Pantoufle - Ein Kater zur See - Andrea Schacht - E-Book

Pantoufle - Ein Kater zur See E-Book

Andrea Schacht

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Beschreibung

„Langeweile ausgeschlossen!“ Bunte

Ein verschreckter kleiner Kater auf hoher See? Ob das gutgeht? Doch Pantoufle hat keine Wahl, ist er doch seiner Menschenfreundin Janed auf immer treu, seit sie ihn einst aus dem Schnabel einer Möwe gerettet hat. Und Janed will in der neuen Welt ein neues Leben beginnen. An Bord des Dampfschiffs, das auf New York zusteuert, sucht Pantoufle Zerstreuung – und deckt einen Sabotageakt auf, der den Lebenstraum eines ganz besonderen Menschen zu zerschlagen droht …

Der neue bezaubernde Katzenroman von Bestseller-Autorin Andrea Schacht!

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Seitenzahl: 371

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Inhaltsverzeichnis
Buch
Autorin
Bei Blanvalet lieferbar
Personen
Sturmflut
Traurige Erinnerungen
Aufbruch
Beim Korbflechter
Alte Freunde
Copyright
Buch
Die junge Bretonin Janed verliert bei einer Sturmflut ihre Familie. Auch die Fischfabrik, in der sie gearbeitet hat, ist zerstört. In ihrer Verzweiflung macht sie sich auf den Weg nach Brest, um dort neue Arbeit zu finden. Unterwegs trifft sie auf drei befreundete Matrosen, die ihr von einer geplanten Überfahrt in die Neue Welt erzählen. Wo, wenn nicht dort, wäre es für sie möglich, ein neues Leben zu beginnen? Sie schließt sich ihnen an und wird - mitsamt ihrem kleinen Kater Pantoufle, dem einzigen Wesen, das ihr von ihrem alten Leben geblieben ist - auf einem Ozeandampfer eingeschmuggelt.
An Bord beginnt Pantoufle herumzustromern. Er trifft auf die edle Siamesin Lili, die Katze von Madame Robichon. Und er deckt einen Sabotageakt auf, der den Lebenstraum eines ganz besonderen Menschen zu zerschlagen droht …
Autorin
Andrea Schacht war lange Jahre als Wirtschaftsingenieurin und Unternehmensberaterin tätig, hat dann jedoch ihren seit Jugendtagen gehegten Traum verwirklicht, Schriftstellerin zu werden. Nicht nur ihre historischen Romane um die aufmüpfige Kölner Begine Almut Bossart, sondern auch ihre Katzenkrimis erobern Buch um Buch die Herzen von Lesern und Buchhändlern. Andrea Schacht lebt mit ihrem Mann und zwei anspruchsvollen Katzen, Mira und MouMou, in der Nähe von Bonn.
Bei Blanvalet lieferbar
Die Lauscherin im Beichtstuhl. Eine Klosterkatze ermittelt (36263) MacTiger - Ein Highlander auf Samtpfoten (36810) · Kreuzblume (37145) · Göttertrank (geb. Ausgabe, 0273) · Goldbrokat (geb. Ausgabe, 0297) · Rheines Gold (36262)
Die Beginen-Romane: Der dunkle Spiegel (36774) · Das Werk der Teufelin (36466) · Die Sünde aber gebiert den Tod (36628) · Die elfte Jungfrau (36780) · Das brennende Gewand (37029)
Der Start der Alyss-Serie: Gebiete sanfte Herrin mir (37123)
Die Ring-Trilogie: Der Siegelring (35990) · Der Bernsteinring (36033) · Der Lilienring (36034)
Personen
Janed Kernevé - eine junge Bretonin, die vor einem Jahr Vater und Bruder auf See verloren hat und nun auch noch in einer Sturmflut ihr Haus und ihre Arbeit in einer Fisch-Delikatessenfabrik verliert.
Pantoufle - ein zu klein geratener Pantoffelheld, der sich ängstlich an seine Ziehmutter Janed krallt und lernen muss loszulassen. Er hat eine Heidenangst vor Möwen.
Ron Cado - Erster Offizier auf der Boston Lady, dem die Verantwortung für VIP-Passagiere aufgebürdet wird.
Adèle Robichon - vornehme Schwester des Reeders, die einen berühmten Tenor anhimmelt, von ihm jedoch verschmäht wird.
Lili - ihre ebenso vornehm aussehende Siamesin mit Hang zum Derben.
Maha Rishmi - »der machtvolle Lichtstrahl« - eine sterbende alte Löwin.
Pippin - ein alter Clown, der nun zu seiner Tochter nach Amerika zieht. Mit Maha-Rashmi verbindet ihn ein halbes Leben.
Les trois Matelots - ein bretonisches Komikertrio: Telo, Malo und Brieg.
Enrico Granvoce - Tenor, der es eilig hat, zu seiner Premiere an der Metropolitan zu kommen.
Jock - Erster Maschinist, der schmierige Hände hat.
Der Kapitän - ehrgeiziger Mann, der seinem Reeder gefällig sein will.
Corsair - ein pensionierter Schiffskater in der Hafenkneipe.
Sturmflut
Ich hatte es in den Schnurrhaaren! Ganz deutlich spürte ich es in den Schnurrhaaren.
Schnurrhaare sind äußerst sensibel. Und meine ganz besonders.
Ein Unglück dräute!
Ein gewaltiges Unglück.
So gewaltig, dass ich mich zitternd und zagend am liebsten in einem Loch im Sand vergraben hätte.
Aber das durfte ich nicht. Denn da war ja noch Janed. Und Janed musste gewarnt werden. Also gab ich mein schützendes Fleckchen unter den Hortensien auf und streckte meine Nase in den Wind.
Wind - na ja, das war schon etwas mehr als nur ein Wind.
Die aufgewühlte Luft zerrte an meinen Ohren, fuhr mir von hinten durch den Pelz, was überhaupt kein schönes Gefühl war. Sandkörnchen fegten durch die Luft und verfingen sich in dem weichen Unterfell, Staub wirbelte mir in die Augen, und - pfui - ein schaumiger Fetzen salziger, weißer Gischt klatschte mir mitten ins Gesicht.
Möwenkacke!
Das mochte ich gar nicht.
Auch dieses Geräusch mochte ich nicht. Dieses Donnern und unterirdische Grummeln, wenn die Wellen gegen die Felsen unter mir krachten. Dieses Gestöhne, mit dem der Sturm um die Klippen fegte. Das Knarren der Pinienstämme, die ihre Kronen bis fast auf den Boden beugten. Noch weniger liebte ich die ekstatischen Schreie der Möwen, dieser blöden Vögel, die den Sturm auch noch genossen und wie wild gewordene Papierfetzen über die Klippen tänzelten.
