecht zu stehen, aber ziemlich betrunken zu sein, während sich die Welt langsam um ihn drehte. Nachdem der erste, akute Schmerz vergangen war, tat sein Kopf nicht mehr sehr weh, doch er schien ihn nicht heben zu können.

Ihm kam dumpf der Gedanke, dass niemand davon erfahren würde, wenn er jetzt hier starb. Es würde seiner Mutter Kummer bereiten, dachte er, nicht zu wissen, was aus ihm geworden war.

Die Geräusche wurden leiser, geordneter jetzt. Eine Stimme brüllte nach wie vor, doch es klang, als erteilte sie Befehle. Sie entfernten sich. Ihm kam der vage Gedanke, dass er rufen könnte. Wenn sie sahen, dass er weiß war, halfen sie ihm ja vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.

Er blieb still. Entweder lag er im Sterben oder nicht. Wenn es so war, gab es keine Hilfe. Wenn nicht, brauchte er keine.

Nun ja, ich habe ja darum gebeten, nicht wahr?, dachte er und nahm sein Zwiegespräch mit Gott wieder auf, seelenruhig, als läge er noch auf dem Stamm des Tulpenbaums und blickte in die Tiefen des Frühlingshimmels. Ein Zeichen, habe ich gesagt. Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass du es so prompt schicken würdest.

Kapitel 2

Die Hütte der Holländer

März 1773

Niemand hatte von der Existenz der Blockhütte gewusst, bis Kenny Lindsay, der am Fluss unterwegs war, die Flammen gesehen hatte.

»Es wäre mir gar nicht aufgefallen«, sagte er zum zirka sechsten Mal. »Wenn es nicht dunkel geworden wäre. Wäre es heller Tag gewesen, hätte ich nichts davon gemerkt, nichts.« Er wischte sich mit zitternder Hand über das Gesicht, unfähig, den Blick von den Leichen abzuwenden, die am Waldrand aufgereiht lagen. »Sind das Wilde gewesen, Mac Dubh? Sie sind nicht skalpiert worden, aber vielleicht –«

»Nein.« Jamie legte das rußverschmierte Taschentuch sanft wieder auf das blaue Gesicht eines kleinen Mädchens, das zu ihm aufstarrte. »Keiner von ihnen ist verletzt. Das musst du doch gesehen haben, als du sie ins Freie gebracht hast?«

Lindsay schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf und erschauerte heftig. Es war später Nachmittag und ein kühler Frühlingstag, doch die Männer schwitzten alle.

»Ich habe nicht hingesehen«, sagte er schlicht.

Meine eigenen Hände waren wie Eis, so taub und gefühllos wie die gummiartige Haut der toten Frau, die ich gerade untersuchte. Sie waren bereits über einen Tag tot; die Totenstarre war schon vorbei, und sie waren jetzt schlaff und kühl, doch das kalte Wetter des Gebirgsfrühlings hatte sie bis jetzt vor den entwürdigenden Widerwärtigkeiten der Verwesung bewahrt.

Dennoch atmete ich flach; die Luft war bitter vom Brandgeruch. Hier und dort stieg eine Rauchsäule von der verkohlten Ruine der winzigen Hütte auf. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Roger gegen einen Baumstamm trat und sich dann bückte, um darunter etwas vom Boden aufzuheben.

Kenny hatte lange vor Tagesanbruch an unsere Tür gehämmert und uns aus unseren warmen Betten geholt. Wir waren in aller Eile hergekommen, obwohl wir wussten, dass wir für jede Hilfe zu spät kamen. Einige der Pächter von den Siedlungsstätten in Fraser’s Ridge hatten uns begleitet; Kennys Bruder Evan stand mit Fergus und Ronnie Sinclair unter den Bäumen zusammen, wo sie sich leise auf Gälisch unterhielten.

»Weißt du, was sie erwischt hat, Sassenach?« Jamie hockte sich mit sorgenvollem Gesicht neben mich. »Zumindest die Toten unter den Bäumen.« Er wies kopfnickend auf die Leiche vor mir. »Was die arme Frau hier umgebracht hat, weiß ich selbst.«

Der lange Rock der Frau regte sich im Wind und gab ihre langen, schlanken Füße preis, die in Lederpantoletten steckten. Ebenso schlanke Hände lagen reglos an ihren Seiten. Sie war hochgewachsen gewesen – wenn auch nicht so groß wie Brianna, dachte ich und sah mich automatisch nach dem leuchtenden Haar meiner Tochter um, das sich am anderen Ende der Lichtung zwischen dem Geäst bewegte.

Ich hatte die Schürze der Frau hochgeschlagen, um ihren Kopf und ihren Oberkörper zu bedecken. Ihre Hände waren rot, die Fingerknöchel von der Arbeit rauh, die Handflächen voller Schwielen, doch aus ihren festen Oberschenkeln und ihrem schlanken Körperbau schloss ich, dass sie nicht älter als dreißig war – wahrscheinlich viel jünger. Niemand konnte sagen, ob sie hübsch gewesen war. Ich schüttelte den Kopf als Antwort auf seine Bemerkung.

»Ich glaube nicht, dass sie durch das Feuer gestorben ist«, sagte ich. »Da, ihre Beine und Füße sind unversehrt. Sie muss in das Herdfeuer gefallen sein. Ihr Haar hat Feuer gefangen, das dann auf die Schultern ihres Kleides übergesprungen ist. Sie muss so dicht an der Wand oder am Kaminabzug gelegen haben, dass die Flammen übergesprungen sind, und dann ist das ganze, verfluchte Haus in Flammen aufgegangen.«

Jamie nickte bedächtig, die Augen auf die Tote gerichtet.

»Aye, das klingt plausibel. Aber was ist es gewesen, das sie umgebracht hat, Sassenach? Die anderen sind ein wenig angesengt, aber keiner von ihnen ist so verbrannt. Doch sie müssen schon tot gewesen sein, als das Haus Feuer gefangen hat, weil keiner von ihnen hinausgelaufen ist. Eine tödliche Krankheit womöglich?«

»Das glaube ich nicht. Sie sehen nicht … Ich weiß es nicht. Lass mich noch einen Blick auf die anderen werfen.«

Ich schritt langsam an der Reihe regloser Körper entlang, deren Gesichter mit Tüchern zugedeckt waren, und beugte mich einzeln darüber, um erneut unter die improvisierten Leichentücher zu spähen. Es gab unzählige Krankheiten, die in dieser Zeit rasch zum Tode führen konnten – da es keine Antibiotika gab und keine Möglichkeit der Flüssigkeitszufuhr außer durch Mund und Rektum, konnte ein simpler Durchfall einen Menschen innerhalb von vierundzwanzig Stunden umbringen.

Ich bekam solche Dinge oft genug zu Gesicht, um sie zu erkennen, genau wie jeder andere Arzt, und ich war seit über zwanzig Jahren Ärztin. Dann und wann sah ich in diesem Jahrhundert Dinge, die mir in meinem eigenen nicht begegnet waren – vor allem grauenvolle Parasitenerkrankungen, die mit dem Sklavenhandel aus den Tropen kamen –, doch es war kein Parasit, der diese armen Seelen auf dem Gewissen hatte, und keine mir bekannte Krankheit hinterließ solche Spuren bei ihren Opfern.

Sämtliche Leichen – die Frau mit den Verbrennungen, eine viel ältere Frau und drei Kinder – waren innerhalb der Wände des brennenden Hauses gefunden worden. Kenny hatte sie gerade rechtzeitig ins Freie gezogen, bevor das Dach einstürzte, und war dann losgeritten, um Hilfe zu holen. Alle tot, bevor das Feuer ausbrach; daher mussten sie auch buchstäblich alle gleichzeitig gestorben sein, denn das Feuer hatte doch gewiss schnell zu schwelen begonnen, nachdem die Frau tot auf ihren Herd gefallen war?

