Perry Rhodan Neo 2: Utopie Terrania - Christian Montillon - E-Book

Perry Rhodan Neo 2: Utopie Terrania E-Book

Christian Montillon

5,0

Beschreibung

Das Jahr 2036: Perry Rhodan und die Astronauten der STARDUST sind in der Wüste Gobi gelandet. In ihrer Begleitung ist ein Außerirdischer, der schwerkranke Arkonide Crest. Ihre Lage ist äußerst angespannt - Tausende chinesische Soldaten haben einen Ring aus Panzern und Geschützen um die Position der STARDUST gezogen. Die Technik der Arkoniden schützt Perry Rhodan und seine Begleiter: Eine Energiekuppel sichert sie gegen den unaufhörlichen, schweren Beschuss der chinesischen Truppen. Trotz der kritischen Lage verliert Rhodan sein Ziel nicht aus den Augen: den Bau einer freien und unabhängigen Stadt. Zusammen mit arkonidischen Robotern startet er dieses Vorhaben - es ist die Utopie Terrania.

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Band 2

Utopie Terrania

von Christian Montillon

Im Juni 2036 beginnt eine neue Epoche der Menschheitsgeschichte: Ein Mann setzt sich zum Ziel, die zerstrittene Menschheit zu einigen und zu den Sternen zu führen. Sein Name ist Perry Rhodan – er war Kommandant einer amerikanischen Mondmission.

Auf dem Erdtrabanten traf Perry Rhodan die menschenähnlichen Arkoniden, die mit einem riesigen Raumschiff auf dem Mond abgestürzt waren. Es kam zum Kontakt zwischen Rhodan und seinem Freund Reginald Bull auf der einen sowie den Arkoniden Thora und Crest auf der anderen Seite. Der Wissenschaftler Crest war schwer erkrankt, und Rhodan äußerte die Hoffnung, ihm auf der Erde helfen zu können.

Mittlerweile liegen diese Geschehnisse bereits einige Stunden und Tage in der Vergangenheit. Eine unbestimmte Zukunft liegt vor der kleinen Gruppe von Menschen, die mit der STARDUST in der Wüste Gobi gelandet sind. Rhodan hat symbolisch seinen Abschied von den Vereinigten Staaten erklärt – er will nach vorne schauen. Sein Ziel ist eine Utopie ...

»Das Leben zieht alle Register,

um weiter zu bestehen.«

(Eric Liberge)

1.

27. Juni 2036,

in den frühen Morgenstunden

Der Deserteur gönnte sich eine kleine Pause.

Er schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und atmete tief ein. Die Luft war heiß, die Umgebung flimmerte. So also fühlte es sich an, ein Hochverräter zu sein. Und doch hatte er die einzig mögliche Alternative gewählt, um sich selbst treu zu bleiben.

»Perry?«

Ein kleines Lächeln stahl sich auf die Lippen des Deserteurs. »Ja, Reginald?«

»Dir ist doch wohl klar, dass es so nicht weitergehen kann? Wir müssen etwas unternehmen!«

Rhodan öffnete die Augen und blickte in die Weite der Wüste Gobi. Eine öde Gegend, eintönig und leer. Nur der Goshun-Salzsee, der als Landebahn für die STARDUST gedient hatte, bot seitlich neben dem Landeplatz dem Blick Abwechslung. Sicher mochte der eine oder andere auch Schönheit in dieser Landschaft finden, eine bizarre Einmaligkeit und innere Ruhe – doch dafür hatte er momentan keinen Sinn; nicht, wenn es sich so anfühlte, als laste das Schicksal der gesamten Erde auf seinen Schultern.

Oder gerecht verteilt auf seinen und denen seines alten Freundes Reginald Bull. Einen Teil der Last nahm auch noch der Arzt Eric Manoli auf sich, doch das vierte Besatzungsmitglied der STARDUST, Clark Flipper, zählte in dieser Hinsicht wohl nicht mehr.

Und schon gar nicht der Letzte unter dieser energetischen Kuppel inmitten der Weite der Wüste Gobi: Crest, der Arkonide, der Außerirdische. Ein Mann von einem fremden Planeten. Krank und so schwach, dass er seine Liege in der STARDUST nicht verlassen konnte. Und doch war er unendlich stark, mit dem Potenzial, die ganze Welt zu verändern. Nur dass er dieses Potenzial aus eigener Kraft nicht einzusetzen vermochte.

Dafür brauchte es andere ... vor allem ihn, Major Perry Rhodan, der die Verantwortung für das Projekt Stardust übernommen hatte. Und damit, das fühlte er von Sekunde zu Sekunde deutlicher, gleich für die komplette Welt.