Möwen waren meine geschworenen Feinde.
Sie lachten immer so höhnisch.
Über mich. Über wen sonst?
Ich hasse Möwen.
Trotzdem, ich musste zum Haus, zu Janed.
Dunkelgraue Wolken fetzten über den Himmel, der Horizont hatte sich widerlich gelb verfärbt, das Meer draußen brodelte wie sonst nur die Suppe in Janeds Kessel. Tief geduckt, um dem heulenden Wind nicht zu viel Angriffsfläche zu bieten, schlich ich mich über den steinigen Pfad zwischen dem kratzigen Heidekraut. Nur dann und wann hielt ich inne, um den Kopf zu heben. Ich musste mich auf meine Augen verlassen, die Nase tat es bei derartig durcheinandergewirbelten Luftmassen nicht mehr.
Eine besonders gemeine Böe hätte mich beinahe erfasst und gegen einen spitzen Stein geschleudert. Mit den Krallen konnte ich mich gerade noch in dem niedrigen Gestrüpp festhalten. Schon platschten Regentropfen auf den Boden, Wasser kroch mir in das linke Ohr, und ich musste meinen Kopf heftig schütteln.
Ich hasse Wasser. Es ist so nass!
Aber trotzdem, ich musste zum Haus, zu Janed.
Noch ein paar Schritte zwischen den Felsbrocken hindurch, dann konnte ich den breiten Weg erkennen, der vom Dorf zu unserem Haus auf den Klippen führte.
Da! Dahinten kam sie. Mit einer Hand hielt sie ihr Kopftuch fest, in der anderen trug sie die Korbtasche und versuchte, mit ihr den flatternden Rock zu bändigen.
Arme Janed. Auch sie hatte gegen den gemeinen Wind zu kämpfen. Und sie hatte noch nicht einmal Krallen an den Füßen, mit denen sie sich festhalten konnte. Gebeugt stemmte sie sich gegen die Böen und kam nur Schritt für Schritt voran.
Ich wollte ihr entgegenlaufen, aber das war ausgesprochen mühsam.
Also kroch ich geduckt weiter.
Am Mäuerchen vor dem Haus trafen wir endlich zusammen.
»Ei, Pantoufle, gut, dass du es geschafft hast. Schnell hinein ins Trockene, mein Kleiner. Das wird ein schlimmes Unwetter!«
Man brauchte also nicht einmal Schnurrhaare, um das zu erkennen.
Erleichtert betrat ich mit ihr das schützende Haus.
Man muss es den Menschen lassen, sie haben es raus, sich gemütliche Unterschlupfe zu schaffen. Dieser hier bestand aus Feldsteinen und hatte ein festes Dach, sodass es nicht hineinregnen konnte. Und eine Tür und Fensterläden, blaue, die man zumachen konnte, damit der Wind nicht hindurchfegte. Und eine Feuerstelle. Eigentlich ist mir Feuer ja unheimlich, aber Janed hat es gut im Griff. Sie stellte die Tasche ab und kümmerte sich um den Kamin. Das war ihre Aufgabe. Meine war es, den Inhalt der Tasche zu prüfen.
Sardinenpaste, ein paar Stücke rohen Fisch, irgendein unnützes Gemüsezeug, Milch in einem Krug. Das war gut.
Weniger gut war es, dass der Rauch in den Raum gedrückt wurde, weil der Sturm im Schornstein jammerte. Janed stieß ein paar unwirsche Worte hervor und machte das Feuer wieder aus.
»Es wird eben etwas ungemütlich heute Abend, Pantoufle«, sagte sie zu mir, und ich beschloss, mich dicht bei ihr zu halten, um ihr das Leben ein wenig angenehmer zu machen. Beispielsweise auf ihren Schoß zu springen, um sie anzuschnurren. Das mögen Menschen.
Aber erst bat ich um eine kleine Stärkung.
Ich mag Fisch.
Und ich bekam reichlich. Denn Janed verbrachte ihre Tage in einer Konservenfabrik, wo sie köstliche Dinge aus Fischen herstellte. Das Zeug wurde dann in Dosen gesteckt und an Menschen verfüttert. Ob mit oder ohne Dose - das entzog sich allerdings meiner Kenntnis.
Ich bekam es, bevor es in die Dose gelangte.
Für eine Weile vergaß ich über meinem Teller fast das Toben der Elemente. Hier im Haus zog es zwar da und dort ein wenig durch die Ritzen an den Fenstern, rüttelte es an den Läden, und das tiefe Donnern der aufgebrachten See brachte die Kupferpfannen über dem Herd zum Scheppern, aber es war trocken, und nichts zauste an Pelz und Röcken.
Und dennoch, ich hatte es in den Schnurrhaaren! Kaum war der Fisch verputzt und ich geputzt, zuckten sie schon wieder in höchster Aufregung.
Janed hatte eine Lampe angezündet, so finster war es an diesem Nachmittag, und in ihrem flackernden Schein stopfte sie ein paar Strümpfe. Sie schien sich keine Sorgen zu machen. Ich strich ihr leise maunzend um die Beine, um ihr mein Missbehagen mitzuteilen.
»Pantoufle, was ist denn? Ängstigt dich der Wind?«
Natürlich. Da half auch das Kraulen im Nacken nichts.
»Der geht vorbei, Katerchen. Das ist nur einer der wilden Frühjahrsstürme. Die kommen um diese Jahreszeit über den Atlantik gezogen, und unsere Klippen sind das erste Hindernis, das sich ihnen in den Weg stellt. Das tun sie aber schon seit langer, langer Zeit, und bisher haben sie immer standgehalten.«
Was war schon lange Zeit? Ich hatte erst einen Frühling so richtig miterlebt; der erste zählte nicht, da war ich gerade zur Welt gekommen. Aber Janed war viel älter als ich. Eine richtig betagte Katze aus der Nachbarschaft hatte mir mal erzählt, dass Menschen mehr als dreimal so lange leben können wie wir.
Also sollte ich ihr wohl vertrauen, wenn sie behauptete, dass keine Gefahr drohte.
Aber meine Schnurrhaare sagten etwas anderes!
Und der Sturm heulte lauter.
Und das Meer donnerte stärker.
Und der Boden unter meinen Pfoten erzitterte.
Meine Schnurrhaare befanden sich in Aufruhr.
Es krachte!
Ein Stück grauschwarzer Himmel wurde über uns sichtbar. Wind fauchte durch das Loch im Dach.
