Pieter Bruegel d.Ä. "Der Sturz der Blinden" 1568 - Volker Ritters - E-Book

Pieter Bruegel d.Ä. "Der Sturz der Blinden" 1568 E-Book

Volker Ritters

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Beschreibung

"Der Sturz der Blinden" wurde als eine moralisierende Warnung vor Blindheit gegenüber dem "wahren"Glauben" gedeutet. Tatsächlich demonstriert der Niedergang der Blinden das schreckliche Ende der Stürzenden, ‒ jedoch gibt es noch eine Hilfe und Rettung in der dem Bild unterlegten "rituellen Verborgenen Geometrie": In ihr wird der altägyptische/ urreligiöse und buddhistisch zu deutende Einweihungsweg des (religiös-geistlich) Suchenden als ein Umkehrweg geometrisch beschrieben, der aus eben dem "Fall ins Weltverhaftete" herausführt durch Aufrichtung und Erhebung, so dass die Hoffnung auf ein Leben im Licht erfüllt wird und eine distanzierte, geistige Betrachtung eingeübt wird zur Sicht auf das Ewige, das (auch nach Plato) von der Sonne (des Geistes) beschienen wird. Nicht das Alltägliche des Daseins (das altägyptisch noch dem Unbewussten zugeordnet wird), sondern das Wesentliche des Herkommens (vom "Himmel") und des Hingehens in ihn wird in der zugrunde liegenden Struktur des Seins geometrisch beschrieben in der Sprache der Verborgenen Geometrie, welche die "Königliche Kunst" der Wandlung des Menschen zum Inhalt hat. Es werden fünf "Blindenstürze" von oder nach Bruegel d. Ä. beschrieben und offenbaren/ öffnen derart eine neu entdeckte Literatur der Einweihungswege.

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FÜR SUCHENDE IM BEREICH DER URRELIGIÖSEN EINWEIHUNG,

DIE HEUTIGENTAGS IN ANKLÄNGEN IM NÖRDLICHEN MAHAYANA

BUDDHISMUS UND IM FREIMAURER-ORDEN DES

SCHWEDISCHEN SYSTEMS AUFFINDBAR IST

PIETER BRUEGEL d. Ä.

(um 1525/1530–1569)

mit den weiteren Kunstbild-Analysen:

Pieter Bruegel d.Ä..,"Der Sturz der Blinden" (nach "Witthoeft", vor/ um 1568)

unbekannter Nachahmer, "Der Sturz der Blinden" (nach "Christie's")

unbekannter Nachahmer, "Der Sturz der Blinden" (nach "Enschede")

Herausgeber: I. C. II. Visscher: "Der Sturz der Blinden" (1643)

und mit:

Anmerkungen, Literatur-Verweise, Literatur-Verzeichnis,

Definitionen, Einführung in die "rituelle Verborgene Geometrie", Verzeichnis

der Abkürzungen, Register der Begriffe und Namen, Bildnachweise,

Verzeichnis der Bucherscheinungen des Autors, Biographie.

[Abb. 1] Zeichnung (mit Hell-dunkel-Werten) nach: "Der Blindensturz" (auch: "Das Gleichnis von den Blinden"), 1568, Tempera auf Leinwand, 85,5 x 154 cm, bez. u. 1.: BRVEGEL M.D.LX.VIII, Neapel, Museo di Capodimonte, Inv. 84490. [s. Müller (2018), S. 297]

INHALTSANGABE:

ANHANG

A1 ANMERKUNGEN

A 2 LITERATUR-VERWEISE

A3 LITERATURVERZEICHNIS

A 4 DEFINITIONEN

A 5 REGISTER

A 6 EINFÜHRUNG IN DIE VERBORGENE GEOMETRIE

A 7 ABKÜRZUNGEN

A 8 BILDNACHWEIS

A 9 VERZEICHNIS DER BUCHERSCHEINUNGEN ZUR VERBORGENEN GEOMETRIE

A 10 ZUR BIOGRAPHIE DES AUTORS

A 11 WÜNSCHE/ DESIDERATA

A 12 AUSBLICK

1. VORWORT

[Abb. 1, 2] Pieter Bruegels d.Ä. Bild "Das Gleichnis von den Blinden" stelle das "Gleichniswort Christi dar: >Wenn aber ein Blinder einen Blinden führt, so fallen beide in die Grube< (Matthäus 15, 14)".[1]

[Abb. 1]Zeichnung (mit Hell-dunkel-Werten) nach: "Der Blindensturz" (auch: "Das Gleichnis von den Blinden"), 1568, Tempera auf Leinwand, 85,5 x 154 cm, bez. u. l.; BRVEGEL M.D.LX.VIII, Neapel, Museo di Capodimonte, Inv. 84490. [s. Müller (2018), S. 297]

[Abb. 3]Das Gleichnis stellt einen Vergleich unter Gleichem (unter nichtidentischem Ähnlichen, hier von A und B) mit Übereinstimmung in zumindest einem Bereich oder Bezug (hier bei C) dar. Im Lexikon ist zu lesen: "Gleichnis, der poetisch ausgestaltete Vergleich des gemeinten Sachverhalts mit einem prägnanten Bild, das aus einem ganz anderen Lebensbereich stammt und nur in einem Punkt (Tertium Comparationis) sich mit dem Sachverhalt berührt."[2]

Dieser Vergleichsbereich (C) als ein Oberbegriff (im Überschneidungs-Bereich zweier Ungleicher, hier A und B), hier im Bereich des Sehens, ist seinerseits selbst als ein Tertium Comparationis (als ein Drittes für einen Vergleich von A und B) wieder in sich ungleich hinsichtlich von Arten oder Stufen unterschiedlichen Sehens (hier von a und b) als spezifischer Differenz in diesem Bereich des Oberbegriffs vom Sehen (C), womit das im Unterschiedlichen Gemeinsame (C) noch einmal differenziert wird (nach a und b).

Das Gleichnis verbindet und vergleicht also unter etwa zwei ähnlichen Gleichen (A und B) beide in einer Hinsicht, bzw. in einem besonderen, prägnanten Bereich (C) unter Betonung einer Differenz (a und b) in diesem gemeinsamen Bereich (C), der also das Zusammengefasste noch einmal unterscheidet.

[Abb. 2]Umrisslinien-Zeichnung nach: "Der Blindenslurz"/ "Das Gleichnis von den Blinden", 1568, von Pieter Bruegel d. Ä., Tempera auf Leinwand, Neapel.

Kurz gesagt: Unterschiedliches Ähnliches (A und B) hat Gleiches (C) ("Oberbegriff") und dieses Gleiche (C) hat Unterschiedliches (a und b) ("spezifische Differenz").

Im vorliegenden Fall werden also zwei unterschiedliche Arten von Menschen (die im Bild zu sehenden physisch Blinden und andere Menschen, etwa die Bildbetrachter, die auf das Bild sehen) im Bereich des beiden gemeinsamen einen Bereiches des Sehens/ der Sehfähigkeit unterschieden in zwei Arten des Sehens, – wobei das Lehrhafte des Gleichnisses eine Art des im Bild dargestellten Sehens gegen eine davon unterschiedliche Art des Sehens stellt, die hier als belehrender Hinweis auf eine nicht im Bild dargestellte Art des Sehens anzunehmen ist, bzw. als eine andere Art eines hier vom Bildbetrachter anzunehmenden Sehens festzulegen/ zu benennen/ zu konkretisieren ist. Diese andere Art (innerhalb der speizifischen Differenz innerhalb des Bereiches des Sehens) ist nun im geforderten Gegensatz zu der Art des physisch Sehunfähigen (a) der physisch Sehfähige (b), oder, wenn ein anderer Gegensatz denkbar ist, der geistig oder spirituell Sehfähige (b).

Dieser Gegensatz innerhalb der "spezifischen Differenz (a, b) im Bereich des Oberbegriffs des Sehens (C)" ist hier nicht im Bild zu finden, sondern ist vom Bildbetrachter anzugeben, wenn er also im Bild ein Gleichnis (einen Vergleich nach den Regeln von "Ungleichen mit einem gemeinsamen Bereich eines Gleichen" und darin von "einer spezifischen Differenz") erkennen möchte, – wenn er also ein Gleichnis erkennen möchte – mit einem Gegensatz (b gegen a) im Bereich des Gemeinsamen (C).

Diese Möglichkeit eines mit einem erkannten Gleichnis gegebenen Vergleiches schafft also neben dem Bild mit seiner vorliegenden Darstellung der physisch Blinden ein zweites, inneres Bild, gemacht aus dem Ergebnis jenes Vergleiches, nämlich mit dem Nebeneinander von "Bild der Blinden" und "Bild des dem Betrachter möglichen physisch Sehenden" oder mit dem Nebeneinander von "Bild der Blinden" und "Bild des dem Betrachter möglichen geistig/ spirituell Sehenden".

Nach jener Struktur eines Gleichnisses (wenn es denn ein solches sein soll) stehen also mehrere andere innere Vergleichsbilder (nach verschiedenen spezifischen Differenzen) im Raum – im Sinne eines Gebrauchs der Begriffe im antonymischen Sinn, dass zu jedem Begriff sein Gegenteil mit gedacht und beachtet werden könne.

Da im Bildhintergrund eine Kirche dargestellt ist, kann nun (wenn man positiv zu dieser eingestellt ist) angenommen werden, dass eine spezifische Differenz zwischen den physisch Blinden und den spirituell (geistig im religiösen Sinn) Sehenden gemeint sei, was den Interpreten eben zu dieser philosophisch-religiösen (spirituellen) Interpretation (nach der Verborgenen Geometrie, sofern die "Kirche" nicht gegen diese stehe) verleiten mag.

Und falls das Bild von der Kirche nicht positiv sei (und womlöglich im Gegensatz zur "Kirche" stehe) kann auch zu diesem Kirchen-Bild ein anderes eigenes (als spezifischer Differenz) für prägnant und wichtig angenommen werden.

