Perry Rhodan Neo 315: Das Licht der Vernunft - Olaf Brill - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan Neo 315: Das Licht der Vernunft Hörbuch

Olaf Brill

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Beschreibung

Als Perry Rhodan von einer langen Reise zurückkehrt, stellt er fest: Das Solsystem ist von der Außenwelt abgeschottet. Nur mit größter Mühe kann er den Sperrschirm überwinden. Auf der Erde sind acht Jahrzehnte vergangen. Die meisten Menschen sind an der Aphilie erkrankt, empfinden keine Emotionen wie Mitleid oder Freude mehr. Eine Diktatur der reinen Vernunft unterdrückt die wenigen Immunen. Während das Regime gegen Widerstandsgruppen vorgeht, geraten Rhodan, sein Sohn Thomas und sein Freund Roi Danton in Gefangenschaft. Vor allem Rhodans Frau Thora setzt alles daran, sie zu befreien. Derweil schildert Danton seine Vorgeschichte, die kosmische Dimensionen hat. Und es offenbart sich, wer die Geschicke der Aphiliker aus dem Dunkeln heraus lenkt – dieser Mensch ist DAS LICHT DER VERNUNFT ...

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Zeit:5 Std. 49 min

Sprecher:Hanno Dinger

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Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen




Band 315

Das Licht der Vernunft

Olaf Brill

Rüdiger Schäfer

Cover

Vorspann

1. Roi Danton

2. Perry Rhodan

3. Roi Danton

4. Perry Rhodan

5. Perry Rhodan

6. Perry Rhodan

7. Roi Danton

8. Perry Rhodan

9. Perry Rhodan

10. Roi Danton

11. Perry Rhodan

12. Roi Danton

13. Perry Rhodan

14. Roi Danton

15. Perry Rhodan

Impressum

Als Perry Rhodan von einer langen Reise zurückkehrt, stellt er fest: Das Solsystem ist von der Außenwelt abgeschottet. Nur mit größter Mühe kann er den Sperrschirm überwinden.

Auf der Erde sind acht Jahrzehnte vergangen. Die meisten Menschen sind an der Aphilie erkrankt, empfinden keine Emotionen wie Mitleid oder Freude mehr. Eine Diktatur der reinen Vernunft unterdrückt die wenigen Immunen.

Während das Regime gegen Widerstandsgruppen vorgeht, geraten Rhodan, sein Sohn Thomas und sein Freund Roi Danton in Gefangenschaft. Vor allem Rhodans Frau Thora setzt alles daran, sie zu befreien.

Derweil schildert Danton seine Vorgeschichte, die kosmische Dimensionen hat. Und es offenbart sich, wer die Geschicke der Aphiliker aus dem Dunkeln heraus lenkt – dieser Mensch ist DAS LICHT DER VERNUNFT ...

1.

Roi Danton

Jahr 41 der reinen Vernunft

Wer bist du?

Wie bist du auf die Erde gekommen?

Diesen Körper erkenne ich – du bist ein Yaanztroner, nicht wahr?

Warum trägst du so eigenartige Kleidung?

Und wem gehört das Gehirn, das hinten im Ceynach-Kropf steckt, der Tasche in deinem Nacken?

Du siehst, ich kenne mich aus. Du kannst mich nicht hinters Licht führen. Ich weiß, dass das Ceynach im Kropf deine wahre Persönlichkeit darstellt.

Also rede endlich! Wer bist du wirklich?

Warum bist du hier?

Wer ich bin?

Wenn ich Ihnen das verrate, werden Sie staunen.

Mein Name ist Georges Jacques Danton, enchanté.

Ach, der Name sagt Ihnen nichts? Ich sehe es Ihrem Gesicht an. Mon dieu, was ist aus dieser Welt nur geworden, die ihr Terra nennt!

Soll ich Ihnen den Namen buchstabieren? Oder ihn in feinster Handschrift auf eine Serviette schreiben?

Bien, ich verstehe. Sie verabscheuen Scherzchen dieser Art. Es kann nicht jeder ein Feingeist sein.

Wie ich auf die Erde gekommen bin, wollen Sie wissen? Ja, wenn ich das nur selbst wüsste!

Ach, wo soll ich nur beginnen?

