Palliativpflege in der Praxis - Angelika Feichtner - E-Book

Palliativpflege in der Praxis E-Book

Angelika Feichtner

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Beschreibung

Wenn nicht mehr geheilt werden kann, geht es in der Pflege vor allem um die Erhaltung des Wohlbefindens der Kranken und die ganz individuelle Versorgung. Eine terminale Erkrankung ist fast immer mit verschiedenen, oft sehr belastenden Symptomen und mit tiefem Leid verbunden. Dieses Buch stellt vielfältige pflegerische Strategien zur Linderung dieser Symptome praxisnah dar. Es zeigt aber auch auf, wie Pflegende existenziell leidenden Menschen zugewandt und unterstützend begegnen können. Themenschwerpunkte sind Symptom-Assessment, vorausschauende Krisen- und Notfallplanung, Fragen der Ernährung sowie die Unterstützung Angehöriger und Anregungen zur Pflege in der unmittelbaren Sterbephase. In komprimierter Form und übersichtlich ge-staltet, bietet das Buch aktuelles Palliativpflegewissen und wertvolle Impulse für die patientenorientierte Pflege.

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Seitenzahl: 306

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Angelika FeichtnerPalliativpflege in der Praxis

Angelika Feichtner, MSc

Diplom in Palliative Care der International School of Cancer Care in Oxford, langjährige Pflege- und Lehrpraxis im Bereich von Palliative Care und Hospizarbeit.

Eine geschlechtergerechte Schreibweise wird in diesem Buch vorwiegend durch die Verwendung der Schreibung mit Stern * realisiert, ansonsten durch die abwechselnde Nennung der männlichen und weiblichen Form. Ist eine korrekte, alle Endungen berücksichtigende Schreibung auf diese Weise nicht möglich oder erfordert sie Ergänzungen, die den Lesefluss hemmen, so wird – stellvertretend für alle Geschlechter – die weibliche Form gewählt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Alle Angaben in diesem Fachbuch erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr, eine Haftung der Autorin oder des Verlages ist ausgeschlossen.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und der Verbreitung sowie der Übersetzung, sind vorbehalten.

4. Auflage 2024

Copyright © 2016 Facultas Verlags- und Buchhandels AG

facultas Verlag, 1050 Wien, Österreich

Umschlagfoto: © Epitavi, istockphoto.com

Satz: Wandl Multimedia-Agentur

Druck: finidr

Printed in the EU

ISBN 978-3-7089-2486-1

E-ISBN 978-3-99111-871-8

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1Palliative Care

1.1Palliative Care als Menschenrecht

1.2Identifikation von Patient*innen mit Palliative-Care-Bedarf

1.3Definition der letzten Lebensphasen

2Palliativpflege

3Therapiezieländerung

4Situation sterbender Menschen

5Kommunikation mit Sterbenden

5.1Kommunikation als Ausdruck der inneren Haltung

5.2Der personenzentrierte Ansatz

5.3Verbale Kommunikation

5.4Vom Wert der Klagemauer

5.5Zuhören

5.6Symbolsprache Sterbender

5.7Nonverbale Kommunikation

5.8Kommunikation bei zunehmender Bewusstseinstrübung

6Unterstützung und Begleitung Angehöriger

6.1Häufige Ängste Angehöriger

6.2Bedeutung einer sicheren Bindung

6.3Familiengespräche

7Leid und existenzielle Verzweiflung am Lebensende

8Symptomlinderung in der Palliativpflege

8.1Angst

8.2Dyspnoe – Chronisches Atemnotsyndrom

8.3Aszites

8.4Lymphödem

8.5Anorexie und Inappetenz

8.6Dekubitus – Druckverletzung

8.7Exulzerierende Wunden

8.8Mundtrockenheit und Mundpflege

8.9Obstipation

8.10Maligne intestinale Obstruktion

8.11Übelkeit und Erbrechen

8.12Pruritus (Juckreiz)

8.13Unruhe

8.14Delir – Delirantes Syndrom

8.15Schmerz

8.16Terminale Rasselatmung

9Palliative Sedierung und die Rolle der Pflege

10Vorausschauende Krisen- und Notfallplanung

11Die Sterbephase – Pflegerische Besonderheiten in der Finalphase

12Pflege Verstorbener

Schlusswort

Literaturverzeichnis

Anhang

Plan für Krisen- und Notfälle

Palliative Performance Scale

Vorwort

Palliative Care, ursprünglich ein Behandlungs- und Betreuungskonzept für Menschen mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen, gilt längst auch für andere Patient*innen mit chronischen, progredienten Erkrankungen als angemessenes Betreuungskonzept. Palliative Care ist integrierte Versorgung mit einer umfassenden, biopsychosozialen und spirituellen Aufmerksamkeit gegenüber terminal erkrankten Menschen und ihren Angehörigen und Bezugspersonen. „Care“ ist dabei als Überbegriff zu verstehen, der medizinische, pflegerische und psychosoziale Bemühungen vereint.

Palliativpflege ist ein integraler und wesentlicher Bestandteil von Palliative Care. Anders als bei kurativ ausgerichteter Pflege, die stets eine Verbesserung des Zustandes der Patient*innen zum Ziel hat, geht es bei palliativer Pflege vorrangig um die Erhaltung des Wohlbefindens der Kranken und auch ihrer Angehörigen.

Palliativpflege versteht sich als Spezialpflege, sie erfordert umfassendes Wissen, viel praktisches Können, Kreativität und eine hohe soziale Kompetenz. Im Wissen um die Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen stellt palliative Pflege immer auch eine höchst individuelle und kreative Pflege dar, die sich nur begrenzt an Standards ausrichten kann. Palliative Pflege bedeutet aber oft auch eine intensive Beziehung zwischen den Patient*innen und ihren Pflegepersonen. In dieser Pflegebeziehung ist eine reflektierte Haltung der Pflegenden zu Leid, Sterben, Tod und Trauer überaus bedeutsam. In der Pflege sterbender Menschen werden wir immer auch mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert, daher ist es unabdingbar, dass Pflegende sich mit diesen existenziellen Fragen auseinandersetzen.

Eine terminale Erkrankung ist mit verschiedenen, die Patient*innen oft sehr belastenden Symptomen und mit der Erfahrung von tiefem Leid verbunden. Diesem Leiden entsprechend zu begegnen, stellt besondere Anforderungen an die Pflegepersonen.

