PERRY RHODAN-Trivid Komplettpaket (Band 1-6) - Christian Montillon - E-Book
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PERRY RHODAN-Trivid Komplettpaket (Band 1-6) E-Book

Christian Montillon

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Beschreibung

"Die junge Trivid-Künstlerin Lian Taupin steht im Mittelpunkt einer unheimlichen Verschwörung, in die auch der erfahrene Raumfahrer Perry Rhodan hineingezogen wird: Lian erfährt, dass sie das Ergebnis grauenhafter Klon-Experimente ist, ebenso wie ihr ›Bruder‹ Dano Zherkora und ihre ›Schwester‹ Ischi. Ein skrupelloser Wissenschaftler hat sie erschaffen, um mit Humandesign ein Vermögen zu verdienen. Nun droht Dano und Ischi der körperliche Zerfall, während Lian in die Gewalt ihres Gegners gerät – sie landet in einer Geheimbasis in den Ringen des Planeten Saturn. Um sie zu retten, muss Rhodan ein rätselhaftes Instrument bergen, das in eine der Geheimkammern des Sonnensystems gebracht worden ist. Er steht vor der Entscheidung: Muss er auf die Forderungen ihres Gegners eingehen? Oder gibt es eine letzte Chance für die Klon-Geschwister?" PERRY RHODAN-Trivid: Sechs spannende Science-Fiction-Romane in einem Komplettpaket

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Seitenzahl: 523

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Cover

Vorwort

Trivid – Prolog

Prolog

Trivid 1 – Kontakt

Kapitel 1: Tod einer Trivid-Heldin

Zwischenspiel

Kapitel 2: Choreografie und Weltenbau

Kapitel 3: Lagrange

Kapitel 4: Besuch im Heiligtum

Zwischenspiel

Kapitel 5: Tod im Wunderland

Zwischenspiel

Kapitel 6: Lebensläufe

Trivid 2 – Klinik

Kapitel 1: In Trümmern

Kapitel 2: Ein vielversprechendes Projekt

Kapitel 3: So etwas wie Verwandte

Kapitel 4: Ethische Vorbehalte

Kapitel 5: Die Farben des Zorns

Kapitel 6: Wie schmecken Schaltkreise?

Kapitel 7: 13-Fq-32

Kapitel 8: Die Regel des Weltraumdetektivs

Trivid 3 – Labor

Prolog: Dano Zherkora, einige Tage zuvor

Kapitel 1: Getarnt und beobachtet

Kapitel 2: Augen wie Spiegel

Erstes Zwischenspiel

Kapitel 3: Mechanische Geburt

Kapitel 4: Trennung

Zweites Zwischenspiel

Kapitel 5: Datenteufel

Kapitel 6: Wieso bin ich verletzt?

Epilog

Trivid 4 – Heimkehr

Kapitel 1: Amphibischer Transmitter

Kapitel 2: Der Kokon zerbricht

Zwischenspiel

Kapitel 3: Antworten

Kapitel 4: Die nie gewesene Heimat

Kapitel 5: In die Tiefe

Kapitel 6: Oase der Gedanken

Kapitel 7: Regen

Epilog

Trivid 5 – Experiment

Kapitel 1: Rauch und Rätsel

Kapitel 2: Ein Gefängnis aus Fleisch

Kapitel 3: Ein Ende und ein neuer Anfang

Kapitel 4: Erweitere deine Grenzen

Kapitel 5: Was macht dich zum Menschen?

Kapitel 6: Luxus, Werbung und Mirona

Kapitel 7: Fundstücke

Kapitel 8: Design

Kapitel 9: Lians Irrtum

Trivid 6 – Zusammenhalt

Kapitel 1: Das robotische Herz

Kapitel 2: Bloß ein Geschäftsmann

Kapitel 3: Verzögerung

Kapitel 4: Scheideweg

Kapitel 5: Loyalitäten

Kapitel 6: Schöne Aussichten

Kapitel 7: Abgrund

Kapitel 8: Wege der Gerechtigkeit

Kapitel 9: Familie

Impressum

Vorwort

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wenn Sie sich auf die Lektüre von PERRY RHODAN-Trivid einlassen, sind Sie gleichzeitig Teil eines Experiments. Die Redaktion und die Autoren der größten Science-Fiction-Serie der Welt haben für diese Serie einige neue Wege eingeschlagen.

PERRY RHODAN-Trivid ist die erste Serie, welche wir ausschließlich in digitaler Form anbieten. Der Prolog und die einzelnen sechs Romane, die Sie in diesem E-Book als Komplettpaket erhalten, erscheinen zuerst als E-Book und nicht in gedruckter Form. Wir stellen damit unseren Produktionsprozess komplett um und setzen damit auf ein »digital first«, wie das gern genannt wird.

Seit wir Ende der 90er-Jahre die ersten Versuche mit »digitalen Büchern« unternahmen, wie wir diesen Bereich damals nannten, hat sich das »elektrische Lesen« massiv in der Gesellschaft ausgeweitet. E-Books sind für viele unserer Leser heute die wichtigste Möglichkeit, PERRY RHODAN zu lesen – jede Woche werden Tausende unserer Romane sofort zum Erscheinungstermin heruntergeladen. Jeder unserer Romane wird in drei verschiedenen Versionen publiziert: gedruckt, als Hörbuch und als E-Book.

Mit unserer neuen Serie PERRY RHODAN-Trivid wollen wir direkt in diesen modernen Markt starten. Weil es sich um kurze Romane handelt, die rund 45 bis 50 Seiten lang sind, bietet es sich an, diese auf dem Smartphone oder dem E-Book-Reader zu lesen – sie sind besonders für jene Leser geeignet, die für die »knappe« Lektüre zu begeistern sind.

Verantwortlich für die Serie sind zwei Autoren, die schon oft zusammengearbeitet haben. Christian Montillon und Oliver Fröhlich haben die Story gemeinsam entworfen, sie schrieben die Exposés, und sie verfassten die Romane. Eine der zwei Hauptfiguren ist Lian Taupin, eine junge Frau, die in Terrania lebt, gut dreitausend Jahre in der Zukunft; die andere Hauptfigur ist Perry Rhodan selbst.

Welche Verbindungen gibt es zwischen einer jungen Trivid-Künstlerin und dem wohl bekanntesten Terraner der Geschichte? Lassen Sie sich überraschen, steigen Sie ein in eine ungewöhnliche Serie aus dem PERRY RHODAN-Kosmos.

Ich wünsche viel Vergnügen!

Die Hauptfigur Lian Taupin. Illustration: Dirk Schulz.

Prolog

von Christian Montillon

und Oliver Fröhlich

»Sitzt du bequem?«

Der Mann mit der verschorften Wunde auf der Stirn zurrte die Gurte fester. Ein Ächzen drang durch den Knebel der gefesselten Frau, was dem Mann ein Lächeln entlockte.

Dummer Fehler! Sofort pochte ein stechender Schmerz in seiner Schläfe. Er glaubte, ein Knacken zu hören, wie von Eiswürfeln, die man mit Wasser übergoss. Wie immer, wenn er bestimmte Gesichtsmuskeln anspannte. Tränen schossen ihm in die Augen und verschleierten seinen Blick.

Rasch wandte er sich von der Frau ab. Keinesfalls wollte er ihr seine Schwäche zeigen.

Er wartete, bis der Schmerz nachließ, richtete sich auf, atmete tief durch und kontrollierte ein letztes Mal die Aufnahmeoptik. Die augengroße Kamera schwebte um die Gefesselte und übertrug ihr Bild auf ein Holo: die zerzausten Haare, der schweißnasse Nacken, das hektische Heben und Senken des Brustkorbs. Sehr schön. Der kurze Schwenk über den umgerüsteten ehemaligen Medoroboter, gerade lange genug, um bedrohlich zu wirken, der rotierende Bohraufsatz auf einem seiner Tentakel, schließlich ein Zoom zu den panisch aufgerissenen Augen. Perfekt.

Bis auf eine Kleinigkeit.

Der Mann trat zur Außenwand der verlassenen Lagerhalle, seiner Bühne für das kommende Spektakel. Während der Kamerafahrt war in dem Holo für einen winzigen Augenblick das Fenster zu sehen gewesen – samt der Bauten dahinter. Er aktivierte eine Steuerung und ließ eine Lamellenjalousie herabgleiten, die den Blick nach draußen vollständig versperrte.

Er kniete vor der Gefesselten nieder und stützte sich auf ihren Beinen ab. Diesmal lächelte er nicht. »Wir wollen es dem guten Perry Rhodan doch nicht zu einfach machen, nicht wahr?« Er tätschelte ihr den Oberschenkel. »Die Vorstellung kann beginnen. Ich glaube jedoch nicht, dass sie ihm gefallen wird. Vor allem dann nicht, wenn er dich schreien hört.«

Lian Taupin war unterwegs zum wohl bedeutendsten Mann der Menschheitsgeschichte – und hatte nicht die leiseste Ahnung, warum. Sie hauchte gegen die Seitenscheibe ihres Gleiters, zeichnete mit dem Finger ein Fragezeichen in den feinen Film aus Atemtröpfchen, betrachtete es ein paar Sekunden lang und wischte es weg.

Sie wandte den Blick nach vorn. Eine stilisierte Karte von Terrania lag als durchscheinende Projektion über der Frontscheibe. Darin blinkte ein grüner Punkt, neben dem der Autopilot die Zieladresse anzeigte. 746 Upper West Garnaru Road. Schicke Gegend, aber kreuzlangweilig. Keine Kultur, keine Bars. Wieso wohnte jemand wie Perry Rhodan ausgerechnet dort?

Falsche Frage, dachte sie. Weil unbedeutend. Die wichtigere lautet: Weshalb bestellt jemand wie Perry Rhodan ausgerechnet mich zu sich? Er kennt mich doch überhaupt nicht, um Himmels willen!

Der Gleiter schwebte über die Stadt, in der Geschwindigkeit und Höhe, die das Verkehrsleitsystem vorgab. Links und rechts, oben und unten huschten andere Transportmittel vorbei. Manche beförderten Lasten, in den meisten jedoch saßen Menschen – oder vergleichbare Lebewesen.

