Perry Rhodan 1357: Nach dem Holocaust - Marianne Sydow - E-Book

Perry Rhodan 1357: Nach dem Holocaust E-Book

Marianne Sydow

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Beschreibung

Sie kämpft ums Überleben - sie gehört zu den letzten Lao-Sinh Die Folgen der verheerenden Paratau-Explosion nehmen immer stärkere Ausmaße an. Das zeigt sich auch bei der Vollversammlung der Netzgänger, in deren Verlauf die Gruppe aufgelöst wird. Immerhin beschließen die Netzgänger, künftig den Wesen im Bereich der Mächtigkeitsballung Estartu zu helfen. Nach dem Untergang des Psionischen Netzes gibt es im Reich der Zwölf Galaxien nämlich bald so gut wie keine bemannte Raumfahrt mehr - ein Chaos mit fürchterlichen Auswirkungen wird die unweigerliche Folge sein. Betroffen sind aber auch jene Kartanin, die das so genannte Tarkanium errichtet haben. Das Ende ihres kleinen Reiches als politischer Machtfaktor war in jenem Augenblick gekommen, als die gehorteten Vorräte der "Tränen N'jalas" spontan flagierten. Die Katastrophe warf die Entwicklung eines ganzen Volkes weit zurück. Dass überhaupt einige der Lao-Sinh-Kolonisten die Paratau-Katastrophe überlebten, kann man angesichts dieser Auswirkungen fast als Wunder bezeichnen. Vor allem dann, wenn man sich die Geschichte vergegenwärtigt, die Sue-El-K'yons zu erzählen hat. Die Esper-Schülerin gehört zu den Letzten der Lao-Sinh. Als Überlebende ist sie weiterhin gefährdet NACH DEM HOLOCAUST ...

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Nr. 1357

Nach dem Holocaust

Sie kämpft ums Überleben – sie gehört zu den letzten Lao-Sinh

von Marianne Sydow

Auf Terra schreibt man den Frühling des Jahres 447 NGZ, was dem Jahr 4034 alter Zeitrechnung entspricht. Somit sind seit den dramatischen Ereignissen, die zum Kontakt mit ESTARTUS Abgesandten und zur Verbreitung der Lehre des Permanenten Konflikts in der Galaxis führten, bald zwei Jahrzehnte vergangen.

Dann, nach dem Tod des Sothos Tyg Ian, können die Galaktiker für eine Weile aufatmen, weil das dramatische Geschehen sich in die Mächtigkeitsballung ESTARTU verlagert. Und dort tritt das ein, was die Netzgänger und ihre Helfer mit aller Kraft zu verhindern trachteten: die Katastrophe im Tarkanium.

Die Folgen dieser verheerenden Paratau-Explosion sind äußerst weitreichend. Teile einer Galaxis aus dem Fremduniversum Tarkan gelangen in unseren eigenen Kosmos – und andere erschreckende und überraschende Dinge geschehen im Gefolge dieses Materietransports.

Die Hauptpersonen des Romans

Sue-El-K'yon – Eine Esper-Schülerin.

Shu-Dan-H'ay – Sue-Els unfreiwilliger Helfer.

Gucky – Der Mausbiber als Erzieher.

Eirene, Ras Tschubai und Fellmer Lloyd – Die Galaktiker als Nothelfer.

Bao at Tarkan

1.

Sue-El-K'yon sah geflügelte Schlangen durch die Luft gleiten und Kartanin fressen, die in der Gegend herumflogen, und sie fürchtete sich. Sie entdeckte unter den fliegenden Kartanin eine bekannte Gestalt: Chi-Toa-H'ay, eine der Erzieherinnen aus der Esper-Schule, in der Sue-El seit sechs Jahren lebte. Sie sprang auf und winkte Chi-Toa zu, und diese nahm auch prompt Kurs auf die junge Kartanin. Aber während sie näher kam, verwandelte sich Chi-Toa-H'ay in eine dieser grässlichen Schlangen. Sie riss das Maul weit auf und ...

Sue-El erwachte.

Sie zitterte am ganzen Körper – teils vor Furcht, teils vor Kälte. Über ihrem Kopf sah sie grüne Blätter, und als sie sich aufrichtete, entdeckte sie, dass sie am Rand der Lichtung lag, auf der man die Esper-Schule errichtet hatte.

Wie war sie hierhergekommen? Und warum hatte sie draußen geschlafen?