In diesem Buch werden verschiedene pflegerische Strategien zur Linderung ausgewählter Symptome praxisnah vermittelt. Wenngleich viele der dargestellten pflegerischen Maßnahmen, vor allem aus dem Bereich der Aromapflege, derzeit noch nicht als evidenzbasiert gelten können, so beruhen sie doch durchwegs auf langjährigem Erfahrungswissen. Daher wurden hier auch aromapflegerische Maßnahmen mit geringem Evidenzgrad miteinbezogen, vorausgesetzt, sie haben sich in der Praxis bewährt.

Das hier in komprimierter Form dargestellte, aktuelle Palliativpflegewissen soll Pflegepersonen Impulse zu einer patientenorientierten und kreativen Palliativpflege bieten. Es soll Pflegende aber auch ermutigen, sich der schönen und überaus bereichernden Aufgabe der Betreuung terminal kranker Menschen zu stellen.

Die Entscheidung, welche Aspekte palliativer Pflege in dieses kleine Buch aufgenommen werden konnten und auf welche verzichtet werden musste, erwies sich als schwierig. Viele Facetten von Palliativpflege erscheinen gleich bedeutsam, dennoch musste eine Auswahl getroffen werden. Mehr Informationen über Palliativpflege und palliativpflegerische Möglichkeiten finden interessierte Leser*innen in meinem Buch „Palliativpflege für Pflege- und Gesundheitsberufe“ und auch in „Angehörige in der Palliative Care – Unterstützung, Begleitung und Beratung“, das ich gemeinsam mit Bettina Pußwald verfasst habe. In Zusammenarbeit mit Hilde Kössler ist das Buch „Palliative Wundversorgung in der Praxis“ entstanden, es bietet umfassende Informationen zur palliativen Wundversorgung.

Alle genannten Bücher sind im facultas Verlag erschienen, dem ich für die gute Zusammenarbeit über viele Jahre danke.

Sommer 2024

Angelika Feichtner

Hinweis:

Angaben zu Medikamenten nach AVO sind bewusst ohne Dosierungsangaben angeführt, da dies in den Kompetenzbereich der Ärzt*innen fällt.

1Palliative Care

Die WHO definiert Palliative Care als einen Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patient*innen (von Erwachsenen und Kindern) und ihren Familien, die mit Problemen im Zusammenhang mit lebensbedrohlichen Erkrankungen konfrontiert sind. Durch Vorbeugung und Linderung von Leiden, durch frühzeitige Erkennung und korrekte Einschätzung und Behandlung von Schmerzen und anderen Problemen, seien sie körperlicher, psychosozialer oder spiritueller Art, soll die Lebensqualität gesteigert werden (WHO 2020).

Diese Definition der Weltgesundheitsorganisation macht bereits deutlich, dass das Bemühen um die Erhaltung bzw. die Verbesserung des Wohlbefindens der Patient*innen im Zentrum von Palliative Care steht. Daher ist nicht nur eine fachgerechte Einschätzung der jeweiligen Symptombelastung wesentlich, sondern auch die effektive Behandlung dieser Beschwerden durch verschiedene medizinische und pflegerische Interventionen.

Eckpfeiler palliativer Betreuung sind:

•die bestmögliche Erhaltung des Wohlbefindens bzw. der Lebensqualität,

•eine möglichst effektive und umfassende Symptomlinderung bzw. Symptomkontrolle,

•die Linderung von psychosozialem und spirituellem Leid,

•Kompetenz in schwierigen ethischen Entscheidungen,

•die intensive Unterstützung der An- und Zugehörigen der Kranken.

Es geht also um einen holistischen Ansatz zur Symptomkontrolle unter Berücksichtigung biopsychosozialer und spiritueller Aspekte. Dieser komplexen Aufgabe kann nur in einem interprofessionell arbeitenden Team entsprochen werden. Eine enge und gleichberechtigte Zusammenarbeit von Pflege, Medizin und den psychosozialen Berufen gewährleistet, dass die verschiedenen Bedürfnisse der schwer kranken Patient*innen angemessen berücksichtigt werden können. Palliative Care versteht sich auch explizit als familienorientierte Betreuung, denn eine schwere Erkrankung und das Sterben eines Menschen betreffen nicht nur ihn selbst, sondern ebenso seine engen Vertrauten. Sie erleben den Prozess mit, er macht sie ebenso traurig, verzweifelt, leidend, hadernd und angstvoll. Zugleich besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Stabilität der Angehörigen und dem Wohlbefinden des Patienten, der Patientin.

Patient*innen mit chronischen, fortschreitenden und unheilbaren Erkrankungen haben fast immer einen hohen Bedarf an palliativer Betreuung, derzeit aber oft nur begrenzt Zugang dazu. Damit werden sie nicht selten unnötigen therapeutischen und diagnostischen Belastungen ausgesetzt und ihre Lebensqualität wird in hohem Maße beeinträchtigt. Der rechtzeitige Einsatz palliativer Betreuung gewährleistet, dass den Patient*innen die Zeit einer terminalen Erkrankung als Lebenszeit erhalten bleibt und dass ihnen nicht noch mehr Verluste zugemutet werden, als sie durch die Erkrankung ohnehin schon zu erleiden haben.

Palliative Care bedeutet nicht, dem Leben bei fortgeschrittener Erkrankung mehr Zeit, sondern der verbleibenden Zeit mehr Leben zu geben, wie Derek Doyle (1998) schreibt. Der verbreitete Irrtum, dass Palliative Care ein Betreuungskonzept für die letzten Tage und Stunden ist, stellt vermutlich eine der größten Hürden für eine bedarfsgerechte palliative Versorgung dar. Wenngleich Palliativkompetenz der Pflegenden in der Terminalphase einer Erkrankung und speziell im Sterbeprozess von besonderer Bedeutung ist, so muss Palliative Care doch schon sehr viel früher ansetzen. Studien belegen, dass sich eine frühe palliative Unterstützung von Patient*innen mit fortgeschrittener Krebserkrankung eindeutig vorteilhaft auf die erlebte Lebensqualität der Patient*innen auswirkt (Kaasa et al. 2018).

Das Betreuungskonzept von Palliative Care wirkt sich aber nicht nur auf die Lebensqualität der Patient*innen positiv aus: So konnte anhand einer Studie mit an Lungentumoren erkrankten Menschen belegt werden, dass jene Patient*innen, die neben ihrer kurativen Behandlung zusätzlich Palliative-Care-Betreuung erhielten, auch länger lebten (Temel et al. 2010). Diese Ergebnisse zeigen auch, dass die von Onkologie und Palliativmedizin gleichzeitig und gemeinsam durchgeführte Betreuung vorteilhaft für die Patient*innen ist und dass dadurch invasive Therapien am Lebensende – wie Aufenthalte auf Intensivstationen, Strahlentherapie und Chemotherapie – vermieden werden können, ohne dass dadurch ein Verlust an Lebenszeit in Kauf genommen werden müsste. Weiters schreiben Temel et al., dass Patient*innen, die frühzeitig über die Möglichkeiten einer palliativen Betreuung informiert werden, sich nicht nur klar über ihre Präferenzen bezüglich der Betreuung am Lebensende äußern, sie erhalten dann nachweislich auch weniger aggressive Behandlungen in der Terminalphase. Damit sind ihre Lebensqualität und ihr persönliches Wohlbefinden auch in der letzten Lebenszeit höher.