Wesen, die an dürre, tentakelumrankte Stangen erinnerten, umgeben von einer schlierigen, gelblichen Atmosphäre in einer fast völlig durchsichtigen Kapsel. Reptiloide hinter der Sichtscheibe eines pfeilförmigen Flitzers. Irgendwelche Energiewesen, die in dem grauen Nebel innerhalb einer transparenten Kugel nur zu erahnen waren, weil gelegentlich Blitze aufzuckten.

Touristen. Ganz Terrania wird noch zum Paradies für Alien-Touristen. Als gäbe es nicht schon genug Einwohner.

Das Häusermeer, das unter ihr dahinraste, bescherte ihr einen unangenehmen Schauer. Die Stadt erstreckte sich von Horizont zu Horizont, eine Mixtur schlichter Gebäude, hoch aufragender Türme, im Sonnenlicht funkelnder, gläsern wirkender Spindeln, imposanter Brücken und ausgedehnter Seen und Grünanlagen. Hundert Millionen Menschen und Angehörige anderer Sternenvölker wohnten im Großraum der wichtigsten Metropole auf der Erde.

Ein wahrer Moloch, der Lian das Gefühl gab, darin zu ersticken. Darum blieb sie am liebsten zu Hause. Ganz für sich allein, in der schier endlosen Freiheit fiktiver Szenarien.

Dennoch verdankte sie Terranias Einwohnern eine gewisse Popularität, zumindest in bestimmten Kreisen. Fast neunhunderttausend zahlende Kunden sahen ihr regelmäßig zu, wenn sie in die Hauptrollen interaktiver Trivid-Serien schlüpfte.

Als Abenteurerin erforschte sie auf fremden Planeten unterirdische Katakomben, als Pilotin rettete sie ein havariertes Raumschiff, als unerschrockene Ärztin bekämpfte sie die Ausbreitung einer Seuche oder als Sportlerin trat sie in den unterschiedlichsten Disziplinen gegen die besten Athleten an.

Lian, die Heldin. Zumindest für manche Kunden.

894.387 zahlende Kunden, um genau zu sein. Und viele davon dürften im Augenblick maßlos enttäuscht sein, weil sie vergeblich auf die siebte Folge von »Die Galaxis der Rebellen« warteten.

Lian war gerade dabei gewesen, die Aufzeichnung für die Veröffentlichung vorzubereiten, als sich der Servo ihrer Wohnung gemeldet hatte. »Ein Anruf für dich. Perry Rhodan will dich sprechen.«

»Ja, klar. Wer sonst?«

»Ich habe die Verbindung und das Authentifizierungszertifikat geprüft. Es handelt sich tatsächlich um Rhodan.«

Im ersten Augenblick hielt sie es trotz der Versicherung des Servos für einen nicht besonders gelungenen Streich. Vielleicht von einem Kunden, der sie damit beeindrucken wollte, dass er ihre Identität herausgefunden hatte, obwohl sie in den Trivid-Serien stets maskiert und unter anderem Namen auftrat. Doch ein Blick auf das besorgte Gesicht im Kom-Holo belehrte sie eines Besseren.

»Mein Anruf muss überraschend für dich kommen«, sagte der Mann, dessen Gesicht sie in zahllosen Trivid-Aufzeichnungen gesehen hatte.

Überraschend? Das trifft es genauso, als würdest du sagen, nach Andromeda wäre man zu Fuß verhältnismäßig lange unterwegs.

Ein bizarrer Gedanke formte sich: War er ein heimlicher Fan von ihr? Wer wusste, was ein Unsterblicher in der Freizeit trieb? Und wenn jemand über die Möglichkeiten verfügte, sie aufzuspüren, dann war es Perry Rhodan. Aber dazu passte seine Miene nicht. Da war nicht der Optimismus eines Mannes zu sehen, der die Menschheit zu den Sternen geführt hatte, sondern Sorge.

»Was willst du?« Sie merkte selbst, wie barsch sie in diesem Augenblick klang. Nicht gerade die freundlichste Art, mit einer lebenden Legende zu sprechen. Ob sie an ihren Umgangsformen arbeiten sollte? Ach, warum?

»Ich ...« Er zögerte. »Ich brauche deine Hilfe. Und leider läuft mir die Zeit davon. Bitte komm zu mir nach Hause, dort erfährst du alles Weitere.«

»Wann?« Sie versuchte, so professionell wie möglich zu sein. Nicht von einem Mann abschrecken lassen, der so uralt ist!

»Sofort!«

Anschließend hatte Lian versucht, ihm wenigstens ein paar Details zu entlocken, aber es war ihr nicht gelungen. Und so flog sie nun zu ihm, mit einem Berg von Fragen, so groß, dass er den Gleiter zu sprengen drohte.

Sie schaute noch einmal auf das Holo-Dossier, das sie kurz vor ihrem Aufbruch zusammengestellt hatte. In rascher Folge wechselten sich dreidimensionale, zum Teil bewegte Bilder und schlichte Texte vor ihren Augen ab: Fetzen aus Nachrichtensendungen, Dokumentationen, Artikeln. Sie wollte nicht unvorbereitet vor Rhodan stehen.

Immerhin war er »der Terraner«, wie ihn manche Medien mit einer gewissen Ehrfurcht nannten, als wäre das ein besonderer Titel. Während sie die Schnipsel betrachtete, kam sie sich vor wie im Geschichtsunterricht: gut 3000 Jahre Menschheitsgeschichte im Schnelldurchlauf, geprägt eben von diesem einen Menschen Perry Rhodan. Sie merkte sich jede noch so winzige Einzelheit seiner verrückten Biografie.

In einem weiten Bogen senkte sich ihr Gleiter hinab.

Was für eine kitschige Gegend: vergleichsweise schmale Straßen, an denen sich überwiegend altmodische Gebäude aneinanderreihten, meist zwei bis drei Stockwerke hoch. Mächtige Bäume spendeten Schatten, auf Büschen prangten Blüten in Dunkelrot und Dunkelblau, als ob sich ein Trivid-Künstler mit der Farbpalette ausgetobt hätte. Ein Trivid-Künstler mit nicht annähernd so viel Talent wie Lian, verstand sich.

Hier also wohnte er. Ausgerechnet in einem ehemaligen Diplomatenviertel. Wie das Dossier verriet, waren seine Nachbarn vor allem Pensionäre der Raumflotte und ausgemusterte Diplomaten, dazu einige halb vergessene Schauspieler, deren beste Zeiten Jahrzehnte zurücklagen.

Kurz bevor sie aufsetzte, sendete ihr Gleiter einen Impuls an den Gebäudeservo. Sie stieg aus, und nur eine Sekunde später öffnete sich die Haustür. Perry Rhodan trat heraus; sie erkannte ihn sofort: ein wenig größer als sie, schlank und sportlich, gekleidet in eine Kombination aus Hose und grauem Oberteil, die ihn wie einen Raumfahrer vergangener Zeiten wirken ließ, dunkelblonde Haare, ein offenes Gesicht.

Irrte sie sich, oder sah er sich tatsächlich gehetzt um?

Er trat auf sie zu und gab ihr die Hand; kräftig, aber nicht übertrieben fest. »Schön, dass du es so kurzfristig möglich machen konntest. Es freut mich, dich kennenzulernen. Wenn nur die Umstände erfreulicher wären.« Er lächelte schwach.

Ihr Blick suchte die kleine Narbe auf seinem Nasenflügel, die in jeder Dokumentation erwähnt wurde; sie war kaum sichtbar.

»Welche Umstände?« Kaum war die Frage draußen, überlegte sie sich, ob sie ihn nicht auch erst einmal hätte begrüßen sollen. Egal.

»Komm mit ins Haus. Ich muss dir etwas zeigen.«

Sie folgte ihm durch den Garten ins Gebäudeinnere. Sehr gediegen. Sehr aufgeräumt. Zu aufgeräumt für ihren Geschmack. Er führte sie in ein großes Wohnzimmer ...

... wo Lian wie angewurzelt stehen blieb.

»Was ist das?«, fragte sie mit Blick auf das Standbild, das die Trivid-Projektoren als Holo in den Raum warfen.

»Das ist der Grund, warum ich dich hergebeten habe. Ich weiß noch nicht, worum es dabei geht, aber du scheinst der Schlüssel dazu zu sein.«

Zuvor

Perry Rhodan saß mit geschlossenen Augen im gemütlichsten Sessel seines Hauses und erfreute sich der Ruhe. Im Trivid sendete ein Entspannungskanal rund um die Uhr sphärische Klänge; an manchen Tagen benötigte er ruhige Musik.

Von den begleitenden Licht- und Farbspielen nahm Rhodan durch die Lider lediglich helle und dunkle Schattierungen wahr. Ein Genuss, den er sich viel zu selten gönnte. Ständig sah er sich mit interstellaren Krisen konfrontiert, die ein unbeschwertes Privatleben nahezu unmöglich machten. Immerhin war es seit acht Jahren einigermaßen ruhig geblieben. Doch was bedeutete diese Zeitspanne in einem über dreitausendjährigen Leben, in dem man sich an all die Katastrophen erinnerte, aber den Großteil der bedeutungslosen und daher umso glücklicheren Momente vergaß?

Acht Jahre. Eine kleine Woge im Ozean der Zeit.

Die Sphärenklänge brachen ab. Stattdessen sagte eine Männerstimme: »Ich grüße dich.«

Rhodan riss die Augen auf und fuhr aus dem Sessel hoch. Statt der Farbspiele zeigte das Trivid eine auf einen einfachen Holzstuhl gefesselte Frau, die ihm den Rücken zuwandte.

»Was ...?«, stieß er hervor. »Servo, schalte zurück auf Sphero-Tranquil.«

»Der Kanal läuft bereits«, antwortete die Hauspositronik.

