Pep Guardiola – Das Deutschland-Tagebuch - Martí Perarnau - E-Book

Pep Guardiola – Das Deutschland-Tagebuch E-Book

Martí Perarnau

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Beschreibung

Pep Guardiola, Ausnahme-Trainer und Fußball-Genie, vereint scheinbar diamentrale Gegensätze in einer Person. In ihm wirken Disziplin und Genie, das Gespür für den Moment, harte Taktik und kalte Strategie zusammen und ermöglichen Quantensprünge des Erfolgs. In diesem Buch wird gezeigt, wie die Kraft Guardiolas den FC Bayern veränderte und damit den gesamten deutschen Fußball; wie sich das Spielsystem weiterentwickelte, die deutsche Nationalmannschaft profitierte, und was Trainer wie Thomas Tuchel von ihm gelernt haben. Es wird aber auch dargestellt, wie Deutschland den Ausnahme-Trainer veränderte. Er wird als ein Fußball-Besessener gezeigt, der im entscheidenden Moment sein ganzes Arsenal an Trainer-Eigenschaften einsetzt und somit zum Alchimisten des Fußballs wird.

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Martí Perarnau

PEP GUARDIOLA

Das Deutschland-Tagebuch

Aus dem Spanischenvon Matthias Strobel und Carsten Regling

 

 

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

 

Alle Rechte der deutschen Ausgabe

© 2016 Ecowin Verlag bei Benevento Publishing,

eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

 

 

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

 

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH

 

ISBN 978-3-7110-5185-1

Vorwort

Pep Guardiola hat dieses Buch nicht gelesen, so wie er auch das Buch Herr Guardiola nicht gelesen hat. Weder vor der Veröffentlichung, was ein Akt verständlicher Neugier gewesen wäre, noch danach. Eines Tages fragte ihn ein guter Freund in München nach dem Grund: »Ich werde das Buch erst in fünfzehn oder zwanzig Jahren lesen«, antwortete Guardiola, »um mich daran zu erinnern, wie meine Zeit bei den Bayern war.«

Wir haben es hier mit einem Menschen zu tun, der Zugang in den privaten Bereich der Umkleide gewährt und die Veröffentlichung jeglicher Information über sich erlaubt, der sich jedoch um das Endergebnis nicht schert. Diese Einstellung spiegelt seine Persönlichkeit vielleicht besser wider als tausend Worte.

Deutschland hat Guardiola tiefgreifend verändert, und diese Wandlung soll in diesem Buch detailliert beschrieben werden. Seine Veränderung ähnelt der eines Jugendlichen, der das Elternhaus verlassen hat, um die Welt kennenzulernen. Pep Guardiola – Das Deutschland-Tagebuch schildert, wie sich der Mensch gewandelt hat, der nun in Manchester, seiner dritten Station als Trainer, vor der größten Herausforderung seiner Karriere steht. Seine Zeit bei Barça war autobiographisch geprägt, denn dort warf er alles in die Waagschale, was er als Spieler erlebt und gelernt hatte; München war gekennzeichnet durch die Anverwandlung an eine klassische Kultur, der er eine schier endlose Fülle an Kreativität schenkte; in Manchester gilt es nun, eine leere Leinwand zu füllen, und er wird es als jemand tun, der anders ist als der, der er in Barcelona war, anders, als der, der er in München war, und dennoch als niemand anderer als Pep Guardiola.

Zum ersten Mal über dieses Buch gesprochen habe ich mit ihm am 4. Juni 2016, als er sich bereits offiziell von den Bayern verabschiedet hatte und vor seiner offiziellen Präsentation in Manchester einen kurzen Urlaub antrat. Wie nicht anders zu erwarten, konnte er mit meinem Vorhaben nicht viel anfangen.

»Wenn ich irgendwo weggehe, klammere ich mich nicht an das, was war. Ich war sehr glücklich in München, ich gehe als zufriedener Mensch, im Guten mit allen. Aber es ist vorbei. Es lohnt sich nicht, ein Buch über diese beiden letzten Jahre zu schreiben.«

Um ihn zu überzeugen, gestand ich ihm die Wahrheit.

»Das Buch ist im Grunde fast fertig. Ich habe in den letzten beiden Jahren fast täglich daran geschrieben.«

»Na ja, dann solltest du es vielleicht doch nicht in den Papierkorb werfen. Mach einfach, was du willst.«

So ist also dieses Buch entstanden. Ohne vorgefassten Plan, ohne dass der Protagonist es gelesen hätte und ohne Garantie, dass es je gedruckt werden würde.

Was Sie in Händen halten, ist das Ergebnis von zwei Jahren kontinuierlicher Arbeit. Ich habe Hunderte von Trainingseinheiten und Partien, unzähligen Interviews und Gesprächen zu diesem Bericht über Pep Guardiolas Verwandlung verdichtet. Nichts davon wäre möglich gewesen ohne die freundliche Haltung des FC Bayern München, der mir nach der Veröffentlichung von Herr Guardiola Zugang zum Alltag der Mannschaft gestattet hat. Mein Dank gilt daher dem ganzen Klub, angefangen vom Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge bis hin zum Platzwart und einfachen Mitglied.

Und natürlich Pep Guardiola und seinem Trainerstab, nicht nur, weil sie mir auch in den heikelsten und bittersten Momenten die Türen geöffnet haben, sondern weil sie mir bei meiner Arbeit in all der Zeit stets freie Hand ließen. Ihre Regel lautete stets: »Mach, was du willst.« Dadurch kann ich hier alles schreiben, was ich will. Wenn ich Lob ausspreche, dann meine ich es auch so. Und wenn ich Kritik übe, dito.

Es erwarten Sie 14 Kapitel, in denen ich Ihnen die Verwandlung von Pep Guardiola erläutern werde. Diese 14 Kapitel enthalten 50 Exkurse, in denen ich die Thesen, die ich vorbringe, erweitere, erläutere oder rechtfertige. Ich empfehle Ihnen, auf den Zeitpunkt zu achten, zu dem diese Exkurse verfasst wurden.

Am Ende jedes Kapitels (außer des letzten) finden Sie die Rubrik Backstage. Es handelt sich dabei, in chronologischer Folge, um Schilderungen von Partien, Taktikdetails oder sonstigen Vorfällen, die sich im Umfeld von Pep Guardiola ereignet haben. Sie können diese Backstage-Berichte lesen, wie Sie möchten: in der natürlichen Reihenfolge oder erst am Ende der Lektüre wie ein eigenes Buch. Ganz, wie Sie wünschen.

Bei der Niederschrift dieses Buches bin ich wenig orthodox vorgegangen. Ich habe Perspektiven kombiniert, Sichtweisen vermischt, einfach geschrieben, was mir interessant erschien, auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole und der Text keinen einheitlichen Stil aufweist. Wahrscheinlich hat auch Pep Guardiolas Eklektizismus seinen Teil dazu beigetragen. Es ist also kein einfaches Buch geworden, denn es sträubt sich gegen alles Lineare, flirtet mit der Komplexität und spielt mit der Zeit, indem es zwischen Kalendertagen und Ereignissen hin und her springt. Doch Fußball ist ja auch so: Mal geht es nach vorne, mal zurück.

Nehmt euer Werk zwanzig Mal wieder auf,feilt unablässig daran, feilt wieder und wieder.

Nicolas Boileau

1Das Chamäleon

Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.

Victor Hugo [fälschlich zugeschrieben]

 

Als Woody Allen ihm die Hand gab, machte er ein säuerliches Gesicht wie in so vielen seiner Filme.

»Herzlich willkommen, Pep, aber ich glaube, du wirst dich bei diesem Abendessen schrecklich langweilen. An diesem Tisch sitzen lauter Leute, die sich nicht im Mindesten für Fußball interessieren.«

»Kein Problem, Woody, ich liebe auch Kino. Oder wie wär’s mit Basketball? Wir könnten uns auch über die Knicks unterhalten.«

Und so vergingen beim Gespräch über die New York Knicks die Stunden wie im Flug. Pep Guardiola hatte eine Seite von sich gezeigt, die nur wenige Menschen kennen: seine Anpassungsfähigkeit. Sein Image mag das eines unverbesserlichen Dogmatikers sein, doch in Wahrheit ist er ein geschmeidiges Chamäleon, das sich an Umgebung und Umstände anpasst. Wenn man sich nicht über Fußball unterhalten kann, weil es den Gastgeber langweilt, dann redet man eben über Basketball, genauer gesagt über die Knicks und ihre düstere Zukunft, auch wenn Pep eigentlich ein Bewunderer von Gregg Popovich ist.

Anpassung. Wir haben es hier mit einem unbekannten Wesenszug Guardiolas zu tun. Anpassung an die Spieler, an den Kontext, an den Gegner, an die Umstände. Deutschland hat ihn gezwungen, diese Eigenschaft stärker hervortreten zu lassen, die er bis dahin in seiner Karriere als Trainer kaum hat einsetzen müssen. Anpassen als Mittel, um seine Vorstellungen durchzusetzen. Anpassen wie ein Chamäleon. Nicht die Stärksten überleben, sondern die Intelligentesten, diejenigen, die sich am besten anpassen.

In Barcelona setzte sich Guardiola durch seine Überzeugungskraft durch, in Deutschland durch seine Anpassungsfähigkeit. Wer hätte gedacht, dass dies sein innerer Motor sein würde, wo man doch bis dahin eher Leidenschaft, Ehrgeiz, Talent und Überzeugungen mit ihm verband, nicht Eklektizismus und Anpassungsfähigkeit. Seine Spielidee schien in Stein gemeißelt, unveränderlich, sprich: dogmatisch. Doch um in Deutschland zu überleben, musste er sich tarnen und eine unerwartete Flexibilität an den Tag legen.

