Planet der schmelzenden Berge - Philip José Farmer - E-Book

Planet der schmelzenden Berge E-Book

Philip José Farmer

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Beschreibung

Diese Welt ist anders als die anderen …

Durch einen seltsamen Zwischenfall werden Paul Janus Finnegan und seine Begleiter auf die wohl seltsamste Welt gebracht, die man sich ausdenken kann: sie behält ihre Form nicht bei, sondern verändert stetig ihr Aussehen. Berge wandern herum oder schmelzen, ganze Wälder bewegen sich, ja, manchmal erschafft die Welt sich sogar Monde, die ein paar Monate halten, ehe sie wieder mit der Mutterwelt verschmelzen. Auf dem gesamten Planeten gibt es nur ein Portal, das Finnegan und seine Freunde in ihre Heimat zurückbringen könnte – aber das befindet sich in der Nähe des Palastes des Herren dieser Welt, der ebenfalls seinen Standort wechselt. Zudem scheint ihnen der Meister nicht wohlgesonnen zu sein. Ein atemloses Katz- und Mausspiel in planetarem Maßstab beginnt …

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PHILIP JOSÉ FARMER

 

 

 

PLANET DER SCHMELZENDEN BERGE

 

Die Welt der tausend Ebenen Band 5

 

Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Titel der Originalausgabe: The Lavalite World

Aus dem Amerikanischen von Walter Erev

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1977 by Philip José Farmer

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: Das Illustrat, München

Satz: Winfried Brand

ISBN 978-3-641-20269-9V002

www.penguin.de

 

Danksagung

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Sechsundzwanzigstes Kapitel

 

Das Buch

Durch einen seltsamen Zwischenfall werden Paul Janus Finnegan und seine Begleiter auf die wohl seltsamste Welt gebracht, die man sich ausdenken kann: sie behält ihre Form nicht bei, sondern verändert stetig ihr Aussehen. Berge wandern herum oder schmelzen, ganze Wälder bewegen sich, ja, manchmal erschafft die Welt sich sogar Monde, die ein paar Monate halten, ehe sie wieder mit der Mutterwelt verschmelzen. Auf dem gesamten Planeten gibt es nur ein Portal, das Finnegan und seine Freunde in ihre Heimat zurückbringen könnte – aber das befindet sich in der Nähe des Palastes des Herren dieser Welt, der ebenfalls seinen Standort wechselt. Zudem scheint ihnen der Meister nicht wohlgesonnen zu sein. Ein atemloses Katz- und Mausspiel in planetarem Maßstab beginnt …

 

 

 

 

Der Autor

Philip José Farmer wurde am 26. Januar 1918 in North Terre Haute, Indiana, geboren. Die Familie siedelte nach Illinois über, wo Philips Vater einen kleinen Betrieb hatte. Als dieser Mitte der 1930er Jahre pleiteging, musste Philip sein Collegestudium abbrechen und seine Familie mit allerhand Jobs finanziell unterstützen. Er studierte später neben dem Beruf und machte 1950 seinen Bachelor of Arts in Englisch. Danach arbeitete er als technischer Journalist für verschiedene Unternehmen, ehe er 1952 mit seiner Erzählung »Die Liebenden« schlagartig berühmt wurde. Die Story, die mit dem Hugo Award ausgezeichnet wurde, war zuvor von renommierten SF-Magazinen abgelehnt worden, weil sie von einer sexuellen Beziehung zwischen einem Menschen und einem Alien handelt, was im prüden Amerika der 1950er Jahre für einen Skandal sorgte. Mit Romanen wie »Fleisch« festigte Farmer sein Image als Tabubrecher; Reihen wie der Flusswelt-Zyklus, für die er seinen zweiten Hugo Award gewann, oder die »Welt der tausend Ebenen«-Saga befassen sich mit neomythologischen Themen. Philip José Farmer starb am 25. Februar 2009 in seinem Heim in Peoria, Illinois.

 

Eine Übersicht aller im Heyne Verlag lieferbaren Romane von Philip José Farmer finden Sie am Ende des Buches.

Für Roger Zelazny,

den großartigen Legendenbauer

Dank sage ich J. T. Edson, dem Autor der Dusty-Fog-Saga, für seine freundliche Erlaubnis, den terranischen Fog mit den britischen Foggs zu verschmelzen.

PHILLIP JOSÉ FARMER

Erstes Kapitel

 

Kickaha war ein quecksilberschneller Proteus.

Wenige konnten sich mit ihm in der Schnelligkeit messen, mit der er sich Veränderungen anpassen konnte. Doch auf der Erde und auf anderen Planeten der Taschenuniversen veränderten sich die Hügel, Berge, Täler, die Ebenen und die Flüsse und Seen nur selten. Man nahm es für selbstverständlich, dass sie ihre Form und ihren Standort beibehielten.

Sicher, kleinere örtliche Veränderungen gab es. Überschwemmungen, Erdbeben, Berglawinen und Springfluten veränderten das Gesicht der Erde. Doch ihre Auswirkungen schlugen auf der Zeitskala, im Lebensmaßstab einer Nation, nur minimal aus.

Ein Berg mochte ja wandern, doch die Hunderte und Tausende von Generationen, die an seinem Fuß lebten, würden es kaum bemerken. Nur der Schöpfer – oder ein Geologe – würde in den unmerklichen Bewegungen so etwas erkennen wie die Flucht einer Maus in ein Erdloch. Hier war dies anders.