»Du schweigst?«, fragte Bull.

»Kennst du Atlas?«, entgegnete Rhodan statt einer direkten Antwort.

»Den Saturnmond? Oder den Stern in den Plejaden?«

»Weder noch. Nichts Astronomisches, Reg.«

»In diesem Fall: Ich habe sogar noch einen Atlas zu Hause von meinem Großvater. Sie sind selten geworden, aber immer noch praktisch, wenn auch nicht so zuverlässig und exakt wie moderne elektronische Darstellungen.«

Rhodan stutzte kurz, ehe er die erneute Verwechslung erkannte. »Nein, ich meine den griechischen Helden. Kein Kartenmaterial in Buchform.«

Reginald Bull fuhr sich durch die stoppelkurzen roten Haare und grinste. Es tat gut, ihn so zu sehen, einen Moment lang entspannt und gelöst – nicht der Tatmensch, der in einer Situation wie dieser selbstverständlich keine Sekunde Ruhe finden konnte.

In einer Situation wie dieser. Rhodan dachte über diese Formulierung nach. Das Problem dabei war nur, dass es eine Situation wie diese noch nie gegeben hatte.

Der Augenblick der Heiterkeit verging so schnell, wie er gekommen war. »Atlas«, wiederholte Reginald Bull. »Ein Hüne, der im buchstäblichen Sinn die Welt auf seinen Schultern trägt. Wenn ich mich nicht täusche, stemmt er das Himmelsgewölbe am Endpunkt der damals bekannten Welt in die Höhe.«

Lärm lenkte die beiden Freunde ab, ehe er dazu kam, noch etwas zu ergänzen.

Clark Flipper schrie auf, laut und abgehackt. Er stand vor Dr. Manoli, den rechten Arm erhoben, die Hand zur Faust geballt. Er zitterte, sein Gesicht glänzte geradezu totenblass.

Rhodan eilte zu ihnen. Sand knirschte bei jedem Schritt unter seinen Füßen und erinnerte ihn daran, wo er sich befand – mitten in der Wüste Gobi, im Zentrum der Trostlosigkeit, in glühender Hitze. Auch wenn die Schutzfeldkuppel über ihm einen anderen Eindruck erweckte und eine sichere Zone mit fremdartigen Bedingungen schuf.

»Bleib ruhig«, hörte er Dr. Manoli sagen. »Wir dürfen jetzt nicht die Nerven verlieren!«

»Ruhig«, stieß Clark Flipper aus. Eine Träne rann aus dem Augenwinkel über den Nasenflügel. Ein fast hysterisches Kichern schwappte über seine Lippen. »Wir sitzen hier fest, und ... und das alles ist ...« Er senkte den Arm, die Faust löste sich. Sein Blick wanderte unruhig über den Boden. »Ich muss immer an Beth denken, verstehst du?« Flipper wandte sich an Rhodan. »Begreifst du das, Perry?«

Ein Nicken, kurz, knapp und militärisch – das eines Mannes, der wusste, was er wollte und dem keine Zeit für lange Erklärungen blieb. »Völlig.« Rhodan überlegte rasch, was er tun sollte. Oder musste.

Wenn nur einer von ihnen die Nerven verlor, konnte das ebenso katastrophale Folgen nach sich ziehen, als befänden sie sich nach wie vor im Weltraum. Oder noch schlimmere, wenn das überhaupt denkbar war.

Flippers Mundwinkel zuckten. Er knetete die Unterlippe zwischen Daumen und Zeigefinger. »Beth ist im Himalaja verschollen, während ich nichts Besseres zu tun habe, als mein Leben aufs Spiel zu setzen, mein Vaterland zu verraten und danach mit einem Haufen Verrückter in der Wüste festzusitzen!« Obwohl er ins Leere starrte, waren die Worte ganz klar an Rhodan gerichtet, und sie stellten eine Provokation dar.

Doch damit konnte dieser umgehen; er trug die Verantwortung für die Mission der STARDUST und darum auch für diese kleine Gruppe von Menschen. Er würde alles tun, um eine Eskalation zu vermeiden. »Dann lass dir von einem dieser Verrückten etwas sagen.«

Flipper stützte die Stirn in die offene Handfläche, die Fingerspitzen massierten die Kopfhaut. Schweißtropfen glänzten zwischen den Haaren. »Ich höre.« Kein Wort der Entschuldigung kam über seine Lippen.