Janed sprang auf, und die Socken fielen auf den Boden.
Es krachte noch einmal.
Sie schrie, als mehr von dem Dach davonflog.
Ich drückte mich in eine Ecke.
Janed raffte ihr Umschlagtuch um sich und zog die Schuhe an.
Es knirschte.
In der Mauer knirschte es.
Es donnerte, rumpelte, toste.
Ein Riss tat sich in der Wand neben mir auf.
»Raus, Pantoufle!«
Nein. Doch nicht nach draußen …
Schon öffnete sie die Tür, stemmte sich gegen den Wind.
»Raus, Pantoufle!«, schrie sie mich an, aber ich war wie gelähmt vor Angst.
Sie kam zurück, packte mich, klemmte mich unter den Arm wie einen Brotlaib und kämpfte sich nach draußen.
Gischt nässte uns. Graugrüne Wellen schossen die Felsen empor. Janed rannte.
Es gab einen gewaltigen Schlag, und mit einem schrecklichen Laut brach ein Stück von der Klippe ab.
Unser Haus verschwand in den brodelnden Fluten.
Janed warf sich auf den Boden. Wasser spülte über uns. Sie ließ mich los, krallte sich in das magere Strandgras. Ich mich auch.
Regen, Gischt, Salzwasser stürzten auf uns nieder, der Sturm riss Janeds Tuch fort. Es flatterte wie eine Fledermaus über die Heide. Sie kroch auf dem Bauch weiter.
Ich auch.
Wassermassen erfassten mich von hinten. Ich wurde umhergewirbelt, verlor erst die Orientierung und dann das Bewusstsein.
Traurige Erinnerungen
Benommen erwachte ich in einem Bündel nasser Algen. Jeder Knochen tat mir einzeln weh. Salz und Sand verkrusteten mein Fell, an einigen Stellen auch Blut.
Aber ich lebte.
Zumindest noch ein bisschen.
Der Sturm war zu einem stetigen Wind abgeflaut, die Wellen rauschten zwar noch immer aufgeregt über den Strand, bauten sich aber nicht mehr zu diesen hohen Wasserwänden auf.
Das war beruhigend.
Aber leider auch das Einzige, was beruhigend war.
Mühsam bewegte ich eine Pfote. Aha, das ging. Auch die anderen folgten, wenn auch zögerlich, meinem Willen. Der Schwanz zuckte auch noch. Wie üblich nicht nach meinem Willen; dennoch war ich ganz froh, dass er noch dran war.
Ein weißer Blitz schoss von oben auf mich nieder, und sogleich legten die Pfoten alles Zögern ab.
Ich sprang auf und entwischte gerade noch dem harten, gelben Schnabel.
»Höhöhö!«, höhnte die Möwe.
Mistvieh!
Sie schwang sich auf und setzte zur nächsten Attacke an.
Ich rettete meine protestierenden Knochen unter einen kleinen Felsvorsprung. Dummerweise lagen hier Muschelschalen, und ein schmerzhafter Schnitt verletzte meinen Ballen an der Hinterpfote.
Möwenschiss!
Immerhin gab der verfluchte Vogel sein Ansinnen auf, mir den Pelz zu zerpflücken, und ich konnte erneut zusammenbrechen.
Ein zaghafter Sonnenstrahl weckte mich das nächste Mal und brachte mir erneut und weit deutlicher als zuvor meine missliche Lage zu Bewusstsein.
Ich war alleine. An einem Strand, den ich nicht kannte. Gebeutelt und ramponiert. Hungrig und durstig. Den Möwen und Sandflöhen hilflos ausgesetzt.
Noch einmal überprüfte ich meine Glieder. Es war noch immer alles dran, sogar der komplette Satz Schnurrhaare. Nass war auch alles, und als ich vorsichtig über eine leicht erreichbare Stelle leckte, hatte ich den scheußlichen Salzgeschmack auf der Zunge.
Entmutigt wollte ich einfach nur wieder die Augen schließen und die Welt vergessen.
Aber selbst das war mir nicht vergönnt.
Wasser platschte von oben auf meinen Kopf. Genau zwischen die Ohren.
Ich hasse Wasser.
Vor allem in den Ohren!
Mühsam schleppte ich mich aus dem stetigen Rinnsal und blickte mich suchend nach einem anderen Versteck um. Ein weiterer Tropfen lief mir die Nase hinunter. Ich streckte unwillkürlich die Zunge heraus und leckte ihn ab. Kein Salzwasser.
Köstlich.
Was da den Felsen herunterlief, musste aus einer Pfütze Regenwasser stammen. Ich liebe Pfützen. Das Wasser darin half gegen den Durst.
Danach fiel mir auch das Putzen leichter. Und einen einigermaßen geschützten Platz fand ich auch dort, wo sich im Fels eine kleine Höhle gebildet hatte.
Sie sollte mein Heim für die nächste Zeit werden. Was blieb mir auch anderes übrig? Denn um den beschwerlichen Weg die Klippen hinauf zu wagen, fühlte ich mich bei Weitem zu schlapp.
Immerhin fand ich schon am nächsten Tag etwas zu futtern. Ein Fisch war mir sozusagen vor die Pfoten gespült worden. Allerdings hatte ich panische Angst, als ich aus meiner Höhle kroch, um ihn mir zu holen. Diese Möwengeschwader warteten nämlich schon darauf, ihn mir abspenstig zu machen.
Also vorgesprintet, Fisch geschnappt und zurück.
»Höhöhö«, kreischte die Möwe empört.
Widerliches Federvieh.
Ich sandte ihr einen giftigen Blick, und sie setzte sich vor meiner Höhle in den Sand und watschelte arrogant auf und ab. Möwen können gar nicht anders als sich unelegant bewegen.
Ich fauchte sie an, aber das störte sie überhaupt nicht.
Ich brummte eine weitere Warnung, sie flatterte mit den Flügeln und hopste ein winziges Stück weiter.
Wenigstens ein kleiner Erfolg.
Mit wachsamen Augen schlang ich den Fisch runter. War nicht mehr ganz frisch, aber der Hunger trieb’s rein.
Endlich flog auch die Möwe fort. Sie hatte wohl eingesehen, dass ich nicht zum Teilen bereit war.
Nachdem mein Magen gefüllt war, drehte ich mich so, dass meine Knochen von der Aprilsonne gewärmt wurden und dabei so langsam heilen konnten. Doch während dieser Mußezeit setzte dann allerdings eine ganz andere Form von Elend ein.
Janed. Meine Menschenfreundin Janed. Was war mit ihr geschehen?
