Pathologie der Prioritäten - Bert Becker - E-Book

Pathologie der Prioritäten E-Book

Bert Becker

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Beschreibung

Menschliche Individuen reagieren viel häufiger krankhaft, als man glaubt! Sie haben auch allen Grund dazu, denn die existentielle Erkenntnis ihrer eigenen Angst vor der Sterblichkeit ist auch das Maß ihrer Dinge. Trotzdem fühlen sie sich gerne als (kleine) unsterbliche Götter, 'Göttchen' - sind aber in Wahrheit 'a god who shits' (Ernest Becker). Das ist dann der Grund, warum sich die (westlichen) Gesellschaften und Wirtschaftssysteme psychisch so auffällig verhalten! Deren Protagonisten sind häufig Symptomträger, weil sie selber, sowohl durch den Verlust von Orientierung und Transzendenzgewissheit, als auch durch die Geiselnahme durch ein einseitiges, kapitalistisches Wirtschaftsmodell, psychopathologische Störungen entwickeln oder an fremdinduzierten Auffälligkeiten leiden. Es erscheint ein tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel westlicher Industriegesellschaften notwendig, um einen umfassenden Heilungsprozess einleiten und auch den Klimawandel bewältigen zu können! In diesem Zusammenhang ist natürlich der Krankheitsbegriff nur die Matrix, auf der sich die umfassenden Problematiken unserer Gesellschaften eindrücklich abbilden lassen. Ich wollte daher eine fiktive psychiatrische Analyse, vielleicht sogar eine Diagnose, unserer wachsenden postindustriellen Gesellschaften des Westens erstellen und hoffentlich die Notwendigkeit einer sozialen postkapitalistischen Wende eindringlich verdeutlichen. Bei diesem Versuch werden wir zudem bedauerlicher Weise feststellen müssen, dass die wenigsten Beweggründe menschlicher Entscheidungen und Prioritäten rational erklärbar sind. In der Regel liegen ihnen die hier beschriebenen psychologischen Ursachen zu Grunde, die nur schwer steuerbar und in der Regel sogar tief verdrängt unter der Oberfläche des Bewusstseins liegen. Eins erscheint sicher: Die Rettung unseres Planeten wird nur gelingen, wenn wir das krankhafte Handeln der Individuen (also auch unseres), der Staaten und unserer Wirtschaftssysteme erkennen und heilen.

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Bert Becker, geboren 1961, Dipl.-Pädagoge, Dipl.-Sozialarbeiter und Heilpraktiker (Psychotherapie), lebt mit seiner Familie in Köln. Er ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

Er studierte Katholische Theologie und Erziehungswissenschaften in Bonn sowie Sozialarbeit in Köln. Seit 1989 arbeitet er als Sozialarbeiter in Hilfeeinrichtungen für wohnungslose Menschen bei verschiedenen Trägern und Kommunen. 1999 übernahm er die Leitung der Wohnungslosenhilfe im Rhein-Sieg-Kreis beim katholischen Träger SKM.

Er ist seit 1980 engagiert in den Leitungsgremien seiner Kirchengemeinde im Seelsorgebereich MauNieWei des Erzbistums Köln. Seine besondere Aufmerksamkeit widmete er in diesen Jahren immer den dort betriebenen Kindertagesstätten. In diesen Gemeinden ist er auch seit 1980 als Katechet für jugendliche FirmkandidatInnen tätig.

Der Erhalt der Welt für die nachfolgenden Generationen und die Sorge um die Schöpfung sind für ihn besondere Anliegen.

Den Kids von „Fridays for future“,

denen ich eine psychopathologische Einsicht in das Seelenleben der Generationen geben möchte, die so vieles

Verursacht haben…

…daraus sollten auch sie lernen.

»3Zum Staub zurückkehren lässt du den Menschen, du sprichst: Ihr Menschenkinder, kehrt zurück! 4Denn tausend Jahre sind in deinen Augen wie der Tag, der gestern vergangen ist, wie eine Wache in der Nacht.«

Psalm 90, 3-4

Inhalt

Sind wir noch »zu retten«?

