Perry Rhodan 3222: Die letzte Drangwäsche - Ben Calvin Hary - E-Book

Perry Rhodan 3222: Die letzte Drangwäsche E-Book

Ben Calvin Hary

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Beschreibung

Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Wie es aussieht, könnte Perry Rhodan, der als erster Mensch von der Erde auf Außerirdische gestoßen ist, sich endlich seinem großen Ziel nähern: der alte Traum von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmung ein, man arbeitet intensiv und gleichberechtigt zusammen. Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit. Doch ES weilt nicht mehr in der Galaxis – das Geisteswesen scheint in ungezählte Fragmente zersplittert zu sein, die sich in verborgenen Fragmentrefugien ballen. Diese Refugien zu finden und die Fragmente wieder zu vereinen, ist Rhodans Ziel. In der fernen Galaxis Morschaztas unweit Gruelfins sind Atlan und er unterwegs und stellen sich den Panjasen, die das dortige Refugium für sich beanspruchen. Auch andere Unsterbliche und deren Wegbegleiter suchen nach den Fragmentrefugien. Zwei von ihnen sind der Mausbiber Gucky und der Haluter Icho Tolot. Die beiden erleben DIE LETZTE DRANGWÄSCHE ...

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Seitenzahl: 182

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Nr. 3222

Die letzte Drangwäsche

Rettungsmission für einen Haluter – Gucky schöpft neue Hoffnung

Ben Calvin Hary

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Sternenfresser

1. Gucky

2. Gucky

3. Gucky

4. Xenia Biefang

5. Gucky

6. Xenia Biefang

7. Gucky

8. Xenia Biefang

Epilog: Gucky

Journal

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Wie es aussieht, könnte Perry Rhodan, der als erster Mensch von der Erde auf Außerirdische gestoßen ist, sich endlich seinem großen Ziel nähern: der alte Traum von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmung ein, man arbeitet intensiv und gleichberechtigt zusammen.

Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit.

Doch ES weilt nicht mehr in der Galaxis – das Geisteswesen scheint in ungezählte Fragmente zersplittert zu sein, die sich in verborgenen Fragmentrefugien ballen. Diese Refugien zu finden und die Fragmente wieder zu vereinen, ist Rhodans Ziel. In der fernen Galaxis Morschaztas unweit Gruelfins sind Atlan und er unterwegs und stellen sich den Panjasen, die das dortige Refugium für sich beanspruchen. Auch andere Unsterbliche und deren Wegbegleiter suchen nach den Fragmentrefugien. Zwei von ihnen sind der Mausbiber Gucky und der Haluter Icho Tolot. Die beiden erleben DIE LETZTE DRANGWÄSCHE ...

Die Hauptpersonen des Romans

Gucky – Der Ilt spürt einem ES-Fragment nach.

Icho Tolot – Der Haluter sorgt sich um zwei Artgenossen.

Xenia Biefang – Die Forscherin wundert sich über ihren Kollegen.

Bna Vachut – Dem Leiter des IEME unterläuft ein Fehlurteil.

Oboloff Guntar

Prolog

Sternenfresser

Der Alte hatte beschlossen, singend zu sterben.

Fassungslos lauschten Xenia Biefang und Bna Vachut den Lauten, die aus dem Akustikfeld über ihrer Konsole drangen. Gedankenverlorenes Grollen füllte die Zentrale der DOMO SOKRAT IV. Der Text war auf Halutisch, die Melodie getragen und trotz der ungewohnten Tonlage seltsam schön: »Unterm Sternenriff, da zieh ich hin. Sein weißer Balken mäandert, mein Kosmosboot wandert.«

»Die GERBIN ist vom Kurs abgekommen!« Biefang rief über den Lärm ihres Terminals hinweg. Warntöne untermalten das Lied des Haluters. Im Zentralholo zeichnete sich das drohende Unglück ab.

