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Gut 4000 Jahre in der Zukunft … Die Bewohner der Erde leben in der Mitte des 23. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung in Frieden und Freiheit. Sie haben ein Netz aus Bündnissen geschlossen, das zahlreiche Planeten in der Milchstraße umfasst. Zugleich arbeitet Perry Rhodan am Projekt von San, mit dem er die Verbindung zu anderen Sterneninseln verstärken möchte. Aus diesem Grund wurde mit dem PHOENIX ein neuer Typ von Raumschiffen entwickelt, der sich als Kurierschiff zur Reise in ferne Galaxien eignen soll. Dann aber taucht eine Fremde auf Terra auf. Sie nennt sich Shrell und fordert von Perry Rhodan, in die Agolei zu reisen, ein weit entferntes Sternenband, und dort seinen ältesten Freund zu töten: Reginald Bull. Sie erschafft das Brennende Nichts, das die Erde und den Mond vernichten wird, falls Rhodan ihr nicht gehorcht. Während sich Rhodan unter Zwang auf den Weg zur Agolei begibt, forscht man in der Milchstraße am Brennenden Nichts weiter. Zum entscheidenden Faktor scheint Cameron Rioz dank seiner Schattenhand zu werden. Den Haluter Icho Tolot und ihn eint ein Ziel: RETTET NATHAN!
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Seitenzahl: 158
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Nr. 3319
Rettet NATHAN!
Ein Verlorener sucht Hilfe – und schafft sich einen neuen Körper
Ben Calvin Hary
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1. Aurelia Bina
2. Cameron Rioz
3. Leni Hazard
4. Cameron Rioz
5. Leni Hazard
6. Cameron Rioz
7. Cameron Rioz
8. Leni Hazard
9. Cameron Rioz
10. Der Mörder
11. Der Retter
12. Die Zeugin
Leserkontaktseite
Risszeichnung Aurelia Bina
Impressum
Gut 4000 Jahre in der Zukunft ... Die Bewohner der Erde leben in der Mitte des 23. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung in Frieden und Freiheit. Sie haben ein Netz aus Bündnissen geschlossen, das zahlreiche Planeten in der Milchstraße umfasst.
Zugleich arbeitet Perry Rhodan am Projekt von San, mit dem er die Verbindung zu anderen Sterneninseln verstärken möchte. Aus diesem Grund wurde mit dem PHOENIX ein neuer Typ von Raumschiffen entwickelt, der sich als Kurierschiff zur Reise in ferne Galaxien eignen soll.
Dann aber taucht eine Fremde auf Terra auf. Sie nennt sich Shrell und fordert von Perry Rhodan, in die Agolei zu reisen, ein weit entferntes Sternenband, und dort seinen ältesten Freund zu töten: Reginald Bull. Sie erschafft das Brennende Nichts, das die Erde und den Mond vernichten wird, falls Rhodan ihr nicht gehorcht.
Während sich Rhodan unter Zwang auf den Weg zur Agolei begibt, forscht man in der Milchstraße am Brennenden Nichts weiter. Zum entscheidenden Faktor scheint Cameron Rioz dank seiner Schattenhand zu werden.
Den Haluter Icho Tolot und ihn eint ein Ziel: RETTET NATHAN!
Cameron Rioz – Der junge Terraner spricht mit den Toten.
Bonnifer – Der Conduit ringt mit seiner Loyalität.
Aurelia Bina – Die Posmi soll als Gefäß dienen.
Leni Hazard – Die Siganesin legt sich auf die Lauer.
Icho Tolot
1.
Aurelia Bina
»Bring uns heim.«
Der Satz geisterte wie ein Irrlicht über die vegetationslose Ebene.
Wer sprach ihn aus? War es das Fremdprogramm, das ihre Motorik überschrieb und sie wie eine Marionette steuerte?
