Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ) - Doreen Bryant - E-Book

Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ) E-Book

Doreen Bryant

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Beschreibung

Im Rahmen von performativen Zugängen zu sprachlichem Lernen erhalten der sich bewegende Körper, das eigene ästhetische Wahrnehmen, Fühlen, Handeln und Erleben oder auch das kreativ-spielerische Gestalten, Darstellen, Inszenieren von Sprache zentrale Bedeutung. In den letzten Jahren rücken diese Aspekte auch im Bereich des Erwerbs von Deutsch als Zweitsprache (DaZ) verstärkt in den Blick und man entwickelt bzw. adaptiert performative Ansätze für verschiedene Lehr-/Lernkontexte und Zielgruppen. Das Lehr- und Praxisbuch präsentiert auf 461 Seiten nach kognitionspsychologischer und spracherwerbstheoretischer Verortung eine Reihe performativ-orientierter didaktischer Ansätze und illustriert diese mit konkreten Unterrichtsbeispielen. Das Buch richtet sich an Lehramtsstudierende und Referendare, an DaF/DaZ-Studierende sowie an Sprach- und Fachdidaktiker:innen und Lehrkräfte. Es kann als Seminarlektüre im Rahmen der DaZ-Ausbildung und als Begleiter fachdidaktischer Übungen genutzt werden; es eignet sich aber auch für das Selbststudium und als Inspirationsquelle.

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Doreen Bryant / Alexandra Lavinia Zepter

Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ)

Ein Lehr- und Praxisbuch

Prof. Dr. Doreen Bryant ist Inhaberin des Lehrstuhls für Germanistische Linguistik mit dem Schwerpunkt Deutsch als Zweitsprache an der Universität Tübingen. Ihre Lehr- und Forschungsinteressen liegen an den Schnittstellen von Sprachtheorie / Spracherwerbsforschung / Sprachdidaktik. Performative Sprachvermittlungsansätze stellen einen ihrer didaktischen Schwerpunkte dar.

 

Prof. Dr. Alexandra L. Zepter ist außerplanmäßige Professorin am Institut für Deutsche Sprache und Literatur II der Universität zu Köln. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Sprache und Körper bzw. sprachliches Lernen, Performativität und ästhetische Erfahrung, inklusive Sprachdidaktik sowie sprachsensibler Fachunterricht. In der Lehre bildet interdisziplinäres Forschendes Lernen einen weiteren Schwerpunkt.

Sofern nicht anders gekennzeichnet, liegen die Rechte an sämtlichen Abbildungen bei den Herausgeberinnen.

 

DOI: https://doi.org/10.24053/9783823395133

 

© 2022 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

ISSN 0941-8105

ISBN 978-3-8233-8513-4 (Print)

ISBN 978-3-8233-0342-8 (ePub)

Inhalt

VorwortZur Einführung in das Lehr- und PraxisbuchTeil I: Grundlagen1 Zum Begriff der Performativität1.1 Wortverwandtschaften und Bedeutungsvarianten1.2 Performativität und Performanz in der Sprachwissenschaft1.3 Performativität im Kontext von Kunst- und Theatertheorien1.4 Zwischenfazit: zwei Bedeutungsvarianten von performativ und Performativität1.5 Performativität in Pädagogik, Deutschdidaktik und theaterpädagogisch orientierter Fremdsprachendidaktik1.6 Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ)2 Kognitionstheoretische Grundlagen2.1 Einblicke in Embodiment-Theorien2.2 Sprache und Körper: Embodied Cognition und Sprachverarbeitung2.3 Sprachverarbeitung und körperliche Erfahrungsspuren: Evidenz durch Reaktionszeitexperimente2.4 Fazit3 Spracherwerbstheoretische Grundlagen3.1 Spracherwerbsszenarien3.2 Gebrauchsbasierte (usage-based) Spracherwerbskonzeption3.3 Zur Rolle von Chunks beim Sprachgebrauch und im Spracherwerb (L1 und L2)3.4 Explizites Wissen – implizite Fertigkeiten3.5 Zur Relevanz von Input, Output und Interaktion im L2-Erwerb3.6 Didaktische Implikationen4 Sprachdidaktische Grundlagen4.1 Kompetenzorientierung4.2 Taskorientierung4.3 Kontext- und ProgressionsorientierungTeil II: Performative ZugängeIm Fokus: Mediale MündlichkeitIm Fokus: Mediale SchriftlichkeitIm Fokus: Wortgestalt, Rhythmus und MusikIm Fokus: Bewegen und HandelnIm Fokus: Dramapädagogische Grammatikvermittlung22 LiteraturAutorinnen und AutorenRegister

Vorwort

Dieses Buch zu schreiben, war uns ein ganz besonderes Anliegen. Die Umsetzung hat uns unsagbar viel Freude bereitet, aber sie wäre nicht möglich gewesen ohne die Unterstützung vieler weiterer Menschen. Wir danken von Herzen unseren Gastautor:innen, die sich dem Projekt mit großem Enthusiasmus angeschlossen und – aus unserer Sicht – wunderbare Beiträge zu Teil II des Lehr-/Praxisbuches verfasst haben. Wie danken Amelie Eisinger für ihren schier unermüdlichen Einsatz beim Test- und Korrekturlesen sowie Slavica Stevanovic und Eva-Larissa Maiberger für das kritische Lesen einzelner Kapitel. Bei Eva-Larissa Maiberger bedanken wir uns zudem für das Verfassen ausgewiesener Abschnitte in Kapitel 3. Ein großer Dank geht auch an Birla Erhard für ihre phänomenalen Illustrationen und ihre Flexibilität, diese auch unter großem Zeitdruck mit uns zu entwickeln. Ebenso danken wir David Zepter für das Geschenk einer sehr besonderen Abbildung, Annika Cueppers für ihre grafischen Entwürfe zu zwei Inszenierungstechniken, Gianmarco Amato, Sarah Unger und Lisa Vix für ihre Unterstützung bei der Erstellung einzelner Materialien. Nicht zuletzt geht unser tiefgreifender Dank an den Narr Verlag und an Kathrin Heyng für ihre umsichtige Begleitung des Projekts und ihre Flexibilität, in jeder Lage mit uns eine Lösung zu finden.

 

Wir widmen dieses Buch Jürgen Kaltenbach und Philipp Zepter, die das Projekt von Beginn an mit großem Interesse verfolgt, auf zahlreiche gemeinsame Sonntage verzichtet und uns fortwährend mit enormem Engagement und positiver Energie unterstützt haben.

 

Au im Bregenzer Wald (Österreich), Neujahrsretreat 2022

Doreen Bryant und Alexandra L. Zepter

Zur Einführung in das Lehr- und Praxisbuch

Im Rahmen von performativen Zugängen zu sprachlichem Lernen erhalten der sich bewegende Körper, das eigene ästhetische Wahrnehmen, Fühlen, Handeln und Erleben oder auch das kreativ-spielerische Gestalten, Darstellen, Inszenieren von Sprache zentrale Bedeutung. In den letzten Jahren rücken diese Aspekte auch im Bereich des Erwerbs von Deutsch als Zweitsprache und Sprachbildung im Unterricht vermehrt in den Blick.

Sondiert man allein nur die jüngst erschienene Literatur zu den verschiedenen Facetten des ästhetischen und performativen Lernens im DaZ-/DaF-Unterricht sowie im sprachheterogenen inklusiven Unterricht, wird schnell deutlich, wie groß das Interesse an dem Thema ist. Moraitis et al. (2018) stellen z. B. bei einem Fokus auf kulturelle Bildung ein breites Spektrum an Projektberichten zur Sprachförderung durch kulturelles und ästhetisches Lernen vor. Ein ‚Varieté der Vielfalt‘ entfalten auch Mayer, Geist & Krapf (2018), wenn sie ästhetisches Lernen in Sprache, Spiel, Bewegung und Kunst ausloten. Von Sambanis & Walter (2019) werden, u.a. neurodidaktisch perspektiviert, diverse Theaterimpulse zum Sprachenlernen dargelegt. Einen weiten Fächer unterschiedlicher performativer Zugänge in der Sprach-, Literatur- und Kulturdidaktik diskutieren auch Even, Miladinović & Schmenk (2019). 2020 widmet die Zeitschrift Fremdsprache Deutsch gar ein eigenes Themenheft der „Performative[n] Didaktik“ (Heft Nr. 62); und Dorner-Pau (2021) legt eine Monographie vor, die auf performative Verfahren zur Förderung von Kompetenzen des Beschreibens in sprachlich heterogenen Grundschulklassen fokussiert. Als besonders einschlägig hat sich nicht zuletzt Bernstein & Lerchners Band „Ästhetisches Lernen im DaF-/ DaZ-Unterricht. Literatur – Theater – Bildende Kunst – Musik – Film“ (2014, in der Reihe Materialien Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (MatDaF)) erwiesen; deklariert ihn doch der Fachverband Deutsch als Fremdsprache in seinem Rechenschaftsbericht 2020/21 als den absoluten Spitzenreiter im Feld der rezipierten Bände.

Wir können nicht alle impulsträchtigen Werke nennen, alles in allem ist jedoch herauszustreichen: Umfang und Ausstrahlung der Publikationen zeigen, dass die Thematik ästhetischen und performativen Zweitsprachenlernens in der DaF-/DaZ-Didaktik keine flüchtige Modeerscheinung ist, sondern sich im deutschdidaktischen Ringen um die Frage, wie Zweit- und Fremdsprachenunterricht für die Lernenden optimal zu gestalten ist, als eine besonders erfolgversprechende Perspektive erweist.

Vor diesem Hintergrund verorten wir uns und führen mit diesem Lehr-/Praxisbuch in unterschiedlichen Kontexten entstandene performativ orientierte didaktische Ansätze und methodische Zugriffe zusammen und zeigen für sie, wie sie sich kognitions­psychologisch, (zweit-)sprachenerwerbs­theoretisch sowie zweit- und fremdsprachendidaktisch fundieren lassen. Illustriert werden die performativen Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache zudem in insgesamt siebzehn Kapiteln durch praktische Beispiele für Unterrichts­stunden, -reihen oder -projekte.

Wir verstehen dieses Praxis- und Lehrbuch als Angebot, den DaZ-Unterricht durch eine weitere Perspektive zu bereichern. Performative Zugänge können für die Gestaltung ganzer Unterrichtsreihen genutzt werden, aber ebenso gewinnbringend kann es sein, Unterricht je nach Bedarf durch ein einzelnes oder wenige niederschwellige performative Elemente aufzulockern.