Der Sänger befand sich an Bord eines anderen Schiffs, die Steuerpositronik war desaktiviert. Führerlos trieb es durch das System eines Blauen Riesen, den die Topsider Trotak nannten. Ein Raumschiffsgeschwader von Qisud, dem dritten Planeten des Systems, war unterwegs, offenbar ein Rettungskommando. Der Kommandant, ein gewisser Crkt-Ahrm, bombardierte die GERBIN mit Funksprüchen, aber sie wurden ignoriert. Waffensysteme erwachten zum Leben.

»Der Untergang holt mich zu sich. Gelassen treiben wir dahin, das Boot, der Balken und ich.«

»Guntar muss die Sicherheitsprogramme der Bordpositronik gelöscht haben.« Biefang presste die Hände auf die Ohren, bis die Positronik die Lautstärke ihres eigenen Akustikfelds automatisch auf ein erträgliches Maß nachregelte. Haluterstimmen waren mächtig, ihre Trommelfelle überstrapaziert. »Sonst wäre die GERBIN von selbst nie so weit abgedriftet.«

Bna Vachut saß Biefang im Sessel des Kommandanten gegenüber. Das Zentralholo schwebte zwischen ihnen. Gebannt wartete die Forscherin auf eine Reaktion ihres halutischen Kollegen, doch sie blieb aus.

Verstohlen kramte der Leiter des IEME in einem Fach in seiner Armlehne, zog etwas heraus und hielt es sich in die Armbeuge. Biefang glaubte, Glas blitzen zu sehen.

Er wirkte ... abgelenkt. Ausgerechnet in diesem Moment!

Die Topsider rasten mit zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit heran, fächerten aus und bildeten einen Sperrriegel. Sie setzten ihr Funkbombardement fort; zischelndes Interkosmo drang aus den Akustikfeldern: »Pilot des halutischen Forschungsraumers. Du verletzt topsidisches Territorium und bewegst dich auf einer nicht genehmigten Route.«

Keine Antwort. Das Lied war vorbei, der alternde Gigant summte gedankenverloren.

»Ändere deinen Kurs! Wir sind dazu legitimiert, zu feuern.«

Die Gegner nahmen eine Abfangformation ein. Natürlich konnte Guntar den Riegel umfliegen, der Weltraum war schließlich dreidimensional. Aber die Topsider hätten das als ausgestreckten Mittelfinger empfunden. Ihre Waffen redeten eine klare Sprache.

Schweiß bildete sich auf Biefangs Stirn, rann ihr über den Rücken. Der ärmellose Hosenanzug klebte förmlich an ihr. Die Tätowierungen auf ihren Unterarmen wanderten in Richtung Oberkörper – die Meta-Pigmente ballten sich im Gesicht, um ihren Ärger zu zeichnen.

Crkt-Ahrms Drohungen zeugten nicht von Feindseligkeit, auch wenn es den Anschein hatte. Die Topsider hatten gute Gründe dafür.

Trotak teilte sich einen Schwerpunkt mit einem eigentümlichen Begleiter: Tomuun, ein winziges Schwarzes Loch, in ewigem Gravo-Ringkampf mit dem Stern verwickelt. Gefahr, dass die GERBIN hineinstürzte oder sich dem Ereignishorizont auch nur dramatisch näherte, bestand nicht – bei der aktuellen Geschwindigkeit hätte das Monate gedauert. Doch die Singularität stellte ein Risiko für die Raumfahrt dar, ihr Einflussbereich war Sperrgebiet. Topsider nahmen Vorschriften ernst.

Die Bewohner der Qisud-Kolonie kannten Tomuun unter einem poetischeren Namen: »Sternenfresser«. Der Begriff hatte sogar Einzug in topsidische Mythen gefunden.

Nun »fraß« Tomuun die GERBIN. Und das einzige Besatzungsmitglied, den uralten Haluter Oboloff Guntar, gleich mit. Noch 30.000 Kilometer lagen zwischen ihm und dem Rand der Sperrzone. Die Entfernung schrumpfte.