Tut er nicht, wollte Rhodan widersprechen, verkniff es sich aber. »Umschalten auf Augenklar.« Nichts geschah. Weiterhin saß die Frau mitten im Holo, dreidimensional und gefesselt. »Ich sagte: Umschalten.«

»Das habe ich getan.«

»Warum sehe ich trotzdem keine Nachrichten?«

»Das weiß ich nicht. Ich kann keine Störung feststellen.«

Ehe er der Sache weiter auf den Grund gehen konnte, erklang erneut die Männerstimme: »Ah! Du versuchst umzuschalten. Das bedeutet, du bist zu Hause und empfängst meine Sondersendung nur für dich. Sehr schön. Es gibt zwei Möglichkeiten, Perry Rhodan. Entweder bemühst du dich herauszufinden, wie es mir gelang, mich in dein Trivid-Signal einzuschleusen, was eigentlich unmöglich sein sollte. Ich weiß, ich weiß.« Ein kurzes, nicht unfreundliches Lachen schloss sich an, gefolgt von einem Ächzen wie unter Schmerzen; der Sprecher kam die ganze Zeit über nicht ins Bild. »Oder du hörst mir ein paar Minuten zu und rettest damit vielleicht sogar ein Menschenleben. Das Leben – wie du dir zweifellos denken kannst – dieser armen Frau.«

Die Gefesselte zerrte an den Riemen, die sie auf den Stuhl schnürten, kam aber nicht frei. Sie stieß dumpfe, verzweifelt klingende Laute aus. Wahrscheinlich war sie geknebelt.

»Ich möchte dir eine Aufgabe stellen«, fuhr die Stimme im Plauderton fort.

Plötzlich verschwand die Frau aus dem Holo, stattdessen erschienen zwei deckenhohe, sich spiralförmig umkreisende Stränge, zwischen denen Verbindungen wie die Sprossen einer Leiter verliefen. Um das Bild schwebten zahlreiche Buchstabenkolonnen. TACCCTGACAAGGT. Immer wieder die gleichen vier Buchstaben in unterschiedlichsten Kombinationen. Sie tanzten durch Perry Rhodans Wohnzimmer, projiziert vom Trivid-System.

»Ein gebildeter Mensch wie du weiß gewiss, was er da betrachtet.« Die Stimme klang weiterhin locker. »Ich sage es dir trotzdem: Vor dir siehst du einen genetischen Kode. Ich habe ihn bewusst in die etwas vereinfachte Darstellung gebracht, wie ihr Terraner sie gerne benutzt, obwohl es weitaus bessere Modelle gibt. Deine Aufgabe ist, herauszufinden, was es damit auf sich hat.«

Die stilisierte Erbgutdarstellung erlosch und machte erneut der gefesselten Frau Platz. Von ihrer Umgebung war mit Ausnahme einer hellen Wand nichts zu erkennen.

»Dir bleiben vierundzwanzig Stunden, dieses kleine Rätsel zu lösen. Dann werde ich mich melden und dir weitere Anweisungen erteilen. Oh, ich weiß, du lässt dir nicht gerne Befehle geben. Erst recht nicht, wenn du ihren Sinn nicht begreifst. Aber ich halte dich für einen Mann mit hohen moralischen Werten. Deshalb will ich für die nötige Motivation sorgen: Solltest du die Aufgabe nicht bewältigen, wird die Gefangene sterben. Solltest du dich an die Polizei, sonstige Ordnungskräfte oder deine Freunde mit den ... besonderen Kräften wenden, wird sie sterben. Sollte ich auch nur die Spur eines Verdachts bekommen, dass du nicht kooperierst, wird sie ... nun, du weißt schon.«

»Was soll das?«, fragte Rhodan und trat näher an das Holo heran. Auch wenn er nichts tun konnte, wollte er nicht im Sitzen zuhören. »Was bezweckst du mit diesem kranken Spielchen?«

»Du kennst mich nicht«, fuhr der Mann fort, ohne auf die Frage einzugehen. Konnte er Rhodan überhaupt hören? »Also kannst du nicht einschätzen, wie ernst es mir ist. Lass dir sagen: Es ist mir todernst. Ich werde nicht davor zurückschrecken, meinem Gast etwas anzutun. Eine kleine Kostprobe?«

Die Kameraperspektive veränderte sich ruckartig. Die zerzausten Haare rückten näher. Die Aufnahmeoptik fing den schweißnassen Nacken der Frau ein, flog um sie herum, zeigte ihr schweres Atmen. Kurz kam ein Medoroboter ins Bild. Auf einem seiner Behandlungsarme saß ein Bohraufsatz, der just in diesem Augenblick zu rotieren begann.

»Nein!«, rief Rhodan. »Tu das nicht!«

Aber der andere hörte ihn nicht. Oder wollte ihn nicht hören.

Der Bohrer näherte sich der gefesselten Hand. Finger verkrampften sich in die Stuhllehne, ein Zeichen von Angst. Der Bildausschnitt glitt nach oben. Zoomte auf die Augen der Gefangenen, die sich in Schmerz und Panik weiteten. Ein Schrei ertönte, vom Knebel gedämpft; dennoch war die Qual überdeutlich.

Rhodan wich einen Schritt zurück, als könne er so dem Entsetzen und der Fassungslosigkeit entkommen.

Plötzlich brach Chaos aus.

Riesig kam der Robot ins Bild, als wäre es der Frau gelungen, ihn von sich zu treten, und er hätte nicht schnell genug gegengesteuert. Er stieß an die Kamera. Der Raum flog förmlich an Rhodan vorbei. Für den Bruchteil einer Sekunde sah er eine weitläufige Halle, dann eine Lamellenjalousie. Der Medoroboter fiel gegen die Lamellen, schwebte aber sofort wieder auf sein Opfer zu. Der Bildausschnitt raste nach unten zu einem glatten Fußboden. Erneut ertönte der gedämpfte Schrei der Frau.

Die Szenen aus der Lagerhalle und der Schrei brachen ab, und zum zweiten Mal erschienen der Kode und das Meer aus Buchstaben im Holo.

»Denk dran«, sagte die Stimme. »Dir bleiben vierundzwanzig Stunden.«

Es wurde still. Die Übertragung endete. Wie eine Mahnung stand das letzte Bild davon im Raum. Etwas abseits der Kombinationen aus C, G, A und T, direkt neben einer Windung der Doppelhelix, bemerkte Rhodan einen Begriff, der zusätzliche Buchstaben enthielt. TRIVID 0.

»Trivid null?«, las er laut.

Was mochte das bedeuten? Eine Textbotschaft? Ein Hinweis, dass es die erste Nachricht des Entführers an Perry Rhodan war? Aber warum dann nicht TRIVID 1?

Lian starrte den Schriftzug an.

Erst Sekunden, nachdem Rhodan die Aufzeichnung stoppte, löste sie sich aus der Erstarrung und sah den Unsterblichen an. »Das ist ... entsetzlich. Wieso hast du die Sendung aufgezeichnet?«

»Das musste ich gar nicht. Der Absender hat es mit einem Signal an die Positronik so gesteuert. Was einleuchtet – schließlich soll ich herausfinden, was es mit diesem Kode auf sich hat. Das ist schwer möglich, wenn ich ihn nur einmal kurz sehe.«

»Ich verstehe trotzdem nicht, wie ich dir helfen könnte. Warum denkst du, ich sei der Schlüssel zu dem Rätsel?« In Wirklichkeit war ihr längst ein Verdacht gekommen; sie wollte, dass Rhodan es aussprach.

Was er auch tat. »Der Kode ... es ist deiner.«

»Woher weißt du das? Sind solche Daten nicht vertraulich?«

Rhodan lächelte. »Selbstverständlich. Mit einem guten Namen, einer hohen Sicherheitseinstufung und reichlich Beziehungen habe ich es trotzdem herausgefunden. In den medizinischen Datenbanken tauchst du nicht auf, was ungewöhnlich genug ist. Aber vor drei Jahren warst du in eine Rauferei verwickelt, bei der ...«

Lian hob die Arme. »Themenwechsel!«

Damals war sie nach dem Abschluss einer interaktiven Trivid-Serie in eine altmodische Bar gegangen, eine von denen, in denen menschliche Bedienungen die Getränke in echten Gläsern ausschenkten. Sie wollte ein wenig feiern, mit den wenigen Bekannten, die sie hatte.

Der Alkohol in den Getränken war auch echt gewesen, ebenso die arrogante Frau, mit der sie in Streit geraten war. Diese hatte ihrem Partner – einem von Lians Kunden, wie sie schnell heraushörte – aus Eifersucht eine Szene gemacht. Sie hatte behauptet, »dieses maskierte Flittchen« müsse betrügen, weil sie so traumwandlerisch sicher die einzelnen Herausforderungen meistere. »Außerdem stehst du nur auf ihren knackigen Arsch«, hatte sie weitergeschimpft.

Eine handfeste Auseinandersetzung war gefolgt, mit zu viel Alkohol im Blut und mit zu vielen Händen in fremden Gesichtern. Noch Tage danach hatte Lians Kopf gebrummt. Seitdem blieb sie lieber zu Hause, vertiefte sich lieber in ihre Trivid-Welten.

Eine Episode ihres Lebens, an die sie nicht erinnert werden wollte. Und von Perry Rhodan schon gar nicht.

»Wie dem auch sei«, sagte er. »Mir ist egal, was du damals getan hast. Ich bin selbst kein Heiliger, weißt du.«

»So?«

Er grinste. Irgendwie gefiel er ihr.

»Die Polizei hat damals deine Daten erfasst«, fuhr er fort, »und so bin ich nach einigem Suchen darauf gestoßen.«

»Ich verstehe es trotzdem nicht.« Oder? Wieder kam ihr der Gedanke, es könnte einer ihrer Zuschauer sein. Befand sich unter den 900.000 ein Geisteskranker, der sie ausfindig gemacht hatte und ihre Aufmerksamkeit erringen wollte, indem er Perry Rhodan vor seinen Karren spannte? Nein, diese Idee war zu weit hergeholt. »Ich kenne den Typen nicht. Zumindest habe ich seine Stimme nicht erkannt.«

»Aber vielleicht kennst du die Frau, die er entführt hat.«

Sie hatte das Bild ignoriert. Es war zu verstörend. »Findest du? Wieso sollte ich?«

»Ich zeig es dir noch mal.«

»Nein, lass das, ich ...«

»Positronik, Bildelement 3486«, sagte er ungerührt.