Nur indem er nicht mehr er selbst war, konnte er sich selbst treu bleiben.

»Ich glaube, dass ich heute ein besserer Trainer bin. Ich habe hier viel gelernt, was mir bei meinen weiteren Trainerstationen nützlich sein wird. Anfangs dachte ich, ich könnte einfach die Spielweise von Barça auf die Bayern übertragen. Tatsächlich aber habe ich die Spielweise, die ich mitgebracht habe, mit der verschmolzen, die ich vorgefunden habe. Herausgekommen ist eine fantastische Synthese.«

Ein besserer Trainer geworden zu sein, bedeutet in diesem Fall, mehr Eklektizismus betrieben zu haben. Einerseits wurde Guardiola immer radikaler, immer mehr Cruyffianer im Sinne des niederländischen Voetbal totaal, und gleichzeitig »deutscher«, indem er eine andere Spielkultur in sich aufsog, bis er schließlich beides miteinander kombinieren konnte. Guardiola installierte nicht wie anfangs geplant den Fußball von Cruyff in Beckenbauers Heimat, sondern machte etwas Besseres und viel Intelligenteres: Er mischte das Spiel von Cruyff mit dem von Beckenbauer, und aus dieser Mischung ging eine Spielweise hervor, die die Haupttugenden beider Philosophien verschmilzt.

Nach Cruyffs Tod im März 2016 wurde Pep gefragt, was die Fußballwelt zu dessen Ehre tun könne. Er antwortete schlicht: »Befolgen, was er sagt.« Bayerns Kapitän Philipp Lahm (sein treuer Knappe und verlängerter Arm auf dem Feld) fügte hinzu: »Johan Cruyffs Idee war nicht mehr und nicht weniger, als ›Fußball spielen‹ wörtlich zu nehmen. In seiner Idee vom Fußball geht es nicht darum, den Gegner zu kontrollieren, sondern um den Ball und das Spiel. (…) Ich darf es beim FC Bayern gerade selbst erfahren.« Und Domènec Torrent, sein erster Assistenztrainer, brachte es auf den Punkt: »Pep ist heute die Synthese zwischen dem Barça von Cruyff und all dem, was wir in Beckenbauers Heimat gelernt haben.«

Pep Guardiola ist heute ein eklektischer Trainer, dem die Integration von mehreren Spielmodellen gelungen ist, der dem totalen Fußball so nahe gekommen ist wie niemand zuvor, wenn wir darunter ein flüssiges Spiel verstehen. Slaven Bilic, früher selbst Profi und heute Trainer von West Ham United, prophezeite: »Die nächste taktische Revolution wird der Tod des Schemas sein.« Guardiola steht an der Schwelle dieser Revolution: »Nicht die Spielsysteme sind wichtig, wichtig sind die Ideen.«

Guardiola ist heute ein besserer Trainer, und das, obwohl ihm, das dürfen wir nicht vergessen, der letzte Triumph in München versagt blieb. Er konnte das Triple nicht wiederholen, gewann kein einziges Mal die Champions League, den »unregelmäßigen Wettbewerb«, ja er erreichte nicht einmal das Finale. Mit Bayern gewann er sieben Titel, darunter dreimal in Folge die Meisterschaft, »den regelmäßigen Wettbewerb«, pulverisierte dabei alle historischen Rekorde des deutschen Fußballs und hob das Niveau der Mannschaft an. Unter seiner Leitung entwickelte sie ein schönes, dominantes und facettenreiches Spiel, doch sein Kunstwerk wurde nicht vom absoluten Erfolg gekrönt. Als man sein Werk in Deutschland als »unvollendet« bezeichnete, hatte man natürlich Recht im Hinblick auf die Titel. Natürlich hatte man Recht. Doch auch wenn er nicht alle Titel gewinnen konnte: Seine Spielphilosophie hat er vollständig durchgesetzt.

Der deutsche Journalist Uli Köhler, der bei Sky Deutschland arbeitet, hat es folgendermaßen zusammengefasst: »Er hinterlässt etwas Besonderes. Er hinterlässt einen Fußball, an den man sich erinnern wird. Er hinterlässt einen Fußballstil, den Bayern nie wieder spielen wird und den die Fans nie wieder zu Gesicht bekommen werden.«

 

»ICH WAR SEHR GLÜCKLICH.«

Doha, 5. Januar 2016

 

Guardiola hat angekündigt, dass er den FC Bayern verlassen wird. Der Fan Marco Thielsch schickt mir diese Nachricht, die ich an Pep weiterleiten soll:

 

»Ich bin traurig über Ihre Entscheidung, nicht zu verlängern, auch wenn ich sagen muss, dass Sie uns nie getäuscht haben. Sie haben immer gesagt, Sie seien sich darüber bewusst, nur ein kleiner Teil der Klubgeschichte zu sein. Ich bin seit über dreißig Jahren Bayernfan, und ich möchte Ihnen sagen, dass die vergangenen zweieinhalb Jahre die schönsten überhaupt waren. Noch nie hat Bayern einen so schönen Fußball gespielt, und ich kann Ihnen gar nicht genug danken für die vielen wunderbaren Momente, die Sie und die Mannschaft mir beschert haben. Ich habe so viele außergewöhnliche Momente erlebt, war über das Spiel meines Teams so glücklich, dass ich oft vor Freude geweint habe. Deshalb möchte ich, dass Sie Folgendes wissen: Viele werden jetzt sagen, Sie werden unvollendet bleiben, aber dem möchte ich entgegenhalten, dass es auch viele gibt, die ganz anderer Meinung sind. Natürlich möchte ich gewinnen. Aber ich will so gewinnen, wie Sie Fußball spielen lassen. Ich will mit diesem Stil gewinnen. Ich kann gar nicht in Worte fassen, was diese Art zu spielen für mich bedeutet. Auch wenn wir nicht gewinnen sollten, wird Ihr Erbe so groß sein, dass ich diese unglaublichen Momente nie vergessen werde. Außerdem möchte ich Ihnen sagen, dass Sie auch als Mensch eine große Inspiration für mich sind. Dafür möchte ich Ihnen ebenfalls danken. Wir alle werden dieses letzte gemeinsame halbe Jahr sehr genießen.

 

Als Guardiola diese Nachricht von Marco Thielsch las, war er tief bewegt.

»Wenn das Spiel meines Teams auch nur bei einem Fan diese Emotionen auslöst, dann hat sich die ganze Arbeit gelohnt.«

 

Bezogen auf die Pokalvitrine ist Pep Guardiola in München tatsächlich ein Unvollendeter geblieben. Wodurch sich unweigerlich eine Parallele aufdrängt: Auch Johan Cruyff erlebte seine größte Niederlage in München, als er 1974 das Weltmeisterschaftsfinale verlor, ausgerechnet gegen Franz Beckenbauer. Andererseits muss man hervorheben, dass diese Niederlage zu einem seiner größten Triumphe wurde. Cruyff verlor das Endspiel, aber er gewann durch die Spielweise seines Teams – das Clockwork Orange – weltweite Anerkennung: einer der vielen Widersprüche, die der Fußball zu bieten hat. Ob es Pep, seinem Ziehsohn, ebenso ergehen wird? Wird ein nicht gewonnener Titel, in seinem Fall die Champions League, irgendwann zu einem Sieg in Form der Anerkennung für das Spiel, das er in München praktizieren ließ? Noch wissen wir nicht genau, wie stark Pep die Entwicklung des deutschen Fußballs beeinflusst hat, aber vieles deutet darauf hin, dass dieser Einfluss massiv war.

Der katalanische Architekt Miguel del Pozo, der sich in den Sozialen Medien so unermüdlich um die Verbreitung der Bildenden Künste bemüht, sieht eine faszinierende Parallele zwischen der Erfahrung des Mittelmeermenschen Pep Guardiola in Deutschland und den Erlebnissen deutscher Maler in Italien. In beiden Fällen exportierten sie eine bestimmte Technik: »Die deutschen und niederländischen Maler folgten dem Weg Albrecht Dürers und brachten Italien die Ölmalerei. Diese Technik spielte in der späteren Entwicklung der italienischen Malerei eine entscheidende Rolle.« Und parallel dazu trat auch der umgekehrte Effekt ein: »Die Italienreise der deutschen Künstler unterteilte ihr Leben in ein Vorher und Nachher, weil sie eine neue Welt entdeckten. Goethe war fasziniert von Italien, so wie Winckelmann von Griechenland fasziniert war. Dürer beherrschte die deutsche Technik wie keiner sonst, doch auch bei ihm trat der umgekehrte Effekt ein: Als er das Licht und die Empfindsamkeit Italiens entdeckte, veränderte er sich. All diese Vorgänge erinnern mich an Peps Faszination für Deutschland und die Faszination Deutschlands für Pep.«

Auch Domènec Torrent ist überzeugt: »Pep hinterlässt in Deutschland ein großes Erbe. In Sachen Spielweise, Ideen, Flexibilität, Stil.« Karl-Heinz Rummenigge hat es auf den Punkt gebracht: »Je mehr Zeit vergehen wird, desto deutlicher wird werden, welch gute Arbeit Guardiola in Deutschland geleistet hat. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele deutsche Trainer uns in den letzten Monaten haben wissen lassen, dass sie diese Einschätzung teilen: dass Pep Deutschland fußballerisch enorm bereichert hat.« Der deutsche Sportexperte Tobias Escher (Autor der Webseite Spielverlagerung) drückt es folgendermaßen aus: »Bevor Guardiola nach Deutschland kam, kannte hier niemand die Idee des Positionsspiels.«

Obwohl Pep Guardiola in München weniger Titel gewonnen hat als in Barcelona (14 von 19 möglichen bei Barça, 7 von 14 möglichen bei Bayern), hält er sich 2016, kurz vor seinem Amtsantritt in Manchester, für einen besseren Trainer als 2012, als er Barça verlassen hat. Warum?