»Ruf ihn zur Ordnung, Bna!«

»Guntar wird nicht auf mich hören.« Der Haluter wies auf das holografische Abbild des Sängers, das die Positronik empfing und neben die Bedienfelder des SI-Spürers projizierte: ein greiser Riese, dessen linker Handlungsarm anscheinend gelähmt war und das mittlere Auge blind. Graue Flecken auf sonst schwarzer Haut. Vornübergesunken saß er da, ganz in sein Gebrumm vertieft.

»Er ist in seiner eigenen Welt.« Vachut zog einen zweiten Gegenstand aus seiner Armlehne und presste ihn sich in dieselbe Armbeuge – eine Art Phiole. Es zischte leise, das Fläschchen verschwand zusammen mit dem Ersten in Vachuts Anzugtasche. »Dies ist ... wie sagt ihr Terraner? Sein Schwanengesang. Ich fürchte, mein uralter Freund ist zu seiner letzten Drangwäsche aufgebrochen.«

*

Xenia Biefang, Bna Vachut und Oboloff Guntar waren nicht zufällig ins Topsidische Sternengelege gekommen. Die GERBIN und die DOMO SOKRAT IV waren auf einer gemeinsamen Mission. Seit Tagen durchstreiften beide Schiffe die Milchstraße, nahmen Stichproben mit neu entwickelten Spezialgeräten und hofften auf eine Spur der fragmentierten Superintelligenz ES.

Zu Beginn des Monats hatte ein Anschlag das IEME verwüstet, Bauarbeiter und Reparaturtrupps beherrschten die Labore. Die Instandsetzungen machten Fortschritte, doch an einen normalen Forschungsbetrieb war nicht zu denken. Die Außenmission war eine Chance, trotzdem einen Beitrag zu leisten. Vachut hatte allein starten wollen, Biefang hatte sich prompt angeschlossen.

Was sie ausgerechnet ins Trotaksystem getrieben hatte? Ein Bauchgefühl, gepaart mit interessanten Ortungsergebnissen. Die Auswertung des Superintelligenz-Sextadimspürers – einer aufgewerteten Ultra-Giraffe mit der Fähigkeit, ÜBSEF-Konstanten anzumessen – hatte Indizien geliefert. Es war der vielversprechendste Hinweis, dem sie seit ihrem Aufbruch nachgegangen waren.

Und nun das! Ein halutischer Wissenschaftler, der mal eben den Verstand verlor und sich vielleicht, vielleicht aber auch nicht, zum Suizid via topsidischem Wachkommando entschlossen hatte. Die kleine Flotte aus 17 Topsiderschiffen stellte sich ihm in den Weg, nahm die GERBIN in die Zielerfassung.

Und Oboloff Guntar setzte zu einem neuen Lied an.

»Unterm Gravo-Banner bin ich noch. Doch zieh ich bald von dannen.« Der Bass brachte Biefangs Sitzpolster zum Vibrieren.

»Ist das alles, was du zu sagen hast? ›Drangwäsche, da kann man nichts machen‹?« Biefang kam sich vor, als säße sie auf Kindermöbeln, auf Augenhöhe mit Vachuts Bauch und der Rückseite seiner Konsole – ihr Sessel und das Terminal waren Spezialanfertigungen, die der Besitzer der DOMO SOKRAT IV vor dem Abflug installiert hatte. Die Deckenverstrebungen wölbten sich vier Meter über ihrem Kopf. Die Ausmaße schüchterten die Wissenschaftlerin ein. Haluterschiffe waren nicht für Menschen gemacht. »Ich respektiere die Traditionen deines Volkes, aber das ist inakzeptabel. Guntar riskiert die Zerstörung unersetzbarer Ausrüstung. Sprich mit ihm!«

Sie übertrieb, und sie wusste es. Der SI-Spürer war zwar kostbar, aber nicht unersetzbar. Es gab nur wenige Exemplare, die auf ausgewählten Haluterschiffen installiert waren – die DOMO SOKRAT IV und die GERBIN waren zwei davon. Für die Suche nach weiteren ES-Fragmenten waren sie essenziell.