Sogar der selbstsichere, seelenruhige Kickaha, der sich Veränderungen so schnell anpassen konnte, wie ein Spiegel ein Bild reflektiert, war hier nervös. Aber er würde nicht zulassen, dass irgendjemand sonst dies merkte. Auf die anderen machte er einen geradezu wahnsinnig unterkühlten Eindruck. Doch dies rührte daher, dass sie nämlich dabei waren, den Verstand zu verlieren.

Zweites Kapitel

 

Während der »Nacht« hatten sie sich zum Schlafen hingelegt. Kickaha hatte die erste Wache übernommen. Urthona, Orc, Anana und McKay hatten es sich auf dem rostroten Gras so bequem wie möglich gemacht und waren bald eingeschlafen. Ihr Lager befand sich auf dem Grund eines flachen Tales, das von niedrigen Hügeln eingeschlossen war. Das Gras war das einzige Anzeichen von Vegetation im Talgrund. Die Hügelkämme hingegen waren von schattenhaften Bäumen bestanden. Sie maßen etwa drei Meter, und obwohl kaum eine leichte Brise wehte, schwankten die Bäume vor und zurück.

Als Kickaha seine Wache angetreten hatte, entdeckte er nur ein paar Bäume auf den Hügelkämmen. Doch im Verlauf der Zeit tauchten immer mehr auf. Sie bauten sich neben der Vorhut auf, bis sie eine durchgehende Linie bildeten. Es war unmöglich zu schätzen, wie viele sich auf den Rückhängen der Hügel befinden mochten. Eines allerdings schien Kickaha als sicher: dass die Bäume auf die »Morgendämmerung« warteten. Und dann, falls die Menschen nicht zu ihnen kommen würden, würden die Bäume die Hänge herunterkommen und die Menschen angreifen.

Der Himmel war einheitlich dunkelrot, bis auf ein paar langsam dahintreibende schwarze Umrisse. Wolken. Die riesige rote Masse, die dem Auge als sechsmal größer als der Mond der Erde erschien, war vom Himmel verschwunden. Sie würde zurückkehren, nur wusste er nicht, wann. Er setzte sich und rieb sich die Beine. Sie schmerzten ihn noch immer nach dem Unfall, der vor zwölf »Tagen« stattgefunden hatte. Der Schmerz in seiner Brust dagegen war beinahe vollkommen abgeklungen. Er erholte sich, doch er war keineswegs mehr so beweglich und stark, wie er dies gewohnt war.

Allerdings kam ihm zugute, dass die Schwerkraft hier geringer als auf der Erde war.

Er legte sich einen Augenblick auf den Rücken. Kein tierischer oder menschlicher Feind würde jetzt angreifen können. Er würde zuerst den Ring der Mörderbäume passieren müssen. Und nur die Elefanten und eine Riesenart von schalenhirschähnlichen Tieren würden dazu kräftig genug sein. Er wünschte sich, dass ein paar von ihnen auftauchen würden. Sie ernährten sich von Bäumen. Doch auf diese Entfernung hin vermochte Kickaha nicht genau zu bestimmen, um welche Gattung der Mörderpflanzen es sich handelte. Manche von denen waren mit solch furchtbaren Waffen ausgestattet, dass selbst die großen Tiere ihnen auswichen.

Aber wie zum Teufel hatten die Bäume ihre kleine Gruppe entdeckt? Zwar verfügten sie über einen gut ausgebildeten Geruchssinn, doch bezweifelte er, dass die Luftbewegung stark genug war, die Witterung der Menschengruppe den Hang hinaufzutragen und über den Kamm hinweg. Die Sehfähigkeit der Pflanzen hingegen war beschränkt. Sie konnten Umrisse durch die aus vielen Facetten zusammengesetzten insektenartigen Augen erkennen, die ringförmig am Oberteil des Stammes angeordnet waren. Doch auf diese Entfernung und in diesem Licht waren sie wohl nahezu blind.

Einer oder mehrere ihrer »Kundschafter« waren wohl über einen Kamm gestiegen und hatten ein paar Geruchsmoleküle der Menschenwitterung aufgefangen. Und das war weiter nicht verwunderlich. Er selbst und die anderen stanken. Das bisschen Wasser, das sie hatten finden können, musste zum Trinken verwendet werden. Und wenn sie morgen nicht irgendwo neues Wasser fanden, würden sie bald ihren eigenen Urin trinken müssen. Man konnte diesen zweimal rezyklieren, bevor er zu Gift wurde.

Und wenn sie nicht bald irgendein jagdbares Wild töteten, dann würden sie vor Hunger zu schwach sein, um weiterzugehen.

Er rieb mit den Fingern der Linken über den Lauf seines Handstrahlers. Die Batterie enthielt nur noch ein paar volle Energiestöße, dann würde sie leer sein. Bisher hatten Anana und er es vermieden, den Energievorrat der Waffe zu verschwenden. Schließlich war sie das einzige, das ihnen erlaubte, die anderen drei unter Kontrolle zu halten. Überdies war es auch der einzige starke Schutz, den sie gegen die großen Raubtiere hatten. Doch wenn die »Dämmerung« herrschen würde, dann wollte er auf die Jagd gehen. Sie mussten unbedingt essen, und sie konnten ja das Blut trinken, um den Durst zu löschen.

Vorher aber würden sie durch den Baumgürtel dringen müssen, und dabei würden sie möglicherweise die Energiebatterie aufbrauchen. Und vielleicht reichte die Energie nicht einmal aus. Es konnten ja Tausende von Bäumen auf der anderen Seite der Hügelkämme stehen.

