Persönliche Liebe; globalisiertes Leid - S. Asef Hossaini - E-Book

Persönliche Liebe; globalisiertes Leid E-Book

S. Asef Hossaini

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Beschreibung

Persönliche Liebe; globalisiertes Leid In unserer globalisierten Welt, gibt es nichts mehr globalisierteres als unsere Emotionen, die geboren werden, aufwachsen, beeinflusst und gebrochen, und umgeformt werden. Unsere Emotionen können sich grenzenlos bewegen, von einem Ozean zum nächsten. In einem intensiven Schreibakt, erzählt diese Kurzgeschichte von einem Mann mit Migrationshintergrund, der es versucht, Teile einer gebrochenen Liebe zusammenzubringen vor dem Hintergrund der Wirren globaler Probleme wie Krieg, Migration, Sittlichkeit, westliche Werte usw., all jene Elemente, die sein persönliches Leben und seine Emotionen direkt beeinflusst haben.

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Seitenzahl: 93

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Persönliche Liebe; globalisiertes Leid

S. Asef Hossaini

Die deutsche Fassung dieses Werkes ist mit Unterstützung des deutschen Übersetzerfonds Berlin entstanden.

Impressum

© 2022 S. Asef Hossaini

Layout und Satz: S. Asef Hossaini

Herausgeber, Verlag:

Herbert Schnalzer, Lifebiz20 Verlag

Frösau 17, A-8261 Sinabelkirchen

www.lifebiz20.academy/verlag

Grafische Qualitätskontrolle:

Markus Ponhold

www.grafik20.at

ISBN Taschenbuch: 978-3-9505197-0-9

ISBN E-Book: 978-3-9505197-1-6

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Manche Menschen sind so gut, dass man in der Erinnerung an sie lebt und lächelt, wenngleich man sie vermisst.

Über dem Wohl und Übel steht ein Feld. Auf diesem werden wir uns wiedersehen.1

A tribute to beauty and wisdom

1

Sie lag auf dem Bett wie eine Wüste, über deren weichen Sand der Wind weht; sanfte, geschwungene Kurven. Ihr Kinn hatte sie auf ihre Hand gestützt. Sie sagte: „Weißt du, dass in dir vier Tiere stecken?“ Ich fragte: „Was soll das heißen?” Sie antwortete: „Gestern habe ich mit Hayat darüber gesprochen, welchen Tieren unser Charakter ähnelt.“

Sie drehte sich zur Seite. „Hayat zum Beispiel ist eine Eule.“ „Wegen ihrer Brille?“, fragte ich. Sie lachte laut auf. Dabei hatte ich es ernst gemeint: Ihre schlanke Freundin Hayat aus Marokko trug kreisrunde Brillengläser. „Nein, nein!“, sagte sie. „Ich sag‘ das deswegen, weil Eulen weise sind und alles wissen.“

Ich setzte mich zu ihr aufs Bett und begann, ihren Bauch und ihre Brüste mit den Fingerspitzen zu streicheln, wie eine sanfte Morgenbrise den Sand. „Aber du“, sagte sie, „du bist vier Tiere in einem. Als allererstes bist du eine Schildkröte.“

-Warum denn eine Schildkröte?

-Weil du den Kopf einziehst, wenn du traurig bist oder Probleme hast. Du kommst dann einfach nicht mehr heraus und bittest niemanden um Hilfe. Und solange dein Problem nicht gelöst ist, redest du auch nicht mehr.

Sie hatte recht. Ich hatte in meinem Leben noch nie jemanden um Hilfe gebeten. Selbst wenn ich irgendwo in der Fremde eine Adresse nicht finde, verlaufe ich mich lieber und irre solange umher, bis ich sie finde, als dass ich jemanden frage. Frauen mögen das nicht. Sie glauben, ich hätte nicht das Selbstbewusstsein, andere um Hilfe zu bitten. Ich sehe das genau umgekehrt: Wer ständig andere fragt, kann nur ein Schwachkopf sein.

Sie ergriff meine Hand, die auf ihrer Brust zu ruhen gekommen war, und führte sie langsam über ihre nackte Haut. „Du bist auch wie ein Adler, der durch die Lüfte fliegt und alles von ganz weit oben betrachtet. Die meisten Menschen sehen nur einen Ausschnitt, aber du hast den Überblick.“

Ich liebte es, wenn sie die Menschen so sezierte. Wie verdammt gut sie darin war, hatte ich gemerkt, als sie mir den Film „Caché“ auseinandergelegt hatte.

-Weißt du, was als nächstes kommt? Ein Vogel, den du magst: die Amsel!

Diesmal musste ich lachen: „Ernsthaft? Und wieso?“

-Du tust immer so geheimnisvoll. Deine Augen, deine Blicke, dein Verhalten ... da bleibt immer ein Rest, den man nicht versteht.