Unser Haus war perdu, von der Klippe gerutscht, von der brüllenden See verschlungen. Kein kuscheliges Bett mehr, kein knisterndes Kaminfeuer, kein Tellerchen mit Milch, keine Decke, sich darin eine Kuhle zu treteln.
Keine Schmusestunde mehr, kein Kraulen und Bürsten, kein Summen und Plaudern.
Das Letzte, das ich von Janed gesehen hatte, war ihr verzweifelter Versuch gewesen, sich am Boden festzuhalten. Hatte auch sie die Welle erfasst? War auch sie die Klippen hinuntergespült worden? War sie zerschlagen und blutig irgendwo angeschwemmt worden?
Unsägliche Trauer wollte mich übermannen. Ich liebte meine Janed doch so sehr. War sie mir nicht Mutter, Spielgefährtin, Beschützerin gewesen fast vom ersten Tag meines Lebens an?
Unglücklich legte ich die Schnauze auf meine weißen Pfoten, denen ich meinen Namen verdankte.
»Pantoufle«, hatte sie mir ins Ohr geschnurrt, just als ich gelandet war. »Pantoufle, dich schickt der Himmel!« Ja, das hatte sie gesagt.
Und ich hatte mich augenblicklich wie im Himmel gefühlt.
Auch wenn ich damals meine Maman und die drei Geschwister vermisst hatte. Eine kleine Weile.
Es war nämlich so, dass Maman uns in einem Garten zur Welt gebracht hatte. Wo, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich hatte gerade mal die Augen geöffnet und konnte mit ihnen voller Staunen den rotgoldenen Bauch mit den prallen Zitzen betrachten, als diese verdammte Raubmöwe niederstieß, mich am Kragen packte und entführte.
Eine Zeit lang hing ich in der Luft, hilflos und starr vor Entsetzen, dann ließ sie mich plötzlich fallen. Ich stürzte und stürzte und schlug in etwas Weichem auf.
Später erfuhr ich, dass es sich um Janeds Schürze gehandelt hatte, die sie geistesgegenwärtig ausbreitete, als sie mich fallen sah. Danach kümmerte sie sich um mich, wofür ich ihr auf immer und ewig dankbar sein werde. Sie trug mich unter ihrem Umschlagtuch, damit mir warm blieb, sie fütterte mich mit einem in Milch getauchten Stoffzipfel, sie brachte mir ganz klein gehackten Fisch oder Muschelfleisch. Sie bearbeitete mein Fell mit einer weichen Bürste, ließ mich nach einem Wollknäuel haschen und zeigte mir Haus und Garten. Aber nach draußen ging ich nicht gerne. Die Möwen machten mir Angst. Darum nannte Janed mich auch manchmal ihre kleine Schisserkatze.
Das gefiel mir nicht, obwohl sie eigentlich recht hatte. Lieber hörte ich auf Pantoufle. Warum sie mich so nannte, wurde mir klar, als ich lernte, meinen Pelz selbst zu pflegen. Er war heller als der von Maman, einfach nur sandfarben, aber an allen vier Pfoten trug ich strahlend weiße Pantoffeln. Mein Bauch war auch weiß, und es war mir ein Anliegen, ihn immer fleckenlos sauber zu halten. Einen kleinen weißen Fleck unter dem Kinn besaß ich auch. Den konnte ich aber nur sehen, wenn ich in eine spiegelnde Fläche blickte. Die hatte mir Janed mal vorgehalten und gesagt, der hübsche kleine Kater darin sei ich.
Und das glaubte ich ihr wirklich!
Aber was nützte mir das Hübschsein jetzt?
Außer dass mein Fell im Sand eine recht gute Tarnung darstellt.
Aber die Möwen sahen mich trotzdem, diese widerlichen Pelzrupfer.
Das Meer kam und ging, der Himmel wölbte sich des Tags blau und wolkenlos über mir. Nachts glitzerten die Sterne, und der Mond ließ die Wellenkämme silbern leuchten.
Die kleine Bucht, in der ich gestrandet war, bot einigermaßen Schutz vor dem Wind, hatte trockene, sonnige Flecken, aber auch schattige Winkel. Wie ein Torbogen ragte ein Felsen an einer Seite in das Wasser, und bei Ebbe konnte ich trockener Pfote durch ihn hindurchgehen. Das half mir aber nicht weiter, denn dahinter befand sich nur wieder eine noch kleinere Bucht innerhalb von noch steileren Felsen. Bei Flut tobte die Brandung darin, weshalb ich es bei einem kurzen Besuch beließ.
Drei weitere Tage sann und sann ich darüber nach, wie ich wohl die Felsen hinaufkommen könnte. Im Klettern war ich eigentlich ganz geschickt; die Holzpfosten, die Janeds Wäscheleinen hielten, hatte ich schon sehr früh zu erklimmen gelernt, aber in Holz konnte man seine Krallen schlagen. Auch in den Klippen am Haus hatte ich einen moosbewachsenen Weg gefunden, aber hier war es viel schroffer, und überall lag Geröll an ihrem Fuß. Schon ein paar Stellen hatte ich ausprobiert, war aber immer abgeglitten. Und da mir die Gräten noch immer wehtaten, traute ich mich einfach nicht, die steile Wand zu erklettern. Wenn ich von größerer Höhe abstürzte, würde ich vermutlich Tage brauchen, um wieder laufen zu können.
Ach Janed! Wie sehr fehlte sie mir. Wie oft hatte sie mich aus dummen Situationen befreit, wenn ich irgendwo hineingeraten war, wo ich nicht wieder hinausfand. Ich musste nur jämmerlich maunzen, sie hörte mich immer. Sogar als dieser dumme Kessel umgefallen war und ich darunter gefangen saß. Fast den ganzen Tag. Oder als der Holzstapel vor dem Haus ins Rutschen gekommen war und mich unter sich begraben hatte. Oder ich im Butterfass feststeckte …
Ach Janed.
Ohne sie fühlte ich mich so hilflos.
Sie verscheuchte auch immer die Möwen, wenn ich mit ihr in dem kleinen Garten arbeitete. Sie grub ganz gerne in der Erde - ich auch, wenn auch aus anderen Gründen. Sie pflanzte Blumen und Kräuter an, rupfte anderes Zeug aus, und oft lud sie mich ein, nach ein paar langen Grashalmen zu haschen. Eine dieser Pflanzen liebte ich besonders, das war so ein wundervoll duftendes Kraut, das sie Baldrian nannte. Hach, was konnte ich mich darin wälzen. Richtig wollüstig, jawohl. Sie pflückte es für mich und stopfte es in einen kleinen Leinenbeutel, mit dem wir dann auch im Haus spielen konnten. Und sie legte die getrockneten Blättchen manchmal im Winter in meinen Korb. Dann rochen sie zwar nicht mehr so stark, aber sie schenkten mir wundervolle Träume.