 

Ziele und Zielgruppen

Das praxisbezogene Lehrbuch richtet sich an Lehramtsstudierende und Referen­dare, an DaZ-/ DaF-Studierende sowie an Sprach- und Fachdidak­tiker:in­nen und Lehrkräfte, die sich Einblicke in die Thematik des performativen Lehrens und Lernens wünschen. Das Buch kann als Seminarlektüre im Rahmen der (hochschulischen) DaZ-Ausbildung und als Begleiter fachdidaktischer Übungen genutzt werden; es eignet sich aber auch ebenso gut für das Selbststudium und als Inspirationsquelle, performative Elemente in den eigenen Unterricht zu integrieren.

Zielgruppe der im Lehrbuch vorgestellten didaktischen Konzepte und Methoden sind Schüler:innen, die ihren Erstkontakt mit der deutschen Sprache erst im Schulalter hatten, ebenso Schüler:innen mit nicht-deutscher Erstsprache, die in Deutschland aufgewachsen sind, aber in dem einen oder anderen sprachlichen Bereich Unterstützungsbedarf haben. Alle thematisierten Zugänge sind (obgleich mit einer Beispielstunde/Unterrichtssequenz für eine bestimmte Zielgruppe und einen bestimmten Kontext konkretisiert) mit entsprechenden Modifizierungen grundsätzlich in verschiedenen Unterrichts- und Sprachförderkontexten anwendbar:

im außerschulischen DaZ-/DaF-Unterricht,

in Vorbereitungs- bzw. Willkommensklassen,

im fachsensiblen Sprachunterricht,

in der additiven Sprachförderung,

im Deutschunterricht,

in einem parallel zum Deutschunterricht stattfindenden Unterricht ‚Deutsch im Mehrsprachigkeitskontext (DiM)‘, der auf spezifische, mehrsprachigkeitsbedingte Schwierigkeiten gezielt einzugehen vermag,

im sprachsensiblen Fachunterricht sowie im Rahmen fachübergreifender Unterrichtskooperationen (z. B. Deutsch – Geografie, s. Kap. 7; Deutsch – Musik, s. Kap. 13; Deutsch – Sport, s. Kap. 14) und

in schulischen bzw. außerschulischen Projekten (z. B. Theatercamps, s. Kap. 20).

Aufbau

Das Buch umfasst zwei Hauptteile: Teil I fokussiert auf die theoretische Fundierung und führt die Leser:innen in vier themenrelevante Grundlagenbereiche ein. Kapitel 1 gibt zunächst Einblick in den Begriff der Performativität und legt dar, was im Rahmen dieses Lehrbuches unter ‚performativen Zugängen zu Deutsch als Zweitsprache‘ zu verstehen ist. Die folgenden drei Kapitel führen von den kognitionspsychologischen Grundlagen eines performativ orientierten Sprachenunterrichts (Kapitel 2) über die spracherwerbstheoretische Basis (Kapitel 3) zu einer sprachdidaktischen Verortung (Kapitel 4).

Vor diesem Hintergrund stellt Teil II die exemplarische Auswahl von fünfzehn performativen Zugängen thematisch geordnet in vier Rubriken vor. Jede Rubrik setzt einen anderen Schwerpunkt, was jedoch nicht kategorisch zu verstehen ist, da alle Lehr-Lern-Bereiche und thematisierten Dimensionen letztlich ineinandergreifen.

Die Denklinie setzt an bei den klassischen Kompetenzbereichen des Sprechens und Zuhörens (Rubrik der ‚Medialen Mündlichkeit‘; Kap. 5–7) sowie des Lesens und Schreibens (Rubrik der ‚Medialen Schriftlichkeit‘; Kap. 8–10) und adressiert in diesem Rahmen jeweils drei verschiedene performative Zugänge – zum Miteinandersprechen, zum mündlichen Erzählen und Debattieren; zum Vorlesen, zum generativen und szenischen Schreiben.

Insofern sprachliches Lernen notwendig mündliche und/oder schriftliche Kommunikation erfordert und in diesem Sinne stets auch mit einem Lernen in diesen Bereichen einhergeht, bedeuten die folgenden Rubriken keine Abkehr von diesen Kompetenzdimensionen. Sie setzen nur jeweils einen anderen Fokus und bringen damit besondere didaktische Akzente mit ein, welche sich aus einer performativen Perspektive auf zweitsprachliches Lernen ergeben. Mit der Rubrik ‚Wortgestalt, Rhythmus und Musik‘ (Kap. 11–13) rücken dabei vorrangig morphologische, prosodische und phonetisch-phonologische Aspekte des Deutschen als Lerngegenstände in den Blick. Die Rubrik ‚Bewegen und Handeln‘ (Kap. 14–16) systematisiert und fokussiert die performativen Potenziale von sowohl bewegungsbasiertem als auch handlungsorientiertem Zweitsprachenunterricht, illustriert an unterschiedlichen morpho-syntaktischen, semantischen bzw. grammatischen Lerngegenständen. Final werden performative Zugänge zu grammatischem Lernen mit der Rubrik ‚Dramapädagogische Grammatikvermittlung‘ (Kap. 17–21) noch einmal in besonderer Weise dramagrammatisch perspektiviert.

Übergreifend zielt die Konzeption von Teil II darauf ab, einen möglichst breiten Fächer an Methodenvielfalt, die eine performativ orientierte Zweitsprachendidaktik bereithält, abzubilden. Ebenso wird die Vielfalt der Zielgruppen durch konkrete Unterrichtsbeispiele angesprochen, welche in Bezug auf die adressierte Altersstufe vom Beginn der Primarstufe bis zur Berufsvorbereitung reichen und querliegend die Förderung auf unterschiedlichen Sprachniveaus ansetzen lässt. Generell kann der jeweilige Fokus weitergedacht werden für andere Altersstufen und Kompetenzstände. Auch mit Blick auf das Spektrum möglicher Unterstützungsgrade von Scaffolding bis sprachlicher Improvisation finden sich in Teil II sowohl konkrete Beispiele für performative Ansätze, die stärker ein gesteuertes Sprachlernen realisieren, als auch für Zugänge, die Freiraum und Inseln für kreative Erfahrungen in der Zweitsprache schaffen.

Grundsätzlich sprechen wir uns mit diesem Lehrbuch dafür aus, (sprachliche) Heterogenität im Unterricht zu begrüßen und Diversität als Bereicherung zu erleben – eine Bereicherung, die allerdings auch das Desiderat einer Vielfalt von Lernzugängen aufruft. Die in diesem Lehr-/Praxisbuch präsentierten performativen Zugänge konsolidieren ebendiesen Weg zu einer binnendifferenzierenden Lernzugangsvielfalt und scheinen uns in diesem Rahmen auch wegweisend im Kontext von Inklusion bzw. für inklusiv gestaltete Lehr-Lern-Settings.

 

Hinweise für die Nutzung

Teil I bildet das theoretische Fundament für Teil II; Teil II ist jedoch im Prinzip auch ohne vorherige Lektüre von Teil I zu verstehen. Themenspezifisch relevante Konzepte werden in den Kapiteln jeweils direkt erläutert bzw. bei allgemeinen Grundlagen Verweise auf Teil I gelegt. Je nach Wunsch und Bedarf kann man in diesem Sinne auch direkt in Teil II eintauchen und die Lektüre von Teil I später anschließen bzw. nachholen.

Wer sich einen schnellen Überblick verschaffen möchte, dem seien die einleitenden Abstracts zu den Rubriken und Kapiteln empfohlen. In der narr eLibrary finden sich alle in Teil II vorgestellten Beispielstunden/Unterrichtssequenzen zusätzlich in einer tabellarisch organisierten Zusammenschau.

In beiden Teilen nutzen wir zur Visualisierung strukturgebender Elemente verschiedene Icons, die im Folgenden kurz erklärt werden.

 

Aktivierung

Jedes Grundlagenkapitel von Teil I und jede Rubrik von Teil II beginnt mit einer Aktivierung, bestehend aus unterschiedlichen Aufgaben, um auf das jeweilige Thema einzustimmen und bereits vorhandenes Wissen zu mobilisieren.

 

Erklär-Kasten

Grundlegende Konzepte, Theorien oder Modelle, die für das Verständnis wesentlich sind, werden abgehoben vom Fließtext in Erklär-Kästen erläutert. Ein Erklär-Kasten dient der ersten Einführung in die relevanten Zusammenhänge und schafft Orientierung für die theoretische Einordnung.

 

Aufgaben

* Reproduktion

** Anwendung

*** Vertiefung

 

Am Ende eines jeden Kapitels finden sich Aufgaben mit unterschiedlichem Anspruch und Schwierigkeitsgrad – zu erkennen an der Anzahl der Sterne. Aufgaben, die überprüfen, ob ausgewählte Inhalte des gelesenen Kapitels wiedergegeben werden können, sind mit einem Stern versehen. Aufgaben, die das Gelesene anwenden lassen oder zur Reflexion darüber anregen, sind mit zwei Sternen ausgewiesen. Die besonders anspruchsvollen, mit drei Sternen markierten Aufgaben beinhalten in der Regel zusätzliche Lektürehinweise, um das zuvor Gelesene zu vertiefen und in einen größeren Forschungskontext einzubetten oder um komplexe Problemstellungen zu bearbeiten. Aufgrund der (jedem Kapitel folgenden) Aufgaben in unterschiedlichen Niveaustufen eignet sich das Lehrbuch neben dem Selbststudium auch gut für den Einsatz in heterogenen Seminargruppen. Zusammen mit den Beispielstunden mögen die Aufgaben auch als Inspirationsquelle für den eigenen Unterricht oder für Praxisbausteine im Rahmen von Aus- und Fortbildungsangeboten dienen.

 

Vertiefende Literatur

Alle in den jeweiligen Kapiteln zitierten Quellen finden sich gesammelt im Literaturverzeichnis am Ende des Lehr-/Praxisbuches. Wird in einem Kapitel zusätzlich im Text nicht aufgeführte Literatur zur vertiefenden Lektüre empfohlen, so wird diese am Kapitelende unter dem Icon für vertiefende Literatur aufgeführt. Manche Kapitel stellen darüber hinaus für die Beispielstunden eigens angefertigte Materialvorlagen zur Verfügung. Diese stehen in der narr eLibrary zum Download bereit. Jedes Zusatzmaterial ist im Buch mit einem eindeutigen Hinweis am Seitenrand und einer Zusatzmaterialien-ID gekennzeichnet. Im eBook genügt ein Klick auf die ID, um auf das Material zuzugreifen. Käufer:innen des gedruckten Buchs erhalten mit ihrem Gutscheincode auf der zweiten Umschlagseite kostenfreien Zugriff auf das eBook und die Zusatzmaterialien zum Buch (siehe Hinweise dort zum genauen Prozedere).