Die topsidischen Schiffe hatten ihre Zielposition erreicht, gut zweitausend Millionen Kilometer vom Ereignishorizont des Schwarzen Lochs entfernt und damit weit außerhalb der unmittelbaren Gefahrenzone. Ihre Triebwerke kämpften gegen das Gravitationsfeld, das selbst in dieser unermesslichen Entfernung noch wirkte.

»Bna!« Biefangs Finger verkrampften sich um die Kante des Terminals. »Die Topsider meinen es ernst. Dein Freund setzt alles aufs Spiel!«

Bna Vachut fluchte – die lange Zeit auf Terra hatte sich auf seine Manieren ausgewirkt. »Es tut mir leid. Ich bin einem Fehlurteil aufgesessen. Noch vor Tagen wirkte Guntar ganz wie er selbst. Nichts an seinem Verhalten deutete auf diese Entwicklung hin.«

Wieder Funkfeuer. Die Stimme des Topsiderkommandanten schmerzte Biefang in den Ohren: »Pilot des halutischen Raumschiffs. Dies ist deine letzte Warnung.«

Wie zur Bestätigung registrierten die Taster einen Energieanstieg. Die Echsenwesen machten ihre Waffensysteme feuerbereit.

»Gebeugt auf allen sechsen, zieh ich durch das Leichtland. Als einer, der bald gehen muss, wie noch ein jeder vor mir schwand.«

Die Verse blieben die einzige Antwort. Ob Guntar überhaupt zuhörte? Die Funkverbindung zur GERBIN stand, doch der Pilot des zweiten Schiffs steigerte sich in sein musikalisches Universum hinein, saß über sein Pult gebeugt und reagierte nicht.

Biefang überlegte. Was wohl an Bord der GERBIN vor sich ging? Sie war auf Mutmaßungen angewiesen. Hatte Unachtsamkeit Oboloff Guntar so weit abdriften lassen? Dummheit schloss sie aus. In der Gründungsphase der Kosmischen Hanse war Guntar eine Koryphäe der Metaintelligenzen-Forschung gewesen.

Allerdings war das zweitausend Jahre her!

»Kann die Strahlung des Schwarzen Lochs sein Ordinärhirn beeinflussen?« Gewöhnliche Astrophysik war nicht ihre Disziplin. Sie begab sich selten in die wissenschaftlichen Niederungen.

»Kaum.« Vachut tätigte eine Kursangabe, mit der er die DOMO SOKRAT bis auf wenige Hundert Meter an die GERBIN heranbringen würde. »Dreitausend Jahre sind ein stolzes Alter, selbst für einen Haluter. Er weiß, dass er bald sterben wird, und wünscht sich ein würdevolles Ende.«

Biefang presste die Kiefer zusammen, atmete hart durch die Nase. »Mit dem kostbaren SI-Spürer an Bord? Inakzeptabel!«

Illustration: Swen Papenbrock

War der Alte ... lebensmüde?

Das Taktikholo verriet die schrumpfende Entfernung zwischen beiden Raumern. Die GERBIN hatte sich dem Blockaderiegel zwischenzeitlich auf 20.000 Kilometer genährt. Dass Vachut als Leiter des IEME dem Alten überhaupt eins der kostbaren Geräte anvertraut hatte, fand sie unverantwortlich. Was hatte ihn geritten? Solche Fehleinschätzungen sahen ihm nicht ähnlich. Er schien einfach nicht er selbst zu sein seit dem Anschlag.