Aurelia Bina verstand ihr Leiden. Die Wüste, durch die sie wanderte, existierte nicht. Ebenso wenig gab es den roten Himmel oder den Wind, den sie auf den Nervenenden ihres Biovelamens spürte. Das waren Auswertungen von Daten, die ihre Optiken, Audioerfassungen und Tastsensoren gar nicht aufnahmen. Sie stammten aus Rechenprozessen, die in ihrem semitronischen Hirn abliefen.
Bina halluzinierte.
Und das schon seit Tagen. In Wahrheit lag ihr Körper wohl reglos in irgendeinem Labor, und sie blieb unfähig, etwas an diesem Zustand zu ändern. Der Puppenspieler hatte kein Interesse an ihr und sein Spielzeug fallen gelassen.
»Bring uns heim«, irrlichterte es, zum dreitausendvierhundertneunundzwanzigsten Mal, seit sie im positronischen Koma lag.
Die Stimme war ihr vertraut: Sie gehörte der lunaren Großpositronik, die Jahrtausende über Terra und das Solsystem gewacht hatte. Aber NATHAN war vernichtet. Der Sprecher konnte also nicht wirklich das Mondgehirn sein.
»Wer sind ›wir‹? Wo ist ›heim‹?«
Binas Schritte knirschten im nicht vorhandenen Sand. Die Bö, die das Programm simulierte, frischte auf. Unwillkürlich schloss sie die Augen, um sie vor aufgewirbeltem Staub zu schützen. Zumindest gaukelten die Körpersensoren ihr das vor. Sie war eine Gefangene ihres nutzlos gewordenen Leibs.
Das Fremdprogramm gab ihr Rätsel auf. In den 204 Jahren, seit sie in den Werkstätten NATHANS in ihrer aktuellen Form neu geschaffen worden war, hatte es sich nicht ein einziges Mal bemerkbar gemacht und war trotz aller Selbstdiagnosen unbemerkt geblieben. Warum hatte es sich in genau diesem Moment aktiviert? Wie lange schlummerte es schon in ihrem Speicher? Stammte es und damit die Stimme tatsächlich von der Riesenpositronik?
Die Einöde war nicht alles, was Bina sah. Ihre geschlossenen Augen waren weit geöffnet – solche Dinge geschahen, wenn man als Posmi einander widersprechende Sensoreindrücke verarbeiten musste. Dass diese Eindrücke einer Simulation des eigenen Rechenkerns entsprangen, spielte keine Rolle.
Am Himmel über dem Wüstensand schwebte eine metallene, grob diskusförmige Konstruktion. Eine Raumstation?
Am Himmel über dem Wüstensand schwebte Cameron Rioz, der junge Terraner, der den Kontakt mit dem Brennenden Nichts überlebt hatte und in dem Icho Tolot die größte Hoffnung auf die Schließung der Anomalien sah. Seine Miene war verzerrt, beinahe panisch.
Am Himmel über dem Wüstensand schwebte riesenhaft Reginald Bull.
Nonsensbilder. Wertlose visuelle Information. Bina löschte die Eindrücke, bevor sie sich in ihrem Langzeitspeicher festsetzten.
»Bring uns heim!«
Der Satz fuhr mit einer Wucht auf sie nieder, die sie an den Rand ihrer Rechenleistung brachte. Es waren nicht nur diese drei Worte. Hinter jedem steckten Unmengen von komprimierten Daten, ja, ganze Dateisysteme. Sie zu entpacken und zu sichten, überstieg ihre Kapazitäten.
»Wen? Wohin?« Ihr Kunstverstand machte ihr weis, sie würde sich die Schläfen reiben.
»Es ist schwierig, die Sinngewalt von Hunderten Yottabyte in drei Worte zu legen«, sagte Bonnifer. »Ich scheitere an der Interpretation. Dir mit deinen semitronischen Schaltkreisen sollte es besser gelingen. Schließlich sind sie es auch, die dieses Schadprogramm ausführen. Doch ich erkenne, dass auch dir die nötigen Leseroutinen fehlen.«
»Das ist korrekt.« Aber woher wusste der Wyconder von der Stimme? Am Himmel über dem Wüstensand schwebte Bonnifer und machte ein bedauerndes Gesicht.