Die Opfer lagen ordentlich unter den Zweigen einer riesigen Rotfichte aufgereiht, während die Männer daneben ein Grab auszuheben begannen. Brianna stand mit gesenktem Kopf neben dem kleinsten Mädchen. Ich kniete mich neben die winzige Leiche, und sie kniete sich mir gegenüber hin.

»Was ist es gewesen?«, fragte sie leise. »Gift?«

Ich sah überrascht zu ihr auf.

»Ich glaube schon. Wie bist du darauf gekommen?«

Sie warf einen Blick auf das blau angelaufene Gesicht unter uns. Sie hatte versucht, dem Mädchen die Augen zu schließen, doch sie quollen unter den Lidern hervor und verliehen dem Kind einen Ausdruck verblüfften Grauens. Ihre kleinen, groben Gesichtszüge waren, vor Qual verzerrt, erstarrt, und sie hatte Spuren von Erbrochenem in den Mundwinkeln.

»Pfadfinderhandbuch«, sagte Brianna. Sie sah sich nach den Männern um, doch keiner von ihnen war nah genug, um uns zu hören. Ihr Mund zuckte, und sie wandte den Blick von der Leiche ab und hielt mir ihre geöffnete Hand entgegen. »›Iss niemals einen Pilz, den du nicht kennst‹«, zitierte sie. »›Es gibt viele giftige Sorten, und sie zu unterscheiden, ist Aufgabe der Experten‹. Roger hat sie gefunden. Sie wachsen in einem Ring da drüben neben dem Baumstamm.«

Feuchte, fleischige Hütchen, blassbraun mit weißen, warzenartigen Flecken, die offenen Lamellen und schlanken Stiele so hell, dass sie im Schatten der Fichte beinahe zu phosphoreszieren schienen. Sie hatten ein hübsches, erdiges Aussehen, das ihre Tödlichkeit Lügen strafte.

»Krötenschwämme«, sagte ich halb zu mir selbst und nahm ihr mit spitzen Fingern einen der Pilze aus der Hand. »Agaricus pantherinus – so wird man sie zumindest nennen, sobald jemand dazu kommt, sie ordentlich zu benennen. Pantherinus, weil sie so schnell tödlich wirken – wie eine Raubkatze.«

Ich konnte sehen, wie sich Briannas Unterarm mit Gänsehaut überzog und sich ihre weichen, rotgoldenen Härchen aufstellten. Sie ließ ihre Hand kippen und warf die übrigen tödlichen Pilze auf den Boden.

»Welcher denkende Mensch isst denn Giftpilze?«, fragte sie und wischte sich mit einem leichten Schauder die Hand am Rock ab.

»Ein Mensch, der es nicht besser weiß. Vielleicht ein Mensch, der Hunger hat«, antwortete ich leise. Ich hob die Hand des kleinen Mädchens auf und zeichnete die zarten Knochen ihres Unterarms nach. Ihr Bäuchlein war leicht aufgetrieben, ob durch Unterernährung oder postmortale Veränderungen, konnte ich nicht sagen – doch ihre Schlüsselbeine waren so scharf wie Sensenklingen. Die Leichen waren alle dünn, wenn auch nicht total ausgehungert.

Ich blickte in die tiefblauen Schatten des Berghangs oberhalb der Hütte. Es war noch zu früh im Jahr, um auf Erntezüge zu gehen, doch im Wald gab es Nahrung im Überfluss – für jene, die sie erkennen konnten.

Jamie trat neben mich, kniete sich hin und legte mir seine kräftige Hand leicht auf den Rücken. Trotz der Kälte zog sich ein Schweißrinnsal über seinen Hals, und sein dichtes, rotes Haar war an den Schläfen dunkel.

»Das Grab ist fertig«, sagte er mit leiser Stimme, als könnte er das Kind erschrecken. »Ist es das, was das Kind umgebracht hat?« Er wies nickend auf die verstreuten Pilze.

»Ich glaube schon – und die anderen auch. Habt ihr euch hier umgesehen? Weiß irgendjemand, wer sie waren?«

Er schüttelte den Kopf.

»Keine Engländer; die Kleider sind falsch. Deutsche wären sicher nach Salem gegangen; sie lassen sich am liebsten bei ihresgleichen nieder. Vielleicht sind es Holländer gewesen.« Er deutete auf die Holzpantinen an den Füßen der alten Frau, die vom langen Tragen fleckig und rissig geworden waren. »Es sind keine Bücher oder Schriftstücke übrig geblieben, falls es je welche gegeben hat. Nichts, was uns ihren Namen verraten würde. Aber –«

»Sie waren noch nicht lange hier.« Eine leise, gebrochene Stimme ließ mich aufblicken. Roger war zu uns gekommen; er hockte an Briannas Seite und wies mit dem Kinn auf die schwelenden Überreste der Blockhütte. Daneben war ein kleiner Garten in die Erde gescharrt worden, doch die wenigen Pflanzen, die dort zu sehen waren, sprossen gerade erst aus dem Boden, und ihre zarten Blätter hingen schlaff und vom Frost geschwärzt herunter. Es gab keine Nebengebäude, keine Spur von Vieh, kein Maultier oder Schwein.

»Frisch emigriert«, sagte Roger leise. »Keine Leibeigenen; das hier war eine Familie. Sie waren es nicht gewohnt, im Freien zu arbeiten; die Hände der Frauen sind voller Blasen und frischer Narben.« Er rieb sich selbst unbewusst mit der Hand über das leinenbekleidete Knie; seine Handflächen waren inzwischen genauso mit glatten Schwielen überzogen wie Jamies, doch er war einmal ein dünnhäutiger Gelehrter gewesen; er erinnerte sich noch gut an die Schmerzen seiner Einarbeitung.

»Ich frage mich, ob sie Verwandte hinterlassen – in Europa«, murmelte Brianna. Sie strich dem kleinen Mädchen das blonde Haar aus der Stirn und legte ihm das Taschentuch wieder über das Gesicht. Ich sah, wie sich ihre Kehle bewegte, als sie schluckte. »Sie werden nie erfahren, was aus ihnen geworden ist.«

»Nein«, sagte Jamie abrupt. »Man sagt zwar, dass Gott die Narren beschützt – aber selbst der Allmächtige verliert wohl dann und wann die Geduld.« Er wandte sich ab und winkte Lindsay und Sinclair.

»Sucht nach dem Mann«, sagte er zu Lindsay. Alle Köpfe fuhren zu ihm auf.

»Mann?«, sagte Roger und richtete die Augen dann allmählich auf die verbrannten Überreste der Hütte, während es ihm dämmerte. »Aye – wer hat ihnen die Hütte gebaut?«

»Es könnten doch die Frauen gewesen sein«, sagte Brianna und hob das Kinn.

»Du hättest es gekonnt, aye«, sagte er, und sein Mund zuckte, als er seiner Frau einen Seitenblick zuwarf. Brianna sah Jamie nicht nur an Haut und Haaren ähnlich; sie war barfuß einen Meter achtzig groß und besaß den klaren, kraftvollen Körperbau ihres Vaters.

»Möglich, dass sie es gekonnt hätten, aber sie waren es nicht«, sagte Jamie knapp. Er zeigte auf das Skelett der Hütte, in deren Innerem ein paar Möbelstücke ihre zerbrechliche Form behalten hatten. Während ich hinsah, erhob sich der Abendwind, und der Schatten eines Hockers fiel lautlos zu Asche zusammen, und Ruß und Asche wirbelten wie Gespenster über den Boden.

»Wie meinst du das?« Ich stand auf und trat an seine Seite, um in das Haus zu blicken. Es war buchstäblich nichts darin geblieben, obwohl der Schornstein noch stand und ein paar kantige Reste der Wände übrig geblieben waren, während die restlichen Stämme wie Mikadostäbchen eingestürzt waren.