Vachut gestikulierte, die Bordpositronik interpretierte seinen Wink und entfaltete ein zweites Akustikfeld direkt vor seinem halbkugelförmigen Kopf. Er zog es zu sich heran.

»Oboloff Guntar! Korrigieren Sie Ihren Kurs! Ihr Schiff ist in Reichweite der topsidischen Waffen.« Die Anspannung verlieh seiner Stimme ungewohnte Härte.

»Ich wandere, das Ende naht. Ich denk' zurück in die ...«

»Das reicht.« Vachut schaltete den Hyperfunkempfänger auf stumm und aktivierte den Impulsantrieb. »Wir holen ihn zurück. Übernimm die Steuerung des Traktorstrahls, Xenia!«

»Mit Freuden.« Biefang rief das entsprechende Bedienelement auf, tippte die Kontrollen an und richtete die Emitter auf Guntars Schiff. Die Handgriffe waren reine Beschäftigungstherapie – Haluter waren Einzelgänger, ihre Raumschiffe benötigten nur ein Besatzungsmitglied und die Positronik übernahm einen Großteil der Arbeit. Doch sie war dankbar. Das Nichtstun machte sie nervös.

Im taktischen Holo verschoben sich die Punktsymbole, während Vachut Schub gab und ihren Kurs dem der GERBIN anglich. Die Aggregationsscheibe des Sternenfressers leuchtete schwach vor der Schwärze des Alls. Das Licht bog sich um das Loch, machte es unsichtbar, aber die Materie im Fang seines Schwerefelds war für die Optiken zu erkennen.

»Halutisches Raumschiff DOMO SOKRAT IV!« Erneut drang Crkt-Ahrms aufgeregtes Zischen aus den Funkempfängern. »Wir benötigen keine Assistenz. Bleibt auf Distanz, oder wir eröffnen das Feuer.«

»Negativ«, erwiderte Vachut. »Es handelt sich um einen medizinischen Notfall. An Bord der GERBIN befindet sich ein Bürger Haluts, doch er ist nicht er selbst. Eure medizinischen Einrichtungen sind nicht für einen solchen Fall ausgerüstet. Wir nehmen die GERBIN in Schlepp und bitten um Entschuldigung für den Zwischenfall.«

Zwischen dem Blauen Riesen und dem Schwarzen Loch lagen rund 103 Milliarden Kilometer, also 96 Lichtstunden – gerade 54 weniger als der Durchmesser des ganzen Solsystems. Tomuuns Gewalt jedoch war selbst in dieser Entfernung spürbar, die Navigation entsprechend erschwert. Mit jedem zurückgelegten Kilometer stieg der Energieverbrauch der Antriebsaggregate.

Mit zusammengebissenen Zähnen hielt Biefang die strukturelle Integritätsanzeige im Blick, tastete nach dem Sitzpolster und glaubte, ein Zittern zu spüren. Das war natürlich Unsinn. Wenn es so weit kam, dass die kosmischen Gewalten gegen den Trägheitsdämpfer durchschlugen, war ein vibrierender Sitz die geringste Sorge, die sie sich machen musste.

Ein grüner Leuchthinweis erschien in der Traktorstrahl-Steuerung.

Endlich! Die Positronik hatte die Hülle des anderen Schiffs erfasst.

Biefang kalibrierte den Emitter, um die Raum-Zeit-Bedingungen in der Nähe des Sternenfressers zu kompensieren, und hieb auf den Auslöser. Der Strahl traf in zehn Kilometern die Polregion von Guntars Schiff und nahm es in seinen Griff.

Vachut gab Gegenschub. Im Außenholo schossen Plasmafahnen aus dem Pol der DOMO SOKRAT, stemmten sich gegen das All.

Zunächst geschah scheinbar nichts. Die GERBIN stürzte mit unverminderter Geschwindigkeit durch das System, den aktivierten Topsiderwaffen entgegen.