»Ich bin ein besserer Trainer, weil ich vorher alles auf Messi ausgerichtet habe. Der Ball musste zu Messi, und der erledigte dann den Rest. In Deutschland musste ich mir mehr Optionen überlegen: Der Spieler hier muss in diese Zone, der da in die dahinter usw. Ich musste mich voll reinhängen, aber nur dadurch wird man besser.«

Guardiola hat gelernt, wie man mit einem komplexen, feindseligen Umfeld zurechtkommt, er musste unzähligen Widrigkeiten trotzen, musste Schwierigkeiten überwinden, die er nicht gewohnt war. Indem er sich voll und ganz auf die Realität der Bundesliga einließ, wurde er ein besserer, weil flexiblerer Trainer. Der deutsche Fußball hat ihn verändert, so wie es sein Fitnesstrainer Lorenzo Buenaventura bereits wenige Monate nach seiner Ankunft in München vorausgesagt hatte: »Pep wird Bayern verändern, und Deutschland Pep.«

Der Mann, der im Juli 2016 voller Vorfreude seine Arbeit in Manchester antritt, ist widerstandsfähiger und reifer als der, der im Juni 2013 in München eintraf. Auch wirkt er wesentlich menschlicher, wird nicht mehr so stark idealisiert, ist nicht mehr der quasi gottgleiche Trainer. Deutschland hat seine Fehler aufgedeckt, und das hat ihn weniger perfekt gemacht, irdischer.

Zwei Fotos illustrieren den himmelweiten Unterschied zwischen dem Pep, der in München ankam, und dem Pep, der München wieder verließ.

Das erste Foto stammt vom 24. Juni 2013 und wurde in München aufgenommen. Es zeigt einen makellos gekleideten Pep Guardiola: grauer Anzug, granatapfelrote Krawatte, sechsknöpfige Weste, Hemd mit Kent-Kragen, weißes Taschentuch in der Brusttasche und blankpolierte Schuhe. Es war ein Pep, der Glamour ausstrahlte, umringt von der Führungsriege der Bayern, fast das Bild eines multinationalen Unternehmens. Ein Look wie gemacht für die Session eines Werbefotografen. Das Image makelloser Eleganz. Licht, Glanz, Perfektion.

Ganz anders das Foto in Manchester, aufgenommen am 3. Juli 2016. Pep ist sportlich gekleidet, trägt ein graues, kurzärmliges Hemd, Jeans, Sneakers und ein ebenfalls sportliches Jackett, das er so oft ablegt, wie er kann. Es ist der Look eines modernen Mannes, entspannt, sportlich, jederzeit bereit, sich an die Arbeit zu machen. Er ist nicht rasiert, als könnte es ihm gar nicht schnell genug gehen, die große Herausforderung in Angriff zu nehmen, die ihn in Manchester erwartet. Es ist ein Bild, das Energie ausstrahlt, Entschlossenheit, Selbstbewusstsein, aber auch Normalität, Natürlichkeit. Und es stellt eine Verbindung her zu den Fans am Spielfeldrand, die ihm das Motto des Klubs entgegenhielten: A New Era Begins.

 

DANKE, PEP

München, 22. Mai 2016

Auf dem Balkon des Münchner Rathauses wird das erneute Double gefeiert, das zweite unter Pep Guardiola. Nachdem Bayern zum vierten Mal in Folge die Meisterschaft geholt hat, gewann die Mannschaft gestern, im letzten Spiel unter ihrem katalanischen Trainer, auch den DFB-Pokal. Niemand hat viel geschlafen. Pep trägt eine Trainingshose und ein einfaches weißes T-Shirt mit dem Aufdruck Double. Er ist unrasiert und erhebt im Land des Biers ein Glas Weißwein (Häresie). Es ist ein irdischer Pep, umringt von seinen Mitarbeitern und Spielern: das Bild eines Teams, das fest zusammenhält. Pep wirkt nahbar, dankbar, gerührt. Normal und natürlich. Deutschland hat seinen Look verändert, hin zum Gegenteil dessen, wie er bei seiner Ankunft war. Auf dem Marienplatz, wo das Double gefeiert wird, hat sich ein Fan auf seinen nackten Oberkörper »Danke, Pep« gemalt.

 

Die zahlreichen Widrigkeiten, die er überwinden musste, haben seine Widerstandskraft gestärkt und ihn härter gemacht. Er hat gelernt, dass man auch ins Stolpern geraten kann, und er hat seine bayrische Etappe zu Ende gebracht, ohne sich zu sehr zu verausgaben. Guardiola hat München lächelnd und glücklich verlassen, ohne offene Rechnung, im Einklang mit den Spielern und dem Klub, der Führung und den Fans, die ihm ihre Zuneigung oft genug gezeigt haben. Wenn Erfolg sich an der Zahl der Augen bemisst, die um einen herum leuchten, wie der Dirigent Benjamin Zander bei seinen großartigen Vorträgen erklärt, dann wissen die Spieler, die er in Bayern zurücklässt, dass ihr Trainer einen enormen Erfolg errungen hat. Auch sie selbst ließen es ihn spüren, indem sie sich in der Umkleide in der Säbener Straße lang und herzlich von ihm verabschiedeten.

In München hat Pep viel dazugelernt: Er hat gelernt, Nein zu sagen (eine Tugend, die ihm bis dahin fehlte), er hat Fehler begangen und versucht, aus allen seine Lehren zu ziehen, er hat seine Zeit auf drei Jahre beschränkt und nicht (wie in Barcelona) eine vierte quälende Saison angehängt, und er hat seine Energie besser eingeteilt, wodurch er kein Sabbatical benötigt, keine Auszeit, um seine Batterien wieder aufzuladen. Er konnte direkt von München nach Manchester aufbrechen, ohne Zwischenstopp, unterbrochen nur von einem kurzen Trip mit der Familie in sein geliebtes New York, um die Finalserie der NBA zu verfolgen. Wenn Pep als Trainer reifen musste, dann hat Deutschland diesen Prozess enorm beschleunigt.

Als die Bayern kurz vor Weihnachten verkündeten, dass Pep seinen Vertrag nicht verlängern würde, brach in den deutschen Medien ein regelrechter Shitstorm über den Trainer herein, ohne dass es dafür einen konkreten Grund gab. Mal wurde er kritisiert, weil Lewandowski nicht spielte, mal, weil Müller nicht spielte, mal, weil Götze nicht spielte. Allein dadurch, dass er den Klub verließ, wurde er zur Zielscheibe. Um zu verdeutlichen, wie aufgeheizt das Klima war, sei hier erwähnt, dass ihn in dieser Situation über zwei Kanäle folgender Vorschlag erreichte: Wenn er einem auflagenstarken Blatt ein Exklusivinterview gäbe, würde er im Gegenzug vor Kritik geschützt.

In seinen letzten Monaten in München wurde ihm immer wieder vorgeworfen, dass er die Champions League nicht gewonnen hatte, vor allem von der Sensationspresse, meist von denjenigen, die über die Jahre wenig Interesse am Spiel selbst gezeigt hatten. Zugegebenermaßen ist es auch gar nicht so einfach, das Spiel zu verstehen. Der moderne Fußball hat eine hohe Komplexität erreicht, und wer alles verstehen will, was sich auf dem Rasen abspielt, sollte offen und ohne vorgefasste Meinung an die Sache herangehen. Dies gilt für den Fußball von Guardiola, dies gilt aber auch für den gegensätzlichen Stil, den Ranieri in Leicester spielen lässt. Wer sich nicht ein bisschen Mühe gibt, das Spiel zu verstehen, wird am Ende nur deprimierend oberflächliche Analysen liefern und Aspekte aufgreifen, die mit dem eigentlichen Spiel nichts zu tun haben. Man muss nur einen Blick in die Tagespresse werfen, um dies bestätigt zu finden.

Kreativität ist im Fußball unerlässlich, und ich meine nicht die Kreativität eines einzelnen Spielers, die natürlich zum Wesen dieses Sports gehört, ich meine den innovativen Geist des Trainers. Kreativität, schreibt der große Erziehungsberater Ken Robinson, »ist kein extravagantes Sammelsurium expressiver Akte, sondern die höchste Form geistigen Ausdrucks«. Nun könnte man einwenden, Fußball sei eine rein physische und technische Angelegenheit und habe gar nichts Geistiges, aber diesen Einwand würde ich zurückweisen: Fußball besteht aus Ideen (neben Technik und vielen anderen Faktoren). Eine Fußballphilosophie, verstanden als den Vorschlag, den ein Trainer oder eine Mannschaft präsentieren, war schon immer eine der Triebfedern, die den Fußball vorangebracht haben.