»Hier ist kein Metall«, sagte er und machte auf den geschwärzten Herd aufmerksam, in dem die Reste eines Kessels lagen, der durch die Hitze in zwei Hälften gesprungen war, während sein Inhalt verdampft war. »Keine Töpfe bis auf den Kessel – und der ist zu schwer, um ihn fortzuschleppen. Keine Werkzeuge. Kein Messer, keine Axt – und man sieht ja, dass wer immer die Hütte gebaut hat, solche Werkzeuge hatte.«

Das stimmte; die Baumstämme waren zwar nicht entrindet, doch die Kerben und Enden trugen deutliche Spuren einer Axt.

Roger griff stirnrunzelnd nach einem langen Kiefernzweig und begann, in den Geröll- und Aschebergen umherzustochern, um sich zu vergewissern. Kenny Lindsay und Sinclair gaben sich gar nicht erst damit ab: Jamie hatte ihnen aufgetragen, nach einem Mann zu suchen, und sie machten sich prompt daran, genau das zu tun, und verschwanden im Wald. Fergus ging mit ihnen; Evan Lindsay, sein Bruder Murdo und die McGillivrays begannen damit, Steine für einen Grabhügel zusammenzutragen.

»Wenn es einen Mann gegeben hat – hat er sie allein gelassen?«, murmelte Brianna mir zu und ließ den Blick von ihrem Vater zu den aufgereihten Leichen wandern. »Hat die Frau vielleicht geglaubt, sie könnte allein überleben?«

Und sich und ihren Kindern dann das Leben genommen, um einen langsamen Tod durch Kälte und Hunger zu verhindern?

»Sie verlassen und alle Werkzeuge mitgenommen? Gott, ich hoffe nicht.« Ich bekreuzigte mich bei diesem Gedanken, obwohl mir im selben Moment Zweifel daran kamen. »Hätten sie sich nicht aufgemacht, um Hilfe zu suchen? Selbst mit den Kindern … Der Schnee ist fast völlig geschmolzen.« Nur die höchsten Bergpässe waren immer noch zugeschneit, und die Wege und Hänge waren zwar nass und schlammig vom Schmelzwasser, doch sie waren schon seit mindestens einem Monat passierbar.

»Ich habe den Mann gefunden«, sagte Roger und unterbrach meine Gedankengänge. »Hier – genau hier.«

Das Tageslicht verblasste allmählich, doch ich konnte sehen, dass er bleich geworden war. Kein Wunder; die verkrümmte Gestalt, die er unter den verkohlten Balken einer eingestürzten Wand ausgegraben hatte, sah so grauenerregend aus, dass sich jeder erschrocken hätte. Kohlschwarz, die Hände in der Boxerhaltung erhoben, die man bei Brandopfern häufig findet, so dass man sich kaum sicher sein konnte, dass es überhaupt ein Mann war – obwohl ich es glaubte, zumindest nach dem, was ich erkennen konnte.

Jegliche Spekulation über diesen neuen Leichenfund wurde durch einen Ruf vom Waldrand unterbrochen.

»Wir haben sie gefunden, Milord!«

Alle wandten die Köpfe und sahen Fergus am Rand der Lichtung winken.

»Sie«, in der Tat. Zwei Männer diesmal. Beide lagen im Schatten der Bäume auf dem Boden, nicht direkt beieinander, aber auch nicht weit voneinander, ein kurzes Stück vom Haus entfernt. Und beide, soweit ich das sagen konnte, durch eine Pilzvergiftung gestorben.

»Das ist aber kein Holländer«, sagte Sinclair zum etwa vierten Mal und schüttelte den Kopf, während er über einer der Leichen stand.

»Vielleicht ja doch«, sagte Fergus skeptisch. Er kratzte sich mit der Spitze des Hakens, den er als Ersatz für seine linke Hand trug, an der Nase. »Von den Westindischen Inseln, non?«

Eine der namenlosen Leichen war tatsächlich die eines Schwarzen. Die andere war weiß, und beide trugen eine schlichte, abgetragene Kluft aus handgesponnenem Leinen – Hemden und Kniehosen, keine Röcke trotz des kalten Wetters. Und beide waren barfuß.

»Nein.« Jamie schüttelte den Kopf und rieb sich unbewusst über seine eigene Kniehose, als wollte er sich von der Berührung der Toten reinigen. »Die Holländer auf Barbuda halten Sklaven, aye – aber diese Männer hier sind besser genährt als die Bewohner der Hütte.« Er nickte in Richtung der stummen Reihe Frauen und Kinder. »Sie haben nicht hier gelebt. Außerdem …« Ich sah, wie sich sein Blick auf die Füße der Toten heftete.

Die Füße waren schmutzig an den Knöcheln und von dicken Schwielen überzogen, aber mehr oder weniger sauber. Die Fußsohlen des Schwarzen hatten eine rosa-gelbliche Farbe ohne jede Spur von Schmutz oder zwischen den Zehen klemmenden Blättern. Diese Männer waren nicht barfuß im Wald unterwegs gewesen, das stand fest.

»Also sind möglicherweise noch mehr Männer hier gewesen? Und als die beiden hier gestorben sind, haben ihre Begleiter ihnen die Schuhe abgenommen – und alle anderen wertvollen Gegenstände«, fügte Fergus praktisch denkend hinzu und wies von der abgebrannten Hütte auf die halb entkleideten Leichen, »und sind geflohen.«

»Aye, möglich.« Jamie spitzte die Lippen und ließ den Blick langsam über den Boden des Hofes wandern – doch die Erde war von Fußtritten umgepflügt, ganze Grasbüschel waren entwurzelt, und der Hof war mit Asche und verkohlten Holzstückchen übersät. Es sah aus, als sei die Lichtung von einer Herde wild gewordener Flusspferde heimgesucht worden.

»Ich wünschte, Ian wäre hier. Er ist unser bester Spurenleser; er könnte vielleicht wenigstens erkennen, was hier geschehen ist.« Er deutete in den Wald, wo die Männer gefunden worden waren. »Wie viele es waren und in welche Richtung sie verschwunden sind.«

Jamie war selbst kein übler Spurenleser. Aber das Licht ließ jetzt rapide nach; auch auf der Lichtung, auf der die abgebrannte Hütte stand, erhob sich die Dunkelheit, sammelte sich unter den Bäumen und kroch wie Öl über die aufgerissene Erde.

Sein Blick glitt prüfend zum Horizont, wo die Wolkenstreifen rosa und golden zu glühen begannen, während die Sonne hinter ihnen versank, und er schüttelte den Kopf.

»Begrabt sie. Dann gehen wir.«

Eine grauenvolle Entdeckung stand uns noch bevor. Der verbrannte Mann war als einziger der Toten nicht durch Gift oder Feuer umgekommen. Als sie seine verkohlte Leiche aus der Asche hoben, um sie zu ihrem Grab zu tragen, löste sich etwas von seinem Körper und landete mit einem leisen Plumps schwer auf dem Boden. Brianna hob es auf und rieb mit der Ecke ihrer Schürze darüber.

»Ich nehme an, das hier haben sie übersehen«, sagte sie ein wenig trostlos und hielt es uns hin. Es war ein Messer oder zumindest eine Messerklinge. Der hölzerne Schaft war vollständig verbrannt, und die Klinge selbst war von der Hitze verbogen.

Ich machte mich auf den durchdringenden Gestank verbrannten Fettes und Fleisches gefasst, beugte mich über die Leiche und betastete vorsichtig ihren Bauch. Feuer zerstört vieles, konserviert aber gleichzeitig die seltsamsten Dinge. Die dreieckige Wunde war ganz deutlich zu sehen, eingesengt in die Höhlung unter seinen Rippen.

»Sie haben ihn erstochen«, sagte ich und wischte mir ebenfalls die verschwitzten Hände an meiner Schürze ab.

