Perry Rhodan 1292: Das Versteck der Kartanin - Marianne Sydow - E-Book

Perry Rhodan 1292: Das Versteck der Kartanin E-Book

Marianne Sydow

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Beschreibung

Auf Beobachtungsposten in M 33 - dem Geheimnis der Giftwelt auf der Spur Die Euphorie, mit der Zehntausende von Vironauten im Jahre 429 NGZ ihre heimatliche Milchstraße verließen, um in den zwölf Galaxien der Mächtigkeitsballung von ESTARTU das große Sternenabenteuer zu erleben, ist Mitte des Jahres 430 längst einer realistischnüchternen Beurteilung der Lage gewichen - bei denen jedenfalls, die sich ihr ungetrübtes Urteilsvermögen haben bewahren können. Die vielgepriesenen Wunder von ESTARTU haben ihr wahres Gesicht enthüllt - ein Gesicht, das mannigfache Schrecken und düstere, tödliche Drohung ausstrahlt. Die Vironauten haben bereits Dinge erlebt, die ihrer ganzen Einstellung zuwiderlaufen. Doch sie müssen nun mitmachen, ob sie wollen oder nicht, denn sie sind inzwischen vereinnahmt worden, zu Rädchen in einer gewaltigen Maschinerie geworden, die von den Ewigen Kriegern beherrscht und gelenkt wird. Die Vorgänge in der Milchstraße sind weiterhin von Stalkers Bestrebungen geprägt, die Philosophie vom "Dritten Weg" weiterzuverbreiten, wobei der Abgesandte ESTARTUS immer mehr auf Ablehnung stößt. Was die Lage in M 33 betrifft, so scheint sich nach dem mit den Kartanin geschlossenen Friedensvertrag alles beruhigt zu haben. Doch Homer G. Adams bleibt skeptisch. Er setzt geheime Beobachter ein - und diese entdecken DAS VERSTECK DER KARTANIN ...

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Nr. 1292

Das Versteck der Kartanin

Auf Beobachtungsposten in M 33 – dem Geheimnis der Giftwelt auf der Spur

von Marianne Sydow

Die Euphorie, mit der Zehntausende von Vironauten im Jahre 429 NGZ ihre heimatliche Milchstraße verließen, um in den zwölf Galaxien der Mächtigkeitsballung von ESTARTU das große Sternenabenteuer zu erleben, ist Mitte des Jahres 430 längst einer realistischnüchternen Beurteilung der Lage gewichen – bei denen jedenfalls, die sich ihr ungetrübtes Urteilsvermögen haben bewahren können.

Die vielgepriesenen Wunder von ESTARTU haben ihr wahres Gesicht enthüllt – ein Gesicht, das mannigfache Schrecken und düstere, tödliche Drohung ausstrahlt. Die Vironauten haben bereits Dinge erlebt, die ihrer ganzen Einstellung zuwiderlaufen. Doch sie müssen nun mitmachen, ob sie wollen oder nicht, denn sie sind inzwischen vereinnahmt worden, zu Rädchen in einer gewaltigen Maschinerie geworden, die von den Ewigen Kriegern beherrscht und gelenkt wird.

Die Vorgänge in der Milchstraße sind weiterhin von Stalkers Bestrebungen geprägt, die Philosophie vom »Dritten Weg« weiterzuverbreiten, wobei der Abgesandte ESTARTUS immer mehr auf Ablehnung stößt. Was die Lage in M 33 betrifft, so scheint sich nach dem mit den Kartanin geschlossenen Friedensvertrag alles beruhigt zu haben.

Die Hauptpersonen des Romans

Nikki Frickel – Kommandantin der WAGEIO.

Wido Helfrich und Narktor – Nikkis alte Freunde und Kampfgefährten.

Tosja Ferugen – Ein junges Besatzungsmitglied der WAGEIO.

Dao-Lin-H'ay – Die Kartanin vernimmt die Stimme von ARDUSTAAR.

Ga-Liu-M'igay – Protektor der KASAMU.

Homer G. Adams

1.

Dao-Lin-H'ay war unzufrieden – und dies in jeder Beziehung.

Es war nicht etwa so, dass sie ungern auf Kartan war, ganz im Gegenteil: Normalerweise genoss sie es, sich auf der Ursprungswelt der Kartanin aufzuhalten. Außerdem war To-zin-kartan eine große und moderne Stadt, in der man sich jede Art von Zerstreuung verschaffen konnte. Aber Dao-Lin-H'ay war im Augenblick nicht dazu aufgelegt, die Attraktionen der Hauptstadt zu genießen.