Die Wolken zogen sich zusammen. Vielleicht würde es doch endlich regnen. Und wenn der Regen so dicht fiel, wie Urthona das vorausgesagt hatte, dann könnte er dieses schalenförmige Tal anfüllen. Sie würden also entweder ertrinken oder die Bäume angehen müssen. Eine großartige Auswahl!

Er ruhte ein paar Augenblicke auf dem Rücken aus. Er vernahm jetzt schwache Geräusche wie ein Knarren und Stöhnen und ein gelegentliches Murren. Die Erde unter ihm bewegte sich. Über seinen Rücken und seine Beine strömte Hitze! Es fühlte sich beinahe so heiß an wie ein menschlicher Körper. Unter den dicht stehenden Gräsern und dem dicken Geflecht der Wurzeln wurde Energie freigesetzt. Die Erde verschob sich langsam. Er wusste nicht, in welche Richtung und zu welchen neuen Formen.

Er konnte warten. Einer seiner größten Vorzüge war eine fast tierhafte Geduld. Sei ein Leopard, sei ein Wolf! Liege ganz still und schätze die Lage ab! Wenn es darauf ankam zu handeln, dann würde er explosiv losbrechen. Unseligerweise behinderten ihn sein verletztes Bein und seine Erschöpftheit. Wenn er früher einmal Dynamit gewesen war, dann war er jetzt nur noch schwarzes Schießpulver.

Er setzte sich auf und blickte sich um. Die Bäume bildeten auf den Hügelkämmen einen wabernden Wall. Ringsum glühte dieses dunkle rote Licht. Die anderen aus ihrer Gruppe lagen auf dem Rücken oder auf der Seite. McKay schnarchte. Anana murmelte etwas in ihrer Muttersprache, einer Sprache, die älter war als die Erde selbst. Urthonas Augen waren geöffnet, und er blickte direkt zu Kickaha hinüber. Hoffte er vielleicht, ihn zu überraschen, wenn er nicht aufpasste, und den Strahler in die Hand zu bekommen?

Nein. Er schlief fest, Mund und Augen weit geöffnet. Kickaha war aufgestanden und zu ihm getreten, und er hörte das leise Gurgeln von den trockenen Lippen des Mannes. Die Augen wirkten glasig.

Kickaha leckte sich über die eigenen sandpapierrauhen Lippen und schluckte. Er hob die Armbanduhr, die er sich von Anana ausgeliehen hatte, dicht vor die Augen. Er drückte den kleinen Knopf an der Seite, und vier Ziffern leuchteten kurz auf dem Zifferblatt auf. Sie waren in den numerischen Symbolen der Lords geschrieben. Nach irdischer Berechnung war es 15.12 Uhr. Aber hier bedeutete dies überhaupt nichts. Es gab keine Sonne; vom Himmel strahlten Licht und ein wenig Wärme. Wie dem auch sein mochte, dieser Planet besaß keine stabile Umdrehung oder Umlaufbahn, und es gab keine Sterne. Und die große rötliche Masse, die langsam über den Himmel zog und von Tag zu Tag größer wurde, war kein echter Mond. Sie war ein temporärer Satellit, und sie war in einer ständigen Fallbewegung begriffen.

Schatten gab es nur bei einer ganz außergewöhnlichen Bedingung. Es gab keinen Norden, Süden, Osten oder Westen. In der Uhr Ananas war ein Kompass eingebaut, doch nützte er hier überhaupt nichts. Der große Himmelskörper, auf dem er sich befand, besaß keinen Nickel-Stahl-Kern, kein elektromagnetisches Feld, keinen Nordpol und keinen Südpol. Wollte man genau sein, dann konnte man das Gebilde nicht einmal einen Planeten nennen.

Inzwischen begann sich der Boden zu heben. Er empfand das nicht aus der Bewegung, denn die war zu langsam. Doch die Hügellinien waren eindeutig niedriger geworden.

Einen nützlichen Zweck allerdings erfüllte Ananas Uhr: Man konnte an ihr das Fließen der Zeit ablesen, und sie würde ihm sagen, wann seine anderthalbstündige Wachperiode vergangen war.

Als es Zeit war, Anana zu wecken, trat er zu ihr hinüber. Doch sie richtete sich auf, ehe er auf vier Schritte herangekommen war. Sie wusste, dass es ihre Wachablösung war. Sie hatte sich selbst den Befehl erteilt, zur richtigen Zeit aufzuwachen, und eine gut entwickelte Sinneseinrichtung in ihr, eine Art biologischer Wecker, hatte »geklingelt«.

Anana war noch immer hinreißend schön, doch begann sie allmählich hager auszusehen. Die Wangenknochen standen vor, die Haut darunter und das Wangenfleisch begannen einzusinken, die weiten dunkelblauen Augen waren von Erschöpfungsringen umgeben. Die Lippen waren rissig, und die einst so glatt und weiß wirkende Haut war schmutzig und sah grob aus. Und obwohl sie während der zwölf Tage, die sie inzwischen hier hatten verbringen müssen, unendlich geschwitzt hatte, sah man um ihren Hals noch immer die Rauchspuren.

»Na, du selber siehst ja auch nicht gerade überwältigend aus«, sagte sie lächelnd.

Sonst war ihre Stimme ein samtiger Alt gewesen, jetzt hingegen klang sie wie Kies.