Na klasse. »Du scheinst die Botschaft schon auswendig zu kennen.«

Er ging nicht darauf ein. Und das Trivid-Bild zeigte das Gesicht der Entführten in Großaufnahme, aus dem Moment, ehe der Bohraufsatz des Roboters auftauchte.

»Hier sind die Gesichtszüge deutlicher zu sehen als später, als sie ...« Er brach kurz ab. »Als sie schreit.«

Der Knebel verbarg die Mundpartie, aber das Kinn, die Nase, die Augen, die Farbe der zerzausten Haare ... es war überdeutlich.

Perry Rhodan schaute Lian auffordernd an. Der verdammt wichtigste Mann der Menschheitsgeschichte schaute sie an und wartete auf ihre Reaktion. Na gut, warum sollte sie ihm den Gefallen nicht tun? »Sie ähnelt mir. So könnte ich in zwanzig oder dreißig Jahren aussehen.«

»Deine Mutter?«

Lian schüttelte den Kopf. »Ist tot.«

»Die Ähnlichkeit ist überdeutlich. Das kann kein Zufall sein. Schon gar nicht, wenn in der Botschaft ausgerechnet dieser Kode auftaucht.«

»Mutter ist tot«, wiederholte sie.

»Sieht aus, als würde sie noch leben. Was weißt du über ihren ...«

»Ich war ein kleines Kind. Und, Perry, sie ist tot. Das ist meine älteste Erinnerung. Ich habe sie gefunden, und ... können wir das Thema wechseln?«

»Gern. Von den vierundzwanzig Stunden, die mir der Unbekannte zugestanden hat, bleiben vierzehn. Zeit, die wir nutzen sollten. Darf ich eine DNS-Probe von dir nehmen?«

»Warum?«

»Um den Eintrag in der polizeilichen Datenbank zu überprüfen. Etwas ist daran seltsam.«

»Was?«

»Zum Beispiel die Tatsache, dass dein Genom nicht nach deiner Geburt in den Medosystemen abgelegt worden ist.« Er winkte ab. »Es steht dir frei, ob du der Entnahme zustimmst.«

Sie musste nicht lange nachdenken. »Das Ganze hat mit mir zu tun, das ist für mich Grund genug. Ich bin einverstanden, aber nur, wenn ich dazu nicht zu einem Arzt muss.«

»Nicht nötig. Wir können das gleich hier erledigen.«

»Klar. Du bist Perry Rhodan und so.«

»Gut beobachtet.« Er lächelte.

»Und du hast bestimmt alles vorbereitet, weil du wusstest, dass ich zustimme.«

Er verschwand aus dem Zimmer und kehrte nach Sekunden zurück, mit einem roten Gerät, flach wie eine Scheibe und gerade so groß wie ein Handteller. Eine Stelle an der Unterseite schimmerte grün. »Darf ich?«

»Was brauchst du?«

»Deinen Arm, deinen Nacken – was dir lieber ist.«

»Wird's wehtun?«

»Du spürst es kaum.«

Sie hielt ihm die rechte Hand hin. Er fuhr mit dem grünen Bereich des Geräts über ihren Daumen; es ziepte leicht. »Das war's. Meine Servosysteme analysieren das schnell; dauert trotzdem ein wenig.«

Lian winkte ab. »Ich möchte die Aufzeichnung noch einmal sehen. Mir ist etwas aufgefallen.«

»Hier!«

Lian saß auf der Couch, die Beine im Schneidersitz auf der Sitzfläche abgelegt. Rhodan betrachtete sie nachdenklich: schwarze Haare, leicht asymmetrischer Schnitt, akzentuierte Augenbrauen, insgesamt ein sehr selbstbewusster Blick. Lian sah aus, als trainiere sie regelmäßig; ein trägerloses Hemd ohne auffallende Farbmuster, wie sie derzeit Mode waren, und eine schwarze Hose betonten die Figur.

Spätestens bei diesem Wort wusste Perry Rhodan, dass die junge Frau über eine erstaunliche Beobachtungsgabe verfügte. Sie stoppte das Bild der aufgezeichneten Trivid-Botschaft an einer Stelle, der er keine besondere Beachtung geschenkt hatte.

Ein Fehler!

Der Medoroboter war offenbar von der Gefangenen weggestoßen worden und fiel gegen die Jalousie. Der ausgestreckte Tentakelarm mit dem Bohraufsatz schlug durch die Lamellen, krachte an das Fenster. Es dauerte nur eine Zehntelsekunde, bis die Maschine den Arm zurückzog und sich der Sichtschutz wieder schloss.

Höchstens eine Zehntelsekunde lang zeigte ein kleiner Bildausschnitt, was hinter der Scheibe lag.

»Ist es dir nicht aufgefallen?«, fragte Lian.

»Nein«, gab Rhodan zu. »Du bist gut. Aber die Positronik hatte mich bereits darauf gestoßen. Die Vergleichsdaten müssten jeden Moment eintreffen.«

Lian trat in das Trivid-Bild und berührte den Ausschnitt des Fensters. »Positronik, zoome diesen Bereich größer.«

Die Darstellung änderte sich, der Medoroboter wuchs ins Riesenhafte, und Lian erschien mit einem Mal winzig. »Spektralanalyse und Bildvergleich!«, forderte sie. »Was sehen wir hier?«

Rhodan ging durch die Holo-Wiedergabe des Tentakelarms. »Du machst das nicht zum ersten Mal. Wer bist du? Die Gensequenz brachte mir deinen Namen und die Adresse, aber sonst nichts.«

»Ich bin Künstlerin«, sagte sie.

»Welches Gebiet? Malen? Schreiben?«

»Gedächtnis- und Trivid-Künstlerin.«

»Trivid-Künstlerin«, wiederholte er. »In einem Entführungsfall, in dem mir via Trivid eine Botschaft überbracht wird, die zu allem Überfluss mit ›TRIVID 0‹ signiert ist?«

»Ganz genau. Und das wird kaum Zufall sein. Wir können später über meinen Job plaudern, wenn wir das hier geklärt haben. Positronik, wo bleibt die Spektralanalyse des Lichts hinter dem ...?«

»Die Landschaft liegt mit einer Wahrscheinlichkeit von 93,7 Prozent auf dem Mars«, unterbrach der Hausrechner. »Das Maß der Helligkeit und das Spektrallinienmuster eines Quarzes, der aus dem Boden ragt, sprechen dafür.«

Lian fluchte, sagte »Mars« und fluchte erneut.

»Was stört dich daran?«

»Ich bin erst seit vier Jahren auf der Erde. Meine Familie stammt ...«

»... vom Mars?«

»Ich bin in der Siedlung Valerysion geboren.«

Rhodan deutete auf den Fensterausschnitt. »Dort?«

»Keine Ahnung. Man sieht viel zu wenig. Außerdem kann ich mich sowieso nicht mehr an die Umgebung erinnern. Ich war drei, als meine Mutter starb und ich wegging. Erst mal zum Jupitermond Europa.«

»Mit deinem Vater?«

»Den kannte ich nie. Ist eines Abends gegangen, um Zigaretten zu holen. Muss eine recht seltene Marke sein, denn er ist noch nicht zurückgekehrt.« Sie zuckte mit den Achseln. »Und nun bloß kein Mitleid! Ich habe mich durchgeschlagen, bis ich vor vier Jahren nach Terra kam und meine Karriere begann. Ich war eine Waise. Na und? Das waren viele, mein Gott!«

Rhodan suchte ihren Blick. »Du kannst gern Perry zu mir sagen.«

»Was?« Sie schaute ihn verwirrt an. Und lachte. »Du bist gut. Die meisten machen irgendwelche peinlichen Sprüche, wenn sie von meiner traurigen Kindheit erfahren. Positronik, stammt diese Aufnahme aus der Mars-Siedlung Valerysion? Zieh alles vergleichende Bildmaterial in die Analyse mit ein.«

Rhodan wandte sich an Lian. »Notfalls greife ich auf aktuelle Bilder zu. Wir werden es bald wissen.«

»Die Vermutung ist korrekt«, informierte der Hausrechner. »Der Blick geht aus einem Gebäude am nördlichen Rand von Valerysion in Richtung des großen Raumhafens Marsport VII. Die Siedlung liegt im Oudeman-Krater.«

Lian drehte sich um, ging einige Schritte und ließ sich auf Rhodans Couch fallen. Sie massierte sich die Schläfen. »Wie schnell können wir aufbrechen?«

»Gar nicht.«

»Wieso? Es gibt eine Spur, und jetzt gehen wir los und befreien diese Frau, die angeblich meine Mutter sein soll. Es bleiben ... dreizehn Stunden und siebenunddreißig Minuten? Genug, um rasch zum Mars zu reisen oder uns von einem Transmitter dorthin versetzen zu lassen. Wir zeigen diesem Entführer, dass wir uns von ihm nicht ...«

»Nicht wir, Lian«, fiel ihr Rhodan ins Wort. »Das ist gefährlich. Dir fehlt jegliche Erfahrung in solchen Dingen – nehme ich an. Ganz im Unterschied zu mir. Du magst eine großartige Trivid-Künstlerin sein, und wie du die Spur gefunden hast, das war phantastisch. Den Rest erledige ich.«

»Ach ja? Diese Frau kann nicht meine Mutter sein, aber es hat etwas mit mir zu tun, und ich will wissen was! Wie kommt der Kerl an meine Gensequenz?«

»Ich halte dich auf dem Laufenden. Und ich danke dir für deine Unterstützung.« Rhodan deutete zur Tür. »Jetzt dürfen wir keine Zeit mehr verschwenden.«

Lian erhob sich und folgte der Aufforderung. »Ich bin einverstanden. Ich verschwinde. Doch eins muss dir klar sein. Ich bin nicht nur eine großartige Trivid-Künstlerin, sondern auch eine erfolgreiche Trivid-Künstlerin. Ich habe Geld. Und wenn du mich nicht mitnimmst, kaufe ich mir eine Transmitterverbindung und gehe auf eigene Faust zum Mars.«

»Das darfst du nicht.«

»Halt mich davon ab.«

»Ich könnte dich ...«

»Vergiss es.«

Rhodan zögerte keine Sekunde länger. »Komm mit. Wir benutzen meine private NEREIDE-Space-Jet. Der Mars liegt ja nur einen Katzensprung entfernt. Aber eine Frage hätte ich noch.«

»Ja?«

»Kannst du mit einem Kampfanzug umgehen?«

Lian ärgerte sich über sich selbst.