Von Interessen und PRIORITÄTEN

2.1 Individuelle psycho-pathologische Interessensphären

2.1.1 Urängste des Individuums

2.1.1.1 Die Angst vor dem Tod

2.1.1.2 Die Angst vor dem Fremdartigen

2.1.2 Der induzierte Gruppenwahn und -zwang der modernen Gesellschaft

2.1.2.1 Jugendwahn

2.1.2.2 Gesundheitswahn

2.1.2.3 Fitnesswahn und Sportzwang

2.1.2.4 Optimierungswahn

2.1.2.5 Die zwanghafte Suche nach dem Schuldigen

2.1.2.6 Der Gendermanie

2.1.2.7 Die Spielmanie oder die Flucht vor der Realität

2.1.2.8 Säkularisierungswahn und Gottesphobie

2.1.3 Die Todesangst gebiert das Dogma der Individualrechte

2.2. Interessensphären menschlicher Kollektive

2.2.1 Die Interessen der Staats- und Gemeinwesen

2.2.1.1 (Vor)Macht

2.2.1.2 Kapitalismus

2.2.1.3 Imperialismus

2.2.1.4 Globalisierung

2.2.2 Sozialpsychologische Auffälligkeiten menschlicher Kollektive (Staaten)

2.2.2.1 Dissoziale Störungen der kollektiven Persönlichkeit

2.2.2.2 Die Wahn- , Zwangs- und Affektstörungen kapitalistischer Marktwirtschaften

2.2.2.2.1 Der Ambivalenzzwang einer „sozialen“ Marktwirt schaft

2.2.2.2.2 Der Wachstums- und Profitzwang der freien Marktwirtschaften

2.2.2.2.3 Die manische digitale Disruption nährt kapitalistischen Größenwahn

2.2.2.2.4 Die Familienphobie kapitalistischer Systeme

2.2.2.2.5 Die Multikulti- und Diversitätsmanie

2.2.2.2.6 Die Bürokratiemanie kapitalistischer Staaten

2.3 Globale Interessensphären

2.3.1. Objektive globale PRIORITÄTEN

2.3.2. Woran krankt die Subjektive globale PRIORITÄTEN-setzung?

2.3.2.1 Der Wahn vom »kleinsten gemeinsamen Nenner«

2.3.2.2 Der Wahn vom »Alles oder Nichts« - Ökowahn

2.3.2.3 Die manische Gier nach (tödlichen) Katastrophen

2.3.2.4 Die egomanische Suizidalität der Weltgemeinschaft

2.4. Fazit

Der Heil- und Kostenplan

3.1 Sollbruchstelle Mensch

3.1.1 Spiritualität des Todes

3.1.2 Altruismus vs. Individualismus

3.1.3 Aussöhnung mit Gott

3.1.4 Aussöhnung mit der Umwelt

3.2 Kultur einer nachhaltigen Wirtschaft

3.3 Egalitäre, nachhaltige Gesellschaften der Weltgemeinschaft

Die Therapie

4.1 Die nachhaltige globale Wirtschaft

4.2 Die solidarische und altruistische Gesellschaft

4.3 Die nachrangigen ökologischen PRIORITÄTEN

4.3.1 Von Stickoxiden, Feinstaub und dem Diesel

4.3.2 Von Wölfen, Bären und Luchsen

4.3.3 Von Fledermäusen und Windrädern

4.3.4 Von sonstigen ScheinPRIORITÄTEN

4.3.5 Fazit aus Nebenkriegsschauplätzen

4.4 Die vorrangigen ökologischen PRIORITÄTEN

4.4.1 CO2-Ausstoß und Klimaerwärmung

4.4.2 Plastikverseuchung

4.4.3 Insektensterben

4.4.4 Biodiversität erhalten – nicht regional einzelne Arten

Schlusswort

Literatur

1. Einführung - Sind wir noch »zu retten«?

Zu Beginn möchte ich Dir erklären, wie ich zum Thema meines Buches und zu seinem Titel gelangte.

Bei den ersten Entwürfen ging ich noch von dem Titel »Psychologie der PRIORITÄTEN« aus.

Aber zunehmend dachte ich darüber nach, was denn »Psychologie«, als »Lehre von der Seele des Menschen« inhaltlich beschreibt:

Sie hat das Ziel subjektives Erleben und objektives Verhalten von Menschen in seinen inneren und äußeren Ursachen zu beschreiben und zu erklären.

Dies wäre für einen unkritischen, lediglich beschreibenden Diskurs vielleicht ausreichend gewesen. Besonders wenn das, was ich in diesem Buch beschreiben möchte, im Bereich unseres sogenannten »normalen Verhaltens« anzusiedeln gewesen wäre.

Aber schließlich passte dieser Titel nicht zu dem, was ich wirklich als Phänomen beschreiben muss, weil es sich zunehmend aufdrängte:

Dass wir Menschen und unsere menschlichen Kollektive in vielen Fällen fragwürdige und falsche Entscheidungen treffen, weil wir aus psychologischen Gründen nicht in der Lage sind, klare und zielführende PRIORITÄTEN als Grundlage für unser Handeln zu entwickeln.

Das aber überschreitet die Grenze zur psychischen Störung.

Denn das Ausmaß, in dem unsere modernen Gesellschaften und deren Individuen unfähig zu einer vernünftigen PRIORITÄTENsetzung sind – bis zur massiven Verdrängung von offensichtlichsten Tatsachen und Notwendigkeiten –, ist mittlerweile derart abweichend von einer wirklich gesunden Entscheidungsfindung, dass es weder alleine um eine Beschreibung, noch um eine Erklärung von psychologischen Prozessen im wissenschaftlichen Sinne geht. Das wäre dem Problem nicht gerecht geworden!

So hört es sich für Dich vielleicht hart an, aber ich gelangte zunehmend zum unabweisbaren Eindruck, dass es sich um Phänomene handelt, die sich in nahezu krankhaften Zuständen und Vorgängen unserer menschlichen Psyche widerspiegeln. Dabei sollten wir davon ausgehen, dass jede unserer Lebensweisen als psychisch gestört oder neurotisch bezeichnet werden könnte, was uns so weit blockiert, einengt und –igelt, dass unser freier Vorwärtsdrang zu neuen Entscheidungen und unser persönliches Wachstum behindert wird.