Ich kann Ihnen jedenfalls berichten, woran ich mich erinnere. Wobei ich von Anfang an darauf hinweise, dass ich nicht sicher bin, ob alles, woran ich mich erinnere, der Wahrheit entspricht. Das ist ein philosophisches Problem, nicht wahr? Was ist die Wahrheit über unser Leben? Sie haben bestimmt bereits selbst mal darüber nachgedacht: Denn wer kann den eigenen Erinnerungen schon vertrauen? Ehrlich gesagt, bin ich nicht mal sicher, ob ich der Mann bin, an den ich mich erinnere.

Vielleicht war ja das ganze Leben, das in meinem Kopf ist, ein Fiebertraum, entstanden in der Stalakk-Gehirnbank auf Yaanzar, als ich in einer fernen Sterneninsel im Körper des Yaanztroners Seskatsch die Augen aufschlug.

Perry Rhodan hat mir später bestätigt, dass es den Mann, an den ich mich erinnere, wirklich gegeben hat. Und wer bin ich, dem großen Terraner zu widersprechen?

Sie werden verstehen, wenn Sie mir ein Weilchen zuhören.

Also, habe ich Ihre Aufmerksamkeit? Ich bin nicht zum ersten Mal auf diesem Planeten. Ich stamme sogar von der Erde. Ich wurde geboren am 26. Oktober 1759 in der kleinen Gemeinde Arcis-sur-Aube eines Ihrer damaligen Nationalstaaten, der sich Frankreich nannte. Das sagt Ihnen nichts, Sie haben die Staaten weitgehend abgeschafft und verwenden inzwischen eine ganz andere Zeitrechnung, nicht wahr? Nun, Sie finden bestimmt jemanden, der Ihnen ausrechnet, wie alt ich demnach inzwischen bin – sofern ich der bin, für den ich mich halte, natürlich. Vielleicht haben Ihre Laufburschen meinen Namen ja inzwischen in den Geschichtsbüchern gefunden. Es gibt doch noch so etwas wie Geschichtsbücher?

Auf der damaligen Erde machte ich eine Karriere als Anwalt, Liebhaber, Politiker und Revolutionär. Einmal wäre ich beinahe Priester geworden. Und wären die Dinge anders gelaufen, hätte ich vielleicht sogar König werden können. Als junger Mann war ich eine Weile begeisterter Anhänger des Königs und verhielt mich auch so. Wie ich von einer Geliebten erfahren habe, nannten mich die Leute in der Stadt daher roi. Tatsächlich gefiel mir das. Später übernahm ich den Namen. Ich sagte dann nicht mehr roi, wie unser Wort für König, sondern Roi, als wäre ich ein Amerikaner wie Perry Rhodan.

Da ich es, wenn man Perry Rhodan glauben darf, bis in die Geschichtsbücher geschafft habe, kann man wohl sagen, ich habe einen gewissen Eindruck auf meine Zeitgenossen gemacht, und wohl auch auf die nachfolgenden Generationen. Mein Leben war kurz, ein einziger Wirbelwind, bis dann eines Tages – oh, erwähnte ich bereits, dass mir der Kopf abgeschlagen wurde?

Dafür sorgte die Maschine, die der Klavierbauer Tobias Schmidt auf Anregung von Monsieur Guillotin gebaut hatte. Die Maschine arbeitete sehr sauber und effizient und funktionierte prächtig. Zu dumm, dass der Tyrann Robespierre sie auch an mir ausprobieren ließ. So kann es einem ergehen, der seine Feinde unterschätzt. Das soll mir nicht noch mal passieren.

Am Tag meiner Hinrichtung wurde mein fein abgetrennter Kopf – oder wohl eher das Gehirn darin – in den Kugelsternhaufen Naupaum entführt, der, wie ich später erfahren habe, weiter entfernt von der Heimat ist als China oder sogar der Mond. Warum das geschah, ist mir noch immer ein Rätsel. Ich bin aber sicher, dass die Antwort darauf tief irgendwo im Innern meines Verstands verborgen ist und dass ich sie eines Tages noch erfahren werde. Da gab es nämlich ein paar Vorkommnisse in meiner Vergangenheit, über die ich mir nie ganz klar geworden bin.

Aber ich schweife ab. Wo war ich?

Ich fand mich also in einer fernen Welt im Körper eines fremden Wesens wieder – eines Yaanztroners, wie Sie bereits korrekt festgestellt haben. Mein neuer Körper war hochgewachsen, außer im Gesicht mit moosgrünem Pelz bedeckt, er verfügte über große, rotgoldene Augen und spitze, drehbare Fledermausohren. Zudem waren meine Sinne schärfer als jemals zuvor. Und im Ceynach-Kropf in meinem Nacken saß allen Ernstes mein Originalgehirn. Immerhin habe ich mir inzwischen eine ansprechende Garderobe schneidern lassen. Gefalle ich Ihnen?

