Pizza zum Frühstück - Jo L. Fellner - E-Book

Pizza zum Frühstück E-Book

Jo L. Fellner

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Beschreibung

Philip nutzt den Urlaub seines Bruders und zieht für eine Woche in sein Elternhaus, um dort für seine bevorstehende Prüfung in Meeresbiologie zu lernen. Gerade als er sich eine Pause gönnt und es sich vor der Heimkinoanlage bequem macht, wird seine idyllische Ruhe gestört: Jemand bricht in das Haus ein – und das Seltsame: Der Einbrecher hat einen Schlüssel …

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Seitenzahl: 221

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Inhaltsverzeichnis

Pizza zum Frühstück

Pizza zum Frühstück

Impressum

Über den Autor

Pizza zum Frühstück

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Programm

Winter im Frühling

Einfach weg

Meine Familie, ich und andere Katastrophen (Teil 1)

Meine Familie, ich und andere Katastrophen (Teil 2)

Jo L. Fellner

Gay Romance

Jo L. Fellner, Pizza zum Frühstück

© HOMO Littera Romy Leyendecker e. U.,

Am Rinnergrund 14, A – 8101 Gratkorn,

www.HOMOLittera.com

E-Mail: [email protected]

Cover und Gestaltung: © Rofl Schek

Bilder: Portrait of Athletic Man © halayalex by Adobe Stock

Rich colors of the coral reef © silvae by Adobe Stock

Das Model auf dem Coverfoto steht in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt des E-Books. Der Inhalt des E-Books sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Models aus.

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet.

Handlung, Charaktere und Orte sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist rein zufällig.

Die geschilderten Handlungen dieses E-Books sind fiktiv! Im realen Leben gilt verantwortungsbewusster Umgang miteinander und Safer Sex!

1. Auflage Juni 2020

ISBN Print: 978-3-903238-62-6

ISBN PDF: 978-3-903238-63-3

ISBN EPUB: 978-3-903238-64-0

ISBN PRC: 978-3-903238-65-7

Über den Autor

Jo L. Fellner hat Jura in Wien und Linz studiert. Er schreibt seit Jahren erfolgreich unter einem anderen Pseudonym belletristische Literatur und wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Privat verbringt er seine Zeit mit Reisen, Tanzsport und Biken.

Veröffentlichungen bei HOMO Littera:

Winter im Frühling, Gay Romance (2018)

Einfach weg – Nahrung für dein Fernweh, Anthologie (2018)

1

Philip nahm die Tiefkühlpizza aus dem Karton und legte sie auf ein mit Backpapier ausgelegtes Blech, das er Sekunden später ins Rohr schob. Ein ganzes Haus für sich im Grünen mit Bergen rund um sich zu haben, war fabelhaft, das musste er zugeben – und das, obwohl ihm die Idee, als Haussitter zu fungieren, als lästiges Übel vorgekommen war. Schließlich war es sein Elternhaus, in dem er aufgewachsen war. Sein Bruder Manfred erwartete von ihm, dass er sich nützlich machte. Andererseits wusste Manfred, dass er nächste Woche eine wichtige Prüfung hatte und lernen musste – ebenso kannte er seine Abneigung gegenüber Gartenarbeit. Das war nichts Grundsätzliches, sondern führte eher daher, dass ihn sämtliche Tätigkeiten im Freien an seine Eltern erinnerten. Alle Dinge, die im Garten zu machen waren, hatte er früher mit seinen Eltern getan. Sie waren seit sieben Jahren tot, und dennoch war es manchmal, als wäre der Unfall erst gestern passiert.

Philip vermisste sie – die gemeinsamen Spieleabende, die stets lustigen Gartenarbeiten, die viele Zeit miteinander. Damals war ihm das nicht bewusst gewesen, wie auch, er hatte mitten in der Pubertät gesteckt und sie als störende Eindringlinge in seine Privatsphäre empfunden. Erst als sie weg waren, hatte er erkannt, wie viel sie ihm bedeuteten.

Er war sechzehn gewesen, als Manfred ihn von einer Geburtstagsfeier spät nachts abgeholt hatte. Eigentlich hätte er dort übernachtet, doch als sein Bruder auftauchte, war klar gewesen, dass etwas passiert war. Schließlich war Manfred zu dieser Zeit bereits auf der Uni in Wien gewesen. Wenn er mitten in der Nacht erschien, musste etwas geschehen sein.