Ihrer Meinung nach hätte schon längst etwas geschehen müssen. Man musste den erbeuteten terranischen Paratau-Fänger auseinandernehmen und studieren, um diese hochentwickelte Maschine nachzubauen, und man musste die MASURA – oder ein anderes Schiff – für einen erneuten Fernflug ausrüsten, um eine neue Ladung Paratau aus der fernen Galaxis Fornax zu holen. Man musste ...

Aber es geschah nichts.

»Es ist zum Aus-der-Haut-fahren«, sagte Dao-Lin-H'ay zu sich selbst, und während sie sprach, erschrak sie über sich, denn es war nicht ihre Angewohnheit, Selbstgespräche zu führen.

Unwillkürlich fuhr sie die Krallen ihrer rechten Hand aus und hakte sie in den kostbaren Stoff der Gardine, aber sie beherrschte sich und zog die Krallen wieder zurück.

Es brachte nichts ein, wenn sie in dem ihr von Shu-Han-H'ay persönlich zugewiesenen Quartier zu randalieren begann.

Auch das war etwas, was Dao-Lin mit Zorn erfüllte, denn sie verstand es nicht: Die Hohe Frau der Familie H'ay hatte ihr befohlen, in diesem Haus nahe am »Graben« zu wohnen und zu warten, bis neue Anweisungen erteilt wurden.

Dao-Lin-H'ay hätte es vorgezogen, in die MASURA zurückzukehren. In diesem Stadthaus der Familie H'ay, in dem die Hohe Frau und ihre Berater und Begleiter beiderlei Geschlechts sich zu internen Gesprächen zu treffen und zwischen anstrengenden Sitzungen auszuruhen pflegten, fühlte sie sich mittlerweile seltsam fehl am Platz. Es zog sie zurück in ihr Schiff – zurück in den unendlichen Weltraum.

Sie war ehrlich genug, um sich einzugestehen, dass ihr Verhalten merkwürdig war. Sie hätte die Gunst, die Shu-Han-H'ay ihr erwies, sicher mehr zu schätzen gewusst, wenn man ihr gesagt hätte, wie es weitergehen sollte, das war sicher. Aber auch so waren ihr Zorn und ihre Ungeduld schwer zu erklären.

Sie starrte angestrengt in den »Graben« hinunter. Dünne Schneeflocken wirbelten am Fenster vorbei, und obwohl es oben, außerhalb der Schlucht, noch hell war, reichte das Tageslicht hier unten kaum noch aus, um die andere Seite des »Grabens« hinter dem wirbelnden Schnee auszumachen. Auch den Augen der Kartanin waren gewisse Grenzen gesetzt. Im »Graben« selbst brannten zahlreiche Lampen.

Dao-Lin-H'ay richtete ihre Blicke auf die Ratshalle, die einem stählernen Zelt von zweihundert Meter Höhe und einem Durchmesser von einhundertzwanzig Metern ähnelte.

Ob die Hohen Frauen sich dort jetzt über die weiteren Geschicke der Kartanin berieten?

Es war sinnlos, die Vorgänge in der Ratshalle belauschen zu wollen, aber unwillkürlich entspannte Dao-Lin-H'ay sich, in der Hoffnung, doch etwas aufzuschnappen – irgend etwas, das ihr sagte, dass sie bald neue Befehle bekommen würde. Sie tastete nach dem Tropfen Paratau, den sie normalerweise in der Tasche mit sich trug, aber sie hatte den letzten Tropfen schon vor Tagen bei einem ähnlichen Versuch verbraucht. Vielleicht war das der Grund, warum Shu-Han-H'ay ihr dieses neue Quartier angewiesen hatte, anstatt sie – wenn sie schon nicht zur MASURA zurückkehren durfte – wenigstens in der Ratshalle bleiben zu lassen, wo man sie nach ihrer Rückkehr in die Heimat untergebracht hatte: Sie war zu neugierig.

Aber sie war nicht neugierig! Sie wollte nur endlich etwas unternehmen können. Alles war besser als dieses tatenlose Warten.