»Komm schon!« Flehend starrte Biefang den Punkt im Taktikholo an. Er verlangsamte nicht. Schrumpfende Zahlenwerte verrieten, dass das Tempo sank, doch die Differenz bewegte sich im Nachkommabereich. Weder schien der Punkt in der Ortung zu verlangsamen noch hörte das Abbild des Kugelraumers im Außenholo auf zu schrumpfen.

Kein Wunder. Das Bild war künstlich aufbereitet. Acht Kilometer lagen zwischen der GERBIN und der DOMO SOKRAT – der Traktorstrahl war nicht für eine solche Entfernung ausgelegt. Biefang erhöhte die Leistung, schob die aufploppenden Warnhinweise des Bordgehirns beiseite. Wieder verlangsamte das andere Schiff um ein weniges. Genügte das?

150 Kilometer bis zu den Gegnern. »Ein Königreich für einen Teleporter!«

Im nächsten Atemzug wechselten etliche der Warnhinweise auf Biefangs Pult die Farbe, von Grün zu dunklem Gelb, dann zu düsterem Rot.

»Was, bei allen Nocturnenstöcken ...«

Xenia Biefang starrte auf das Terminal. Statusanzeigen quollen über vor Daten und Messergebnissen. Daten flossen aus den Sensoren in den Speicher der Positronik.

Der SI-Spürer hatte angeschlagen.

Von allen Momenten, die das Universum sich hätte aussuchen können, war es der denkbar schlechteste: Die GERBIN stürzte im Traktorstrahl der DOMO SOKRAT IV auf den Rand der Sperrzone zu, Guntars Ordinärhirn versagte aus irgendeinem Grund, und die Nerven lagen blank.

Und nun das! Das Signal hatte nur Sekundenbruchteile gewährt. Der Ursprung war nicht feststellbar, es schien aus zwei Richtungen zugleich gekommen zu sein – aus dem Schwarzen Loch ebenso wie von der Oberfläche Qisuds.

Wie war das möglich?

Biefang schnappte sich den Datensatz. Sie holte aus, um ihn auf Vachuts Konsole zu werfen und ihn ihrem Kollegen zu zeigen. Mitten in der Bewegung hielt sie inne. Wollte sie die Ansicht des Zentralholos wirklich in diesem Moment mit einer anderen ersetzen? Wo die Rettungsmission in vollem Gang war?

»Xenia! Die Außenoptik!«

Vachuts Ruf ließ sie zusammenfahren. Sie schüttelte das Handgelenk, signalisierte der Positronik den Wunsch zum Abbruch. Der Datenball in ihrer Hand erlosch. Sie starrte ins Holo. Es dauerte wertvolle Sekunden, bis sie begriff.

Die strategische Draufsicht des Trotaksystems füllte nach wie vor die Zentrale: da der Blaue Riese, dort das Schwarze Loch, dazwischen die Umlaufbahnen der fünf Planeten. Sie zählte die Raumschiffskennungen – ein Haluterschiff, 17 Topsiderschiffe – las Werte: Abstände, Geschwindigkeiten, relative Fahrt zueinander.

Dann sah sie es.

Ein Haluterschiff. Die Kennung war die der DOMO SOKRAT.

1.

Gucky

25. Juli 2096 NGZ

Wieder einmal lag es an mir, das Universum zu retten. Wie so oft in den vergangenen Jahrtausenden.

Das heißt – eigentlich wie immer. Manchmal frage ich mich, wie ihr Terraner ohne mich überleben könnt!

Was höre ich dich denken? Ich übertriebe maßlos? Ich und übertreiben? Wann hast du zuletzt Loopings unter der Zimmerdecke gedreht?

Okay, ich geb's zu. Es war nicht der gesamte Kosmos, der auf dem Spiel stand – diesmal musste ich nur eine Superintelligenz retten. Allerdings nicht irgendeine, sondern den Herrn von Wanderer und Freund der Menschen. Und meinen. Falls du zwischenzeitlich den Faden verloren hast: Ich rede von ES.