Eine palliative Versorgung kann bereits frühzeitig im Krankheitsverlauf und in Kombination mit lebensverlängernden Therapien sinnvoll sein, um eine bestmögliche Erhaltung individueller Lebensqualität zu gewährleisten. Die Patient*innen profitieren also von einem frühen Einsatz von Palliative Care und von der Vermeidung einer Unter-, Über- oder Fehlversorgung durch eine systematisch aufeinander bezogene Diagnostik, Pflege und Behandlung. Damit werden die subjektive Lebensqualität und das Wohlbefinden der Betroffenen erhalten oder sogar gesteigert. In der Praxis hat es sich daher bewährt, bereits beim Diagnose-Mitteilungsgespräch nicht nur über die kurativen Optionen zu informieren, sondern zugleich auch eine erste Information über die Möglichkeit einer palliativen Betreuung zu bieten, für den Fall, dass sie benötigt wird.

Eine der größten Hürden für eine frühzeitige Information der Patient*innen über die Möglichkeiten von Palliative Care ist, dass angenommen wird, dies würde von den Patient*innen als Behandlungsabbruch, als Aufgeben und als Hoffnungslosigkeit verstanden werden (Zimmermann et al. 2016).

Zur Aufklärung kann die metaphorische Darstellung von Palliative Care durch das Bild von Regen und einem Regenschirm hilfreich sein (Zimmermann & Mathews 2022). Der Regen steht dabei bildhaft für die körperlichen, emotionalen und existenziellen Probleme, die im Zusammenhang mit einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung auftreten können. Palliative Care stellt den Regenschirm dar, der im Falle von Regen Schutz bietet. Für den Fall, dass Regen eintritt, wird es klug sein, den Regenschirm vorausschauend bereitgehalten zu haben. Wenn erst bei einsetzendem Regen an den Schirm gedacht wird, wird man sich nicht mehr vor Nässe schützen können.

Podcast Hochpalliativ – Mythen um Palliative Care

Der Regenschirm erfüllt seine Funktion am besten, wenn wir ihn den Patient*innen zur Verfügung stellen, bevor der Regen einsetzt und nicht, wenn wir warten, bis sie durchnässt sind (Zimmermann & Mathews 2022).

Den Regenschirm sicherheitshalber bereitzuhalten, wird nicht dazu führen, dass es regnet, aber er bietet Schutz, falls es tatsächlich zu regnen beginnt.

Werden von der Diagnosestellung an beide Behandlungskonzepte, also der kurative und auch der palliative Ansatz, besprochen, wird es später weniger zur Wahrnehmung von Versagen und Scheitern, zum Therapieabbruch und dem Gefühl des Aufgeben-Müssens kommen. Wenn die verbleibende Lebenszeit aufgrund der Erkrankung deutlich begrenzt ist, ist es den betroffenen Menschen meist sehr wichtig, diese Zeit möglichst nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Daher ist der Wunsch nach umfassender und offener Information über realistische Möglichkeiten der Behandlung bei fast allen Patient*innen präsent. Dies scheint jedoch auch vom Alter abzuhängen. Denn obwohl es die meisten der Betroffenen durchaus schätzen, ehrlich über alle verfügbaren Behandlungsoptionen informiert zu werden (Piers et al. 2013), vermeiden vor allem ältere Menschen oft so lange wie möglich, von sich aus über das Sterben zu sprechen. Sie erwarten eher, dass dieses Thema von den professionell Betreuenden oder auch von den Angehörigen angesprochen wird (Almack et al. 2012).

Vonseiten der Pflege sollte es daher wiederholt Gesprächsangebote geben, es dürfen jedoch stets wirklich nur Angebote sein, die Patient*innen dürfen keinesfalls zu einem Gespräch gedrängt werden. Bei pflegerischen Handlungen kann sehr viel Nähe entstehen und in diesen Situationen fällt es vielen Patient*innen leichter, über ihre Ängste und Befürchtungen zu sprechen. Es ist daher entscheidend, dass Pflegende in der Palliative Care auch über eine entsprechende kommunikative Kompetenz verfügen.

Je mehr schwer erkrankte Menschen und ihre Angehörigen über die Möglichkeiten von Palliative Care wissen, umso eher werden sie sich für die Option einer palliativen Betreuung entscheiden. Mehr noch, sie werden künftig vielleicht auch zunehmend, wie Patient*innen in Großbritannien, palliative Betreuung einfordern.

Palliative Care

•lindert Schmerzen und andere belastende Beschwerden;

•bejaht das Leben und betrachtet das Sterben als normalen Prozess;

•will den Tod weder beschleunigen noch verzögern;

•integriert psychische und spirituelle Aspekte;

•bietet jede Unterstützung, um den Patient*innen zu einem möglichst aktiven Leben bis zum Tod zu verhelfen;

•steht den Familien bei der Verarbeitung seelischer Probleme während der Krankheit des Patienten, der Patientin und nach deren Tod zur Seite;

•arbeitet multi- und interprofessionell, um den Bedürfnissen von Patient*innen und Angehörigen gerecht zu werden;

•verbessert die Lebensqualität der Patient*innen und kann so positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf nehmen;

•kann frühzeitig im Laufe der Erkrankung angewendet werden, in Kombination mit lebensverlängernden Maßnahmen, wie beispielsweise Chemo- und Radiotherapie;

•beinhaltet auch die notwendige Forschung, um Beschwerden oder klinische Komplikationen besser verstehen und behandeln zu können (Kränzle et al. 2011).

1.1Palliative Care als Menschenrecht

Nach Übereinkünften der Vereinten Nationen, der European Association for Palliative Care, der International Association for Palliative Care, der Worldwide Palliative Care Alliance und der Human Rights Watch ist der Zugang zu Palliativversorgung als ein Menschenrecht zu betrachten (Rosa, Ferell & Mason 2021).

