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In der Mitte des 23. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung – also gut 4000 Jahre in der Zukunft – leben die Menschen in Frieden und Freiheit. Von der Erde aus haben sie Tausende von Welten besiedelt; ihr Netz aus Handelsbeziehungen und Bündnissen umfasst zahlreiche Sternenreiche. Mit dem Projekt von San will Perry Rhodan einen alten Traum verwirklichen: Der Raumfahrer möchte die Verbindungen zu anderen Galaxien verstärken. Der PHOENIX als neuartiges Raumschiff soll dabei als Kurierschiff eingesetzt werden. Dann taucht eine Fremde auf Terra auf, die sich Shrell nennt und Perry Rhodan erpresst. In der Agolei, einem weit entfernten Sternenband, soll er Reginald Bull töten, seinen ältesten Freund. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, erschafft sie an drei Stellen das Brennende Nichts – diese Anomalien werden die Erde und den Mond vernichten, falls Rhodan ihr nicht gehorcht. Ein junger Mann namens Cameron Rioz hat als einziger den Kontakt mit dem Brennenden Nichts zweimal überlebt und gilt nun als Conduit mit unheimlichen Kräften. Für ihn interessieren sich verschiedene Mächte – nun droht ihm die HELDENDÄMMERUNG …
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Seitenzahl: 176
Veröffentlichungsjahr: 2025
Nr. 3326
Heldendämmerung
Showdown in Terrania – am Brennenden Nichts entscheidet sich die Zukunft
Ben Calvin Hary
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Trivid-Grundrauschen 1
1. Familientreffen
Trivid-Grundrauschen 2
2. Buße
Trivid-Grundrauschen 3
3. Unterwandert – Eine Stunde später
Trivid-Grundrauschen 4
4. Erwachen
Trivid-Grundrauschen 5
5. Eskalation – Kurz zuvor
6. Ein schlechter Moment, um mit der Pilotenlaufbahn anzufangen
Trivid-Grundrauschen VII
7. Das Brennende Nichts
8. Jemand – Irgendwo, zur selben Zeit
9. Coda – 24. Oktober 2250 NGZ
Nachruf Rainer Schorm
Journal
Leserkontaktseite
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
In der Mitte des 23. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung – also gut 4000 Jahre in der Zukunft – leben die Menschen in Frieden und Freiheit. Von der Erde aus haben sie Tausende von Welten besiedelt; ihr Netz aus Handelsbeziehungen und Bündnissen umfasst zahlreiche Sternenreiche.
Mit dem Projekt von San will Perry Rhodan einen alten Traum verwirklichen: Der Raumfahrer möchte die Verbindungen zu anderen Galaxien verstärken. Der PHOENIX als neuartiges Raumschiff soll dabei als Kurierschiff eingesetzt werden.
Dann taucht eine Fremde auf Terra auf, die sich Shrell nennt und Perry Rhodan erpresst. In der Agolei, einem weit entfernten Sternenband, soll er Reginald Bull töten, seinen ältesten Freund. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, erschafft sie an drei Stellen das Brennende Nichts – diese Anomalien werden die Erde und den Mond vernichten, falls Rhodan ihr nicht gehorcht.
Ein junger Mann namens Cameron Rioz hat als einziger den Kontakt mit dem Brennenden Nichts zweimal überlebt und gilt nun als Conduit mit unheimlichen Kräften. Für ihn interessieren sich verschiedene Mächte – nun droht ihm die HELDENDÄMMERUNG ...
Cameron Rioz – Der junge Terraner nimmt sein Schicksal in die Hand.
Serge Gauthier – Der neue TLD-Chef tritt in große Fußstapfen.
Monkey – Der alte USO-Chef spielt ein undurchsichtiges Spiel.
Jasper Cole
»Ich nenne einen Erzähler zuverlässig, wenn er in Übereinstimmung mit den Normen des Werks spricht oder handelt (...) und unzuverlässig, wenn er das nicht tut.«
Wayne C. Booth, Literaturwissenschaftler (1961 AZ)
Trivid-Grundrauschen 1
*Auto-Transkript gestartet.*
»Hier ist TNT, der größte Nachrichtensender des Solaren Bunds. Wir senden live aus dem Residenzpark in Terrania. Dort herrscht Feierlaune. Das Gelände erstrahlt im alten Glanz, nicht wahr, Dana?«
Das Hauptbild zeigt eine Luftaufnahme des Parks. Die Konterfeis des Moderators und seiner Kollegin sind am Bildrand eingeblendet, darunter rollt ein Textband mit Kurznachrichten. Neben den Gesichtern stehen zwei Namen: Cecil Paulmer und Dana Cardinale.