Sie stand auf. Sie war schlank, hatte jedoch breite Schultern und schöne, volle Brüste. Sie war nur knapp fünf Zentimeter kleiner als Kickaha mit seinen ein Meter fünfundachtzig, und sie war so kräftig wie nur irgendein Mann ihrer Größe und ihres Gewichts. Und beim Wettlauf unter fünfzig Metern konnte sie Kickaha glatt abhängen. Warum auch nicht? Sie hatte zehntausend Jahre lang Zeit gehabt, ihr körperliches Potential zu entwickeln.

Aus der Gesäßtasche ihrer Seemannshosen, die ziemlich zerfetzt aussahen, zog sie einen Kamm und richtete sich das zerzauste Haar gerade. Das Haar war lang und so schwarz wie das einer Krähenindianerin.

»Na? Ist es so besser?«, fragte sie lächelnd. Die Zähne waren sehr weiß und sehr ebenmäßig. Vor nur dreißig Jahren hatte sie sich frische Zähnezwiebeln implantieren lassen – zum hundertsten Mal …

»Nicht schlecht für eine ausgetrocknete, uralte Frau, die am Verhungern ist«, sagte Kickaha. »Und eigentlich … Wenn ich mich dazu in der Lage fühlte …«

Er hörte auf zu grinsen und deutete auf die Hügelkämme. »Wir bekommen Gäste!«

In diesem Licht war es kaum zu sagen, ob sie bleich wurde. Die Stimme klang ruhig. »Wenn sie Früchte tragen, haben wir etwas zu essen.«

Kickaha hielt es für besser, sich die Bemerkung zu verkneifen, dass sie stattdessen gefressen werden konnten.

Er reichte ihr den Strahler. Der sah aus wie ein sechsschüssiger Revolver. Nur waren die Geschosse energiegeladene Batterien, und nur eine davon hatte noch die volle Ladung.

Im Lauf gab es einen Mechanismus, der so eingestellt werden konnte, dass der Energiestrahl einen Baum zerschneiden konnte, oder eine leichte Verbrennung verursachte oder nur einen Betäubungsschlag versetzte.

Kickaha ging zu der Stelle, an der er seinen Bogen und einen mit Pfeilen gefüllten Köcher abgelegt hatte. Er war ein hervorragender Schütze, doch bisher hatten seine Pfeile nur zweimal ein Tier erlegt. Die Tiere hier waren argwöhnisch und auf der Hut, und so war es außer diesen zwei Malen unmöglich gewesen, nahe genug an sie heranzukommen und Beute zu schießen. Beide Male waren es kleine Gazellen gewesen, keineswegs ausreichend Nahrung, um über zwölf Tage hindurch fünf erwachsenen Menschen den Bauch zu füllen. Anana hatte einmal mit ihrer Wurfaxt einen Hasen getötet, aber ein langbeiniger Pavian war um einen Abhang herumgeschossen gekommen, hatte ihn gepackt und war mit dem Tier verschwunden.

Kickaha hob Köcher und Bogen auf, und sie gingen hundert Meter von den Schlafenden fort. Dort legte er sich nieder und schlief ein. Sein Messer hatte er in den Boden gerammt, so dass er es jederzeit bei einem Angriff packen konnte. Anana hatte den Strahler, die Wurfaxt und ein Messer, um sich zu verteidigen.

Zu diesem Zeitpunkt machten sie sich wegen der Bäume noch keine Sorgen. Sie wollten nur zwischen sich und die anderen einen gewissen Abstand legen. Und wenn Ananas Wache vorbei war, würde sie McKay wecken und sich dann neben Kickaha ausstrecken. Und sie und ihr Partner machten sich keine übermäßig großen Sorgen darüber, dass einer der anderen sich heranzuschleichen versuchen würde, während sie schliefen. Anana hatte ihnen erklärt, dass es in ihrer Armbanduhr einen Mechanismus gab, der einen Alarm auslöste, wenn irgendein Körper mit einer Masse, die gefährlich werden könnte, näherkam. Sie hatte gelogen. Obwohl natürlich die Lords solche Warnmechanismen besitzen konnten. Wahrscheinlich fragten sie sich, ob Anana sie zu täuschen versuchte. Aber sie würden es nicht darauf ankommen lassen, das herauszufinden. Sie hatte nämlich gesagt, dass sie sofort töten würde, falls einer sie angreifen sollte. Und sie wussten, dass sie nicht spaßte.

Drittes Kapitel

 

Er erwachte schwitzend unter der Hitze, das helle Licht des »Tages« stach ihm in die Augen. Der Himmel hatte sich in ein flammendes helles Feuerrot verwandelt. Die Wolken waren verschwunden und hatten ihr kostbares Nass anderswohin getragen. Aber Kickaha lag nicht länger in einem Tal. Die Hügel waren flach geworden, sie waren jetzt eine Ebene. Und ihre kleine Gruppe hockte nun auf einem niederen Hügel.

Er war überrascht. Der Verwandlungsprozess hatte sich rascher vollzogen, als er erwartet hatte. Allerdings hatte Urthona gesagt, dass die Umformung sich manchmal beschleunigen könne. Hier war nichts beständig oder vorhersehbar. Also hätte Kickaha eigentlich nicht überrascht sein dürfen.