Nein. Über ihr. Die Züge von Shrells ehemaligem Sklaven waren echt, kein generiertes Bild. Analyseroutinen, die sie auf Input anwandte, bestätigten das. Die unvermeidliche Mütze fehlte, die er in allen Holodossiers trug, die sie von ihm gesehen hatte. Das Schwarze Mal auf seinem blanken Schädel war entblößt. Es pulsierte in hellem Violett, das Leuchten verlor aber zunehmend an Intensität. Sie erkannte, dass sie auf dem Rücken lag.
»Du bist tatsächlich hier.« Ihre Lippen gehorchten ihr nicht, ebenso wenig wie der Rest des Körpers. Aber ihre Worte drangen aus einem Akustikfeld, das sich soeben neben dem Wyconder aufgefaltet hatte.
Am Rand ihres Sichtfelds erkannte sie Kabel, die aus ihrem offenbar geöffneten Brustkasten ragten – dort saß die Semitronik, also ihr »Gehirn«. Das Feld wurde wohl über eine der Leitungen gesteuert.
»Und du bist responsiv.« Bonnifers glutrote Augen weiteten sich. »Sehr gut. Dein neuronales Netzwerk entwickelt Methoden, die durch das Schadprogramm geschaffenen Falschbilder zu unterdrücken. Du wirst immer besser darin, sie auszublenden. Nicht mehr lange, und du wirst deine Körperkontrolle zurückerhalten.«
»Ich bin nicht länger auf Terra«, ließ sie das Akustikfeld sagen. »Und dies ist auch nicht Luna.«
Selbst nach der Zündung des Brennenden Nichts befanden sich auf dem Erdtrabanten die bestausgestatteten Positroniklabors des Solsystems. Es wäre naheliegend gewesen, dass der TLD ihren Körper an eines davon überstellt hatte. Bonnifer lebte außerdem mit einem Teil von Icho Tolots Forschungsteam in Deringhouse Station. Das war zumindest ihr letzter Kenntnisstand.
Doch durch den roten Wüstenhimmel hindurch erblickte sie eine unvertraute Umgebung. Über Bonnifer verliefen Träger und Leitungskanäle. Blanke Oberflächen reflektierten das charakteristische Flimmern von Kontrollholos. Dies war die Zentrale einer Space-Jet. Den genauen Typ konnte sie anhand des beschränkten Blickfelds nicht eruieren.
Der Wyconder zögerte mit einer Antwort. »Es sind ... Dinge geschehen. Du bist nicht die einzige Semitronik, die derart litt. NATHAN, die Ylanten und du, ihr seid wie ... Gefäße ...«
»Keine Zeit für Märchenstunde!«, unterbrach ihn jemand. »Ich brauche dein Supergehirn hier! Hilf mir, diesen USO-Schlitten abzuhängen!«
Manchmal war es hilfreich, dass Bina ihre Emotionen abschalten konnte. Sonst wäre sie spätestens nun nervös geworden. Der zweite Sprecher klang jung, aufgeregt, und, das Schlimmste von allem: vollkommen überfordert. Das Stimmprofil identifizierte ihn als Cameron Rioz. Auch ihn hatte Bina also eben wirklich gesehen und nicht nur in ihrer »Halluzination«.
Aber warum floh er vor einem Schiff der USO? War sie entführt worden? Wenn ja, zu welchem Zweck?
Rioz rief: »Kritische Distanz in drei ... zwei .... eins ...«
Ein violetter Blitz überlastete Binas Optiken. Als ihre Sehkraft zurückkehrte, war Bonnifers Mal schwarz wie das All.