Hm. »Gucky, der Superintelligenzen-Retter«. Das hat einen guten Klang, finde ich. Das gehört auf meinen Lebenslauf. Es ist ja nicht das erste Mal.

Hey!

Du, vor deinem Lesegerät!

Was meinst du mit »Angeber«? Und was heißt: »Komm zur Sache, Weltraumratte?« Dir ist doch sicherlich klar, dass ich deine Gedanken lesen kann?

Na gut. Ich geb's zu. Das Ding auf Qisud – ich bin nicht allein dort gewesen. Irgendwie musste ich ja hinkommen, und von Terra aus ins Sternengelege zu teleportieren übersteigt sogar meine Kräfte. Rund 950 Lichtjahre sind kein Pappenstiel. Es gibt auch bessere Raumschiffspiloten als mich.

Und ich habe mir die Aufgabe eher geschnappt, als dass sie mir aufgetragen wurde. Zuvor hatte ich beschlossen, dass einer meiner ältesten Freunde gelangweilt war und Ablenkung brauchte. Wer ist besser darin, die zu liefern, als ich? Vor einigen Tagen war ich von einer Spezialmission mit Mulholland ins Solsystem zurückgekehrt, und mir war nach altvertrauten Gesichtern. Was für eine das war? Das muss dich nicht interessieren – ist alles streng vertraulich und, man glaubt es nicht, aber ich kann ein Geheimnis wahren.

Selbstlos war ich also in die Solare Residenz teleportiert und direkt auf Icho Tolots Arbeitstisch materialisiert. Da saß ich also zwischen holografischen Haushaltsaufstellungen und galaktopolitischen Analysen und versuchte, ins Gespräch zu gelangen.

»Wie geht's dir, Großer? Wie kommst du so zurecht als Liga-Verteidigungsminister? Ich bin sauer auf dich, dass du Perry vor dem Start der RA nicht aufgehalten hast.«

Sol schien durch die Fensterfront, malte warmes Abendrot auf die Wände von Tolots Büro und wärmte mir das Nackenfell.

»Ich wusste nicht, dass das meine Aufgabe war.« Tolot hob mich behutsam vom Tisch, setzte mich auf seinen Schoß und lachte verhalten. Das hieß bei ihm: Der Lärmorkan, der aus seinem Rachen drang, hatte nur mittlere Stärke.

Protestierend hielt ich mir die Ohren zu und hüpfte auf den Teppichboden. Dass Perry aufgebrochen war, ohne mich mitzunehmen – nicht nett!

»Hätte der Chef nicht auf mich warten können?«, jammerte ich. »Wie soll er ohne uns beide in Gruelfin zurechtkommen? Ohne deine Muckis und mein Hirn?« Eine Mission an der Seite meiner alten Freunde war es wert, alles stehen und liegen zu lassen. Diesmal war das nicht gegangen.

»Dies ist ein unpassender Zeitpunkt, Guckytos.« Der Haluter fegte mit einem Wink seines Handlungsarms einen Stapel Holos vom Arbeitstisch, rief einen Haufen unbearbeiteter Akten aus den Speichern und las sie. »Um deine Frage zu Beginn dieser Konversation zu beantworten: Verteidigungsminister ist ein anstrengender Beruf. Er fordert meine höchste Aufmerksamkeit.«

»Ist klar ...« Misstrauisch verengte ich die Augen und sah zu meinem alten Freund empor. Ich konzentrierte mich.

Es geziemt sich nicht, ungefragt anderer Leute Gedanken zu lesen. Ich würde so etwas selbstverständlich niemals tun!

Versuchte ich es in diesem Moment bei Icho Tolot trotzdem?

Vielleicht.