»Du weißt genau, warum wir diesen angeblichen Verrat begangen haben«, sagte Rhodan.

»Ich wüsste nicht, was daran angeblich sein sollte.«

»Wir tun das Richtige, Clark! Ist das nicht genug? Vielleicht nicht vor dem Gesetz, aber ... für uns!«

Sein Gegenüber schwieg verbissen; die Lippen bildeten einen dünnen, farblosen Strich im blassen Gesicht.

»Sag mir, was du vorschlägst!«, bat – nein, befahl Rhodan.

Flipper öffnete den Mund, und für einen Augenblick schien er zu erstarren. Dann atmete er geräuschvoll aus und schwieg einige Sekunden. »Du willst einen Rat von mir?«

Rhodan nickte.

»Wir bringen die STARDUST nach Hause und klären alles!«

Genau das hatte Rhodan erwartet; diese Möglichkeit musste früher oder später zur Sprache kommen. Warum also nicht jetzt schon? Es galt, Klarheit zu schaffen, damit sie alle gemeinsam handeln konnten. »In die Heimat zu fliegen ist unmöglich«, sagte er hart.

»Weshalb?«

Das Wort wurde Clark Flipper fast von den Lippen gerissen, als etwas mit lautem Pfeifen auf sie zuraste. Ein Geräusch, das den Tod verhieß. Rhodan warf den Kopf in den Nacken und erstarrte. Nun blieb ihm nicht einmal mehr die Zeit, in Gedanken Abschied von diesem Leben zu nehmen.

Er war schon so gut wie tot.

Ein Explosionsgeschoss schlug in den Schutzschirm aus der Technologie der Arkoniden ein, der sich über ihnen allen und der STARDUST spannte, und was immer genau dort oben vor sich ging, die Männer darunter spürten nichts.

Keine Druckwelle, keine glühende Hitzewelle, keine Flammen oder Schrapnelle, kein hoch spritzender und zerschmelzender Sand, der sich den Astronauten ins Fleisch fraß.

Nur gedämpfter Lärm und ein rötliches Glühen über dem Schutzschirm, gefolgt von Überschlagsblitzen – wie ein Wetterleuchten am fernen Horizont und unwirklich laut.

Wer einer derartigen Explosion so nahe stand, musste im nächsten Moment sterben oder gerade sein Leben verlieren, das war ein bis zu diesem Augenblick unumstößliches Gesetz. Nun stellte dieses umgestoßene Gesetz eines von tausend Details der neuen Wirklichkeit dar, die auf die Menschheit wartete.

Als der Knall verhallte, ergriff Rhodan das Wort. Nach außen hin blieb er völlig gelassen. »Warum wir nicht in die USA fliegen? Deshalb!«

Ein letztes Flimmern zuckte über die Schutzschirmkuppel. Dann tanzten nur noch einzelne glühende Funken scheinbar schwerelos in der Luft, ehe auch sie erloschen.

Im nächsten Augenblick raste eine Unzahl weiterer Explosivgeschosse heran und detonierte in und über dem Schirm.

Feuerflammen und zuckende Blitze.

Wer auch immer diesen Angriff befohlen hatte, ihm war wohl nicht klar, dass er so sein Ziel nicht erreichen konnte. Der Schutzschirm hielt.

Rhodan vermochte sich die Verblüffung auf der anderen Seite gut vorzustellen. Ihm ging es im Grunde nicht anders; er konnte nur staunen über die fortschrittliche Technologie der Arkoniden, die selbst die kühnsten Visionen der menschlichen Wissenschaft überstieg.

Mit einer Rakete zum Mond zu fliegen, die so zerbrechlich und gefährdet war wie ein rohes Ei inmitten eines Taifuns ... das war alles, was die irdische Weltraumtechnik trotz all der Milliarden an Geldmittel und der Kraft vieler genialer Köpfe zustande gebracht hatte. Die Arkoniden hingegen reisten schneller als das Licht in fremde Sonnensysteme. Und Rhodan ahnte, dass das nur die Spitze des Eisbergs war. Crest und erst recht Thora, die beiden Außerirdischen, die er kennengelernt hatte, schwiegen sich aus, was die Geheimnisse ihres Volkes anging.

Crest ... es wurde höchste Zeit, mit dem Arkoniden zu sprechen. Der Flug in der STARDUST zur Erde hatte ihn mitgenommen und seinen ohnehin geschwächten Zustand noch weiter destabilisiert.

So fortschrittlich dieses Sternenvolk auch sein mag, dachte Rhodan, gegen Krankheit sind seine Angehörigen nicht gefeit.