Sie waren noch immer von dem Ring der Bäume umgeben. Es standen dort mehrere Tausend, und gerade in diesem Augenblick näherten sich ein paar Kundschafterbäume dem frischgeborenen Hügel. Sie waren etwa drei Meter hoch. Die Stämme waren fassartig und von einer glatten, grünlichen Rinde bedeckt. Am Ende der Stämme lag ein Kreis großer, dunkler, runder Augen. Auf der einen Seite lag eine Öffnung – der Mund. Darinnen befand sich weiches, flexibles Gewebe und zwei feste Brücken, die mit haifischähnlichen Zähnen bestückt waren. Nach Urthonas Aussagen waren diese Pflanzen zur Hälfte Protein, und ihr Verdauungssystem war dem der Tiere ziemlich ähnlich. Der Anus bildete das Ende des Verdauungssystems, doch war auch er im Mund angesiedelt.

Urthona musste dies ja wissen. Schließlich hatte er die Pflanzen selbst geschaffen.

»Sie haben keine Krankheiten, also gibt es überhaupt keinen Grund, warum die Fäkalien nicht durch den Mund ausgeschieden werden sollten«, hatte Urthona erklärt.

»Wahrscheinlich stinken sie aus dem Mund«, hatte Kickaha gesagt. »Aber schließlich will sie ja wohl auch kaum jemand küssen, oder?«

Er, Anana und McKay lachten darüber. Urthona und Red Orc zogen saure Gesichter. Ihr Sinn für Humor war verkümmert, oder vielleicht hatten sie ohnehin nie viel davon besessen.

Über dem Stammende der Bäume wuchsen viele schlanke Stängel etwa fünfzig bis siebzig Zentimeter hoch. Breite, grüne, herzförmige Blätter bedeckten die Äste. Vom Stamm selbst gingen radial sechs kurze Äste aus, die etwa einen Meter lang in drei Stufen paarweise seitlich angeordnet waren. An ihnen sprossen kurze Zweige mit großen, runden Blättern. Zwischen jedem der Astansätze ragte ein Tentakel hervor, etwa vier Meter lang und so beweglich wie der eines Tintenfisches. Ein weiteres Tentakelpaar wuchs auch aus dem Fuß der Bäume.

Letztere halfen, den Stamm zu balancieren, wenn er sich auf seinen zwei kurzen, knielosen Beinen fortbewegte, die in zwei großen, runden, borkenüberzogenen, aber zehenlosen Füßen endeten. Wenn der Baum sich zeitweilig aus einem beweglichen Zustand in einen sesshaften begab, gruben sich diese unteren Tentakel in den Boden, bildeten Wurzeln und saugten Nahrung aus dem Erdreich. Diese Wurzeln konnten leicht abgerissen und die Tentakel zurückgezogen werden, wenn der Baum sich »entschloss« weiterzuwandern.

Kickaha hatte Urthona gefragt, warum er in seinen Biolabors ein derartig naturwidriges und unbeholfenes Ungeheuer erschaffen hatte.

»Weil ich dazu Lust hatte!«

Jetzt wünschte sich Urthona möglicherweise, dass er das nicht getan hätte. Er hatte die anderen geweckt, und sie starrten alle auf diese unheimlichen, furchteinflößenden Geschöpfe.

Kickaha trat zu Urthona. »Wie geben sie sich Informationen weiter?«

»Durch Pheromone. Verschiedene Substanzen, die sie ausscheiden. Es gibt ungefähr dreißig von diesen Geruchsstoffen, und ein Baum, der sie riecht, empfangt durch sie zahlreiche Signale. Sie können nicht denken. Ihr Hirn entspricht ungefähr dem eines Dinosauriers, relativ gesehen. Sie reagieren auf instinktive – oder roboterhafte Weise. Allerdings verfügen sie über einen wohlausgebildeten Herdentrieb.«

»Kann eines von diesen Pheromonen Furcht übertragen?«

»Ja. Aber zuerst muss man einen der Bäume in Furcht versetzen, und wie die Lage jetzt ist, kann nichts ihnen Angst einjagen.«

»Mir fiel dabei ein«, sagte Kickaha, »dass es verdammt schade ist, dass Sie keine Phiole mit Furchtpheromonen bei sich haben.«

»Früher hatte ich das stets«, sagte Urthona.

Der Baumkundschafter an der Spitze war etwa zehn Meter von ihnen entfernt stehengeblieben. Kickaha blickte zu Anana hinüber, die zwanzig Meter von der Gruppe entfernt stand: Ihr Strahler war aktionsbereit für jeden Angriff von den drei feindlichen Männern oder von dem Baum. Kickaha ging auf den Kundschafterbaum zu und blieb drei Meter vor ihm stehen. Das Wesen wedelte mit seinen grünen Tentakeln. Andere Bäume näherten sich als Hilfstrupp, aber keineswegs überstürzt. Kickaha schätzte, dass sie mit diesen Beinen etwa eine Meile pro Stunde schaffen könnten. Aber er wusste ja nichts über ihre volle Kapazität. Urthona hatte einfach vergessen, wie schnell seine Geschöpfe gehen konnten.

Während er auf den Kundschafterbaum zuging, konnte Kickaha fühlen, wie die Erde unter ihm anschwoll, merkte er, wie viel rascher die Umwandlung vor sich ging. Die Luft wurde wärmer, zwischen den Gräsern hatten sich Spalten gebildet, und die nackte Erde sah schwarz und fettig aus. Wenn die Umgestaltung aufhörte und es drei Tage lang keinen weiteren Wandel geben würde, dann würde das Gras so weit nachwachsen, dass es die kahlen Stellen wieder bedeckte.