Dana: »Das stimmt, Cecil. Vor etwas mehr als einem Jahr ist die Solare Residenz abgestürzt. Wir alle haben die Aufnahmen noch im Gedächtnis. Aber wie wir sehen, ist davon kaum noch etwas zu erkennen. Die Bäume und Hecken sind neu gepflanzt worden, die bei der Notlandung überfluteten Schlammflächen haben sich in Rasen zurückverwandelt. Die Sohlen der Feiernden machen die Arbeit der Gärtnerroboter vermutlich gleich wieder zunichte.« (lacht)
Cecil: »Laut positronischer Zählung haben sich gut zehntausend dort unten versammelt: Menschen, Jülziish, Akonen und Arkoniden, sicherlich sind dort unten auch einige Kolonialterraner. Aber die Bewohner der Hauptstadt sind in der Überzahl. Das hier ist ihr Fest. Seit jenem Tag, an dem Shrell den Jungfernflug des PHOENIX verhindert hat, herrschte in Terrania keine so gelöste Stimmung.«
Das Luftbild bestätigt Cecils Worte: Eltern tragen ihre Kinder auf dem Arm oder führen sie bei der Hand. Familien und Freundeskreise stehen beieinander, Leute in Freizeitkleidung unterhalten sich mit vornehmen Geschäftsleuten und Flottenangehörigen in Bordkombinationen. Der Park ist bunt vor Menschen. Ein Akustikfeld fängt ihr Gemurmel auf. Sprechchöre bilden sich: »Akasha! Akasha! Akasha!«
Cecil: »Einige skandieren bereits den Namen der Residentin.«
Akasha Pal, die seit dem tragischen Tod Thina Maynards die Geschicke der Liga leitet, steht lächelnd am Rand der Festivalbühne und schüttelt Hände.
Eine zweite Gruppe stimmt einen anderen Chor an: »Neustart! Neustart! Neustart!« Finger weisen auf die Solare Residenz, deren oberste Rundungen hinter der Bühnenrückwand und dem dazugehörenden Trivid-Großschirm aufragten.
Dana: »Die Residenz ruht seit Shrells Anschlag in ihrem Futteral. Aber lange wird sie dort nicht bleiben. Heute Morgen ist das letzte Schwebegerüst verschwunden, das sie monatelang eingehaust hat. Techniker und Ingenieure haben die gröbsten Schäden behoben.«
Cecil: »Schon morgen wird TNT live berichten, wie die sich Stahlorchidee wieder erhebt. Gestern war Akasha Pals Pressesprecherin Abiramy Saengthong zu Gast in unserem Studio, wo sie uns über das bevorstehende Großereignis Auskunft gab. Während wir auf den Auftritt der Residentin warten, wiederholen wir einen Ausschnitt aus diesem Interview.«
Das runde Gesicht einer Frau mit kurzer Nase und mandelförmigen Augen erscheint. Der Studiohintergrund wabert im obligatorischen Dunkelblau, der Markenfarbe von TNT.
Abiramy Saengthong: »Die Residenz ist ein historisches Gebäude, ihre Rückkehr an den Himmel Terranias ein symbolträchtiger Akt. Die Milchstraße soll wissen: Vorbei ist die Zeit des Grämens und der Trauer. Natürlich, die wichtigen Probleme sind nach wie vor real. Noch immer bedroht das Brennende Nichts Terra und Luna, noch immer verlassen jeden Monat Tausende die Erde und fliehen auf andere Welten.
Davor verschließt die Regierung Pal nicht die Augen. Aber Resignation sendet das falsche Zeichen. Akasha plädiert an unseren Durchhaltewillen. Und so zynisch es für die unmittelbar Betroffenen klingt, um deren Schicksal wir uns natürlich kümmern: Der Rest von uns muss lernen, die Bedrohung als eine Gelegenheit zu begreifen. Notfalls bedeutet das: die Chance auf einen Neubeginn.«
Das Interview wird ausgeblendet, erneut ist der Park zu sehen. Menschen drängen nach vorne, zur Bühne. Dort hat ein Mann soeben die Residentin angekündigt.