Von diesem Ansatz können wir dann zahlreiche Einzelphänomene (Symptome), als auch »Syndrome« aufdecken und versuchen deren Herkunft, Entstehung, Mechanismen und Verlauf genauer zu erkunden.

Wenn wir nun schon mal soweit sind und verantwortungsvoll arbeiten, dann können wir schließlich auch noch eine Diagnose und im Anschluss eines Heil- und Kostenplans eine Therapie empfehlen!

Das ist aber dann genau das, was die »Pathologie« (»Lehre von der Krankheiten«) als Krankheitslehre und -forschung leistet!

Aber nicht, dass Du nun meinst, dass die ganze Sache schon ‚gelaufen‘ sei, weil der ‚Patient‘ eh schon tot darnieder liege. So wie Du dies oft in Kriminalfilmen siehst, wenn die Leiche beim ‚Pathologen‘ auf dem Seziertisch landet. Eigentlich handelt es sich in einem solchen Fall dann um Rechtsmediziner bzw. Gerichtsmediziner, nicht etwa um den Pathologen!

Meine grundlegende Vorgehensweise kommt da eher der des TV-Diagnosespezialisten Dr. Gregory House (Hugh Laurie) näher – nur auf psychologischem Gebiet natürlich. Und wahrscheinlich argumentiere ich ebenso unorthodox und gewöhnungsbedürftig wie dieser.

Tatsächlich habe ich bei der Analyse der Situation, also meiner Diagnose, keine Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Menschen in meinem Umfeld, meiner Gesellschaft, dem Staate oder Deine nehmen können. Im Gegenteil: Es wäre wichtig, wenn Du dich angesprochen fühlst und glaubst den Spiegel vorgehalten zu bekommen! Dann wäre zumindest Dein erster Schritt geschafft, denn Selbsterkenntnis ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung – in diesem Falle:

Zur Heilung! Oder? Und Heilung benötigst Du natürlich nur, wenn Du krank bist, was – so glaube ich – jeder bei sich selbstkritisch prüfen sollte.

Nicht umsonst stelle ich uns natürlich hier ebenso die etwas zweideutige Frage: „Sind wir noch »zu retten«?

Zuerst bezieht sich die Frage natürlich auf uns als Teil der Natur und unseres Planeten. Hier soll ausgedrückt werden, dass wir natürlich ein gemeinsames Interesse haben. Und als Auslöser der größten Zerstörung der Weltgeschichte sind wir gleichzeitig natürlich auch angesprochen als die wichtigsten Problemlöser.

Zweitens – und das sollte uns noch wichtiger sein – impliziere ich natürlich den Bezug zu dem Ausruf des Volksmundes: ‚Bist du noch zu retten!‘ der ja übersetzt meint: ‚Du spinnst wohl!‘

‚Spinnen‘ wiederrum drückt den Zweifel aus, den wir am ‚geistigen Befinden‘ eines Zeitgenossen haben. Und so, wie wir mit uns selber, unserer Gesellschaft und unserem Globus umgehen, müssen wir uns die Frage gefallen lassen: ‚Bist Du noch zu retten?‘

Dies ist eine berechtigte Frage an ein Wesen in unseren aufgeklärten westlichen Gesellschaften, das wohlwissend um seine eigene Sterblichkeit alle transzendenten Instanzen um sich herum abgebaut und desavouiert hat und nun glaubt sein eigener Selbstzweck, sein »causa sui« - Ursache für sein eigenes Sein – zu sein!

‚Bist Du noch zu retten?‘ impliziert aber auch die Frage im Klarsinn: ‚Kannst Du dich denn selber retten?‘

Denn wir sind ein Wesen, dass Gott abgeschafft hat, selber Gott sein möchte und als »Göttchen« aber schon lange versagt hat. Wir können uns nicht an den eigenen Haaren aus dem Schlamassel herausziehen. Denn am Horizont von »Göttchens« Himmel stehen die schwarzen Wolken eines Unwetters, gegen das »Göttchen« nichts bewirken kann.

Dieses Unwetter schlägt sich nieder in den Gewitter-Fragen, die wir uns alle selber stellen: ‚Wo und warum bist du hier gelandet? Wer bist du überhaupt und was ist dein Ziel, deine Erfüllung?‘

Und wir als kleines »Göttchen« haben, außer unserem selbstüberheblichen, narzisstischen Individualismus, weil »Göttchen« sich ja für einen Gott hält, nichts Besseres anzubieten.

Du ahnst es schon, dass das nicht gut gehen kann und dass das nicht ausreicht, um die dringendsten neuzeitlichen Probleme der Welt lösen zu können!

Ein Gott, dem schwant, dass er nur »Göttchen« ist, wird wiederum zum »Menschlein« und wird gegenüber der Erkenntnis, dass er angesichts der Natur und des Kosmos nur ein flüchtiger Wimpernschlag ist, psychischen Schaden nehmen. Er wird paranoide, phobische und andere pathologische Auswege aus einer letztendlich doch ausweglosen Situation suchen.