In Naupaum lernte ich Perry Rhodan kennen und den Petraczer Gayt-Coor sowie viele andere eigenartige Wesen. Wir bekämpften gemeinsam den Raytscha, den Tyrannen der Yaanztroner. Denn das war es schließlich, was ich von Haus aus tat: die Revolution anführen, für die Freiheit kämpfen und die Tyrannen ihrem gerechten Ende zuführen. Den Bösewichten, wenn es geht, den Kopf abschlagen. Ha ha, welch eine Ironie!

Besagter Kugelsternhaufen Naupaum ist 55 Millionen Lichtjahre von unserer Sonne entfernt. Können Sie sich darunter etwas vorstellen? Ich konnte es nicht. Was wohl unser Roi-Soleil, der Sonnenkönig, dazu gesagt hätte? Der Planet Yaanzar, auf den es mich verschlagen hatte, ist nur einer von Millionen Welten in Naupaum, und Naupaum nur einer der vielen Sternhaufen im Umfeld einer Galaxis, die Perry Rhodan M 87 nennt. Welch banaler Name für etwas so Unfassbares und Wunderbares!

In M 87 also war ich unterwegs mit einer Expedition, die diese unfassbare und wunderbare Welt erkunden sollte. Ein unglaubliches Gebilde stellte sich uns in den Weg. Es erfasste uns, saugte uns in sich hinein, in einem Wirbel aus Licht und flackernden Blitzen, als würden wir aus den Fugen des Raums und selbst der Zeit gerissen.

Von da an habe ich keine Ahnung mehr, wie uns weiter geschah. Meine Erinnerung setzt erst wieder ein, als ...

Das Erste, was ich wahrnahm, noch bevor ich die Augen öffnete, waren ein leichter Wind, der Geschmack von frischer Luft und der Geruch von nassem Gras. Es musste vor gar nicht langer Zeit leicht geregnet haben, und ich war umgeben von Bäumen und wilden Pflanzen. Ganz in der Nähe musste auch ein Gewässer sein. Ich erfasste all das im Bruchteil einer Sekunde, ein Vorzug der geschärften Sinne meines neuen Körpers.

Ich lag ausgestreckt auf einem Schotterboden. Ächzend stützte ich mich mit den Händen ab und richtete mich auf. Meine Lider waren verklebt. Lichtreflexe zuckten über die Netzhaut, wahrscheinlich Überbleibsel des Transfers. Denn ein Transfer war es zweifellos, der mir widerfahren war. Ich wusste es sofort: Ich war nicht mehr in M 87.

Für einen Moment durchströmte mich der irrsinnige Gedanke, dass meine Abenteuer in der anderen Sterneninsel, weit weg von der Erde, nichts weiter als ein Traum gewesen waren. Oder dass ich, durch welche Magie auch immer, in meine Zeit und meinen alten Körper zurückkatapultiert worden war. In die Zeit, in der wir die Revolution angeführt und das Licht der Vernunft, das Isaac Newton entfacht hatte, in die Welt getragen hatten.

Ich führte die Hände vor meine Augen und verwarf den Gedanken sofort wieder. Das waren nicht die Hände des Revolutionärs Georges Jacques Danton. Es waren eher Klauen, die von einem grünen Flaum bedeckt waren und neben den üblichen fünf Fingern noch einen zweiten, verkümmerten Daumen aufwiesen. Es waren die Hände eines Yaanztroners.

Halb stand ich schon, als es mir gelang, die Lider vollends zu öffnen. Noch war meine Sicht verschwommen. Vor mir lag ein großer, kreisrunder Teich, der mit grünlichem Schleim überzogen war. Mücken und Libellen schwirrten umher. Dahinter erstreckte sich ein breiter Kanal, der in die Ferne führte. Erst langsam nahm die neue Umgebung Gestalt an, auch wenn mich von Anfang an ein Gefühl der Vertrautheit umgab.

Dann erkannte ich voller Verblüffung die algenüberwachsenen Gestalten, die sich aus dem Teich erhoben: Es war der nackte Apoll, der Gott des Lichts, der auf seinem Streitwagen saß, gezogen von vier Pferden und umgeben von Tritonen, halb Mensch, halb Fisch. Ich hatte in Naupaum viele seltsame Wesen gesehen, aber diese stammten eindeutig von der Erde. Sie erhoben sich zu Ehren des Königs aus dem Wasser. Ich war also doch zurück auf der Erde! Dies war zweifellos der Brunnen des Apoll im Park von ...