Damit ist das Angebot einer Palliativversorgung eine rechtliche Verpflichtung. Internationale Gesellschaften setzen sich dafür ein, dass alle schwer kranken Menschen, unabhängig von ihrem Alter, von ihrem Wohnort und von ihren ökonomischen Möglichkeiten, bei Bedarf Palliative Care in Anspruch nehmen können. Schätzungen zufolge erhalten weltweit derzeit nur etwa 14 % der Patient*innen mit Palliative-Care-Bedarf eine Palliativversorgung (WHO 2022).

Vor allem für Menschen, die starken Schmerzen ausgesetzt sind, kann das Versäumnis von Regierungen, Palliativversorgung bereitzustellen, grausam, menschenverachtend und entwürdigend sein. Palliativversorgung kann dieses Leiden effektiv lindern oder sogar verhindern und vergleichsweise kostengünstig erbracht werden. Jedoch haben die Regierungen vieler Nationen weltweit noch keine ausreichenden Schritte unternommen, um sicherzustellen, dass Menschen mit inkurablen Erkrankungen ihr Recht auf Zugang zur Palliativversorgung auch wahrnehmen können (EAPC 2022). Obwohl der Ausbau palliativer Versorgungsstrukturen in Österreich, wenngleich langsam, aber doch ständig, voranschreitet, haben auch hierzulande längst nicht alle schwerkranken Patient*innen Zugang zu Palliative Care.

Besonders die größte Gruppe der Menschen mit Bedarf an palliativer Versorgung, die alten, hochaltrigen und demenziell veränderten Patient*innen, leidet unter mangelnder Palliativversorgung. So hat ein Prüfbericht der österreichischen Volksanwaltschaft zum Schmerzmanagement und zur Palliativversorgung in Alten- und Pflegeheimen ergeben, dass 80 % der Bewohner*innen unter unzureichend behandelten Schmerzen leiden (Volksanwaltschaft Österreich 2024).

1.2Identifikation von Patient*innen mit Palliative-Care-Bedarf

Eine palliative Betreuung wird ab jenem Zeitpunkt erforderlich, ab dem feststeht, dass eine Genesung unwahrscheinlich ist und Patient*innen mit der Begrenztheit des Lebens konfrontiert werden – im Idealfall also bereits bei der Diagnosestellung, auch in Kombination mit kurativen Therapien. Im Vordergrund palliativer Therapiekonzepte steht die Verbesserung oder die Erhaltung der Lebensqualität durch eine effektive, symptomorientierte Leidenslinderung und umfassende psychosoziale Unterstützung. Es geht um Menschen mit lebensbegrenzenden und chronischen Erkrankungen, unabhängig vom Lebensalter, von Früh- und Neugeborenen bis zu alten Menschen. Neben Menschen mit Tumorerkrankungen sind das auch Patient*innen mit verschiedenen neurologischen Erkrankungen – wie Morbus Parkinson oder Amyotropher Lateralsklerose –, mit nicht heilbaren Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder mit terminaler Niereninsuffizienz. Auch verschiedene pulmologische Erkrankungen, wie z. B. COPD, erfordern palliative Betreuungskonzepte. Alte, multimorbide oder auch demenziell erkrankte Menschen leiden oft an verschiedenen chronischen Erkrankungen und auch sie profitieren von einem frühen Einsatz von Palliative Care.

Um einen möglichen Bedarf an palliativer Betreuung frühzeitig zu erkennen, hat sich der SPICT-Leitfaden1 bewährt. Mit diesem Instrument ist eine differenzierte Einschätzung des palliativen Betreuungsbedarfes möglich. Das SPICT-Protokoll schafft einen Überblick über die aktuellen und über mögliche künftige Bedürfnisse der Kranken, womit ein zeitgerechter Einsatz palliativer Betreuung, bereits parallel zur Behandlung der Grunderkrankung, gewährleistet werden kann (Afshar 2018, S. 8).

Ausgehend von der Grundannahme, dass der Bedarf an palliativer Versorgung häufig erst spät erkannt wird, gilt die sogenannte „Surprise-Question“ (SQ) bereits seit einem Jahrzehnt als eine einfache Möglichkeit, um jene Kranken zu identifizieren, für die eine Palliativversorgung vorteilhaft wäre. Dabei stellt sich das betreuende Team die Frage: „Wären wir überrascht, wenn dieser Patient bzw. diese Patientin innerhalb von 12 Monaten versterben würde?“ Fällt die Antwort mit „Nein“ aus, könnte dies ein Hinweis auf einen Bedarf an Palliative Care sein. Allerdings ist die Zuverlässigkeit dieses simplen Einschätzungsinstrumentes begrenzt und die SQ sollte daher nicht als eigenständiges Prognosewerkzeug verwendet werden (Downar et al. 2017, S. 492). In der Praxis hat sich eine Kombination des SPICT-Protokolls mit der Surprise-Question zur Erfassung eines möglichen Palliative Care-Bedarfs als zuverlässig erwiesen.

PPI

Andere gebräuchliche Einschätzungsinstrumente betreffen die vermutlich verbleibende Lebenszeit, wie der Palliative Prognostic Index (PPI) und der Palliative Prognostic Score (PaP-S) (Liu et al. 2018). Der Palliative Prognostic Index enthält zusätzlich die Palliative Performance Scale (im Anhang), eine für Palliativpatient*innen modifizierte Version des Karnofsky-Funktionsstatus. Diese Hilfsmittel können dazu beitragen, auch im Akutkrankenhaus und im Pflegeheim möglichst frühzeitig festzustellen, welcher Patient, welche Patientin Bedarf an palliativer Betreuung hat. Pflegende erkennen diesen Bedarf meist sehr früh. Das mag mit der oft intensiven Nähe der Pflege zu den Patient*innen zu tun haben, vielleicht aber auch damit, dass der Übergang von kurativer zu palliativer Betreuung für Pflegende keine so große Zäsur darstellt. Es verändert sich der Fokus, weg von kurativer bzw. rehabilitativer Pflege, hin zu dem, was im Englischen so anschaulich als „Comfort Care“ beschrieben wird. Das Ziel aller pflegerischen Bemühungen in der Palliative Care ist es, das bestmögliche Wohlbefinden für die Patient*innen zu erreichen.

1.3Definition der letzten Lebensphasen

Bei Patient*innen mit fortschreitenden Erkrankungen und begrenzter Lebenserwartung lassen sich vier Lebensphasen unterscheiden: In der Rehabilitationsphase können die Patient*innen trotz fortschreitender Erkrankung weitgehend ihr normales gesellschaftliches Leben führen. Die Lebenserwartung beträgt viele Monate bis Jahre (Aulbert et al. 2012, S. 989 f.).