Aus den Blättern tropfte es. Auch das Gras, in dem Sue-El gelegen hatte, war triefend nass. Ihre Kleidung ebenfalls. Kein Wunder, dass sie so erbärmlich fror – es war zwar nicht wirklich kalt, aber sie mochte schon seit Stunden in dieser Nässe gelegen haben.

Aber warum?

Sie senkte den Kopf und versuchte sich zu konzentrieren. Es fiel ihr schwer. Ihr Kopf schmerzte – eine Beule, wie sie feststellte –, und hinter ihren Augen war ein seltsames Brennen.

Warum kam niemand, um ihr zu helfen?

Sie ging um einige Büsche herum, langsam und taumelnd, und dann blieb sie erschrocken stehen.

Die Esper-Schule existierte nicht mehr. Das riesige, zeltförmige Dach war zerfetzt und aufgerissen. Die Trümmer waren über die ganze Lichtung verteilt. Einige Innenmauern standen noch, und man konnte in teilweise zerstörte Räume hineinsehen. Hier und da züngelten Flammen, und an einer Stelle stieg schwarzer Rauch auf. Eine gespenstische Szenerie.

Sue-El-K'yon stand regungslos da und starrte auf dieses grauenvolle Bild des Schreckens. Dann sah sie, dass sich zwischen den herumliegenden Trümmern etwas vorsichtig bewegte. Das brach den Bann des Entsetzens.

Sie lief hin, und schon unterwegs entdeckte sie weiße Flecken im Gras, die keine Trümmer waren. Es waren Kartanin. Sue-El-K'yon zählte sie nicht, aber es mussten mindestens ein Dutzend sein, und sie waren alle tot. Neben einem großen Trümmerstück hob sich ein Arm und winkte. Sue-El beeilte sich und starrte dann erschrocken auf eine Kartanin, die zur Hälfte unter den Trümmern begraben war. Es war eine der älteren Erzieherinnen – sie kannte ihren Namen nicht. Sie betreute die ganz jungen Schülerinnen und war erst seit wenigen Jahren hier. Sue-El hatte nie etwas mit ihr zu tun gehabt.

»Hilf mir!«

Sue-El riss sich zusammen und stemmte sich gegen die Trümmer, aber sie war zu schwach, um diese großen Brocken zu bewegen.

»Ich brauche ein paar Tränen N'jalas«, stieß sie hervor. »Ich werde welche holen!«

Die verletzte Kartanin stieß ein hysterisches Gelächter aus, das in einem lang gezogenen Schrei endete. Der Schrei brach ab. Sue-El starrte entsetzt auf die tote Erzieherin. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals hinauf, und das Brennen hinter ihren Augen wurde so schlimm, dass sie kaum noch etwas sehen konnte. Ihr wurde schwindelig, und sie musste sich hinsetzen und warten, bis es vorüber war.

Sie hatte sich noch nicht ganz erholt, da hörte sie aus dem nahen Wald ein wildes Fauchen und Schreien, und sie wusste sofort, dass das Kartanin waren. Sie prügelten sich, und zwar nicht zum Spaß.

Sue-El gehorchte einem Instinkt, der ihr riet, hinter den Trümmern Deckung zu suchen, sich zu verstecken. Sie sagte sich, dass sie keinen Grund hatte, sich vor ihren Artgenossen zu fürchten, aber ihre Instinkte waren stärker.

Zitternd duckte sie sich hinter einen großen Fetzen der Dachverkleidung, der wie ein riesiges Stück zerknülltes Papier aussah. Sie wagte es nicht, sich zu bewegen, geschweige denn hinter ihrem Versteck hervorzuschauen, während das Schreien und Fauchen immer näher kam. Endlich wurde es still, und als Sue-El vorsichtig über den Rand der Dachverkleidung hinweglugte, sah sie zwei Kartanin, die am Waldrand lagen und sich nicht rührten. Die Kleidung der beiden war blutverschmiert.

Voller Furcht schlich Sue-El weiter, zuerst zu dem zerstörten Gebäude, dann um die Schule herum. Sie fand viele Tote, aber allmählich schärfte sich ihr Blick, und sie erkannte, dass nicht alle durch die Explosion in der Schule ums Leben gekommen waren. Viele waren erst später gestorben, und nicht selten war Gewalt im Spiel gewesen.

Allmählich begriff sie, was geschehen war.