Vor einigen Monaten las ich bei dem niederländischen Trainer Raymond Verheijen eine interessante These: »In der Welt des Fußballs wollen die meisten den Status quo beibehalten, weil sie Angst haben, einen Fehler zu begehen. Es ist eine primitive Subgesellschaft, in der Kritik nicht geduldet wird und die Leute lieber an bestehenden Ideen festhalten. In der Welt des Fußballs sind Leute, die andere infrage stellen, nicht sehr beliebt, weil die sich dadurch auf den Schlips getreten fühlen, und wer fühlt sich schon gern auf den Schlips getreten. Offensichtlich steht es im Fußball noch aus, die Dinge intelligenter zu lösen.«

Die Entwicklung des Spiels war stets auf innovative Ideen angewiesen, so wie »die Grundlage von Wissenschaft originelles und kreatives Denken im Verbund mit kritischem Verstand ist«, wie Ken Robinson formuliert. Trotzdem hat die Idee der Kreativität in der Welt des Fußballs einen schlechten Ruf, weil diese Welt sich freiwillig an Altes klammert, an Paradigmen, die längst ihr Verfallsdatum erreicht haben. Es ist eine Welt, in der mächtige Kräfte sich verschwören, damit sich ja nichts entwickelt, damit ja alles so bleibt, wie das bequeme Klischee es vorsieht. Der Fußball hat eine tief sitzende Angst vor jeder Neuerung.

Ausgerechnet jetzt, da er unvollendet geblieben ist in der Stadt, in der auch sein »Vater« Cruyff unvollendet geblieben ist, steht Guardiola vor der größten Herausforderung seiner Karriere: Er will sein Spiel in England durchsetzen, dem Land, in dem dieser Sport erfunden wurde. Bedeutet »durchsetzen« in diesem Fall missionieren? Domènec Torrent, Guardiolas rechte Hand, will von dieser Interpretation nichts wissen: »Niemand sollte sich falsche Hoffnungen machen: Pep ist nicht nach Manchester gegangen, um den englischen Fußball zu revolutionieren, um den Engländern zu zeigen, wie man Fußball spielt, wie es hie und da zu lesen war. Pep ist nach England gegangen, um neue Ideen einzubringen. Um etwas beizusteuern, nicht um etwas zu verändern oder um Lektionen zu erteilen. Fußball kann man auf tausenderlei Art spielen, und eine davon bietet Pep an. Eine Art, die man mögen kann oder auch nicht, mit der er ziemlich oft gewinnt, die aber nicht die einzige ist, nicht die ›wahre‹. Es ist einfach nur der Fußball, den Pep vorschlägt. Deshalb noch einmal, damit keiner sich falsche Hoffnungen macht: Pep ist kein Messias, der die Welt des Fußballs missionieren will. Er will lediglich sein Spiel vorstellen, will von denen lernen, die anders spielen, und dazu beitragen, dass das Spiel insgesamt noch raffinierter wird.«

Es wird keine leichte Aufgabe, bei einem Team wie Manchester City sein Konzept umzusetzen. Die Mannschaft, die Pep übernimmt, besitzt keine erkennbare Identität, keine eigene Spielidee, und Ehrgeiz gehört nicht gerade zu ihrer DNA, wie dies bei Barcelona und Bayern der Fall ist. Pep hat eine Herkulesaufgabe vor sich, indem er einem Team, das einer großen Veränderung bedarf (die Hälfte der Spieler der Vorsaison sind über 30), Form und Inhalt geben muss, in einem extrem kompetitivem Umfeld. Er ist umgeben von exzellenten neuen Trainern (Conte, Mourinho, Klopp …) und exzellenten neuen Spielern (Mchitarjan, Xhaka, Pogba, Ibrahimovic …), und er muss sich mit einer fußballerischen Eigenart auseinandersetzen, die so ganz anders ist als seine eigene. Manchester ist für Guardiola eine noch größere Herausforderung als seine erste Trainerstation in Barcelona 2008, als er zwar ein unerfahrener Trainer war, aber immerhin zu Hause »spielte«; und es ist auch eine schwierigere Aufgabe als in München, obwohl er dort mit dem Gespenst des Triples zu kämpfen hatte.

Manchester ist ein neues Werk, bei dem Pep von Null anfangen muss, weil das Spiel der Mannschaft keine Struktur erkennen lässt. Die Pläne für das Gebäude müssen neu erstellt werden, was eine große Verantwortung bedeutet. In den Sommerferien sprachen wir darüber, und Pep brachte es nüchtern auf den Punkt: »Das ist die größte Aufgabe, der ich mich je stellen musste.«

 

BACKSTAGE 1

BLUT IM MUND

München, 10. September 2014

Gestern Abend fand in Madrid das Viertelfinale der Basketball-WM zwischen Spanien und Frankreich statt. Überraschend gewann Frankreich mit 65:62. Überraschend deshalb, weil in der Gruppenphase das spanische Team Frankreich noch 88:64 geschlagen hatte, so wie zuvor Senegal, Brasilien und Serbien (den späteren Vize-Weltmeister). Spanien erreichte unbesiegt und souverän das Viertelfinale, wurde jedoch im entscheidenden Moment von Frankreich gestoppt. Diese überraschende Niederlage veranlasste Manel Estiarte zu folgender Überlegung zum Thema Wettbewerbsgeist großer Teams. Er muss es wissen, immerhin ist er der beste Wasserballspieler aller Zeiten:

»Mir geht schon seit Längerem ein Gedanke durch den Kopf. Ich behaupte nicht, dass es sich um ein universelles Gesetz handelt, aber meine These lautet: Große Mannschaften, sprich: die Größten, haben sich so sehr ans Gewinnen gewöhnt, dass sie sich eine Niederlage gar nicht mehr vorstellen können. Das gilt für Basketball, für Fußball, für Handball, für alle Mannschaftsportarten. Es passiert nicht allen, es passiert auch nicht immer, aber es passiert so häufig, dass es kein Zufall sein kann. Mir scheint, dass große Teams nicht einmal auf die Idee kommen, sie könnten auch einmal verlieren, vor allem, wenn sie die klaren Favoriten sind. Dann muss der Gegner nur aus irgendeinem Grund, weil er sehr clever ist oder man selbst sehr träge, leicht vorne liegen, und dann geht man unter.

Und keiner kann den Untergang aufhalten. Schau dir an, was in den vergangenen Jahren im Fußball passiert ist. Es gibt unzählige Beispiele dafür. Barça unter Pep, das im Bernabéustadion in Führung geht und am Ende 6:2 gewinnt; noch einmal Barça unter Pep, gegen Madrid unter Mourinho, das damals ein exzellentes Team war, am Ende steht es 5:0; auch in England gibt es jede Menge Beispiele; oder hier in Deutschland, Dortmund unter Klopp, das gegen Bayern München unter Heynckes das DFB-Pokalfinale 5:2 gewinnt, ohne dass Bayern eine Chance hatte; Bayern unter Heynckes, das Barça mit Messi, Xavi und Iniesta 7:0 vom Platz fegt; Madrid unter Ancelotti, das Bayern letztes Jahr hier in München mit 4:0 abfertigt; oder Deutschland, das Brasilien bei deren Heim-WM mit 7:1 demütigt. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr Beispiele fallen mir ein. Zwei große Teams treten gegeneinander an, eines geht in Führung, egal, ob verdient oder nicht, und der Gegner bricht ein und wird überrollt.

Meine These also lautet: Die Spieler großer Teams können sich einfach nicht vorstellen zu verlieren. Es will nicht in ihren Kopf. Sie sind auf Sieg geeicht. Nicht unbedingt auf einen leichten Sieg. Aber doch auf Sieg. Sie haben so viele Spiele gewonnen, dass ihr natürliches Habitat der Triumph ist. Selbst wenn sie mal zurückliegen, sind sie es gewohnt, das Spiel schnell zu drehen. Und dann spielen sie eines Tages gegen ein anderes großes Team, das aus irgendeinem Grund in Führung geht. Am schlimmsten ist es, wenn die Führung nicht verdient ist, wenn sie wie aus dem Nichts fällt oder aufgrund einer Fehlentscheidung des Schiris. Der Gegner geht in Führung, und du bleibst auf dem Boden liegen. Du hast einen Treffer abgekriegt und bist in die Knie gegangen. Ein Tor. Und dann fällt noch ein Tor. Du liegst 2:0 hinten in einem Spiel, das du theoretisch gewinnen müsstest, weil du ein bisschen besser bist, weil du gerade mehrere Spiele hintereinander gewonnen hast, weil du dich gut auf die Partie vorbereitet hast. Du müsstest eigentlich in Führung liegen, aber du hast zwei Dinger reingekriegt und liegst am Boden. Und weil du das nicht gewohnt bist, zeigst du keine Reaktion, bleibst einfach liegen. Ein kleineres Team weiß, dass es immer wieder eins auf die Mütze kriegen wird und hat sich mental darauf eingestellt. Aber du nicht. Du bist groß, und obwohl du deinen Gegner respektierst, der ebenfalls groß ist, bist du es nicht gewohnt, dass man dich umhaut.

Du liegst am Boden, liegst 1:0 oder 2:0 hinten, deine Pläne sind nur noch Makulatur. ›Jeder hat einen Plan, bis er eins auf die Fresse bekommt‹, heißt der berühmt gewordene Satz [der angeblich von Mike Tyson stammt, gesagt hat ihn aber Joe Louis]. Und statt deinen Gegner zu umklammern und erst wieder loszulassen, wenn du zu Atem gekommen bist, willst du weitermachen, als wäre nichts passiert. Und dann gehst du erst recht unter.