Ruckartig drehte ich mich um.

Vor mir erstreckte sich eine breite Allee, die von wild wucherndem Gras und Sträuchern überwachsen war. Die Prunkvasen und Statuen, die früher da gestanden hatten, waren teils mit Büschen zugewuchert, einige waren von ihren Sockeln gefallen und zerstört, andere vollends verschwunden. All dies war mehr Dschungel als Garten. Statt der fein gestutzten Bäumchen und der geometrischen Formen, die ich gekannt hatte, sah ich vor mir eine Anlage, die bestimmt seit einem halben Jahrhundert nicht mehr gepflegt worden war. Trotzdem entfaltete dieser Park noch immer dieselbe Magie wie vor Hunderten von Jahren. Alle Wege, die Wasserläufe und Formen strebten demonstrativ auf das flache, sandsteinfarbene Gebäude zu, das ich vor mir in der Ferne erkannte: das Schloss Versailles.

Dort hatten vor inzwischen vierhundert Jahren der König und die Königin residiert, bevor wir ihnen den Garaus gemacht hatten. Dort hatten sie mit ihrem Hofstaat gelebt, mit den Mätressen, den Ministern, Stallmeistern und einer Dienerschaft von der Größe einer ganzen Stadt, während die einfachen Leute in Paris verhungerten. Dies war der Ort, wo die Herrscher über Krieg und Frieden entschieden hatten, bevor die Poissarden sie nach Paris gezerrt und der Nationalkonvent sie aufs Schafott gestellt hatten. Ich und meine Kameraden hätten dieses Schloss und den ganzen Park niederbrennen können. Oder ich hätte darin König werden können, wenn ich es darauf angelegt hätte.

Wie hypnotisiert lenkte ich meine Schritte in Richtung des Schlosses.

Erst als ich direkt davorstand, erfasste mich seine wahre Pracht: Es war eindeutig das Schloss Versailles, kein Nachbau in einer fernen Sterneninsel. Ich erkannte die bogenförmigen Fenster, von denen einige zersplittert waren, die flachen Mansarddächer und die hervorspringenden Portale mit ihren Säulen und Statuen. Ich stand direkt vor dem Corps de Logis, in dem sich Hunderte Zimmer der königlichen Familie befanden. Weiter hinten lagen auf der linken und rechten Seite der Nord- und Südflügel mit den Salons des Krieges und des Friedens und den Schlafgemächern des Königs und der Königin.

Als ich genauer hinsah, erkannte ich, dass viele der Fenster von innen mit Brettern vernagelt waren. Einige der Statuen und Säulen waren beschädigt. Das ganze Schloss machte einen schmutzigen und verfallenen Eindruck. Vor allem fiel mir da erst auf, dass nirgendwo Menschen oder Fahrzeuge zu sehen waren. Das war nicht das Terra, von dem Perry Rhodan mir erzählt hatte! War ich auf einer menschenleeren Erde am Ende aller Zeiten gelandet? Ich musste mir Gewissheit verschaffen!

Ich trat an eins der bis zum Boden reichenden Bogenfenster heran und atmete tief ein, als ich eine Hand an die sandsteinfarbene Fassade legte. Georges Jacques Danton war zurück in Versailles. Sofort korrigierte ich mich gedanklich. Mein Name war mittlerweile Roi Danton.

Das Fensterglas war teilweise ganz herausgefallen. Ich schlug gegen die noch verbliebenen Scherben, die klirrend ins Innere des Prunkbaus fielen, und rüttelte an den Brettern dahinter. Sie fühlten sich kalt und morsch an. Ich erinnerte mich daran, dass es in den Zimmern und Sälen des Schlosses nie besonders warm gewesen war sowie dass dort ständig Ratten und Mäuse zu Gast gewesen waren. Deswegen war der ganze Hofstaat einmal im Jahr nach Fontainebleau gezogen, und der Königspalast wurde in dieser Zeit umfänglich gesäubert.

Mit der Kraft eines Yaanztroners gelang es mir, ein paar der Balken nach innen zu drücken. Dumpf polterten sie zu Boden. Wie ein Einbrecher stieg ich ins Schloss von Versailles ein.