Wäre nicht das Wort von dem "Gleichnis von den Blinden"[3] gefallen, so hätte man die Bildbetrachtung beim Betrachten der physisch Blinden belassen können (wie es eben auch so häufig geschieht), was darauf schließen lässt, dass dann der Gleichnischarakter nicht gesehen wird, sondern eben ein Porträt von schicksalhaft erblindeten Menschen in ansonsten angenehmer Landschaft. Nun aber, da offensichtlich bei der Bildbetrachtung von diesem "Gleichnis" gesprochen wird, soll es auch im Vergleich zu anderen "spezifischen Differenzen zum physisch Sehunfähigen", eben in der Differenz zum (höchst möglich annehmbaren) "spirituellen Sehen" untersucht werden in einer Kunstbild-Analyse anhand der Methode der "rituellen verborgenen Geometrie".

Wenn sich das Motiv auf die Bibel bezieht, so ist anzunehmen, dass es sich hier um eine spirituelle Blindheit handele, die entsprechend in einen spirituellen Sumpf (in einen Leer-Raum des Vergessens) führe, in den hier auch die Drehleier mit hinein fällt. Und an diesem Musik-Instrument wird der gemeinte Sinn einer Blindheit deutlich, nämlich ein Erblinden für die Symbol-Bedeutung eines derartigen Saiteninstrumentes: ein Erblinden für die Wahrnehmung der "Dreieinigkeit", die im Saitenistrument symbolisch dargestellt wurde, "weil Holz, Saite und Finger zu dritt einen Ton erzeugen"[4] mit Bezug auf die Dreieinigkeit. Die hier dargestellten Blinden sind demnach "blind für die Dreieinigkeit", die im biblischen Sinn die "Dreieinigkeit Gottes/ des Demiurgen/ Jahves" sei. Sie befinden sich in einer Gottesferne und finden auf ihrem Weg nicht zu Ihm, denn sie suchen offenbar das ihnen abhanden Gekommene an einem ungeeigneten Ort in der Welt draußen und fallen hier ohne rechte Anleitung in das Wasser, nämlich in die Auflösung, ins Vergessen, ins Unbewusste. [5]

[Abb. 3]Skizze zum Vergleich zweier Ähnlicher mit einem übereinstimmenden Gemeinsamen (als Oberbegriff) und in diesem mit speziellen Unterschieden (als spezifischen Differenzen).

Im Bild ist kein Helfer zu sehen, kein Dorfbewohner schaut nach ihnen. Dafür scheint aber der Kunst-Maler dieses Kunst-Bildes eine Hilfe anbieten zu wollen, denn warum macht er die Nicht-Blinden (gemeint seien wohl die dafür gehaltenen geistig sehenden Kunstbildbetrachter) auf diese Blindheit und auf jene Hilflosigkeit aufmerksam (im Sinne der oben genannten "spezifischen Differenz b")? Wer fühlt sich zum aufklärenden Beistand gerufen?

Wahrscheinlich hat auch noch kein humanistisch eingestellter und zudem professioneller Bild-Deuter etwas zu einer auf Leidens-Ursachen bezogenen Rechtfertigung der Darstellung eines Sturzes und eines Scheiterns im Untergang unternommen, etwa durch ein Rückfragen nach dem Entstehen dieses Leidensweges, welchen ersten Grund dieser Leidensweg habe (s. den "Kreislauf der Notwendigkeit" [6]), – in der Annahme, dass in jedem Leben (und Leidensweg vorausgehend) ein besonderer Sinn, nämlich "daß allem Lebendigen Unsterbliches innewohne".[7]

Solange jenes Leid das Leben noch nicht im Wasser der Auflösung und des Vergehens beendet hat, besteht die Chance auf Wandlung und Entwicklung. Hat nicht Bruegel mit dem dargestellten Scheitern einen Widerspruch, eine helfende Reaktion, herausfordern wollen?

Tatsächlich hört der Kunstbild-Maler Pieter Bruegel d. Ä. nicht mit der Darstellung des Scheiterns auf, sondern er gibt weiter führend Hilfen für die Überwindung des "Scheiterns im Untergang" – noch während der fortdauernden Lebenszeit, bzw. noch im vorliegenden Bild mit seinem Handlungsraum und mit seiner Handlungszeit, erweitert durch die Möglichkeiten der Verborgenen Geometrie, also noch im vorliegenden "Kunstbild" mit seiner Sprache der Verborgenen Geometrie, nämlich mit der Sprache der Wandlung und Entwicklung.

[Abb. 4]Foto: Lilienbliiten, mit je 3 und 3 Blütenblättern in Gestalt des Hexagramms.

[Abb. 5]Zeichnung: Lilienblüte und verschiedene Hexagramm-Figuren.

Abb. 4, 5, 6.] Pieter Bruegel d. Ä zeigt,

a) einmal bildgegenständlich vorstellbar, das "Heraussteigen aus der Grube des Untergehens" mit der Darstellung von "stürzender Dreieinigkeit (der Drehleier) ins auflösende Wasser des Unbewussten" durch seine weitere Darstellung einer möglichen "Rückkehr zur himmlisch-irdischen Ganzheit des Menschen", angedeutet durch die "Lilienblüte (Hexagramm mit seiner Oben-unten-Beziehung) und durch den abgespreizten Daumen des am rechten Bildrand gestürzten Blinden (als Wegweiser zur oberen Dreiheit)", – als eine neue Sichtweise auf den ganzen, den Himmel und Erde verbindenden Menschen, mit einer neuen Nähe zum Himmel mit einer neu gelernten/ gekannten Bedeutung der Dreieinigkeit, z. B. in philosophischer Sicht nach einer Überwindung der Vielheit in einer umfassenderen Vereinigung zu sehen.

Pieter Bruegel d.Ä. stellt in seinem Bild "Der Sturz der Blinden" (in Neapel) neben den allegorisch als Veranschaulichung vermittelten physischen Sturz (organisch) erblindeter Menschen – den hinter dem anschaulich vorgezeigten Versagen gemeinten geistigen Sturz (nicht mehr geistig "geometrisch-abstrakt/ symbolisch" sehender Menschen), wobei er dem Bildbetrachter kleine Hinweise auf den Zusammenghang von "Sturz und Aufrichtung" gibt durch eine bildgegenständlich vermittelte Hoffnung auf Wandlung zum Geistigen hin: Die Lilie über dem Kopf des Gestürzten verweist mit ihren drei und drei Blütenblättern auf das Hexagramm, das auf eine Unten-Oben-Beziehung (zwischen Erde und Himmel, bzw. zwischen Himmel und Erde) verweist [s. Abb. 4, 5].

[s. Abb. 6] Ebenso deutet die linke Hand des Gestürzten mit dem abgespreizten Daumen auf die "Überwindung der Vier/ der Materie" (der vier Finger neben dem Daumen) und (mit der nach oben weisenden Daumenspitze) auf einen neuen Bezug zu der oberhalb der Vier stehenden himmlischen Dreiheit hin (die, wie beim Hexagramm, der nach unten zum Irdischen weisenden Dreiecksfigur, bzw. der Figur der mit den vier Fingern bedeuteten irdischen Vierzahl, diesen vier Fingern gegenüber steht).

Diese "geistigen Andeutungen" im Moment des Verlustes geistiger Gehalte (hier der Drei/ Dreieinigkeit/ Drehleier) geben dem Betrachter den Hinweis auf die Aufgabe eines geistigen Rückholens verlorener spiritueller Inhalte [8], welches als Hinweis dem (noch) geistig Sehenden (dem Kunstbild-Betrachter) aufgegeben ist.

[Abb. 7, 8] Der noch geistig Sehende kann noch hinter die Mannigfaltigkeit des Erscheinenden (z. B. hinter das Prinzip "Allein den Augen") schauen und dort nach "zugrundeliegenden Beziehungen" suchen, etwa eben im "kausalen Denken" [s.o. Abb. 6] nach dem Grund für das Geschaffensein der Blumen (oder auch für mein Geschaffensein), nach einem vorbefindlichen "Schöpfer", bzw. Ursprung.

[Abb. 9] Zu diesem Zweck eines geistigen Rückholens bietet Bruegel

b) zum anderen in der abstrakten Sprache der "rituellen verborgenen Geometrie" im Einweihungsweg den Weg zum Spirituellen durch (ehemals körperlich erlebte) Aktionen an, die ursprünglich körperlich vermittelte Erfahrungen vergegenwärtigen: die Dunkelheit, das Fallen, das Aufsteigen, den Abstand, den Richtungswechsel, die Höhe, ein Geführtwerden, einen Ruhepunkt, ein Lichtwerden. Die Wege in der Geometrie können derart früher erlebte Sinnbezüge neu wachrufen und in der geometrisch beziehungsreichen Sprache verinnerlichen, eben geistig neu verlebendigen.

Bruegel strebt damit ein Sich-Orientieren im (innerlich beziehungsreichen) geistigen Raum an als einer Auferstehung von den "geistig Toten" zu den "spirituell Lebenden". Die biblische Aussage "auferstanden von den Toten"[9] wird leicht als "Unmöglichkeit oder Zauberei" angesehen und nicht als Hinweis auf eine innere Wandlung einer Abkehr von dem eigenen innerlich-geistigen Totsein hin zum innerlichgeistigen Lebendigsein (im Sinne einer kirchenchristlich nicht so deutlich vermittelten

[Abb. 6]Zeichnung: Die sieben Prinzipien des Menschen nach Rudolf Steiner (1982), S. 105 – und nach Abhinyano (1994), S. 312 ff.

[Abb. 7, 8]Radierung, Strichätzung: "Allein den Augen" (18. Jahrhundert).