 

Abschließend sei hervorgehoben: Unser vorrangiges Anliegen ist es, ein Lehr-/Praxisbuch bereitzustellen, mit dem sich in hochschulischen Seminaren, im Referendariat oder in Fortbildungen auf vielfältige Weise arbeiten lässt: So steht es den Rezipierenden zur Wahl, verschiedene Schwerpunkte herauszugreifen, Praxis zu simulieren, Anleitungen (in Auszügen) zu erproben und zu adaptieren bzw. für eigene Kontexte weiterzuentwickeln. Für all dies hoffen wir, viele Anregungen geben zu können, und wünschen allen Leser:innen vor allem viel Freude und neue Entdeckungen bei der Lektüre.

 

Eine Anmerkung zum Schluss:

Wir bemühen uns um gendersensible Sprache. Nur bei pronominalen/referenziellen Bezügen (jede Schülerin/jeder Schüler, die/der … ihre/seine … etc.) verzichten wir aus Gründen der Lesbarkeit auf die Nennung beider Genusformen. Stattdessen versuchen wir, in ausgeglichener Weise mal die eine, mal die andere Form zu verwenden. Gemeint sind dann stets alle möglichen Geschlechtsidentitäten.

Teil I: Grundlagen

1Zum Begriff der PerformativitätPerformativität

In diesem Lehr- und Praxisbuch stehen performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ) im Mittelpunkt. Was ist genau unter einem performativen Zugang zu verstehen? Was bedeutet performativ? Was hat performativ mit Performanz zu tun und woher stammen die Begriffe? In diesem Kapitel gehen wir diesen Fragen nach und beleuchten verschiedene begriffliche Facetten und Verwendungskontexte.

Aktivierung

Haben Sie den Begriff performativperformativ schon einmal gehört? Wenn ja, in welchem Kontext? Wenn nicht, kennen Sie ähnlich lautende Begriffe? Welche Assoziationen und Ideen haben Sie dazu, was performativ bedeuten könnte? Fertigen Sie auf der Basis Ihrer Überlegungen eine kleine Mindmap an:

Das Kapitel wird zeigen, dass sich verschiedene Forscher:innen, z. T. aus unterschiedlichen Fachperspektiven, mit den Begriffen performativ, Performativität und PerformanzPerformanz beschäftigt haben. Recherchieren Sie dazu im Vorfeld:

Wer sind Noam Chomsky, Ferdinand de Saussure, John L. Austin, John R. Searle, Erika Fischer-Lichte? Wann haben sie gelebt bzw. wann sind sie geboren? Fertigen Sie eine Zeitlinie an.

Welchen wissenschaftlichen Fachdisziplinen gehören die Fünf jeweils an und welcher Name fällt in Bezug auf die Disziplinzugehörigkeit aus dieser Reihe heraus?

1.1Wortverwandtschaften und Bedeutungsvarianten

Was tun, wenn man die Bedeutung eines Begriffs nicht kennt? Man schlägt im Fremdwörterduden oder in einem etymologischen Wörterbuch (zur sprachlichen Herkunft von Wörtern) nach. Interessanterweise findet sich in Ersterem, dem großen Duden-Fremdwörterbuch, kein eigener Eintrag für Performativität. Unter dem englisch-amerikanischen Stichwort ‚Performance‘ entdeckt man aber performativ. Der Blick ins etymologische Wörterbuch von Kluge (1999) verrät, dass das Adjektiv performativ aus dem Englischen entlehnt und aus dem Verb to performperform (‚ausführen‘) abgeleitet ist.

Abb. 1.1:

Duden. Das große Fremdwörterbuch (2003: 1019)

 

Abb. 1.2:

Kluge – etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache (1999: 621)

Sichtet man zusätzlich ein englisches Lexikon, z. B. das Pons-Großwörterbuch, finden sich für das Verb to perfom die Übersetzungen ‚etwas vorführen‘, ‚etwas verrichten‘, ‚etwas durchführen‘ (ein Experiment, eine Operation), ‚etwas (eine Zeremonie, ein Ritual) vollziehen‘. How did she perform? wird mit ‚Wie war sie?‘ übersetzt und bezieht sich dann auf das Tun bzw. Handeln (do, act) der Person (Pons 2002: 649).

Aus dem englischen Verbstamm perform gehen neben der Adjektivbildung performativ auch die im Deutschen verwendeten Substantivierungen Performance, Performanz und Performer hervor. Wie dem Fremdwörterbuch zu entnehmen ist (Abb. 1.1), werden Performance und (die in Aussprache und Schreibung dem Deutschen angepasste Form) Performanz unterschiedlich verwendet. Performanceperformance und Performanz sind also keineswegs in allen Verwendungskontexten austauschbar.

Die folgende Abbildung 1.3 bietet ausgehend vom Verb to perform eine erste Systematisierung der miteinander verwandten Wörter. Allen gemeinsam ist der Stamm perform:

Abb. 1.3:

Wortverwandtschaften mit dem Stamm perform und Bedeutungsvarianten

Sowohl beim Verb selbst als auch bei den Ableitungen sehen wir eine Reihe von Bedeutungs­varianten. Bei dieser lexikalischen Mehrdeutigkeit (fachsprachlich auch: AmbiguitätAmbiguität) handelt es sich um PolysemiePolysemie, abzugrenzen von HomonymieHomonymie.

Lexikalische Mehrdeutigkeitlexikalische Mehrdeutigkeit

Von lexikalischer Mehrdeutigkeit (Ambiguität) spricht man, wenn Ausdrücke mit derselben Laut- und/oder Schriftform mehr als eine lexikalische Bedeutung aufweisen (Löbner 2003: 58). Es gilt zwei Arten lexikalischer Mehrdeutigkeit zu unterscheiden: die eher selten anzutreffende Homonymie und die für den lexikalischen Bestand einer Sprache typische Polysemie.

 

Bei Homonymie handelt es sich „um Lexeme mit verschiedenen Bedeutungen, die zufällig dieselbe Form haben“ und die verschiedenen Ursprungs sind (ebd.: 58-59).

Zum Beispiel Ton → der Ton als akustisch wahrnehmbare Schwingung

der Luft vs. der Ton als formbares Bodenmaterial.

 

Von Polysemie spricht man, „wenn ein Lexem ein Spektrum von zusammenhängenden Bedeutungsvarianten hat“ (ebd.: 58), „denen ein gemeinsamer Bedeutungskern zugrunde liegt“ (Bußmann 2002: 524).

Zum Beispiel Ton → der Ton als akustisch wahrnehmbare Schwingung der Luft; als Klang; als Betonung/Akzent; als Rede-, Sprech-, Schreibweise (Tonfall); …

Welche Grundbedeutung, welcher Bedeutungskern ist nun aber in den Bedeutungsvarianten (etwas ausführen, etwas durchführen, etwas aufführen, …) des allen Ableitungen zugrundeliegenden Verbs to perform zu erkennen? Als allen Varianten gemein lässt sich die Bedeutung ‚etwas zielgerichtet tun‘ identifizieren (siehe Abb. 1.3). Damit gleicht der Bedeutungskern von perform der Definition von handeln in Abgrenzung zu tun (vgl. zum Handlungsbegriff auch Kapitel 15 in diesem Lehrbuch).

TunTun und HandelnHandeln

In unserem alltäglichen Sprachgebrauch unterscheiden wir oft nicht zwischen tun und handeln. So wird tun häufig auch als das Ausführen einer Handlung verstanden. U. a. in der Philosophie bemüht man sich jedoch um eine genauere Definition der Begriffe handeln und HandlungHandlung (Prechtl & Burkard 2008: 230f.):

Philosophisch betrachtet, lässt sich Handeln als jedes zielgerichtete Tun des Menschen begreifen. Das Ziel muss nicht notwendig ein (aus der Handlung hervorgehendes) Produkt oder Werk sein, sondern kann auch im Vollzug selbst liegen. Aus psychologischer Perspektive zeichnet sich eine Handlung (in Abgrenzung zu anderen Tätigkeiten) zudem dadurch aus, dass die Aktivität bewusst eingesetzt wird, um das anvisierte Ziel zu erreichen (Aebli 2006: 182).

Man betrachte zum Beispiel die Handlung des Schreibens, bei der unterschiedliche Ziele im Fokus stehen können. Geht es darum, einen Text zu schreiben, z. B. einen Brief, so ist das Ziel der Schreibhandlung ein Textprodukt, das aus der Handlung des Schreibens hervorgeht. Sollen dagegen, z. B. im Anfangsunterricht der Primarstufe, die motorischen Abläufe beim Handschreiben geübt werden, so liegt das Ziel der Schreibhandlung im Vollzug selbst.

Das Beispiel des Schreibens macht auch deutlich, dass – auch wenn das Tun notwendig zielgerichtet sein muss, um als Handeln zu gelten – die Absichten der Person, die handelt, vielfältig und in sich komplex sein können. Ich kann z. B. die Handlung des Briefschreibens ausführen und mein Ziel kann der fertige Brief sein, den ich an meine Freundin schicken möchte. Gleichzeitig kann ich mit dem Briefschreiben jedoch auch die Absicht verbinden, meine Gedanken und meine Gefühle zu klären und für mich selbst genauer zu verstehen, warum mich ein bestimmtes Erlebnis, von dem ich meiner Freundin im Brief berichte, traurig oder wütend gemacht hat. Auch hier liegt das Ziel im Vollzug selbst.

Angesichts des gemeinsamen Bedeutungskerns eines zielgerichteten Tuns überrascht es, dass in allen aufgeführten Wörterbüchern bei den perform-Einträgen handeln, das Handeln und die Handlung nahezu keine Erwähnung finden. Diese Beobachtung löst noch mehr Erstaunen aus, wenn wir uns den Verwendungen von performativ in den Diskursen der Fremdsprachen- und Zweitsprachendidaktik zuwenden und dort entdecken, dass performative Methoden in der Regel als handlungsorientiert definiert werden.

Den aufmerksamen Lesenden wird jedoch auch nicht entgangen sein, dass Handlung zumindest an einer Stelle im Fremdwörterduden (Abb. 1.1) auftaucht. Dort wird performativ als ein Fachbegriff aus der Sprachwissenschaft ausgewiesen – als „eine mit einer sprachlichen Äußerung beschriebene Handlung zugleich vollziehend, z. B. ich gratuliere dir“. Was ist darunter genau zu verstehen? Und ist performativ ausschließlich ein sprachwissenschaftlicher Fachbegriff?