Danach war nichts mehr wie zuvor. Manfred kümmerte sich zwar um alles, beantragte das Sorgerecht für ihn, damit er nicht aus seiner gewohnten Umgebung gerissen wurde, dennoch war alles anders. Es gab so viele Dinge, die er nun selbst erledigen musste. Sicher, er war kein kleines Kind mehr und Manfred sollte nebenbei sein Studium bewerkstelligen, dennoch war es eine schwierige Zeit. Schon alleine deshalb, weil er seit rund zwei Jahren wusste, schwul zu sein und es nicht über sich brachte, Manfred auch noch diese Bürde aufzuerlegen.

Philip seufzte und fixierte die Tiefkühlpizza hinter dem Glas – der Käse schmolz langsam. Manfred hatte es bereits gewusst, noch bevor er es ihm gesagt hatte. Aber so war Manfred immer gewesen, er hatte ihn immer durchschaut. So war das auch heute noch.

Philip wandte sich vom Backofen ab und holte zwei Schalen Katzenfutter aus dem Unterschrank. Sie waren noch nicht offen, da sausten Gru und Lucy bereits in die Küche und sprangen auf die Anrichte. Sie hatten Ohren wie ein Luchs, alleine das charakteristische Öffnen des Schrankes signalisierte ihnen, dass es Futter gab.

Philip streichelte über ihr Fell, bevor er die Schalen aufmachte und sie in die vorgesehenen Näpfe füllte. Lachspastete für Gru, Hühnergeschnetzeltes für Lucy.

„Hier, ihr Schlemmermäuler. Lasst es euch schmecken.“ Philip stellte die Näpfe auf ihre Plätze unter der Fensterbank auf eine Matte. Gru und Lucy – benannt nach dem Kinderfilm Ich – einfach unverbesserlich – sprangen wie auf Kommando von der Anrichte und inspizierten ihre Mahlzeit. Lucy machte wie immer einen raschen Blick zu dem Napf von Gru, nur um sicherzugehen, dass er nichts bekam, was ihr besser schmecken könnte. Sie mochte keine Lachspastete, sie hatte es lieber, wenn sie ihr Futter in viel Sauce erhielt, aber das hinderte sie nicht, zumindest von dem verhassten Fressen zu versuchen. Gru, der alte Narr, ließ sich das kompromisslos gefallen. Seit Philip den Tigerkater kannte, gab er überall nach. Lucy hatte ihn fest in den Pfoten – in allen vieren!

„Jetzt friss nicht von einem fremden Teller, du magst keinen Lachs!“, murmelte Philip und hob die grau getigerte Katzendame zu ihrem Napf zurück. „Hier, dein Hühnergeschnetzeltes.“ Lucy kostete kurz, ließ sich die Sauce auf der Zunge zergehen und sah noch einmal zu der Lachspastete, von der Gru fraß. Philip war sich nicht sicher, ob sie dem dicken Kater nicht gleich eine überzog – aus Futterneid, nicht weil sie ebenfalls Lachspastete wollte.

„Friss!“, befahl Philip und streichelte beide Katzen. Lucy schmatzte laut und widmete sich endlich ihrer Sauce, Gru schnappte gierig nach seiner Pastete, als hätte er drei Tage gehungert. Wahrscheinlich befürchtete er, seinen Lachs teilen zu müssen.

Philip grinste und wusch die Schalen aus, bevor er sie in den Abfall warf. Dann widmete er sich wieder seiner Pizza. Der Käse warf bereits Blasen, gleich konnte er sie rausnehmen und es sich im Wohnzimmer gemütlich machen. Er hatte den ganzen Tag gelernt, jetzt würde er es sich auf der Couch bequem machen, einen guten Film ansehen und in Ruhe essen. Er brauchte etwas Abstand zu dem ganzen Stoff. Morgen nach dem Frühstück würde er ohnehin wieder weiterlernen.