Wie schlecht es Crest wirklich ging, konnte er nur ahnen. Nach wie vor lag der Arkonide auf der Liege, die Thora für ihn in der STARDUST installiert hatte. Offenbar fand er nicht einmal die Kraft, sich auf die Füße zu erheben.

Und Thora? Sie verhielt sich noch immer kühl und distanziert. Doch durfte man die beiden Fremdwesen mit menschlicher Psychologie beurteilen? Dachten und handelten sie nicht auf eine fremdartige Weise, weil sie der Evolution eines weit entfernten Sternensystems und damit völlig anderen Bedingungen entstammten?

Wenn sich die Denk- und Lebensweise von verschiedenen Völkern auf der Erde schon so grundlegend voneinander unterschieden, wie musste es erst bei den Angehörigen einer Spezies sein, die von einem noch viel weiter entfernten Planeten stammte?

Wie fremd waren Amerikaner, Asiaten und Moslems einander; ganz zu schweigen von Völkern, die in selbst gewählter Isolation in den Tiefen der Regenwälder der Äquatorregion lebten. Und nun gab es Kontakt mit Wesen aus einem weit entfernten Sonnensystem, mit völlig fremder Mentalität, mit einer absolut andersgearteten Prägung durch Kultur und Umwelt.

Und doch, das spürte Perry Rhodan deutlich, gab es etwas, das Menschen und Arkoniden verband. Ein Band von Verständnis und ... Gefühl. Sie alle waren denkende, intelligente Wesen, die lebten. Musste man dieses Leben nicht achten, waren sie nicht allein deshalb miteinander verbunden?

»Perry?«, fragte Bull, genau wie vor Kurzem schon einmal.

Und wieder lächelte Rhodan, der Deserteur. »Ehe du nachfragst, ich hänge müßigen Gedanken nach, wie du es wohl nennen würdest. Also los, gehen wir zu Crest. Ich bin gespannt, wie er die Lage einschätzt.«

Reginald Bull deutete unbestimmt nach oben – zur energetischen Kuppel. »Der Schirm wird halten, davon bin ich überzeugt. Und wenn die ganze Welt sich zusammentut und tausend Granaten oder Atombomben darauf abfeuert.«

Rhodan schüttelte den Kopf. »Eine einzige Atombombe würde genügen«, sagte er hart. »Nicht, um den Schirm zu knacken, aber um auf der kompletten Welt Reaktionen hervorzurufen und ein atomares Chaos zu entfachen, in dem wir uns alle gegenseitig auslöschen. Hoffen wir, dass es so weit nicht kommen wird.«

»Hoffnung allein wird uns nicht weiterbringen, Perry!« Bull beugte sich verschwörerisch vor; ein Sonnenreflex spiegelte sich auf der vor Schweiß glänzenden Kopfhaut und wirkte, als würde eine kleine Flamme zwischen den kurzen roten Haaren züngeln. Dann endete der absonderliche optische Effekt. »Verstehst du denn nicht? Wir müssen handeln! Nehmen wir die arkonidische Supertechnologie und zeigen denen dort draußen, was eine Harke ist! Wir müssen die Machtblöcke zur Vernunft bringen, indem wir ihnen demonstrieren, was ...«

»Bleib ruhig«, unterbrach Rhodan. »Die Zeit wird kommen, und wir werden eine Möglichkeit finden, aber wir dürfen nichts überstürzen. Dies ist die Gelegenheit für die Menschheit, ihre Probleme zu lösen ... auch wenn sie noch nichts davon ahnt!«

»Die Machthaber wollen das aber gar nicht wissen«, gab sich Bull überzeugt. »Das müsstest du ihnen schon einprügeln.«

Dr. Eric Manoli, der schweigend neben ihnen im Schatten der STARDUST stand, nickte bestätigend. Clark Flipper saß etwas abseits am Boden, das Kinn auf beide Hände gestützt.

Rhodan ließ den Blick langsam über seine drei Begleiter schweifen. Eine wichtige und gefährliche Mission hatte sie zusammengeführt und in diese Lage gebracht; nun stellte sich die Frage, wer dieser extremen Belastungsprobe gewachsen war und wer scheitern würde. Die Antwort schien auf der Hand zu liegen, aber man durfte Clark Flipper keineswegs aufgeben. Er war ein Astronaut, genau wie die anderen, und durch tausend Prüfungen gegangen. Doch auch eine stabile Persönlichkeit konnte zerbrechen, wenn der Druck zu groß war.