Es war ihre eigene Schuld. Sie hatte darauf gedrängt, mitzukommen. Sie musste wissen, was das alles sollte. Wer sie da in was auch immer hineinziehen wollte – und wieso. Warum das Opfer aussah, als wäre es ihre Mutter. Und ungefähr tausend andere Dinge.

Dennoch hasste sie es, Weltraumflüge zu unternehmen. Sie hatte die Erde nie mehr verlassen wollen, zumindest nicht außerhalb von Trivid-Szenarien. Die Menschheit hatte im All nichts verloren, ihrer Meinung nach – obwohl sie damit der allgemeinen Auffassung widersprach.

Garantiert hätten sich Millionen von Leuten darum gerissen, sich von Perry Rhodan höchstpersönlich in dessen Space-Jet zum Mars fliegen zu lassen ... ihr gefiel es trotzdem nicht! Auch nicht ausgestattet mit einem SERUN, einem Schutz- und Kampfanzug mit neuester Technologie. Sie kannte sich damit einigermaßen aus, weil sie einmal die Rolle eines Raumlandespezialisten gespielt hatte – in ihrer Privatversion einer actionreichen Trivid-Serie. Dennoch fühlte es sich fremdartig an.

Du bist darin bestens geschützt, wenn wir den Raum stürmen, hatte Rhodan gesagt.

»Du siehst nachdenklich aus«, stellte er fest; er schaute sie vom Pilotensitz aus an. Rhodan steuerte selbst; natürlich tat er das. Er hatte schon ganz andere Raumschiffe bis in die entferntesten Winkel des Universums gesteuert.

»Du etwa nicht? Du hast eben doch etwas durchdacht.«

Er lachte. »Ich habe mich gefragt, wie der Entführer es geschafft hat, sich in mein Trivid-System einzuhacken. Das ist schlicht unmöglich! Die Sicherungen sind zu groß, und meine Servos sind so programmiert, dass sie auf jeden Manipulationsversuch sofort mit einer völligen Abschaltung des Trivids reagieren. Außerdem frage ich mich ungefähr tausend weitere Dinge.«

»Geht mir genauso«, sagte Lian.

»Offenbar sind wir ein perfektes Team. Wenngleich du mich erpresst hast, um ins Team zu kommen.«

»Eine gute Erpressung sieht anders aus.«

In der Sichtscheibe der Space-Jet näherte sich der Rote Planet. Ein imposanter Anblick, das musste Lian zugeben.

Ganz so rot wie in den historischen Aufzeichnungen war der Mars nicht mehr, dreitausend Jahre menschlicher Besiedelung und eine Reihe von komplizierten Veränderungen hatten dazu beigetragen. Lian hatte sich um diese Details nie gekümmert. Für sie war wichtig, dass der Mars eine atembare Sauerstoffatmosphäre und jede Menge Wasser aufwies.

»Warum hast du keinen deiner Freunde mit ihren ... legendären Spezialfähigkeiten mitgenommen?«, fragte Lian.

»Mit jeder Person steigt die Gefahr, dass der Entführer aufmerksam wird. Was, wenn er meine Freunde überwachen lässt? Dass wir beide unterwegs sind, ist etwas anderes – wir gehören offenbar zum Spiel.«

Rhodan steuerte den Planeten an, ließ sich vom Leitsystem erfassen und steuerte dann seinen eigenen Kurs. Sie jagten durch eine Wolkendecke, inmitten von Weiß und Grau und prasselndem Regen, und blickten nur noch auf einen winzigen Ausschnitt dieser Welt: auf den Oudeman-Krater mit der Siedlung Valerysion, einer Kleinstadt mit gerade mal 30.000 Einwohnern. Vielleicht inzwischen auch 40.000 Leute. Ein Fliegenschiss im Vergleich zu den fast anderthalb Milliarden Marsbewohnern.

Valerysion war nicht mal schön, sondern bestand aus grässlichen fünf- oder sechsstöckigen Gebäuden, die sich allzu geplant um vier Parks reihten. Rhodans Hausrechner hatte das genaue Haus bestimmt, in dem die Entführte festgehalten wurde; die Halle einer stillgelegten Kleinfabrik.

Ein Piepsen ertönte; Rhodan schaute beiläufig auf sein Armbandkommunikationsgerät. Offenbar war gerade eine Nachricht eingegangen. Er las sie.

»Oh«, hörte Lian.

»Was ist?«, fragte sie.

»Nichts Wichtiges«, meinte er.

»Du lügst«, sagte sie ihm ins Gesicht.

»Stimmt«, gab er zu. »Ich sag es dir später. Ich muss landen.«

Als ob die Routinelandung auf einem ausreichend großen Landefeld am Rand eines der Parks die volle Konzentration des wohl besten Piloten der Menschheit gefordert hätte. Na gut, das war vielleicht etwas übertrieben. Außerdem reichte es mit der Verehrung allmählich.

Sie verließen die Space-Jet, und zum ersten Mal seit neunzehn Jahren atmete Lian wieder die Luft des Mars. Sie schmeckte genauso wie auf der Erde. Nur dass sie dort echt war, während man auf diesem Planeten irgendwann einen künstlichen Prozess angestoßen hatte, um eine Atmosphäre zu erschaffen.

Inmitten des Parks glitzerte ein See in der Sonne. Vögel kreisten darüber und krächzten ihre Rufe. Einige klangen wie das Jammern eines Kindes; die Erinnerung traf Lian fast schmerzhaft intensiv. Daran entsann sie sich nach den neunzehn Jahren genau, und mochte sie damals noch so klein gewesen sein.

Der Gelbschnabel-Sturmtaucher und sein Ruf ... diese Vogelart war vor Generationen auf dem Mars angesiedelt worden und hatte sich dort massenhaft verbreitet, während sie auf Terra ausstarb. Verrückt, wie die Erinnerung wiederkam, als sie die Rufe hörte.

Ein paar Familien spazierten um den See, aber viel war nicht los, ebenso wenig in den Straßen, die zu dem Gebäude führten. Ihre SERUNS waren in den sogenannten Mimikry-Modus geschaltet; sie sahen beide aus, als würden sie normale Freizeitkleidung tragen. Rhodans Gesicht erschien darüber hinaus verwandelt; etwas älter, mit einem Zehn-Tage-Bart und schwarzem Haar samt buschigen Augenbrauen.

Niemand beachtete sie, als sie vor ihrem Ziel standen.

Das Haus war flacher als die Nachbargebäude; nur zwei Stockwerke, breit wie eine Halle. Auf dem silbrigen Dach spiegelten sich Lichtreflexe.

Rhodan schaute auf sein Multifunktionsarmband. Es diente unter anderem als Ortungs- und Tastgerät. »Es scheint keiner im Gebäude zu sein. Alles ist energetisch unauffällig.«

»Aber wir sind richtig?«

»Garantiert.«

»Und jetzt?«

»Ortungen können täuschen. Schauen wir nach.«

»Der hehre Mister Rhodan will einen Einbruch begehen.«

»Ich bin schon öfter irgendwo eingebrochen, als du zu Mittag gegessen hast.«

Sie gingen um das Haus, in einen schmalen Durchgang zwischen dem Nachbargebäude. Dort wuchs Moos auf den Wänden, und auf dem Boden lag allerlei Unrat. Sie gingen an einem Berg aus Flaschen vorbei, der Gestank nach vergorener Milch drehte Lian den Magen um. Dahinter lag eine Tür.

»Voilà!«, meinte Rhodan.

»Was soll das heißen?«

»Eine uralte terranische Sprache«, erklärte er. »Das bedeutet, dass das unser Weg nach drinnen ist.«

»Lass mich!«, forderte Lian. Es kostete nur zwei Sekunden und den Einsatz eines Energiestrahlers, das Schloss zu zerstören. Die Tür schwang leise quietschend auf.

Mit einem Mal überkam sie ein merkwürdiges Gefühl. Es ging zu einfach. Viel zu einfach. Sie dachte an all die Trivid-Szenarien, die sie durchgespielt hatte. Und daran, was ein so unkomplizierter Zugang meist bedeutete: eine Falle.

Im Haus war es dunkel.

Still.

Und leer.

Mithilfe des Nachtsichtmodus ihres SERUNS erkannte Lian, dass sich in diesem Raum tatsächlich niemand aufhielt. Die Halle füllte die gesamte Grundfläche des Gebäudes aus.

Rhodan schaltete seine Helmlampe an. Der Lichtstrahl schuf düsteres Zwielicht und riss die Silhouette eines Stuhls aus der Dunkelheit.

Des Stuhls aus der Trivid-Botschaft. Auch die Lamellenjalousie vor dem Fenster ganz in der Nähe sah Lian.

»Zu spät«, stellte er das Offensichtliche fest.

Lian ballte vor Enttäuschung die Hände zu Fäusten. Aber immerhin hatte sich ihre Befürchtung einer Falle nicht bestätigt. Besser als nichts. »Dann beantworte mir wenigstens eine der vielen offenen Fragen.«

»Gern, wenn ich kann.«

»Oh, du kannst. Welche Botschaft hast du erhalten, ehe wir gelandet sind? Hat sich der Entführer gemeldet?«

Rhodan zögerte kurz. »Nein. Mein Servosystem.«

»Was sagt es?«

Ein tiefes Durchatmen. »Deine Genanalyse ist beendet.«

»Und? Stimmt es etwa nicht mit der Gensequenz überein, die du er...«

»Doch.«

»Aber?«

»Die Analyse war exakter. Ich habe dich sozusagen gründlich durchgecheckt.«

»Und was erfahren?«, fragte Lian wütend. »Nun sag schon!«

»Etwas stimmt mit dir nicht.«

»Bin ich krank?«

»Nein.« Rhodan ging zum Fenster, hob einige Lamellen und schaute nach draußen. »Wie alt bist du?«

»Zweiundzwanzig. Aber was tut das jetzt zur Sache?«

»Weil es laut der genetischen Analyse nicht stimmt.«

»Ach ja?«

Nun sah er sie doch an. Er kam sogar näher, legte ihr die Hand auf den Arm. »Du bist vier, höchstens fünf Jahre alt«, sagte Rhodan.