Eine weiterführende Recherche fördert zu Tage, dass der Handlungsbegriff für die begriffliche Bestimmung von performativ nicht nur in der Sprachwissenschaft, sondern auch in zahlreichen anderen Fachdiskursen zentral ist – und dass überdies erst in diesen anderen Fachdiskursen der Begriff Performativität thematisiert und diskutiert wird, dessen Bedeutung in unserer Systematisierung in Abb. 1.3 noch einen blinden Fleck darstellt.

In den verschiedenen Fachdiskursen werden performativ und Performativität jedoch z. T. mit unterschiedlicher Bedeutung verwendet, ein übergreifend einheitliches Begriffsverständnis gibt es nicht. So gesteht u.a. auch Hudelist (2017: 9) in einem Beitrag zu „Performanz, Performativität und Performance“ bereits in seinem Beitragstitel ein, dass ihm nur eine „unvollständige Rekonstruktion“ der Begriffe gelingen kann. In seiner Darlegung weist er zudem darauf hin, dass die „Anwendungsgebiete […] sehr vielfältig [sind] und […] verschiedene Disziplinen [betreffen]. Daraus resultieren manchmal unterschiedliche Verwendungen bzw. Verständnisse der Begriffe“ (ebd.).

In einen direkten Bezug zu Performativität setzt Hudelist den Begriff der Performanz, dessen Mehrdeutigkeit ebenfalls breit gefächert ist. Nach Wirth (2002: 9) geben „auf die Frage, was der Begriff Performanz eigentlich bedeutet, […] Sprachphilosophen und Linguisten einerseits, Theaterwissenschaftler, Rezeptionsästhetiker, Ethnologen oder Medienwissenschaftler andererseits sehr verschiedene Antworten“.

Herausfordernd ist diese Mehrdeutigkeit nicht zuletzt deshalb, weil u.a. in den Kulturwissenschaften die mit den Begriffen Performanz und Performativität verbundenen Denkanstöße großen Einfluss genommen haben; ja, in den 1990er Jahren gar zu einem performative turn führten (vgl. Hudelist 2017: 16).

Einzugestehen ist an dieser Stelle, dass das bis hierhin skizzierte Begriffsbild noch keineswegs zufriedenstellend ist. Einerseits erscheint es unvollständig (es fehlt trotz Konsultation der Wörterbücher die Bedeutung für Performativität) und andererseits in Anbetracht der Bedeutungsvarianten und unterschiedlicher Verwendungskontexte auch verwirrend. Wir bitten die Lesenden an dieser Stelle um etwas Geduld und versprechen in Abschnitt 1.4 mehr Transparenz zu schaffen. Zuvor laden wir dazu ein, in zwei Fachdiskurse einzutauchen, um den dortigen Verwendungsweisen der Begriffe nachzuspüren. Abschnitt 1.2 führt uns zunächst in die Sprachwissenschaft, in der das Attribut performativ in Anwendung auf sprachliche Äußerungen historisch zum ersten Mal definiert und diskutiert wurde. Dem sprachwissenschaftlichen Verständnis von Performanz und Performativität stellen wir in Abschnitt 1.3 eine kunst- bzw. theatertheoretische Perspektive auf Performance und Performativität gegenüber. Nach dem klärenden Zwischenfazit von 1.4 zur Systematisierung der Begrifflichkeiten in den beiden ausgewählten Fachdiskursen entwickeln wir darauf aufbauend in Abschnitt 1.5 eine didaktische Perspektive auf Performativität. Ziel des Kapitels ist einerseits, einen Überblick über das Spektrum möglicher Verwendungsweisen und Bedeutungsnuancen der Begriffe performativ, Performanz, Performance und Performativität zu gewinnen, um anderseits final (in Abschnitt 1.6) das Lehr- und Praxisbuch mit seinem Verständnis von Performativität im Begriffsspektrum zu verorten.

1.2Performativität und Performanz in der SprachwissenschaftSprachwissenschaft

Wir steigen ein mit der Performanz, denn die sprachwissenschaftliche Verwendung von performativ lässt sich besser nachvollziehen, wenn man die von Performanz bereits kennt. In der Sprachwissenschaft kommt der Ausdruck als Fachbegriff in der Regel nicht alleine vor, sondern wird in Opposition zu KompetenzKompetenz gebraucht. Das zweigliedrige (= dichotome) Begriffspaar Sprachkompetenz/SprachperformanzSprachkompetenz/Sprachperformanz (im Englischen linguistic competence vs. linguistic performance) stammt von dem Linguisten Noam Chomsky (*1928), der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen Paradigmenwechsel hin zu einer damals ‚neuen‘, vorrangig kognitiv orientierten Linguistik einläutete (vgl. Zepter 2013: 80f.).

Dabei greift Chomsky mit Sprachkompetenz/Sprachperformanz eine Unterscheidung auf bzw. führt sie weiter, die vor ihm bereits Ferdinand de Saussure (1857-1913), ebenfalls ein maßgeblicher Wegbereiter in der Sprachwissenschaft, mit seiner dichotomen Unterscheidung von languelangue(SprachsystemSprachsystem) und paroleparole(SprachgebrauchSprachgebrauch) getroffen hatte. Sprachliche Performanz (ebenso parole) bezieht sich in diesem Kontext auf den konkreten Gebrauch von Sprache, also auf jedes in einer bestimmten Situation, zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort stattfindende individuelle Sprachverwendungsereignis.

Abb. 1.4:

Performanz

Immer dann, wenn wir Sprache gebrauchen, wenn wir sprechen oder wenn wir zuhören, sind das Instanzen unserer Sprachperformanz. Chomsky ging u.a. von der Beobachtung aus, dass wir beim Gebrauch unserer Erstsprache, die wir in unseren ersten Lebensjahren in der Regel scheinbar mühelos und ohne expliziten Sprachunterricht unserer Eltern erwerben, beliebig Sätze bilden können – Sätze, die wir ggf. vorher noch nie irgendwo gehört haben. Man kann das selbst ausprobieren. Denken Sie sich aus, was Sie in zehn Jahren gerne machen möchten, und erzählen Sie das einer Freundin/einem Freund oder schreiben Sie es auf. Von Relevanz ist nicht so sehr, was Sie inhaltlich sagen; Chomskys Punkt wäre stattdessen, dass Sie sich bei Ihrer Zukunftsgeschichte nicht darauf beschränken werden, einzelne Wörter unverbunden aneinanderzureihen. Sie werden Sätze bilden, die einer bestimmten Ordnung, einer Satzstruktur, folgen; und zwar auch, wenn Sie gar nicht explizit darauf achten oder wenn ein Satz dabei ist, den Sie inhaltlich so vorher noch nicht in einem anderen Kontext gehört haben. Selbst wenn Sie im Rahmen Ihres Sprachgebrauchs Fehler machen, wissen Sie im Prinzip doch, wie Sie auf einer basalen Ebene in Ihrer Erstsprache grammatisch korrekte Sätze bilden können. Tiere, so Chomsky, können das nicht, nur Menschen sind hierzu in der Lage.

Chomskys zentrale These war, dass eine solche SprachverwendungSprachverwendung (= Sprachperformanz) nur auf der Basis unbewusster kognitiver Strukturen bzw. nur auf der Grundlage einer kognitiven Sprachkompetenz möglich ist (vgl. u.a. Chomsky 2002: 48). Im Visier hatte er eine Kompetenz, über die Menschen, aber nicht Tiere, allgemein von Geburt an verfügen und die sie befähigt, Sprache zu erwerben. Seit den 1950er Jahren konzentriert sich seine Forschung auf die Erschließung der Sprachkompetenz mit dem Ziel, eine Theorie über das damit verbundene syntaktische (= satzstrukturbezogene) Basiswissen zu entwickeln.

Die Erforschung von Sprachperformanz ist diesem Ziel untergeordnet bzw. tritt dahinter zurück. Aber man muss Chomskys Fokus nicht folgen und kann den linguistischen Performanz-Begriff im Prinzip unabhängig von dem Begriffspaar Kompetenz/Performanz und einer spezifischen Priorisierung der beiden Ebenen nutzen. Wertfrei bezieht er sich auch dann auf den Gebrauch von Sprache, also auf die konkrete Sprachverwendung.

Zum Ausgangs- und Ankerpunkt theoretischer Überlegungen avanciert diese konkrete Sprachverwendung bereits in den 1960er Jahren bei dem Sprachphilosophen John L. Austin (1911-1960), der für die Linguistik auch den Begriff der Performativität geprägt hat. Anders als Chomsky interessierte Austin sich im Besonderen für die Bedeutungsdimension von sprachlichen Äußerungen, d. h. für die Frage, was Sätze, wenn wir sie im Kontext einer konkreten Sprachverwendung äußern, bedeuten und wie sich diese Bedeutung systematisch beschreiben lässt.

SprachphilosophieSprachphilosophie vs. LinguistikLinguistik

Seit dem 19. Jahrhundert und den Arbeiten von Ferdinand de Saussure (1857–1813) wird die Sprachwissenschaft auch als Linguistik bezeichnet. Die Sprachwissenschaft ist eine wissenschaftliche Disziplin, die darauf abzielt, Sprache und Sprechen systematisch zu beschreiben und zu erklären. Die moderne Sprachwissenschaft (= Linguistik) geht grundlegend vom Zeichencharakter menschlicher Sprache aus (→ Ein Wort, z. B. Baum, ist ein sprachliches Zeichen, das als Stellvertreter für eine bestimmte Bedeutung, ein bestimmtes Objekt in der Welt steht). Sie untersucht, was sprachliche Zeichen sind und wie sie in einer Sprache miteinander kombiniert und geordnet (= strukturiert) werden. Dabei sind verschiedene Strukturebenen zentral; z. B. Phonetik/PhonologiePhonetik/Phonologie (→ Lautstruktur), MorphologieMorphologie (→ Wortstruktur), SyntaxSyntax (→ Satzstruktur), SemantikSemantik (→ Analyse der Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken), PragmatikPragmatik (→ Analyse des Gebrauchs und der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke in konkreten Äußerungssituationen) (vgl. Bußmann 2002: 640).

 

Die Sprachphilosophie ist ein Zweig der Philosophie und kann heute auch als eine Teildisziplin der Linguistik aufgefasst werden, historisch reicht sie jedoch sehr viel weiter zurück. Die Sprachphilosophie beschäftigt sich mit der Bedeutungsdimension von Sprache und deren Verhältnis zur Wirklichkeit. Ihr Untersuchungsbereich deckt sich damit zu großen Teilen mit dem der Semantik und Pragmatik. Genau betrachtet, waren Sprachphilosophen wie John L. Austin Wegbereiter für die Entwicklung von Semantik und Pragmatik in der modernen Sprachwissenschaft.