In der Präterminalphase zeigt sich bereits eine eingeschränkte Möglichkeit, am aktiven Leben teilzunehmen, da sich sichtbare Symptome der fortschreitenden Krankheit manifestieren. Durch eine umfassende Schmerz- und Symptomkontrolle können die meisten Beschwerden jedoch zufriedenstellend gelindert werden, wobei die Zeichen des nahen Lebensendes jedoch bleiben. Die Prognose beträgt hier mehrere Wochen bis Monate (ebd., S. 990).

In der Terminalphase sind die Patient*innen meist bettlägerig, nehmen Abschied und wirken zunehmend zurückgezogen. Aber es können auch Phasen von Ruhelosigkeit und Verzweiflung auftreten. Körperliche Symptome wie Müdigkeit, Schwäche, Appetitlosigkeit, Atemnot, Übelkeit bei Nahrungsaufnahme und Obstipation können die Kranken belasten. Neben einer umfassenden Linderung dieser Symptome gilt es, besondere Aufmerksamkeit auf die seelisch-geistig-spirituelle Unterstützung der Patient*innen und auch ihrer Angehörigen zu legen. Die Diagnostik sollte in den Hintergrund gestellt werden und sich fast ausschließlich auf eine sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung beschränken, wobei im Zuge dessen eine adäquate medikamentöse Symptomkontrolle eingeleitet werden kann (ebd., S. 990 ff.).

Der Begriff Finalphase umschreibt die unmittelbare Sterbephase. Es ist zu erwarten, dass der Tod innerhalb von Stunden oder innerhalb eines Tages eintritt. In der Praxis wird mitunter vom „Terminalstadium“ gesprochen. Unter diesem Begriff wird meist eine Zusammenfassung von Präterminal-, Terminal- und Finalphase verstanden.

Die Übergänge zwischen den einzelnen Phasen sind fast immer fließend, es kann jedoch auch eine plötzliche Verschlechterung des Allgemeinzustandes auftreten. Selten kann es aber auch zu einer vorübergehenden, kurzzeitigen Besserung kommen.

1 Siehe https://www.spict.org.uk/the-spict/spict-de/

2Palliativpflege

In der Palliative Care hat die Pflege eine besondere Bedeutung. Sie stellt eine wesentliche Grundlage für das Wohlbefinden der Kranken dar. Pflegende haben den intensivsten Kontakt zu den Patient*innen und ihren Angehörigen, daher sind Pflegepersonen auch über die aktuelle Situation der Kranken und über belastende Umstände oft umfassender informiert als andere Professionen. Bei therapeutischen Entscheidungen ist es daher unverzichtbar, auch die Sicht der Pflege zu berücksichtigen.

Zu den Kernelementen der Palliativpflege zählen das frühzeitige Erkennen von Problemen und Symptomen, die Prävention durch Vermeiden und Vorbeugen von Beschwerden sowie die Krisenprävention und das professionell-pflegerische Handeln im Rahmen der Versorgung und Fürsorge. Dies erfordert nicht nur eine entsprechende fachliche Qualifikation, sondern auch eine kontinuierliche Reflexion der Expertise sowie eine hohe Sozialkompetenz (Schallenburger & Schwermann 2020, S. 26).

Das Konzept der Palliativpflege unterscheidet sich von anderen Pflegekonzepten vor allem durch ihre konsequente Orientierung an den Bedürfnissen und Wünschen der Kranken. Das Ziel palliativer Betreuung, die bestmögliche Erhaltung der Lebensqualität und die umfassende Unterstützung der Patient*innen in Leiderfahrungen, erfordert eine höchst empathische, fachlich kompetente und oft auch kreative Pflege.

Palliativpatient*innen befinden sich in einer existenziell bedrohlichen Situation und angesichts der oft sehr begrenzten Lebenszeit können sich ihre Bedürfnisse und Wünsche rasch ändern. Das erfordert nicht nur hohe Sensibilität aufseiten der Pflegenden, sondern auch viel Flexibilität und die Bereitschaft, die Bedürfnisse der Kranken konsequent in den Mittelpunkt aller Bemühungen zu stellen. Zu den wesentlichen Charakteristika palliativer Pflege gehören der Respekt vor dem Recht der Patient*innen auf Selbstbestimmung, die unbedingte Achtung der Würde und Individualität des jeweiligen Menschen und die Integration der Angehörigen in den Pflegeprozess.

Palliativpflege wird oft schon geleistet, bevor die Palliativsituation aus medizinischer Perspektive erkannt wurde. Durch den im wahrsten Sinne des Wortes hautnahen Kontakt zu den Patient*innen entwickeln Pflegende eine feine Wahrnehmung für Veränderungen und können eine Progredienz des Krankheitsgeschehens meist frühzeitig erfassen. Innerhalb des multiprofessionellen Teams gilt die Sicht der Pflege daher als ein wichtiger Beitrag zu einer patienten- und bedürfnisorientierten Betreuung.

Pflegepersonen bieten Unterstützung bei der Bewältigung von krankheitsbedingten Krisen und schwierigen Situationen und sie leisten einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung von Selbstachtung und Würde auch bei größter Hinfälligkeit, bei Inkontinenz, bei entstellenden Wunden und völligem Angewiesensein. Auch in Situationen von existenziellem Leid, wenn sich alle bisher bewährten Strategien von Symptomkontrolle als unwirksam erweisen, in Situationen von tiefer Verzweiflung und spiritueller Not, bleiben Pflegende präsent und leisten Beistand.

„Wenn wir nicht heilen können, dann können wir lindern. Und wenn wir nicht mehr lindern können, dann können wir trösten. Und wenn wir nicht mehr trösten können, dann sind wir immer noch da.“ (Einhorn 2007)

In der Zeit des Sterbens kommen der Pflege besondere Aufgaben zu. Neben einem umfassenden Symptomassessment und einer Einschätzung der individuellen Bedürfnisse von Patient*innen und Angehörigen hat Palliativpflege auch eine Art Hebammenfunktion. Ähnlich wie Hebammen gute Rahmenbedingungen für eine Geburt schaffen müssen, geht es am Ende des Lebens darum, angemessene Rahmenbedingungen für das Sterben zu schaffen – und letztlich auch darum, die Pflege und Versorgung Verstorbener auf würdige Weise zu gewährleisten.

In einer Balance zwischen Fürsorge und der Achtung vor dem Recht auf Selbstbestimmung liegt es an der Pflege, Bedingungen zu schaffen, die es sterbenden Menschen und ihren Angehörigen ermöglichen, die Zeit des Sterbens als wertvoll zu erleben, und die ein individuelles Abschiednehmen möglich machen. Ob der Tod als bedeutsamer Abschluss eines Menschenlebens erlebt werden kann oder als bloßes Versagen biochemischer Reaktionen, hängt unter anderem von der Kompetenz des medizinischen Personals im Umgang mit den Sterbenden ab (Renz-Polster 2008). Damit wird deutlich, wie hoch die Verantwortung Pflegender in der Gestaltung der Rahmenbedingungen für das Sterben ist.