Es hatte in der Schule stets einige tausend Tränen N'jalas gegeben, ein nicht unerheblicher Vorrat, der regelmäßig ergänzt wurde. Die Schülerinnen brauchten die Tränen, um ihre Esper-Fähigkeiten zu trainieren. Dieser Vorrat musste deflagriert sein – schlicht und einfach in die Luft geflogen. Die Explosion hatte den größten Teil der Schülerinnen und Erzieherinnen getötet. Die anderen waren der Psiphrenie verfallen, einer Form von Wahnsinn, die durch die Überflutung des Gehirns mit Psi-Energien hervorgerufen wurde.

Sue-El hörte erneut das Fauchen und Kreischen sich streitender Kartanin, und das Blut stockte ihr in den Adern.

Offenbar waren einige von denen, die es nicht gleich tödlich erwischt hatte, immer noch am Leben. Sie waren in diesem Zustand unberechenbar.

Sie blieb in Deckung und wartete, bis es wieder ruhig war. Dann schlich sie sich unter das weit vorspringende Dach, wo sie im Schatten stand und nicht gleich für jeden, der die Lichtung betrat, sichtbar war. Hier fühlte sie sich sicherer, obwohl das Dach wie auch die Wände stellenweise heruntergebrochen waren und noch immer ab und zu Trümmerteile herabfielen.

Sie fand ein kleines Wasserbecken und trank gierig, obwohl das Wasser nicht sehr sauber war. Danach ging es ihr etwas besser. Sie fühlte sich noch immer schwach und krank, aber sie hatte von sich den Eindruck, völlig normal zu sein.

Sie setzte sich auf den Rand des Wasserbeckens und überlegte. Langsam kehrte ihre Erinnerung zurück.

Die Esper-Schule war stets eine kleine Welt für sich gewesen. Die Schülerinnen sollten sich hier auf ihre Ausbildung konzentrieren, und man hielt es für richtig, sie nicht mit unwichtigen Informationen zu behelligen, die sie doch nur von ihrem eigentlichen Ziel ablenken konnten. Als unwichtig galten in diesem Zusammenhang alle Informationen, die nicht in direktem Zusammenhang mit der Ausbildung standen.

Dennoch waren einige Gerüchte bis in die Schule gedrungen. Die Tränen N'jalas waren in Gefahr, hatte es geheißen, und viele Esper hätten sterben müssen, um sie zu schützen. Die Erzieherinnen hatten diese Gerüchte stets dementiert, aber es ließ sich nicht leugnen, dass sie in der letzten Zeit ungeduldiger als sonst gewesen waren. Das hatten besonders die älteren Schülerinnen zu spüren bekommen, zu denen auch Sue-El-K'yon gehörte.

Es war ungewöhnlich, dass die Erzieherinnen gerade jene Schülerinnen, die kurz vor ihrer abschließenden Prüfung standen, so sehr unter Druck setzten, wie es in den letzten Tagen geschehen war.

Sue-El-K'yon gehörte nicht zu denen, die etwas auf Geschwätz gaben, aber jetzt, nach dieser Katastrophe, fragte sie sich doch, ob an den Gerüchten am Ende doch etwas Wahres gewesen war ...

Sie wies diesen Gedanken energisch von sich.

Die Tränen N'jalas waren sicher verwahrt. Tausende von Espern sorgten dafür, dass nichts und niemand ihnen einen Schaden zufügen konnte.

Die Katastrophe, die hier in der Schule stattgefunden hatte, ließ sich auf sehr einfache Weise erklären: Jene Kartanin, die den Tränenvorrat zu schützen hatten, hatten versagt. Es war nicht das erste Mal, dass so etwas passiert war. Es geschah nicht oft, aber es kam ab und zu einmal vor. Das war alles.

Aber warum kam niemand, um zu helfen?

Sue-El erinnerte sich jetzt vage daran, dass sie gegen Abend einen Spaziergang unternommen hatte. Sie war in den Wald gegangen. Sie hatte ein stundenlanges, sehr anstrengendes Training hinter sich, und sie brauchte einfach ein wenig Ruhe. Sie war über die Lichtung gegangen, und am Waldrand hatte sie sich umgedreht und gesehen, dass die letzten Sonnenstrahlen gerade die Spitze des zeltförmigen Daches berührten. Und dann ...

Sie erinnerte sich nicht daran, was dann geschehen war. Fest stand nur, dass es jetzt später Nachmittag war, und das bedeutete, dass die Katastrophe schon vor fast einem ganzen Tag stattgefunden hatte.