Band 1

Kontakt

von Christian Montillon

und Oliver Fröhlich

Kapitel 1:

Tod einer Trivid-Heldin

Eben stand der Stuhl noch da, völlig harmlos, am selben Platz wie seit Stunden; einen Atemzug später verging er in einem Feuersturm.

Lian Taupin wollte schreien, als der Tod auf sie zuraste – doch es blieb keine Zeit. Wie hätte sie einem Energiestrahl ausweichen sollen? Das ging nicht mal in schlechten Trivid-Serien. Nur in ganz schlechten.

Wie seltsam, dass ich überhaupt noch darüber nachdenken kann, schoss es ihr durch den Kopf. Oder bin ich längst tot? Fühlt es sich so an? Ist das hier der ...

Etwas rammte sie und riss sie mit sich. Genauer gesagt, jemand: Perry Rhodan.

Zu zweit krachten sie gegen die Seitenwand der Halle. Lian spürte es kaum. Natürlich nicht. Der Schutzschirm des SERUN-Kampfanzugs bewahrte sie davor. Sie kam sich wie gelähmt vor und fragte sich, wieso. Schließlich hatte sie dieses Szenario schon tausendmal durchgespielt, hineingeschlüpft in interaktive Trivid-Rollen: der Angriff der Kampfroboter. Ein Klassiker, bekannt in Hunderten Variationen. Nur, dass es diesmal echt war.

Na und?

Sie trug einen SERUN und einen Energiestrahler, und sie konnte mit beidem umgehen. Sie hob den Arm, feuerte. Die ersten Schüsse der Salve schmetterten in den Schutzschirm des mechanischen Angreifers, den sie dahinter wie in einem Stroboskop sah, mal umflossen von greller Helligkeit, mal selbst leuchtendes Metall inmitten dunkler Wolken.

Der zentrale Leib des Roboters bestand aus einer vollkommen glatten Kugel, bewehrt mit einem Waffenarm, dessen Spitze aufleuchtete, wenn die Maschine feuerte. Auch aus dem einzigen Gelenk, dem Ellbogen, ragte ein Abstrahldorn, über den energetische Blitze züngelten.

Lians Angriff ließ den Schutzschirm der Kampfmaschine flackern, bis er zusammenbrach. Ein Energiestrahl jagte genau in die Mündung des Waffenarms, die explodierte. Der Arm riss ab, überschlug sich in der Luft. Die Zentralkugel glühte, die Hülle platzte und spuckte mechanische Eingeweide aus, die auf den Boden prasselten.

Lian schrie. Endlich kam der Laut heraus, aber nun jubelnd vor Begeisterung. Sie war ganz in ihrem Element, fühlte sich lebendig wie sonst nur in fiktiven Trivid-Szenarien.

War da nicht noch ein zweiter Angreifer?

Sie entdeckte ihn – und einen dritten, vierten, fünften. Sie strömten durch die geborstene Wand dieser Lagerhalle, in der Lian mit Perry Rhodan ein Rätsel hatte lösen wollen und stattdessen in eine Falle geraten war.

Hatte ich nicht genau das erwartet, als wir allzu leicht eindringen konnten? Das roch nach einem Hinterhalt! Das echte Leben war also doch nicht mehr als die Abwandlung einer guten Show. Es funktionierte nach denselben Gesetzen.

Davon abgesehen, dass man starb, wenn es schiefging. Aber nicht heute! Sie feuerte weiter gegen das Heer der Angreifer. Es schien kein Ende zu nehmen. So war das eben, wenn man den nächsten Handlungsabschnitt erreichen wollte und zuvor die Horden des Gegners ...

»Lian!«, hörte sie im Helmfunk. »Was tust du? Wir müssen hier weg!«

»Die schaffe ich noch«, schrie sie zurück. Vor ihr explodierte der Boden. Splitter sirrten in ihren Schutzschirm und verglühten. Andere durchschlugen die Lamellenjalousie und das Fenster. Draußen schien die Sonne, irgendwie unwirklich, wie in einem fremden Universum.

Das ist die echte Sonne! Ich bin tatsächlich auf dem Mars! Mit dem verdammt wichtigsten Mann der Menschheitsgeschichte. Volltreffer! Was für eine Show! Ihr Herz hämmerte, Adrenalin pulste durch die Adern. Die Fingerspitzen kribbelten.

Ihr Schirm flackerte. Die Welt verschwand hinter einem Vorhang aus Feuer. Sie glaubte, das Prasseln auf ihrer Haut zu spüren. Kam es von außen, oder hörte sie es über die Funkverbindung?

Es knackte in ihren Ohren. Sie fühlte leichten Schwindel. Ging es nun zu Ende?

Aber doch nicht jetzt, wo so viele Fragen aufgetaucht sind!

Sie wollte Antworten. Darauf, wie die Entführung, die sie erst zu Perry Rhodan und anschließend zum Mars geführt hatte, mit ihr zusammenhing. Wieso das Opfer wie ihre tote Mutter aussah. Und vor allem, wie ihre Genanalyse das lächerliche Ergebnis bringen konnte, dass sie vier, höchstens fünf Jahre alt sein sollte.

Albern!

Sie war zweiundzwanzig!

»Ich bin Lian Taupin!«, schrie sie. In diesem Augenblick, umgeben von den Feuerlohen der energetischen Entladungen, fühlte sie sich eingekesselt wie manchmal in ihren Nächten: einsam, bedrückt, bedrängt von Albträumen über Hilflosigkeit, Verzweiflung und unbeschreibliche Enge.

Mit dem nächsten Atemzug brach ihr Schutzschirm zusammen. Die Luft schmeckte anders. Die Glut der brennenden Halle verkohlte ihre Nasenhärchen und versengte ihre Haut. Ihre Lungen entflammten.

Lian schloss die Augen, aber die Hitze fraß sich durch die Lider. Wenn ich jetzt weine, verwandeln sich meine Tränen in Dampf, dachte sie und hätte fast gelacht. Stattdessen sterbe ich.

Perry Rhodan fluchte.

Wie hatte er sich nur von Lian überreden lassen können, sie mitzunehmen? Sie verfügte über keinerlei Einsatzerfahrung, und das bewies sie in diesen Sekunden überdeutlich. Sie stürzte sich auf naive, selbstmörderische Weise in einen Kampf, den sie nicht gewinnen konnte. So, als wäre es ein Spiel. Oder eine ihrer Trivid-Shows, in die sie sich interaktiv einbrachte. Nur, dass auch noch so versierte Trivid-Kunst nichts mit dem wahren Leben zu tun hatte ...

Er wollte mit ihr fliehen, doch es schien, als höre sie nicht, was er ihr über Funk zurief. Störte etwas die Verbindung? Der SERUN gab an, dass Lian die Nachricht empfing.

Er rief sie erneut an. Wieder keine Reaktion.

Sie feuerte aus einem völlig zerstörten Bereich der Halle. Der Boden vor ihr war eingebrochen. Brennende Trümmer prasselten ins Kellergeschoss wie Fackeln, die in die Finsternis eines Brunnenschachtes fielen. Flammen umgaben Lian; ihr Schutzschirm irrlichterte blau und grün inmitten des lodernden Rots und der schwarzen Wolken.

Rhodan musste sie dort herausholen.

Ja – er hatte sie mit auf den Mars genommen, in der Hoffnung, das Entführungsopfer befreien zu können ... aber nicht, ohne heimlich Vorbereitungen zu treffen: Der Schutzanzug, den er Lian gegeben hatte, war so präpariert, dass er ihn im Notfall übernehmen und fernsteuern konnte. In einem Notfall wie diesem. Wenn sie nicht freiwillig mit ihm aus dieser Hölle floh, zwang er sie eben.

Doch ehe Rhodan dazu kam, die Parallelschaltung der SERUNS zu initiieren, brach Lians Schutzschirm zusammen.

Sie stand mitten im Chaos, völlig ungedeckt, von loderndem Feuer umgeben. Der nächste Schuss musste sie töten. Rhodan raste los. Er wollte sie unter seinen Schirm nehmen. Aber er würde zu spät kommen; den Robotern konnte diese Chance nicht entgehen.

Die Kampfmaschinen schossen nicht.

Stattdessen jagte ein Roboter näher und löschte einen Teil der Flammen, die Lian umgaben.

Was sollte das bedeuten? Rhodan musste sich täuschen! Er schoss auf die Maschine, trieb sie zurück und wurde selbst unter Feuer genommen. Er stockte, gab seinem SERUN den Befehl, auf Lians Schutzanzug zuzugreifen, dessen Flugfunktion zu aktivieren und sie zu ihm zu bringen.

Ihr Kampfanzug sprach nicht an. Offenbar war er zu stark beschädigt. Lian sah sich hektisch um, suchte nach einem Ausweg. Ein Riss platzte in der Decke über ihr auf. Er verästelte, verbreiterte sich. Farbe rieselte wie Staub herab und wirbelte in den Hitzelohen erneut auf.

Es knarrte, das ganze Gebäude schien zu ächzen, sich zu winden. Die Wände verschoben sich. Rund um das Loch im Boden brach ein größerer Teil weg. Lian sprang zur Seite und fiel hin. Ein Roboter stürzte in die Tiefe, umgeben von Trümmern, und schwebte eine Sekunde später zurück.

Es blieb keine Zeit! Jeder weitere Schuss, jede neue Beschädigung konnte alles zum Einsturz bringen. Sie mussten hier raus, ehe tonnenschwerer Schutt sie unter sich begrub.

Als hätten die Kampfroboter dieselbe Schlussfolgerung gezogen, dämpften sie die Wucht ihres Angriffs. Sie feuerten nicht mehr. Aber – wieso? Rhodan sah plötzlich wieder vor sich, wie die Maschine die Flammen um Lian löschte. Offenbar wollten sie zumindest die junge Frau nicht töten, sondern ...