Philip holte die Pizza aus dem Ofen, schnitt sie auf und eilte damit ins Wohnzimmer. Er hatte sich schon vorher eine Flasche Cola und ein Glas auf den Tisch gestellt, ebenso eine Schüssel mit Kartoffelchips für später. Der DVD-Player wartete nur mehr darauf gestartet zu werden. Er stellte den Teller mit der Pizza auf den Glastisch und ging noch einmal in die Küche zurück. Alles war ausgeschaltet, Lucy und Gru hatten nach ihrer Mahlzeit genügend Wasser im Napf und das Fenster war geschlossen – nicht auszudenken, wenn eines der Fellbündel sich an einem gekippten Fenster erhängte. Manfreds Kinder Lukas und Valerie würden den Schock nie überwinden, wenn Gru oder Lucy starben, während sie auf Urlaub waren. Über ihn selbst durfte er gar nicht nachdenken – er betete regelrecht, dass die Vierbeiner in seiner Anwesenheit gesund blieben und keinen Tierarzt benötigten. Über den Verlust eines Haustieres kam er nur sehr schlecht hinweg, das war schon immer so gewesen. Gru und Lucy gehörten ihm zwar nicht, aber immerhin fuhr er alle zwei Wochen nach Hause, um sich im Hotel Mama verwöhnen zu lassen. In seinem Fall war das wohl das Hotel Bruder mit Ehefrau, zwei Kindern und den Katzen Gru und Lucy. Bianca verhätschelte ihn regelrecht, wenn er nach Hause kam. Sie wollte sogar seine Wäsche waschen, was absolut unnötig war, da er in einer WG lebte, in der es auch eine Waschmaschine gab. Natürlich meinte es Bianca gut, aber er würde ihr ganz bestimmt nicht seine Unterhosen überlassen – immerhin war sie die Frau seines Bruders!

Philip ließ sich auf die Couch fallen, legte die Beine hoch und schlug eine Flauschdecke darüber. Er startete den DVD-Player per Fernbedienung und griff nach der Pizza.

Endlich. Nach der langen Paukerei für sein Wahlfachmodul Meeresbiologie tat ein Ausgleich gut. Spätestens morgen sollte er auch mit seiner Arbeit zu Korallenriffe in der Südsee beginnen, sonst bekam er wieder Stress – oder er musste die Bücher der Bibliothek zurückgeben und zusehen, wie er an weitere Literatur kam. Das war ihm schon einmal passiert.

Philip schob die Gedanken beiseite. Er sollte seinen Kopf entleeren und stattdessen den Film genießen. Heute Abend wollte er die Lernerei für wenige Stunden vergessen. Genießerisch biss er in sein Pizzastück, während der Vorspann des Filmes über die Leinwand flimmerte. Wobei flimmerte nicht das richtige Wort war. Bei dem ganzen Hightechkram, den Manfred sich in der letzten Zeit zugelegt hatte, sah man jede Pore der Schauspieler glasklar. Manches Mal hatte er Einblicke in Nasenhöhlen, die er nie haben wollte.

Philip rückte zur Seite, als sich Gru und Lucy auf seine Oberschenkel platzierten. Die ganze Couch war frei, eine überdimensionale Kissenlandschaft, doch die zwei Stubentiger mussten sich unbedingt auf ihn legen. Vor allem Lucy war es wichtig, ihren Vorderkörper auf seinen Beinen zu haben – wahrscheinlich nur, um auch über ihn die Herrschaft zu haben; die Pizza interessierte sie zunehmend. Gru gab sich schließlich damit zufrieden, nahe seiner Hüfte zu liegen, obwohl auch er die Samtnase in die Luft streckte und nach der Pizza schnüffelte.

„Das mögt ihr bestimmt nicht“, murrte Philip, wenngleich er sich sicher war, dass sowohl Lucy als auch Gru den Käse und den Teig liebten. Nur die Tomatensauce war nicht ihr Ding.

Lucy stellte sich mit allen vieren auf seine Oberschenkel und legte den Kopf schief. Als er nicht sofort reagierte, maunzte sie leise und begann auf ihm zu dribbeln. Sie sah dabei so unheimlich süß aus – was sie mit Sicherheit wusste –, dass er nachgab.