Botschaft einer wohl gemeinten "Auferstehung von den geistig Toten", verbunden mit einer geistigen geometrisch-symbolischen Sprache, ohne dem Gegensätzlichen/ Antinomischen der Wortsprache [10] unterliegen zu müssen (in der es zu jedem Wort dessen Gegensatz gibt, z. B. "Glück – Unglück, Freude – Ärger, Hoffnung – Ausweglosigkeit), ohne auch eine die Antinomien überbrückende Sicht anzubieten, etwa in den geometrisch vermittelten Figuren der Ganzheit (etwa von Fall gegenüber der Aufrichtung; von der Solarer Robe im Kosmos des Irdischen gegenüber dem umfassenden Universum).

Diese zweite Seite in Bruegels dargestelltem "Sinnspruch, nun gesehen als einer Verbildlichung geistiger Beziehungen/ Zustände" (eines Verlustes in der geistigen Dimension des Menschen und zugleich einer Erinnerung an seine innere Beziehungsfähigkeit) zeigt und bearbeitet er in der ungegenständlichen Sprache der verborgenen Geometrie, eben sprachlich angemessen (fern des Gegensätzlichen des dem antinomischen Wort gleichen Bildgegenständlichen) in der geistigen Weise des geometrischen Transzendierens hin zu gegenstandslosen und gegensatzlosen Setzungen (etwa von "Tempel, magischem Dreieck, Umkehrweg, Schwingungsfigur, Kubus, Robe, Paar zweier Kosmen, Universum"). Dabei ergibt sich, dass es keine Aletrnative, bzw. keinen Gegensatz gibt, etwa zum "Magischen Dreieck mit Gottes Wort in ihm, in M" oder zur "Figur beider Kosmen" oder zur "Figur einer einstrahlenden Schwingung").

Die einzige Schwierigkeit ist dabei nur, dass der Kunstbild-Interpret diese Sprache der "rituellen verborgenen Geometrie" kennen muss, um in ihre Aussageweise einzudringen. Heutigentags ist diese verborgene Sprache verloren gegangen (seit Philipp Otto Runge/ um 1810) – und sie ist nun wieder gefunden, so dass mit ihr jene verlorenen Inhalte gefunden werden (z. B. wie man aus der ungeistigen Grube des Vergessens geistig wieder heraus kommt – indem man eben in eine andere/ ungegenständliche und nicht antinomische Sprache (die mit jedem Wort zwingend sein Gegenteil oder Gegensatz mit bedeutet) der Verborgenen Geometrie wechselt, die gegenstandslose und nicht zwingend gegensätzliche Inhalte beachtet und dabei den rückwärtigen Blick im "kausalen Denken" nicht versäumt, z.B. "dem Fall ist ein Verlust voraus gegangen" oder "der Suche ist eine Idee voraus gegangen" (so dass man nicht sagt: "Wenn er fällt ist er eben am Ende").

Nach dem Sturz in die Tiefe (verborgen-geometrisch gesagt als etwa "P3-P4") folgt (nicht zwingend) der Aufstieg zur Höhe (verborgen-geometrisch gesagt als etwa "P4-P5"). C. G. Jung sagt: "Der Abstieg in die Tiefe scheint dem Aufstieg immer voran zu gehen.."[11] Beide Teile hat Bruegel dargestellt: gegenständlich erkennbar (den körperlichen Sturz) und verborgen geometrisch erkennbar (den geometrischen Weg abwärts und aufwärts). Diesen ersten Teil (etwa des körperlichen Sturzes) beachtet der Bildbetrachter, den zweiten Teil (einer geometrischen Figur von Sturz und Aufstieg) untersucht der Kunstbild-Betrachter (wenn er denn einer ist). Es besteht die Hoffnung, dass man eines Tages auch die Kunst-Bild-Betrachtung (mit ihren Implikationen der Achtsamkeit im eigenen Inneseins eigener Entwicklungen [s.o. das (erlebte, figurativ notierte, erinnerte) "geometrische Transzendieren"] erfahren und erlernen können möge, um sich in der (zum Teil verlorenen und derart nicht mehr ganz eigenen) "abendländischen Kultur" neuerlich angemessen auszukennen.

[Abb. 9]Zeichnung: Der Einweihungsweg mit den Stationen P1 bis P9, mit zweimaligem "Fall/ Sturz" (nach P2 und nach P4) und mit dem altägyptischen "Djed-Pfeiler/ Djed-Baum".

(Dem Erstleser folgender Ausführungen über die "rituelle verborgene Geometrie" wird empfohlen, zunächst im Anhang "A6" die "Einführung in die Verborgene Geometrie" zu lesen.)

Marijnissen schreibt: "Das Gleichniswort Christi: >Wenn aber ein Blinder einen Blinden führt, so fallen beide in die Grube< (Matthäus 15, 14) war allegemein bekannt."[12] Und es sagt jener Heiland Jesus Christus (nach jenem Bibel-Zitat) nicht, wie man aus der Grube wieder heraus kommt, dafür aber war jene einseitige Redewendung wenigstens vielen bekannt, so dass sie sich daran gewöhnen konnten, geistige Probleme (hier hinsichtlich von Wandlung und Entwicklung) nicht als wahrzunehmende und ebenso wenig als zu lösende Probleme anzusehen (mit der Folge, diese zu übergehen [13]).

Diesen Umstand haben auch andere erkannt, so ist zu lesen: "Obwohl das einfache Volk eingestandenermaßen die esoterische Lehre Christi, den asketischen Weg der Loslösung des Geistes von der materiellen Welt nicht verstehen konnte, versuchte man über Mittelsmänner, die Priester nämlich, dem Volk einen verdünnten Trank der christlichen Weisheit einzuflößen. [...] Der Prozeß der Läuterung der Seele wurde stellvertretend von den geweihten Priestern fürs Volke vollzogen. [...] Der Stellvertretungsanspruch der [kirchen-] christlichen Priester hatte die üble Konsequenz, daß fast jedes Wissen um menschliche Erfahrungsprozesse im allgemeinen Bewußtsein verschüttet und das Volk dumm gehalten wurde."[14] C. G. Jung sagte hierzu: "Zu wenige haben es erfahren, daß die göttliche Gestalt innerstes Eigentum der eigenen Seele ist. Ein Christus ist ihnen nur außen begegnet, aber nie aus der eigenen Seele entgegengetreten."[15]

Eine Hilfe, die hier genannte Verengung (eines auf wenige Menschen beschränkten möglicherweise ihnen zugedachten überkommenen Weges zum Spirituellen hin zu überwinden) mag in dem von Pieter Bruegel d. Ä. vorgezeichneten Weg der "rituellen verborgenen Geometrie" liegen, die sich auf die urreligiöse, noch heute im nördlichen Mahayana-Buddhismus gepflegten Einweihungswege stützt, wobei der Einweihungsweg selbst auf altägyptische Wurzeln zurück reicht [16] auf die sich auch die Freimaurer-Lehre stützt: O. Zuber schreibt:"In der heutigen Freimaurerei haben sich vier Ströme vereint, die auf die eine oder andere Weise in den Ritualen Ausdruck finden. Es sind dies alte Mysterien – die ägyptischen und die griechischen –, die alten Dombauütten, die Steinmetzzünfte mit ihren Zunftlegenden und die Aufklärung."[17] Siehe hierzu auch von Noorden.[18]

Wenn auch der zweite Teil des Weges der Blinden (nach ihrem Sturz) sich im Kunstbild in der abstrakten Sprache der Verborgenen Geometrie vollzieht, so bleibt dennoch auch dieser im Kunstbild angelegte Weg offen für den interessierten Suchenden, um die gestörte Beziehung zwischen dem Irdischen (einer dominanten Erdverbundenheit) und dem Himmlischen (einer ins gegenstandslose und gegensatzlose Transzendieren übergehenden Sprache) im Menschen (mit seiner gegenwärtigen anscheinend dominanten Seins-Vergessenheit, einer Vergessenheit seines Grundes, seiner himmlischen Herkunft) wieder herzustellen:

Der Mensch ohne geistige Bezüge lebt sein Dasein als diesseitig-weltliche Kreatur, in Seinsvergessenheit; – dagegen lebt der Mensch mit geistigen Bezügen (zu Herkunft und Ziel, zu Wandlung und Transzendenz) als Suchender (im buddhistischen Sinn) auf seinem Weg zu seiner "Heimat", zur himmlische Allseele des Meta-Geistes Atma [19] im Sein einer zwischen Himmel und Erde sich befindenden Kreatur. Anthropologisch besteht der bedeutsame Unterschied zwischen Sein und Dasein (mit Seinsvergessenheit) im Gegensatz einerseits

einer Verankerung des Menschen im "Zugrundeliegenden"

(einer transzendenten/ überschreitenden Existenz zwischen Erde und Himmel) und andererseits

einer Verankerung des Menschen im "Hinzutretenden"

(einer allein diesseitige/ zeitlichvergängliche Merkmale betreffenden Existenz).

[Abb. 10, 11] Jan Luyken (Amsterdam 1649-1712 ebenda) hat diesen Unterschied zwischen dominanter Weltverhaftung (mit seiner Verankerung im "Hinzutretenden") einerseits – und andererseits eines das dominant Weltliche transzendierenden Menschen in seinen Illustrationen (die in ihrer Deutlichkeit zu Illuminationen werden), dargestellt.

Zunächst soll also (um Bruegels geistigen Weg aus dem "Sturz/ Fall" heraus zu führen durch das Gehen von verborgen-geometrischen Einweihungswegen das "geistige Sehen" auf diesen Wegen (in der geometrische Sprache dieser Wege) erkannt werden.