»Dies alles bildet letztlich unser Tor zu den Sternen«, sagte Rhodan. »Die Arkoniden, das Geschehen auf dem Mond, die Begegnung mit Crest und Thora, und das ausgerechnet jetzt, wo die Erde einem Pulverfass gleicht, das schon an mehreren Enden brennt! Das ist kein Zufall!«

»Die große Chance, ja?«, rief Flipper zu ihnen herüber. »Frieden für alle? Hochtrabende Worte und gewaltige Pläne! Aber wie willst du sie umsetzen?«

Rhodan schwieg. Er ließ sich nicht in die Karten schauen. »Wir müssen abwarten.« Seine Stimme duldete keinen Widerspruch. »Egal, wie ihr die Lage beurteilt, in einem sind wir uns wohl einig. Dies sind historische Momente. Wir leben in aufregenden Zeiten, die alles verändern werden. Es fragt sich nur, in welche Richtung!«

»Ich bin bereit, dir zu folgen«, sagte Reginald Bull. »Ich vertraue dir.«

Rhodan ließ sich nicht anmerken, wie sehr die Worte seines alten Freundes ihn erleichterten. Natürlich wusste Bull genau, wie wichtig diese Unterstützung war – er hatte den Augenblick mit Bedacht gewählt und Rhodan konnte ihm nur zu seinem Taktgefühl gratulieren.

»Ich vertraue dir ebenfalls«, betonte Dr. Eric Manoli.

Clark Flipper schwieg.

Immerhin widerspricht er nicht, dachte Rhodan. Aber kam das Schweigen nicht einem Widerspruch gleich? »Ich gehe zu Crest«, kündigte er an. »Es gibt einiges zu besprechen.« Damit hielt er die Diskussion für beendet.

Mit weit ausholenden Schritten näherte er sich dem Eingang der STARDUST. Sein Blick eilte kurz an der Raumkapsel vorüber, in die schier endlose Wüste.

Doch er sah nicht nur die trostlose Unendlichkeit, die ihn mit Pessimismus erfüllen wollte.

Ihm offenbarte sich ein Potenzial, das weit über das hinausging, was alle anderen in dieser Umgebung sehen mochten.

Er spürte einen Hauch von kosmischer Weite, einen Atemzug der Zukunft.

Splitter der Entwicklung (1)

Anonymer Internetblog »Alienfacers«:

Offizielle Regierungseinschätzung des unbekannten Schreibers: ein harmloser Verschwörungstheoretiker. Weniger als 5000 Leser pro Monat. Von der aufkommenden Zensur dennoch blockiert und gelöscht, obwohl seit Jahren ähnliche Einträge unbeachtet blieben.

Das folgende Posting stammt vom 21. Juni 2036; es tauchte nach der Löschung an mehr als hundert Stellen im Internet auf. Bis zur Landung der STARDUST in der Wüste Gobi wurde der Text von diesen Sekundärquellen insgesamt 8.003.065 Mal aufgerufen:

»Das Leben zieht alle Register, um weiter zu bestehen.«

Ich weiß nicht mehr, wo ich diesen Satz zuerst gelesen habe, aber er trifft genau zu. In diesen Tagen Ende Juni 2036 mehr denn je. Zumindest mehr, als unsere moderne Zivilisation es in ihrer verlogenen Geschichtsschreibung bislang festgehalten hat.

Wir sehen uns als die Krone einer Entwicklung über Jahrmillionen hinweg an. Spätere Historiker werden darüber lachen. Dies ist eine düstere Zeit, egal wie sehr die offiziellen Medien es verschweigen. Ein Weltkrieg droht uns alle zu vernichten.

Nein, ich muss es anders ausdrücken. Wir, alle Menschen der Welt, drohen uns gegenseitig zu vernichten, indem wir einen Weltkrieg entfesseln. Das entspricht eher den Tatsachen, wenn der Unterschied auch ein philosophischer sein mag.

Doch wie schrieb ich es oben?

Das Leben zieht alle Register, um weiter zu bestehen.

Genau das geschieht in diesen Tagen. Denn was sich dort oben, dort draußen ereignet, ist nichts anderes als eine notwendige Entwicklung.

Lacht mich ruhig aus, spottet, solange ihr wollt, ich bleibe dabei: Es muss sich alles genauso abspielen. Die Menschheit ist an einem toten Punkt angelangt, und darum muss sich das Leben einen neuen Weg suchen, um diese Krise zu überstehen.

Dort draußen gibt es Außerirdische, das ist unumstößlich, und die Zeit, in der sie Kontakt aufnehmen, rückt immer näher. Ich schreibe das schon seit Jahren. Längst spitzt sich alles zu.