»Akasha! Akasha! Akasha!«, jubelt die Menge.
Cecil: »Die Pressesprecherin ließ offen, wie man sich diesen neuen Beginn vorstellt, wir werden hoffentlich bald mehr erfahren. Soeben aber betritt Akasha Pal das Podium. Die Rufe, die zu hören sind, gelten jener Frau, die mit ihrer unablässigen Arbeit im Hintergrund den heutigen Tag ermöglicht hat.«
Dana: »Und wir warten auf ihre Antrittsrede. Akasha Pal hat die Liga als provisorische Regierungschefin durch die dunklen Tage der Leun-Krise gesteuert. Diese Aufgabe hat sie nach einhelliger Meinung bewältigt, jetzt hat das Wahlergebnis sie im Amt bestätigt. Vor einer Stunde wurde sie in der Residenz vereidigt, TNT hat die Zeremonie übertragen. Nun richtet sie sich nach dem Wahlsieg erstmals unmittelbar an das Volk.«
Cecil: »Noch ein Programmhinweis: Im Anschluss an Pals Rede schalten wir zu einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz aus dem Tekener-Tower. Von dort, so erfahren wir eben überraschend, will sich der kürzlich inhaftierte Vizepräsident der Firma Wylon Hypertech zu Wort melden.«
Pal tritt hinter das Rednerpult. Kamerasonden umschwirren sie, ihr Abbild schwebt überlebensgroß auf dem Trivid-Schirm, sodass auch die Feiernden in den hintersten Reihen sie sehen. Ein leichtes Flirren verschleiert ihr Gesicht, wo die soeben aufgefalteten Mikrofonfelder das Licht brechen.
Sie lächelt und setzt zu ihrer Rede an.
*Transkript vom Nutzer beendet.*
1.
Familientreffen
Es war die traurigste Zusammenkunft, die es im Hause Cole je gegeben hatte.
Normalerweise freute Jasper sich auf diese kleinen Wiedervereinigungen, kamen sie doch, seitdem er und Jade ausgezogen waren, einfach zu selten zusammen. Weihnachten, Ostern oder Geburtstage waren die Highlights in Jaspers Kalender. Wann immer es im Familienkreis etwas zu feiern gab, hob sich seine Laune.
Nicht so diesmal. Wenn der eigene Vater den besten Freund entführte und dafür vor Gericht gestellt wurde, brachte einen das schwerlich in Feierlaune. Sich das zusammen auf TNT anzuschauen, entsprach ebenfalls nicht gerade seiner Vorstellung von einem gelungenen Abend. Es standen keine Knabbereien auf dem Tisch.
»Ich wusste immer, dass so etwas passieren kann«, klagte Jaspers Mutter Ruby, als sie ihm den regennassen Mantel in den Arm drückte. Das Haar klebte in rostroten Strähnen nass an ihren Wangen. Es war Ende September, und der Herbst hielt verfrühten Einzug in den Straßen der terranischen Hauptstadt. Rubys halb getrocknete Tränen mischten sich mit dem Nieselregen, der ihre Haut tränkte. »Ich bin nicht dumm, Kinder.«
»Trotz der ganzen Geheimniskrämerei?« Jasper hängte Rubys Mantel ins Antigrav-Garderobenfeld – eine Bastelei, die von ihm selbst stammte und auf die er einigermaßen stolz war. »Ich hatte keine Ahnung, was Pa für seine Firma treibt.«
»Du hast keine fünfundzwanzig Jahre lang einen Ehevertrag mit jemandem, ohne ihn kennenzulernen, Jazz.« Sie schlüpfte in die Gästepantoffeln, die Jasper ihr über den Mantel hinweg hinhielt. »Ich wusste nicht, was er trieb, aber immerhin war mir klar, dass ich nicht alles weiß. Und ich habe eurem Vater oft gesagt, dass er sich aus John Wylons Gaunereien heraushalten soll. Ich habe ihn an seine Verantwortung der Familie gegenüber erinnert!«
»Als wenn ihn das je gekümmert hätte!« Jade stand im Türrahmen und rollte mit den Augen. Zumindest vermutete Jasper, dass sie das tat, denn der blau gefärbte Pony fiel ihr so tief in die Stirn, dass er ihre Pupillen nahezu verdeckte. Wie sie trotz ihrer Mähne etwas sah, war Jasper seit jeher ein Rätsel. »Ich liebe Dad, Mum, aber wenn er eins mag, sind es krumme Nummern.«
»Und uns. Vergessen wir das bitte nicht!« Eigentlich war Jasper danach, Jade recht zu geben, aber dies war nicht der Moment für sarkastische Klugscheißerei.