Ich glaube, dass im Sport der Kampfgeist abhandengekommen ist, auch wenn es Tausende Ausnahmen geben mag. Nehmen wir den historischen Kampfgeist auf dem Balkan, den der Jugoslawen oder der Ungarn, vor allem aber der Jugoslawen. Wenn man gegen die antrat, wusste man, dass die Partie erst mit dem Schlusspfiff zu Ende sein würde. Manchmal sogar erst nach dem Schlusspfiff. Man konnte die bessere Mannschaft sein, aber wenn man ihnen auch nur die kleinste Chance bot, packten sie dich am Kragen. Es war ein bisschen so wie bei italienischen Fußballmannschaften, wenn sie mal 1:0 in Führung gehen. Dann weiß man, dass sie verteidigen werden wie die Löwen, dass man sie nicht zu packen kriegen wird. Oder wie bei deutschen Mannschaften, bei denen man immer damit rechnen muss, dass sie in der letzten Minute ausgleichen oder gewinnen. Man wusste, dass es so war. Oder englische Mittelstreckenläufer, die man erst dann geschlagen hatte, wenn man die Ziellinie überquerte. Die Jugoslawen waren in allen Mannschaftssportarten so. Egal, wie viele Treffer man bei ihnen landete, sie steckten alles weg und lauerten auf ihre Chance. Die meisten Teams vom Balkan haben sich diesen Kampfgeist bewahrt.

Ich glaube, dass die großen Fußballmannschaften sich diesen Kampfgeist wieder aneignen müssen, erarbeiten, entwickeln. Erinnere dich, wie es uns letztes Jahr in Madrid ergangen ist. Gut, wir hatten Ausfälle, Verletzte, Probleme, aber wir hatten nur mit einem Tor Unterschied verloren. Wir verließen das Bernabéu mit dem Gefühl, eine große Gelegenheit verpasst zu haben, eine Partie verloren zu haben, in der wir sehr gut gespielt hatten, bei der wir mindestens ein Unentschieden verdient gehabt hätten. Aber ein 0:1 ist kein schlechtes Ergebnis. Ich will dir was sagen: Wenn es darum geht, ins Champions-League-Finale zu kommen, finde ich es nicht so schlimm, im Rückspiel in der 70. Minute noch ein Tor schießen zu müssen, um in die Verlängerung zu kommen.

Doch wir sind ungeduldig und wollen mehr. Wir sind groß und ehrgeizig und wollen mehr. Und dann kommt der Schlag, eine Ecke, die wir nicht hätten zulassen dürfen, und wir fangen uns ein Tor. Die Sache wird kompliziert. Und dann ein Foul, das wir nicht hätten begehen sollen. Noch ein Schlag. Und wir brechen ein. Weil wir sonst nie Schläge abkriegen, sondern immer nur austeilen. Und schon liegen wir am Boden.

Es gibt heute viele große Teams, es ist also nicht das Problem eines bestimmten Spielertyps, eines Trainers oder einer Taktik. Die großen Teams von heute sind größer denn je, deshalb stellen sie in ihren Ligen alle möglichen Rekorde ein. Punktrekorde, Torrekorde, Serien ohne Niederlagen, Serien ohne Gegentor. Die Teams werden immer größer, und je größer sie werden, desto weniger können sie sich vorstellen, dass man auch mal stolpern kann. Und wenn sie dann stolpern, zack, dann wissen sie nicht, wie man an die Rettungsweste kommt.

Vielleicht liege ich völlig falsch mit meiner These, aber mir will scheinen, dass es genauso ist, dass die großen Teams wieder den Kampfgeist der Jugoslawen entwickeln sollten. Du hast einen Schlag abbekommen, okay, halte durch, wehr dich, schluck das Blut runter, denk an nichts, nicht an den Plan, der nicht aufgegangen ist, nicht, dass es ungerecht ist, unverdient, dass du der Favorit warst. An nichts. Denk an nichts, greif zum Ruder und rudere los. Rudere, bis einige Minuten vorbei sind, versuch, das Resultat zu halten. Sorg dafür, dass einige Minuten vergehen, dass du nicht endgültig k. o. geschlagen wirst. Du liegst 0:1 hinten, okay, das tut weh, nervt, aber halte dieses 0:1. Denn vielleicht rettest du dich in die 75. Minute, und dann kann alles passieren. Vielleicht geht dann dein Gegner in die Knie, oder du erzielst einen Glückstreffer. Alles ändert sich, und du bist plötzlich derjenige, der den Gegner zu Boden schickt.

Na ja, vielleicht ist das alles Quatsch, was ich da erzähle, aber mir scheint ein Körnchen Wahrheit darin zu stecken. Und wenn dem so ist, sollten die großen Teams, die Spieler und Trainer der großen Teams sich besser auf solche Situationen vorbereiten, für den Fall, dass sie auf einen Gegner treffen, der ihnen auf Augenhöhe begegnet, und ihr Plan vielleicht nicht aufgeht und sie sich als Jugoslawen verkleiden müssen.«

2WARUM MANCITY?

Mein Verstand soll sich lieber aus Neugier öffnen, als aus Überzeugung schließen.

Gerry Spence

Es ist keine einfache Frage: Warum wählte Guardiola Manchester City statt einen Klub mit mehr Tradition?

Vielleicht liegt schon in der Frage eine Antwort. Nachdem Guardiola den FC Bayern trainiert hat, den unzählige Geschichten und Legenden umranken, hat er sich nun einen Klub gesucht, dessen Tradition nicht eine solche Last birgt. Bei City wird man nicht bis zum Überdruss den Slogan hören: »Das haben wir hier schon immer so gemacht.«

Bevor ich näher darauf eingehe, will ich noch einmal darauf hinweisen, dass Guardiola nach drei Jahren beim FC Bayern eine gut dotierte Verlängerung des Vertrags abgelehnt hat.

Wenn Pep aus München weggeht, dann weil er neue Erfahrungen machen, sich weiterentwickeln will. Er will verändern und verändert werden. Er sucht die Veränderung, um verändert zu werden. Nur aus diesem Grund hat er eine so wundervolle Stadt wie München verlassen, einen so mächtigen Klub wie den FC Bayern, ein so großartiges Team, das von ihm eine ganz neue Spielweise gelernt und perfekt umgesetzt hat. Und das ihm seine Zuneigung auf alle erdenkliche Weise gezeigt hat.

Drei Jahre und kein Tag länger. Guardiola ist so: ein ungewöhnlicher Mensch, der seine Verpflichtung gern erfüllt, aber nicht verlängert. Normalerweise bittet ein erfolgreicher Trainer den Klub um eine Vertragsverlängerung. Guardiola denkt da anders. Er baut lieber etwas auf und sagt dann Ade.

Natürlich ist Guardiola kein Durchschnittstyp, sondern hochgradig unkonventionell. Andernfalls würde er noch immer den FC Barcelona trainieren. Kein gewöhnlicher Mensch würde den unaufhaltsamen Messi auf dem Höhepunkt seiner Fähigkeiten zurücklassen oder sich von einem magischen Mittelfeldtrio (Busquets, Xavi, Iniesta) verabschieden. Gleiches könnte man vom FC Bayern sagen, von Neuer, Lahm und Alaba. Aber Guardiola ist so. Nachdem er die beste Mannschaft der Welt geformt hatte, vielleicht die beste Mannschaft in der Geschichte des Fußballs, hat er Barça verlassen. Und als Bayern so spielte, wie er es wollte, ging er weg. Es klingt so merkwürdig, weil es so ungewöhnlich ist. Normal ist, dass ein Mensch sein gewohntes Umfeld behalten will. Guardiola will das Gegenteil. Er war schon immer ein unruhiger Geist, der die Herausforderung des Neuen stets der Bequemlichkeit des Bekannten vorgezogen hat. Es ist nicht einfach, ihn zu verstehen, aber wir wollen es mithilfe der Kunstanalogien von Miquel del Pozo versuchen: »Pep malt sein Bild, aber er bleibt nicht stehen, um es zu betrachten. Dies zeichnet einen wahren Künstler aus. Pep ist ein Künstler, für den das Werk nur zählt, solange er es erschafft. Künstler konzentrieren sich hundertprozentig auf den schöpferischen Prozess, für sie zählt allein der Moment des Erschaffens. Wenn sie ihr Werk beendet haben, wenn sie es der Welt der Dinge übergeben, sprich: wenn es fertig ist, interessiert sie dieses Werk nicht mehr. Es gehört zur DNA eines Künstlers, sich während des schöpferischen Akts einem Werk mit absoluter Hingabe zu widmen, es aber auch loszulassen, sobald es vollendet ist.«

Deshalb unterschrieb Guardiola beim FC Bayern nur für drei Jahre, und deshalb hat er auch bei Manchester City nur für drei Jahre unterschrieben. Unweigerlich fühlt man sich an den ungarischen Trainer Béla Guttmann erinnert, der zu seiner Zeit eine überraschende Meinung kundtat: »Die dritte Saison ist normalerweise ein Desaster.« Guttmann war Doktor der Psychologie und ein außergewöhnlicher Trainer, der Größen wie Puskás und Bozsik trainierte, mit dazu beitrug, in Brasilien das 4-2-4-System zu entwickeln (das den Einsatz einer falschen Neun vorsieht), mit Benfica Lissabon zweimal nacheinander den Europapokal der Landesmeister holte (später sollte er seinen berühmten Fluch aussprechen: »In 100 Jahren wird Benfica in Europa keinen Titel mehr gewinnen.«). Guttmann war der erste Trainer, der sich wegen seiner intensiven Art freiwillig kurze Trainerzyklen auferlegte. Wenn wir sein Persönlichkeitsprofil betrachten, erkennen wir Züge, die denen Guardiolas verblüffend ähneln: Guttmann war vor allem daran interessiert, Informationen aufzusaugen, Spieler kennenzulernen, das Beste aus jedem herauszuholen, zu reisen, sich neue Systeme anzueignen. Sein Leben war der Fußball.