Geheimnisvolle Mechanismen wirken und sorgen dafür, dass die Intelligenz im Universum überlebt. Viele nennen diese Wirkungskräfte auch heute noch »Evolution«. Ein überkommenes Modell, das dringend neu definiert werden muss. Es bezieht viel zu wenige Faktoren ein.

2.

27. Juni 2036,

wenige Stunden nach der Landung

der STARDUST in der Wüste Gobi

Das Fenster bot einen beinahe ungestörten Blick nach draußen. Die Sonne glänzte auf dem südchinesischen Meer, während die Macanesen rund um General Bai Jun Geld verloren.

Eine Menge Geld.

Im Kasino verschwand Tag für Tag – und Nacht für Nacht – genug, um damit eines der Elendsviertel von Grund auf herzurichten und die Bewohner einen Monat lang durchzufüttern. Der Staat sah allerdings nie etwas von diesem Bargeld; es versickerte einfach.

Bai Jun lehnte sich in seinem Sessel am Spieltisch zurück.

»Herr«, sagte der macanesische Croupier. »Wollt Ihr nicht weit...«

»Ich wähle in dieser Runde die Pause.«

Der Croupier nickte eifrig. »Selbstverständlich.«

Kriecher, dachte der General. Aber so war eben die Natur dieses Lakaien. Eine einfache, simple Existenz.

Während Bai Jun so tat, als beobachte er die zahlreichen kleinen Boote im Hafen, analysierte er seine Mitspieler. Seine Gegner. Es ging um viel Geld. Und mehr als das.

»Interessant, nicht wahr?«, fragte eine helle Frauenstimme. Sie versuchte, sich einen rauchigen Klang zu geben, als läge südländisches Feuer in ihr, aber es gelang ihr nicht, die östliche Kühle zu verbergen.

Bai Jun wandte sich um. Die Rückenlehne des Sessels quietschte leise. »Warum verstellst du dich?«, fragte er. »Eine Frau wie du hat es nicht nötig, etwas vorzugeben, das sie nicht ist.«

Sie trug ein hautenges Kleid. Der rote Stoff – Seide, schätzte der General – war von Streifen aus dunklem Leder durchzogen. Sie spannten sich genau über den Brustwarzen. Das schwarze Haar hing als völlig gerade geschnittenes Pony bis dicht über die Augenbrauen. Die Wimpern schimmerten golden. »Wie kommen Sie darauf, ich würde irgendetwas spielen? Das ist nicht meine Natur.«

»Deshalb hältst du dich auch so gerne im Kasino von Macau auf, was?« Bai Jun lachte dröhnend, und eine Menge Leute rundum fielen ein. Der Croupier zeigte ein leichtes, kaum wahrnehmbares Lächeln.

Auch die Frau schien amüsiert. Ihre blutig rot geschminkten Lippen glänzten, und sie präsentierte Zähne von elfenbeinerner Farbe. »Es gibt viele Arten des Spiels. Ich setze völlig andere Waffen ein als diese Leute hier, die manchmal gewinnen und noch viel öfter verlieren.«

Schmale Finger mit langen Nägeln strichen sanft über Bai Juns Wangen.

»Wir sollten ein Separee aufsuchen«, schlug der General vor.

Ein Blick zu dem Croupier genügte. Der Macanese gab auf dem Display seines Platzes eine Anfrage weiter. »Nummer acht«, sagte er einen Augenblick später.

»Gut«, erwiderte sie auf Patúa, der ursprünglichen Sprache Macaus, die seit einem Jahrzehnt so gut wie ausgestorben war, erstickt vom Hochchinesischen.

Bai Jun nickte nur. Mochte sie denken, was sie wollte; er hätte einer Abhandlung in Patúa folgen können, denn er bereitete sich stets gut auf seine Einsätze vor. Sein Spiel im Kasino war ein bedeutungsloser Nebeneffekt; er war nur wegen dieser Frau hierhergekommen, die unter vielen Namen bekannt war. Sie handelte mit dem, was weit mehr wert war als Geld: Informationen. Nicht einmal Bai Jun war es gelungen, ihre echte Identität festzustellen.

Er verließ den Spieltisch. Die zahlreichen Besucher des Kasinos machten ihm Platz. Mit jedem Schritt versank er ein wenig in dem hochflorigen Teppich. Auf einer kleinen Bar perlte Sekt in Gläsern.

Bai Jun drehte sich nicht um. Er wusste, dass die Fremde ihm folgte, denn er besaß das, was sie wollte. Und er bezahlte gut.