Stattdessen zog er beide zu sich und zwang sie in eine Gruppenumarmung, die Jade erst widerwillig, dann aber umso intensiver zurückgab. Minutenlang standen sie umschlungen da und spendeten einander Trost.
Ruby rang um Fassung. »Selbstverständlich wird er sich aus diesem Schlamassel befreien. Euer Pa hat immer einen Trumpf in der Hinterhand.«
Es brach Jasper das Herz. Nicht aus Angst um seinen Vater – sondern weil Ruby litt.
Weil sie sich ernsthaft um dieses Scheusal Flint Cole sorgte.
*
Die Coles hatten sich in Jaspers winzigem Apartment im Stadtteil Sirius River City versammelt. Es lag im zehnten Stock eines stahlblauen Wohnturms in der Nähe des Crest Park, wo Jasper in einem der Bistros jobbte. Den Eingangsbereich bildete ein kurzer Flur, in dem eine alte Kommode stand und von dem eine Tür zum mikroskopischen Badezimmer abzweigte.
Im einzigen anderen Zimmer gab es ein Bettsofa, einen Esstisch samt Stuhl und einen Kleiderschrank. An der Stirnwand thronte ein Nahrungsbereiter.
Der Holoprojektor streikte.
»Tu, was ich von dir will, du Kasten!« Jasper schlug auf das Gerät, bis er sich seiner genetischen Aufwertung besann und mit einer Handgeste als »Wartungstechniker vierter Klasse« auswies. An der Seite klappte ein Fach auf, darunter erschien das Servicepaneel. Fachmännisch tippte er auf dem zweidimensionalen Display herum, bis er ein Menü mit Überschrift »Selbstdiagnose und Autoreparatur« fand.
»In der Reihenfolge, bitte!« Er aktivierte den Wartungsvorgang und setzte sich zu Ruby und Jade. Es war kuschelig – das Sofa bot gerade so genug Platz. Die Wohnung der Eltern in Garnaru wäre geräumiger gewesen, aber Ruby hatte keine Lust gehabt, sich dort zu treffen: »Zu viele Erinnerungen, zu viel Wut«, hatte sie gesagt, und Jasper hatte das gut verstanden.
»Schaff dir ein neues Gerät an!«, empfahl Ruby, während sie warteten. »Die sind gar nicht so teuer.«
»Das alte tut, was es soll.« Eine Trivid-Anlage fehlte in Jaspers Haushalt. Stattdessen benutze er den uralten tragbaren Projektor mit der Modellbezeichnung HPR-9, ein Fundstück aus Dads Arbeitszimmer.
Das Gerät erzeugte ein dreidimensionales Abbild im Raum. Ein miniaturisiertes Hyperfunkmodul, das Jasper günstig auf einem Verwertungszentrum in Happytown erworben hatte, stand in drahtloser Verbindung zum HPR und wertete diesen zu einem leidlich brauchbaren Trivid-Empfänger auf. Die Leidenschaft zu Tech-Basteleien teilten die Männer der Familie Cole seit jeher.
Die Pressekonferenz hatte noch nicht begonnen, TNT übertrug die Antrittsrede der frisch im Amt bestätigten Liga-Residentin.
»Boh, nicht wieder die zwei!« Jade rümpfte die Nase, als sie die unten rechts klein eingeblendeten Moderatoren erkannte.
Cecil Paulmer und Dana Cardinale galten als seriöse Journalisten, waren sich aber nicht zu schade, sogenannte »bunte« Themen anzufassen. Das Publikum hielt sie darum für nahbar und sympathisch. Das war ein Teil des derzeit modernen medialen Handwerkzeugs, das man sich von Generationen junger Trividder abgeschaut hatte.
Wobei die Meinungen auseinandergingen, ob es sich bei Paulmer und Cardinale überhaupt um reale Menschen handelte. Verglich man heutige Aufnahmen mit solchen von vor Jahrzehnten, sah man, dass sie alterten und ihre Frisur sich änderte. Das waren Details, auf die virtuelle Personen oft verzichteten. Aber das bewies nichts. Sie mochten ebenso gut positronisch generierte Sims sein.