Die Bäume waren immer noch in Bewegung, aber sehr viel langsamer geworden. Sie lehnten sich auf ihren starren Beinen vorwärts und stützten sich mit den ausgestreckten Tentakeln ab.

Kickaha schaute sich den vordersten Kundschafter genauer an und entdeckte etwa ein Dutzend apfelroter Kugeln, die von den Zweigen hingen. Er rief über die Schulter Urthona zu: »Kann man die Früchte essen?«

»Vögel können es«, antwortete Urthona. »Aber ich weiß es nicht mehr genau. Andererseits kann ich mir nicht vorstellen, warum ich sie giftig für Menschen gemacht haben sollte.«

»Wie ich Sie kenne«, sagte Kickaha, »würde ich einfach annehmen, Sie haben es aus Jux so arrangiert.«

Er winkte Angus McKay zu, er solle zu ihm herüberkommen. Der Neger kam vorsichtig näher. Allerdings war seine Behutsamkeit mehr auf den Baum als auf Kickaha gerichtet.

McKay war ein paar Zentimeter kleiner als Kickaha, dafür jedoch zwanzig Pfund schwerer. Aber dieses Mehrgewicht bestand nur zum geringsten Teil aus Fett. Er trug schwarze Jeans, schwarze Socken und Stiefel. Sein Hemd und die lederne Motorradfahrerjacke hatte er schon lange abgelegt, doch den Sturzhelm trug er noch immer. Kickaha hatte darauf bestanden, um eventuell Regenwasser darin aufzufangen, auch wenn der Helm zu sonst nichts taugen mochte.

McKay war ein Profi in der kriminellen Szene, ein Produkt von Detroit, und er war nach Los Angeles gekommen und einer von Urthonas bezahlten Killern geworden. Natürlich wusste er zu diesem Zeitpunkt nicht, dass Urthona ein Lord war. Er fand im Übrigen nie heraus, was Urthona, den er als Mr. Callister kannte, für Aktivitäten verfolgte. Aber er war gut bezahlt worden, und wenn Mr. Callister sich nicht mit Geschäften befasste, die den Ärger anderer Gangs erregen konnten, dann war ihm dies alles recht. Außerdem schien Mr. Callister ziemlich gut mit der Polizei umgehen zu können.

An jenem Tag, der so lange zurückzuliegen schien, hatte McKay einen freien Nachmittag. Er hatte in einer Kneipe zu trinken angefangen, irgendwo in Watts. Dann hatte er eine gut gebaute, wenn auch schrille Puppe aufgegabelt und war mit ihr zu seinem Apartment in Hollywood gefahren. Sie waren beinahe sofort ins Bett gesprungen, und er war hinterher einfach in den Schlaf gesackt. Dann weckte ihn das Schrillen des Telefons. Es war Mr. Callister, und er klang aufgeregt und steckte offensichtlich irgendwie in Schwierigkeiten. Ein Engpass, auch wenn er nicht sagte, worum es ging. McKay sollte sofort kommen und seinen 45er Automatik mitbringen.

Dies half ihm, nüchtern zu werden. Mr. Callister musste wirklich in Schwierigkeiten stecken, wenn er offen über eine Telefonleitung, die angezapft sein konnte, befahl, dass sein Killer bewaffnet zu erscheinen habe. Und dann fing für McKay selbst die Misere erst an. Die Puppe war verschwunden – und mit ihr seine Brieftasche mit fünfhundert Dollar und sämtlichen Kreditkarten und seine Wagenschlüssel.

Als er aus dem Fenster auf den Parkplatz schaute, sah er, dass auch sein Auto verschwunden war. Wenn man ihn nicht so dringend gebraucht hätte, so hätte er gelacht. Von einer diebischen Nutte ausgezogen! Er! Und noch dazu einer, die ziemlich dumm sein musste, denn er würde sie selbstverständlich aufspüren. Und seine Brieftasche und den Inhalt zurückholen, falls der noch vorhanden war. Und seinen Wagen auch. Er würde das Weib nicht umbringen, aber er würde sie ein bisschen durchprügeln, um ihr eine Lektion zu erteilen. Er war ein Profi, und Profis töteten nur für Geld oder zum Selbstschutz.

Also zog er seine Motorradkleidung an und fuhr auf der Maschine tos und raste durch die Nacht, bereit, die Bullen abzuhängen, falls sie ihn entdeckten. Callister wartete auf ihn. Die anderen Leibwächter waren nicht da. Er fragte Callister nicht, wo sie waren, weil der Boss Fragen nicht liebte. Doch Callister erklärte es ihm freiwillig. Die anderen waren in einem Wagen, der einen Unfall gehabt hatte, während sie hinter einem Mann und einer Frau her waren. Sie waren nicht tot, aber zu schwer verletzt, um irgendwie von Nutzen zu sein.

Dann hatte Callister das Pärchen beschrieben, hinter dem er her war, aber nicht gesagt, warum er sie haben wollte.

Callister war einen Moment lang dagestanden und hatte sich auf die Lippen gebissen. Er war ein großer, gutaussehender Mann, mit blonden Ringellocken, die Augen ein komisches Hellgrün, das Gesicht ein bisschen so wie das von diesem Filmtyp – Paul Newman. Dann ging Callister abrupt an einen Schrank, zog ein Schächtelchen von der Größe eines Zuckerwürfels aus der Tasche, hielt es vor das Schloss, und die Tür flog auf.