„Okay, okay, ihr bekommt beide einen Bissen.“ Er zupfte ein Stück Teig mit Käse darauf ab und achtete genau, ob es nicht zu viel Tomatensauce hatte, bevor er es gerecht teilte und den Katzen reichte. Lucy schielte zu Gru, wahrscheinlich ob er ein größeres Stück hatte, ehe sie sich zufrieden mit ihrem Snack zurückzog und es sich halb auf ihm, halb auf Gru bequem machte. Das fette Stück Käse ließ sie dabei auf den rundlichen Tigerkater fallen. Sie würde Gru später sauberlecker, Gru konnte die nächsten Stunden in Ruhe schlafen, während er von Lucy gesäubert wurde.

Philip konzentrierte sich wieder auf den Film, in dem Jack Sparrow gerade auf den Titel Captain bestand. Genüsslich biss er von der Pizza ab, als ein Knacken aus dem Vorraum kam. Er runzelte die Stirn und griff nach der Fernbedienung, um auf Pause zu drücken. Auch Lucy hatte Grus Fellpflege beendet.

Wieder ertönte ein leichtes Knacken. Diesmal war sich Philip sicher, dass es von der Haustür kam. Jemand versuchte das Schloss zu öffnen. Er legte die Pizza zur Seite, schob Lucy von sich und schlug die Decke von seinen Beinen. Hektisch deutete er zu Lucy und Gru leise zu sein, bevor er aus dem Wohnzimmer in den Vorraum schlich. Erneut erklang das Knacken, dann ein leises Zischen vor der Tür.

Philip tastete über seine Hosentaschen auf der Suche nach dem Handy. Er musste die Polizei verständigen – eben wurde in sein Elternhaus eingebrochen. Womöglich stand irgendein Perverser vor der Tür, der ihm den Garaus machte.

Wo hatte er dieses verfluchte Telefon nur hingelegt? Heute Morgen hatte er es noch gehabt, er hatte zu Mittag auch mit Manfred telefoniert – aber danach?

Shit! Er hatte es in sein Zimmer gelegt, um in Ruhe lernen zu können – damit er nicht in Versuchung käme und abgelenkt wurde.

Ob er das Licht der Außenlampe anmachen sollte? Damit würde er den Einbrecher vermutlich vertreiben …

Philip tastete nach dem Schalter im Flur, er wollte gerade drücken, als jemand eindeutig einen Schlüssel in das Schloss steckte und es aufsperrte.

Hatten Einbrecher jetzt schon Zentralschlüssel bei sich?

Philip sah sich nach einem harten Gegenstand um. Die riesige Blumenvase kam wohl nicht infrage, aber einer der Schirme vielleicht. Natürlich wäre der danach kaputt, aber zumindest konnte er sich so schützen.

Er brachte sich hinter der Garderobe in Position, während er den Schirm mit beiden Händen über seiner rechten Schulter umklammerte. Seine Beine zitterten leicht, auf den Innenflächen seiner Hände bildete sich Schweiß.

Die Tür knackte und sprang auf, Sekunden später schob sich ein Hüne von einem Mann in den Vorraum. Philip überlegte nicht lange, schoss nach vorne und zog dem Fremden den Schirm über den Schädel.

Der Kerl fluchte laut, wich zurück und hielt die Hände schützend über seinen Kopf, doch als er den größten Schock überwunden hatte, ging er in Gegenwehr über. „Was zum Henker …“, brüllte er und versuchte ihm den Schirm abzunehmen.

Doch Philip dachte gar nicht daran, aufzugeben. Das war sein Haus, er würde es dem Eindringling nicht einfach überlassen. Aufgeregt holte er aus und schlug den Schirm ein weiteres Mal durch die Luft. Eigentlich hätte er den Kerl treffen wollen, doch der Mann wich aus und schnappte nach dem Schirm.

Philip schreckte automatisch zurück, als er die Kraft des Typs erkannte. Wenn er ihm den Schirm abnahm, dann war es das, dann hatte er verloren. „Ich habe bereits die Polizei gerufen – sie ist sicher in den nächsten Sekunden hier.“ Das war eine glatte Lüge, aber er würde dem Einbrecher nicht erzählen, dass er sein Handy oben liegen hatte.