»Es tut mir leid.« Der Wyconder ließ ihre Hand los – erst da merkte sie, dass er sie gehalten hatte. Er setzte seine unvermeidliche Mütze auf. »Wir haben die kritische Distanz zum Brennenden Nichts überschritten, und ich bin von seinem Einfluss befreit. Ich verspreche, wir werden auch dich befreien.«
Damit ließ er von ihr ab. Schlagartig »schloss« sich der rote Himmel über ihr. Die Raumschiffsumgebung machte gänzlich der Einöde Platz.
Sie war nicht allein. Am Boden vor ihr saß eine grünhäutige, dunkelhaarige Frau mit grimmigen Zügen. Den Blick hielt sie erhoben, als starrte sie nicht vorhandene Wolken an. Ihre Proportionen wirkten seltsam, die Poren ihrer Haut riesenhaft und grob. Ihr SERUN war mit USO-Insignien versehen, doch das Material schlug zu große Falten. Als handelte es sich bei dem Anzug um eine Puppenversion oder um eine Ausführung für ...
Siganesen! Die Frau war Siganesin, wenngleich sie sich Bina in einer auf Terranerverhältnisse vergrößerten Abbildung zeigte. Das erklärte auch die grobschlächtigen Riesenporen. »Hazard« stand auf dem Brustteil des Anzugs.
»Meine Damen. Hier geschehen ... Dinge«, sagte die Siganesin und verschwand.
Bina marschierte einsam durch die Einöde. Gefäße hatte Bonnifer sie und die Ylanten genannt. Aber für wen ... oder was? Sie ahnte die Antwort, wenngleich ihr noch jede logische Erklärung fehlte.
2.
Cameron Rioz
Hoch komplizierte Aufgaben gelingen immer, wenn man jene, die daran scheitern, laut genug anbrüllt. Zumindest Bonnifer schien das zu glauben.
»Links. Links. Rechts! Grad'aus, grad'aus! Und schneller!« Die Finger des Wyconders flogen durch die Eingabefelder der Navigationssteuerung. Das Holo warf farbige Lichtreflexe auf seine Wangenknochen. Aurelia Bina, die sie von Luna mitgenommen hatten, lag reglos am Boden der Zentrale. »Kurs galaktisch Nord. Fort von den Verfolgern!«
»Wo ich gerade vorhatte, auf Kollisionskurs zu gehen!« Cameron krallte sich in die Kontrollen der Space-Jet und zwang sie zu wilden Ausweichmanövern.
Zumindest hatte es so in Camerons Vorstellung ausgesehen: Er und Bonnifer entkamen an Bord einer winzigen Space-Jet dem 600 Meter durchmessenden USO-Raumschiff namens SCIMITAT, das sie durchs Solsystem verfolgte. Der Abstand zu den Gegnern betrug 70.000 Kilometer, schrumpfte aber rasch. Das Kleinstraumschiff schlug Haken und entkam den Traktorstrahlen der Verfolger.
Die Wahrheit war hingegen unspektakulär. Die Manövertriebwerke flachten den Kurs zu einer Tangente ab, doch das neue Momentum kam kaum zum Tragen.
Im nächsten Moment hatte der gegnerische Strahl das Heck erfasst und brachte die Jet abrupt zum Stillstand. Das war weder sicht- noch spürbar, denn die Trägheitsabsorber schluckten den Ruck. Im interplanetaren All bot sich kein visueller Bezugspunkt, an dem er sein Tempo hätte festmachen können. Der nächste Planet, Asteroid oder die nächste Raumstation waren Lichtminuten entfernt – zu weit weg für das unbewehrte Auge. Nur die Werte auf der Geschwindigkeitsanzeige sanken schlagartig.
Cameron stöhnte. Ein Teil von ihm hatte mit diesem Ausgang gerechnet. Trotzdem hatte er die Flucht versuchen müssen. Auch wenn er keinen Plan gehabt hatte, was er und Bonnifer danach tun sollten, und schon gar nicht, was sie mit der ausgeschalteten Aurelia Bina hätten anstellen sollen.
Ein Funkgespräch traf ein. Der Anrufer verwendete eine USO-Kennung. Cameron ignorierte den Signalton.