Also schauen wir nun, wie schwer »Göttchens« psychiatrische Erkrankung ist und wie sich das auch auf seine kollektiven Zusammenschlüsse im »Göttchen-Himmel« auswirken.

Sich für einen Gott zu halten, das Maß aller Dinge zu sein und zu glauben mit allen Eigeninteressen blind durch zu kommen, wirkt nicht nur überheblich, sondern ziemlich manisch und wahnhaft.

So liege ich mit dem aktuellen Titel des Buches »Pathologie der PRIORITÄTEN«

eigentlich vollkommen richtig.

Zu meiner Analyse wird auch gehören, zu fragen, ob »Göttchen« wieder einen anderen Gott neben sich akzeptieren könnte. Klar: Du wirst einige Auseinandersetzungen gerade mit dem Christlichen Glauben finden, denn ich bin ja Christ. Du kannst hier natürlich das Buch auch schon weglegen, nur weil hier drin ‚Religionsmumpitz‘ vorkommt. Das kannst Du auch machen, wenn du meinst, dass unser individuelles Hier- und Sosein nicht mehr ist als ein kurzer, zufälliger Hauch der Beseelung von Materie. Wir sollten uns aber gemeinsam die Frage stellen, wie wir mit diesem Hauch umgehen und ob wir in Hoffnung leben können und wie wir mit der uns augenscheinlich innewohnenden magischen Transzendenz und Metaphysik umgehen können!?

Ich selber erkenne an, dass der Glaube an einen Gott, an eine höhere Ordnung, schon eine Art Therapie war, als es noch gar keine Psychiatrie oder Psychotherapie gab.

Ob wir aber dann »zu retten« sein werden, hängt davon ab, ob wir am Ende krankheitseinsichtig sind und bereit sind, eine Therapie durchzuhalten.

Du liest immer noch weiter? Das ist gut. Also lass uns fortfahren…

2. Von Interessen und PRIORITÄTEN

Zum weiteren Vorgehen müssen wir noch eine Begriffsbestimmung vornehmen, damit wir die Dimensionen beider Begriffe – Interessen und PRIORITÄTEN – und deren Zusammenhänge erkennen können.

Das lateinische »inter-esse« bedeutet letztendlich »Dabeisein« oder »Mittendrin-sein«, wobei ich hier nicht das Interesse im psychologischen Sinn meine, welches eher eine kognitive Erregung, also eine Art Aufmerksamkeit, bezeichnen könnte. Alle Dinge, die einen Menschen kognitiv erregen, interessieren ihn – vom Hobby bis zu Pflichten.

Wir werden noch sehen, dass diese Form von Interesse in unsere Problematik hineinspielen wird.

Was ich jedoch hier in erster Linie mit Interesse meine, ist unser Begehren in Hinblick auf die Ressourcen zur persönlichen oder kollektiven Bedürfnisbefriedigung, das das Überleben von Individuen oder Gruppen sichern kann. Hierzu gehören ebenso politische wie wirtschaftliche Vorteilsnahme. Eine Vorteilsnahme, die in der evolutiven Vergangenheit der Spezies wie auch des Homo Sapiens immer wieder die Überlebensvorteile sicherte.

Diese Interessen und Bedürfnisse haben gewisse Vorränge, in deren Reihenfolge sie verwirklicht und umgesetzt werden sollen oder gar müssen. Die Rangreihenfolge der Verwirklichung kann festgelegt werden durch eine zeitliche Reihenfolge von Ereignissen, d.h. einer Dringlichkeit, oder aufgrund einer Bewertung, d.h. eine Priorisierung. Du hast es dann mit Interessensphären, PRIORITÄTEN zu tun…

2.1 Individuelle psycho-pathologische Interessensphären

Um in diesem Zusammenhang Verwechslungen mit der Individualpsychologie Alfred Adlers zu vermeiden, sollten wir hier absichtlich nicht den Begriff »Individualpsychologisch« verwenden. Trotzdem kannst Du hier von Adler lernen und voraussetzen, dass der Mensch ein unteilbares Individuum ist, welches ebenso Teil von sozialen Prozessen ist. Der Mensch ist also auch immer ein soziales Lebewesen. Du kannst nichts alleine…

Zudem sieht Adler als Triebkraft des Individuums ein positives Minderwertigkeitsgefühl, welches entsteht, um organische Minderwertigkeit und Lebensschicksale auszugleichen – zu kompensieren. So entstehe ein Antrieb zu Wachstum und Entwicklung beim Individuum, die auch eine Erziehbarkeit bewirkt. »Pathologisch« wäre nach diesem Verständnis jedoch erst der hemmende Minderwertigkeitskomplex, der eine psychische Überkompensation eines verstärkt erlebten Minderwertigkeitsgefühls darstellt.