Vor Austin hatte sich die sprachphilosophische Tradition mit der Bedeutung von sprachlichen Äußerungen in erster Linie aus der Perspektive heraus beschäftigt, dass Äußerungen „wahrheitsfähige Gebilde“ (Hoffmann 2010: 155) darstellen. Ein Satz wie z. B. Mona sitzt auf dem Stuhl ist eine Aussage, die, wenn sie in einer bestimmten Situation geäußert wird, entweder wahr oder falsch sein kann. Ein möglicher Weg, die Bedeutung des Satzes zu fassen, ist zu sagen, dass wir die Bedeutung von Mona sitzt auf dem Stuhl verstehen, wenn wir genau wissen, in welchen Äußerungssituationen der Satz wahr ist und in welchen er falsch ist – wenn wir also die WahrheitsbedingungenWahrheitsbedingungen des Satzes kennen.

Austin bricht mit dieser Tradition, dass eine Aussage generell als etwas zu definieren ist, das entweder wahr oder falsch sein kann. Einen wesentlichen Beitrag zu diesem Bruch leistet sein Aufsatz „Performative und konstatierende Äußerungkonstatierende Äußerung“ (1962); eben hier expliziert Austin erstmals den Begriff performativ.

Der Ausgangspunkt in Austins Aufsatz ist die Unterscheidung von zwei verschiedenen Typen von Äußerungen: Konstatierende Äußerungen sind solche, die aus der sprachphilosophischen Tradition bereits bekannt sind – Aussagen, die, wenn man sie in einer spezifischen Situation äußert, entweder wahr oder falsch sein können:

Konstatierende Äußerung

 

Eine Äußerung, die etwas aussagt (= konstatiert), das in der Äußerungssituation entweder wahr oder falsch ist:

Die Katze ist auf der Matratze.

Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig.

Mona sitzt auf dem Stuhl.

Ich sitze auf dem Stuhl.

 

Beispiele u.a. nach Austin (1962/2010: 167)

Austins zentrale Beobachtung ist, dass sich nicht alle Äußerungen, selbst wenn sie sprachlich ähnlich oder analog gestaltet sind, unter der Definition einer konstatierenden Äußerung verorten lassen. Performative Äußerungen sind im Kontrast dazu solche, bei denen die Sprecherin mit dem Akt der Äußerung eine Handlung vollzieht. Die Äußerung beschreibt etwas und das, was sie beschreibt, wird im Zuge des Äußerungsaktes zu einer Handlung.

Performative Äußerung

 

Eine Äußerung, mit der die Sprecherin/der Sprecher mit dem Akt der Äußerung dasin der Äußerung Beschriebene als Handlung vollzieht:

Ich taufe dieses Schiff „Freiheit“.

Ich bitte um Entschuldigung.

Ich heiße Sie willkommen.

Ich rate Ihnen, das zu tun.

 

Beispiele u.a. nach Austin (1962/2010: 163)

Geht man auf die Suche, lassen sich noch viele weitere Beispiele finden. In der Regel treten performative Äußerungen in einer bestimmten syntaktisch-morphologischen Form auf. Das Prädikat steht in der 1. Person Singular und wird durch ein performatives Verb gebildet, das an sich eine Handlung beschreibt, die sich im Äußerungsakt realisiert: Ich gratuliere dir …; ich befehle dir …; ich bezweifle, dass …; ich betone …; ich warne euch …; ich schlussfolgere, dass …; ich fordere dich dazu auf, dass …; ich verurteile dich zu … usw. Durch die Äußerung – also nur dadurch, dass etwas gesagt wird – wird jeweils die Handlung des Gratulierens, Befehlens, Bezweifelns etc. vollzogen.

Nach Austin kann die Handlung einer performativen Äußerung gelingen oder ggf. misslingen, an sich aber weder wahr noch falsch sein. In diesem Sinne könnte man bei der Analyse der Bedeutung von performativen Äußerungen eher von GelingensbedingungenGelingensbedingungen als von Wahrheitsbedingungen sprechen.

Eines der bekanntesten Beispiele von Austin für diesen Zusammenhang ist die Taufformel (vgl. das Beispiel Ich taufe dieses Schiff „Freiheit“): Soll die Äußerung und damit die Handlung gelingen, muss der Kontext ‚stimmen‘: Wir brauchen eine passende Situation, ein bis dahin noch ungetauftes Schiff muss präsent sein, die Sprecherin oder der Sprecher müssen für den Taufakt autorisiert sein etc. Aber sofern die Gelingensbedingungen erfüllt sind, wird mit dem Akt der sprachlichen Äußerung die Handlung der Taufe vollzogen.

Abb. 1.5:

Beispiel einer performativen Äußerung, Illustration von Austins Taufformel

Bei näherer Betrachtung ist die Unterscheidung zwischen Gelingens- und Wahrheitsbedingungen komplexer, als sie auf den ersten Blick scheinen mag. So diskutiert Austin in seinem Aufsatz, inwiefern auch konstatierende Äußerungen gelingen oder misslingen können. Wenn jemand zum Beispiel den Satz äußert Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig und Hans hat gar keine Kinder, dann ist es schwierig zu sagen, dass in diesem Kontext der Satz falsch ist; eher könnte man zu dem Schluss kommen, dass die Aussage in dieser Äußerungssituation unpassend ist und „daneben geht“ (Austin ebd.: 168), also nicht gelingt. Im Übrigen ist die Frage berechtigt, ob nicht auch eine konstatierende Äußerung eine Form des Handelns darstellt: Die Äußerung in einer bestimmten Sprechsituation ist ja auch eine Handlung an sich – ein Äußerungsakt. Wenn ich den Satz Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig ausspreche, dann tue ich etwas: Ich behaupte, dass alle Kinder von Hans kahlköpfig sind. Ich führe damit ebenfalls eine Handlung aus: die des Behauptens.

John R. Searle (*1932), ein ebenfalls für die Theoriebildung maßgebender Sprachphilosoph, der Austins Überlegungen aufgegriffen und weiterentwickelt hat, hat später in seinem Aufsatz „How Performatives Work“ (1989) aber noch einmal explizit darauf gedrungen, dass performative Äußerungen eine besondere Klasse von Akten bzw. Handlungen darstellen. Wenn ich den Satz Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig äußere, dann ist das eine sprachliche Handlung, insofern ich etwas behaupte oder etwas berichte. Die Handlung betrifft den Sprechakt, aber nicht das, was inhaltlich in dem Satz beschrieben wird. Bei einer explizit performativenÄußerungexplizit performative Äußerung wird dagegen nach Searle genau die Handlung vollzogen, die in dem Satz ausgedrückt wird. Searle bringt u.a. das Beispiel, dass man die Handlung des Versprechens vollziehen kann, einfach indem man sagt I promise to come and see you (= „Ich verspreche, dich zu besuchen.“); dass aber dazu im Gegensatz noch keine Eier gebraten werden, wenn man nur sprachlich äußert I fry an egg (ebd.: 535).

Abb. 1.6:

Illustration einer explizit und einer nicht explizit performativen Äußerung

Wir können diesen Unterschied wie folgt an dem Kahlkopf-Satz verdeutlichen: Nach Searle ist die einfache Äußerung Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig keine explizit performative. Anders liegt der Fall, wenn ich den Satz mit einem performativen Verb verknüpfe und z. B. den folgenden komplexen Satz (bestehend aus Haupt- und Nebensatz) äußere: Ich behaupte, dass alle Kinder von Hans kahlköpfig sind. In diesem zweiten Fall erhalten wir eine performative Äußerung. Denn inhaltlich wird nun auf den Akt des Behauptens fokussiert und mit der Äußerung die im Hauptsatz beschriebene Handlung – der Akt des Behauptens – vollzogen.

Noch einmal zurück zu Austin: Austin selbst weist bereits darauf hin, dass Äußerungskonstruktionen mit einem performativen Verb (wie versprechen, befehlen, gratulieren, schlussfolgern etc.) in der 1. Person Singular in erster Linie dazu dienen, „explizit und gleichzeitig deutlicher zu machen, welchen Akt man beim Aussprechen der Wendung zu vollziehen gedenkt“ (Austin 1962/2010: 166). Aber dieser explizite Weg ist nicht der einzige, um sprachlich zu handeln. So können wir z. B. die Handlung des Befehlens im Rahmen einer Äußerung mit einem performativen Verb explizit machen – oder das sprachliche Mittel des Aufforderungssatzes nutzen. Letzteres ist impliziter, die sprachliche Handlung des Befehlens wird aber immer noch strukturell markiert – z. B. im Deutschen mit dem Verb im Imperativ, positioniert am Anfang des Satzes; die Handlung ist damit zu erschließen, wenn wir mit den satzstrukturellen Merkmalen des Aufforderungssatzes vertraut sind:

Sprachhandlung des Befehlens/ der Bitte

 

Sprachhandlungen können mit performativen Verben expliziert, aber auch durch andere sprachliche Mittel lexikalisch und/oder strukturell kenntlich gemacht werden:

Ich befehle Dir, die Tür zu schließen.

Schließ die Tür!

Ich bitte Dich, die Tür zu schließen.

Bitte schließ die Tür!

Könntest du bitte die Tür schließen?!

 

Beispiele u.a. nach Austin (1962/2010: 166)

Austin gelangte in seiner Auseinandersetzung letztlich zu der Erkenntnis, dass die Möglichkeiten, mit Sprache zu handeln, seine Definition der performativen Äußerungen weitreichend übersteigen und dass die Linguistik vor dem Desiderat steht, die Facetten sprachlichen Handelns noch sehr viel umfassender systematisch zu beschreiben (vgl. Austin 1962/2010: 171).

Das bedeutet, Austin nutzte die Gegenüberstellung konstatierend/performativ eher als „Leiter“, „um die [sprachphilosophische] Tradition zu überwinden“ (Hoffmann 2010: 156). Nach Hoffmann (ebd.) „zeigt [der Aufsatz] den Denkweg […] hin zur Handlungstheorie der Sprache“. In diesem Sinne waren Austins und auch Searles Arbeiten – ihre Darlegung der ersten Sprechakttheorien und einer erstmaligen systematischen Modellierung dessen, was Menschen ‚tun‘, wenn sie ‚sprechen‘ (Austins klassisches Werk How to do things with words, 1962) – in der Folge paradigmenbildend für eine handlungsbezogene Sprachauffassung.