»Sie haben ihn umgebracht«, sagte Brianna, die mein Gesicht beobachtete. »Und seine Frau –« Sie blickte zu der jungen Frau auf dem Boden, deren Kopf unter ihrer Schürze verborgen war. »Sie hat Pilzeintopf gekocht, und sie haben ihn alle gegessen. Auch die Kinder.«

Auf der Lichtung war es still, abgesehen von den entfernten Rufen der Vögel auf dem Berg. Ich konnte mein eigenes Herz schmerzhaft in meiner Brust schlagen hören. Rache? Oder simple Verzweiflung?

»Aye, vielleicht«, sagte Jamie leise. Er bückte sich, um die Kante des Leinentuchs zu ergreifen, auf das sie den Toten gelegt hatten. »Nennen wir es einen Unfall.«

Der Holländer wurde zusammen mit seiner Familie in ein Grab gelegt, die beiden Fremden in ein anderes.

Ein kalter Wind hatte sich erhoben, als die Sonne unterging; die Schürze flatterte aus dem Gesicht der Frau, als sie sie aufhoben. Sinclair stieß einen erstickten Schreckensschrei aus und hätte sie beinahe fallen gelassen.

Sie hatte kein Gesicht und keine Haare mehr; ihre schlanke Taille ging abrupt in verkohlte Zerstörung über. Die Haut ihres Kopfes war vollständig verbrannt und hatte einen seltsam winzigen, geschwärzten Schädel zurückgelassen, aus dem uns ihre Zähne mit bestürzender Leichtfertigkeit entgegengrinsten.

Sie senkten sie hastig in das flache Grab, legten ihre Kinder neben sie und überließen es Brianna und mir, nach alter schottischer Sitte einen kleinen Grabhügel über ihnen zu errichten, um ihren Ruheplatz zu markieren und vor wilden Tieren zu schützen. Währenddessen wurde ein simpleres Grab für die beiden barfüßigen Männer gegraben.

Als die Arbeit schließlich getan war, sammelten sich alle schweigend und mit weißen Gesichtern um die frischen Erhebungen. Ich sah Roger dicht neben Brianna stehen, den Arm schützend um ihre Taille gelegt. Ein leiser Schauer durchlief sie, und ich glaubte nicht, dass er von der Kälte herrührte. Ihr Kind, Jemmy, war etwa ein Jahr jünger als das kleinste der Mädchen.

»Wirst du etwas sagen, Mac Dubh?« Kenny Lindsay sah Jamie fragend an und zog sich seine Strickmütze zum Schutz vor der wachsenden Kälte tief ins Gesicht.

Es war beinahe dunkel, und keiner von uns wollte sich hier noch länger aufhalten. Wir würden im Freien übernachten müssen, irgendwo weit weg vom Brandgestank, und es würde schwierig werden, im Dunklen ein Lager aufzuschlagen. Doch Kenny hatte recht; wir konnten nicht aufbrechen, ohne zumindest den Ansatz einer Zeremonie vollzogen zu haben, einen Abschied für die Fremden.

Jamie schüttelte den Kopf.

»Nein, lasst Roger Mac sprechen. Wenn diese Leute Holländer waren, waren sie wahrscheinlich Protestanten.«

Trotz des gedämpften Lichtes sah ich, wie Brianna ihrem Vater einen scharfen Blick zuwarf. Es stimmte, dass Roger Presbyterianer war, genau wie Tom Christie, ein viel älterer Mann, dessen säuerliche Miene widerspiegelte, was er von alldem hielt. Doch die Frage der Religion war nicht mehr als ein Vorwand, und das wussten alle, Roger eingeschlossen.

Roger räusperte sich, ein Geräusch wie reißender Kalikostoff. Seine Stimme klang immer schmerzerfüllt, aber jetzt lag zusätzlich Wut darin. Er erhob jedoch keinen Einwand und sah Jamie direkt in die Augen, als er seine Position am Kopf des Grabes einnahm.

Ich hatte gedacht, er würde einfach nur das Vaterunser sprechen oder eventuell einen der tröstenderen Psalmen. Aber ihm kamen andere Worte in den Sinn.

 

»Siehe, ob ich schon schreie über Frevel, so werde ich doch nicht erhört; ich rufe, und ist kein Recht da. Er hat meinen Weg verzäunt, dass ich nicht kann hinübergehen, und hat Finsternis auf meinen Steig gestellt.«

 

Seine Stimme war einmal kraftvoll und klangvoll gewesen. Jetzt war sie erstickt, nicht mehr als ein raspelnder Schatten ihrer früheren Schönheit – aber es lag so viel Kraft in der Leidenschaft, mit der er sprach, dass alle, die ihn hörten, die Köpfe senkten und ihre Gesichter im Schatten verbargen.

 

»Er hat meine Ehre mir ausgezogen und die Krone von meinem Haupt genommen. Er hat mich zerbrochen um und um und lässt mich gehen und hat ausgerissen meine Hoffnung wie einen Baum.« Sein Gesicht war gefasst, sein Blick ruhte jedoch eine trostlose Sekunde lang auf dem verkohlten Stumpf, der der holländischen Familie als Hackklotz gedient hatte.

 

»Er hat meine Brüder fern von mir getan, und meine Verwandten sind mir fremd geworden. Meine Nächsten haben sich entzogen, und meine Freunde haben mein vergessen.« Ich sah, wie die drei Lindsay-Brüder Blicke wechselten, und alle rückten zum Schutz gegen den stärker werdenden Wind ein Stück dichter zusammen.

 

»Erbarmet euch mein, erbarmet euch mein, ihr meine Freunde!«, sagte er, und seine Stimme wurde sanfter, so dass es schwer war, ihn im Seufzen der Bäume zu verstehen. »Denn die Hand Gottes hat mich getroffen.«

 

Brianna bewegte sich schwach an seiner Seite, und er räusperte sich erneut und reckte den Hals, so dass ich die Stricknarbe sah, die ihn entstellte.

 

»Ach, dass meine Reden geschrieben würden! Ach, dass sie in ein Buch gestellt würden! Mit einem eisernen Griffel auf Blei und zu ewigem Gedächtnis in einen Fels gehauen würden!«

 

Er blickte langsam von einem Gesicht zum nächsten, seine eigene Miene ausdruckslos, dann holte er tief Luft, um fortzufahren, und seine Stimme brach über den Worten.

 

»Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und er wird mich hernach aus der Erde aufwecken. Und nachdem diese meine Haut zerschlagen ist –« Brianna erschauerte heftig und wandte den Blick von dem frischen Erdhügel ab. »– werde ich in meinem Fleisch Gott sehen. Denselben werde ich vor mir sehen, und meine Augen werden ihn schauen.«

 

Er hielt inne, und es ertönte ein kollektiver Seufzer, als alle gemeinsam die Luft ausatmeten, die sie angehalten hatten. Doch er war noch nicht ganz fertig. Er hatte halb bewusst nach Briannas Hand gegriffen und hielt sie fest gedrückt. Er sprach die letzten Worte beinahe zu sich selbst, merkte ich, und dachte dabei kaum an seine Zuhörer.

 

»So fürchtet euch vor dem Schwert, denn das Schwert ist der Zorn über die Missetaten, auf dass ihr wisset, dass ein Gericht sei.«

 

Ich erschauerte, und Jamies Hand schloss sich um die meine, kalt, aber kraftvoll. Er sah zu mir herunter, und ich erwiderte seinen Blick. Ich wusste, was er dachte.

 

Genau wie ich dachte er nicht an die Gegenwart, sondern an die Zukunft. An eine kleine Notiz, die in drei Jahren auf den Seiten der Wilmington Gazette erscheinen würde.