Die "Blinden" (von Pieter Bruegel d. Ä. von 1568), die im Bild fallen, werden im Bewusstsein des Kunstbild-Interpreten durch dessen Arbeit eines (in transzendierender geometrischer Sprache vollzogenen) inneren Gewahrwerdens von Wandlungen "sehend". Sie "fallen", um vom Interpreten über dessen eigenen Erkenntnisweg zu "aufgerichteten Sehenden" umgedeutet/ gewandelt zu werden. Bruegels "Blinde" zeigen (noch verborgen hinter der Bildebene des Bildgegenständlichen/ des "Hinzutretenden" angelegt) diese Wandlung zu "geistig Sehenden", – wohl ein tiefes Anliegen des bald (1569, möglicherweise bedingt durch Lungenentzündung oder Tuberkulose [20]) früh hinscheidenden Bruegel, der seine Botschaft hier (im Bild von Neapel) im monumentalen Kunst-Bild eindringlich darstellt.

Kurz gesagt: Wir sehen zwar, wie die Blinden in den Graben reinfallen, wir haben aber noch keine Vorstellung davon, wie sie (angesichts ihrer und angesichts unserer derzeitig bestehender spiritueller Sehschwäche) da wieder herauskommen werden.

Was das bildgegenständliche Malerwerk nicht zu zeigen in der Lage ist (hier etwa den Fortgang einer Handlung), – das kann das verborgen-geometrische Kunst-Malerwerk in der Kunst-Sprache der Verborgenen Geometrie leisten durch den geometrischen Einsatz von Wegen, Orten, fremden Eingriffen, neuen Befindlichkeiten, glückhaften Lösungen. Was die Malerei im Bild zu schildern beginnt, das kann (nach einer Pause der abstraktgeometrischen Analyse) die Kunstbild-Malerei mit ihren Ergebnissen einer vollzogenen und geglückten Wandlung abschließen. Das Kunstbild ist wie eine "Weitererzählung" eines zunächst begonnenen alltäglichen Bildes. Es zeigt nach einem bildgegenständlichen Handlungsstopp in einer Sackgasse (Aporie) nach einer verborgen-geometrischen Umkehr, einer Metanoia (Peripetie) einen verborgen-geometrisch erzielten, glückhaften Abschluss nach einer "Reinigung" (Katharsis).

[Abb. 10]Radierung, Strichätzung: "De onnoodige Vracht" (Die unnötige Fracht/ Last). In: Jan Luyken "De Onwaardige Wereld, vertoont in vyftig Zinnebeelden", Seite 140. By Antoni en Adrianus Schoonenburg, te Amsterdam 1749.

[Abb. 11]Radierung, Strichätzung "De Weg ten Hemel" (Der Weg zum Himmel). In: Jan Luyken: "De Onwaardige Wereld, vertoont in vyftig Zinnebeeiden", Seite 140. By Antoni en Adrianus Schoonenburg, te Amsterdam 1749, S. 66.

2. BIOGRAPHIE VON PIETER BRUEGEL d. Ä.

Folgende Biographie ist nach jenen von Grimme, Vöhringer [21] und Sellink [22] zusammen gestellt:

Um 1525/ 1530 wurde Pieter Bruegel d. Ä. (* um 1525/1530, † 1569 Brüssel) [Abb. 12] nahe Breda in einem Dorf namens Brueghel geboren, sein künstlerisches Vorbild war Hieronymus Bosch aus 'sHertogenbosch (*um 1450, † 1516 in 's-Hertogenbosch) [Abb. 13],

um 1545-1550 war er vermutlich Schüler von Pieter Coecke van Aelst (* 1502 Aelst, † 1550 Brüssel) [Abb. 14] in Antwerpen,

1550 wechselte Pieter Bruegel d. Ä. nach Pieter Coecks Tod in die Werkstatt von Pieter Balten (*Antwerpen um 1525. † 1598 ebenda),

1552 hatte er wahrscheinlich die ersten Kontakte mit seinem Verleger Hieronymus Cock (* um 1510 Antwerpen, † 1570 ebenda) [Abb. 15]. der in Antwerpen den Verlag "Aux Quatre Vents/ In de Vier Winden" betrieb, der nach seinem Tod von seiner Witwe weiter geführt wurde,

1552-1554 Reise nach Italien wahrscheinlich in Begleitung des Malers Maarten de Vos (* 1532 Antwerpen, † 1603 ebenda) [Abb. 16] und des Bildhauers Jacob Jonghelinck (* 1530 Antwerpen, † 1606 ebenda),

1553 arbeitet Pieter Bruegel d. Ä. in Rom mit dem Miniaturisten Giulio Clovio (* 1498 Grižane in Kroatien, † 1578 Rom) [Abb. 17] zusammen,

1554 – 1562 (?) ist Pietrer Bruegel d. Ä. wahrscheinlich in Antwerpen und Entwerfer von Stichen für den Verlag von Hieronymus Cock.

1561 – 1562 wendet er sich immer mehr der Malerei zu, möglicherweise auf Anregung des Sammlers Nicolaes Jonghelinck († 1570), seines (soweit bekannt) wichtigsten Auftraggebers,

1563 zieht Pieter Bruegel d. Ä. nach Brüssel und heiratet da Mayken Coecke van Aelst, die Tochter seines Lehrermeisters Pieter Coecke und dessen Frau Maria Verhulst,

1563 – 1568 konzentriert sich Pieter Bruegel d. Ä. ausschließlich auf die Malerei, bekannte Auftraggeber sind neben Nicolaes Jonghelinck. der Geograph und humanistische Gelehrte Abraham Ortelius (* 1527 Antwerpen, † 1598 ebeda) [Abb. 18], der Antwerpener Münzmeister Jean Noirot sowie Kardinal Antoine Perrenot de Granvelle, Erzbischof von Mechelen. Der Humanist und Arzt Johannes Goropius Becanus (* 1518 Gorp, † 1572 Maastrich) [Abb. 19] stellte Sprachforschungen an, die zur Deutung von Bruegels Werk (insbesondere der Hieroglyphen) herangezogen werden können [23].

1564Pieter Bruegels d. Ä. Sohn Pieter Brueghel d. J. (* um 1564 Brüssel, † um 1638 Antwerpen), den man später den "Höllenbrueghel" nannte, wird geboren. Mayken Verhulst"muss auch den künstlerischen Nachlass des Schwiegersohnes[Pieter Bruegels d. Ä.]aufbewahrt haben, bis dessen älterer Sohn den Schatz der Werkstattvorlagen übernehmen konnte. Dazu gehören die originalgroßen Pausvorlagen der beliebten Bilder Pieter Bruegels [d.Ä.], die exakt auf den Malgrund übertragen werden konnten."[24]

1568Pieter Bruegel d. Ä. wird vom Künstlerbiographen Giorgio Vasari (* 1511 Arezzo, † 1574 Forenz) [Abb. 20] in der zweiten Auflage von Le vite de 'più eccelenti pittori, scultori e architettori gerühmt, Geburt des Sohnes Jan, Jan Brueghel d. Ä.,(* 1568 Brüssel, † 1625 Antwerpen),

1569Pieter Bruegel d. Ä. stirbt und wird in der Kirche Notre Dame de la Chapelle in Brüssel beigesetzt, seine etwa 25jährige Frau, Mayken Coecke, starb neun Jahre später und wurde neben ihrem Mann begraben. Das Werk des Vaters wird von seinem älteren Sohn, Pieter Bruegel d. J. frei variierend und kopierend, fortgeführt, während der jüngere Sohn, Jan Brueghel d. Ä. als der "Blumen-Brueghel" zu einem der begehrtesten Maler Flanderns heranwächst,

1570Pieter Breugels d. Ä."Vier-Jahreszeiten-Folge" blieb zu Bruegels Lebzeiten unvollständig und ungedruckt, erst 1570 schuf Hans Bol (* 1534 Mecheln, † 1593 Amsterdam) [Abb. 21]die fehlenden Vorlagen für Winter und Herbst, gestochen von Pieter van der Heyden (* um 1530, † um/nach 1572) 1570 für Hieronymus Cock."[25]

1604 Die älteste Lebensbeschreibung Pieter Bruegels d. Ä. steht im >Schilderboeck< des Carel van Mander (* 1548 Meulebeke bei Courtrait, † 1606 Amsterdam) [Abb. 22a], Maler, Dichter und Künstlerbiograph.David Teniers II. (* 1610 Antwerpen, † 1690 Brüssel) [Abb. 22b] und Adriaen Brouwer (* 1605/06 Oudenaerde, 1638 † Antwerpen) [Abb. 22c] sind Pieter Bruegels d. Ä. künstlerische Nachfolger.

[Abb. 12]Radierung, Strichätzung: "Peeter Brugel, 76." unterschrieben: P. Buttats Junior Fecit (der "Jüngere" wird Philibert Bouttats sein, der 1682 in Antwerpen Meister wurde, sofern die Zahl im Titel (",76") die Jahreszahl 1676 meint. [vergl. Thieme/ Becker (1909 und 1910/ 1999), Bd.4, S. 477, linke Spalte]

[Abb. 13]Radierung, Strichätzung: "Hieronymo Boschio. Pictori." (Hieronymus Bosch, Maler) Th. Galle excudit (Theodor Galle, *1571 Antwerpen, † 1633 Antwerpen).*

[Abb. 14]Radierung, Strichätzung: "Petro Coecke Alostano. Pictori." (Pieter Coecke van Aelst). Signiert mit "Hh" und zugeschrieben an Hendrik I (d. Ä.) Hondius [s. Thieme/ Becker (1924/ 1999), Bd.17, S. 435, 2. Spalte] (*1573, Duffel in Altbrabant, † nach 1649 vermutlich im Haag).

[Abb. 15]Radierung, Strichätzung: "Hieronymo Coco Anverpian. Pictori." (Hieronymus Cock, Maler) und Verleger, radiert von "HW": Hieronymus Wierix ( *1553? Antwerpen, † 1619 Antwerpen) – und nicht von Hondius (Hh).