Sie meinte das nicht als Lob. So etwas hatten mir schon andere nachgesagt und es als Vorwurf, als charakterlichen Mangel gemeint. Ich hatte dann immer versucht zu erklären, dass ich nichts verstecke, sondern ganz im Gegenteil viel transparenter als andere Männer bin.

Meine Finger strichen wieder über die Höhen und Tiefen der weiten Ebene, die vor mir lag, als sie plötzlich nach meiner Hand griff, mir tief in die Augen schaute und sagte: „Weißt du, welches das vierte Tier ist?“

-Nein.

-Ein Stier, sagte sie auf Deutsch.

-Ein was?

Ich wollte das Wort im Handy nachschlagen, aber sie legte sich die Hände mit ausgestreckten Zeigefingern an die Stirn und ich verstand. „Du bist ein spanischer Kampfstier!“ Dann sprang sie auf und stieß mich rücklings aufs Bett. Sie setzte nach, jetzt ganz Torera, und ließ ihr Gewicht auf meine Oberschenkel sinken. Ihre dunkelbraunen Haare waren ihr ins Gesicht gerutscht und verdeckten ihr eines Auge. „Das kann aber nur wissen, wer mit dir ins Bett gegangen ist“, lachte sie.

Mit einem Mal war sie zur Löwin geworden, genau das, was ich jetzt brauchte: eine wilde Löwin. Sie beugte sich über mich, ließ mir ihre Haare ins Gesicht und über den Hals fallen und versenkte ihre Zähne in meinem Bizeps.

1 Somewhere beyond the right and wrong, there is spacious garden. We will meet us there. Rumi (Jalaludin Balkhi)

2

Es war noch dunkel. Der Zug fuhr unaufhaltsam ins Büro. Ich hatte gleich am dritten Tag erkannt, dass das kein Ort für mich war, aber inzwischen arbeitete ich schon im fünften Jahr hier und schlug mich mit den Leuten herum.

Wie immer am Wochenende war ich auch diesmal leise neben ihr aufgestanden, hatte geduscht und mich angezogen. Als ich los musste, hatte ich behutsam ihr Gesicht geküsst, sie hatte die Augen geöffnet und mit einem sanften Lächeln geflüstert: „Ich wünsch‘ dir einen schönen Tag.“ Dann hatte sie mich zärtlich geküsst.

Der Zug ratterte vor sich hin und schluckte an jeder Haltestelle ein oder zwei weitere Betrunkene. Anscheinend waren der Lokführer und ich die einzigen, die an diesem Morgen nicht betrunken waren. Ein Typ schrie so laut, dass ich zusammenfuhr, dann fläzte er sich auf einen der Sitze und fing bald an, laut zu schnarchen. Manchmal denke ich: Wir sind im Paradies der Säufer und der Hunde. Säufer und Hunde können sich hier alles erlauben und kein Schwein interessiert‘s. Noch wenn sie ausfällig werden und randalieren, darf niemand grob mit ihnen umspringen.

.

In Kabul waren zwei Bomben nacheinander explodiert und die Zahl der Todesopfer stieg und stieg. Die zweite Bombe war hochgegangen, als die Leute nach der ersten Explosion zusammengeströmt waren, um den Verletzten zu helfen. Am Abend zuvor war andernorts im Land eine Gruppe Armeesoldaten getötet worden.

Solche Nachrichten sagten uns nicht mehr viel, weil wir weder etwas über die Selbstmordattentäter noch über die getöteten Soldaten wussten. Die Behörden verbreiteten ihr Kommuniqué und nannten Details und Zahlen, die wir veröffentlichten, die uns aber nicht interessierten.

.

Als ich abends nach Hause kam, war sie weg. Am Wochenende musste sie immer Freunde und Familie treffen. Auf dem Tisch lag ein roter Zettel, ausgeschnitten als Herz, auf dem auf Deutsch dick stand: „Ich denke an dich.“

3

Draußen tropfte und plätscherte es. Ein Abend im Herbst ist erst dann ein Herbstabend, wenn es auch regnet. Draußen blieb ab und zu ein Passant vor dem Café stehen, schaute auf das Schild und ging mit einem Lächeln weiter. Manche zogen blitzschnell ihre Handys, wie Cowboys ihre Pistolen, machten ein Foto und gingen weiter. Auf das Schild hatte jemand geschrieben: „Warum hat der Hipster sich an seinem Kaffee verbrannt? Weil er ihn getrunken hat, bevor er cool war.“

Der Witz war ziemlich flach, aber Flachwitze waren gerade in Mode. Wer keine flachen Sprüche brachte, war nicht cool und wer nicht cool war, war ein Spießer.