Diese Wesensart verträgt sich nur schwer mit konventionellem Denken. Pep wollte sich noch nie irgendwo etablieren und so lange wie möglich halten. Ganz im Gegenteil: Er will reisen, entdecken, lernen. Er will frei sein. Seine vierte Saison bei Barça war eine zähe Angelegenheit. Er begriff, dass drei Jahre genügen, damit ein Team eine bestimmte Spielphilosophie erlernt, verbessert und perfektioniert; aber auch, dass nach drei Jahren eines so stark fordernden Modells die ersten Ermüdungserscheinungen auftreten. Guardiolas Stil sieht Behaglichkeit und Entspannung nicht vor, sondern basiert auf permanenter, detailbesessener Arbeit, sowohl des Trainers als auch der Spieler. Oder wie Xabi Alonso sagt: »Mit Pep und seinem Trainerteam zu arbeiten, ist wie ein Masterstudium im Turbogang zu absolvieren. Das heißt nicht nur, dass man hart arbeiten muss. Es heißt vor allem, dass man seine Ideen aufsaugt, weil er einen mikroskopisch feinen Blick für das hat, was man gelernt hat und was man noch verbessern muss. Dabei geht es nicht nur um Taktik, sondern um eine Art Philosophie. Man muss immer mit voller Aufmerksamkeit bei der Sache sein. Und man muss schnell im Kopf sein. Bei Bayern nehmen wir seine Idee inzwischen alle viel schneller auf.«

Diese Art zu arbeiten, bewirkt bei den Spielern große Fortschritte, führt aber auch schnell zu großem Verschleiß.

2.1. FÜR TXIKI UND SORIANO

Wenn eine Idee am Anfang nicht absurd klingt, dann gibt es keine Hoffnung für sie.

Albert Einstein

Warum Manchester City? Weil Txiki Begiristain und Ferran Soriano bei diesem Klub arbeiten und Pep ihnen vertraut, ganz einfach. Sie arbeiteten bereits in Barcelona bestens zusammen, das Vertrauen ist tief und gegenseitig. ManCity hat eine reichere Geschichte, als unsere kurzlebige Zeit suggeriert, aber diese Geschichte schränkt die Zukunft nicht ein. Guardiola kann arbeiten, ohne das Gefühl zu haben, erst gegen die Art ankämpfen zu müssen, wie die Dinge bislang gehandhabt wurden. City ist eine leere Leinwand, auf die er malen kann, was er will und wie er will. Die finanziellen Möglichkeiten des Klubs erlauben ihm, großartige Fußballer zu verpflichten, einen exzellenten Trainerstab aufzubauen und seine Ideen auch bei den Jugendmannschaften zu implementieren.

Peps Wahl bietet viele Vorteile: Er tritt seine dritte Trainerstation bei einem Verein an, bei dem noch alles neu riecht, vergangene Triumphe keine Last bedeuten, keine in Stein gemeißelten Muster zu durchbrechen sind und keine Spielerlegenden ständig vorschreiben wollen, welchen Weg das Team einschlagen soll. Die Herausforderung ist enorm, aber genau das macht den Job in Peps Augen so attraktiv.

Manchester City erreicht im Mai 2016 das Halbfinale der Champions League gegen Madrid, ein historischer Moment für den Klub. Das heißt aber noch lange nicht, dass ManCity nun zu den besten sechs Mannschaften Europas gehört, denn drei Klubs aus Spanien (Real Madrid, Barcelona und Atlético Madrid), zwei aus Deutschland (Bayern München und Borussia Dortmund) und einer aus Italien (Juventus Turin) sind fußballerisch nach wie vor besser. Gut möglich, dass dies in zehn Monaten ganz anders aussieht, aber im Frühjahr 2016 war das der Stand der Dinge. Man muss sich nur anhören, wie Khaldoon Al Mubarak, der Präsident von ManCity, im eigenen Klub-TV die vergangene Saison bewertet: »Wir müssen Manuel [Pellegrini] und seinem Team für ihre Leistung [der letzten drei Jahre] danken. Gleichzeitig können wir unsere Enttäuschung nicht verhehlen, vor allem über diese Saison. Wir hatten große Erwartungen. Gegen Real Madrid kann man verlieren, aber ich hätte das Gefühl haben müssen, dass wir hundert Prozent gegeben haben, und das haben wir nicht.«

Fassen wir die Gründe zusammen, die Pep bewogen haben, bei Manchester City zu unterschreiben, nachdem er sein Werk bei den Bayern für vollendet hielt:

 

Weil er eine neue Erfahrung machen will, indem er von einer anderen Fußballkultur lernt.

 

Weil ManCity ein fast unbeschriebenes Blatt ist.

 

Weil ManCity über genügend finanzielle Mittel verfügt, um eine große Mannschaft aufzubauen.

 

Weil Txiki und Soriano auf der gleichen Wellenlänge sind.

 

Weil es ihm die Gelegenheit bietet, ein fantastisches Erbe zu hinterlassen in Form einer »ManCity«-Sprache.

 

Aus welcher Perspektive man Guardiolas Wahl auch betrachtet: Sie hat Hand und Fuß. Der Lohn, den er erhalten wird, wenn sein Projekt gelingt, ist hoch, das Risiko aber auch. Sein Wunsch, zu lernen und die Komfortzone zu verlassen, ist lobenswert und wird ihm neue Erfahrungen ermöglichen, aber das heißt nicht, dass es einfach werden wird.

 

BACKSTAGE 2

EIN PERFEKTER PLAN

Rom, 21. Oktober 2014

Weil Thiago nicht zur Verfügung stand und Philipp Lahm und andere deutsche Spieler nach der WM 2014 noch nach ihrer Form suchten, setzte Guardiola David Alaba als Joker ein. Pep plante für seine Ligaspiele im September und Oktober und für das Auswärtsspiel gegen ZSKA Moskau in der Champions League ein Spielsystem mit Viererabwehrkette, dessen Gesamtausrichtung sich je nach Gegner verändern sollte. Im Allgemeinen ließ er ein 4-2-1-3 oder 4-2-3-1 spielen, aber er griff auch auf sein geliebtes 4-3-3 und sogar auf ein 3-3-4 zurück. Die entscheidende Figur, die es ihm erlauben würde, blitzschnell von einem System auf das andere umzuschalten, hieß David Alaba, der als Innenverteidiger, als linker Außenverteidiger, im zentralen und im linken äußeren Mittelfeld spielen sollte, je nach Erfordernis der Partie.

Vor dem Spiel gegen Rom hatte Bayern fünfmal in Folge gewonnen und immer besser gespielt. Das Mittelfeld harmonierte, unabhängig davon, wer um das Paar Xabi-Lahm (das gesetzte Rückgrat der Mannschaft) herum spielte, ob Götze, Højbjerg oder Alaba. Auch im Angriff wurden häufig die Positionen gewechselt, manchmal mit Bernat als linkem Außenstürmer, mal mit Götze oder Müller, der sich auch mit Robert Lewandowski im Sturmzentrum abwechselte; sogar Claudio Pizarro erhielt seine Chance. Robben war gesetzt, war ein Schlüsselspieler, der mit seinen Aktionen den Unterschied ausmachen konnte. Robben näherte sich seiner Bestform des vergangenen Frühjahrs und zeigte bei jeder Partie noch deutlicher, wie unersetzlich er war.

Pep ging die Partie gegen Rom besonders akribisch an. Deshalb verließen am Sonntag, 5. Oktober, nach dem 4:0 über Hannover 96, Manel Estiarte und Michael Reschke die Feier der Bayern auf dem Oktoberfest vorzeitig, um nach Turin zu fliegen, wo Juventus und der AS Rom ein wichtiges Spiel um die Vorherrschaft in der italienischen Liga bestritten. Es war eine raue Partie, mit drei Strafstößen, drei Platzverweisen, die Juventus mit Mühe gewann, durch einen Schuss von Bonucci in der letzten Minute. Die Roma zeigte eine gute Leistung und war zeitweise besser als die Heimmannschaft, aber die Niederlage nagte an der Moral der Hauptstädter. Für Guardiola war das eine entscheidende Erfahrung: Er studierte bis ins Detail, wie das Team von Rudi Garcia spielte, und begann einen Plan auszutüfteln, wie er es schlagen konnte. Auch wenn sich Pep die Gelegenheit nicht oft bietet: Seine zukünftigen Gegner beobachtet er gern live.

Beim Training am 20. Oktober an der Säbener Straße eröffnete Pep seinen Spielern seinen Plan für das Spiel am folgenden Tag im römischen Olympiastadion. Er ließ an der Spieleröffnung arbeiten, basierend auf einer Dreierkette, die von Xabi Alonso verstärkt wurde. Immer wieder. Eine klassische Trainingseinheit Guardiolas: Neuer oder Reina spielen den Ball zu einem der drei Verteidiger, der sich von theoretischen Gegnern bedrängt sieht und daher zu einem der drei Mitspieler passen muss, entweder zu einem der Verteidiger oder zu Xabi Alonso, der wiederum von Pizarro gedeckt wird, dem »virtuellen Totti«. Pep war klar, wie Rom spielen würde, also war ihm auch klar, wie er selbst spielen lassen wollte. Seine Ansprache am nächsten Tag war höchst interessant.