[Abb. 16]Radierung, Strichätzung: "Martinus Vossins. Antwerpian. Pictor." (Marten de Vos, Maler), (*1532 Antwerpen, † 1603 Antwerpen).

[Abb. 17]Radierung, Strichätzung: "Don Giulio Clovio, Miniatore." (Herr Julio Clovius, Miniaturmaler), (* 1498 Grižane in Kroatien, † 1578 Rom).

[Abb. 18]Radierung, Strichätzung: "Abrahamus Ortelius, Cosmographus Regius." (Abraham Ortelius, königlicher Kosmograph." (* 1527 Antwerpen, † 1598 Antwerpen) von Philipp Galle *1537, † 1612 Antwerpen), beschriftet: "Aet. LXXI" (seines Alters 71 Jahre)

[Abb. 19]Radierung, Strichätzung: "Johannes Goropius, Becanus." (Jan van Gorp), (* 1518 Gorp, † 1572 Maastrich) radiert von E. de Boulonois (1682 erwähnt [s. Thieme/ Becker (1909 und 1910/ 1999), Bd, 4, S. 451])

[Abb. 20]Radierung, Strichätzung (Ausschnitt): "Giorgio Vasari Aretino." (Giorgio Vasari aus Arezzo) (*1511 Arezzo, † 1574 Florenz).

[Abb. 21]Radierung, Strichätzung: "Ioannes Bollius, Mechliniensis. Pictor."(Hans Bol aus Mecheln. Maler) (*1534, † 1593 Amsterdam). Signiert mit "Hh" und zugeschrieben an Hendrik I (d. Ä.) Hondius [s. Thieme/Becker (1924/ 1999), Bd. 17, S. 435, 2. Spalte] (*1573, Duffel in Altbrabant, † nach 1649 vermutlich im Haag).

[Abb. 22 a)]Radierung, Strichätzung: "Carolus Ver-Manderus, Pictor et Poeta." (Karel van Mander, Maler und Poet) (* um 1610 Delft, † 1670) Signiert mit "Hh" und zugeschrieben an Hendrik I (d. Ä.) Hondius [s. Thieme/ Becker (1924/ 1999), Bd. 17, S. 435, 2. Spalte] (*1573, Duffel in Altbrabant, † nach 1649 vermutlich im Haag).

[Abb. 22 b)]Radierung, Strichätzung: "David Teniers" (David Teniers d. J./ II.) ( *1610 Antwerpen, † 1690 Brüssel), Selbstbildnis, radiert von Pieter II. de Jode (* 1606 Antwerpen, † nach 1674 in England?), herausgegeben von Jan Meyssens (* 1612 Brüssel, † 1670 Antwerpen).

[Abb. 22 c)]Radierung, Strichätzung: "Adrianus Brauwer. Gryllorum Pictor Anteverpia" (Adrian Brouwer. Maler von Grillen aus Antwerpen) ( * 1605/1606 Oudenaerde, † 1638 Antwerpen), radiert von E. de Boulonois (1682 erwähnt [s. Thieme/ Becker (1909 und 1910/ 1999), Bd, 4, S. 451]) nach einem Bild von van Dyck.

3. EINFÜHRUNG

Folgende fünf Bilder werden zum Thema des "Sturzes der Blinden" gezeigt, deren "rituelle verborgene Geometrie" erforscht werden soll mit den anschließenden Fragen, ob verborgen-geometrische Besonderheiten festzustellen sind, die Hinweise

auf

Schriftzeichen, bzw. Bilder-Schriftzeichen (Hieroglyphen)

geben und ob Hinweise

auf

Abfolgen thematischer Entwicklungen des Motivs der "Blinden"

gefunden werden, und ob Hinweise

auf

offene Zuschreibungs-Fragen

gefunden werden können.

3./ 1. [Abb. 23, 24] "DIE BLINDEN" von PIETER BRUEGEL d. Ä. bezeichnet "Witthoeft, A"

Die Malerei liegt als Radierung vor, die unterschrieben ist mit:

"Pieter Brueghel der ältere pinx., Gem. Gallerie Biehler. W. Witthoeft sc., Die Blinden." Klaus Ertz schreibt hierzu (1988/2000), S. 194;

"A 42 Der Sturz der Blinden. Text S. 90; Abb. 33. London, Christie 's, 27. 11. 70, Nr. 86, Holz, 55,80 x 85,10. Foto: Archiv Brod; (Frick; Archiv Koetser; WL). Herkünfte: 1859 – Paris, Drouot, 05. 03. 59; nach Glück, S. 89 als Pieter I (nach Marlier); vor 1900 – Wien, Slg. Biehler; nach Stich von W. Withoefe, in: Die Kunstschätze Wiens, hrsg. vom Österr. Lloyd in Triest (1860?), S. 259, als Pieter I (nach Marlier); 1933 – Stockholm, Bukowski, 13. 12. 33, Nr. 804, Tfl. 26; 1934 – Stockholm, Slg. Laurin, Thorsten, Slg. Kat. Laurin 1936, Nr. 182, Nr. 397; 1934 – Amsterdam, Gal. De Boer, November; 1967 – London, Sotheby's, 06. 12. 67, Nr. 27, ging an Brod; nach 1967 – London, Gal. Brod."

Ertz zeigt als Abbildung für "London, Christie's, 27. 11. 70, Nr. 86" auf Seite → (seines Werkes) eine Fotografie mit der Unterschrift: "33 Nach Pieter Brueghel d. J., Der Sturz der Blinden. London, Christie's 1970 (Kat. 42)". Ertz zeigt nicht eine Abbildung seiner Katalog-Nr. A 42 im Aussehen der von ihm genannten Abbildung von Witthoeft ("vor 1900, Wien, Slg. Biehler") Da er seine Katalog-Nr. A 42 im Aussehen von "London, Christie's, 27. 11. 70, Nr. 86" auf Seite →, Abb. 33, zeigt, nimmt er anscheinend an, damit auch das Aussehen von "Wien, Slg. Biehler, nach Stich von W. Witthoeft" gezeigt zu haben. Tatsächlich aber ist das Aussehen von "Witthoeft" nicht identisch mit dem Aussehen von "London, Christie's, 27. 22. 70". Die fotografische Abbildung von Ertz (A 42) stimmt nicht überein mit der Radierung von "Witthoeft (1860?)".

Eine Abbildung von "Witthoeft, A" ist zu finden in: "Die Kunstschätze Wiens, hrsg. vom Österreichischen Lloyd in Triest (1860?), S. 259, – und siehe hier [Abb. 23].

(Abb. 23]Radierung, Strichätzung: Unterschrift: "Die Blinden", "Pieter Brueghel der ältere pinx. ", "Gem. Gallerie Biehler", "W. Witthoeft sc.". Veröffentlicht in: "Die Kunstschätze Wiens, hrsg. vom Österr. Lloyd in Triest (1860?), S. 259, als Pieter I (nach Marlier). " [s. Ertz (1988/2000), S. 194, mittlere Spalte] (Wilhelm Witthoeft. *1816,Stralsund, † 1874 Berlin): Kurz-Bezeichnung: "Witthoeft, A".

[Abb. 24]Zeichnung nach: "Die Blinden" nach der Radierung: "Der Sturz der Blinden" von Pieter Britegel d. Ä., radiert von Wilhelm Witthoeft um 1860. (s. Abb. 23). Kurz-Bezeichnung: "Witthoeft, A".

[Abb. 25]Zeichnung mit Hell-dunkel-Werten nach: "Der Blindensturz" 1568, Tempera auf Leinwand, 85,5 x 154 cm, bez. u. l.: BRVEGEL M.D.LX.VIII, Neapel, Museo di Capodimonte, Inv. 84490. Kurz-Bezeichnung "Neapel, B".

3./ 2. [Abb. 25, 26] "DER STURZ DER BLINDEN", "DAS GLEICHNIS VON DEN BLINDEN"[Matth. 15, 14]von PIETER BRUEGEL d. Ä., 1568, bezeichnet "Neapel". B"

Sellink (2018) beschreibt dieses Bild wie folgt: "Sturz der Blinden. 1568, Neapel, Museo Nazionale di Capodimonte, 86 x 156 cm, Wasserfarbe auf Leinwand."[26] Nach Sellink (2007) ist das Bild links unten unterzeichnet: "Bruegel M.D.LXVIII".[27]

[Abb. 26]Zeichnung nach: "Der Blindensturz" 1568, Tempera auf Leinwand, 85,5 x 154 cm, bez. u. l.: BRVEGEL M.D.LX.VIII, Neapel, Museo di Capodimonte, Inv. 84490. Kurz-Bezeichnung: "Neapel, B".

Das Bild ist abgebildet u.a. in: Grimme (1977), S. 100; Smeet (1980), S. 37; Marijnissen (1984), S. 304 und 305, im Detail: S. 306 bis 312 ; Ertz (1988/ 2000), S. 85; Sellink (2007), S. 252; im Detail: S. 253; Bruno (2010), S.182 f.; Müller (2018), S. 268 f., 271, 273; Sellink (2018), S. 26, 232; im Detail: S. 55; Büttner (2018), S. 110;

Zu den Maßen bemerkt Sudhoff: "Es ist ... anzunehmen, daß das Gemälde mit den Maßen 86 x 154 erst durch Beschneidung am rechten und linken, sowie vor allem am oberen und weniger stark auch am unteren Bildrand sein betont schmales querrechteckiges Format erhalten hat."[28]

[Abb. 27]Zeichnung nach: "Der Sturz der Blinden" von: "Bruegel-Nachahmer"/ Pieter Bruegel d. J. (??), nach: Katalog Nr. A 42 (Ertz 1988/2000, S. 194, Abb. 33, S. 90), bezeichnet "Christie's, C".