Wer zwei Gehirne hat, eins davon im Grunde ein Hochleistungscomputer, der braucht keine Ruhe zum Lesen. Einer wie Tolot liest locker drei Dokumente zugleich, stellt dabei hyperphysikalische Differenzialrechnungen auf und unterhält sich mit dir noch übers Wetter. Woher ich das weiß? Beides hat Tolot schon tausend Mal gemacht, während ich bei ihm war. Ganz klar versuchte er, mich loszuwerden. War ich ihm etwa lästig?

Ich esperte nach seinen Gedanken, bis meine Schwanzspitze unruhig über den Teppichflor schabte. Selbst wenn Tolot nicht mentalstabilisiert und damit vor telepathischer Aushorchung gefeit gewesen wäre, die Überlegungen seines Planhirns waren hochkomplex, ineinander verschachtelt und vor allem – viel zu schnell, um ihnen zu folgen, es sei denn, man steht auf mentales Rauschen. Ich wusste, dass es nichts brachte, aber es war wie ein Reflex.

Tolot saß unverändert vor seinen Unterlagen, schob diese nach links, jene gen rechts und setzte seinen Handabdruck unter ein dickes Dossier. Unauffällig – wie er wohl glaubte, aber mir entgeht nichts! – fuhr er eines seiner drei Stielaugen aus und behielt mich im Blick.

Wäre ich ein Mensch, wäre ich rot geworden. Erahnte er meinen Lauschversuch?

Verlegen zeigte ich den Nagezahn. Zeit, abzulenken. »Großer, du solltest ...«

Eine hochwertig chiffrierte Meldung. Abgesendet von einem der halutischen Schiffe, die mit Bna Vachuts modifizierten Ultra-Giraffen ausgerüstet wurden. Ob ich den Residenten persönlich ... ?

Ich unterbrach mich. Meine Schnurrhaare zitterten wie feine Antennen. Der Gedanke, den ich versehentlich aufgeschnappt hatte, stammte nicht von Tolot, sondern aus einem Büro einige Stockwerke über uns. Die Denkmuster passten zu Yengood Tern, einem Assistenten Cascard Holonders, den ich früher schon einmal geespert hatte. Aus seinen Überlegungen erfuhr ich, dass er diese »hochwertig chiffrierte Meldung« gerade eben über einen gesicherten Hyperfunkkanal empfangen hatte, dass seine Sicherheitsstufe jedoch nicht ausreichte, sie zu lesen.

Es war ein Glücksfall. Hätte der Resident die Nachricht direkt erhalten – ich wäre erst viel später darauf gestoßen. Die wichtigsten Personen der Liga waren natürlich samt und sonders mentalstabilisiert, genau wie Tolot.

Einige Sekunden lauschte ich gebannt. Kam noch was? Würde Tern sich mit dem Residenten in Verbindung setzen und sich mit ihm unterhalten, und würde ich auf diesem Umweg vielleicht wenigstens erfahren, worum es in dieser Nachricht ging?

Ja, das dürfte Chefsache sein, dachte Tern. Ich spürte seine Unsicherheit. Das Memo von neulich. Alle Meldungen mit Bezug zum IEME direkt an den Regierungschef.

Es folgten Eindrücke, die man einem Nichttelepathen schwer beschreiben kann. Terns Gedanken führten ihn durch die Menüs seines Positronikterminals. Der Assistent leitete die Nachricht weiter.

»Wen belauschst du, Guckytos?« Tolot war mein Schweigen aufgefallen. Nun wandte er sich von seinen Unterlagen ab und blickte mich vollends an.

Immerhin hatte ich seine Aufmerksamkeit.

Meine Konzentration verflog und mit ihr die Gedankenstimme des Assistenten.

Warum meine Sinne von all den Hunderten Individuen in der Solaren Residenz ausgerechnet auf Tern angesprochen hatten? Vermutlich, weil ich versucht hatte, in den Verstand eines Haluters einzudringen und es in Terns Geist ebenfalls um einen Angehörigen dieses Volkes gegangen war. So etwas passiert gelegentlich.