»Anbindung des SERUNS nun möglich«, riss ihn die künstliche Stimme seiner Anzugpositronik aus den Gedanken. »Aktuelle Gefahrenanalyse ergibt ...«

»Steuere Lian zu mir und nimm sie unter meinen Schutz!« Rhodan blieb völlig ruhig, versuchte das Chaos zu überschauen.

Die Roboter. Das Feuer. Die tödlichen Energiestrahlen. Die Tatsache, dass die Maschinen Lian schonten. Die Einstürze. Die beschädigte Decke.

Er setzte alles zueinander in Bezug und entdeckte den Weg hinaus. Sie hatten das Gebäude von außen gesehen – es gab nur zwei Stockwerke und einen Kellerbereich, und sie hielten sich ebenerdig auf. Eine einzige Etage über ihnen.

Lian schrie, als ihr SERUN sie in die Höhe katapultierte. Rhodan prallte in der Luft gegen sie. Sein Energieschirm schloss sich flirrend um sie beide, während sie nach oben jagten.

Rhodan feuerte auf den Riss – die Decke explodierte einen Lidschlag, bevor sie mit der Wucht eines Geschosses hindurchbrachen. Im Schutzschirm flirrte und glühte es, als Materie darin verdampfte. Er konnte den beißenden Gestank riechen. Etwas wäre fast durchgeschlagen. Ein Alarm schrillte im Helm, während der SERUN die Gewalten so gut wie möglich von ihnen fernhielt und versuchte, ihren Flug zu stabilisieren.

»Was tust du?« Lians Augen waren weit aufgerissen, aber weniger vor Entsetzen als vielmehr vor Verwirrung. »Wie komme ich hierher?«

Ihm blieb keine Zeit, sie zu beruhigen. Die Decke über dem Obergeschoss, zugleich das flache Dach des Gebäudes, raste näher. Er schoss, zwei Mal, drei Mal, dann brachen sie hindurch, in einem Gewitter aus Trümmern, Blitzen und Schreien.

Zwischenspiel

Der Mann mit der verschorften Wunde auf der Stirn stand mit hängenden Schultern zwischen den Holos, deren Bilder ihm die Kampfroboter vom Mars übertrugen.

»Sie ist geflohen. Das war so ... nicht vorgesehen.« Er klang müde, fassungslos und resigniert. Er schämte sich dafür, dass er seine Gefühle nicht besser zu verbergen verstand. Früher wäre es ihm vielleicht gelungen. Damals, bevor ... Er schob die Gedanken beiseite, ehe sie sich seiner bemächtigen konnten. Es brachte nichts ein, in Was-wäre-Wenns zu existieren.

Schluss mit dem Selbstmitleid, an das er einen viel zu großen Teil des Lebens verschwendet hatte! Schluss mit der sich ständig im Kreis drehenden Frage, warum sich das Schicksal ausgerechnet ihn für seine kranken Spielchen ausgesucht hatte.

Er musste mit dem arbeiten, was ihm zur Verfügung stand. Sich auf veränderte Gegebenheiten einstellen, Pläne anpassen. Und die Chance ergreifen, die sich ihm so überraschend bot. Nicht ganz einfach, wenn einen unentwegt Schmerzen plagten. Selbst in seine Albträume verfolgten sie ihn. Immerhin wusste er nun, was sie bedeuteten und wo ihre Ursachen lagen.

Hinter den Holos bewegte sich eine schattenhafte Gestalt. »Du hast gesagt, sie wird sich im Kampf aufreiben, bis die Roboter sie nur noch aufzusammeln und mitzunehmen brauchen.« Die Stimme klang sanft und ohne jeden Anflug von Vorwurf. Dennoch machte sie ihm Angst. »Da hast du dich wohl geirrt.«

Energisch schüttelte der Mann den Kopf. Oder besser: Er versuchte es, bis ihn die Schmerzen und das Geräusch von berstendem Eis im Schädel daran hinderten. »Das glaube ich nicht. Dazu verstehe ich zu gut, was in ihr vorgeht. Sie hat sich von Rhodan nicht abbringen lassen, ihn zum Mars zu begleiten. Sie hat sich trotz der Übermacht in den Kampf gestürzt. Alles kam genau so, wie ich es vorhergesehen hatte.«

»Und doch ist sie geflohen«, beharrte sein Gegenüber wie ein geduldiger Vater, der seinem begriffsstutzigen Sprössling denselben Sachverhalt mehrfach erklären musste.

Der Mann hasste diesen Tonfall fast so sehr, wie er den Besucher verabscheute. Für das, was er getan hatte, für das, was er war. Aber er brauchte ihn.

Wieder und wieder ließ er die Szenen vom Mars in den Holos ablaufen. »Ich interpretiere die Ereignisse anders«, sagte er schließlich. »Sie ist nicht geflohen. Rhodan hat sie verschleppt, wahrscheinlich sogar ferngesteuert. Damit konnte ich nicht rechnen.«

»Wirklich nicht? Wie dem auch sei, der Plan ist gescheitert. Rhodan wird sich dir an die Fersen heften und deine Identität herausfinden.«

Meine Identität? Was für ein Witz.

Kapitel 2:

Choreografie und Weltenbau

»Lian?«

Ihre Augen standen weit offen, wie in Schockstarre. Rhodan hörte sie atmen, und das viel zu hektisch und abgehackt.

»Bleib ruhig«, sagte er. »Du hyperventilierst.«

Ein Atemzug, laut durch die Nase. »Toller Tipp.« Lian öffnete den Mund. Die Lippen bebten. »Hast du ... mehr ... davon auf Lager?«

Sie flogen noch immer, in etwa zwanzig Metern Höhe, weg von der Siedlung Valerysion, am Rand des Oudeman-Kraters entlang. Bäume überwucherten den Abhang dicht an dicht und üppig grün. Vereinzelt glänzten rote Früchte an den Ästen. Am gegenüberliegenden Ende des Kessels glitzerte ein See grünlich in der Sonne. Ein Stückchen Land ragte wie ein überdimensionaler Finger ins Wasser; anstelle des Nagels lag an der Spitze ein sandiger Strand, den Rhodan ansteuerte.

»Wir sind draußen«, sagte er. »Die Kampfroboter verfolgen uns nicht. Es gibt keine Gefahr mehr, Lian. Beruhig dich.«

»Dazu könntest du beitragen ...« Wieder atmete sie mehrfach hektisch durch die Nase. »... indem du tiefer gehst und landest.«

»Oh.«

Sie grinste gequält. »Nicht jeder fliegt so gern wie du, großer Meister. Mir ist übel.«

»Schließ die Augen. Wir sind gleich da. Ich geb auf dich acht.«

Lian folgte der Aufforderung, aber ihre Lider flatterten, als könne sie sich von dem Anblick nicht losreißen. Rhodan machte sich klar, dass es nicht für alle so selbstverständlich wie für ihn war, nur mit einem SERUN – eben scheinbar völlig ungeschützt – über einer Planetenoberfläche entlangzurasen. Er steuerte tiefer. Lians Schutzanzug zog automatisch mit und blieb dicht an seiner Seite; so nah, dass sie sich berühren konnten. Er legte ihr die Hand auf den Oberarm.

Der See zog unter ihnen hinweg, still und unberührt. Von den Kraterwänden hallte Vogelgeschrei wider. In den Bäumen turnten große Tiere, Affen vielleicht. Einmal übertönte ein dumpfes Brüllen das Vogelkreischen.

In der Nähe des Strands trieben Algen im See. Rhodan und Lian spiegelten sich im klaren Wasser, ehe er landete.

Sie öffnete die Augen und sah erleichtert aus, festen Boden unter den Füßen zu spüren. »Du bist sicher, dass sie uns nicht verfolgen?«

»Völlig sicher. Die SERUNS orten unablässig und werden Alarm geben, sollten sie etwas entdecken.«

»Fliegen wir noch einmal hin?«

Rhodan betrachtete sie. Einige Strähnen ihres kurzen, schwarzen Haares klebten an den schweißfeuchten Wangen. Die akzentuierten Brauen hatte sie leicht nach oben gezogen. Eine Mischung aus Sorge und Trotz. »In die Lagerhalle?«

Sie nickte. »Vielleicht finden wir nützliche Hinweise, wenn die Kampfroboter abgezogen sind.«

»Das bezweifle ich. Außerdem wimmelt es dort inzwischen bestimmt von Polizeirobotern und Sonden. Der Entführer hat gedroht, dass er die Gefangene tötet, wenn ich Kontakt zur Polizei aufnehme.«

Lian setzte sich, packte eine Handvoll Sand und ließ sie ins Wasser rieseln. »Kennst du den Mars von früher?«

»Was meinst du?«

»So wie er von Anfang an war. Vor dem ganzen Terraforming.«

Rhodan grinste. »Mir gefällt es hier. Ist doch traumhaft.«

»Wie auf einem idyllischen Fleckchen der Erde«, sagte sie. »Aber eben nicht wie auf dem Mars.«

»Willst du jetzt ernsthaft über Nutzen und Gefahren von Terraforming sprechen?«

»Hey, ich will gar nichts. Nur irgendwas sagen, meine Sachen packen und in mein Leben zurückkehren. Du weißt schon, wo Kampfroboter nur als Holos in Trivid-Sendungen auftauchen.« Eine neue Handvoll Sand landete im Wasser.

Sie schwiegen.

»Wirklich?«, fragte Rhodan irgendwann.