Er öffnete die Tür zum Separee, das die Nummer acht trug. Es zu benutzen kostete in jeder Minute ein Vermögen. Die Leitung des Kasinos legte großen Wert darauf, ihren besten Kunden zu versichern, dass es sich dabei um absolut abhörsichere und perfekt abgeschirmte Räume handelte. Nichts, was darin gesprochen wurde, drang je nach außen.

Doch das war Bai Jun nicht genug. Er aktivierte den winzigen Störsender, der unter einer Schicht aus künstlicher Haut in seiner Achselhöhle lag. Dieses Versteck sah täuschend echt aus, war noch nie entdeckt worden. Sicher war sicher, wenn es um das Schicksal eines Landes und um die große Mission der Heimholung ging.

Die Fremde schloss die Tür hinter sich. Ein leises Zischen ertönte. »Ich habe, was Sie wissen wollen.«

»So?«

Sie griff an ihre linke Brust, zog einen der Lederriemen beiseite. Darunter lag eine kleine Tasche, aus der sie einen noch kleineren Zettel zog.

»Ein verführerisches Versteck«, sagte der General. Den Reizen dieser Frau gönnte er allerdings keinen Blick. Stattdessen beobachtete er jede ihrer Bewegungen ganz genau. Wenn sie auch nur die geringsten Anzeichen zeigte, ihn täuschen zu wollen, würde sie eine Sekunde später sterben.

Sie reichte ihm den Zettel.

»So einfach?«, fragte Bai Jun.

»Die Worte darauf sind wertlos ohne den Informations-Schlüssel, den es nur an einer einzigen Stelle der Welt gibt.« Sie tippte sich an die Schläfe. »Hier.«

»Und weiter?«

»Haben Sie das Pod?«

»Selbstverständlich.« Bai Jun zog den tragbaren Mini-Computer aus seiner Jackentasche, genau wie sie es im Vorfeld verlangt hatte.

Die Fremde nahm es an sich. »Wenn der Betrag auf meinem Konto eingegangen ist, nenne ich Ihnen den Schlüssel. Sollte jemand uns abhören, wird er damit nichts anfangen können, weil er das hier nicht hat.« Sie deutete auf den Zettel in Bai Juns Hand. »Danach werde ich das Pod vernichten.« Ein feines Lächeln ließ ihre Augen glänzen. Auf dem Nasenrücken tanzte ein kleiner Fleck. »Schreiben Sie es auf die Spesenrechnung Ihrer Regierung.«

Der General ließ sich nicht anmerken, wie unwohl ihm plötzlich zumute war. Sie lehnte sich weit aus dem Fenster, bewegte sich in Gefilden, die sie nichts angingen. Er schwieg.

Und sie lächelte noch breiter. »Doch keine Angst. Warum Sie wirklich in Macau sind, ist mir völlig gleichgültig«, versicherte sie. »Mein Job ist die Information, nicht mehr.«

»Werden Sie in der Stadt bleiben?«

»Weder in der Stadt noch im Land. Wenn ich das Pod zerstört habe, betrete ich als Erstes ein Flugzeug und lasse das Land weit hinter mir.« Sie trat näher, strich ihm wieder über die Wange. »Denn vergessen Sie nicht: Mein Job ist es, stets gut informiert zu sein. Außerdem überlebe ich gerne.«

Widerwillig musste sich der General eingestehen, dass sie es perfekt eingefädelt hatte. Offenbar wusste sie sehr genau Bescheid, warum sich Bai Jun wirklich in Macau aufhielt. Offiziell erholte er sich in der Stadt und spielte zum reinen Vergnügen bereits die ganze Nacht durch; tatsächlich war ihm eine Aufgabe von höchster Wichtigkeit anvertraut worden. Er würde von hier aus vorbereiten, Taiwan heimzuholen. Dazu hatte er schon lange ein Netz gesponnen, heimlich und im Untergrund, und nun würde ihm in wenigen Stunden ein Anruf dieser Frau das entscheidende Puzzlestück zuspielen.

Er packte ihre Hand, grober, als es nötig gewesen wäre. Einen Augenblick lang drückte er zu, dann hauchte er einen Kuss darauf.

Ihre Miene blieb unbewegt. »Ganz der Gentleman.«

»Sie wenden ausgerechnet einen englischen Begriff auf mich an?« Bai Jun lachte spöttisch. »Sollte ich Sie so sehr überschätzt haben?«

Sie zog die Hand zurück. »Bis bald«, sagte sie, wandte sich um und öffnete die Tür des Separees. Offenbar hielt sie es nicht für nötig, ein weiteres Mal die Sprache auf ihre Bezahlung zu bringen.