Wir, die Menschen, bewegen uns jedoch auch in bergenden sozialen Beziehungen in denen wir Lebensangst und Minderwertigkeitsgefühl durch eine tragfähige zwischenmenschliche Beziehung überwinden können. Unsere psychische Gesundheit ist dabei daran messbar, inwieweit wir eine positive Beitragsleistung zur sozialen Lösung der Lebensfragen erbringen.

Kultur und Zivilisation erscheinen so wie „produktive Antworten auf den allmenschlichen Minderwertigkeitskomplex“.1 Wegen seiner Minderwertigkeit strebt der Mensch hierdurch evolutionär nach Vollkommenheit.

Soweit Adler.

Seine Grundlagen weisen jedoch auf einen wichtigen Antrieb menschlichen Lebens hin: Organische Unzulänglichkeiten bis hin zur Sterblichkeit. Du wirst auch noch sehen, dass z.B. Ernest Becker (1924 -1974), Sozialanthropologe und Schriftsteller, solchen Lebensfragen einen anders nuancierten Stellenwert gibt.2

So werden wir feststellen müssen, dass die wenigsten Beweggründe menschlicher Entscheidungen und PRIORITÄTEN rational erklärbar sind. In der Regel liegen ihnen offenbar psychopathologische Ursachen zu Grunde, die nur schwer steuerbar sind und in der Regel sogar der Verdrängung unserer grundlegenden Ängste dienen. Und nicht alles, was logischem und rationalem Denken zu entspringen scheint, ist auch logisch. „Paranoides Denken etwa ist dadurch gekennzeichnet, dass es zwar völlig logisch sein kann, sich aber in keiner Weise für die Realität interessiert oder konkret danach fragt. Logik schließt also Wahnsinn nicht aus, logisches Denken ist nicht vernünftig, wenn es nicht von der Sorge um das Leben geleitet wird und wenn es den Vollzug des Lebens in seiner ganzen Konkretheit und mit all seinen Widersprüchen außer Acht lässt. Andererseits kann nicht nur das Denken, sondern können auch Emotionen vernünftig sein.“3

Wenn Du willst, schauen wir uns einmal die irrationalen, aber logisch erscheinenden Beweggründe in unserem Handeln an…

2.1.1 Urängste des Individuums

Der Mensch – auch Du – ist endlos beladen mit Ängsten. Und Du schleppst eine Menge Ängste mit Dir herum, die sich in unserer hominiden Evolution gebildet haben. Einige davon kannst Du durchaus als »Urängste« bezeichnen, die leider kaum zu beherrschen sind. Unter anderem wird deine Amygdala, der Mandelkern, als dein wichtigstes Angstzentrum in Deinem Gehirn vermutet. Sie liegt im limbischen System deines Gehirns zwischen dem Neocortex und dem Hirnstamm. Es ist entwicklungsgeschichtlich ein sehr alter, man könnte auch sagen ‚primitiver‘, Bereich deines Gehirns, der unter anderem auch Deine evolutiv geerbten Urängste steuert. Das geschieht leider jenseits von Deinen vernunftgemäßen oder intellektuellen Beeinflussungsversuchen. Das macht Deine Urängste so schwierig beherrschbar, weil sie zudem auch von zentraler Bedeutung für Dein Überleben als Individuum und der ganzen Spezies sind. Angste haben also immer einen wichtigen Zweck erfüllt: Die Steuerung von Vorsicht, Verteidigungshaltung und Fluchtreaktionen. Diese überlebenswichtigen Ängste sind daher so tief in Dein Gehirn eingebrannt, dass sie sich teilweise – auch wenn sie heute weniger nützlich sind – eine Art Eigenleben entwickelt haben. Dabei locken sie Dich dann auch manches Mal auf die »falsche Fährte«, ohne dass Du bemerkst, worum es überhaupt geht.

So kannst Du auch Phobien, spontan und frei flottierende Angstzustände gegenüber Situationen oder Objekten entwickeln (z.B. Spinnenphobie, Sozialphobie, Klaustrophobie etc.). Wenn dies nicht bei Dir selber der Fall ist, so kannst Du dies ja bei vielen Freunden vielleicht beobachten.

Ich möchte Dir hier jedoch die zwei entscheidendsten, das gesamte Leben unserer Gesellschaft unterschwellig beeinflussenden, Angstphänomene beschreiben:

Unsere Angst vor dem Tode – eine zum Teil chronifizierte »Thanatophobie« – und unsere Angst vor dem Fremden, welche meines Erachtens nur eine Modifikation der Angst vor dem Tode ist…

…denn von allen Tatsachen, die den Menschen bewegen, ist eine der wichtigsten unsere Sterblichkeit. Jede Spezies hat den Instinkt, ihr Leben so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, um vor dem eigenen Tod möglichst viele Nachkommen zeugen und möglichst viel Erbgut verbreiten zu können. Jedoch für das menschliche Individuum ist die Frage des Todes viel existentieller, denn es ist sich seiner Endlichkeit bewusst! Du kennst deine Angst vor dem individuellen Nichtsein – Deinem Tod!

Ernest Becker betrachtet diese Tatsache als derart entscheidend, dass er sie in seinem Buch »The Denial of Death« sogar „The Terror of Death“ nennt!4

.