3./ 3. [Abb. 27] "DER STURZ DER BLINDEN" BRUEGEL-NACHAHMER??bezeichnet "Christie's, C"

Ertz schreibt hierzu (1988/ 2000) S. 194; (wie schon oben aufgeführt):

"A 42 Der Sturz der Blinden, Text S. 90; Abb. 33, London, Christie's, 27. 11. 70, Nr. 86, Holz, 55,80 x 85,10, Foto: Archiv Brod; (Frick; Archiv Koetser; WL)

Herkünfte: 1859 – Paris, Drouot, 05. 03. 59; nach Glück, S. 89 als Pieter I (nach Marlier); vor 1900 – Wien, Slg. Biehler; nach Stich von W. Withoefe, in: Die Kunstschätze Wiens, hrsg. vom Österr. Lloyd in Triest (1860?), S. 259, als Pieter I (nach Marlier); [Unterstreichung hier vom Autor], 1933 – Stockholm, Bukowski, 13. 12. 33, Nr. 804, Tfl. 26; 1934 – Stockholm, Slg. Laurin, Thorsten, Slg. Kat. Laurin 1936, Nr. 182, Nr. 397; 1934 – Amsterdam, Gal. De Boer, November; 1967– London, Sotheby's, 06. 12. 67, Nr. 27, ging an Brod; nach 1967 – London, Gal. Brod. [...], Wir schließen Pieter II. als Urheber dieser Bildidee nicht aus. "Ertz zeigt als Abbildung für "London, Christie's, 27.11. 70, Nr. 86" auf Seite → (seines Werkes) eine Forografie mit der Unterschrift: "33 Nach Pieter Brueghel d. J., Der Sturz der Blinden. London, Christie 's 1970 (Kat. 42)".

Eine weitere Abbildung ist zu finden bei Marlier (1969), S. 434.

[Abb. 28]Zeichnung nach: "Der Sturz der Blinden" von: "Bruegel-Nachahmer"/ Pieter Bruegel d. J. (??), nach: Katalog Nr. A-40 (Ertz 1988/2000, S. 193, Abb. 34, S. 91), bezeichnet "Enschede, D"

3., 4. [Abb. 28] "DER STURZ DER BLINDEN" BRUEGEL-NACHAHMER??bezeichnet "Enschede, D"

Ertz schreibt hierzu: "A 40 Der Sturz der Blinden, Text S. 91; Abb. 34, Enschede, Rijksmuseum Twenthe, Inv. Nr. 62, Holz, 25,00 x 33,00. Herkünfte: Vor 1938 – London, Gal. Koetser, Leonhard: Kam am 7. 11. 1938 von der Gal. De Boer ins Museum."[36]

Ertz äußert sich zu seiner Abschreibung dieses Bildes: "Die Abschreibung gründet auf einem guten Foto. Ziemlich schwache Kopie eines unbekannten Malers aus der Nachfolge Pieters II. Offensichtlich basierend auf einem Vorbild des Malers, das bis heute noch nicht gefunden ist, das aber ähnlich ausgesehen haben dürfte wie Kat. 42 ["Christie's, C"], das von weit besserer malerischer Qualität ist und dem Vorbild Pieters II viel näher steht."[37]

Eine Abbildung ist zu finden in: Ertz (1988/ 2000) Bd. I, S. 91.

3./ 5. [Abb. 29, 30] "DE BLINDE LEIDT DE BLINDEN" "DER STURZ DER BLINDEN"bezeichnet: "Visscher"

[Abb. 29 a]Titel-Blatt einer Ausgabe des Verlages des Claes Jansz. II. Visscher, Amsterdam

Das Blatt "Der Sturz der Blinden" steht in der Nachfolge von Pieter Bruegel d. Ä. (laut Antiquariat), Herausgabe des Blattes im Jahr 1643 (laut Antiquariat):

"unknown master The blind leading the blinds [Theatrum Biblicum Hoc Est Historiae Veteris et Novi Testamenti Tabulis Aeneis Expressae (?)]. (de Blinde leidt de blinden).

Illustrated saying: >Let them alone: they be blind leaders of the blind. And if the blind lead the blind, both shall fall into the ditch.< Even the dog, on the leash of the last blind man, probably 'trusting' his leader, looks backward. The man at the lead carries a hurdygurdy under his cloak. Underneath, text from the Worship of Matthew (Mattheus), in two columns, the left French the right in Dutch. Signed at bottom center: ICV exc., IVC monogrammed. Further numbered on the bottom right, '3', although it is known which series this impression originally comes from. Visscher collected plates he had acquired from Gerard de Jode, re-issued and bound them in two different volumes. It is basically reissue of De Jode's "Thesaurus sacrarum historiaru [m] veteris testame [n] ti ..." from 1579 and 1585. The series were produced by different printmakers after other numerous disigners..

[Abb. 29 b]Titel-Blatt einer Ausgabe des Verlages des Claes Jansz. II. Visscher, Amsterdam

The iconography of the blind leading the blinds, rather relevant in this historical period, was popular also in the early modern period. Many artists interpreted the theme, like Jheronimus Bosch, Hans Bol ans Peter Bast. Generally the designer of this impression is believed to be Brueghel..

Engraving on paper with broad margins; plate mark: 182 x 230 mm, total 213 x 260 mm, stain under the bottom margin; wide ans clear fool's cap watermark.

The Rijksmuseum suggests a date of 1643 in the notice to one of their two impressions."

[Abb. 30 a]Radierung: "Die Blinden führen die Blinden", anonym, herausgegeben von Claes Jansz. II. Visscher, laut Monogramm CJV, vermutlich 1643, in der Nachfolge von Pieter Bruegel d. Ä., vom Herausgeber auch entworfen/ radiert (??). "Visscher"

[s Abb. 29 a; 29 b]

Thieme/ Becker schreib zu Claes Jansz II Visschert:

"Inhaber eines der größten Verlage in Amsterdam (nach dem Tode des Claes Jansz. II Visscher fortgeführt von seinem Sohn Nicolas, 1618 – 1709), aus dem Reproduktionen (nach Gheyn, Goltzius, Londerseel, Rubens u.a.), Bildnisse, Veduten u.a.m., hauptsächlich aber Landkarten hervorgingen. Ihr Anteil als Stecher ist schwer zu bestimmen, da die Blätter meist nur "excudit" bezeichnet sind. Verzeichnis der Verlagswerke bei Wurzbach (28 Nummern). Zeichnungen von Claes Jansz. dem Jüngeren im Kupferstich-Kabinett Berlin, im Museum Brüssel (Collection De Grez) und im Staatsarchiv Amsterdam."[41]

[Abb. 30 b]Zeichnung nach: "Die Blinden führen die Blinden", anonym, herausgegeben von Claesz Jansz. II. Visscher, vermutlich 1643, in der Nachfolge von P. Bruegel d. Ä. "Visscher"

Während die gestalterische Entwicklung von Pieter Bruegel d. Ä. vom Bild "Witthoeft, A" zum Bild "Neapel, B" zum Monumentalen hin verläuft (wenn man hier schon über "Folge und Entwicklung" sprechen darf), dann aber in den weiteren Bildern "Christie's, C" und "Enschede, D" nicht fortgesetzt wird, so bewahren dann die weiteren soweit vermuteten Entwürfe (gegen eine denkbare Steigerung des Monumentalen) bei beibehaltenem Detailreichtum immerhin die Qualität des Erzählerischen, – die noch gegen die Qualität der verborgen-geometrischen Aussage gehalten werden muss, um über eine "Entwicklung der Bildvorlagen" und über eine "Folge von Bild-Realisierungen" Vermutungen anstellen zu können.

Wahrscheinlich wird Bruegel d. Ä. nach einer Steigerung zum Monumentalen hin (von "Witthoeft, A" nach "Neapel, B") nicht danach weiter an Entwürfen für kleinteilige "Wimmelbilder" gearbeitet haben. Und wenn sein Sohn nicht für sehr kreativ gehalten wird, wird es annehmbar sein, dass Bruegel d. Ä. nach der Ausführung von "Witthoeft, A" weitere Entwürfe beim Ausloten der Möglichkeiten des Wimmelbildes "Witthoeft, A" entwickelt haben wird (die, wenn sie verborgen-geometrisch hochwertig seien, sonst nicht woanders unterzubringen wären), bevor er an sein großes Werk ("Neapel, B") ging. Und das kann glaubhaft werden, wenn weitere Entwürfe von ihm (vor "Neapel, B") in zunehmender Komplexität der Verborgenen Geometrie entstanden sein sollten.

Die Idee hierbei ist die Vermutung, dass Bruegel diese anzunehmenden, weiteren Wimmelbilder-Entwürfe nicht weiter in Malereien ausgeführt hatte, sondern dass dieses später sein Sohn Pieter Bruegel d. J. tat.