Natürlich empfing sie nichts. Aber als sie sich konzentrierte, wich die Ungeduld ein wenig zurück. In dem Bemühen, es auch ohne den Paratau-Tropfen zu schaffen, konzentrierte Dao-Lin-H'ay sich so stark, dass sie das trübe Licht, den Schnee, die Finsternis im »Graben« und die hell angestrahlte Ratshalle gar nicht mehr wahrnahm.

Als sie den Versuch bereits aufgeben wollte, spürte sie am Rand ihres Bewusstseins ein Wispern. Es war jedoch zu schwach und zu leise, als dass sie mehr als ein paar Gedankenfetzen wahrnehmen konnte.

»Dao-Lin«, sagte jemand. »ARDUSTAAR.«

Sie zuckte zusammen und zog sich hastig zurück.

Davon hatte sie mittlerweile gründlich genug.

Sie erinnerte sich deutlich der ersten Botschaft – falls es eine Botschaft gewesen war. Sie hatte eine mentale Stimme vernommen.

Halte dich bereit, Dao-Lin-H'ay!, hatte diese Stimme ihr mitgeteilt. Der Tag ist nicht mehr fern, da wirst du mit einer großen Flotte aufbrechen, um Großes zu vollbringen.

Und als Dao-Lin-H'ay wissen wollte, wer ihr diese seltsame Mitteilung zugedacht hatte, da hatte die Antwort nur aus einem einzigen Wort bestanden:

ARDUSTAAR!

Dao-Lin-H'ay hasste Rätsel, die sich nicht lösen ließen, und sie mochte keine Stimmen, die unwirkliche Botschaften verkündeten, ohne zu sagen, was sie wirklich beabsichtigten. Sie hatte das Ereignis anfangs niemandem gegenüber erwähnt. Selbst Shu-Han-H'ay gegenüber hatte sie geschwiegen.

Aber die Hohe Frau, die der beste Esper der Großen Familie H'ay war, hatte gespürt, dass Dao-Lin etwas verbarg, und sie zur Rede gestellt. Die Protektorin der MASURA erinnerte sich nur mit großem Unbehagen an dieses Gespräch. Es war auch nichts dabei herausgekommen, denn bei allem Respekt vor Shu-Han-H'ay hatte Dao-Lin es vorgezogen, nicht über dieses merkwürdige Ereignis zu sprechen.

Daraufhin hatte die Hohe Frau es aufgegeben, bohrende Fragen zu stellen. Eine halbe Stunde später war eine sehr junge Kartanin erschienen, hatte Dao-Lin-H'ay in ihr derzeitiges Quartier geleitet und ihr die Anweisungen Shu-Han-H'ays übermittelt. Die Hohe Frau hatte sich seither nicht blicken lassen – was kein Wunder war, denn sie hatte gewiss viel zu tun. Aber selbst als Dao-Lin-H'ay erneut diese mentale Stimme vernahm und ihrerseits versuchte, sich bei Shu-Han Rat zu holen, war diese nicht für sie zu sprechen gewesen.

Es war keine Unverschämtheit, die Dao-Lin auf den Gedanken brachte, dass die Hohe Frau ihr aus dem Weg ging und sich sogar verleugnen ließ. Man konnte von Shu-Han-H'ay nicht verlangen, dass sie sich persönlich um jedes Familienmitglied kümmerte, das plötzlich rätselhafte Stimmen zu hören begann. Aber Dao-Lin-H'ay war kein gewöhnliches Mitglied der Familie. Sie war die Protektorin der MASURA – oder war sie etwa auch das nicht mehr? Hatte sie – ohne es zu ahnen – einen so schwerwiegenden Fehler begangen, dass man sie einfach zur Seite schob, ohne es für nötig zu halten, mit ihr darüber zu reden?

Sie ballte die Hände und wandte sich vom Fenster ab. Die Krallen wollten ihr aus den Fingern fahren, aber sie hielt die Fäuste geschlossen, und ganz langsam verging ihre Wut.

Es hatte keinen Sinn, sich aufzuregen, und sie wusste das. Es war besser, sich in Geduld zu fassen und zu warten. Es war kartanisch, ein Problem, wie Dao-Lin es zur Zeit hatte, in Ruhe anzugehen, und es war ganz und gar unkartanisch, sich hinreißen zu lassen und grundloser Wut nachzugeben.

Die Protektorin der MASURA streckte sich auf einer bequemen Liege aus, fest entschlossen, sich ab sofort in Geduld zu fassen, mochte kommen, was da wolle.