»Was hast du gegen die beiden?«, fragte Jasper.
»Nichts Wirksames. Wenigstens halten sie die Klappe, solang die Residentin spricht. Aber wenn ich nur diese blasierten Fratzen sehe! Zum Glück sind sie in deinem Bastel-Projektor nur unscharf zu erkennen.«
»Ich geb dir gleich Bastel-Projektor!« Scherzhaft knuffte er sie in die Seite. »Ich erwarte Ehrfurcht vor meiner handwerklichen Begabung.«
»Kinder!«, mahnte Ruby.
Schweigend lauschten sie Akasha Pals Rede – es ging um Hoffnung und Neuanfang, um Durchhalten angesichts der drohenden Vernichtung. Das waren starke Worte und genau das, was die Terraner brauchten – vermutete Jasper. Er hörte kaum zu, verfolgte stattdessen das Textband am unteren Rand, das gemächlich durchs Bild rollte:
Finanzmärkte nach Akasha-Wahlsieg im Aufwind – Liga-Justizministerium lädt mutmaßliche Shrell-Mitverschwörer vor, Raumhafeneigner weiter unter Beschuss – Terranischer Forschungsstützpunkt auf topsidischem Territorium unter mysteriösen Umständen entvölkert – mehr dazu in der folgenden Sondersendung.
Bei der vierten Nachricht las er nicht länger mit. Seine Gedanken schweiften ab.
Jasper war kein wirklicher Servicetechniker. Dass das Gerät ihn für einen solchen hielt, verdankte er einem ID-Biochip, den Flint ihm heimlich gegeben hatte. Dass ausgerechnet diese Aufwertung dafür sorgte, dass sie nun die anstehende Pressekonferenz aus dem Gefängnis verfolgen konnten, entbehrte nicht der Ironie. Wie er inzwischen wusste, war sie Teil einer jener Gaunereien gewesen, von denen Ruby gesprochen hatte.
Einer Gaunerei, die unter anderem gegen Cameron Rioz gerichtet gewesen war.
Cam, zu dem er einst aufgesehen hatte. Den er seither als fehlerhaften Menschen kannte – und den er just deshalb als Freund betrachtete.
Der sich ihm aber auch als Mörder offenbart hatte.
Cams Geständnis verfolgte ihn noch immer: »Ich habe sie umgebracht, Jazz. Ja, Bonnifer hat mich beschwatzt, und was auf dem Ylanten-Konstrukt passiert ist, war ein Unfall. Aber Binas Tod – das war meine Entscheidung.«
Inzwischen saßen Cameron Rioz und Bonnifer im selben Gefängnis im Tekener-Tower ein wie Jaspers Vater. Er hatte sich dem TLD und der USO gestellt und darum gebeten, ja, danach gefleht, vor Gericht gestellt zu werden. Am Ende tat er eben immer das Richtige.
Aber Cam wäre nicht Cam gewesen, hätte er auf dem Weg dorthin nicht erst Dutzende Fehlentscheidungen teils katastrophaler Art getroffen. Jasper wusste nicht, wie er damit umgehen sollte.
Akasha Pals Rede kam gut an, wie Jasper anhand des Applauses vermutete. Sie sprach 17 Minuten lang, es folgte eine zehnminütige Nachberichterstattung durch die »Pappnasen«, in denen Pals Worte in Auszügen wiederholt und analysiert wurden – als hätten die Zuschauer sie nicht eben noch mit eigenen Ohren gehört.
Jasper wippte mit dem Knie, bis Jade es festhielt. »Dein Gezappel macht mich wahnsinnig.«
»Entschuldigung.« Er wippte mit dem anderen Bein weiter.
Dann endlich endete die Sendung aus dem Residenzpark. Cecil Paulmer und Dana Cardinale verabschiedeten sich, es folgten Programmhinweise – vor allem die Liveübertragung vom Neustart der Residenz wurde für den Folgetag vollmundig angepriesen.