 

»Mit Trauer nehmen wir die Nachricht vom Tod James MacKenzie Frasers und seiner Gattin Claire Fraser bei einer Feuersbrunst zur Kenntnis, die in der Nacht des 21sten Januar 1776 ihr Haus in der Siedlung Fraser’s Ridge zerstörte. Mr. Fraser, ein Neffe des verstorbenen Hector Cameron, Besitzer der Plantage River Run, wurde in Broch Tuarach in Schottland geboren. Er war in der Kolonie gut bekannt und hoch angesehen; er hinterlässt keine Kinder.«

 

Bis jetzt war es uns leichtgefallen, uns keine großen Gedanken darum zu machen. So fern in der Zukunft, einer Zukunft, die gewiss nicht unabänderlich war – vorgewarnt war schließlich gut gewappnet, nicht wahr?

Ich richtete meinen Blick auf den flachen Grabhügel, und mich durchfuhr ein noch kälterer Schauer. Ich trat dichter an Jamie heran und legte meine andere Hand auf seinen Arm. Er bedeckte sie mit der seinen und drückte sie beruhigend. Nein, sagte er wortlos. Nein, ich werde es nicht geschehen lassen.

Doch als wir die trostlose Lichtung hinter uns ließen, konnte ich ein lebhaftes Bild nicht abschütteln. Nicht die abgebrannte Hütte, die bedauernswerten Toten, den erbärmlichen Garten. Das Bild, das mich nicht losließ, war eines, das ich Jahre zuvor gesehen hatte – ein Grabstein in den Ruinen der Abtei von Beauly tief in den schottischen Highlands.

Es war der Grabstein einer feinen Dame, über deren Namen ein grinsender Totenschädel eingemeißelt war – ganz wie der Schädel unter der Schürze der Holländerin. Unter dem Schädel stand ihr Motto:

 

Hodie mihi cras tibi – Sic transit gloria mundi. »Heute ich, morgen du. So vergeht der Glanz der Welt.«

Kapitel 3

Halte deine Freunde dicht bei dir

Wir kamen am nächsten Tag kurz vor Sonnenuntergang wieder in Fraser’s Ridge an und stellten fest, dass uns ein Besucher erwartete. Major Donald MacDonald, bis vor kurzem Offizier der Armee Seiner Majestät und bis vor noch kürzerem Mitglied der persönlichen Reitergarde Gouverneur Tryons, saß auf der Eingangstreppe, meine Katze auf dem Schoß und einen Krug Bier an seiner Seite.

»Mrs. Fraser! Stets zu Diensten, Ma’am«, rief er herzlich, als er mich kommen sah. Er versuchte aufzustehen, keuchte dann aber auf, weil Adso dem Major aus Protest gegen den Verlust seines gemütlichen Nestes seine Krallen in die Oberschenkel schlug.

»Bleibt sitzen, Major«, sagte ich mit einer hastigen Geste. Er ließ sich mit einer Grimasse wieder nieder, sah jedoch großmütig davon ab, Adso ins Gebüsch zu schleudern. Ich trat auf die Treppe und setzte mich mit einem Seufzer der Erleichterung neben ihn.

»Mein Mann versorgt nur eben die Pferde; er wird gleich da sein. Ich sehe, dass sich schon jemand um Euch gekümmert hat?« Ich wies lächelnd auf das Bier, das er mir prompt mit einer galanten Geste anbot, nachdem er den Rand des Kruges an seinem Ärmel abgewischt hatte.

»O ja, Ma’am«, versicherte er mir. »Mrs. Bug hat sich peinlichst um mein Wohlergehen bemüht.«

Um nicht unhöflich zu erscheinen, nahm ich das Bier entgegen, das, offen gestanden, eine Wohltat war. Jamie hatte es eilig gehabt, heimzukommen, und wir hatten seit der Morgendämmerung im Sattel gesessen und nur gegen Mittag eine kurze Erfrischungspause eingelegt.

»Es ist ein ganz exzellentes Gebräu«, sagte der Major und schmunzelte, als ich nach dem Trinken mit halb geschlossenen Augen ausatmete. »Womöglich Eure eigene Herstellung?«

Ich schüttelte den Kopf und trank noch einen Schluck, bevor ich ihm den Krug zurückreichte. »Nein, Lizzies. Lizzie Wemyss.«

»Oh, Eure Leibeigene; ja, natürlich. Werdet Ihr mein Lob an sie weiterreichen?«

»Ist sie denn nicht hier?« Ich blickte überrascht zur Tür hinter ihm. Um diese Tageszeit hätte ich Lizzie in der Küche bei der Zubereitung des Abendessens erwartet, doch sicher hatte sie von unserem Eintreffen gehört und war draußen. Jetzt, da ich darauf achtete, bemerkte ich auch keine Kochgerüche. Natürlich hatte sie nicht wissen können, wann mit uns zu rechnen war, aber …

»Mm, nein. Sie ist …« Der Major runzelte angestrengt die Stirn, als er sich zu erinnern versuchte, und ich fragte mich, wie voll der Krug gewesen war, bevor er sich darüber hermachte; jetzt waren nur noch ein paar Zentimeter darin. »Ah, ja. Sie ist mit ihrem Vater zu den McGillivrays gegangen, hat Mrs. Bug gesagt. Um ihren Verlobten zu besuchen, glaube ich?«

»Ja, sie ist mit Manfred McGillivray verlobt. Aber Mrs. Bug –«

»– ist im Kühlhaus«, sagte er und deutete zu dem kleinen Schuppen hinauf. »Es ging um Käse, hat sie, glaube ich, gesagt. Mir wurde höchst großzügig ein Omelett zum Abendessen vorgeschlagen.«

»Ah.« Ich entspannte mich jetzt ein bisschen mehr, und der Staub des Rittes setzte sich, gemeinsam mit dem Bier. Es war wunderbar, nach Hause zu kommen, obwohl das Gefühl des Friedens etwas Beklommenes an sich hatte, da es von der Erinnerung an die niedergebrannte Hütte beeinträchtigt wurde.

Ich ging davon aus, dass Mrs. Bug ihm erzählt hatte, wieso wir unterwegs waren, doch er erwähnte den Grund mit keinem Wort – genauso wenig wie den seiner Anwesenheit in Fraser’s Ridge. Natürlich; wie es sich geziemte, würde alles Geschäftliche auf Jamie warten. Mir als Frau würden in der Zwischenzeit makellose Höflichkeit und Neuigkeiten aus der Gesellschaft zuteilwerden.

Ich konnte Konversation betreiben, aber ich musste darauf vorbereitet sein; es war kein angeborenes Talent.

»Äh … Eure Beziehungen zu meiner Katze scheinen sich verbessert zu haben«, unternahm ich einen Versuch. Ich richtete meinen Blick unwillkürlich auf seinen Kopf, aber seine Perücke war kunstvoll repariert worden.

»Es ist ein verbreitetes politisches Prinzip, denke ich«, sagte er und fuhr mit den Fingern durch den dichten Silberpelz auf Adsos Bauch. »Halte deine Freunde dicht bei dir – deine Feinde aber noch dichter.«

»Sehr vernünftig«, sagte ich und lächelte. »Äh … Ich hoffe, Ihr musstet nicht lange warten?«

Er zuckte mit den Schultern, um anzudeuten, dass es keine Rolle spielte – und so war es eigentlich auch. Die Berge hatten ihren eigenen Rhythmus, und ein kluger Mann versuchte nicht, sich unter Zeitdruck zu setzen. MacDonald war ein erfahrener Soldat und weit gereist – aber er stammte aus Pitlochry, nah genug an den Gipfeln der Highlands, um ihren Charakter zu kennen.

»Ich bin heute Morgen angekommen«, sagte er. »Aus New Bern.«

Leise Alarmglocken schlugen in meinem Hinterkopf. Er musste gut zehn Tage für die Reise von New Bern nach hier gebraucht haben, wenn er den direkten Weg genommen hatte – und der Zustand seiner zerknitterten, mit Schlamm bespritzten Uniform ließ darauf schließen.