Die drei Phasen palliativer Betreuung:

1.Krankheitsorientierte Palliation: Das Fortschreiten der Erkrankung und belastende Symptome werden durch gezielte Therapie reduziert. Zum Beispiel können Kopfschmerzen und intrakranieller Druck bei bestehenden Hirnmetastasen durch Strahlentherapie gelindert werden. Allerdings kann durch die Strahlentherapie wiederum Übelkeit und Erbrechen ausgelöst werden, daher ist die Balance von Nutzen und Belastung sorgfältig zu überdenken.

2.Symptomorientierte Palliation: Im Zusammenhang mit der Erkrankung können vielfältige somatische, psychologische und spirituelle Belastungen auftreten. Hier ist eine effektive, umfassende Symptomlinderung oberstes Ziel, um die Lebensqualität für die Kranken zu erhalten.

3.Terminale Betreuung: Neben dem Fokus auf möglichst hohes Wohlbefinden durch effektive Symptomlinderung ist das Ziel der palliativen Betreuung in der Terminalphase das, was auch mit Sterbensqualität umschrieben werden kann (Bausewein et al. 2010).

In all diesen Phasen ist die pflegerische Unterstützung der Patient*innen und ihrer Angehörigen von wesentlicher Bedeutung. Pflegepersonen im Bereich von Palliative Care arbeiten mit und an Menschen, die vielfältige Verluste zu bewältigen haben. Eine vertrauensvolle Pflegebeziehung kann sich, besonders in Krisensituationen, als tragendes Element erweisen. Damit kann auch die Beziehung als zentrales Merkmal palliativer Pflege betrachtet werden.

3Therapiezieländerung

Es ist nicht nur entscheidend, eine palliative Situation frühzeitig zu erkennen, es geht auch darum, sie anzuerkennen. Das Primat der Heilung in der modernen Medizin führt oft dazu, dass schwer kranke Patient*innen Therapien ausgesetzt werden, die für sie sinnlos geworden sind. Damit werden ihnen hohe Belastungen zugemutet, ohne dass sie einen erkennbaren Nutzen davon haben. Diese Praxis führt oft auch zu einer enormen Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität angesichts einer ohnehin sehr begrenzten Lebenszeit.

Grundsätzlich ist die Beendigung einer Therapie oder der Verzicht auf eine solche, die auf Heilung ausgerichtet ist, unter vier Bedingungen gerechtfertigt oder eigentlich sogar zu fordern:

•wenn die Behandlung unwirksam ist, wenn weder eine echte Chance auf Heilung noch auf Lebensverlängerung besteht und die Behandlung für den Patienten, die Patientin vorwiegend belastend ist;

•wenn die Therapie mehr schadet als nützt, wenn der Aufwand und die Belastung in keinem Verhältnis zum erwartbaren Erfolg stehen;

•wenn der Sterbeprozess bereits eingeleitet ist, der Tod unausweichlich bevorsteht und jede Lebensverlängerung eine Verlängerung des Sterbeprozesses bedeutet;

•wenn der Patient, die Patientin eine weitere kurative Behandlung ablehnt.

Wenn eine Heilung unrealistisch geworden ist, sollten nutzlose Therapien beendet werden, um die Patient*innen nicht unnötig zu belasten. Im Sinne einer Therapiezieländerung wird nicht mehr die unrealistisch gewordene Heilung angestrebt, sondern die bestmögliche Erhaltung der Lebensqualität durch Palliative Care.

Die Entscheidung über alle Therapien erfolgt stets unter Abwägen von Nutzen und Belastung im Hinblick auf die Lebensqualität der Betroffenen, im Bemühen um Vermeidung von Übertherapie und in einem gemeinsamen informierten Entscheidungsprozess unter Einbeziehung der Patient*innen, der Angehörigen und des Teams.

Wie in den angelsächsischen Ländern bereits Standard, sollten Pflegende auch hierzulande vermehrt in die Prozesse zu Therapieentscheidungen miteinbezogen werden. Pflege kann nicht nur einen wertvollen Beitrag zur Entscheidungsfindung leisten, es darf nicht vergessen werden, dass Pflegende letztlich meist die Ausführenden dieser Therapieentscheidungen sind. Daher ist es wichtig, dass sie diese Entscheidungen nicht nur mittragen, sondern auch nachvollziehen können.

Podcast Hochpalliativ – Das Palliative Care Team

Eine gelingende interprofessionelle Kommunikation ist daher von besonderer Bedeutung und die Praxis zeigt den Nutzen einer gemeinsamen Einschätzung der Situation durch Medizin und Pflege. Hier gilt der einfache Grundsatz: Gemeinsam wissen wir mehr.

4Situation sterbender Menschen

Sterbende Menschen erleben ihre Gegenwart besonders intensiv. Das Hier und Jetzt ist entscheidend. Die Patient*innen sind meist ganz ihrem Leibgeschehen ausgeliefert, oft leiden sie an belastenden Symptomen und sie befinden sich in einer Situation größter Angewiesenheit, Bedürftigkeit und Verletzlichkeit. Ihre Gedanken und auch die Gespräche mit ihnen sind von dem erlebten Leid, von ihren Ängsten und Hoffnungen, von ihrem Zorn und ihrer Trauer geprägt. Die Konfrontation mit der unmittelbaren eigenen Endlichkeit kann alle bisher tragenden Strukturen zusammenbrechen lassen. Sterben ist eine Erfahrung von akuter Bedrohung, tiefer Trauer und Einsamkeit. Wechselnde Gefühle von Enttäuschung, von Verzweiflung und Gelassenheit, von Wut und Angst können auftreten. Unmittelbar vom Tod bedrohte Menschen erleben Angst in besonderer Weise, im Sinne von Todesangst. Kierkegaard (2010) stellte fest: „Die Krankheit zum Tode ist Verzweiflung. Bei der Krankheit zum Tode muss es eine sein, bei der das Ende der Tod ist, der Tod das Letzte ist. Und das ist gerade die Verzweiflung.“ Er meint damit, dass terminale Erkrankungen immer mit mehr oder weniger intensiven Phasen von Angst und Verzweiflung verbunden sind. Sterben ist eine globale, den Menschen in allen Facetten seines Seins bedrohende Erfahrung von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein. Es bedeutet einen totalen Verlust der Kontrolle und der Handlungsfähigkeit.