Callister holte einen seltsam aussehenden Gegenstand aus dem Schrank. McKay hatte noch nie etwas dergleichen gesehen, wusste aber sofort, dass es eine Waffe war. Sie bestand aus einem Gewehrschaft mit einem kurzen, dicken Lauf, wie eine abgesägte Flinte.

»Ich habe meine Meinung geändert«, sagte Callister. »Nimm das da und lass deinen 45er hier. Wir könnten in eine Lage gelangen, wo wir niemanden einen Revolverschuss hören lassen wollen. Da, ich zeig’ dir, wie man es verwendet.«

McKay schaute zu, als ihm die Waffe erklärt wurde, und er begann sich ein wenig benommen zu fühlen. Und dies war sein erster Schritt in einer Folge von Ereignissen, bei denen er sich vorkam, als sei er auf magische Weise in den Darsteller eines Science-fiction-Films verwandelt worden. Wenn er einigermaßen klar bei Verstand gewesen wäre, dann wäre er an diesem Punkt ausgestiegen. Aber es gab keinen Mann auf Erden, der hätte vorhersehen können, dass er fünf Minuten später nicht einmal mehr auf der Erde sein würde …

Er stand glotzäugig da, als Callister, um ihm die Wirkungsweise der Waffe, dieses »Strahlers«, zu demonstrieren, einen Stuhl halbierte. Er bekam eine Metalljacke. Das heißt, sie fühlte sich an wie aus Stahl, war aber flexibel.

Auch Callister zog eine solche Jacke an. Dann sagte er etwas in einer fremden Sprache, und ein großer, kreisförmiger Fleck in der Wand begann zu glühen, dann verblich das Glühen, und er starrte dumpf in eine neue Welt.

»Geh durch dieses Schleusentor«, sagte Callister. Er hielt seine Handwaffe, die als Revolver getarnt war, nicht direkt auf McKay gerichtet, aber McKay wusste, sie würde sich auf ihn richten, wenn er sich weigerte.

Callister folgte ihm. McKay vermutete, dass er als Deckung benutzt wurde, als Kugelfang, aber er protestierte nicht dagegen. Denn wenn er es getan hätte, hätte er ja halbiert werden können.

Sie gingen durch noch eine Schleuse und befanden sich wieder in einer anderen Welt oder Dimension oder was immer. Und dann fing es wirklich an mit den Aufregungen. Während Callister sich an ihre Beute heranschlich, schlug McKay einen Kreis durch die Bäume. Und dann war plötzlich der Teufel los. Da stand dieser enorme rothaarige Klotz von einem Mann mit einem Bogen und mit Pfeilen, ob man es glaubte oder nicht …

Er steckte hinter einem Baum, also schnitt McKay die Äste des Baumes an einer Seite ab. Nur um den Bogenschützen in Schrecken zu versetzen, weil Callister gesagt hatte, dass er den Burschen – der Name war Kickaha, verrückt, so ein Name! – lebendig in die Finger bekommen wollte. Doch Kickaha hatte einen Pfeil abgeschossen, und McKay wusste genau, wohin der getroffen hatte. Nur ein Teil seines Körpers war nicht hinter dem Baumstamm verborgen, und genau in diesen Körperteil hatte ihn der Pfeil getroffen.

Wenn er nicht diese Stahljacke angehabt hätte, wäre er aufgespießt worden. Doch auch so riss ihn die Wucht des Pfeiles zu Boden. Sein Strahler flog ihm aus der Hand und glitt mit eingeschaltetem Energiestrahl davon.

Und dann sprang der größte Wolf – wenn es ein Wolf war! –, den McKay jemals gesehen hatte, in den Strahl, wurde in vier Teile zersäbelt und starb. McKay hatte Glück gehabt. Wäre der Strahler andersherum gefallen, dann hätte er ihn zerfetzt. Er war zwar betäubt, Arm und Schulter waren völlig gefühllos, aber es gelang ihm, aufzustehen und geduckt zu einem anderen Baum zu laufen. Er fluchte, weil Callister ihm befohlen hatte, seine Automatik zurückzulassen. Und er würde verdammt noch mal nicht hinter dem Strahler auf die Lichtung hinauslaufen. Nicht jedenfalls, solange dieser Kickaha solche Pfeile schießen konnte.

Außerdem hatte er das Gefühl, als stecke er fünfzig Faden tief in der Scheiße.

Danach gab es dann ziemlich viel Bewegung, aber er bekam nicht viel davon mit. Er kletterte auf einen Felsen von der Größe eines Hauses, indem er sich in den Vorsprüngen und Löchern mit einer Hand hochhangelte. Hinterher fragte er sich, wieso er sich an diese exponierte Stelle begeben hatte, wo er in der Falle saß. Aber er war in absoluter Panik gewesen, und da war ihm dies als das logischste erschienen. Vielleicht würde ja keiner auf die Idee kommen, da oben nach ihm zu suchen. Er konnte sich flach hinlegen und verstecken, bis sich der Trubel etwas gelegt hatte. Wenn sein Boss Sieger blieb, würde er herunterkommen. Er würde behaupten, dass er dort hinaufgeklettert war, um das Terrain aus der Vogelperspektive zu überblicken und Callister zuzurufen, wo sich seine Feinde aufhielten. Inzwischen hatte sein Strahler seine Energie ausgebrannt und dabei einen zwanzig Meter entfernten großen Felsblock halb zum Schmelzen gebracht.