Ach Janed!
Sie war eine lustige Freundin. Sie schwatzte immer mit mir, und an kühlen Abenden zündete sie oft die Lampe an und las mir aus einem dicken Buch etwas vor. Über fremde Länder und Städte. Dann erzählte sie mir auch, dass sie die gerne alle mal sehen würde. Ich allerdings war zufrieden mit meinem Revier, und das zeigte ich ihr auch immer wieder. Sie verstand mich und lachte oft mit mir. Gut, sicher, gelegentlich auch mal über mich. Als Jungkater war ich ziemlich tollpatschig, und wenn ich vor den Möwen floh, stolperte ich auch schon mal etwas kopflos in Sicherheit. Aber sie lachte nie höhnisch, wie diese blöden Strandhühner. Nur manchmal, abends, bevor wir ins Bett gingen, da war sie still und in sich gekehrt, und es tropfte aus ihren Augen. Dann sprang ich immer auf ihren Schoß und schnurrte sie an. Sie murmelte dann etwas davon, dass ich ein guter Kater und ihr Trost und Hilfe sei. Dann - in diesen ganz wenigen Momenten - fühlte ich mich stark und groß.
Jetzt fühlte ich mich klein und elend.
So wie Janed manchmal, denn die hatte nämlich ihren Bruder und ihren Vater verloren, kurz bevor ich ihr in den Schoß gefallen war. Genau wie ich auch meine Geschwister und meine Maman verloren hatte. Aber für mich war das nicht ganz so schlimm, weil ich ja Janed hatte.
Nun hatte ich sie auch verloren.
Und über mir kreisten die Möwen.
Aufbruch
Wieder brach ein klarer Tag an, wieder färbte die Sonne das Wasser rot, wieder fand ich einen Fisch, der meinen Hunger stillte, und wieder musste ich vor den weißen Drangsalierern fliehen. Und doch hatte ich an diesem Morgen ein eigenartiges Gefühl in den Schnurrhaaren. Nicht von dräuendem Unheil. Sondern ganz seltsam. Es würde etwas passieren. Ich sann, während die Morgensonne mich wohlig aufheizte, darüber nach. Das Wetter würde sich so bald nicht ändern, so etwas fühlte sich anders an. Vielleicht bekam ich Gesellschaft?
Eine nicht unberechtigte Hoffnung. Vor der Bucht waren nämlich endlich auch wieder Boote aufgetaucht. Nach dem Sturm hatte sich kaum ein Mensch auf das Wasser getraut. Aber nun waren die Fischer wieder ausgelaufen, und die Segel blähten sich im Wind.
Vielleicht kam ja jemand hier in die Bucht und nahm mich mit?
Doch der Morgen verlief ereignislos, die Sonne stieg stetig auf ihrer Bahn, und entmutigt suchte ich einen Schattenflecken auf.
Da geschah es. Ich blickte nach oben und sah flatternde Röcke. In den Röcken steckte eine Frau, die sich mit einer Hand die Augen beschattete und über das Meer hinaussah.
Genauso wie meine Janed es auch immer getan hatte.
Konnte das sein?
Ich sprang auf und maunzte.
Sie sah weiter zum Horizont hin.
Die Möwen kreischten hämisch ihr »Höhöhö«.
Drecksviecher!
Ich versuchte es lauter, kreischte ebenfalls.
Die Frau auf der Klippe zuckte zusammen.
Ich legte alle Kraft in meine Stimme und jaulte, dass es mir fast die Kehle sprengte.
Sie sah nach unten. Ich warf mich rücklings in den Sand, sodass die Sonne mein weißes Bauchfell aufleuchten ließ (der Rest von mir hob sich ja nicht so gut vom Sand ab).
Ganz leise drang an mein Ohr der verwunderte Ruf: »Pantoufle? Pantoufle???«
Dann verschwand sie aus meiner Sicht.
Enttäuscht kam ich wieder auf die Pfoten. Hatte mich mein Gehör genarrt? Waren meine Schnurrhaare unzuverlässig geworden?
Nein, alle meine Sinne funktionierten noch so, wie sie sollten. Dort, wo der Fels oben Einschnitte wie Stufen hatte, kletterte die Frau, die ganz sicher Janed war, herunter. Die Stelle hatte ich auch schon mal ins Auge gefasst, aber die scharfkantigen Muscheln, die im Geröll angeschwemmt worden waren, hatten mich gehindert, den Aufstieg dort zu versuchen. Bis zum Fels hätte ich es ja vorsichtig noch geschafft, aber dort auszugleiten und aus der Höhe auf die Muscheln zu fallen, davor hatte ich zu viel Schiss.
Janed hatte feste Lederstiefel an, die Muschelschalen knirschten unter ihren Füßen, und dann hatte sie sich auch schon zu mir heruntergebeugt und mich aufgehoben.
»Pantoufle, heilige Mutter Anne, Pantoufle, wie bist du nur hierhin geraten? Mein Kleiner, mein Süßer, mein liebster Kater, mein Pantöffelchen.«
Sie schnurrte und gurrte in meine Ohren und flüsterte alle netten Namen, die sie für mich kannte. Ich tat es ihr gleich.
»Ronronronron!«
Was war ich glücklich!
»Pantöffelchen, ich habe geglaubt, dass du tot bist. Ich kann es gar nicht glauben, dass du den Sturm überlebt hast. Die Wellen, sie waren so hoch«, sagte sie dann leise und setzte sich auf einen Stein. Ich blieb auf ihrem Schoß und sah sie groß an.
»Pantoufle, liebster kleiner Pantoufle, und ich muss jetzt fortgehen.«
Fortgehen?
»Ja, Pantoufle, ich verlasse Quiberon, unsere schöne Halbinsel. Ich kann nicht mehr bleiben, Töffelchen. Mein Haus ist fort, die Fabrik zerstört, viele Fischer haben ihre Boote und Netze verloren. Die Nachbarn haben ihre eigenen Sorgen, Pantoufle, ich kann ihnen nicht auch noch zur Last fallen. Sie haben mir Kleider, zu essen und ein Bett gegeben. Aber mehr können sie nicht tun, Arbeit findet sich hier nicht mehr für mich. Also werde ich jetzt nach Brest fahren. Dort gibt es große Fabriken. Ich werde bestimmt eine Stelle finden.«
Brest - das Wort hatte ich schon öfter gehört. Wenn Janed mit den Nachbarn sprach. Brest, das war etwas Großes, mit vielen Menschen und vielen Schiffen. Eine Stadt eben. Meistens hatten die Menschen einen sehnsuchtsvollen Klang in ihrer Stimme, wenn sie von diesem Ort sprachen. Dort trafen Schiffe aus einer anderen Welt ein und fuhren auch wieder dorthin zurück. Zu einer Welt voller Wunder und unendlichen Möglichkeiten.