Sterbende Menschen brauchen daher nicht nur intensive palliativmedizinische und pflegerische Fürsorge, sie sind auch fundamental auf Mitmenschen angewiesen, die fähig sind, mitzuempfinden. Sie brauchen Menschen, die bereit sind, sich von dem Leid berühren zu lassen und präsent zu bleiben – selbst wenn es nichts Tröstliches zu sagen gibt. Leidende Menschen sprechen von einem Rückzugsraum, den die Pflegenden ihnen durch ihr Mitempfinden ermöglichen (Öhlen et al. 2002). Neben umfassendem Palliative-Care-Wissen erfordert die Betreuung eines sterbenden Menschen von den Pflegenden auch, sich ganz auf ihn einzulassen, sich in seine Leidenssituation hineinzubegeben und sich dabei auch der Gefahr auszusetzen, selbst mit Leid in Berührung zu kommen.

„Die Qualität der Beziehung besteht ja immer darin, dass die Helfenden riskieren, dass sie sich aussetzen, dass sie wahrnehmbar werden in ihrer eigenen Gebrochenheit und Begrenzung“, schreibt Heller (2007) und macht deutlich, dass wir uns in unserer professionellen Rolle letztlich nicht von den sterbenden Patient*innen unterscheiden. Nach dieser Überlegung geht es in der Pflege weniger um eine Begegnung von Patient*innen mit professionell Betreuenden, sondern immer auch um die Begegnung von zwei gleichermaßen sterblichen Menschen und um mitmenschliche Zuwendung.

Die therapeutische Kraft dieser Zuwendung wird in neurobiologischen Forschungen bestätigt. Das Erleben von Zuwendung, mitfühlender und emotionaler Resonanz löst im Organismus eine physiologische Beruhigungsreaktion aus: Oxytocin wird freigesetzt, es wirkt hemmend auf die erregten emotionsbezogenen Gehirngebiete, vor allem auf die Amygdala. In der Folge wird das Stresshormon Cortisol deaktiviert und die Angstreaktionen klingen ab (East & Moberg 2014). Daher sind menschliche Zuwendung, Beistand und Mitgefühl ganz wesentliche Faktoren in der Pflege von sterbenden Menschen. In der Palliativpflege ist ein hohes Maß an Empathie unverzichtbar, ebenso wie die Fähigkeit, innerhalb kurzer Zeit eine verlässliche und vertrauensvolle Beziehung zu den Patient*innen aufzubauen. Diese Beziehungen sind jedoch immer temporärer Natur. „Die allermeisten Menschen, die von mir Hilfe erwarten, sind gleichsam bei mir auf der Durchreise. Daher kann ich mich ihnen für diesen absehbaren, überschaubaren und aushaltbaren Zeitraum mit allem widmen, was mir an Empathie, Fachwissen, Menschenliebe, Erfahrung und eben Nähe zur Verfügung steht. […] Professionelle Nähe macht nicht nur die Hilfe suchenden Menschen zufriedener, sondern auch mich selber.“ (Kränzle 2010)

Voraussetzungen für Empathie sind die eigene Gesundheit und eine persönliche Ausgeglichenheit (Zderad 2008). Um echtes Mitgefühl und Empathie für andere entwickeln zu können, bedarf es einer reflektierten Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen. Fürsorge für andere bedarf zuallererst Fürsorge für sich selbst. Neben dem fachlichen Können und der Achtung für eigene Bedürfnisse brauchen Pflegepersonen auch ein hohes Maß an kommunikativer Kompetenz. Eine effektive Symptomlinderung hängt ebenso vom Gelingen der Kommunikation ab wie auch der Erfolg einer psychosozialen Unterstützung der Patient*innen. Auch die Qualität der Begleitung der Angehörigen von schwerkranken und sterbenden Menschen wird weitgehend von den kommunikativen Fähigkeiten und der Empathiefähigkeit der Betreuenden abhängen.

5Kommunikation mit Sterbenden

Im Folgenden wird es vor allem um Patient*innen in der Terminal- und Finalphase einer zum Tod führenden Erkrankung gehen. Daher finden Aspekte der Diagnosemitteilung und der Therapiezieländerung hier keine Berücksichtigung, denn es ist davon auszugehen, dass diese Fragen eine frühere Phase der Erkrankung betreffen.

Auch bei optimaler Symptomlinderung können sterbende Menschen tiefen Leiderfahrungen ausgesetzt sein. Die Konfrontation mit der unmittelbaren, eigenen Endlichkeit kann eine Erfahrung von akuter Bedrohung und tiefem Leid, eng verbunden mit spiritueller Not, mit Hoffnungslosigkeit, mit tiefer Resignation, mit Traurigkeit und Verzweiflung sein.

Diese Leiderfahrung ist nicht entweder biologisch, psychologisch, sozial oder spirituell, sondern betrifft immer alle Dimensionen. Daher ist die Unterscheidung zwischen körperlichen Schmerzen und seelischem Leiden, an der sich die moderne Medizin bis heute maßgeblich orientiert, kritisch zu betrachten. Die Erfahrung von Leid ist ein Zustand der gesamten Person, ein leidender Mensch ist immer in allen Dimensionen betroffen. Das wahrgenommene Leiden der Patient*innen empfinden Pflegende meist als appellhaft und es entsteht ein hoher Handlungsdruck, schließlich zählt das Lindern von Leid zu den klassischen Zielen von Medizin und Pflege (siehe Kapitel Leid und existenzielle Verzweiflung Seite 64).

In der Pflege von sterbenden Menschen entstehen manchmal Situationen, in denen uns die Worte fehlen. Das Leid und die Trauer machen oft sprachlos und zugleich entsteht ein starkes Bedürfnis, etwas Tröstliches anzubieten. Die Angst, etwas Falsches zu sagen, und das Unbehagen angesichts von Leid und Tränen lassen uns verstummen. Das Schweigen, das dann entsteht, kann aber auch eine Verbindung schaffen, eine emotionale Brücke zwischen dem leidenden Menschen und den professionell Betreuenden. Das gemeinsame Schweigen kann dann vielleicht mehr ausdrücken, als es Worte zu sagen vermögen.