Aber es war schwer, die aufgeregten Gedanken zurückzudrängen. Als Dao-Lin-H'ay es endlich schaffte, fühlte sie sich erschöpft wie nach einem schweren Kampf. Dankbar darüber, dass es endlich vorbei war, entspannte sie sich. Und gerade als sie an der Grenze zum Schlaf stand, fast schon den ersten Traum vor sich sah, durchfuhr es sie wie ein elektrischer Schlag.

Hier spricht die Stimme von ARDUSTAAR, dröhnte eine mentale Botschaft in ihrem Bewusstsein auf, viel lauter, viel stärker und gewaltiger als beim ersten Mal. Du, Dao-Lin-H'ay, wirst den erbeuteten Paratau-Fänger in das N'jala-System bringen und ihn dort an ein Schiff übergeben, das bereits auf dich warten wird. Du wirst an Bord dieses Schiffes gehen. Sei demütig und füge dich deinem Schicksal, und dir ist eine große Zukunft gewiss!

*

Mit Dao-Lin-H'ays mühsam erkämpfter innerer Ruhe war es vorbei. Die Stimme von ARDUSTAAR war ihr diesmal mit solcher Gewalt durchs Gehirn gefahren, dass die Worte wie ein Echo in ihrem Bewusstsein nachhallten. Sie spürte einen vagen Schmerz im Kopf, und ihre Hände zitterten. Sie fühlte sich, als wäre sie unversehens einem Geist über den Weg gelaufen.

In dieser Situation hätte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als so ungestört zu bleiben, wie sie es bisher gewesen war. Aber als hätte sich alles gegen sie verschworen, begehrte ausgerechnet jetzt jemand Einlass.

»Wer immer das auch sein mag – er soll sich wegscheren«, murmelte Dao-Lin ärgerlich und rieb sich die schmerzende Stirn.

Der kleine Automat, der das Signal übermittelt hatte, kümmerte sich nicht darum, sondern schaltete einen Lautsprecher ein.

»Öffne die Tür, Dao-Lin!«, sagte eine Stimme, und die Protektorin der MASURA zuckte zusammen.

Wochenlang hatte Shu-Han-H'ay jedes Gespräch abgelehnt und war jeder Begegnung ausgewichen – ausgerechnet jetzt schien sie es sich anders überlegt zu haben. Dao-Lin-H'ay fühlte sich in keiner Weise imstande, ein Gespräch mit der Hohen Frau zu führen. Sie war sich jedoch der Tatsache bewusst, dass man eine Shu-Han-H'ay nicht warten ließ.

Die Hohe Frau betrat das Zimmer und musterte Dao-Lin-H'ay kurz, dann sah sie sich um und lächelte flüchtig.

»Jetzt verstehe ich deine Ungeduld«, bemerkte sie in einem beiläufigen Tonfall, als sei sie nur zu einer unverfänglichen Plauderei vorbeigekommen. »Warum hast du nichts unternommen, um es dir hier bequem zu machen?«

Die Protektorin der MASURA war wie vor den Kopf geschlagen. Das Quartier war ihr von der Hohen Frau zugewiesen worden – es wäre ein Akt gröbster Unhöflichkeit gewesen, diesen Raum zu verändern.

»Du brauchst dich nicht zu genieren«, sagte Shu-Han-H'ay beruhigend. »Vergiss nicht – du bist die Protektorin eines Fernraumschiffes. Du hast gewisse Rechte.«

»Tatsächlich?«

Die Hohe Frau musterte sie erstaunt, und Dao-Lin biss sich auf die Lippen.

»Entschuldige«, bat sie. »Ich bin ein wenig nervös.«

»Das merke ich«, stimmte Shu-Han-H'ay zu. »Du hast mehrmals versucht, mich zu sprechen. Es tut mir leid, dass ich dich warten lassen musste, aber es war leider nicht zu vermeiden. Was wolltest du mir sagen?«

Dao-Lin-H'ay sagte sich, dass sie es nicht anders verdient hatte. Sie hätte der Hohen Frau von Anfang an die Wahrheit sagen müssen. Andererseits – wer konnte wissen, was sich hinter dieser obskuren »Stimme« verbarg? Vielleicht hatte der gewagte Versuch, die MASURA auf psionischem Weg nach Kartan zurückzubefördern, doch gewisse Nachwirkungen?