Sagten sie.
Was immer das hieß.
Und dorthin wollte Janed nun? In den Hafen der Sehnsucht? Konnte sie nicht hierbleiben? Es gab doch Fische und Muscheln für alle. Ich musste ihr das doch einfach nur mal zeigen.
Vom Schoß runter und zum Wasser hin. Ja, da lag auch gleich wieder eine von den Austern. Ich schnappte sie mir und brachte sie zu ihr. Sie lachte leise.
»Danke, Pantoufle. Du weißt schon, was gut schmeckt.«
Das auch, aber sah sie denn nicht? Das Zeug konnte sie auch sammeln und essen. Sie bekam diese harten Dinger mit ihrer Hilfskralle, die sie Messer nannte, auf. Das hatte ich oft beobachtet. Und eine Höhle gab es hier am Strand ebenfalls. So groß, dass sie hineinpassen würde. Ich maunzte sie an und stakste in die entsprechende Richtung.
»Und das war dein Unterschlupf?«
Jetzt auch deiner.
Aber das verstand sie nicht.
»Ja, Pantoufle - es ist hübsch hier. Aber ich muss trotzdem fort. Kleiner, was mache ich nur? Ich kann dich doch nicht einfach hierlassen.«
Schwupps saß ich wieder in ihren Armen und wurde an ihre Schulter gedrückt.
Langsam ging sie mit mir den schmalen Strand auf und ab und murmelte vor sich hin, wie sehr sie um mich getrauert habe, weil sie dachte, ich sei in den Fluten umgekommen. Dann setzte sie sich wieder auf den Stein und legte mich in ihren Schoß.
»Pantoufle, es ist eine weite Reise. Ich muss bis nach Auray gehen. Dort kann ich mein Erspartes von der Bank abholen. Und dann mit der Eisenbahn fahren. Aber in Brest, du, da weiß ich nicht, wo ich wohnen werde. Ich war noch nie in der Stadt.«
Sie war noch immer wild entschlossen. Gut, wenn sie gehen musste, musste sie gehen. Aber ich wollte mit. Sie konnte mich doch nicht einfach hier an diesem einsamen Strand aussetzen. Wo die Möwen nur ständig darauf warteten, mir an den Pelz zu gehen.
Ich sprang in den Sand und umkreiste sie maunzend.
Sie sah mich an.
Ich sah sie an.
Sie hatte so hübsche grüne Augen.
Bitte, bitte, bitte nimm mich mit. Ich mache mich auch ganz klein!
Ich demonstrierte ihr, wie klein ich mich machen konnte, indem ich mich zusammenrollte.
»Ich müsste dich tragen«, sann sie leise vor sich hin.
Ich kann laufen, ganz weit und schnell, wenn du mich nur nicht zurücklässt, Janed.
Ich zeigte es ihr, indem ich den Strand auf und ab flitzte und dann zu ihr zurückkam.
»Viele Meilen, Pantoufle. So viele Meilen, das halten deine Pantöffelchen nicht aus.«
Sie streichelte mich, und ich merkte, wie ihr Sinn sich dem Problem zuwandte, wie ich mit ihr reisen konnte. Sie dachte nach - und wenn Menschen nachdenken, muss man sie in Ruhe lassen.
Ich vertrieb mir die Zeit damit, ein wenig in dem losen Sand zu scharren. Wer wusste schon, wann ich wieder dazu kam, meinen kätzischen Bedürfnissen nachzukommen.
Und weil das Graben in dem losen Boden recht vergnüglich war, kratzte ich auch über die sanitären Erfordernisse hinaus noch etwas weiter. Was dazu führte, dass meine Kralle sich in etwas verfing, was unter dem Sand verborgen war. Ich zerrte es hoch und blinzelte. Es schimmerte nämlich, und als ich weiter daran zog, wurde es lang und immer länger. Das war lustig! Eine Alge war es nicht, eher sah es ein bisschen so aus wie eine von Janeds Haarsträhnen. Die leuchteten in der Sonne ebenfalls golden. Aber das Ding war fester. Und nun blieb es auch noch an irgendetwas hängen. Ich bekam den Anfang aus der Kralle heraus und scharrte noch ein bisschen tiefer. Ein flacher, runder Gegenstand kam zutage. Hübsch, wie der so glitzerte. Bestimmt gefiel das Janed auch. Ich schnappte mir das ganze Gebamsel und trug es zu ihr hin. Sie schaute gedankenverloren über das Wasser und bemerkte mich nicht.
Vertrauensvoll schmiegte ich mich an ihr Bein und schnurrte leise.
»Ja, Pantoufle, so wird es gehen«, meinte sie plötzlich.
Ich sah hoch.
»Der Korbmacher - er wird uns helfen.« Und dann sagte sie ganz versonnen: »Damals war es auch der Korbmacher. Aber er konnte ihr nicht mehr helfen.«
Wem helfen? Und warum Korbmacher? Manchmal haben Menschen schon seltsame Gedankengänge. Aber das muss man ihnen nachsehen, wo sie doch so lange leben. Da bringt man bestimmt dann und wann etwas durcheinander.
Obwohl sie plötzlich ganz aufgemuntert wirkte.
»Diesmal kann er uns helfen, Pantoufle. Und dann reist du erster Klasse.«
Na also. Ich kam mit. Zufrieden drückte ich ihr meinen Kopf an das Knie.
»Ohne dich kann ich nicht sein, mein Kleiner. Ich könnte keine Nacht mehr schlafen, wenn ich dich hier zurücklassen müsste.«
Ich auch nicht, Janed. Ich auch nicht.
Dann bemerkte sie meine Beute, die ich ihr zu Füßen gelegt hatte.
»Was hast du denn da gefunden?«
Sie nahm den Gegenstand hoch und ließ ihn an einem Finger baumeln.
»Das ist wertvoll, Pantoufle. Das ist eine Goldkette mit einem Medaillon. Wie hübsch. Wer das verloren hat, wird sicher sehr traurig sein.«
Sie knispelte an dem Ding, das sie Medaillon nannte, herum und klappte es auf. Darin befand sich ein matschiges weißes Fetzchen Irgendwas, das sie mit dem Fingernagel herauskratzte.