Herr Berger lag im Bett, den Blick auf das Fenster gerichtet, auf die Nordkette, die in der Morgensonne leuchtete. Herr Berger war Vater eines vierjährigen Jungen und todkrank. Ohne mich anzusehen sagte er: „Ich habe meinem Sohn versprochen, dass ich mit ihm in die Berge gehe – ich werde nicht mehr da sein, wenn er alt genug dazu sein wird.“ Und dann unter Tränen: „Ich werde nicht da sein, wenn er mich braucht.“

Ich hatte keine Worte, die ich hätte sagen können, also schwieg ich. (Aussage einer Pflegeperson)

Die geteilte Machtlosigkeit kann das Verbindende zwischen den Patient*innen und den professionell Betreuenden sein. Cassell (2004) nennt als erste Hilfe, das Leid sterbender Menschen zu bewältigen, „sich die Stärke, die Kraft anderer auszuleihen“. Es braucht Menschen, die sich angesichts von Leid und Trauer nicht zurückziehen, sondern der Konfrontation standhalten – und gleichsam ihre Kraft zur Verfügung stellen. Präsenz und mitmenschlicher Beistand sind daher ganz wesentliche Faktoren zur Leidenslinderung, zugleich sind professionell Betreuende nicht sehr geübt darin, sich Gefühlen von Hilflosigkeit auszusetzen.

Aus dem eigenen Bedürfnis, etwas zu tun, kann ein blinder Aktionismus entstehen und damit das Gegenteil dessen darstellen, was die Patientin oder der Patient brauchen würde.

„Allmählich verstehe ich die Bedeutung der Machtlosigkeit. Ich erlebe sie in meinem Leben, und ich lebe mit ihr in meiner Arbeit. Das Geheimnis liegt darin, keine Angst vor ihr zu haben und nicht von ihr wegzulaufen. Wenn Menschen sterben, wissen sie, dass wir nicht Gott sind. Alles, was sie von uns wünschen, ist, dass wir sie nicht alleine lassen.“ (Cassidy 1990)

Um in diesen Situationen unterstützend sein zu können, braucht es eine reflektierte, persönliche Einstellung der Betreuenden zu der eigenen Sterblichkeit. Es erfordert auch eine vertiefte Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten, mit der eigenen Hilflosigkeit und auch mit der eigenen Haltung zum Leid-Phänomen. Und vielleicht müssen wir auch lernen, dass wir nicht in jeder Situation eine Antwort oder gar eine rasche Lösung parat haben müssen, dass wir nicht jede Leiderfahrung weg-therapieren müssen. Angesichts im wahrsten Sinn des Wortes unaussprechlichen Leids ist die Sprachlosigkeit möglicherweise nicht Ausdruck von Inkompetenz, sondern vielmehr ein Zeichen von Respekt und Demut (Jenner 2015, S. 40).

„Leiden ist keine Frage, die eine Antwort erfordert, es ist kein Problem, das eine Lösung erfordert, es ist ein Geheimnis, das Präsenz erfordert“ (Wyatt 2012). Mehr als alle anderen Professionen bleibt die Pflege präsent und steht den Patient*innen auch in leidvollen Situationen bei. Auch dann, wenn es nichts zu tun gibt und wenn es keine tröstlichen Worte zu sagen gibt.

Voraussetzungen für eine gelingende Kommunikation mit leidenden und sterbenden Menschen:

•Die Pflegeperson hat sich einer offenen Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen und der eigenen Haltung gegenüber Sterben, Tod und Trauer gestellt – insbesondere auch ihrem eigenen Sterben, dem eigenen Tod und der eigenen Trauer gegenüber.

•Eine reflektierte Haltung im Umgang mit Leid.

•Respekt davor, wie der sterbende Mensch sein Leben gelebt hat.

•Respekt und Achtung vor den individuellen Bewältigungsstrategien der Patient*innen.

•Strikte Orientierung der Betreuung an den Bedürfnissen der Patient*innen.

•Bereitschaft, wirklich zuzuhören, und Wissen um Gesprächstechniken, um nonverbale Kommunikation und Körpersprache.

•Erkenntnis, dass es angesichts des bevorstehenden Sterbens meist keine tröstlichen Worte gibt.

•Wissen, dass Schweigen und stille Präsenz unterstützend sind.

•Vertrauen darauf, dass die Patient*innen ihr Sterben so gestalten, wie es ihnen entspricht. Das kann auch erfordern, sich von den wertenden Vorstellungen von einem „guten“ Sterben zu verabschieden.

Kommunikation mit Sterbenden ist ein besonderes therapeutisches Bündnis, in dem sich Menschen wie sonst nirgends im Vertrauen auf Ungewisses zusammenfinden. Es bedeutet, durch fachliches Wissen, kommunikative Fähigkeiten, emotionale Sensibilität und soziales Vertrauen Menschen auf der letzten Lebensstrecke zu begleiten (Müller-Busch 2012, S. 761). Entlastend und damit kommunikationsfördernd ist die Einsicht, dass für die unfassbare Realität des Sterbens weder „das erlösende Wort“ noch der heilende Satz gesagt werden können (Kränzle 2011, S. 117).

In der Pflege unmittelbar sterbender Menschen ist oft zu beobachten, dass die akustische Aufnahmefähigkeit am längsten erhalten zu bleiben scheint, auch wenn andere Sinne schon versagen. Wenngleich die verbalen Ausdrucksmöglichkeiten der Sterbenden schon eingeschränkt sind, so reagieren sie doch oft noch auf vertraute Stimmen und bestimmte Worte. Das ist besonders für die Angehörigen von Bedeutung, denn auch wenn der Patient, die Patientin nicht mehr entsprechend reagieren kann, so kann ihm/ihr doch noch Wichtiges mitgeteilt werden.

5.1Kommunikation als Ausdruck der inneren Haltung

Zu den Charakteristika von Palliative Care zählt auch die respektvolle und grundsätzlich wertschätzende Haltung anderen Menschen gegenüber. Es bedarf einer grundlegenden Achtung vor der individuellen Lebensgestaltung der Patient*innen und auch des Respekts vor den verschiedenen Bewältigungsstrategien der Kranken und ihrer Angehörigen. Eine strikt patientenorientierte Betreuung und eine prinzipiell nicht wertende Kommunikation sind Ausdruck dieser Haltung.

Mitgefühl, Achtsamkeit und eine innere, mitmenschliche Verbundenheit sind Voraussetzungen, um dem Leiden und den Bedürfnissen sterbender Menschen gerecht zu werden. Der Sterbeprozess ist eine Grenzerfahrung, nicht nur für den sterbenden Menschen selbst, sondern auch für seine An- und Zugehörigen und ebenso auch für die professionellen Betreuer*innen. Hier bedarf es der Fähigkeit, nicht nur als professionell Betreuende, sondern vor allem auch als Mensch präsent zu sein. Denn Betreuende aus Pflege, Medizin und den psychosozialen Berufen begegnen sterbenden Menschen nie ausschließlich als Professionelle, sondern immer auch als sehr verletzliche und sterbliche Wesen (Heller 2014).

Podcast Hochpalliativ – Kommunikation