Heute leben diese Ansätze weiter in handlungsorientierten Sprachtheorienhandlungsorientierte Sprachtheorien und zahlreichen sprachwissenschaftlichen und sprachdidaktischen Diskursen. Man vergleiche z. B. die Richtung der funktionalen Pragmatik und die Theorie der sprachlichen Handlungsmuster nach Konrad Ehlich (1998), die richtungsweisend ist für (fachdidaktische) Diskurse zu Bildungssprache, Fachsprache bzw. bildungssprachlichen Praktiken (vgl. u.a. Feilke 2013; Morek & Heller 2019). Nach u.a. Feilke (2013) zeichnen sich Bildungssprache und Fachsprache, die in der Schule und in allen Kontexten der Wissensaneignung und Wissensvermittlung eine zentrale Rolle spielen, gerade dadurch aus, dass in ihnen bestimmte sprachliche Handlungensprachliche Handlungen gehäuft auftreten: Handlungen des Erklärens, Beschreibens, Begründens, Argumentierens etc.

Das Konzept der sprachlichen Handlung wird hier noch weiter gefasst und bezieht sich nicht nur auf einzelne Äußerungen bzw. Sätze, sondern auch auf größere Sprech- und Texteinheiten. Dabei werden neben mündlichen vorrangig Schreibhandlungen bzw. sprachliche Handlungen in geschriebenen Texten berücksichtigt. Der Umstand, dass dabei nicht unbedingt performative Verben, sondern sehr viel weitreichender auch andere für den jeweiligen SprachhandlungstypSprachhandlungstyp charakteristische sprachliche Mittel auftreten können, macht die sprachliche Rezeption und Produktion umso anspruchsvoller. So stellt Feilke (2014) heraus, dass für die verschiedenen Sprachhandlungen je spezifische kommunikativ-sprachliche Handlungskomponenten und wiederkehrende Formulierungen – er nennt sie TextprozedurenTextprozeduren – typisch sind. Ein Beispiel: Wenn man im Rahmen einer Argumentation eine bestimmte Position vertritt und potenzielle Gegenargumente abwägt und entkräftet, dann vollzieht man die Sprachhandlung des Konzedierens. Im Deutschen nutzt man dazu typischerweise Textprozeduren wie: zwar … aber; sowohl … als auch; dennoch …; trotzdem. Generell lassen sich bildungssprachliche Kompetenzen vor diesem Hintergrund auch über den flexiblen und differenzierten Zugriff auf die je angemessenen sprachlichen Mittel bzw. Textprozeduren bemessen.

In schulischen Curricula, die heute vorrangig kompetenzorientiert, also auf die im Unterricht zu erwerbenden Fähigkeiten hin ausgerichtet sind, werden einige der betreffenden Sprachhandlungen auch als Operatoren bezeichnet.

Schulcurricular relevante Sprachhandlungen – OperatorenOperatoren

In der Schule werden in fast allen Fächern zur Bearbeitung von Lernaufgaben und Prüfungsaufgaben verschiedenste Handlungen, sogenannte Operatoren, benötigt. In den meisten Fällen sind Operatoren Sprachhandlungen bzw. die betreffenden Operationen werden durch Sprachhandlungen realisiert. Bei Operatoren, die für die Schulabschlussprüfungen (z. B. Abitur) erforderlich sind und darauf zuführend bereits in der Sekundarstufe I und II geübt werden, unterscheidet man in der Regel zwischen drei verschiedenen, in ihrer Komplexität ansteigenden Anforderungsbereichen:

Ein erster Anforderungsbereich betrifft die Reproduktion, also das Wiedergeben von Sachverhalten, die in einer Aufgabe thematisiert werden. Eine Reproduktionsleistung kann auch die Verwendung von gelernten Methoden involvieren. Relevante Operatoren in diesem Anforderungsbereich sind z. B. etwas (einen Sachverhalt, einen Begriff) (be-)nennen, beschreiben, wiedergeben und zusammenfassen.

Ein zweiter Anforderungsbereich bezieht sich auf die Reorganisation und den Transfer von Gelerntem auf neue Kontexte und Sachverhalte. In diesem Zusammenhang können z. B. die Operatoren einordnen, vergleichen, erläutern, erklären, in Beziehung setzen zum Tragen kommen.

Der dritte Anforderungsbereich richtet sich schließlich auf Reflexion und Problemlösung. Hierzu gehören u.a. die Operatoren deuten, beurteilen, bewerten, begründen, kritisch Stellung nehmen, argumentieren, und im Kontext von schriftlicher Problemlösung z. B. einen eigenen Text entwerfen, planen und gestalten.

Die Aneignung von Operatoren bzw. von für die WissensaneignungWissensaneignung und WissensvermittlungWissensvermittlung relevanten sprachlichen Handlungen – und damit u.a. die Fähigkeit, Sachverhalte zu erklären, zu beschreiben, ein Urteil zu begründen, für eine bestimmte Position zu argumentieren etc. – wird als Schlüssel für schulischen Lernerfolg erachtet. Dementsprechend stehen Operatoren/Sprachhandlungen im curricularen Fokus.

Dabei übt man in der Primarstufe im Deutschunterricht insbesondere das Erzählen und die damit verbundenen Handlungskomponenten zunächst medial mündlich, dann schriftlich. Auf der Schwelle zur Sekundarstufe kommt das mündliche und schriftliche Beschreiben hinzu, später das mündliche und schriftliche Argumentieren mit allen involvierten sprachlichen Teilhandlungen. Einige der Unterrichtsvorschläge in diesem Lehr-/Praxisbuch fokussieren auf die Förderung einzelner Operatoren sowie der damit jeweils verbundenen sprachlichen Mittel: ErzählenErzählen (Kapitel 5, 6), BeschreibenBeschreiben und InterpretierenInterpretieren (Kapitel 19), ArgumentierenArgumentieren (Kapitel 7).

Abschließend lässt sich in Bezug auf die in diesem Abschnitt verhandelten Zusammenhänge festhalten, dass es bei den skizzierten sprachwissenschaftlichen und sprachphilosophischen Perspektiven auf die Begriffe Performanz und Performativität vorrangig darum geht, den allgemeinen und äußerungsspezifischen Handlungscharakter von Sprache und Sprechen an sich zu analysieren. Performativ wird als Attribut zu Sprache bzw. zu bestimmten sprachlichen Äußerungen angewandt, um auszudrücken, dass diese sprachlichen Äußerungen eine spezifische Form des Handelns darstellen. Sprache/Sprechen wird grundlegend in Bezug zu Handeln gesetzt:

Abb. 1.7:

Performanz und performativ in der sprachwissenschaftlichen Theoriebildung

Wohlgemerkt geschieht dies bei Austin und Searle noch, ohne ein ganzheitliches – kognitive und körperlich-sinnliche sowie ästhetische Dimensionenästhetische Dimension mit einbeziehendes – Verständnis von Sprache, Sprechen oder Handeln zu entwickeln. Letzteres begegnet uns erst im Rahmen von anderen fachtheoretischen Verhandlungen von Performativität, u.a. im Kontext von Ästhetik-, Kunst- und Theatertheorien, auf die wir im folgenden Abschnitt eingehen.

1.3Performativität im Kontext von KunstKunsttheorien- und TheatertheorienTheatertheorien

Im Kontext von Kunst- und Theatertheorien findet sich eine andere Verwendung von Performativität, die dem Bedeutungskern des Handelns gleichfalls treu bleibt, weiterführend aber doch eine andere Richtung einschlägt. Hilfreich, um die sprachwissenschaftliche und die theatertheoretische Perspektive zueinander in Bezug zu setzen, ist eine Unterscheidung, auf die Hempfer (2011: 14) und ihn aufgreifend Hudelist (2017: 12) aufmerksam machen: Im Englischen kann performance sowohl ‚AusführungAusführung‘ als auch ‚AufführungAufführung‘ bedeuten. (Diesbezüglich sei an die Abb. 1.3 in Kap. 1.1 erinnert. Unter den dort aufgeführten Bedeutungen des englischen Verbs to perform findet sich neben ‚ausführenausführen‘ auch ‚vorführenvorführen‘ – im Sinne von ‚aufführenaufführen‘.) Bei der im letzten Abschnitt (1.2) thematisierten Auffassung von Austin und Searle über den Handlungscharakter sprachlicher Äußerungen ist ausschließlich Ersteres gemeint. Wenn also z. B. Searle Äußerungen auch als performances bezeichnet, dann geht es ihm um das Ausführen einer sprachlichen Handlung, nicht um das Aufführen im Sinne der Vorführung einer Handlung vor anderen auf einer Bühne.

Die Aufführung bzw. Vorführung wird jedoch zu einem zentralen Kriterium in kunst- bzw. theaterwissenschaftlichen Perspektiven auf den Begriff der Performativität. Entscheidend in diesen Fachdiskursen ist, dass der Ausgangs- und Ankerpunkt für die Attribuierung von performativ nicht mehr (nur) die sprachliche Äußerung ist. Performativ wird nun (breiter) auf bestimmte Prozesse und Formen von Kunst, Kunstwerken und Kultur bezogen – und in diesen Zusammenhängen auch auf besondere Formen des künstlerisch-kreativen Handelns sowie des ästhetischen Erlebens und Erfahrens, die den gesamten Körper miteinbeziehen.

Abb. 1.8:

Performative Kunstperformative Kunst

KörperKörper, körperlich-sinnliche Dimensionenkörperlich-sinnliche Dimensionen

Körper kann sich im Prinzip auf die materielle/physische Substanz und den Raumumfang von Objekten und Gegenständen aller Art beziehen. Wir meinen in diesem Lehr- und Praxisbuch in der Regel aber stets den menschlichen Körper in seiner lebendigen und vom Menschen selbst (leiblich) erlebten Form.

Dieser menschliche Körper integriert grob gefasst drei verschiedene (körperlich-sinnliche) Dimensionen (vgl. Zepter 2013):

Die Dimension der SinneSinne bzw. der sinnlichen Wahrnehmung. Traditionell werden fünf Sinne unterschieden: die visuelle Wahrnehmung (Sehen), die auditive WahrnehmungWahrnehmung (Hören), die olfaktorische Wahrnehmung (Riechen), die gustatorische Wahrnehmung (Schmecken) und die taktile Wahrnehmung (Fühlen über die Haut). Relevant ist aber auch die propriozeptive Wahrnehmung (die Eigenwahrnehmung); sie bezieht sich auf die Wahrnehmung des eigenen Körpers, dessen Haltung, Stellung im Raum und dessen Bewegungen.

Die Dimension der MotorikMotorik, die alle Bewegungen des Körpers bzw. einzelner Körperteile umfasst.

Die Dimension der EmotionenEmotionen (vgl. detaillierter u.a. Holodynski 2006).