TNT blendete um. Die Sondersendung war kurzfristig angekündigt worden. Eine positronisch generierte Erzählstimme verriet aus dem Off, von wo das Kamerabild stammte:
»Wir übertragen aus dem der Öffentlichkeit zugänglichen Teil des Tekener-Towers, dem Presse- und Besucherbereich im neunzigsten Stock. Der Mann mit dem braunen Vollbart, dem wilden Haar und den hageren und doch fleischigen Zügen, der soeben in Energiehandfesseln das Podium betritt, ist Flint Cole, bis vor Kurzem Vizepräsident eines der größten terranischen Industriekonzerne.«
Auf Jaspers Sofa rückte die Familie Cole zusammen und hörte zu, was das Familienoberhaupt zu sagen hatte.
Trivid-Grundrauschen 2
*Auto-Transkript fortgesetzt.*
Sprecher-Persona: »Für sehbehinderte Zuschauer sowie jene, die unserem Akustikkanal lauschen: Flint Cole hat sich niedergelassen, die Energiefesseln wurden ihm abgenommen. Ein miniaturisierter TARA-Kampfroboter schwebt zu seiner Bewachung im Raum. Zusätzlich umschwirren ihn die Aufzeichnungsfelder und Schwebekameras verschiedener Medienhäuser sowie von Polit-Trividdern.«
Das Livebild zeigt einen fensterlosen Raum mit Variotapeten. Auf Stühlen sitzen Menschen mit Aufzeichnungspositroniken, die an ihren Ohrmuscheln befestigt sind oder als Bänder ihre Stirn umzwingen. Autonome Reportageroboter schweben umher.
Hinter einem Sprecherpult sitzt Flint Cole, räuspert sich und schiebt einen Stapel holografischer Notizen in die Reihenfolge, in der er sie offenbar vortragen möchte. Seine Nase ist gerade und teilt das Gesicht wie ein Balken in zwei Hälften. Unter einer prominenten Stirn liegen wasserblaue Augen in tiefen Höhlen. Datum und Zeit: 27. September 2250 NGZ, 10.02 Uhr.
Sprecher: »Dass es einem Inhaftierten gestattet wird, vor die Presse zu treten, hat im Vorfeld für Spekulationen gesorgt, zumal es sich bei dem Entführungsfall Rioz um eine laufende Ermittlung handelt.«
Cole räuspert sich ein weiteres Mal. Mit brüchiger, aber warmer Stimme redet er los.
Flint Cole: »Danke für euer Kommen. Ich spreche zu euch, um jene zu schützen, an denen mir etwas liegt. Das betrifft meine Familie ebenso wie meinen ehemaligen Arbeitgeber. Ich habe mich zur Kooperation mit den Ermittlern bereit erklärt, diese Konferenz war meine Bedingung dafür. Ich bedanke mich dennoch bei Serge Gauthier, dass er mir Gelegenheit zu dieser unorthodoxen Ansprache gibt.«
Cole tauscht einen Blick mit einem Mann mit strengen Zügen und hohen Wangenknochen, der in auffällig gerader Haltung neben der Tür zum Pressesprecherbüro steht. Eine Einblendung identifiziert ihn als »Serge Gauthier (120), kürzlich ernannter TLD-Chef und Nachfolger Aurelia Binas«. Ohne die Zahl in Klammern hätten viele Zuschauer ihn vermutlich für einen Achtzigjährigen gehalten – er scheint jugendlich für sein Alter. Gauthier nickt auffordernd.
Flint Cole: »Viele kennen mich nicht, ich bin keine Medienpersönlichkeit. Mein Name ist Flint Cole, und bis vor wenigen Stunden war ich der Vizepräsident von Wylon Hypertech, einer Firma, die hauptsächlich Insidern mit Einblick in den Rüstungssektor ein Begriff ist.
Ich sage war, denn der Konzern hat mich meines Postens enthoben und sich in einem öffentlichen Statement von mir distanziert. Gleich nach meiner Rückkehr nach Terra stellte ich mich noch auf dem Raumhafen den Behörden und dem Liga-Dienst.«
Eine Einblendung zeigt das Landefeld von Point Surfat, dem ursprünglichen Ausweichhafen am östlichen Stadtrand Terranias, der nach der Vernichtung von Atlan Space Port den größten Teil des Verkehrsaufgebots übernommen hat. Die Aufnahme ist wenige Stunden alt: Cole und eine weitere Person entsteigen einer privaten Space-Jet.
Der Wylon-Vize wird von zwei Frauen in Uniform in Verwahrung genommen. Sein Begleiter ist ein braunhaariger, junger Erwachsener in kurzärmligem Hemd, das einen mit animierten Holotätowierungen überzogenen Unterarm entblößt. Er bleibt im Hintergrund, macht einen überforderten Eindruck. Die Texteinblendung identifiziert ihn als »Jasper Cole«. Es ist wohl das jüngere von Flints beiden Kindern.