Innen erwartete mich kühle, schale Luft. Durchs Fenster fiel ein fahler Lichtkegel, in dem Schwebepartikel wirbelten. Die Hallen im Innern waren voller Staub und Spinnweben und standen weitgehend leer. Auf dem Boden lagen Scherben. Es standen noch einige zersplitterte Vasen und Statuen herum, aber die meisten Möbel, Trophäen und sogar die Lüster an den Decken waren verschwunden. Das konnten meine Kameraden gewesen sein, überlegte ich grimmig. Revolutionäre zögerten nicht, Monarchen die Kehle aufzuschneiden und ihre Gemächer auszuplündern. Aber das lag Jahrhunderte zurück. Vielleicht hatte auch irgendeine andere Macht die Räumlichkeiten des Königs verwüstet.

Über die große Treppe stieg ich hinauf ins Obergeschoss. Schon stand ich im legendären Spiegelsaal. Zwar waren auch dort Bretter vor die Fenster genagelt worden, doch so nachlässig, dass durch Lücken Lichtstrahlen auf die marmornen Pilaster fielen. Schwach beleuchteten sie die gewölbte Kuppel mit den prächtigen Deckengemälden und goldenen Dekors. Die siebzehn großen Spiegel, die exakt so geformt waren wie die gegenüberstehenden Bogenfenster, waren verstaubt und zum Teil zerschlagen. Aber in einigen erhalten gebliebenen Spiegelflächen konnte ich im Halbdunkel die Gestalt des Yaanztroners sehen, in dessen Körper sich Georges Jacques Danton aufhielt. Es war, als wandele ein Gespenst durch das Schloss.

Ich atmete tief ein und drehte meine empfindlichen Ohren in alle Richtungen. Plötzlich registrierte ich ein Geräusch, ein entferntes Summen, das von menschlichen Ohren nicht wahrnehmbar gewesen wäre. Irgendwo im Innern des Schlosses war eine Maschine angelaufen.

Ich tastete nach einer Strahlenpistole an meinem Rock oder wenigstens einem Degen. Aber der geheimnisvollen Macht, die mich auf die Erde zurückversetzt hatte, war offenbar nicht daran gelegen, einen bewaffneten Roi Danton nach Versailles zu schicken. Völlig wehrlos war ich trotzdem nicht, glaube ich sagen zu dürfen. Ich hob meine Fäuste, bereit, mich jedem Gegner zu stellen.

Das Summen kam näher. Eine Flügeltür am Ende des Saals öffnete sich. Ich kniff die Lider zusammen.

Auf kugelförmigen Rädern rollte ein kleiner Körper herein, ungefähr von der Größe eines Servierwagens. Wahrscheinlich hatte ich diese Assoziation, weil der Körper in einer von zwei Händen ein – allerdings leeres – Tablett trug. Der ganze Körper schimmerte kupferfarben, und seine Oberseite war einem menschlichen Kopf nachempfunden, auf dem absurderweise eine gepuderte Perücke saß. Das Ding rollte auf mich zu und hinterließ eine leicht gebogene Spur im Staub des Bodens. Ein Roboter.

Zwei große, runde Augen, die vorn im Kopf saßen, fixierten mich beim Näherkommen. Mir war bewusst, dass diese runden Applikationen nicht unbedingt die Sehorgane des Roboters darstellen mussten. Dennoch fühlte ich mich angestarrt.

»Sind Sie ein Mensch?«, fragte der Roboter, als er nur noch wenige Meter entfernt war.

Mir schossen Tränen in meine Yaanztroneraugen.

Der Roboter sprach Französisch! Es war die Sprache des Königs, so wie ich sie in Erinnerung hatte, nicht die grauenhafte Abwandlung, an der Perry Rhodan sich versucht hatte.

Er blieb genau vor mir stehen und blickte unschuldig zu mir hoch. Das leere Tablett hielt er, als wolle er mir ein Glas Champagner anbieten, das dort nicht stand. Vielleicht waren solche Genussprodukte im Schloss Versailles nicht mehr vorhanden. Wenn das der König wüsste!

»Sehe ich aus wie ein Mensch?«, fragte ich amüsiert. Es klang ungewohnt, die von mir selbst in der Muttersprache gesprochenen Worte aus dem Mund eines Yaanztroners zu hören.

»Wenn Sie kein Mensch sind, was sind Sie dann?«, fragte der Roboter und feuerte sofort weitere Fragen auf mich ab. »Sind Sie ein touriste? Hat die Aphilie Sie nicht erfasst?«

Was war eine Aphilie? Und warum nannte diese Maschine mich einen Tagesausflügler? Brabbelte sie nur Unsinn, oder steckte mehr dahinter, als ich in diesem Moment vermuten konnte?