Zeit genug, dass man in der Stadt davon erfahren haben musste. Wo also blieben die Gleiter mit Ärzten und anderem Hilfspersonal?

Erneutes Schreien und Fauchen erklang, und der jungen Kartanin wurde klar, dass sie sich im Augenblick besser um ihre eigene Sicherheit kümmern sollte, als auf Hilfe von außen zu warten.

Sie erinnerte sich daran, dass es in der Schule Waffen gab. Natürlich nicht für die Schülerinnen, auch nicht für die Erzieherinnen, sondern nur für einen ganz bestimmten Teil des Personals. Es gab einige männliche Kartanin, die für Sauberkeit sorgten, die Lichtung in Ordnung und den immer wieder vorrückenden Dschungel in Zaum hielten, das Essen zubereiteten und ab und zu auf die Jagd gingen. Der Wald war reich an Wild, auch wenn das, was man hier fing, nicht immer dem Geschmack der Kartanin entsprach.

Diese männlichen Kartanin bewohnten eine kleine Reihe von Räumen, die hinter der Küche und dem Waschraum direkt an der Außenwand lagen. Wahrscheinlich bewahrten sie dort auch die wenigen Waffen auf, die sie für die Jagd brauchten. Sue-El beschloss, dort nachzusehen.

Glücklicherweise brauchte sie nicht weit zu gehen und konnte fast den ganzen Weg über in der Deckung unter dem Dach bleiben. Einige Klettertouren über herabgestürzte Trümmer nahm sie dabei in Kauf. Sie fand die richtige Tür und öffnete sie – und erstarrte, als sie plötzlich Stimmen hörte.

Sie hatte es als selbstverständlich angenommen, dass auch die männlichen Kartanin durch die Katastrophe ums Leben gekommen waren oder – ihrer Sinne nicht mehr mächtig – durch die Wildnis irrten. Stattdessen waren mindestens zwei von ihnen wohlauf. Sie unterhielten sich mit unterdrückter Stimme, schienen aber noch nicht bemerkt zu haben, dass man sie entdeckt hatte.

Sue-El ging den Stimmen nach und stieß schließlich eine Tür auf. Vor ihr lag ein kleiner, sauberer Raum. Rechts war ein Lager, auf dem ein älterer Kartanin lag. Ein jüngerer Bursche saß neben ihm und flößte ihm etwas ein. Beide waren wie erstarrt.

Sue-El bemerkte eine Waffe, die auf einem niedrigen Tischchen lag, und schnellte sich hinüber, bevor der jüngere, unverletzte Kartanin auf die gleiche Idee kommen konnte.

»Was tut ihr denn hier?«, fragte sie barsch.

Der Kartanin auf dem Lager bewegte sich schwach.

»Bitte, tu uns nichts«, sagte er leise. »Wir sind nicht deine Feinde.«

»Das will ich auch sehr stark hoffen«, erwiderte Sue-El-K'yon. »Wie kommt es denn, dass ihr noch normal seid?«

»Wir wissen es nicht«, beteuerte der jüngere Kartanin. »Wir waren bewusstlos. Wir sind erst vor Kurzem zu uns gekommen. Kannst du uns sagen, was passiert ist?«

»Die Tränen N'jalas sind deflagriert«, erklärte Sue-El.

»Also doch!«, flüsterte der auf dem Lager. »Kurz vorher hieß es, dass das ganze Tränennetz ...«

»Ich rede von den Tränen, die wir hier in der Schule hatten«, fiel Sue-El ihm ins Wort. »Es ist ein Unglücksfall, der immer einmal vorkommen kann. Wie heißt ihr?«

»Ich bin Ju-Mei-H'ay«, sagte der Ältere. »Das dort ist Shu-Dan-H'ay. Wer bist du?«

»Sue-El-K'yon«, sagte sie. »Bist du krank?«

»Ein Jagdunfall«, erklärte Ju-Mei und deutete auf seinen linken Fuß. »Ein giftiges Tier hat mich gebissen. Es ist nicht schlimm. In ein paar Tagen werde ich wieder laufen können.«

»So lange können wir nicht warten«, sagte Sue-El. »Draußen liegen viele Leichen herum. Wir werden einen der Kühlräume nehmen und sie dort drinnen aufbewahren, bis wir Hilfe bekommen.«

Shu-Dan-H'ay blickte auf den Verletzten hinab und senkte schließlich resignierend den Kopf.