Luna hatte wie immer einen Latte bestellt und ich einen Cappuccino. Ich hatte nie verstanden, was eigentlich der Unterschied ist. Ich glaube, beim einen schüttet man erst die Milch ins Glas, dann den Kaffee, und beim anderen erst den Kaffee, dann die Milch. Und wenn man einmal umrührt, ist das Ergebnis dasselbe. Aber immer, wenn ich das sagte, erwiderte Luna: „Nein, das stimmt nicht. Eine Latte macht man, indem man ...“

Sie hatte ein paar Monate in einem Eiscafé gearbeitet. Als wir uns gerade kennengelernt hatten und uns jede Woche trafen, zeigte sie mir einmal ihre Hand, die sie sich bei der Arbeit verbrannt hatte. Mich beschäftigte das mehrere Tage: Warum musste ausgerechnet so eine schöne Hand sich verbrennen?! Ein beliebiges Körperteil von jemandem wie mir; okay, davon geht die Welt nicht unter. Aber ihre Hand?! Mit diesen langen, schlanken Fingern ... !

Ich war in alles an ihr verliebt. Beim Menschen regen sich die Hände erst spät. Man muss schon sehr mit einem Menschen vertraut sein, ehe sie beginnen ihn zu streicheln. Aber Hände haben eine tiefere Ehrlichkeit als Augen. Ich habe tausend Augen lügen sehen, aber nie eine Hand! Es ist, als hätten unsere Hände Zugang zur Seele. Neugeborene greifen mit geschlossenen Augen nach der Hand der Mutter. Seit wir einmal mit dem Zug durch Blumenfelder irgendwo in Westeuropa gerollt und unsere Finger wie Schwäne durch die Lüfte geschwebt waren, glaube ich sogar, dass unsere Fingerspitzen einen direkten Draht zum Herzen haben. Damals umschmeichelten sich unsere Finger, verschränkten sich ineinander, bis sie wie ein sanfter Südwind über die nackte Haut strichen.

Ich starrte durchs Fenster auf die Leute, die Fotos von dem lächerlichen Satz machten. Sie streckte ihre Hand nach meiner aus, mit der ich die Tasse hielt, und legte sie darauf. Sie war es nicht gewohnt, hohle Phrasen von sich zu geben wie „Alles wird gut, sei nicht traurig.“ Sie streckte nur ihre Hand aus, schaute mir tief in die Augen und lächelte. Wir konnten uns ohne Worte viel mehr sagen.

4

Warum sieht man die traurigsten Dinge immer dann, wenn es einem selbst nicht gut geht? Luna meinte, das sei ein typisches Merkmal von Depression; dass man Negatives anzieht wie ein Magnet. Sie sagte „wie ein Magnet“, streckte dabei ihre Hände von sich und öffnete und schloss die Finger.

Es war mal wieder ein trister Samstag. Den Talibankämpfern hatte man anscheinend gesagt, sie sollen sich freitags ordentlich ausruhen, um dann am Samstagmorgen genau um halb acht, wenn die Leute zur Arbeit gingen, zuzuschlagen und sich in die Luft zu sprengen. In der Redaktion stritten wir um die richtige Formulierung. Ich war dafür, zu schreiben: „Sie haben sich selbst in die Luft gesprengt“; die anderen meinten, man schreibe besser, sie hätten „ihre Bomben explodieren lassen“. Ich fand, wenn man ein Selbstmordattentat begeht, ist man selbst Teil der Bombe.

In Jalalabad, Kabul und Tachar waren mehrere Hundert Menschen getötet worden, darunter 24 Soldaten, die ein eingeschleuster Talib mit Schlafmitteln im Essen betäubt und anschließend ermordet hatte.

Wir schrieben nur die Zahlen auf und korrigierten sie, je nach Nachrichtenlage, nach oben oder unten.

Auf dem Weg nach Hause blieb unser Zug an einem Provinzbahnhof stehen, doch die Türen blieben verschlossen. Wir durften nicht aussteigen und folglich konnte ich auch nicht mit dem Taxi nach Hause fahren. Anscheinend war das irgendwo angekündigt worden, aber ich hatte nichts mitbekommen. Grund war eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg, die entschärft oder gesprengt werden sollte.

Draußen auf dem Bahnsteig stand eine ältere Dame in einem eleganten cremefarbenen Mantel mit blassem Karomuster, die ihrem Mann den Mantel zuknöpfte. Ihre Hände zitterten und es dauerte eine Weile, ehe sie alle Knöpfe zu bekam.

Die Frau raffte auch noch seinen Schal zurecht, dann hakte sich der Mann, der in der linken Hand einen Gehstock hielt, bei ihr unter und sie setzten sich langsam in Bewegung, genau wie früher, wenn sie ins Konzerthaus gegangen waren, mit dem einzigen Unterschied, dass es damals sie gewesen war, die sich in ihrer Abendrobe bei ihm untergehakt hatte.