Das war es auch tatsächlich nicht. Bai Jun schaute auf die Uhr; weil er keine gegenteiligen Anweisungen gegeben hatte, war das Geld schon seit exakt drei Minuten unterwegs.

Er folgte ihr in die öffentlichen Bereiche des Kasinos. Als er die Tür von außen schloss, wurde ihm sekundengenau die Benutzungsgebühr von seinem hauseigenen Kredit abgezogen. Das spielte keine Rolle; er hatte in den letzten Stunden mehrere Zehntausend gewonnen.

Zurück am Spieltisch, wechselte er einen raschen Blick mit seinem Adjutanten He Jian-Dong. Dieser zog kaum merklich die linke Augenbraue hoch, scheinbar nur ein Spieler wie alle anderen auch. Keiner wusste, dass sie zusammengehörten.

»Die Vier«, vermeldete der Croupier in diesem Augenblick. »Und die Acht. Gefolgt von der Fünfzehn.«

Drei Zahlen waren bekannt, den Regeln des Trade-Spiels zufolge konnten nun die neuen Einsätze erfolgen. He Jian-Dong hatte alles vorbereitet und gab dem General das verabredete Zeichen.

Ein Raunen machte sich breit, als Bai Jun einen Chip im Wert von dreißigtausend Einheiten auf das Feld mit der Sechzehn legte.

»Aber ...«, begann der Croupier.

»Zieht die Bank einen Rückzug in Erwägung?«, fragte der General und setzte weitere Zehntausend auf die Dreiundzwanzig.

Der macanesische Spielleiter zögerte keine Sekunde lang. »Selbstverständlich nicht.«

He Jian-Dong warf Tausend auf die Zweiundvierzig. Die Einsätze der übrigen Spieler beachtete Bai Jun nicht. Ihr Beobachtungs- und Täuschungsspiel war zu perfekt; sein Adjutant und er waren seit Jahren aufeinander eingespielt. Noch kein Kasino hatte ihnen einen Betrug nachweisen können.

Alle offenbarten ihre Karten.

»Sechzehn«, kombinierte der Croupier. »Dreiundzwanzig.« Sein Gesicht wurde etwas bleicher. Das Haus verlor soeben ein Vermögen. »Und Zweiundvierzig.«

He Jian-Dong lachte, als habe er das Ergebnis nicht schon im Vorfeld genau gekannt.

Die beiden Gewinner nahmen hohe Wertchips entgegen.

»Sie sind ein noch glücklicherer Sieger als ich«, sprach He Jian-Dong ihn wie einen Fremden an.

Bai Jun stutzte. Eine Kontaktaufnahme vor Verlassen des Kasinos war in höchstem Maß ungewöhnlich. He Jian-Dong war allerdings ein fähiger Soldat und Mitarbeiter; er musste einen guten Grund für sein ungebührliches Verhalten haben. »Nur das Risiko bringt den Sieg«, sagte er deshalb.

Sein Adjutant verneigte sich leicht und steckte ihm eine Nachricht zu. Der General las die beiden Worte auf dem Zettel. Kasino verlassen.

Schon ging He Jian-Dong scheinbar hochzufrieden mit dem Verlauf des Spiels zur Kasse, um seinen Gewinn in Bargeld zu wechseln.

Der General wartete eine angemessene Zeitspanne ab, nahm Glückwünsche entgegen, verabschiedete sich höflich und folgte dann seinem Adjutanten. Etwas Wichtiges musste geschehen sein, und das wenige Minuten vor Abschluss dieses entscheidenden Teils der Mission. Er warf einen Blick auf die Uhr über dem Ausgang. Das Geld musste jeden Augenblick auf dem Konto seiner Informantin eingehen, und zweifellos beobachtete sie den Stand ihrer Finanzen genau. Also würde sie sich in Kürze über das Pod bei ihm melden.

Bai Jun löste seinen Gewinn ein, nahm zehn Prozent davon in bar entgegen und reichte es dem Bediensteten, der dieses überaus großzügige Trinkgeld mit Erstaunen anstarrte. Den Rest ließ er auf sein Konto in der neutralen Finanzenklave Japan transferieren.

Vor dem Gebäude wartete He Jian-Dong auf einem Steg auf ihn, der weit in die Bucht reichte. Das hufeisenförmig gebogene Kasino warf einen dunklen Schatten auf das Wasser.