„Ja, gut, dann kann sie dich gleich mitnehmen – wegen versuchter Körperverletzung.“

Philip biss die Zähne aufeinander. Wie bitte? Wagte es dieser Mistkerl etwa, ihm die Schuld zuzuweisen? Er hatte schon davon gehört, dass laut österreichischer Gesetzgebung jeder Balkon oder Ähnliches so gesichert sein musste, dass sich im Falle eines Einbruchs der Einbrecher nicht verletzen konnte. Wenn er sich recht erinnerte, hatte ein Dieb einmal eine Familie auf Schmerzensgeld verklagt, weil er vom Balkon ihres Hauses gestürzt war, das noch kein Geländer hatte.

Sicher nicht! Philip riss den Schirm wütend herum und donnerte ihn regelrecht in Richtung des Mannes. Der Schirm brach entzwei, der Typ schnappte nach Luft, ging aber noch immer nicht in die Knie. Stattdessen schlug er ihm die kümmerlichen Reste des Schirms aus der Hand und schrie ihn an: „Spinnst du?“

„Was?“ Philip wich wieder zurück, während er sich nach einem anderen Gegenstand umsah, den er gegen den Eindringling benutzen konnte. Mehr im Reflex als durchdacht griff er nach dem schweren Zinnaschenbecher, den keiner im Haus verwendete, der sich aber gut als Schlüsselablegebehälter und für etwaige Münzen eignete. Wenn er es in der Eile richtig gesehen hatte, war auch eine rosarote Haarspange von Valerie darin gewesen. Jetzt lag der komplette Inhalt am Boden verstreut – das Geld kullerte laut über den gefliesten Boden. „Hau ab, bevor die Polizei hier eintrifft!“ Er hob den Zinnaschenbecher über seinen Kopf, zum Wurf bereit.

„Ich soll abhauen?“, wiederholte der Fremde ungläubig. „Du meinst wohl eher: du!“ Er schaute sich hektisch im Raum um, bevor er wieder zu ihm blickte und ihn argwöhnisch von oben bis unten musterte. „Dämliche Emos – brecht ihr jetzt schon in Häuser ein und beklaut harmlose Bürger?“

Philip fiel die Kinnlade nach unten. War er – ER! – soeben von einem Einbrecher beschimpft worden? Unterstellte ihm dieser Kerl … Er war überhaupt kein Emo! Und selbst wenn!

„Verschwinde, bevor die Polizei hier ist!

„Ich?“ Philip umfasst den Zinnaschenbecher fester, als der Typ aufrückte. „Bleib wo du bist, du Arsch!“

„Arsch?“ Der Mann knurrte laut.

Zum Glück konnte Philip seine Gesichtsmimik ob des fehlenden Lichtes im Raum nicht eindeutig erkennen.

„Verschwinde! Ich schwöre dir, wenn du nicht augenblicklich hier abhaust, dann verprügle ich dich!“ Der Kopf des Fremden bewegte sich. Er sah sich im Vorraum um. „Hast du hier irgendwas angestellt? Wenn du etwas kaputt gemacht hast, dann kannst du etwas erleben!“ Er rückte auf.

Philip dachte nicht lange genug nach und warf den Zinnaschenbecher nach ihm. Natürlich wich das Arschloch aus, und das massive Ding prallte gegen die Wand – genau neben ein Familienfoto. Das Bild fiel scheppernd zu Boden, Glas klirrte. Philip war sich sicher, dass er ein Loch in die Wand geschlagen hatte.

„Spinnst du?“, schrie der Typ abermals und trieb ihn in die Ecke im Vorraum. „Das bezahlst du!“

„Was?“ Philip war versucht nach einem weiteren Gegenstand zu greifen, aber er sah ein, dass er mehr zerstörte, als sich zu verteidigen. „Hast du sie noch alle? Verschwinde aus meinem Haus!“ Unruhig wich er in die Ecke zurück. Der Fremde hatte ihm eindeutig den Weg abgeschnitten und jede Fluchtmöglichkeit vertan. Er konnte nicht mehr fliehen und irgendwie aus der Hintertür oder über die Terrasse abhauen. Er saß in der Falle.

„Dein Haus?“ Der Typ baute sich vor ihm auf.