Ästhetische Erfahrungästhetische Erfahrung

Ästhetische Erfahrung wird in zahlreichen kunst- und theatertheoretischen Diskursen und oft auch in unserem alltäglichen Sprachgebrauch thematisiert; eine genaue Definition ist aber kaum möglich, da der Begriff des Ästhetischen äußerst vielschichtig ist und (ähnlich wie der Begriff der Performativität) in diversen Fachdiskursen aus unterschiedlichen Perspektiven verhandelt wird.

Wir folgen hier im Wesentlichen Brandstätter (2012/2013):

In einem engeren Begriffsverständnis bezeichnet ästhetische Erfahrung das, was wir im Rahmen der sinnlichen Wahrnehmung von Kunst bzw. Kunstwerken erfahren. Solche auf Kunst gerichteten sinnlichen Wahrnehmungen können sich sowohl im Zuge der Kunstrezeption ereignen (→ ich betrachte ein Bild, das ich nicht selbst gemalt habe; ich höre ein Musikstück von meiner Lieblingssängerin etc.) als auch im Kontext der Kunstproduktion (→ ich komponiere ein Musikstück und in diesem Prozess halte ich inne und höre mir das bereits Komponierte an etc.).

Brandstätter (2012/2013) betont, dass begrifflich weiter gefasst nicht nur der Umgang mit ausgewiesenen Kunstwerken, sondern auch alltägliche Begebenheiten Anlässe für ästhetische Erfahrungen bieten können. Wesentlich für eine ästhetische Erfahrung ist u.a., dass die sinnliche Wahrnehmung:

ganzheitlich körperlich vollzogen wird: Dass also ggf. mehrere Sinne (z. B. bei einem Musikstück Hören und Propriozeption) und auch die Dimension der Emotionen die Erfahrung gemeinsam konstituieren;

nicht einseitig zweckorientiert ist: Dass also die ästhetische Erfahrung quasi sich selbst genügt und als solche auch wahrgenommen wird. Ich muss z. B. das, was ich akustisch höre, als Musik erleben und empfinden bzw. wertschätzen; oder ich muss einen Text, den ich lese, als eine Form von Literatur/Kunst erfahren und wertschätzen und nicht nur als eine einfache Quelle für Sachinformationen.

Wie in der Philosophie und den Kulturwissenschaften sind auch die Fachdiskurse zur Performativität in den Kunstwissenschaften breit gefächert; sie werden bis heute intensiv geführt. Wir beschränken uns in der Darstellung auf die einschlägigen theaterwissenschaftlichen Arbeiten von Erika Fischer-Lichte (vgl. 2001; 2002; 2012). Fischer-Lichte richtet ihr Erkenntnisinteresse auf eine theoretische Klärung des Begriffs der Performativität im Kontext ästhetischer Erfahrung und verschiedener Kunstformen. Weiterführend stellt sie auch Überlegungen dazu an, welche lebensweltlichen (Kommunikations-)Situationen(Kommunikations-)Situation bzw. welche von Menschen hervorgebrachten Prozesse und Produkte ebenfalls performativen Charakter haben können. Performativität wird in diesem Sinne in ihrer Relevanz für Kultur und Gesellschaft allgemein interpretiert. Das Theater, dessen performative Funktion sich „auf den Vollzug von HandlungenVollzug von Handlung – durch die Akteure und zum Teil auch durch die Zuschauer“ richtet (Fischer-Lichte 2002: 279), erfasst Fischer-Lichte dabei „als performative Kunst par excellence“ (ebd.: 288).

Was ist damit gemeint? Wenn wir uns überlegen, bei welchen Kunstformen der Vollzug von Handlungen für das Kunstwerk an sich von zentraler Bedeutung ist, dann gilt das offensichtlich in besonderem Maße für das Theater. Das Kunstwerk beim Theater – das theatrale Kunstwerktheatrales Kunstwerk – entsteht ja in der Regel erst im Moment seiner Aufführung und durch das Miteinander-Handeln von Personen auf und vor der Bühne und es existiert nur in dieser Flüchtigkeit. Ästhetische Wirklichkeit und Bedeutung konstituieren sich derart notwendig im Rahmen von dynamischen Prozessen und in der körperlich verankerten Kopräsenz von Agierenden und Zuschauenden (vgl. auch Paule 2017: 43f.).

Weitergedacht trifft das Gleiche sehr wohl auf alle darstellenden Künstedarstellende Künste zu: neben Theaterschauspiel, Musiktheater und Kleinkunst auch auf Tanz, Filmkunst, Kunst im Kontext von (neuen) Medien etc. Denn die darstellenden Künste werden klassisch darüber definiert, dass sich das Kunstwerk in der Präsentation, der Darbietung vor Publikum – und somit auch im Zuge der damit verbundenen Handlungen – ereignet.

In der Klassifizierung der verschiedenen Kunstformen und Kunstgattungen grenzt man die darstellenden Künste in der Regel von den bildenden Künstenbildende Künste ab. D. h., man stellt ihnen die Kunstgattungen Malerei, Zeichnung, Bildhauerei, Fotografie etc. gegenüber, bei denen das Kunstwerk visuell gestaltet und als solches in einem Handlungsprodukt fixiert ist. Ähnliches gilt für die Literatur als sprachlich gestaltete Kunst, wenn man bei Literatur ausschließlich an das in Schrift und Text fixierte Kunstwerk denkt. Fehlt dann den bildenden Künsten und der Literatur die performative Funktion, die den darstellenden Künsten inhärent ist?

Mitnichten: Gerade der letztgenannte ‚Gegensatz‘ – darstellende Kunst vs. Literatur – weicht in seinen Konturen auf, wenn man erkennt, dass die Übergänge fließend sind und dass Performativität bzw. der Vollzug von Handlungen im Literaturkontext ebenso wesentlich werden kann. Denken Sie z. B. an Lyrik und an ein Gedicht, das sich als Kunstwerk erst in der sprechenden, stimmlichen Gestaltung und Präsentation und dem damit verbundenen Handeln realisiert. Ähnliches gilt für das Drama bzw. alle Texte mit verteilten Rollen. Oder was ist mit Erzähltexten, die in der mündlichen Präsentation unter Einsatz des gesamten Körpers der Erzählerin/des Erzählers (Mimik, Gestik, Bewegung) und unter Einbezug der Zuschauer:innen und Zuhörer:innen zu (neuem) Leben erweckt werden? Fischer-Lichte (2002: 285) macht auf die heute immer häufiger entstehenden performativen „Grenzgänge zwischen den Künsten“ aufmerksam, bei denen neben Film, Tanz, Dichtung und Musik auch Malerei u.a. beteiligt sind, bei denen z. B. ein Bild auf der Bühne entsteht/gemalt wird usw.

Auch die noch weiter generalisierende Auffassung von Fischer-Lichte, dass nicht nur Kunstwerke, sondern auch andere von Menschen hervorgebrachte Prozesse und Produkte performativen Charakter haben können, ist aus einer lehr-lern-bezogenen Perspektive nicht unerheblich (siehe auch Abschnitt 1.5). Im Prinzip muss z. B. ein einfacher Text an sich kein großartiges ‚Kunstwerk‘ sein und doch kann eine gekonnte mündliche Präsentation ebendies entstehen lassen oder sich diesem zumindest stärker annähern. Je nach Präsentationsgeschick gelingt dies sogar mit einem Sachtext oder einem Auszug aus dem Telefonbuch. Dabei bedeutet, eine performative Perspektive auf Literatur und sprachlich gestaltete Kunst bzw. allgemeiner auf Schrift, Text und Sprechen einzunehmen, keineswegs eine Senkung des Anspruchs, im Gegenteil. Es bedeutet eine Verschiebung des Fokus von den HandlungsproduktenHandlungsprodukt auf die HandlungsprozesseHandlungsprozess und allgemeiner auf alle Handlungen, die die Entwicklung, die Konstitution und die Wahrnehmung, die ästhetische Erfahrung der Produkte formen und unterstützen können.

Aber noch einmal zurück zum Theater als der performativen Kunst par excellence: Der enge Bezug zwischen den Begriffen Performativität und TheatralitätTheatralität ergibt sich für Fischer-Lichte (2002) im Zuge einer Systematisierung auf der Grundlage von vier Aspekten: InszenierungInszenierung, KorporalitätKorporalität, WahrnehmungWahrnehmung und Aufführung/PerformanceAufführung/Performance. Alle vier Aspekte gemeinsam definieren Theatralität. D. h. immer da, wo sich Theatralität ereignet, wo ein theatrales Kunstwerk realisiert wird, kommen alle vier Aspekte zusammen: Es gibt eine Aufführung, es wird etwas inszeniert, handelnde Körper sind ganzheitlich einbezogen und Wahrnehmung (von Zuschauenden/Zuhörenden) spielt eine zentrale Rolle. Jeder einzelne Aspekt kann dagegen allein oder in Kombination mit den anderen darauf hinweisen, dass ein (künstlerischer) Prozess/ein KunstwerkKunstwerk performativen Charakter hat; Fischer-Lichte spricht hier von „Begriffsabschattung[en]“ (ebd.: 300) von Performativität, je nachdem, welchen theoretischen Kontext man anlegt.

Wir interpretieren Fischer-Lichtes Grundgedanken zu den vier Aspekten im Folgenden auf der Basis möglichst einfacher Beispiele (vgl. ebd.: 299):

Zum Aspekt der Inszenierung: Beim Theater betrifft die Inszenierung die Art und Weise, wie ein Stück in Szene gesetzt wird. Denken Sie z. B. an ein bekanntes Drama wie Goethes Faust, das Sie eventuell selbst bereits in verschiedenen Inszenierungen auf der Bühne erlebt haben. Durch eine spezifische Rollen- und Raumgestaltung, zeitliche Verortung etc. kann ein Stück grundsätzlich sehr unterschiedlich inszeniert werden. Ein Kunstwerk/ein von Menschen im Alltag hervorgebrachtes Produkt ist performativ, wenn seine Entstehung inszenierte Handlungen involviert.

Zum Aspekt der Korporalität: Ein theatrales Kunstwerk wird von handelnden Menschen hervorgebracht, die die Handlungen mit ihrem Körper (ihrer Stimme, ihrer Mimik und Gestik, ihrer Körperhaltung und Bewegung, ihren Emotionsausdrücken etc.) gestalten. Ein Kunstwerk/ein von Menschen hervorgebrachtes Produkt ist performativ, wenn seine Entstehung körperlich (= korporal) vollzogene Handlungenkörperlich (= korporal) vollzogene Handlungen integriert.