4 PIETER BRUEGEL d.Ä., der KUNSTBILD-MALER

4. A) BRUEGEL d.Ä. ZUR PERSON:

Zu Carel van Mander (1604)

Grimme (1977):"Die älteste Lebensbeschreibung Pieter Bruegels steht im >Schilderboeck< Carel van Manders aus dem Jahre 1604. Sie ist die wichtigste biographische Darstellung des großen Meisters, die auf uns gekommen ist, und daher bis zum heutigen Tage die Grundlage für jede Beschäftigung mit Pieter Bregel d. Ä. geblieben."[36]

Thieme/ Becker (1911, 1912):

"Bruegel, Pieter (Brueghel, Breusel. Breughel), d. Ä., der sog. Bauern-Bruegel stammte aus einem Dörfchen Brueghel bei Breda. [Er wurde etwa 1525 geboren.] Als Schüler des Pieter Coeck van Aelst kam Brueghel nach Antwerpen. Bald trat er mit dem Kupferstecher und Verleger Hieronymus Cock in Verbidung, sie sollte sich zu einer dauernden gestalten. 1551 wird Brueghel als Meister in die St. Lukasgilde eingetragen, bald darauf trat er eine Reise nach Italien an. [...] 1563 verließ der Künstler, nach van Mander, auf Wunsch seiner Schwiegermutter, Antwerpen und übersiedelte nach Brüssel, um Marie Coeck, die Tochter seines ersten Lehrmeisters, zu heiraten. 1564 wurden Pieter, 1568 Jan geboren, die beiden Malersöhne. Am 5. 9. 1569 ist Pieter Bruegel gestorben. [...] [37]

Marijnissen (1969, 1984)[Anmerkungen des Autors in eckigen Klammern]:

"Von Bruegels Leben ist sehr wenig bekannt. Außer den Anmerkungen auf seinen Skizzen zu den Farben der Kleider seiner Gestalten kennen wir keinen von ihm verfassten Text. Kein Vertrag, kein Briefwechsel, kaum zehn zeitgenössische Dokumente sind erhalten. Fast die einzige Informationsquelle ist das Kapitel über Bruegel in Carel van Manders berühmtem Buch >Het Schilder-Boeck<, doch sind seine Angaben mit Vorsicht zu verwenden, denn das Buch erschien erst 1604 in Haarlem; die Biographie wurde also etwa dreißig Jahre nach Bruegels Tod veröffentlicht. Außerdem erging sich van Mander, wie alle Chronisten jener Zeit, gern in Klatschgeschichten, was sein Bericht über Bruegel beweist. Manche seiner Angaben wurden jedoch, wie die Forscher bereitwillig anerkennen, später durch Dokumente aus den Archiven bestätigt."[38]

"Es folgt die Übersetzung der Biographie, die man bei Carel von Mander liest in der Fassung von H. Floerke. [...] > Wunderbar gut hat die Natur ihren Mann getroffen, der sie seinerseits wieder aufs glücklichste treffen sollte, als sie ihn, der unseren Niederlanden zu dauerndem Ruhm gereicht, den so geistreichen und humorvollen Pieter Brueghel unter den Bauern eines unbekannten Brabanter Dorfes auswählte und zum Maler machte, damit er Bauern mit dem Pinsel wiedergebe. Er wurde unweit Breda in einem Dorfe namens Breughel, dessen Namen er geführt und seinen Nachkommen hinterlassen hat, geboren. Die Malerei hat er bei Pieter Koeck van Aelst ["oe" gesprochen wie "u"] gelernt, dessen Tochter, die er, als sie noch klein war, während seines Aufenthalts bei Pieter [Koeck van Aelst] oftmals auf den Armen getragenn hatte, er nachmals heiratet. Von dort ging er bei Hieronymus Kock [Cock, dem Verleger] arbeiten und reiste darauf nach Frankreich und von dort nach Italien. Er hatte viel nach den Sachen des Hieronymus Bosch gearbeitet und malte auch viel Spukbilder und humoristische Szenen, weswegen er von vielen "Pieter der Drollige" genannt wurde. Man sieht ja auch wenige Bilder von ihm, die der Beschauer ernsthaft ohne zu lachen ansehen kann, – ja so verschlossen und griesgrämig er auch sein mag, er muß zum mindesten lächeln. Auf seinen Reisen hat er viele Veduten nach der Natur gezeichnet, so daß gesagt wird, er habe, als er in den Alpen war, all die Berge und Felsen verschluckt und sie, nach Hause zurückgekehrt, auf Leinwände und Malbretter wieder ausgespien, so nah vermochte er in dieser und anderer Beziehung der Natur kommen. Er ließ sich in Antwerpen nieder und trat dort im Jahre des Herrn 1551 in die Malergilde ein. Er arbeitete für einen Kaufmann namens Hans Franckert, einen ganz vortrefflichen Mann, der gerne mit Breughel verkehrte und täglich mit ihm freundschaftlich zusammen war."[39]"Mit diesem Franckert ging Breughel häufig hinaus zu den Bauern, wenn Kirmis war oder eine Hochzeit stattfand. Sie kamen dann in Bauerntracht verkleidet und brachten Geschenke wie die anderen auch unter dem Vorgeben, sie gehörten zur Verwandschaft der Braut oder des Bräutigams. Hier machte es Breughel großes Vergnügen, die Art der Bauern im Essen, Trinken, Tanzen, Springen, Freien [um eine Frau werben] und anderen spaßhaften Dingen zu beobachten, lauter Momente, die er sehr hübsch und komisch mit der Farbe wiederzugeben verstand, und zwar sowohl mit Wasser- wie mit Ölfarben; denn mit beiden wußte er sehr gut umzugehen. Er verstand es auch vorzüglich, diese Bauern und Bäuerinnen in der Tracht der Kampine [des Kempenlandes bei Breda] und anderer Gegenden zu malen und das ungeschlachte bäuerische Wesen im Tanzen, Gehen, Stehen und anderen Bewegungen aufs beste zu charakterisieren. Er war wunderbar bestimmt in der Anordnung seiner Figuren und zeichnete sehr sauber und hübsch mit der Feder, namentlich viele kleine Veduten. Als er noch zu Antwerpen lebte, hielt er mit einer Dienstmagd Haus, die er wohl auch geheiratet hätte, wenn es ihm nicht mißfallen hätte, daß sie jederzeit lügen mußte. Er kam mit ihr überein, daß er alle ihre Lügen auf einen Kerbstock schneiden werde [und mit je einer Einkerbung zählen werde] – er wählte zu diesem Zwecke einen recht langen –, und wenn der Stock innerhalb einer gewissen Zeit voll sei, sollte es mit der Hochzeit ganz und gar aus sein, was auch in nicht langer Zeit eintraf. Endlich, als die Witwe von Pieter Koeck zuletzt in Brüssel wohnte, verliebte er sich in ihre Tochter, die er, wie erzählt, häufig auf den Armen getragen hatte, und nahm sie zur Frau, doch bedang die Mutter, daß er Antwerpen verlassen und nach Brüssel ziehen müsse, damit er von dem andern Mädchen loskomme und es vergesse. Und so geschah es auch. Er war ein sehr stiller und verständiger Mann, der nicht viel Worte machte, aber in Gesellschaft sehr spaßhaft war und die Leute – auch seine eigenen Gesellen – durch allerlei Spuk und Lärm, den er ausheckte, zu erschrecken liebte. Einige seiner bedeutendsten Werke befinden sich jetzt im Besitz des Kaisers [Rudolf II.; heute in Wien], nämlich ein großes Bild, das den Turm von Babel darstellt und voll ist von hübschen Einzelheiten. Man kann auch von oben in den Turm hineinsehen. Ferner ein Bild gleichen Vorwurfs, aber kleiner [heute in Rotterdam], weiter zwei Bilder; welche die Kreuzschleppung darstellen, einen sehr überzeugenden Eindruck machen und hier und da durch spaßhafte Szenen belebt sind. [...] Viele von seinen seltsam erfundenen beziehungsreichen Kompositionen sieht man in Kupfer gestochen. Eine große Menge fein und sauber gezeichneter, mit Inschriften versehener Satiren, die zum Teil allzu bissig und spottgetränkt waren, ließ er jedoch, als er totkrank war, von seiner Frau verbrennen, entweder weil er sie bereut oder weil er befürchtete, daß seine Frau Unangenehmes daraus erwachsen könnt. Er hinterließ ihr testamentarisch ein Bild mit einer Elster auf einem Galgen. Mit der Elster meinte er die Klatschbasen, die er dem Galgen weihte. Ferner hatte er einen Triumph der Wahrheit gemalt, ein Bild, das nach seiner Aussage das beste war, das er gemacht hatte. – Er hinterließ zwei Söhne, die ebenfalls gute Maler sind." [...]." [40]

"Bei derMalerzunft in Antwerpen (der Lukasgilde) ist er [Pieter Preugel d.Ä.] als >Peeter Brueghels, schilder< eingetragen, also: >Peter [Sohn des] Brueghel, Maler<."[41]

Von Wichtigkeit ist, "daß Bruegel in das geistige Milieu hineingeboren wurde, in dem Hieronymus Bosch lebte."[42]

Es wurde "nachgewiesen, daß Bruegel von seinem mutmaßlichen Meister [Pieter Koeck] einige Kompositionsprinzipien übernommen hat." [43]

Spätere "urkundliche Angaben sind zwar für die Frage der Herkunft und zeitlichen Abfolge seiner Bilder sehr wichtig, sie erhellen aber die rätselhaften Seiten seiner Kunst nicht."[44]

Marijnissen zitiert das "Pembroke College, Cambridge >Album amicorum<. [von Abraham Ortelius] um 1573". [Marijnissen zitiert die "weiße Tafel zur öffentlichen Bekanntmachung"] :

[...] "Multa pinxit, hic Brugelius, quae pingi non possunt, quod Plinius de Apelle [dixit?]. In omnibus eius operibus intelligitur plus semper quam pingitur."[45] [In deutscher Übersetzung: "Vieles hat dieser Bruegel gemalt, was nicht gemalt werden könne, was Plinius ebenso über Apelles sagte [dixit]. In all seinen Werken ist immer mehr zu erkennen als gemalt wurde."]