»Mehr kann ich jetzt sowieso nicht für dich tun«, murmelte er bedauernd. »Nimm ein Schlafmittel – dann kommst du schneller darüber hinweg.«

»Er muss mitarbeiten!«, forderte Sue-El-K'yon.

»Das kommt nicht infrage!«, protestierte Shu-Dan wütend. »Er ist geschwächt, und wenn er sich nicht schont, wird das Serum nicht wirken.«

»Das ist mir egal ...«

Shu-Dan packte Sue-El-K'yon am Arm und zog sie nach draußen. Sie war so überrascht, dass sie es geschehen ließ. Erst als sie schon vor der Tür stand, schüttelte sie Shu-Dans Hand energisch ab.

»Was erlaubst du dir ...«, begann sie zischend vor Wut, aber Shu-Dan ließ sie nicht ausreden. Er schloss die Tür und schob Sue-El weiter, den Gang entlang und nach draußen.

»Du wirst Ju-Mei in Ruhe lassen!«, forderte er dann.

»Ich denke nicht daran!«

»Dann werde ich dich dazu zwingen.«

Sue-El betrachtete den jungen Kartanin verblüfft. Shu-Dan war nicht viel älter als sie selbst, und er war zwar hochgewachsen, aber sehr schlank. Sie traute ihm keine besonderen Kräfte zu.

»Ich bin eine Esper«, sagte sie. »Du kannst mich zu gar nichts zwingen. Wenn du es versuchst, werde ich dir Respekt beibringen, und glaube mir, du wirst es bereuen.«

»Ich denke, die Tränen N'jalas sind deflagriert?«, bemerkte Shu-Dan erstaunlich gelassen. »Ohne die Tränen kannst du überhaupt nichts tun.«

»Da wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher!«, warnte Sue-El-K'yon. »Also – ihr beide werdet euch draußen umsehen. Vielleicht sind noch ein paar Überlebende auf der Lichtung oder am Waldrand zu finden. Außerdem schafft ihr die Leichen weg. Ich durchsuche inzwischen das Gebäude.«

»Ju-Mei wird nicht arbeiten«, sagte Shu-Dan halsstarrig. »Dabei bleibt es.«

»Nun gut«, meinte Sue-El, die allmählich spürte, dass sie solchen Auseinandersetzungen zurzeit nicht gewachsen war. »Dann musst du eben für zwei arbeiten. Wenn du das lange genug getan hast, wirst du es dir schon anders überlegen. Es ist deine Sache, ob du Ju-Meis Faulheit unterstützen willst oder nicht!«

»Faulheit?« Shu-Dan-H'ay explodierte fast. »Er braucht viel Glück, wenn er diese Sache überleben soll, und wahrscheinlich wird er das Bein nie wieder richtig bewegen können. Wir müssten ihn eigentlich so schnell wie möglich in die Stadt schaffen, aber ...«

Das war gar keine üble Idee!

»Natürlich!«, sagte Sue-El. »Das ist es! Wir schaffen ihn in die Stadt, und bei der Gelegenheit holen wir auch gleich Hilfe.«

»Wir wären schon längst unterwegs, wenn das so einfach wäre«, erklärte Shu-Dan bitter. »Aber der Gleiter ist weg. Und zu Fuß würden wir es niemals schaffen – nicht einmal ohne Ju-Mei.«

»Der Gleiter ...«

Jetzt fiel es ihr wieder ein. Am Tag davor war die Leiterin der Esper-Schule mit zwei Erzieherinnen und einigen Schülerinnen zur Stadt gefahren. Es hieß, dass sie beim Tränennetz eingesetzt werden sollten – die richtige Nahrung für die ohnehin gärenden Gerüchte.

»Bist du sicher?«, fragte sie. »Hast du nachgesehen?«

»Ja.«

Das bedeutete, dass die Leiterin nicht zurückgekehrt war. Sue-El bekam es mit der Angst zu tun, denn dies deutete natürlich darauf hin, dass es sich doch nicht nur um eine örtliche Katastrophe gehandelt hatte.

»Sie werden sich verspätet haben«, murmelte sie, und sie bemühte sich, ihre eigene Unsicherheit zu unterdrücken. »Wahrscheinlich sind sie gerade auf dem Rückweg. Dann können sie jeden Augenblick hier eintreffen.«

Shu-Dan-H'ay bedachte sie mit einem mitleidigen Blick.