Ich mahnte mich, dass diese lächerliche Figur mit der weißen Perücke, die mich aus großen Augen ansah, kein Lebewesen war, sondern ein mechanisches Gerät wie jene Apparate, die der Ingenieur Jacques Vaucanson nach Paris gebracht hatte, oder der berühmte Schachtürke, den dieser ungarische Erfinder, dessen Name mir gerade entfleucht ist, in ganz Europa vorgeführt hatte. Der Roboter vor mir war gebaut worden, um seinen menschlichen Herren Rede und Antwort zu stehen – auch wenn sie vorübergehend im Körper eines Yaanztroners steckten.

»Definiere touriste!«, forderte ich daher ohne Scham.

»Gern«, antwortete die Maschine, ohne zu zögern. »Ein Tourist ist eine Person, die zum Anlass der Zerstreuung eine Reise an einen anderen als den gewohnten Ort unternimmt. Seine Absicht ist, sich an den dortigen Attraktionen und Sehenswürdigkeiten zu erfreuen und somit Entspannung zu erlangen. Beim Tourismus handelt es sich um eine Massenbewegung, die sowohl in großen Gruppen als auch individuell organisiert wird und zu Destinationen führt, deren Infrastruktur explizit dem Tourismus gewidmet ist. Ganze Branchen haben sich dem Zweck verschrieben, dem Touristen zu Diensten zu sein.«

Mit einem traurigen Seitenblick sah der Roboter auf das Tablett in seiner Hand, auf dem eben kein Glas oder eine Flasche stand, mit der er mir zu Diensten hätte sein können.

Ich gab einen missbilligenden Laut von mir, den man mit ein wenig Prätention als Grunzen hätte beschreiben können.

Der Roboter beeilte sich, mit seiner Rede fortzufahren. »Dieses Schloss diente seit dem neunzehnten Jahrhundert alter Zeitrechnung als Museum und war lange Zeit ein bevorzugtes Reiseziel der Touristen.«

Ich schnalzte mit der Yaanztronerzunge. Hatte sich in den Jahrhunderten, in denen ich weg gewesen war, also doch einiges zum Guten geändert auf der Erde! Der König war vertrieben, und das Schloss von Versailles diente der Zerstreuung der einfachen Bürger – das war doch gar nicht so schlecht gelaufen! Durch denselben Saal, in dem einst Ludwig und Marie-Antoinette den Bund fürs Leben geschlossen und diese ekelhaft pompösen Feste gefeiert hatten, schob sich nun das einfache Volk und gaffte die Skulpturen und Vasen, Deckengemälde und prächtigen Spiegel an ...

Mir wurde bewusst, dass ich gerade leibhaftig in ebenjenem Saal stand, von dem ich phantasierte. Der Spiegelsaal des Königs und der Königin war aber nun abgedunkelt und verbrettert. Statt dass das Sonnenlicht tausendfach in den Spiegeln gebrochen wurde, um die Menschen zu erfreuen, fielen nur noch einzelne Strahlen durch die Ritzen zwischen den Brettern herein. Die meisten Spiegel waren verstaubt oder zerstört. Ich schluckte hart.

»Und ... das gibt es also nicht mehr?«, fragte ich heiser. »Warum? Was ist geschehen?«

»Die Menschen sind gefühlsarm geworden«, beklagte sich der Roboter. »Nicht nur hier, sondern auf der ganzen Erde. Der Massentourismus ist abgeschafft. Seit der Zeit der Aphilie gibt es für uns nichts mehr zu tun.« Er machte eine unbestimmte Geste in den Raum, als sei damit die Verwahrlosung des Schlosses entschuldigt.

Ich dachte nach. Der Roboter hatte nun schon zum zweiten Mal das Wort Aphilie erwähnt, das, soweit ich mich erinnern konnte, in meinen Griechisch-Wörterbüchern nicht vorkam. Aufgrund meiner exzellenten, wenn auch in Naupaum etwas verblichenen Sprachkenntnisse wusste ich natürlich sofort, dass es Lieblosigkeit bedeuten musste. War den Menschen also die Liebe abhandengekommen? Ich erschauderte. Auf welch einer Erde war ich gelandet?

»Wie ist es zur Aphilie gekommen?«, fragte ich dumpf.