Sie hatte sich in der Zwischenzeit schon so oft den Kopf darüber zerbrochen, dass sie fast schon selbst an diese Möglichkeit glaubte. Schließlich war so etwas auch noch nie zuvor versucht worden: Als die Lage als völlig hoffnungslos erschien und die MASURA mit ausgebrannten Triebwerken zwischen dem Fernen Nebel, den die Terraner Milchstraße nannten, und der Heimatgalaxis der Kartanin festhing, hatte Dao-Lin-H'ay in einer spontanen Deflagration die psionische Energie einer großen Menge von Paratau-Tropfen – etlichen hunderttausend Stück, um genau zu sein – freisetzen und zum Transport des Raumschiffs verwenden lassen. Das Experiment war gelungen, aber die Protektorin dachte nur mit Schrecken an die Begleiterscheinungen zurück, die alle Esper an Bord, vor allem aber sie selbst, gespürt hatten. War es ein Wunder, wenn man hinterher dazu neigte, Stimmen zu hören?

Sie sah, dass Shu-Han-H'ay sie beinahe mitleidig betrachtete, und das ärgerte sie. Dann steckte die Hohe Frau die rechte Hand in eine Tasche ihrer blütenweißen Uniform und holte einen kleinen Paratau-Tropfen hervor.

»Das wird dir wieder auf die Beine helfen«, sagte Shu-Han-H'ay.

Dao-Lin streckte unwillkürlich die Hand aus, und die Hohe Frau ließ die kleine Träne N'jalas hineinfallen. Dao-Lin umschloss den Tropfen mit den Fingern, und sie spürte, wie frische Kräfte auf sie übergingen. Hastig steckte sie die Träne N'jalas ein, denn sie wollte das kostbare Stück nicht ohne zwingenden Grund aufbrauchen.

»Und nun erzähle mir, was geschehen ist«, bat Shu-Han-H'ay freundlich und nahm Platz.

Die Berührung mit der Träne N'jalas hatte wahre Wunder gewirkt. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in diesen Räumlichkeiten fühlte Dao-Lin sich wieder halbwegs ausgeglichen. Sie wusste zwar noch immer nicht, was sie von der mentalen Botschaft zu halten hatte, aber sie hatte andererseits keine Bedenken mehr, mit der Hohen Frau darüber zu sprechen. Dabei sagte sie sich, dass es ohnehin gleichgültig war, was dabei herauskam: Wenn sie nicht mehr bei Verstand war, dann war es für alle Beteiligten besser, dies so schnell wie möglich zu erfahren.

Aber Shu-Han-H'ay hörte aufmerksam und ernsthaft zu, ohne offen oder auch nur versteckt über Dao-Lin zu lächeln. Das war so ermutigend, dass die Protektorin es wagte, auch jene Botschaft wiederzugeben, die sie eben erst empfangen hatte.

»Was du gehört hast«, sagte Shu-Han-H'ay schließlich, »das ist die STIMME, die auch die Hohen Frauen ab und zu vernehmen.«

Dao-Lin begriff im ersten Augenblick nur eines: Was immer oder wer auch immer mit ARDUSTAAR identisch sein mochte – die Stimme jedenfalls war kein Hirngespinst und auch kein Phänomen, das es allein auf die Protektorin der MASURA abgesehen hatte.

Sie war so erleichtert, dass sie beinahe gelacht hätte. Sie hatte sich ganz umsonst den Kopf zerbrochen.

Oder etwa nicht?

Shu-Han-H'ays Miene wirkte seltsam verwirrt, als sie fortfuhr:

»Die STIMME hat schon viele wichtige Entscheidungen für das Volk der Kartanin getroffen. Man tut immer gut daran, sich ihren Empfehlungen zu beugen.«

Dao-Lin dachte an diese letzte Botschaft, und plötzlich hatte sie ein merkwürdiges Gefühl.

»Bist du sicher, dass es keine Ausnahmen gibt?«, fragte sie zögernd.

Shu-Han-H'ay sah sie zweifelnd an.

»Ja«, murmelte sie, aber während sie sprach, stand sie auf und wandte sich ab, so dass Dao-Lin das Gesicht der Hohen Frau nicht mehr sehen konnte.

Shu-Han trat ans Fenster und starrte hinaus. Dao-Lin unterdrückte den Impuls, ihr zu folgen. Sie hätte zu gerne die Augen der Hohen Frau gesehen, als diese sagte:

»Wenn du den Ruf der STIMME vernimmst, dann musst du ihr folgen. Du darfst dich nicht weigern, Dao-Lin.«