New Bern war der Ort, an dem der neue Königliche Gouverneur der Kolonie, Josiah Martin, sein Quartier aufgeschlagen hatte. Und da MacDonald »aus New Bern« gesagt hatte, ohne einen weiteren Haltepunkt seiner Reise zu erwähnen, war mir damit hinreichend klar, dass der Grund für seine Reise, was auch immer es war, seinen Ursprung in New Bern hatte. Ich war Gouverneuren gegenüber misstrauisch.

Ich warf einen Blick in Richtung des Pfades, der zur Koppel führte, doch Jamie war noch nicht zu sehen. Mrs. Bug dagegen schon. Sie kam gerade aus dem Kühlhaus. Ich winkte ihr zu, und sie gestikulierte wild zu meiner Begrüßung, wenn auch gebremst durch einen Topf mit Milch in der einen Hand, einen Eimer mit Eiern in der anderen, ein Buttergefäß, das unter ihrem Arm steckte, und ein großes Stück Käse, das sie sich fest unter das Kinn geklemmt hatte. Sie brachte den steilen Abstieg erfolgreich hinter sich und verschwand an der Rückseite des Hauses in Richtung der Küche.

»Omeletts für alle, wie es aussieht«, merkte ich an und wandte mich erneut dem Major zu. »Seid Ihr zufällig durch Cross Creek gekommen?«

»In der Tat, Ma’am. Die Tante Eures Gatten übersendet Euch ihre Grüße – und eine Anzahl Bücher und Zeitungen, die ich mitgebracht habe.«

Auch Zeitungen gegenüber war ich in diesen Tagen misstrauisch – wenn auch die Ereignisse, von denen sie berichteten, zweifellos Wochen oder gar Monate zurücklagen. Doch ich stieß ein erfreutes Geräusch aus und wünschte mir, Jamie würde sich beeilen, damit ich mich entschuldigen konnte. In meinem Haar hing Brandgeruch, und meine Hände erinnerten mich daran, wie es sich anfühlte, kalte Haut zu berühren; ich hätte mich furchtbar gern gewaschen.

»Verzeihung?« Ich hatte etwas überhört, was MacDonald sagte. Er beugte sich höflich zu mir herüber, um es zu wiederholen, dann fuhr er plötzlich mit aufgerissenen Augen zurück.

»Verdammte Katze!«

Adso, der bis jetzt sehr überzeugend den schlaffen Wischlappen gegeben hatte, war auf dem Schoß des Majors aufgesprungen. Seine Augen glühten, sein Schwanz sah aus wie eine Flaschenbürste, und er zischte wie ein Teekessel, während er dem Major die Krallen in die Beine bohrte. Ich kam gar nicht dazu zu reagieren, denn schon sprang er über die Schulter des Majors hinweg durch das offene Sprechzimmerfenster in unserem Rücken, wobei er den Rüschenkragen des Majors zerriss und ihm die Perücke verzog.

MacDonald fluchte heftig, aber ich hatte keine Aufmerksamkeit für ihn übrig. Rollo kam den Pfad zum Haus entlang, unheimlich wie ein Wolf im Zwielicht, doch er benahm sich so merkwürdig, dass ich auf den Beinen war, bevor mich ein bewusster Gedanke aufstehen ließ.

Der Hund rannte immer wieder ein paar Schritte auf das Haus zu, lief ein- oder zweimal im Kreis, als könnte er sich nicht entscheiden, was er als Nächstes tun sollte, dann lief er zurück zum Wald, machte kehrt und rannte wieder auf das Haus zu. Dabei jaulte er aufgeregt und hielt die wedelnde Rute gesenkt.

»Ach, du lieber Himmel«, sagte ich. »Der verflixte Timmy ist in den Brunnen gefallen!« Ich stürzte die Stufen hinunter und rannte den Pfad entlang. Den erschrockenen Fluch des Majors hinter mir bekam ich kaum mit.

Ich fand Ian ein paar hundert Meter weiter, bei Bewusstsein, aber benommen. Er saß mit geschlossenen Augen auf dem Boden und hielt sich mit beiden Händen den Kopf, als wollte er verhindern, dass die Knochen seines Schädels auseinanderfielen. Er öffnete die Augen, als ich neben ihm auf die Knie sank, und lächelte mich verschwommen an.

»Tante Claire«, sagte er heiser. Er schien noch etwas sagen zu wollen, schien sich aber nicht entscheiden zu können, was: Sein Mund öffnete sich, blieb dann aber einfach so, während sich seine Zunge nachdenklich hin und her bewegte.

»Sieh mich an, Ian«, sagte ich so ruhig wie möglich. Das tat er – gut so. Es war zwar zu dunkel, um sehen zu können, ob seine Pupillen unnatürlich erweitert waren, doch selbst im abendlichen Schatten der Kiefern am Wegrand konnte ich seine blasse Gesichtsfarbe und die dunkle Blutspur sehen, die sich über sein Hemd zog.

Eilige Schritte kamen hinter mir den Pfad entlang; Jamie, dicht gefolgt von MacDonald.

»Wie geht’s dir, Junge?«

Jamie fasste ihn am Arm, und Ian schwankte sacht auf ihn zu. Dann ließ er die Hände sinken, schloss die Augen und ließ sich mit einem Seufzer in Jamies Arme fallen.

»Ist es schlimm?«, fragte Jamie angstvoll über Ians Schulter hinweg, während er ihn aufrecht hielt, damit ich ihn hastig untersuchen konnte. Der Rücken seines Hemdes war mit getrocknetem Blut durchtränkt – aber es war getrocknet. Sein Pferdeschwanz war ebenfalls ganz steif davon, und ich fand die Kopfverletzung schnell.

»Ich glaube nicht. Irgendetwas hat ihn heftig am Kopf getroffen und ihm ein Stück Kopfhaut entfernt, aber –«

»Ein Tomahawk vielleicht?«

MacDonald beugte sich gebannt über uns.

»Nein«, sagte Ian schläfrig, das Gesicht gegen Jamies Hemd gedrückt. »Eine Kugel.«

»Fort mit dir, Hund«, sagte Jamie knapp zu Rollo, der Ian die Nase ins Ohr gesteckt hatte, was ein unterdrücktes Quietschen des Patienten und eine unwillkürliche Bewegung seiner Schultern zur Folge hatte.

»Ich werde es mir bei Licht betrachten, aber wahrscheinlich ist es nicht so schlimm«, sagte ich, als ich das sah. »Er ist schließlich ein ganzes Stück gelaufen. Lasst ihn uns zum Haus schaffen.«

Die Männer legten Ians Arme über ihre Schultern, um ihn den Weg entlangzubefördern, und innerhalb weniger Minuten lag er mit dem Gesicht nach unten auf dem Tisch in meinem Sprechzimmer. Hier erzählte er uns seine Abenteuer, unterbrochen von leisen Schmerzenslauten, weil ich dabei die Wunde reinigte, verklumpte Haare wegschnitt und ihm mit fünf oder sechs Stichen die Kopfhaut nähte.

»Ich dachte schon, ich wäre tot«, sagte Ian und sog die Luft durch die Zähne ein, als ich den groben Faden durch die unregelmäßigen Wundränder zog. »Himmel, Tante Claire! Aber am Morgen bin ich aufgewacht und war doch nicht tot – obwohl ich das Gefühl hatte, mein Kopf wäre gespalten und das Hirn liefe mir über den Hals.«

»Es hat auch nicht viel gefehlt«, murmelte ich und konzentrierte mich auf meine Arbeit. »Ich glaube aber nicht, dass es eine Kugel war.«

Damit war mir die Aufmerksamkeit aller gewiss.

»Ich bin nicht angeschossen?« Ian klang schwach entrüstet. Er hob seine kräftige Hand, die auf seinen Hinterkopf zuwanderte, und ich schlug sie sacht beiseite.