Der Ex-Vize spricht weiter, unwissend ob der Einblendung, die TNT seinen Zuschauern zeigt.
Cole: »Ich bekenne mich schuldig an der Entführung von Cameron Theodore Rioz, nicht um seiner selbst willen, sondern aufgrund seiner ihm durch die sogenannte Schattenhand verliehenen Fähigkeiten. Diese erschienen mir wertvoll im Sinn einer möglichen waffentechnischen Nutzung.
Meine Taten waren selbstsüchtig und verwerflich. Dies habe ich durch meinen Sohn Jasper gelernt, der gegen seinen Willen und ohne sein Wissen in den Zwischenfall verwickelt wurde. Außerdem durch Rioz selbst, der mir mit seinem mutigen Schuldeingeständnis ein Beispiel ist. Ich bitte zunächst Rioz sowie meine Familie um Entschuldigung.«
Ein Familienfoto ist zu sehen, das vor etlichen Jahren bei einer öffentlichen Gala entstanden ist: Flint, im schwarzen Lithoplast-Smoking, daneben eine attraktive, schlanke Rothaarige im eleganten Abendkleid. Der eingeblendete Text stellt sie als seine Frau Ruby vor und verrät, dass sie als Xenomedizinerin in der größten Klinik des Stadtteils Garnaru arbeitet.
Zwei Kinder stehen im Vordergrund, auf dem Foto sind sie etwa acht und sechs Jahre alt. Das ältere – ein Mädchen mit schlecht gelauntem Gesichtsausdruck – hält das jüngere an der Hand. Der spätere Erwachsene mit den Tätowierungen ist hier noch ein lachendes Kleinkind mit etwas zu langem Haar und in einem Hemd mit rosafarbenem Bärchenmotiv.
Cole: »Ich missbrauchte konzerneigene Einrichtungen sowie Wylon-Technologie zur Planung und Durchführung meines Vorgehens. Aber alles geschah auf meine eigene, private Initiative, und weder die Konzernspitze noch der Firmengründer Wylon selbst waren involviert oder hatten Kenntnis davon. John hätte derlei niemals zugestimmt, weswegen ich mich zur Heimlichtuerei entschlossen sah.«
Eine weitere Bildeinblendung zeigt den Wortlaut jener Verlautbarung, die von Wylon Hypertech herausgegeben wurde und die sich inhaltlich mit Coles Aussage deckt. Die Formulierungen sind ähnlich genug, dass man zu der Ansicht gelangen kann, beide Parteien hätten sich besprochen und einvernehmlich geeinigt.
Cole: »Was TLD und USO bei ihren Ermittlungen feststellen werden, ist, dass all diese Konzernmittel von mir in den Jahren zuvor sukzessive und illegal an eine von Wylon unabhängige Gesellschaft namens Mnemonic Algorithms, kurz MnA, überführt wurden, deren alleiniger Eigner ich bin. Zu den Gründen und dem Wie werde ich mich den Mitarbeitern des Liga-Dienstes gegenüber äußern, die Zuschauer zu Hause möchte ich nicht mit den Details langweilen.
Ich habe Unrecht getan. Die Verantwortung liegt allein bei mir – und ich übernehme sie vollumfänglich. Ich akzeptiere, welches Urteil auch immer mich vor Gericht erwartet. Danke für die Aufmerksamkeit.«
Die Rede endet abrupt. Flint Cole erhebt sich, die Holonotizen erlöschen. Ein untersetzter Mann mit Sommersprossen und rostrotem Haar legt ihm erneut Energiefesseln an. Der TARA schwebt herbei und eskortiert beide durch die zweite Tür. Im Vorbeigehen nickt Cole dem neuen TLD-Chef zu; der reagiert nicht.
Sprecher: »Die Pressekonferenz ist beendet. Man mag Mitleid mit der Familie des Ex-Vizepräsidenten empfinden. Was wird in ihren Köpfen vorgehen?
TNT wird über den weiteren Verlauf des Cole-Verfahrens berichten. Am Abend präsentieren wir eine Publikums-Mitmachdiskussion zum Fall Rioz und seiner Beziehung zum Shrell-Kollaborateur Bonnifer.