»Die Menschen sind anders geworden.« Nun klang der verdammte Roboter, als wäre er traurig. Ich rief mir erneut in Erinnerung, dass es sich um eine Maschine handelte. »Seit sie allein dem Licht der Vernunft dienen, sind ihnen die Gefühle fremd geworden. Sie haben keinen Bedarf mehr für die Schönheit eines Ortes wie diesen. Deshalb haben wir keinen Auftrag mehr, den Ort instand zu halten. Die Menschen betrachten das als Evolutionssprung.«

Der Hälfte seiner Worte hatte ich gar nicht mehr zugehört. Ein Wirbelwind der Gefühle erfasste mich.

Ich packte den Roboter an den Armen, merkte bei der Gelegenheit, dass er schwerer war, als ich gedacht hatte, und schrie ihn an. »Was plapperst du da? Das Licht der Vernunft hat die Gefühle der Menschen zerstört? Und sie betrachten das als Evolutionssprung?«

Ich dachte an Newton und Voltaire, den deutschen Philosophen Kant und all meine anderen Idole, die Brüder und Schwestern, mit denen ich einen Kampf für die Vernunft und gegen die Tyrannen geführt hatte. Das Licht der Vernunft, die Aufklärung, war so etwas wie ein Leitmotiv meines Lebens gewesen. »Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit«, hatte Kant geschrieben. »Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstands ohne Leitung eines anderen zu bedienen.« Dafür hatten wir gekämpft, und anscheinend hatten wir damit Erfolg gehabt. Aber dann hatte das Licht der Vernunft die Erde zu einem Ort ohne Liebe gemacht?

Mir schwanden die Sinne. Denn eins wusste ich mit Gewissheit: Höher noch als die Vernunft zählte die Liebe. Sie war das Wichtigste im Leben.

Ich klammerte mich an eine verrückte Hoffnung. Wer da vor mir stand, war nur ein einfacher Roboter, ein Apparat, eine Maschine. »Ihr Roboter vielleicht!«, rief ich und rüttelte an seinen metallenen Armen. »Ihr habt keine Gefühle, das weiß ich. Aber die Menschen? Niemals kann das den Menschen geschehen! Die Gefühle sind, was den Menschen ausmacht!«

Mit einer Drehung entwand sich die Maschine meinem Griff und schwebte ein Stück in die Höhe, sodass ihr lächerlicher Kopf auf Höhe meiner Augen gelangte.

Der Versailler Robotdiener verfügte also nicht nur über Rollen an seiner Unterseite, sondern ebenso über einen einsatzfähigen Antigrav. Möglicherweise hatte er ihn bisher nicht aktiviert, um Energie zu sparen. Ich hatte in Naupaum einiges über die Maschinen der Zukunft gelernt.

Die Maschine schwamm wie auf einer seichten Welle in der Luft neben meinem Kopf und glotzte mich an. »Wir Roboter mögen keine Gefühle haben wie ihr ... Menschen. Aber wir können sehr wohl Gefühle erkennen. Und wenn in unserem Innern ein bestimmter Parameter von null auf eins springt, könnte man das sehr wohl ebenfalls ein Gefühl nennen: die Freude, unserer Programmierung zu folgen.«

Mir war nicht entgangen, dass der Roboter vor Menschen eine kleine Pause gemacht hatte. Er war wohl immer noch nicht sicher gewesen, wie er das grünfellige Wesen mit den drehbaren, spitzen Ohren und den gelbroten Augen zu beurteilen hatte. Dann hatte er sich wohl entschieden, seiner Programmierung zu folgen und alle Touristen einfach gleich zu behandeln – als Menschen. Liberté, ...galité, Fraternité ... Also hatte doch ein Stückchen unserer Revolution auf dieser Erde der Zukunft überlebt – in Gestalt einer mechanischen Maschine.

»Ihr Roboter seid darauf programmiert, uns Menschen zu dienen?«, fragte ich herausfordernd.

»Wir sind dafür verantwortlich, den Touristen im Schloss Versailles ihren Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten«, antwortete die Maschine zögerlich.

Ich nickte grimmig. »Dann fangt mal an.« Mit einer meiner berühmten kreisenden Handbewegungen deutete ich innerhalb von zwei, drei Sekunden auf alle Stellen des Spiegelsaals gleichzeitig. »Mir scheint, hier ist ein wenig Aufräumen angesagt. Die Touristen sind zurück und wollen, dass alles instandgesetzt wird. Allez-y!«

Ich hatte mich gedreht und dabei von dem Roboter abgewandt. Nun schwebte er um mich herum und schenkte mir aus den runden Optiken auf der Vorderseite seines Kopfs einen Blick, als betrachte er einen Geistesgestörten.