Philip streckte automatisch den Kopf hoch, um den Kerl ansehen zu können, so groß wie er war – obwohl ansehen nicht richtig war, durch das ausgeschaltete Licht, konnte er nur die Umrisse erkennen.

Im selben Moment ging die Flurlampe an. Philip blinzelte, der Fremde hatte das Licht angemacht, er hatte genau gewusst, wo sich der Schalter befand. Ein kühler Blick flog über ihn, dann murrte der Fremde: „Du bist Manfreds kleiner Bruder Philip – das Scheißerchen, das sich an seinen Rockzipfel klammert!“

***

Philip sah auf das Loch in der Wand, das er mit dem Zinnaschenbecher geschlagen hatte.

„Hast du gut hinbekommen!“, knurrte der Typ, der sich als Mario vorgestellt hatte.

„Hm“, brummte Philip nur, ohne sich umzusehen. Der Kerl stand direkt hinter ihm, er konnte seinen Atem fühlen, aber er würde sich nicht umdrehen und wieder zu ihm hochstarren – das hatte er schon vorhin getan. Als der Typ das Licht angeschaltet hatte – da hatte er für Sekunden in sein Profil gestiert, als wäre er der letzte Mann auf Erden – und er notgeil. „Im Prinzip ist das ja nicht meine Schuld.“

„Nicht?“ Mario schnaubte laut aus. „Wessen Schuld ist es denn dann?“

„Deine?“ Philip trat an ihm vorbei und ging ins Wohnzimmer. „Schließlich hast du hier eingebrochen.“

„Mit einem Schlüssel?“

Philip wandte sich ruckartig um. „Woher hätte ich wissen sollen, dass du einen Schlüssel hast? Manfred hat nichts davon erzählt – er hat dich ohnehin nie erwähnt!“

„Nie erwähnt!“, wiederholte Mario und lehnte sich mit der Schulter gegen den Türstock. Er überkreuzte lässig die Fußknöchel, dann schlug er die Hände vor der Brust übereinander. „Ich bin mir sicher, dass mein Name das ein oder andere Mal fiel – wahrscheinlich hast du nur nicht zugehört.“

„Sicher nicht.“ Philip sah von dem kantigen Kiefer mit dem Dreitagesbart weg und bückte sich, um nach den Katzen Ausschau zu halten. Seit Marios Einfall in das Haus waren sie verschwunden. Sie konnten nicht nach draußen geflüchtet sein, das hätte er bemerkt, aber sie hatten sich vor Schreck verkrochen – was er ihnen nicht verübeln konnte. Er wäre selbst am liebsten unter das nächste Bett gekrabbelt.

„Was suchst du?“, fragte Mario.

„Zwei Katzen, die du vergrault hast!“

„Ich habe gar nichts – du bist auf mich losgegangen!“

Philip fuhr erneut herum und fixierte den Hünen. Er mochte ja gut aussehen, sehr sogar, und seine Schultern mochten breit sein wie Balken, aber der Scheißer brauchte nicht zu denken, dass er mit ihm sprechen könne, als hätte er einen Fehler gemacht. „Noch einmal“, begann er gereizt. „Du hast eingebrochen – du bist hier ohne Voranmeldung in mein Haus eingedrungen und bist danach auf mich los. Ich kenne dich nicht, ich habe deinen dämlichen Namen noch nie gehört … Was willst du überhaupt hier? Manfred hat kein Wort darüber verloren, dass ein angeblicher Freund von ihm auftaucht.“ Philip runzelte die Stirn. Manfred hätte ihm das gesagt, schließlich wusste er, dass er zum Lernen hier war und seine Ruhe brauchte.