2.1.1.1 Die Angst vor dem Tod

Der Tod ist doof(Bert Becker)

Der Tod ist doof!

Ihm ist egal, was mir ist wichtig!

Er kommt gern plötzlich...

... klopft höchstens an!

So denk ich oft:

Ach, wär's nicht besser,

dahinzugleiten in Demenz...

…wenn er klopft an

und käme plötzlich:

Mir wär's egal!

Der Tod ist doof!

Wie ist es wohl, wenn Du eines Tages so ganz verschwunden bist? Ist dann alles aus?

Die Angst vor der Endlichkeit spielt in unserem Leben eine größere Rolle als wir zugeben wollen. Es überkommt Dich plötzlich. Wenn es ganz ruhig ist, Du vielleicht noch im Bett liegst. Was ist wenn Du nicht mehr bist? Unruhe durchzuckt deinen Körper, Du springst aus dem Bett und willst spüren, dass Du noch lebst. Der Tod ist für uns nicht begreifbar. Das »Nicht-mehr-Sein« macht uns Angst! Er ist unvorstellbar…

„Tod kommt aus natürlichen Ursachen, bedeutet Aufhören der biologischen Lebensprozesse, mit denen als ihrer Voraussetzung alle anderen Lebensprozesse gleichfalls enden. Was bleibt, ist ein Ding, die Leiche.“5

Und da Du auch ein soziales Wesen bist, beendet der Tod auch alle deine Persönlichkeit und deine sozialen Beziehungen zu all deinen Mitmenschen. Er ist für uns so bedrängend, weil im Gegensatz zu unserer Existenz eine Nicht-Existenz geistig nicht erfassbar ist. »Nichts« ist für uns »nicht« erfahrbar und ebenso wenig erstrebenswert, weil nur die Existenz uns Möglichkeit zum Personsein und Sosein gibt. Tod ist Irreversibel, universal und führt zum absoluten Funktions- und Kontrollverlust! Und wir erkennen, dass wir ihm nicht entrinnen können: dem wahren Dilemma von Existenz, dem des sterblichen Tieres, welches sich gleichzeitig seiner Sterblichkeit bewusst wird.6 Das flößt uns Angst ein oder wie Becker sagen würde: Es terrorisiert uns...

Tatsache ist, dass unsere Todesangst – die »Thanatophobie« – eigentlich keine Angststörung ist, die einfach nicht sein müsste, aber den Menschen unnötiger Weise heimsucht. Todesangst ist real und sie ist berechtigter Weise zugegen: Bei jedem Menschen! Da der Mensch das Leben hat, hat er auch sicher den Tod zu erwarten. Dein Bekümmertsein, deine Angst vor der Sinnlosigkeit des Daseins im Angesicht des Todes „ist nun keinesfalls ein krankhafter Tatbestand, ein pathologisches Phänomen, und wir haben uns vor einer derartigen Auffassung – man könnte auch sagen Pathologismus – gerade im klinischen Bereich zu hüten.“7

Ernest Becker sagt aus psychotherapeutischer Sicht: „I don't believe that the complex symbol of death is ever absent, no matter how much vitality and inner sustainment a person has. Even more if we say that these powers make repression easy and natural, we are only saying the half of it. Actually, they get their very power from repression.“ (Ich glaube nicht, dass die komplexe Bedeutung des Todes jemals abwesend ist, egal wie viel Lebendigkeit und innere Stärke ein Mensch hat. Noch mehr: Wenn wir sagen, dass diese Kräfte die Verdrängung einfach und natürlich machen, sagen wir nur die Hälfte. Tatsächlich beziehen diese Menschen ihre eigentliche Macht aus der Verdrängung [der Todesangst].8) Becker deutet hier an, wie wichtig und selbstverständlich Verdrängung der Todesangst für unser Leben zu sein scheint.

So ist die im Tod inkriminierte vermeintliche Sinnlosigkeit unseres Lebens ein Tabu, etwas was wir – die Menschen – natürlich zwingend ignorieren und verschweigen. Wir tun so, als seien wir unsterblich und verdrängen die Gewissheit unseres persönlichen Nichtseins! „… meditatio mortis ist gerade in der modernen, säkularen Gesellschaft verpönt. Die Fixierung auf Attraktivität und Vitalität lassen weder Zeit noch Raum für Gedanken über die Vergänglichkeit.“9

Exkurs:So befasst sich zum Beispiel die Thanatopsychologie speziell mit Erleben und Verhalten gegenüber Sterben und Tod und geht von einer „mehrdimensionalen Struktur des Todeskonzeptes“ aus.10 Auffällig ist jedoch, dass selbst Protagonisten der Thanatopsychologie Sterben und Tod als allgegenwärtiges Thema verschieben und vorwiegend den Mensch im Sterbeprozess oder das Todesverständnis von Kindern beobachten und erforschen. Wenn diese Thematik im Leben »gesunder« Menschen erforscht wird, dann nur in deren direkt betroffenen Funktion als Anverwandte, Sterbebegleiter, Mediziner, Forscher etc.11

Das Akzeptieren unseres eigenen Todes ist jedoch ein lebenslanger Prozess, weil Sterben, Tod und die Angst davor lebensimmanente Tatsachen sind, die uns alle betreffen, vom Kind bis zum Greis. So wird im Alter zwischen 6 und 8 Jahren mindestens „ein partielles Verständnis der konstituierenden Komponenten des reifen Todeskonzeptes erworben.“12

Und nur Menschen mit einem reifen Todeskonzept werden ihr Leben bis zum Tode authentisch durchschreiten. Um dies zu beschreiben bedient sich Ernest Becker in seinem Buch des Begriffes des „Heroism“ – Heldentums.