Am 21. Oktober um 18 Uhr zeigte Pep im Video, das Carles Planchart vorbereitet hatte, Tottis Position:

»Schaut mal, Jungs: Totti wird Xabi bewachen, aber das wird er nicht lang durchhalten. Du musst dir also keine großen Sorgen machen, Xabi. Totti wird nur in den ersten zehn Minuten Druck auf dich ausüben, danach hast du freie Hand. Wir werden mit einer Dreierkette spielen: Benatia rechts, Boateng in der Mitte, Alaba links. David, du verteidigst nur, wenn sie angreifen. Du musst vor allem auf den schnellen Gervinho aufpassen. Den Rest der Zeit bist du ein weiterer Mittelfeldspieler. Will heißen, wir spielen mit Dreierkette, aber der dritte Verteidiger ist Xabi, nicht Alaba, wie alle denken werden. Neben Xabi spielt Lahm als zweite Sechs. Philipp: Wenn sie Xabi kaltstellen, nimmst du das Heft in die Hand, du organisierst, du spielst den ersten Pass. Robben und Bernat, ihr besetzt die Außenbahnen. Die gesamten Außenbahnen, das heißt, ihr seid auch Außenstürmer. Arjen, wie letztes Jahr gegen Manchester, erinnerst du dich? Teil dir deine Kräfte gut ein, verausgab dich nicht zu früh. Du darfst ruhig angreifen, aber behalt auch im Blick, was hinter dir passiert, um notfalls in der Verteidigung auszuhelfen. Vorne spielt Götze als Mittelstürmer, aber leicht links versetzt. Müller und Lewandowski, bewegt euch, rotiert. Wirbelt so viel herum, dass die nicht wissen, wen sie decken müssen. Und spielt Pressing. Die Verteidiger mögen überhaupt nicht, wenn Druck auf sie ausgeübt wird, denen fällt es schwer, von hinten rauszuspielen, wenn sie angegangen werden, also immer drauf, lasst ihnen keine Zeit zum Atmen. Dann könnt ihr euch den Ball klauen und ihn reinmachen, wir werden heute viele Tore schießen.«

Der Plan war klar, aber Pep fügte noch etwas hinzu:

»Hört zu. Es wird Folgendes passieren. Die werden darauf vertrauen, dass Totti Xabi aus dem Spiel nimmt, aber das wird er nicht lange tun. Lahm wird ziemlich viele Freiheiten haben, und vor allem Alaba wird links für ein Übergewicht sorgen, weil sie ihn dort nicht erwarten, sie werden denken, als Innenverteidiger wird er nicht mit nach vorne gehen. Xabi passt den Ball problemlos ins Mittelfeld, und dann haben wir links eine erdrückende Überzahl, mit Bernat, mit Alaba, mit Götze, mit Lewandowski. Und Müller kann auch noch dazustoßen, wenn er sich von den Innenverteidigern davonstiehlt. Was wird passieren? Wir verlagern das komplette Spiel nach links, dann wissen die Verteidiger nicht mehr, um wen sie sich kümmern müssen. Rechts bleiben nur Lahm und Robben, sodass es den Anschein hat, dass wir dort nicht gefährlich werden können. Aber genau das werden wir sein! Ihr zieht alle nach links und brecht dann rechts durch. Dieses Loch werden sie nicht gestopft kriegen.«

Bayern fegte im Olympiastadion den Gegner regelrecht vom Platz. In knapp einer halben Stunde hatten sie die Heimmannschaft überrollt, die nach 35 Minuten schon 0:5 hinten lag. In den neun Spielen zuvor hatte der AS Rom nur vier Tore kassiert, und jetzt hatte es nur gut eine halbe Stunde gedauert, um sich fünf zu fangen. Rom zerbrach am hohen Druck der Bayern. Müller und Lewandowski hielten die gesamte römische Abwehr in Atem, und das Team von Rudi Garcia brachte den Ball nicht aus der Gefahrenzone, geschweige denn über die Mittellinie.

Robben war der Schlüssel, im Verbund mit dem von Totti alleingelassenen Xabi Alonso. Alles, was Pep vorausgesagt hatte, traf ein. Bayern spielte ein 3-1-4-2, das immer wieder zu einem 3-4-3 mutierte. Alaba tummelte sich im Mittelfeld, Xabi verteilte die Bälle, der Spielaufbau lief über links, wo sich Götze fantastisch zwischen den gegnerischen Verteidigungslinien bewegte; er und Lahm spielten immer wieder Bernat frei. Doch die eigentlich gefährlichen Aktionen fanden auf der anderen Seite statt, wo Robben lauerte, um Rom den endgültigen Genickschlag zu versetzen. Das vierte Tor des Niederländers in der 29. Minute war wie ein Paradebeispiel für das, was Pep angesprochen hatte, der sich mit beiden Händen an den Kopf griff, als Lewandowski mit einem großartigen Diagonalpass die römische Verteidigung durchschnitt und Robben angestürmt kam, um das Ergebnis zu erhöhen.

Schon im Jahr zuvor hatten die Bayern im Ethihad Stadium von Manchester ein Meisterwerk abgeliefert, in einer Partie, bei der das Rondo seine Apotheose erlebte, mit der legendären Passstafette von drei Minuten und 27 Sekunden. Und nun hatte die Mannschaft in der italienischen Hauptstadt, im süßen, sinnlichen Rom, erneut ein Kunstwerk geschaffen. Eine weitere magische Begegnung für die Videotheken dieser Welt.

Mit seiner direkten Art brachte es Thomas Müller auf den Punkt, als er aus der Dusche kam: »Guardiola hat uns ganz genau erklärt, wo die Roma ihre Schwächen hat.«

Am nächsten Tag isst Pep allein zu Abend. Cristina und die Kinder haben die Herbstferien genutzt und sind nach Barcelona gefahren, und auch die anderen Mitglieder des Trainerstabs haben familiäre Verpflichtungen. Er sieht sich die Partie Bayer Leverkusen gegen Zenit St. Petersburg (2:0) an, ist aber nicht ganz bei der Sache. Stattdessen denkt er darüber nach, was in Rom passiert ist, über dieses 7:1, über das Europas Fußballwelt staunt.

»Ich bin sehr zufrieden mit der Partie gestern. Wir spielen viel besser als letztes Jahr. Du hast ja die Positionswechsel gesehen, das war irre, tack tack tack. Die Jungs spielen fantastisch, müssen nicht mehr darüber nachdenken, wie sie sich bewegen müssen, finden überall freie Mitspieler. Xabi hat uns Leben eingehaucht, durch ihn hat sich das Gesicht der Mannschaft verändert, durch ihn konnten wir Rom unter Druck setzen und seine Schwachstellen ausnutzen.«

Pep schenkt sich ein Glas Weißwein ein.

»Ich lasse gern 3-4-3 spielen. Gestern habe ich es total genossen, dass wir 3-4-3 gespielt haben. Benatia hat den Außenstürmer auf der einen Seite angelaufen, Alaba den auf der anderen, und dazwischen hat Boateng alles abgeräumt, wodurch Xabi in der Mitte schalten und walten konnte, wie er wollte, und nebenbei Totti aus dem Spiel nahm. Lahm und Götze konnten sich frei zwischen den Linien bewegen. Es war ein Hochgenuss, die Jungs spielen zu sehen.«

Und über die Dreierkette:

»Als wir auf Viererkette umgeschaltet haben, erspielte sich Rom drei Chancen, weil wir die Kontrolle im Mittelfeld verloren haben. Eine Dreierkette ist sicherer als eine Viererkette!«

Auch David Alaba geht Guardiola durch den Kopf.

»Der Junge ist beeindruckend. Erst spielt er zentral, und dann verwandelt er sich plötzlich in einen linken Außenstürmer. Irgendwann endet er noch als Mittelstürmer. Aber dann denke ich: Lass ihn, soll er ruhig fliegen, du darfst ihm nicht die Flügel stutzen, du darfst einem Spieler keine Fesseln anlegen …«

3DEUTSCHLAND HAT PEP VERÄNDERT

Finde das, was du liebst, und lass dich davon töten.

Charles Bukowski

In Deutschland ist Guardiola im Eiltempo gereift. Seine Haupteigenschaften hat er beibehalten, aber andere hat er modifiziert und wieder andere neu entwickelt. Dies gilt für das Spiel selbst, dies gilt aber auch für ihn als Übungsleiter und als Mensch. Die deutsche Erfahrung hat ihn vorangebracht, hat einen besseren Trainer aus ihm gemacht, und diese neue Reife ist auch der Schlüssel zum Verständnis dafür, warum Pep die große Herausforderung Manchester angenommen hat.