„Ich habe nicht eingebrochen“, sprach Mario in einem Ton, dass Philip ihn am liebsten hinausgeworfen hätte. „Wie schon erwähnt, Einbrecher haben keine Schlüssel – und für Manfred ist es sicher okay, dass ich hier bin.“

„Für Manfred ist es okay?“ Philip konnte sich nicht länger zurückhalten – der Mistkerl überspannte den Bogen. „Soll das heißen, mein Bruder weiß gar nicht, dass du hier bist?“

Mario wiegte den Kopf nachdenklich hin und her. „Na ja, er …“

„Woher hast du diesen Schlüssel? Hast du ihn geklaut?“

„Du spinnst ja!“, maulte Mario und blickte auf ihn herunter. „Manfred hat ihn mir mal gegeben, für den Fall der Fälle. Wenn er oder Bianca ihren verlieren sollten – oder sonst etwas ist.“

„Du willst mir sagen, du hast einen Reserveschlüssel?“ Philip spürte wie ihm vor Wut Farbe ins Gesicht stieg. Manfred gab Schlüssel von ihrem gemeinsamen Elternhaus weiter? „Und den benutzt du einfach?“ Er schnaubte laut. „Manfred fährt auf Urlaub, und währenddessen nistest du dich heimlich ein? Willst du uns ausrauben, oder wie? Bin ich dir dazwischengekommen?“

Mario biss die Kiefer aufeinander, seine Gesichtsmuskeln spannten sich an. Für Sekunden wirkte er sprachlos, bis er so dicht zu ihm aufrückte, dass er ihn mit seinem Brustkorb berührte: „Unterstellst du mir, dass ich Manfred hintergehe und ihn betrüge und bestehle?“

Philip legte den Kopf ein Stück weiter zurück, um ihm noch ins Gesicht sehen zu können, und schluckte. Wenn er Pech hatte, bekam er gleich eine Faust zu spüren, andererseits hatte er noch nie nachgegeben, wenn es um die Wahrheit ging. „Ich kenne dich nicht – und Manfred hat nichts von dir erzählt. Du behauptest, du hast von ihm einen Reserveschlüssel für den Notfall, und dann … dann kommst du hier heimlich her und … und was überhaupt? Was machst du hier? Urlaub, solange mein Bruder verreist ist?“ Er trat zurück. So viel Nähe vertrug er nicht, schon gar nicht, wenn sein Gegenüber wütend war, einen Kopf größer und er befürchten musste, verprügelt zu werden.

Mario ließ ihn nicht aus den Augen, machte aber einen Schritt zurück, als er merkte, dass Philip ihm auswich. Er brummte laut, dann zuckte er mit den Schultern. „Das ist schwierig zu erklären … zu Hause kann ich im Moment nicht bleiben, ich brauche etwas Abstand. Ich hätte Manfred noch angerufen, er hat bestimmt kein Problem damit.“

Tja, er vielleicht nicht, aber ich!, schoss es Philip durch den Kopf. Es wäre eine ehrliche Antwort gewesen, stattdessen biss er sich auf die Zunge und nickte. „Machst du das öfters? Wenn Manfred und Bianca nicht hier sind, dann benutzt du das Haus? Warst du in meinem Zimmer?“

Mario öffnete den Mund, um zu kontern, hielt dann aber inne. Er zog eine Braue hoch und musterte ihn. „Warum? Was ist mit deinem Zimmer?“

„Nichts! Ich will nur wissen, ob du schon öfters heimlich hier warst!“

Mario rollte mit den Augen. „Ich bin noch nie einfach so hier gewesen, so etwas mache ich nicht – das ist eine Ausnahmesituation. Und dein Bruder würde es verstehen.“

„Ja, Manfred versteht ja anscheinend vieles – zum Beispiel jemandem einen Schlüssel unseres Hauses zu geben, ohne mir etwas zu sagen!“ Philip drehte sich um und stieß laut die Luft aus. „Ich rufe ihn jetzt an – das ist mir zu viel.“

„Ja, ruf Papi an und frag nach mir“, motzte Mario hinter ihm und drehte sich ebenfalls um. Sekunden später war er aus dem Haus verschwunden.

Philip war sich nicht sicher, ob er wieder fuhr. Kurz war er versucht, hinter ihm herzulaufen, die Reserveschlüssel, die ihm Schloss steckten, an sich zu nehmen und den Idioten auszusperren, aber er hatte den Plan noch nicht überdacht, da kam Mario bereits zurück und stellte einen Trolley im Vorraum ab.

Wollte das Arschloch etwa länger bleiben?

Nur über seine Leiche!