Unser Verdrängen und Tabuisieren ist kein Konzept. Kein Individuum wird der letzten Konsequenz entgehen können, denn die grundsätzliche Sterblichkeit unserer eigenen Person ist unausweichlich. Wir müssen es heldenhaft durchstehen, denn „ein ganzes Leben mit dem Schicksal des Todes zu leben, der unsere Träume und sogar die sonnenreichsten Tage verfolgt - das ist etwas anderes!“13

Auch wenn religiöse Menschen den eigenen Tod in Gottes Hand legen und glauben zu akzeptieren, dass sie ihren Tod nicht beeinflussen können, so bleiben bei allem Glauben Zweifel. Und kein Glaube schafft unsere stillen Momente der Angst aus dem Sinn und aus der Welt. Und sicher: Ein kluger Gott würde auch nicht das große Geheimnis um unseren Tod lüften! Er würde uns nicht den Beweis eines »Danach« liefern wollen! Denn gerade dieses Unwissen, die Verwundbarkeit und Endlichkeit spornt uns – die Menschheit – zu den großartigsten philosophischen, technischen und wissenschaftlichen Leistungen an. Die Todesangst treibt den Menschen um und an! „Der Tod als Mitspieler und Gegenspieler des Lebens gibt diesem seine Gestalt. Er befruchtet das Leben, er vernichtet und wirkt gleichzeitig schöpferisch“.14 Daher würde ein Gott ein vernunftbegabtes Wesen wohl nie ohne Tod erschaffen…

Der Glaube hilft also dabei, aber Religiosität ist keine Garantie dafür, leichter aus dem Leben zu scheiden. Der Mensch kommt ohne religiöse, magische und heilige Elemente nicht gegen diese Unsicherheit an, wenn er »heldenhaft« dem Tod und dem Leben die Stirn bieten will.

„Der Drang zu einem kosmischen Heldentum ist sodann heilig und mysteriös und durch Wissenschaft und Säkularismus nicht einfach zu ordnen und vernünftig zu betrachten. Die Wissenschaft ist immerhin ein Glaubensbekenntnis, das versucht hat, die Angst vor Leben und Tod in sich aufzunehmen und zu verneinen; und sie ist nur ein weiterer Wettbewerber im Rollenspektrum des kosmischen Heldentums.“15

Unsere Angst vor dem Tod löst somit Flucht- und Verdrängungsreaktionen aus, die unsere modernen Gesellschaften kollektiv befallen haben. Im Buch eMANNzipation hatte ich folgende Theorie aufgestellt: „In unseren (post)modernen, westlich geprägten Gesellschaften mit ihren gleichgestellten, gleichberechtigten Wertewelten wurden die Lebensstrategien aus dem Inneren der mütterlichen Bruthöhlen nach außen gestülpt. Im Mittelpunkt steht das Bewahren und Bemuttern und es ist von hieraus eine inakzeptable Vorstellung, dass das Gesetz der Sterblichkeit letztendlich unsere Brutpflege schon beherrscht. Keine Gefahr darf hier eindringen. Tod ist tabu. Tod muss verhindert werden. Es ist diese neue, große Angst vor dem Tod, die einen übermächtigen Drang zur Bemutterung, Überbehütung und Versicherung erzeugt.“16

„Statt zu fragen, wofür wir leben, fragen wir uns nur noch, wie wir möglichst lange leben, beziehungsweise überleben können – gemäß nunmehr völlig fraglos verabsolutierten Prinzipien wie Gesundheit, Sicherheit, Nachhaltigkeit und – vor allem – Kosteneffizienz.“17

„Man versucht quasi das ewige Leben im Diesseits zu produzieren, was natürlich ein völlig aussichtsloses Projekt ist. Es ist höchst anstrengend, sehr kostspielig, sehr asketisch, und am Ende stirbt man leider doch. Freilich, auch wer gesund stirbt, ist definitiv tot.“18

Der Tod wird in unserer Gesellschaft meist erst im hohen Alter zum Thema, ohne dass er im täglichen Leben stattfinden dürfte. „Die meisten Menschen sterben heute in Krankenhäusern, Altenheimen oder Hospizen, aber nicht mitten unter uns.“19 „Menschen über neunzig, (...), sind, (...), für die Regeln der gesundheitsreligiösen Political Correctness aussichtslose Fälle.“20

Hinzu kommt, dass die Tatsache, dass unser Tod ja nun nicht endgültig verhindert werden kann, er zumindest systematisch tabuisiert werden soll. Dies geschieht in hedonistisch geprägten Gesellschaften u.a. durch eine besondere Taktik: Unseren wahnhaften Versuch sich gegen Alterung und Tod zu stemmen!