Abb. 1.9:

Theatralität und Performativität

Zum Aspekt der Wahrnehmung: Das theatrale Kunstwerk braucht für seine Entstehung zwingend auch Publikum, das das Entstehende wahrnimmt und durch seine Reaktionen, ggf. auch durch ein Eingreifen den Handlungsvollzug mit beeinflusst. Ein Kunstwerk/ein von Menschen hervorgebrachtes Produkt ist performativ, wenn es für Zuschauende/Zuhörende realisiert wird, so dass sich die Bedeutung u.a. in (zeitlich gebundener) Wahrnehmung konstituiert.

Zum Aspekt der Aufführung/Performance: Ein Theaterstück wird ‚auf die Bühne‘ gebracht und existiert nur in diesem räumlichen und/oder zeitlichen Miteinander von handelnden Schauspielenden und körperlich anwesenden Zuschauenden/Zuhörenden bzw. in der Präsentation auf der Bühne. ‚Bühne‘ ist dabei im weitesten Sinne zu verstehen und kann auch eine spontan improvisierte Form haben. Ein Kunstwerk/ein von Menschen hervorgebrachtes Produkt ist performativ, wenn es handelnd vollzogen und die Handlungen aufgeführt/präsentiert werden.

Alles in allem zeigt die skizzierte kunsttheoretische Perspektive auf den Begriff der Performativität eine Bezugnahme auf Handlungsvollzüge, die die Handlung und das Miteinander-Handeln als zentrale Bedingungen für das Hervorbringen von Kunst und Kultur erfasst. Generell wird ein ganzheitliches – kognitive und körperlich-sinnliche sowie ästhetische Dimensionen mit einbeziehendes – Verständnis von Handeln, Miteinander-Handeln und dann auch von Sprechen und Sprachgebrauch vorausgesetzt. Es ist diese Perspektive, die sich auch in verschiedenen pädagogischen und fachdidaktischen Diskursen finden lässt. Dort wird sie in ihrer Relevanz für Lernprozesse, im Besonderen auch sprachliche Lernprozesse, ausgedeutet.

1.4Zwischenfazit: zwei Bedeutungsvarianten von performativ und Performativität

Bevor wir uns den pädagogischen und fachdidaktischen Diskursen zuwenden, wollen wir zuvor noch einen Blick zurück auf den Einstieg in dieses Kapitel und die dortige Systematisierung der Wortverwandtschaften mit dem Stamm perform werfen. Abbildung 1.3 hatte den Begriff der Performativität zunächst als blinden Fleck ausgewiesen. Nach den Ausführungen in den Abschnitten 1.2 und 1.3, die deutlich werden ließen, wie unterschiedlich der Begriff in der sprachwissenschaftlichen (nach Austin und Searle) und in der theaterwissenschaftlichen (nach Fischer-Lichte) Fachdisziplin definiert wird, schlagen wir nun für den Umgang mit dem blinden Fleck eine Zweiteilung vor, um beide Perspektiven zu berücksichtigen.

Abbildung 1.10 zeigt eine mögliche Systematisierung, die nicht die gesamte Komplexität der Bedeutungsvarianten einfängt, dafür aber die aus den beiden Disziplinen erwachsene Unterschiedlichkeit zusammenfassend in den Blick rückt:

Abb. 1.10:

Wortverwandtschaften mit dem Stamm perform und Bedeutungsvarianten in der Kunst- und Theatertheorie und in der Sprachwissenschaft

Der Bedeutungskern des zielgerichteten Tunszielgerichtetes Tun (= Handeln) bildet die begriffliche Grundlage für beide fachspezifischen Verständnisse von Performativität, aber das Attribut performativ erhält in der Kunst-/Theatertheorie einen anderen Bezugspunkt als in der Sprachwissenschaft (Kunst vs. sprachliche Äußerung) und wird als ‚vorführend‘ (im Sinne von ‚aufführend‘) oder als ‚ausführend‘ interpretiert. Zudem wird performativ auch verstanden und gebraucht als „Performativität betreffend“, wobei mit Performativität in den beiden Disziplinen jeweils unterschiedliche Konzepte assoziiert werden (in Abb. 1.10 durch die dünnen gestrichelten Pfeile ausgedrückt).

Der nächste Abschnitt führt uns vor diesem Hintergrund final zur didaktischen Perspektive auf Performativität, bei der dem Attribut performativ ein weiterer, dritter Bezugspunkt (Lehr-/Lern-Prozesse) zuteilwird. Zugleich integriert die didaktische Perspektive beide Bedeutungsvarianten ‚vorführendvorführend‘ und ‚ausführendausführend‘ und übernimmt aus dem kunst-/theatertheoretischen Ansatz das ganzheitliche Verständnis des Handlungsbegriffs.

1.5Performativität in PädagogikPädagogik, DeutschdidaktikDeutschdidaktik und theaterpädagogisch orientierter Fremdsprachendidaktiktheaterpädagogisch orientierte Fremdsprachendidaktik

Dass sich pädagogische und fachdidaktische – darunter deutschdidaktische und fremdsprachendidaktische – Diskurse für den Begriff der Performativität öffnen, liegt dann nahe, wenn wir auch didaktische Prozesse der Vermittlung und Aneignung grundlegend als „performative, kulturell-soziale Handlungsprozesse begreifen“ (Zirfas 2017: 18).

Das bedeutet, als Ankerpunkt für die Attribuierung von performativ rücken in diesen Disziplinen Lehr- und Lern-Prozesse und die darauf gerichteten Didaktiken in den Blick. Performativität und damit verbundene Aspekte wie Aufführung, Inszenierung, Körperlichkeit werden als didaktische Ressource für Lehren und Lernen erkannt und analysiert.

Abb. 1.11:

Performative Lehr-Lern-Prozesseperformative Lehr-Lern-Prozesse

Didaktisches KonzeptDidaktisches Konzept vs. MethodeMethode

Didaktik ist die Wissenschaft des Lehrens und Lernens. Man kann darunter aber auch die Kunst des Lehrens und Lernens verstehen. Fachdidaktiken, wie z. B. die Deutschdidaktik oder Sprachdidaktik, richten ihr Forschungsinteresse auf ein bestimmtes Fach und die damit verbundenen Lehr-Lern-Gegenstände (z. B. die deutsche Sprache; Schreiben; Lesen; Sprechen und Zuhören; Umgang mit Literatur und Medien) und beforschen deren Erwerb und Vermittlung im schulischen Unterricht oder auch in anderen Kontexten.

 

Worin besteht in diesem Zusammenhang der Unterschied zwischen einem didaktischen Konzept und einer Methode?

Eine klare Abgrenzung ist schwer, da Konzept und Methode in der Regel ineinandergreifen und oft auch synonym (= gleichbedeutend) verwendet werden.

Im Prinzip richtet sich das didaktische Konzept auf das Was einer Lehr-Lern-SituationLehr-Lern-Situation, eines Unterrichts: Das didaktische Konzept gibt an, welche Lerninhalte im Fokus stehen und was die Lernziele sind. Im Schreibunterricht könnte z. B. ein didaktisches Konzept zum Einsatz kommen, das auf das motorische Schreiben fokussiert und hier im Besonderen den Lernenden das Ziel setzt, eine Hand-/Arm- und Körperhaltung zu entwickeln, die ein flüssiges Schreiben bestmöglich unterstützt.

Die Methode richtet sich komplementierend auf das Wie des Erwerbs und die Vermittlung in der Lehr-Lern-Situation: Die Methode gibt an, wie Lerninhalte verhandelt und Lernziele angesteuert werden. Im Beispiel des Unterrichts zum motorischen Schreiben könnte z. B. eine Methode zum Einsatz kommen, bei der eine bestimmte Handhaltung körperlich vorgemacht und mit spezifischen Bewegungsübungen praktiziert wird, oder eine Methode, bei der eine angestrebte Handhaltung nur verbal (mit Worten) erklärt wird.

Sondiert man die verschiedenen Ansätze zur Performativität in Pädagogik und Didaktik, wird deutlich, dass sich die Theoriebildung der letzten zwei Jahrzehnte komplex entfaltet hat und dass sie bis heute nicht abgeschlossen ist. Interdisziplinär betrachtet, treffen die pädagogischen und didaktischen Disziplinen auf eine facettenreiche Diskussion zu den Begriffen Performativität, Performanz und Performance in der Sprachphilosophie, den Kultur-, Kunst- und Medienwissenschaften. Sie sehen sich vor die Aufgabe gestellt, die Begriffe vor diesen Hintergründen für die eigene Disziplin auszuloten und zu konturieren (für umfassende Diskussionen siehe u.a. Wulf & Zirfas 2007; Even & Schewe 2016; Hudelist & Krammer 2017; Even, Miladinović & Schmenk 2019).

In seiner Bestimmung einer performativen Deutschdidaktikperformative Deutschdidaktik diskutiert z. B. Krammer (2017), in welcher Weise sich in den Arbeitsbereichen des Deutschunterrichts kulturelle Praktiken des Aus- und Aufführens finden lassen – wie relevant etwa SprechakteSprechakt und körperliche Handlungen für sprachliche Lehr- und Lernprozesse sind und welche Bedeutung das Aufführen für die unterrichtliche Verhandlung von Literatur hat (ebd.: 30). Nach Krammer erforscht eine performative Deutschdidaktik u.a., „inwiefern [bei sprachlichen und literarischen Lehr- und Lern-Prozessen] Aspekte wie Körperlichkeit, Räumlichkeit, Zeitlichkeit oder Lautlichkeit berücksichtigt werden“ (ebd.: 38). Schlägt man die Brücke von den Kunst- und Theaterwissenschaften zur Deutschdidaktik, liegt es nahe, generell performative Prozesse künstlerischen Handelns auch hinsichtlich ihrer didaktisch-methodischen Gestaltungsmöglichkeiten für die Vermittlung und Unterstützung sprachlichen Lernens zu analysieren und nutzbar zu machen (vgl. ebd.).

Solch eine Perspektive wird vor allem dann wünschenswert, wenn man Sprachtheorien voraussetzt, die Sprache – ausgehend vom Sprachgebrauch – als ein zugleich kognitivesund sinnliches Gebilde erfassen (vgl. Zepter 2013). Involvieren Sprachproduktion und Sprachrezeption (Sprechen, Zuhören, Lesen, Schreiben) körperlich-sinnliche Dimensionen (Sinneswahrnehmung, Emotionen, Bewegung), impliziert dies, dass auch Lernprozesse in diesen Bereichen von einem vermittelnden bzw. angeleiteten Einbezug der körperlich-sinnlichen Dimensionen profitieren. Im folgenden Kapitel gehen wir darauf noch genauer ein und stellen eine theoretische Grundlage vor.