»Das muss mal ein Bildchen gewesen sein, aber das hat das Salzwasser wohl aufgelöst«, murmelte sie. »Und hier steht ein Datum. Einundzwanzigster Juni 1877. Das ist dreizehn Jahre her. Aber so lange wird das hier nicht gelegen haben. Aber doch lange genug, dass der Sand es begraben hat.« Und dann strich sie mir noch mal über den Kopf. »Ich werde es behalten, denn diejenige, die es verloren hat, werden wir wohl nicht mehr finden. Danke, Pantoufle. Ich nehme das als gutes Omen für meinen Entschluss.« Sie betrachtete die Kette, die an einer Stelle zerrissen war, und meinte dann: »In Auray werde ich einen Goldschmied aufsuchen und fragen, ob man das wieder ganz machen kann.«
Dann wickelte sie Anhänger und Kettchen in ihr Taschentuch und steckte es ein. Anschließend beugte sie sich zu mir und nahm mich auf den Arm.
»Du wirst dich gut festhalten müssen, Pantoufle. Ich werde jetzt diesen steilen Pfad hochklettern.«
Aber liebend gerne, Janed.
Ich krallte mich in den dicken Stoff ihrer Jacke, und mit einigem Keuchen und gelegentlichem Schimpfen erklomm meine Menschenfreundin den Felsen. Zwei-, dreimal hatte ich fürchterliche Angst, dass sie abgleiten könnte und wir beide nach unten fallen würden, aber sie war eine Geschickte, und bald hatten wir es dann doch auf das Plateau geschafft. Hier stand auch ihre große Tasche, und aus der zog sie ein wollenes Umschlagtuch heraus. Mit ein paar schnellen Handgriffen hatte sie es zu einem Bündel verknotet und forderte mich auf, darin Platz zu nehmen. Das Spielchen hatten wir oft gemacht, als ich noch ganz klein gewesen war. Ein bisschen unwürdig kam es mir schon vor, aber dann überlegte ich, dass die Alternative wohl war, hinter ihr herzulaufen und sie womöglich aus den Augen zu verlieren. Also hüpfte ich hinein und wurde auch schon aufgehoben.
Sie schlang das Tuch mit dem Knoten nach vorne um ihre Schultern, und ich hing wie ein nasser Sack über ihren Rücken. Dann wuchtete sie die Tasche hoch und machte sich zielstrebig auf den Weg.
Beim Korbflechter
Die Sonne stieg höher und näherte sich dem Zenit. Der monotone Schritt meiner Menschenfreundin wiegte mich in einen Dämmerschlaf, und ich erwachte erst wieder, als sie innehielt und die Tasche auf dem Boden absetzte.
Neugierig streckte ich meinen Kopf aus dem Umhang und musterte die Umgebung. Wir waren an einer Landenge angekommen. Durch den Pinienwald konnte man rechts ein hohes Gebäude sehen, viel höher als die, die ich bisher kennengelernt hatte. Und auch ganz anders gebaut. Die Mauern schienen nicht aus Feldstein zu bestehen, sondern wirkten viel glatter und waren hellgelb, fast wie der Sand. Unten gab es ganz viele Fenster mit Schnörkeln drumherum, und auf dem Rasen davor standen weiße Tische und zierliche Stühle. Ein paar Leute saßen plaudernd unter gelbweißen Sonnenschirmen und plauderten, in den Gläsern auf den Tischen blitzte das Licht.
»Da haben wir früher auch manchmal eine Limonade getrunken, Pantoufle. Als Maman und Grandmère noch lebten und ich ein kleines Mädchen war. Das ist ein vornehmes Hotel«, erklärte mir Janed. »Aber heute bleibt uns dafür keine Zeit. Und Geld habe ich auch nicht für ein feines Mittagessen, wie es dort angeboten wird. Aber es ist schön hier zwischen den beiden Meeren.«
Das mochte schon sein, denn vor uns erstreckte sich der weiße, lange Strand rechts und links vom Fahrweg. Weiter vor uns türmte sich ein gewaltiges Bauwerk auf und machte einen martialischen Eindruck.
»Die Festung von Penthièvre«, erklärte mir Janed. »Puh, noch eine halbe Meile.« Pferdefuhrwerke, hochbeladen, rollten an uns vorbei, ein eiliger Reiter galoppierte den Strand entlang, in der geschützten Bucht links von uns schaukelten Segelboote auf dem glitzernden Wasser, und am Ufer flickten einige Männer Netze neben ihren roten, blauen und gelben Booten.
Janed ließ noch immer ihren Blick über das Land und das Meer streifen, als wollte sie sich alles für immer einprägen. Sie schnaufte dabei ein wenig und roch verschwitzt. Aber sicher nicht, weil sie mich tragen musste. So schwer bin ich nämlich nicht. Eigentlich bin ich sogar ziemlich klein und mager geblieben. Obwohl ich nie hungern musste. Aber Janeds Tasche war prall gefüllt, und an ihr hatte sie sicher ordentlich zu schleppen.
Sie knüpfte das Tuch über ihren Haaren auf und ließ den Wind ihre feuchte Stirn kühlen. Außerdem nagte sie an einem verschrumpelten Apfel. Ich ruckelte ein wenig in meinem Tuch, weil ich gerne etwas umhergelaufen wäre, aber sie kraulte mich nur ein bisschen unter dem Kinn und meinte, gleich gehe es weiter.
Und so war es auch. Doch der nächste Halt kam schnell.
»Jozeb, bist du zu Hause?«
Ich wieder mit der Nase raus aus dem Umhang und kritisch geäugt. Wir standen vor einer Hütte mit niedrigem Binsendach, an deren Wand sich Körbe und Kiepen stapelten. Es roch nach Holz und Leim, Tabak und getrockneten Algen. Jener Jozeb, den Janed gerufen hatte, schlurfte um die Hausecke und musterte uns.
»Schau an, die kleine Janed von St. Pierre!«, rief er dann erfreut aus.
»So klein nun auch nicht mehr, Jozeb. Schon vierundzwanzig Jahre habe ich auf dem Buckel!«
»Trotzdem nur ein Drittel von dem, was ich mit mir herumschleppe! Aber jedem seine Last, was, Mädchen? Was führt dich zu mir? Brauchst du ein hübsches Blumenkörbchen oder einen zierlichen Vogelkäfig oder doch eher eine Reuse?«
»Einen Korb für meinen Kater, Jozeb.«
Ich nahm diese Erwähnung zum Anlass, einen Begrü-ßungsmaunzer auszustoßen. Der alte Gnom bemerkte mich und grinste. Dabei breiteten sich alle seine Falten quer über sein braunes Gesicht aus.