Marijnissen fährt fort:"Den Satz >er hat viele Dinge gemalt, die nicht gemalt werden können<, wollte man zur Unterstützung der Ansicht heran ziehen, Bruegels Zeitgenossen hätten das esoterische Wesen seines Werkes erkannt.[...]" [46]

Müller (Katalog, 2001);

"Eine deutlich andere Sprache als van Manders Lebensbeschreibung sprechen jene wenn auch spärlich überlieferten Archivalien, die zeigen, daß wir es mit Pieter Bruegel mit einem gebildeten Humanisten zu tun haben. [...] Wollte die frühere Forschung in Bruegel lediglich einen einfachen Mann aus dem Volk entdecken, so kann man sich heute dafür entscheiden, Bruegel als einen Wiedertäufer oder Katholiken, Reformierten oder Häretiker zu sehen." [...] (Text: Jürger Müller) [47]

4. PIETER BRUEGEL d. Ä.

4. B) ZITATE ZUM WERK:

Thieme/ Becker (1911, 1912):

"Die Voraussetzung Bruegelscher Kunst heißt: Hieronymus Bosch. [...] Bosch ist der eigentliche Lehrmeister des Jüngeren [...]." [48]

"Man möchte annehmen, der Anblick der Alpen habe seine ganze Kunst befruchtet und jene pantheistische Auffasung hervorgebracht, die so häufig aus seinen Werken spricht, die aus den Menschen nur ein Ameisengewimmel macht, über das Bäume und Berge in starrer Ruhe emporragen. [...]" [49]

"Auf Zeitgenossen und Nachfolger hat aber doch am stärksten der >Bauern-Bruegel< [Pieter Bruegel d. Ä.] eingewirkt. Teniers und Brouwer sind seine Nachfolger [...]. Bruegels Gemälde aus dem Bauernleben haben dies vor denen der späteren voraus, daß sie weder moralisieren noch monumentalisieren."[50]

"Die Gemälde verteilen sich, soweit sie datiert sind, auf einen Zeitraum von nur zehn Jahren; das bedeutendste, >Die Blinden<, in Neapel stammt aus Bruegels letzter Lebenszeit. Deutlich wird sichtbar, wie das Streben nach Klarheit und Größe Herr wird über Verzerrrung und Überfüllung in früheren Kompositionen." [51]

"Eine große Reihe von Gemälden [des Pieter Bruegel d. Ä.] kommt nur in alten Kopien vor [...]." [52]

Marijnissen (1969, 1984):

"Kein Werk von Bruegel ist jedoch so bestürzend – und so vieldeutig – wie das Gemälde >Das Gleichnis von den Blinden< ... Das Bild besitzt einen unübertroffenen rhythmischen Aufbau und erinnert an eine filmische Zeitlupenaufnahme stürzender Kegel. Mit diesem Meisterwerk, einer außergewöhnlichen Komposition, gelang es Bruegel, die unausweichliche, endgültige Katastrophe abzubilden. Man hat den Eindruck, die Natur selbst, heraufbeschworen durch die brabanter Landschaft, sei zum Komplizen geworden. Schön und gleichgültig scheint sie sich mit dieser menschlichen Tragödie im geheimen Einverständnis zu befinden. Und was bedeutet die Dorfkirche in diesem Zusammenhang?"[53]

Marijnissen (1969, 1984):

"Das Gleichniswort Christi: > Wenn aber ein Blinder einen Blinden führt, so fallen beide in die Grube< (Matthäus 15, 14) war allgemein bekannt. Es wurde sprichwörtlich zur Charakterisierung der Dummheit und auswegloser Situationen angewandt. Der Maler lässt in seiner Darstellung alles Konventionelle beiseite. Insgesamt sind sechs Blinde dargestellt. Ihr Blick ist erloschen. Ihnen fehlt die Fähigkeit des Erkennens. Es herrscht eine beklemmende Atmosphäre. Kein Helfer ist weit und breit zu finden, niemand, der sehen, retten und raten könnte. Erschütterbnd ist die Unaufhaltsamkeit des Falls. Der Blindenführer mit dem Stock ist bereits rücklings in den saugenden Morast gefallen. Er begräbt unter sich sein Musikinstrument, die Drehleier. Selbst sie scheint eine Fratze zu schneiden. Der nächste stürzt auf ihn und über ihn. Weiter zurück folgen, schon haltlos, unsicher und auf Zehenspitzen, die übrigen. Neben den Blinden im Vordergrund gibt es auch nur unfesten, sandigen Abgrund, ein dürres Ästchen dabei, das Spottbild eines Baums.

In diesem Bild geht es nicht um Mitleid, sondern um Warnung. Blindheit ist als ausweglose seelische Vefassung gezeigt, als Stigma [Wund-, Brandmal] einer verderbten Welt. Derjenige, der das Bild betrachtet, ist nicht blind wie jene, die gezeigt werden. Er wird aufgefordert, es ihnen nicht gleichzutun, sich nicht blindlings blinden Führern anzuvertrauen."[54]

Marijnissen (1969, 1984), Seite →: Er zitiert im Katalog der Gemälde unter der Nr. 42, DAS GLEICHNIS VON DEN BLINDEN:

"F. Grossmann schreibt in >Bruegel, The Paintings<, S. 204: >Die innere Blindheit, die von der Parabel gemeint wird, stellt einen größeren Defekt dar als die Blindheit der Augen. Sie zeigt jene, die blind für die wahre Religion sind, welche die Botschaft im Hintergrund des Bildes mit der Kirche symbolisiert, mit ihrem Kirchturm, der zum Himmel zeigt, als einem starken und standhaften Gefüge, und der kontrastiert ist mit der schwankenden und gebrochenen Reihe der unglücklichen Männer – derartige Menschen müssen ihren Weg verlieren und in den Abgrund fallen.<" [aus dem Englischen übersetzt] [55]

Anmerkung: Bereits hier sei eine Bemerkung zur zitierten Stelle gemacht: Befremdlich erscheint die Unterstellung, die Kirche bedeute die "wahre" (feste, standhafte) Religion, von der die Reihe der Männer abgekommen sei. Kann nicht ebenso gedeutet werden, jene Männer seien von der "wahren" Religion abgekommen, weil die Kirche ihre Lehre so ausschließlich (zwanghaft) durchsetze (und sich kompositorisch in die Reihe der sechs Suchenden dazwischen zwängt?) Eine Antwort wird die im Kunstbild enthaltene verborgene Geometrie, die auf dem Grund der Urreligion steht, zeigen. – Der hier interpretativ gezeigte Ansatz einer vorbefindlich stabilen, polaren Welt kennt anscheinend nicht den Weg durch "Fall und Aufrichtung des Suchenden", sondern eine Welt des von der Person unabhängigen, bereits bestehenden Stabilen (eine Welt des Prästabilisierten), in welche sich nur die noch schwankend Suchenden einordnen müssten, oder es eben selbstverschuldet und "derart gerecht bestraft" versäumen.

Ertz (1988, 2000):

Ertz zitiert aus Hans Sedlmayrs Aufsatz >Pieter Bruegel : Der Sturz der Blinden.< aus seinem zweibändigen Werk >Epochen und Werke<: "Unter der Überschrift >Das formale Verstehen< schreibt Sedlmayr zur Komposition des Neapler Bildes: >>Die besondere Gestalt der für den Blindensturz gewählten Flächenkomposition, nämlich die fallende Diagonale, bringt ein leichtes Drehmoment in den vorgestellten Bildraum. Und gerade das trägt wesentlich dazu bei, dem Sturz der Blinden anschauliche Notwendigkeit zu verleihen: die scheinbare Drehung der >Drehscheibe< nach rechts drängt die Blinden gleichsam dem Sturz und dem Abgrunde zu.<< Und weiter unten: >>Die Köpfe der sechs Blinden aber sind sehr auffallend in einer Parabelkurve angeordnet, welche die zunehmende Beschleunigung der Bewegung unübertrefflich zum Ausdruck bringt und dem Sturz – rein anschaulich genommen – etwas Unausweichliches, Verhängnisvolles, Notwendiges verleiht. Dem entspricht die fächerförmige Anordnung der Körperachsen der Blinden wie bei einem aus der Hand gleitenden Kartenspiel<<. "[56]

Anmerkung: Derartige Sach- und Naturschilderungen verkennen eben die symbolische Dimension von Fall (als Aktion) und von Aufrichtung (als Reaktion) im Zusammenhang beider. [57] Sie kennen nur eine Richtung, nicht aber eine Reaktion auf die eine Richtung. Sie verhalten sich einseitig zielgerichtet, nicht jedoch vielseitig dialektisch mit den Möglichkeiten von Unterbrechung, Überlegung, Einsicht und Umkehr. Eine Naturschilderung mit angeblich zwingendem Verlauf verkennt die Möglichkeit humaner Besinnung und Orientierung. Das Bild ist nicht, wie geschildert, einseitig bestimmt, sondern derart ist der Interpret vorbestimmt.

Müller (2001):

"Bruegels Gemälde des Blindensturzes aus dem Jahre 1568 gehört zu seinen bekanntesten Erfindungen. Aber der Kupferstich desselben Themas [Katalog Lebeer Nr.72] zeigt uns keine autthentische Kopie des Bildes, sondern reduziert das Gemälde auf die zentrale Gruppe des stürzenden Paares. Das Gleichnis von den Blinden, die einander führen, findet sich im Matthäus-Evangelium (15,14) und stellt in der Reformationszeit ein Sinnbild der irregeleiteten Religion dar [wohl der katholischen?]. Im umlaufenden Text wird der Leser ermahnt, immer bedächtig seinen Weg zu verfolgen und niemandem außer Gott zu trauen. Täte man dies nicht, dann würde man wie ein Blinder dem anderen folgen und käme unweigerlich zu Fall."[58]

Sellink (2007) schreibt:

"Obwohl Gruppen blinder Bettler zu sehen waren, die zu Bruegels Zeit von Dorf zu Dorf wanderten, ist die Malerei eine deutliche Schilderung der bildlichen wie auch geistigen Blindheit, welche von der Bibel gemeint wird, die Blindheit der Ungläubigen und der Sündigen. Dieser Gedanke wird von der Kirche ausgedrückt, die den Raum zwischen den zwei Männern einnimmt, die gefallen sind und den vier bedauerlicherweise hinter ihnen Fallenden. Der Gegensatz zwischen dem festen Kirchturm und den schwachen, strauchelnden Männern teilt die Ansicht mit, dass Stabilität nur durch den