Philip lief hoch in sein Zimmer und schnappte nach dem Handy. Hastig rief er Manfred an, noch während er wieder nach unter ging. Womöglich räumte der Kerl ihm die Bude leer, nur weil er dachte, dass er tatsächlich ein Freund seines Bruders war. „Lass bloß die Katzen nicht raus!“, giftete er und sah sich um. „Hast du sie rausgelassen?“ Hektisch blickte er vom Flur ins Wohnzimmer. Von Lucy und Gru fehlte nach wie vor jede Spur.

„Nein“, brummte Mario und warf die Tür ins Schloss. Zu dem Trolley hatten sich eine Tasche sowie ein Notebook und ein Rucksack gesellt. Wollte er etwa einziehen?

„Bruderherz“, riss Manfred ihn aus den Gedanken, als er abgehoben hatte. „Hast du Sehnsucht nach uns, oder warum rufst du so spät noch an? Nicht, dass ich nicht gerne von dir höre, aber es ist ungewohnt, dass du dich während unseres Urlaubs mehrmals am Tag meldest und vor allem um diese Zeit. Es ist doch nichts passiert, oder? Geht es dir gut?“ Die letzten Worte hatten panisch geklungen.

„Na ja, kommt drauf an“, keifte Philip angriffslustig. Dass Manfred ohne sein Wissen Schlüssel an Wildfremde weitergab, nervte ihn.

„Oh mein Gott! Was ist geschehen?“

„Was ist los?“, hörte er Bianca im Hintergrund.

„Nichts ist passiert, es geht mir gut“, murrte Philip, weil er Bianca nicht in die Sache ziehen wollte.

„Was ist dann los?“

„Kennst du einen Mario … Krümel?“

„Krimmel!“, knurrte Mario hinter ihm.

„Krimmel“, wiederholte Philip und wandte Mario bewusst den Rücken zu.

„Ähm, ja. Wieso?“

„Weil der Scheißkerl hier eingebrochen hat!“

„Ich habe nicht eingebrochen!“

Philip schnaubte und drehte sich zur anderen Seite. „Ja, du hast richtig gehört: Dieser Arsch bricht hier mitten in der Nacht ein!“

„Ich habe nicht eingebrochen … und überhaupt: Hast du mich gerade Arsch genannt?“

Philip zeigte ihm erneut den Rücken, als Mario um ihn herumlief und sich vor ihm aufbaute.

„Er hat was?“ Manfred holte so laut Luft, dass Philip es durch die Telefonleitung hörte.

„Ja, du hast richtig gehört. Er hat hier eingebrochen, und …“ Philip wollte noch etwas sagen, doch er kam nicht weiter, weil Mario ihm das Handy wegnahm und damit in das Wohnzimmer marschierte. „Spinnst du?“ Philip lief hinter ihm her.

„Hi, Freddy. Ich habe nicht eingebrochen – ich habe euren Schlüssel verwendet, den du mir vor ein paar Jahren gegeben hast.“

Freddy? Philip traute seinen Ohren nicht. Freddy nannte niemand seinen Bruder – Manfred hasste den Namen Fred. Wütend versuchte er nach seinem Handy zu schnappen, doch Mario wehrte ihn problemlos ab. Freddy antwortete etwas, doch er konnte es nicht verstehen.

„Tut mir leid, ich wollte dich von hier anrufen, aber mir ist zu Hause die Decke auf den Kopf gefallen. Ich musste da raus – und da habe ich mich erinnert, dass ihr weg seid. Tut mir wirklich leid, ich wusste auf die Schnelle nicht wohin …“ Er machte eine kurze Pause und nickte, was Freddy sicher nicht sehen konnte. „Es ist endgültig aus.“ Er seufzte leise. Freddy antwortete abermals etwas, Mario schnaubte leise. „Ich will im Moment ehrlich gesagt nicht darüber reden, genau deshalb bin ich ja so weit wie möglich von meiner Wohnung weggefahren – dort würde mich nur alles aufregen. Ich wollte hier wirklich nur kurz bleiben.“

„Ja, genau, deshalb hast du deinen kompletten Haushalt mitgebracht!“ Philip zeigte in den Flur, wo das Gepäck stand. Er griff erneut nach dem Mobiltelefon, doch Mario wich ihm aus und hielt ihn mit einer Hand am T-Shirt an der Brust fest. Ohne viel Anstrengung schob er ihn von sich.