Gehen wir zunächst von der Prämisse aus, dass sich sein Wesen nicht verändert hat. Pep ist weiterhin der geborene Wettkämpfer, der weder sich noch seinem Team eine Atempause gönnt: »Ich spiele nicht, um gut auszusehen, ich spiele, um zu gewinnen.«

Er ist so unruhig wie eh und je, ist nie ganz zufrieden mit seiner Arbeit. Weil er so selbstkritisch ist, sieht er immer kleine Fehler und Schwächen oder Gebiete, auf denen man etwas noch besser machen kann. Er ist nach wie vor detailbesessen; er ist ein Perfektionist und folglich immer obsessiv damit beschäftigt, etwas zu korrigieren. Für ihn steht die perfekte Partie immer noch aus. Er ist weiterhin Gefühlsmensch und Kopfmensch zugleich, wodurch er manchmal widersprüchlich wirkt, weil er diesen Gegensatz nicht immer richtig ausbalancieren kann. Manchmal zeigt er sich außerordentlich kalt, dann wieder außergewöhnlich emotional. Auch als Trainer ist er widersprüchlich: Er ist ein ergebnisorientierter Romantiker. Auch wenn nicht der geringste Zweifel besteht, dass der Pragmatiker in ihm die Oberhand behält, verliert er sein anderes Ziel nie aus den Augen: »Was wirklich zählt, sind die Gefühle, die wir bei den Leuten auslösen.«

Zwei der Eigenschaften, die sich bei Pep in seiner Münchner Zeit verändert haben, sind ebenfalls ein Widerspruch in sich: Zum einen hat er weiterhin vor jedem Gegner Angst, zum anderen ist er wesentlich mutiger geworden, vermutlich weil er durch das, was er gelernt hat, sein Waffenarsenal erweitert hat. Das Aufeinanderprallen zweier unterschiedlicher Fußballkulturen, der seinen und der deutschen, hat sich als produktiv erwiesen.

Paco Seirul•lo, der Direktor für Trainingsmethoden des FC Barcelona, erklärt, warum Menschen sich durch einen kulturellen Schock entwickeln: »Am Anfang kann es problematisch sein, aber langfristig ist es immer positiv, weil man weitere Elemente der Interaktion zu dem Set hinzufügt, das man unbewusst bereits hatte. Wir besitzen Spiegelneuronen, mittels derer wir nachahmen können, was andere tun, und je nachdem, wie sich der andere verhält, verhalte ich mich auch. Früher nannte man das Lernen durch Nachahmung, heute nennt man es eben Spiegelneuronen. Jedenfalls besitzen wir die Fähigkeit zur Nachahmung, aber diese Methode braucht Zeit. Wenn du siehst, dass deine Mitspieler den Ball, sobald sie ihn bekommen, nach vorne dreschen, dann denkst du, Fußball besteht darin, dass man einen Ball nach vorne drischt. Wenn du aber siehst, dass deine Mitspieler sich drehen, den Ball eng am Fuß führen, ihn dreimal berühren oder sich gegenseitig zuspielen, als wären sie neugierig, was dann passiert, dann kommst du zu dem Schluss, dass man den Ball nicht nach vorne dreschen soll, sondern ihn zwei oder drei Meter am Fuß führen und ihn dann zu jemandem passen kann, der die gleichen Trikotfarben hat wie du. Und wenn du dann noch siehst, dass jemand einen bestimmten Raum besetzt, um andere Spieler auf sich zu ziehen, damit du ihm zuspielen und er dir zurückpassen kann, und dann merkst du, dass du plötzlich mehr Raum für deine Aktionen hast, und schon wieder hast du was gelernt. Und während du diese Spielzüge übst, die eigentlich Beziehungsübungen sind, entsteht ein anderes Spielverständnis, ein besseres Spielverständnis, versteht sich.«

Nach seinem deutschen Abenteuer stehen Pep mehr Werkzeuge zur Verfügung, und er hat Gefallen an der Herausforderung gefunden. Erwähnt hatte ich bereits seine neue Widerstandsfähigkeit; und die Anpassungsfähigkeit als neues Element seiner Persönlichkeit. All dies hat ihn flexibler gemacht. Doch sein Markenzeichen ist nach wie vor: Leidenschaft, Leidenschaft, Leidenschaft.

 

LEIDENSCHAFT ODER ENERGIE

München, 19. April 2016

Bayern München hat gerade Werder Bremen aus dem DFB-Pokal geworfen und das Finale erreicht. Der Trainer wirkt ausgelaugt, was mich veranlasst, seinen engen Freund Manel Estiarte zu fragen, ob es nicht besser wäre, wenn Guardiola seine Energie besser einteilen würde, wenn er sich nicht so sehr verausgaben würde. Estiartes Antwort ist eindeutig.

»Bei der Gleichung aus Leidenschaft und Energie sollte er meiner Meinung nach nicht das Geringste ändern, selbst wenn dies wie jetzt dazu führen kann, dass er leer und erschöpft ist. Wenn er anfangen würde, Energie zu sparen, würde das auf Kosten der Leidenschaft gehen, und dann wäre er nicht mehr Pep. Nein, er kann und darf nichts ändern.«

 

Vier Eigenschaften sollte man näher beleuchten, weil sie sich in den drei Jahren in Deutschland verändert haben:

 

Die Konzentration auf die Arbeit

 

Der ideologische Eklektizismus

 

Das klare Urteilsvermögen

 

Die Innovationsfähigkeit

3.1. DIE KONZENTRATION AUF DIE ARBEIT

Dirigieren ist die Kunst zu wissen, wann man das Orchester nicht stören soll.

Herbert von Karajan

Zwei Dinge haben Pep Guardiolas Arbeitsethik geprägt: die Erziehung seiner Eltern und seine Einsicht, dass er über kein herausragendes Talent verfügt, was er durch eine erhöhte Anstrengung wettmachen muss.

Folgender Satz des spanischen Philosophen José Antonio Marina spiegelt Guardiolas Haltung gut wider: »Talent ist keine Gabe (Ding), sondern ein Prozess (Lernen), es steht nicht am Anfang, sondern am Ende von Erziehung und Training.«

Oder in Guardiolas Worten: »Was man nicht trainiert, vergisst man.« Folglich ist die Basis jeden Erfolgs Training und Arbeit. Wobei nicht so sehr die Quantität entscheidend ist, als vielmehr die Qualität, der Sinn: »Erst kommt die Idee, dann die physische Umsetzung.« Der Trainer vermittelt eine Idee über die Sprache, der Spieler nimmt sie durch wiederholtes, geleitetes und korrigiertes Üben auf. »Spieler müssen über das Training von einem taktischen Konzept überzeugt werden.« Eine Idee wird erst dann vollständig aufgenommen, wenn sie sich unter Wettbewerbsbedingungen bewährt. »Taktische Konzepte lernt man, indem man sie im Spiel anwendet. Denn real ist nur das Spiel.« Die Aneignung einer Spielphilosophie ist ein willentlicher Akt. Man kann nicht einfach nur mechanisch Aktionen wiederholen, man muss den Sinn jeder Aktion begreifen: »Das Training besteht darin, dass die Spieler Entscheidungen treffen«, definiert Guardiola. Es reicht nicht, etwas zu erklären und zu trainieren; man muss es am eigenen Leib erfahren haben. »Um etwas zu lernen, muss man es erleben. Es genügt nicht, dass jemand es einem erklärt. Um einen Fehler zu korrigieren, muss man erst einmal seine Folgen gespürt haben. Fehler und Niederlagen sind die wichtigsten Faktoren, um wahren Fortschritt zu erzielen.«

Wer solche Kriterien aufstellt, muss viel trainieren lassen. Doch wenn eine Spitzenmannschaft etwas nicht hat, dann ist es Zeit. Und wenn man keine Zeit hat, kann man sich auch nicht gut vorbereiten. »Es gibt keine Geheimformel. Wer gewinnen will, muss konzentriert sein, sich anstrengen und auf kleine Details achten«, sagt Steve Kerr, der Trainer der Golden State Warriors. Doch wie löst man dieses offensichtliche Dilemma, dieses Armdrücken zwischen Zeitmangel und der Notwendigkeit, an Details zu arbeiten? Indem der Trainer seinen Fokus neu ausrichtet. Indem er Zeit und Aufwand optimiert.

Paco Seirul•lo hat mir erklärt, wie diese Neuausrichtung des Fokus im Fall Guardiolas aussieht: »Früher gab es eine Partie pro Woche, also rund 50 Spiele pro Jahr. Heute spielt man zwei, wenn nicht drei Mal pro Woche und kommt im Jahr auf 70 Partien. Das schlaucht. Bei diesen Anforderungen kann ein Trainer nicht mehr bei jedem Training ›präsent‹ sein. Stattdessen muss er das nächste Spiel vorbereiten. Schon als Pep noch in Barcelona war, haben wir begonnen, die Prioritäten zu verschieben. Pep ›verschwindet‹ in Anführungszeichen unter der Woche, leitet das Training ohne größere emotionale Beteiligung, denn der Inhalt ist längst festgelegt und wird von anderen (dem Assistenztrainer, dem Fitnesstrainer, dem Videoanalysten) verfeinert. Er ist natürlich trotzdem anwesend in diesen anderthalb Stunden, leitet die Übungen an, korrigiert Fehler, aber wenn das Training beendet ist, wendet er sich sofort seiner eigentlichen Arbeit zu, und das ist die Vorbereitung des nächsten Spiels. Am Tag vor dem Spiel und am Tag des Spiels selbst fährt er das Stresslevel hoch, weil er den Spielern seine Analyse vermitteln und die Partie von der Seitenlinie coachen muss, doch an den restlichen Tagen ist er entspannter, sieht sich unzählige Partien der Gegner an. Er verwendet seine Energie nicht auf die Vorbereitung des Trainings. Diese Vorgehensweise hat er bei Barça entwickelt und bei Bayern perfektioniert. Und sie ist absolut notwendig bei einem Trainer, der im Jahr so viele Spiele leiten muss.«