»Halt still. Nein, du bist nicht angeschossen – nicht, dass du etwas dazu könntest. Es war einiges an Schmutz in der Wunde und Holz- und Rindensplitter. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, einer der Schüsse hat einen abgestorbenen Ast von einem Baum gelöst, und der hat dich im Fallen am Kopf getroffen.«

»Und Ihr seid Euch ganz sicher, dass es kein Tomahawk gewesen ist?« Auch der Major schien enttäuscht zu sein.

Ich zog den letzten Knoten zu, schnitt das Fadenende ab und schüttelte den Kopf.

»Ich habe, glaube ich, noch nie eine Tomahawkwunde gesehen, aber ich glaube es nicht. Seht Ihr, wie gezackt die Wundränder sind? Und die Kopfhaut ist zwar weit aufgerissen, aber ich glaube nicht, dass der Knochen gebrochen ist.«

»Es war stockfinster, hat der Junge gesagt«, warf Jamie in aller Logik ein. »Kein vernünftiger Mensch würde in einem dunklen Wald einen Tomahawk auf etwas werfen, das er nicht sehen kann.« Er hielt mir die Alkohollampe, damit ich in ihrem Schein arbeiten konnte; er hielt sie dichter an Ians Kopf, so dass wir nicht nur die gezackte Naht sehen konnten, sondern ebenso den blauen Fleck, der sich um sie herum ausbreitete und jetzt klar zu erkennen war, weil ich dort die Haare abgeschnitten hatte.

»Aye, seht Ihr?« Jamies Finger bog die verbleibenden Stoppeln sanft zur Seite und zeichnete einige tiefe Kratzer nach, die die blaue Fläche durchschnitten. »Deine Tante hat recht, Ian; du bist von einem Baum attackiert worden.«

Ian öffnete ein Auge einen Spaltbreit.

»Hat dir schon einmal jemand gesagt, was für ein Scherzbold du bist, Onkel Jamie?«

»Nein.«

Ian schloss das Auge wieder.

»Macht nichts, denn es stimmt auch nicht.«

Jamie lächelte und drückte Ian die Schulter.

»Dann geht es dir ein bisschen besser?«

»Nein.«

»Nun, die Sache ist doch so«, unterbrach Major MacDonald, »dass der Junge auf irgendwelche Banditen gestoßen ist, nicht wahr? Hatte er Grund zu der Annahme, dass es Indianer waren?«

»Nein«, wiederholte Ian, doch diesmal öffnete er das Auge ganz. Es war blutunterlaufen. »Es waren keine Indianer.«

Diese Antwort schien MacDonald nicht zu gefallen.

»Wie könnt Ihr Euch da so sicher sein, Junge«, fragte er scharf. »Wenn es doch dunkel war, wie Ihr sagt.«

Ich sah, wie Jamie dem Major einen fragenden Blick zuwarf, doch er unterbrach ihn nicht. Ian stöhnte leise, dann seufzte er auf und antwortete.

»Ich habe sie gerochen«, sagte er und fügte hastig hinzu: »Ich glaube, ich muss mich übergeben.«

Er stützte sich auf einen Ellbogen und setzte die Worte prompt in die Tat um. Dies bereitete allen weiteren Fragen ein Ende, und Jamie führte Major MacDonald in die Küche und überließ es mir, Ian zu waschen und es ihm so bequem wie möglich zu machen.

»Kannst du beide Augen öffnen?«, fragte ich, als er wieder sauber war und auf der Seite lag, ein Kissen unter dem Kopf.

Er tat es und blinzelte ein wenig im Licht. Die kleine blaue Flamme der Alkohollampe spiegelte sich zweimal im Dunkel seiner Augen, doch die Pupillen verengten sich sofort – und gleichzeitig.

»Das ist gut«, sagte ich und stellte die Lampe auf den Tisch. »Lass das, Hund«, sagte ich zu Rollo, der an der fremd riechenden Lampe schnüffelte – sie brannte mit einer Mischung aus verdünntem Brandy und Terpentin. »Nimm meine Finger, Ian.«

Ich hielt ihm meine Zeigefinger hin, und er umschlang sie langsam mit seinen großen, knochigen Händen. Ich überprüfte ihn auf die übliche Weise auf neurologische Schäden, indem ich ihn zudrücken, ziehen und schieben ließ, und hörte abschließend sein Herz ab, das beruhigend vor sich hin klopfte.

»Leichte Concussio«, verkündete ich. Ich richtete mich auf und lächelte ihn an.

»Oh, aye?«, fragte er und sah zwinkernd zu mir auf.

»Es bedeutet, dass du Kopfschmerzen hast und dir schlecht ist. In ein paar Tagen geht es dir besser.«

»Das hätte ich dir gleich sagen können«, murmelte er und legte sich zurück.

»Das stimmt«, pflichtete ich ihm bei. »Aber Concussio klingt doch sehr viel wichtiger als angeknackster Kopf, oder?«

Er lachte nicht, lächelte aber schwach als Erwiderung. »Kannst du Rollo etwas zu fressen geben, Tante Claire? Er ist unterwegs nicht von meiner Seite gewichen; er hat bestimmt Hunger.«

Beim Klang seines Namens stellte Rollo die Ohren auf, schob die Nase in Ians suchende Hand und jaulte leise.

»Er hat nichts«, sagte ich zu dem Hund. »Keine Sorge. Und ja«, fügte ich, an Ian gerichtet, hinzu, »ich bringe ihm etwas. Meinst du, du bekommst ein bisschen Brot und Milch hinunter?«

»Nein«, sagte er entschlossen. »Einen Schluck Whisky vielleicht.«

»Nein«, sagte ich ebenso entschlossen und pustete die Lampe aus.

»Tante Claire«, sagte er, als ich mich der Tür zuwandte.

»Ja?« Ich hatte ihm eine einzelne Kerze als Licht dagelassen, und in ihrem flackernden, gelben Schein sah er sehr jung und blass aus.

»Warum, glaubst du, hätte Major MacDonald gern, dass ich im Wald auf Indianer gestoßen wäre?«

»Ich weiß es nicht. Aber ich nehme an, Jamie weiß es. Oder hat es inzwischen herausgefunden.«

Kapitel 4

Eine Schlange in Eden

Brianna drückte die Tür der Hütte auf und lauschte dann argwöhnisch auf das Trippeln von Nagerfüßen oder das trockene Wispern von Schuppen auf dem Boden. Sie hatte schon einmal den Fuß in die Dunkelheit gesetzt und wäre um ein Haar auf eine kleine Klapperschlange getreten; zwar war die Schlange, fast genauso erschrocken wie sie selbst, hastig zwischen den Kaminsteinen davongeglitten, doch sie hatte ihre Lektion gelernt.

Diesmal hörte sie keine flüchtenden Mäuse, aber etwas Größeres war hier gewesen und wieder gegangen, nachdem es sich durch die Ölhaut geschoben hatte, die vor das Fenster genagelt war. Die Sonne ging gerade unter, und es war noch hell genug, um zu erkennen, dass der geflochtene Graskorb, in dem sie die gerösteten Erdnüsse aufbewahrte, von seinem Bord auf den Boden gestürzt war, sein Inhalt geknackt und gefressen war und die Schalen auf dem Boden verstreut lagen.

Lautes Rascheln ließ sie einen Moment erstarren, während sie lauschte. Da war es wieder, gefolgt von einem heftigen Scheppern, als auf der anderen Seite der Rückwand etwas zu Boden fiel.

»Du kleiner Schurke!«, zischte sie. »Du bist in meiner Vorratskammer!«

Rechtschaffen entrüstet, griff sie nach dem Besen und stürzte unter Mordsgeheul in den Schuppen. Ein enormer Waschbär, der friedlich auf einer Räucherforelle herumkaute, ließ bei ihrem Anblick seine Beute fallen, schoss zwischen ihren Beinen hindurch und machte sich unter lauten, surrenden Alarmgeräuschen davon wie ein fetter Bankier auf der Flucht vor seinen Gläubigern.