»Gegner aktiviert Waffensysteme!« Bonnifer klang aufgeregt, aber auch ... fröhlich? Es war eine Stimmung, in der Cameron ihn nicht kannte. Und sie wirkte völlig fehlplatziert.
Ein Blitz erhellte das All. Der Energiestrahl fuhr an der Frontscheibe vorbei. Weit entfernt verschwamm er mit dem Glitzern des Sternenmeers.
»Es war ein Warnschuss«, konstatierte Bonnifer.
»Was du nicht sagst!« Stur wollte Cam die Jet in eine Zickzackbewegung zwingen.
Die Impulstriebwerke dröhnten, die Werte der Leistungsabgabe gerieten an das Maximum. Doch gegen die Fessel des Traktorstrahls kamen sie nicht an. Die Entfernung sank unter 60.000 Kilometer. Die Verfolger schienen es nicht eilig zu haben.
»Na schön. Geben wir uns geschlagen.« Cameron desaktivierte die Triebwerke und nahm endlich das Funkgespräch an.
Ein nichtmenschliches, aber wohlbekanntes Gesicht schaute ihm aus dem Empfängerholo entgegen: Schwarze Haut, drei rote Augen, Raubtiergebiss. Der Anrufer war Icho Tolot. Was trieb er an Bord eines USO-Schiffs?
Illustration: Swen Papenbrock
»Riozos. Bonniferos«, grollte es aus dem Akustikfeld. »Ich hoffe, ihr seid wohlbehalten. Leider konnte ich Monkey nicht davon abhalten, zum Schein das Feuer auf euch zu eröffnen. Für die Unannehmlichkeit bitte ich um Entschuldigung!«
Was zum ...? Cameron Rioz traute seinen Ohren nicht.
Schließlich floh er nicht aus Spaß mit einem unbewaffneten und untermotorisierten Kleinstraumschiff durchs Solsystem. Weder war er ein guter Pilot, noch kannte er sich mit interplanetarer Navigation aus, geschweige denn mit Gefechtstaktiken. Mit der USO hätte er sich schon gar nicht freiwillig angelegt. Er war Zivilist, Trividder und halb ausgebildeter Kosmopsychologe. Noch nicht einmal eine Waffe hatte er je gehalten.
Das hieß: abgesehen von der Schattenhand und den Zornesfunken. Aber das war ein anderes Thema.
Sie waren wegen Icho Tolot hier. Er hatte ihn dazu gebracht, diesen sonst automatisierten Kleinsttransporter zu kapern, er hatte ihm aufgetragen, Bonnifer und Aurelia Bina weit genug von Luna und Terra fortzubringen, damit deren Verbindung zum Brennenden Nichts gekappt wurde.
Das hatte funktioniert. Bonnifer war zuerst zu sich gekommen. Sofort hatte er hastig Kabel aus einem Ersatzteilspind geklaubt, sich über Binas Semitronik hergemacht und diese mit der Bordpositronik gekoppelt. Es hatte sich sogar ein kurzer Dialog ergeben, bis ein violetter Lichtstoß von Bonnifers Mal ausging – wie der Wyconder behauptete, war in diesem Moment die Verbindung zu der Anomalie vollständig abgerissen. Bina war sofort in ihren passiven Status zurückgefallen.
Der Plan hatte vorgesehen, anschließend unbemerkt durchs Solsystem zu reisen und auf Instruktionen von Tolot zu warten. Eine Weltraumverfolgungsjagd hatte nicht dazugehört.
Sehr wohl aber hatte er dem Haluter versprechen müssen, sich vor einer Festnahme nicht mit der Schattenhand zu verteidigen. Das war ein weiterer Grund, warum er so dringend hatte entkommen wollen. Zum Mörder würde er sich nicht machen. Nicht noch einmal und schon gar nicht für Tolot! Es reichte, dass sie seinetwegen in dieser Situation steckten.