»Nein«, gab sie zu. »Ich hatte bis heute Morgen keine Probleme mit meinem Alltag. Alles bestens. Dann rufst du mich an, zeigst mir eine Erpresserbotschaft, und mein Leben kippt aus den Fugen.« Sie kaute auf ihrer Unterlippe. »Nun brauche ich Antworten. Das ist Mausbiberkacke, kennst du das?«

»Die Substanz?« Rhodan lächelte sie an. Er war wohl nicht auf dem Laufenden über die neuesten Auswüchse der Jugendsprache. Dann wurde er wieder ernst. »Oder meinst du das Gefühl, Antworten zu brauchen? Auch das verstehe ich. Nur zu gut.«

Sie blinzelte. »Und dass ...«

»Dass alles Mausbiberkacke ist?« Er sah zum Kraterrand. Weit weg turnte ein großer orangegelber Affe in den Wipfeln. »Klar.«

Über den Sand hüpfte ein möwenartiger Vogel auf sie zu. Er schien sie misstrauisch zu beäugen und flatterte mit den Schwingen, allerdings ohne abzuheben. Wahrscheinlich hoffte er auf ein Picknick der Strandgäste, bei dem die eine oder andere Leckerei für ihn abfiel. Da muss ich dich enttäuschen, alter Junge, dachte Rhodan, obwohl ich auch nichts dagegen hätte. Sein Magen knurrte. Zeit zum Essen war ihm nicht geblieben, seit diese verrückte Sache ihren Anfang genommen hatte.

»Ich bin genauso überrascht und überrollt worden wie du«, sagte er. »Fassen wir zusammen. Ein geheimnisvoller Fremder meldet sich bei mir, indem er sich in mein privates Trivid-Gerät einhackt und eine Sendung abspielt, die nur bei mir ankommt. Was völlig unmöglich sein sollte.«

»Dazu später«, murmelte Lian beiläufig.

»Er zeigt mir eine entführte Frau, die er foltert – und präsentiert mir danach das Abbild eines Genoms, das mit TRIVID NULL beschriftet ist. Ich forsche nach, finde heraus, dass es sich dabei um dein Genom handelt ... und dass du so aussiehst, als könntest du die Tochter des Opfers sein. Doch du weißt, dass deine Mutter tot ist und es keine weiteren Verwandten gibt. Und zu allem Überfluss bist du Trivid-Künstlerin und hast ...«

»Eine gute Trivid-Künstlerin«, ergänzte sie, noch immer beiläufig, aber merklich enthusiastischer.

»... eine spezielle Karriere hinter dir. Du interagierst mit bekannten Serien, genauer gesagt schlüpfst du in die Rolle der jeweiligen Hauptfigur und spielst die einzelnen Folgen nach.«

»Es ist mehr als nachspielen,« sagte Lian. »Ich bin in den Geschichten drin, ein Teil davon, handle wie die Figur. Das Programm errechnet aus jeder meiner Aktionen andere Abläufe, stellt mich vor neue Gefahren, die ich meistern muss. Im Weltall, als historische Piratin, beim Bergsteigen, als Geheimagentin oder was du dir sonst so vorstellen kannst.«

»Da gibt's eine ganze Menge«, versicherte Rhodan. »Jedenfalls meldet sich der Schurke bei mir, beschriftet dein Genom mit TRIVID NULL – und du entpuppst dich als Trivid-Spezialistin. Seltsamer Zufall.«

»Falsch.«

»Aha?«

»Kein Zufall. Unmöglich.«

Rhodan nickte. »Hab ich was vergessen?«

»Das Wichtigste. Du konntest mich finden, weil mein Genom wegen dieses ... dämlichen Zwischenfalls in der Kneipe damals polizeilich gespeichert ist. Aber etwas daran ist seltsam, hast du mir gesagt. Ich gebe dir darum eine aktuelle Zellprobe. Du untersuchst sie. Und stellst fest, dass ich ungefähr fünf Jahre alt bin.« Ihr Lächeln misslang völlig. »Seh ich so aus?«

»Nein. Aber du könntest unter einer Krankheit leiden, die dich schneller altern lässt. Oder Strahlung mit dieser Wirkung ausgesetzt gewesen sein. Oder ...«

»Ach komm schon! Das ist Blödsinn. Nach meiner Geburt lebte ich drei Jahre auf dem Mars, habe dann fünfzehn Jahre auf dem Jupitermond Europa verbracht und bin vor vier Jahren nach Terrania gekommen. Strammes Programm für eine Fünfjährige.« Sie hob beide Hände. »Finde den Fehler, Meister Rhodan.«

»Eins jedenfalls ist klar«, sagte er. Die »Möwe« hopste näher und krächzte. »Die Kampfroboter haben nicht versucht, dich zu töten. Mich vielleicht – aber dich wollten sie lebend.«

»Was? Wie kommst du darauf?«

»Ist es dir nicht aufgefallen?«

»Ich war ... irgendwie nicht richtig bei mir.«

»Du hast uns in verdammte Schwierigkeiten gebracht mit deinem Verhalten!«, herrschte er sie an – bewusst in scharfem Tonfall, um ihr den Ernst der Situation vor Augen zu führen. »Ob es mir gelungen wäre, dich zu retten, wenn die Roboter dich hätten töten wollen oder wenn ich deinen Anzug nicht hätte steuern können? Das war kein Spiel, Lian! Keine deiner Trivid-Shows, wo du dir nach einer Niederlage den virtuellen Staub aus der Kleidung klopfst und von vorne beginnst!«

»Das ... das war ich nicht da drin. Also, natürlich war ich's, aber mein Denken war wie blockiert. Total lächerlich, ich weiß. Ich konnte nicht anders. Es war ...« Diesmal schleuderte sie eine Handvoll Sand weit in den See und rang nicht länger um Worte. »Entschuldige.«

»Wir haben's hinter uns«, sagte er versöhnlich. »Ohne Schutzschirm hätten sie dich erschießen können. Mehr noch, du wärst in den Flammen verbrannt. Aber einer der Roboter hat das Feuer vor dir gelöscht. Sie wollten dich lebend. Was mich zu einer Schlussfolgerung bringt, die mir ganz und gar nicht gefällt.«

»Und die wäre?«

»Was denkst du, Lian? Was würde in einer Trivid-Serie hinter dieser Abfolge von Ereignissen stecken?« Er sah sie herausfordernd an.

Egal, wie sie sich in der Halle verhalten haben mochte, vorher hatte sie in seiner Wohnung bewiesen, dass sie einen scharfen, geradezu brillanten Verstand besaß und durchaus in der Lage war, Szenarien genau zu durchdenken. In der Aufzeichnung war ihr der Hinweis, der sie zum Mars geführt hatte, aufgefallen – ein winziger Moment im Ablauf der Bilder, der ohne die Hilfe der Positronik selbst Rhodans Aufmerksamkeit entgangen wäre.

»Eine Falle«, sagte Lian gedehnt. »Und zwar nicht erst in der Halle, sondern von Anfang an. Unser Gegner wollte, dass du mich findest. Er hat die Spur zum Mars ganz bewusst eingebaut – jenen Augenblick, in dem der Roboterarm die Lamelle scheinbar unabsichtlich zur Seite schiebt und den Blick nach draußen für einen Lidschlag lang freigibt. Er wollte, dass du es siehst. Und dass wir beide hierher kommen. Damit die Roboter mich entführen können.«

Rhodan nickte. »Es ging um dich, Lian. Von Anfang an ging es nur um dich.«

Ein Wort echote ihr ohne Unterlass durch das Bewusstsein: Warum?

Hatte sie den Flug zum Mars noch verabscheut – wie jeden Ausflug ins All –, so bekam sie vom Rückflug kaum etwas mit. Zu sehr war sie in ihrem Gedankengestrüpp gefangen.

Von Anfang an ging es nur um dich.

Sie konnte Perrys Vermutung nicht von der Hand weisen, schließlich hatte der Unbekannte ihm ihr Genom über Trivid geschickt.

Aber warum?

Erneut dachte sie über die Theorie eines geisteskranken Fans ihrer Trivid-Shows nach, der Rhodan vor den Karren spannte, um sie ausfindig zu machen. Er lockte sie auf den Mars, versuchte sie zu entführen und ...

Ja, was und?

Warum sollte jemand so etwas tun? Und wie war es möglich, dass dieser Jemand einerseits keinen anderen Weg kannte, um an sie heranzukommen, andererseits aber eine Datei mit ihrem Genkode besaß? Und wie bei allen Trivid-Helden der Menschheitsgeschichte hatte er ihn sich beschafft? Wenn es stimmte, dass ihr Genom nach der Geburt nicht erfasst worden war – und warum sollte Rhodan sie deshalb belügen? –, hatte sie nur ein einziges Mal eine Genprobe abgegeben. Bei der Polizei nach der Schlägerei in einer Bar.

Niemals würde sie vergessen, wie sie sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hatte, weil eine plötzliche Panikwoge sie mitgerissen hatte. Noch so ein Warum. Drei Jahre lag das inzwischen zurück, und bis zum gegenwärtigen Augenblick konnte sie sich nicht erklären, was damals über sie gekommen war.

Das schlimmste und unerklärlichste aller Warums jedoch war ...

»Da muss ein Fehler vorliegen«, sagte sie.

Rhodan wandte sich im Pilotensessel zu ihr um und schaute sie an. Ihr fiel die kleine Narbe auf dem rechten Nasenflügel auf. Welche Geschichte aus seinem Jahrtausende währenden Leben hatte sie wohl zu erzählen? Was mochten diese ernsten, graublauen Augen in all der Zeit gesehen haben? »Du meinst die Analyse deines Genoms?«

»Was sonst?«, fragte sie lauter als beabsichtigt. »Auch eine Positronik ist nicht unfehlbar. Vielleicht war die Probe verunreinigt. Oder der Rechner hat zwei Proben vertauscht. Lass mir ein bisschen Zeit und mir fällt noch etwas anderes ein, denn ...« Lian unterbrach sich. Sie wusste selbst, wie unwahrscheinlich, ja: lächerlich ihre Erklärungsversuche klangen.

»Wir können die Entnahme gerne wiederholen.«

Sie verzog das Gesicht. Allzu deutlich verstand sie die nicht ausgesprochene Haltung, die sich in diesem Angebot verbarg: Ich glaube aber nicht, dass ein zweiter Test ein anderes Ergebnis liefert.

»Das wird nicht nötig sein.« Sie beschloss, vorerst nicht weiter darüber nachzudenken. Eine der zahlreichen Lektionen interaktiver Trivid-Shows lautete: Vergeude keine Zeit und Energie darauf, Lösungen für Rätsel zu suchen, solange du nicht über genügend Informationen verfügst. »Vielleicht geht es dem Kerl, der dir den Genkode geschickt hat, genau darum. Erinnere dich an den Wortlaut seiner Forderung!