Ich lachte und bemerkte widerwillig, dass mir die Maschine ans Herz zu wachsen begann.

»Falls noch ein Zweifel an meiner Autorität bestehen sollte«, fuhr ich gut gelaunt fort. »Mein Name ist Georges Jacques Danton. Ich gehöre in gewisser Weise ebenfalls zu den Attraktionen dieses Schlosses. Du darfst mich Roi nennen.«

Erneut zeigte der Roboter einen Moment des Zögerns. Diesmal fragte ich mich, ob das nicht einfach zu seiner Programmierung gehörte, um menschlicher zu wirken. Dann schien er sich mit einem Ruck zu einer Entscheidung durchgerungen zu haben. »Roi?«, fragte er in hohem Tonfall. »Wie wunderbar, der König ist wieder hier! Wir werden uns bemühen, seinen Wünschen zu gefallen.«

Aus seinem kupfernen Körper ertönte ein Signalton wie ein dumpfer Gong.

Plötzlich schwirrten aus allen Ecken mechanische Helferchen herbei, als wären sie bisher hinter den Spiegeln versteckt gewesen und hätten nur darauf gewartet, wieder aus ihnen heraussteigen zu dürfen, um den Menschen zu dienen. Manche waren wuchtig wie wandelnde Regentonnen, andere klein und filigran wie ein Spazierstock oder gar eine von Marie-Antoinettes Haarnadeln. Sie putzten meine Schuhe, zupften an meinem Rock, einige begannen sogar, die auf dem Boden liegenden Scherben zusammenzukehren.

»Ich werde dich Camille nennen«, beschied ich dem Roboter und dachte dabei an einen alten Freund, der alles andere als ein willfähriger Diener gewesen war. Zeit seines Lebens hatte ihn ein starkes Stottern geplagt, aber er war der brillanteste Advokat gewesen, den ich jemals kennengelernt hatte. Ihm war nur wenige Minuten vor mir auf dem Platz der Revolution der Kopf abgeschlagen worden.

Ich rief mir ins Gedächtnis, dass es nicht meine Aufgabe war, das Schloss Versailles von Robotern wieder aufhübschen zu lassen. Ich musste herausfinden, was aus den Menschen der Erde geworden war.

»Ihr habt doch bestimmt irgendwo auf dem Gelände noch ein intaktes Fahrzeug versteckt?«, fragte ich lauernd. »Das soll dein erster Auftrag sein, Camille: Besorg mir eine Kutsche nach Paris!«

Die Kutsche, die Camille mir besorgte, war ein offener Landgleiter mit Platz für zwei Personen. Obwohl das antigravbetriebene Fahrzeug vollautomatisch flog – man brauchte nur verbal einen Zielort zu nennen –, bestand der Roboter darauf, mich auf der Reise zu begleiten und das Fahrzeug zu pilotieren. Ich könne wohl einen guide touristique gebrauchen.

So nahm der kleine Roboter aus Versailles neben mir Platz. Und wenn ich ehrlich bin, freute es mich, einen Begleiter an meiner Seite zu wissen.

In der beginnenden Abenddämmerung erhob sich der Gleiter hoch über das Schloss. Das erhabene Gefühl, das mich erfasste, mochte dem gleichen, das der Marquis d'Arlandes und der Pilâtre de Rozier gespürt hatten, als sie mit ihrer Montgolfière zum ersten Mal in den Himmel über Paris gestiegen waren. Ich war damals Prokuratorengehilfe bei Staatsanwalt Vinot gewesen und stand kurz vor dem Examen. Als ich an jenem Tag aus einem Fenster der Kanzlei auf der Île de la Cité nach Westen sah, hatte ich voller Staunen den Ballon der beiden Adligen erblickt. Wenn ich nun so darüber nachdenke, glaube ich, mich hatten damals im selben Moment Erinnerungsblitze an ein paar Jahre meines Lebens erfasst, die mir seltsamerweise nicht mehr präsent waren. Aber wer weiß schon noch alles aus seiner Jugendzeit? Wer sich daran erinnert, heißt es, ist nicht dabei gewesen.

»Sobald Sie bereit sind«, sagte der Roboter feierlich, »rollt diese Kutsche nach Paris.«