Und nun das! Tolot war der Verfolger. Cameron fühlte sich nicht bloß betrogen, sondern verarscht.
»Kommt noch eine Erklärung?« Um Entschuldigung für »Unannehmlichkeiten« zu bitten, wie Tolot sich ausgedrückt hatte, schien dieser Tage dessen Hauptbeschäftigung zu sein.
»Wir treffen uns an Bord des USO-Raumers«, sagte der Haluter. »Es gibt einiges zu besprechen.«
Cameron starrte in das Holo, nachdem die Verbindung längst unterbrochen war.
Schlecht gelaunt sah er zu, wie das USO-Raumschiff in der Fernoptik anwuchs, dann mit bloßem Auge sichtbar wurde und sich schließlich der Ringwulst vor dem Heck der Space-Jet aufwölbte. Sie wurden in einen Hangar der SCIMITAT eingeschleust.
»Und jetzt?«, fragte Bonnifer, noch immer in diesem merkwürdig beschwingten Tonfall. »Verzeih, dass ich dich für diese Situation verantwortlich mache. Aber du bist derjenige, der mich und die Posmi entführt hat. Wir waren zu diesem Zeitpunkt nicht ansprechbar, ich kam erst zu mir, als die SCIMITAT uns schon im Nacken saß.«
»Wir hören uns an, was sie zu sagen haben.« Cameron verzichtete auf den Hinweis, dass all dies gar nicht seine Idee gewesen war. Die Sache würde sich aufklären oder nicht. Gleich würde er wissen, woran sie waren.
Sie erhoben sich, fassten Aurelia Bina an Armen und Beinen und trugen sie aus der Jet. Die Schattenhand leuchtete in düsterem Violett.
Auf einmal überkam Cameron das unbestimmte Gefühl, dass die Zeit knapp wurde.
Aber ... wofür?
3.
Leni Hazard
Einige Minuten zuvor
Es gab Schlimmeres, als in einem Bauwerk aus den Gliedmaßen wild gewordener Roboter festgehalten zu werden.
Beispielsweise, zusammen mit einem verrückten Anrufbeantworter in Frauengestalt dort eingesperrt zu sein. Leni Hazard hatte im Lauf ihrer Jahre als USO-Spezialistin unangenehmere Situationen durchlitten, aber keine, die ihr so auf die Nerven ging.
Wenigstens war sie nicht allein. Wenn man in diesem Fall auch nicht von Gesellschaft sprechen konnte.
»Es tut mir leid«, sagte die Holoprojektion, die das Aussehen von NATHANS »Tochter« YLA trug. »Leider kann ich deinem Wunsch nicht entsprechen, USO-Spezialistin Leni Hazard. Niemand darf das Konstrukt betreten oder verlassen.«
»Mein ›Wunsch‹ ist, zu überleben.« Die Außenakustik übertrug ihre Stimme in die Halle und verstärkte sie auf eine für Terraner übliche Lautstärke. Der Helm ihres SERUNS war geschlossen. Sie biss auf den Trinkwasserschlauch, der in den Helminnenraum ragte, und saugte daran. Ein Tropfen benetzte ihre Zunge, genügte jedoch nicht, ihre trockene Kehle zu befeuchten. Der Wasservorrat ging nicht zur Neige, doch Leni wollte ihn sich einteilen.
Sie stand in der grob kugelförmigen Halle im Herzen des Ylanten-Konstrukts über Luna. Der Boden war flach, ringsum wölbten sich Rundwände. Deren Oberfläche war nicht glatt, sondern bestand aus metallischen Armen, Beinen und Torsi, die wie die Maschen eines bizarren Stoffs ineinander verwoben waren.