»Der ist niedlich. Aber Katzen gehören ins Haus, nicht auf den Rücken.«
»Mein Haus ist fort.«
Die Falten im Gesicht des Alten zogen sich nach unten.
»Oh, wie schrecklich. Der Sturm, Janed?«
»Ja, der Sturm.«
»Komm rein und erzähle. Ich habe einen Kouin Amman, den ich mit dir teilen kann.«
Janed liebte diesen süßen Kuchen, das wusste ich wohl. Ich hingegen nicht. Aber der Alte war auch zu mir freundlich, und in seiner engen, vollgestellten Hütte durfte ich den Umhang verlassen und bekam ein Tellerchen mit dicker Sahne gereicht. Darüber geriet ich leider derart in Ekstase, dass ich dem Gespräch zwischen den beiden Menschen nicht besonders aufmerksam lauschen konnte.
Als ich den Sahnebart endlich von den Lippen geleckt hatte, sagte der Alte gerade: »… warst du noch ein Mädchen, Janed. Die arme Mademoiselle de Lanneville. Sie war so eine schöne junge Frau. Obwohl natürlich ein bisschen hochnäsig. Aber du hast damals sehr umsichtig gehandelt, kleine Janed. Ich seh dich noch völlig außer Atem hinter mir herlaufen.«
»Ich hatte solche Angst, Jozeb. Und ich konnte ihr doch nicht helfen.«
»Ich auch nicht, Gott sei’s geklagt. Es passiert immer wieder, dass jemand von den Klippen stürzt, und kaum einer hat es je überlebt.«
»Die Klippen haben auch meinem Vater und meinem Bruder den Tod gebracht.«
»Ich weiß, Mädchen, ich weiß.«
»Und fast auch Pantoufle. Jozeb, es ist wie ein Wunder, dass ich ihn dort, gerade dort, wiedergefunden habe.«
»Die Bonne Mère mag ihre Hand schützend über ihn gehalten haben. Und sie wird auch dich beschützen, Janed. Du bist ein mutiges Mädchen.«
»Ich tue nur, was ich muss, Jozeb. Und vielleicht hilft es mir zu vergessen, wenn ich an einen anderen Ort ziehe.«
»Vielleicht findest du ja auch einen netten Mann, mit dem du eine Familie gründen kannst.«
»Ja«, seufzte sie. »Einen, der nicht zur See fährt, einen, den sie sich nicht zum Opfer nimmt.«
»Ach, Mädchen, Männer suchen immer die Gefahr. Auch ich tat es einst. Erst als meine Knochen müde wurden, bin ich sesshaft geworden und flechte seither Körbe.« Und dann grinste er wieder, dass sein Gesicht sich in breite Falten legte. »Kannst mich ja heiraten, kleine Janed.«
Sie lachte ebenfalls leise auf.
»Und du behauptest, keine Dummheiten mehr zu machen, Jozeb?«
»Wär eine Dummheit, was? Ein so alter Kracher wie ich und so ein hübsches Mädchen wie du. Na, was soll’s. Ich hole dir einen Korb für den Kater und eine Kraxe für deine Tasche.«
Kurz darauf stand ein stabiler Korb zwischen den beiden, und Janed legte eine ausgefranste Decke hinein.
»Pantoufle, dein Reisekorb«, verkündete sie, hob mich hinein und klappte den Deckel zu.
Huch - gefangen!
Im ersten Augenblick wollte ich zu randalieren anfangen, aber da streckte sie auch schon einen Finger durch die Öffnungen, die die Weidenruten oben am Rand ließen, und stupste mich auf die Nase.
Ich sah davon ab, mit allen Krallen gleichzeitig das Geflecht zu bearbeiten, und begutachtete das Behältnis erst einmal. Die Decke roch nach Holzrauch und Mensch und Staub. Aber sie war weich. In dem Korb konnte ich mich bequem hinlegen und durch die offenen Stellen hinausschauen. Aufstehen konnte ich auch, auch wenn ich dann den Kopf einziehen musste.
Gut, besser als der Umhang war es allemal.
Der aber war inzwischen wieder in der Tasche verstaut, und die war an ein hölzernes Gestell geschnallt, das sich Janed nun auf den Rücken wuchtete. Das war erfreulich - lieber die Tasche als ich.
»Danke, Jozeb. Ich werde dann mal den Bauern Kerrot fragen, ob er mich mitnimmt.«
»Sag ihm, er soll nicht vergessen, dass er mir zwei Hühnerkörbe schuldet.«
»Mach ich.«
»Gute Reise, Janed. Und viel Glück.«
»Kann ich brauchen, Jozeb.«
Wir machten uns wieder auf den Weg, und ein bisschen schwummerig wurde mir doch, weil Janed beim Gehen den Korb schwenkte.
Aber auch das fand bald ein Ende. Wir wurden auf einen Karren mit aufgeregt flatterndem Hühnervolk in Weidenkäfigen verladen. Hühner sind auch fies zu Katzen, aber diese waren gefangen und konnten mir nichts tun. Hoffte ich zumindest. Aber ein Ohr blieb wachsam, während ich das Geholpere des Wagens im Halbschlummer über mich ergehen ließ.
Alte Freunde
So begann unsere große Reise, Janeds und meine, die uns sehr viel weiter führen sollte, als wir je geahnt hätten. Ich gewöhnte mich an meinen Korb und das Geschaukel, durfte mir dann und wann die Pfoten vertreten, wobei ich mich eng an Janeds schwingende Röcke hielt. Die Welt war ja so groß und voller Gefahren. Wir blieben über Nacht bei Leuten, die Janed kannten, und sie ließ mich eine ganze Weile dort alleine, weil sie sagte, sie müsse in der Stadt einiges erledigen. Ich verkroch mich unter dem Bett, in dem sie geschlafen hatte, und machte mich ganz klein. Die Menschen hatten nämlich drei Kinder, die ständig an mir herumzerren wollten. Ich mag das nicht. Mein Pelz gehört mir. Und
Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100Das für dieses Buch verwendete FSC-zertifizierte PapierHolmen Book Cream liefert Holmen Paper, Hallstavik, Schweden.
1. AuflageOriginalausgabe September 2009 bei Blanvalet,einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random HouseGmbH, München.
© 2009 by Blanvalet Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Redaktion: Dr. Rainer SchöttleUmschlaggestaltung: Hilden Design, München, unterVerwendung von Motiven von © The Bridgeman ArtLibrary, © akg images und © shutterstocklf · Herstellung: rfSatz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad AiblingDruck und Einband: GGP Media GmbH, PößneckPrinted in Germany
ISBN: 978-3-442-37054-2
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