Während das Adrenalin noch ihre Nervenbahnen durchpulste, stellte sie den Besen beiseite und bückte sich, um leise fluchend aus dem Durcheinander zu retten, was sie konnte. Waschbären waren zwar weniger zerstörerisch als Eichhörnchen, die achtlos alles zerkauten und zerkleinerten – aber ihr Appetit war größer.

Weiß Gott, wie lange er schon hier gewesen ist, dachte sie. Lange genug, um die komplette Butter aus ihrer Form zu lecken und ein Bündel geräucherter Fische vom Dachbalken hinunterzuzerren. Wie ein so fettes Tier die dazu nötige Turnübung fertigbrachte … Zum Glück hatte sie ihre Honigwaben in drei einzelnen Gefäßen untergebracht, und es war nur eins vernichtet worden. Aber das Wurzelgemüse lag auf dem Boden, und der kostbare Krug mit dem Ahornsirup war umgestürzt, und dieser sickerte als klebrige Pfütze in den Staub. Der Anblick dieses Verlustes versetzte sie erneut in Wut, und sie drückte die Kartoffel, die sie gerade aufgehoben hatte, so fest, dass sich ihre Nägel in die Schale bohrten.

»Dummes, dummes, gemeines, böses Mistvieh!«

»Wer?«, sagte eine Stimme hinter ihr. Erschrocken fuhr sie herum und feuerte mit der Kartoffel auf den Eindringling, der sich als Roger entpuppte. Sie traf ihn mitten auf die Stirn, und er klammerte sich stolpernd an den Türrahmen.

»Au! Himmel! Au! Was zum Teufel ist denn hier los?«

»Waschbär«, antwortete sie knapp und trat einen Schritt zurück, so dass das schwindende Licht von der Tür her den Schaden beleuchten konnte.

»Er hat sich den Ahornsirup geschnappt? So ein Ärger! Hast du den Schuft erwischt?« Eine Hand an seine Stirn gepresst, betrat Roger gebückt den Vorratsschuppen und sah sich nach pelzigen Tierleichen um.

Es tröstete sie ein wenig zu sehen, dass ihr Mann sowohl dieselben Prioritäten hatte wie sie als auch die gleiche Entrüstung an den Tag legte.

»Nein«, sagte sie. »Er hat die Flucht ergriffen. Blutest du? Und wo ist Jem?«

»Ich glaube nicht«, sagte er. Er zog vorsichtig die Hand von seiner Stirn und sah sie an. »Au. Du hast ’ne ordentliche Vorhand, Kleine. Jem ist bei den McGillivrays. Lizzie und Mr. Wemyss haben ihn zu Sengas Verlobungsfeier mitgenommen.«

»Wirklich? Wen hat sie denn ausgewählt?« Ihre Entrüstung und ihr Bedauern wichen spontan der Neugier. Mit deutscher Gründlichkeit hatte Ute McGillivray die Lebenspartner ihres Sohnes und ihrer drei Töchter sorgsam nach ihren eigenen Kriterien ausgesucht – wobei Land, Geld und Respektabilität am meisten zählten und Alter, Aussehen und Charme ziemlich am Ende der Liste standen. Es war kaum überraschend, dass ihre Kinder andere Pläne hatten – doch Utes Charakter war eine solche Naturgewalt, dass sowohl Inge als auch Hilde Männer geheiratet hatten, die ihren Vorstellungen entsprachen.

Senga jedoch war die Tochter ihrer Mutter – was bedeutete, dass sie ähnlich feste Überzeugungen besaß und einen ähnlichen Mangel an Zurückhaltung, wenn es darum ging, diese auszudrücken. Seit Monaten schwankte sie schon zwischen zwei Freiern: Heinrich Strasse, einem schneidigen, aber armen jungen Mann – und dazu Lutheraner! – aus Bethania, und Ronnie Sinclair, dem Küfer. Ein wohlhabender Mann, gemessen am Standard von Fraser’s Ridge, und für Ute stellte die Tatsache, dass er dreißig Jahre älter war als Senga, kein Hindernis dar.

Senga McGillivrays Eheschließung war in den letzten Monaten Gegenstand heftigster Spekulationen in Fraser’s Ridge gewesen, und Brianna wusste von mehreren substantiellen Wetten, die auf ihren Ausgang abgeschlossen worden waren.

»Also, wer ist der Glückliche?«, wiederholte sie.

»Mrs. Bug weiß es nicht, und es treibt sie zum Wahnsinn«, erwiderte Roger und grinste breit. »Manfred McGillivray hat sie gestern Morgen abgeholt, aber Mrs. Bug war noch nicht im Haus, also hat Lizzie eine Notiz an die Hintertür geheftet, auf der stand, wohin sie gegangen waren – aber sie hat nicht daran gedacht zu erwähnen, wer der glückliche Bräutigam ist.«

Brianna warf einen Blick auf die sinkende Sonne, deren Scheibe selbst bereits aus dem Sichtfeld gesunken war, wenn auch die Strahlen, die zwischen den Kastanien hindurchfielen, den Hof noch erleuchteten und das Frühlingsgras wie dicken, weichen Smaragdsamt wirken ließen.

»Dann müssen wir wohl bis morgen warten, bevor wir es herausfinden«, sagte sie bedauernd. Bis zu den McGillivrays waren es gut fünf Meilen; es würde lange dunkel sein, bevor sie dort ankamen, und selbst nach der Schneeschmelze wanderte man nachts nicht ohne guten Grund in den Bergen umher – oder zumindest nicht, wenn man keinen besseren Grund hatte als bloße Neugier.

»Aye. Möchtest du im Haupthaus zu Abend essen? Major MacDonald ist da.«

»Oh, der.« Sie überlegte einen Moment. Sie hätte gern gehört, was für Neuigkeiten der Major mitbrachte – und es hatte seinen Reiz, wenn Mrs. Bug das Essen machte. Andererseits war ihr nach zwei trostlosen Tagen, einem langen Ritt und dem Überfall auf ihre Vorratskammer nicht nach Geselligkeit zumute.

Ihr wurde bewusst, dass Roger es sorgfältig vermied, seine eigene Meinung beizusteuern. Mit einem Arm gegen das Regal gelehnt, auf dem der schrumpfende Vorrat an Winteräpfeln ausgebreitet lag, liebkoste er beiläufig eine der Früchte und strich ihr mit dem Zeigefinger langsam über die runde gelbe Wange. Er sandte schwache, vertraute Vibrationen aus, die lautlos andeuteten, dass ein Abend zu Hause seine Vorteile haben könnte, ohne Eltern, Bekannte – oder das Baby.

Sie lächelte Roger an.

»Was macht dein armer Kopf?«

Er musterte sie kurz, und die verblassenden Sonnenstrahlen vergoldeten seinen Nasenrücken und ließen seine Augen grün aufblitzen. Er räusperte sich.

»Du könntest ihn vielleicht küssen«, schlug er zögerlich vor. »Wenn dir danach wäre.«

Sie stellte sich gehorsam auf die Zehenspitzen, strich ihm das dichte, schwarze Haar aus der Stirn und küsste sie sanft. Er hatte eine merkliche Beule, auch wenn sie sich noch nicht verfärbte.

»Ist es so besser?«

»Noch nicht. Versuch’s besser noch einmal. Vielleicht etwas tiefer?«

Seine Hände ließen sich auf der Rundung ihrer Hüften nieder, und er zog sie an sich. Sie war fast genauso groß wie er; ihr war schon öfter aufgefallen, wie gut sie zueinander passten, aber jetzt kam ihr diese Erkenntnis erneut mit Nachdruck. Sie wand sich sacht vor Vergnügen, und Roger holte tief und rasselnd Luft.

»Nicht ganz so tief«, sagte er. »Jedenfalls noch nicht.«