„Dieser Antrieb der Angst vor der Irrelevanz – wir werden nicht gebraucht – oder der Angst vor dem Tod treibt uns dazu, uns verewigen zu wollen.“21

Exkurs:Im Mai 2019 fand die »Woche für das Leben« als jährlich wiederkehrende Initiative der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland statt. Es geht immer um den Schutz des menschlichen Lebens und die „unantastbare Würde jedes einzelnen Menschen in allen Lebensphasen, besonders wenn diese gefährdet oder in Frage gestellt ist.“22 Die Initiative ist sicherlich wichtig, aber sie spiegelt auch durchaus den menschlich verständlichen und verzweifelten Versuch dar, auch den letzten Suizid noch verhindern zu können! Nachdem die Kirchen schon lange zuvor Suizid einfach verurteilt hatten, weil es schließlich Gottes Recht sei, Leben zu geben und zu nehmen. Jetzt - und das ist sicher eine wichtige Kehrtwende – sehen sie ein, dass die Liebe Gottes sich den Individuen in Notsituationen nur zuwenden, nicht abwenden, kann!

Auch wenn ich selber der Meinung bin, dass mein Leben tapfer durchzuhalten ist – manchmal bis zum bitteren Ende –, so ist dies jedoch nur meine eigene Meinung und ich kann nicht voraussagen, dass ich nicht doch noch mal den Mut verlieren werde. Wir müssen aber akzeptieren, dass es Menschen gibt, die in ihrem Leben, ggf. aus gesundheitlichen Gründen, bewusst keinen Sinn mehr sehen, weil sie die Selbstkontrolle nicht verlieren möchten und nur noch fremdbestimmt durch eine schwere Erkrankung wären. Aber es scheint schwer, diese Entscheidungen anzunehmen und sich ggf. auch für eine Begleitung in den Tod zu entscheiden.

Ist der suizidale Mensch auch immer der, der gerettet werden muss? Gehört ihm nicht doch das Recht, auch für seinen letzten, endgültigen Akt eine Entscheidung zu treffen?

„Jedes Jahr nehmen sich ca. 10.000 Menschen das Leben, weil sie in ihrem Leben keinen Sinn mehr sehen, weil sie verzweifelt, hoffnungslos oder krank sind. Wir wollen den Hintergründen von Depression und Todeswunsch nachgehen und Wege für eine bessere Sorge um suizidgefährdete Menschen eröffnen. (…) Mit der diesjährigen Woche für das Leben zeigen wir, dass wir zur Stelle sind, wenn Menschen uns brauchen, und dass wir ihnen helfen möchten, eine Krise zu überwinden und neue Lebensperspektiven für sich zu entwickeln.“23

Im gleichen Monat ringen die Politiker in Berlin um eine neue Regelung der Organspende. Genaugenommen ist die Diskussion auch nur gespeist aus dem Bemühen, den Tod zu verdrängen und möglichst viele Menschen zu retten – deren finales Schicksal (das Sterben) hinauszuzögern! Gleichzeitig wird aber auch die reife Auseinandersetzung mit dem individuellen Tod selber nicht gefördert, ja: vermieden. Damit ist aber klar, warum sich nur wenige Menschen für Organspende aktiv entscheiden. Der Mensch klammert an allem, von dem er meint, dass es ihn als Individuum ausmacht. Da der Mensch sich ohne reifes Todeskonzept auch nicht als altruistisches Wesen, das für ein größeres Ganzes – die Menschheit – lebt, begreifen kann, ist wohl eine »Widerspruchslösung« ein sinnvoller, legitimer Weg, die sozialen Beteiligungspflichten der Individuen einer Gesellschaft gegenüber adäquat sicher zu stellen!

Ein tätowiertes X hinter dem linken Ohrläppchen könnte sicher den Widerspruch gegen die Verwertung des eigenen Körpers oder seiner Teile zur Rettung eines Dritten dann genügend dokumentieren!

„Und beim Anblick dieser Schönheit

Fällt mir alles wieder ein

Sind wir nicht eigentlich am Leben

Um zu lieben, um zu sein?

Hier würd' ich gern, für immer bleiben

Doch ich bin ein Wimpernschlag

Der nach fünf Milliarden Jahren

Nicht viel mehr zu sein vermag“

SIDO - Astronaut (feat. Andreas Bourani), 201524

2.1.1.2 Die Angst vor dem Fremdartigen

Wenn uns der Tod mehr als fremd, aber absolut begründet ist, so ist die zweite Angst im Leben des Menschen unsere »Angst vor dem Fremdartigen« - die kleine Schwester der Todesangst. Sie umfasst andere Individuen, sich verändernde Lebensumstände und unbekannte Dinge, die unser Leben bedrohen und zu Tode bringen könnten. Aber – im Gegensatz vor der Angst vor dem Tod – ist sie nicht immer begründet und kann auch pathologisch sein.