Die Siganesin aktivierte den Antigrav ihres SERUNS und zog sich an einem der überall aus dem Boden ragenden Roboterarme in die Höhe. »Gegen mein Überleben wirst du keine ernsthaften Einwände haben«, fuhr sie fort. »Zumal du mich nach eigener Aussage als Garantie brauchst.«
Der Arm war nicht der Einzige seiner Art. Abgetrennte Körperteile von Robotern verstellten ihren Blick, ragten ihr entgegen oder streckten sich wie Antennen zur Decke. Ylanten-Köpfe baumelten an Leitungen, die sich zwischen ihren geöffneten Schädelplatten spannten. Ausgebaute Positronikelemente füllten die verbliebenen Flächen nahezu vollständig.
Und im Zentrum der Halle thronte eine Kuppel aus hochglänzendem, bronzefarbenem Metall, unter der – das hatte sie aus Pseudo-YLA herausgeholt – neues Plasma heranreifte. Es stammte ursprünglich von Zellresten, die das Konstrukt in einem der verarbeiteten Posbis gefunden hatte, und es vermehrte sich mithilfe eines beschleunigten Verfahrens. Der Raum roch penetrant steril, als hätte ihn jemand kürzlich mit Desinfizierungsmitteln geflutet.
Hazard erreichte den Ellenbogen, benutzte eine Kante am Gelenk als Vorsprung, an dem sie sich hochzog. Die Ylanten, deren Bauteile bei der Herstellung des Konstrukts verwendet worden waren, hatten die Statur eines durchschnittlichen Terraners gehabt. Für sie mit ihren elf Zentimetern Körpergröße war es, als kletterte sie an einem kleinen Wohnturm in ihrer Heimatstadt empor. Dank des Antigravs mühte sie sich nicht ab.
»Das ist korrekt, USO-Spezialistin Leni Hazard.« Die Projektion hielt den Blick stets auf sie gerichtet. So weit aber, sich herunterzubeugen oder ihr Erscheinungsbild zu schrumpfen, ging das Entgegenkommen nicht. »Deine Anwesenheit ist erforderlich, um die Erfüllung des Handels sicherzustellen. Ich gewähre deine Freiheit im Gegenzug für eine ÜBSEF-Konstante. Der neue Leib muss beseelt werden.«
»Und wäre mein Ableben für diesen Plan hilfreich?« Das Gelenk der Ylanten-Hand war abgeknickt, sodass der Teller Leni als Sitzfläche diente. Die Augen Pseudo-YLAS schwebten noch immer in schwindelerregender Höhe über ihr, aber es war besser, als permanent den Kopf zurückzulegen und sich beim Gespräch Nackenschmerzen einzuhandeln.
»Es wäre ein Desaster, USO-Spezialistin Leni Hazard. Es würde mich meines Druckmittels und meiner Verhandlungsmasse berauben.«
»Dann solltest du zulassen, dass meine Kolleginnen mir frisches Wasser beschaffen.« Trotz ihrer erhöhten Position kam sie sich winzig vor.
Natürlich hätte sie den Antigrav auch als Flugaggregat benutzen können, um auf Augenhöhe vor Pseudo-YLAS Gesicht zu schweben. Doch sie wollte dieser Phrasenschleuder nicht weiter entgegenkommen als nötig. Man lebte und arbeitete nicht sein Leben lang unter Giganten, ohne eine gesunde Portion Selbstbewusstsein zu entwickeln. Die »Normalgroßen« hatten sich ihr anzupassen. Alles andere war dem Selbstwertgefühl nicht dienlich. Schon so mancher Bürger Sigas hatte ohne diese Einstellung nach einiger Zeit unter Riesen Minderwertigkeitskomplexe oder Depressionen entwickelt.
Leb du mal dauerhaft mit Leuten, die größer sind als der Wohnblock, in dem du aufgewachsen bist, und guck, was das mit deiner geistigen Gesundheit anstellt!, hatte ihr einstiger USO-Ausbilder auf Siga zu ihr gesagt. Das hatte sich ihr eingeprägt.
»Ich bedaure«, sagte Pseudo-YLA. »Leider kann ich deinem Wunsch nicht entsprechen, USO-Spezialistin Leni Hazard. Niemand darf das Konstrukt betreten oder verlassen.«