Er sah, wie Callister auf das Pärchen zulief, und er sah einen zweiten Mann und dachte, dass der Boss die Lage unter Kontrolle hatte. Dann hatte dieser rotköpfige Kickaha, der auf dem Boden lag, etwas zu der Frau gesagt. Und die hatte eine komisch wirkende Trompete an die Lippen gesetzt und ein paar Takte zu spielen begonnen. Callister war plötzlich stehengeblieben, hatte irgendetwas gerufen und war dann wie ein streifenärschiger Mandrill davongerannt.

Und plötzlich waren sie schon wieder in einer anderen Welt. Und war es vorher schon schlimm genug gewesen, dann waren die Umstände jetzt so scheußlich, dass sie nicht schlimmer vorstellbar waren. Nun ja, ganz so mies auch wieder nicht – denn immerhin lebte er noch. Aber es hatte Momente gegeben, in denen er sich gewünscht hatte, tot zu sein.

 

Also war er jetzt hier, und es war zwölf »Tage« später. Man hatte ihm ziemlich viel erklärt. Meistens hatte Kickaha dies getan. Aber eigentlich konnte er noch immer nicht so recht glauben, dass Callister, der in Wirklichkeit Urthona hieß, und Red Orc und Anana Tausende von Jahren alt waren. Auch nicht, dass sie aus einer fremden Welt gekommen waren, die Kickaha als »Taschenuniversum« bezeichnete. Also so etwas wie ein künstliches Kontinuum, was sie in den Science-fiction-Filmen als Vierte Dimension oder so was bezeichneten.

Diese »Lords«, wie sie sich selbst nannten, behaupteten, sie hätten die Erde geschaffen. Nicht bloß sie, auch die Sonne, die anderen Planeten und die Sterne – und die waren gar keine richtigen Sterne, sie sahen nur wie welche aus –, dieses ganze beschissene Universum.

Die behaupteten doch tatsächlich, dass sie die Vorfahren aller Erdenvölker in Laboratorien herangezüchtet hätten.

Und nicht nur das … Sein Kopf tanzte wie ein Kork auf der Dünung des Meeres: Es gab viele solcher Taschenwelten, die künstlich geschaffen worden waren, um nach anderen physikalischen Gesetzen als das irdische Universum zu funktionieren. Und dann gab es anscheinend vor einigen zehntausend Jahren Krach unter den Lords, und jeder hatte sich in seine oder ihre kleine Welt abgesetzt, um über sie zu herrschen. Und sie wurden Feinde und waren nur darauf aus, einander aufs Kreuz zu legen.

Womit sich erklären ließ, warum Urthona und Orc, die leiblichen Onkel von Anana, versucht hatten, sie umzubringen – und einander ebenfalls. Und dann war da dieser Kickaha. Geboren wurde er als ein Paul Janus Finnegan im Jahre 1918 in irgendeinem Nest in Indiana. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er als Erstsemester an die Universität von Indiana gegangen, doch ehe er sein zweites Semester hinter sich hatte, war er bereits im Gerangel mit den Lords. Erst hatte er auf einer komischen Welt gelebt, die er als »Welt der vielen Ebenen« bezeichnete. Und dort hatte er seinen Namen, Kickaha, von einem Indianerstamm bekommen, der auf einer dieser Ebenen des Planeten lebte, der irgendwie so wie der Turm von Babel oder der Turm von Pisa, diese schiefe Geschichte, oder so ähnlich konstruiert war.{1}

Indianer? Ja, und zwar deshalb, weil Jadawin, der Lord dieser Welt, auf den verschiedenen Ebenen Völker angesiedelt hatte, die er von der Erde entführt hatte.

Das Ganze war ziemlich verwirrend. Jadawin hatte nicht immer auf dem Heimatplaneten der Lords gelebt, auch nicht in seinem eigenen privaten Kleinkosmos. Eine Zeitlang war er ein Bürger der Erde gewesen, und er hatte es nicht einmal gewusst, weil er das Gedächtnis verloren hatte. Und dann … Ach, zum Teufel mit dem ganzen Mist. McKay bekam Kopfschmerzen, wenn er nur daran dachte. Aber irgendwann einmal, wenn er die Zeit haben würde, sofern er lange genug lebte, würde er das alles ganz schön und klar ordnen. Das heißt, wenn er nicht vorher vollkommen verrückt geworden war.

Viertes Kapitel

 

Kickaha sagte: »Ich bin ein Hinterwäldler aus der Apfelgegend, aus Angus. Also werde ich uns jetzt ein paar frische Früchte besorgen. Dazu brauche ich deine Hilfe. Wir können wegen der Fangarme nicht näher herangehen. Aber der Baum hat eine schwache Stelle in seiner Verteidigung. Wie die meisten Leute ist er nicht fähig, den Mund zu halten.

Also werde ich jetzt einen Pfeil in diesen Mund schießen. Vielleicht wird er ihn nicht töten, aber es wird ihm weh tun. Und ich hoffe, der Aufprall wirft ihn um. Dieser Bogen entwickelt nämlich einen höllischen Schub. Sobald er getroffen ist, läufst du hin und wirfst die Axt hier auf einen Zweig. Versuch einen zu treffen, der Äpfel trägt. Dann locke ich ihn von den Äpfeln weg, die auf dem Boden liegen.«

Er reichte McKay die leichte Wurfaxt Ananas.

»Aber was ist mit denen?«, fragte McKay und deutete auf die drei anderen Bäume, die nur sechs, sieben Meter unterhalb ihres künftigen Opfers warteten. Sie kamen langsam, aber stetig näher.

»Vielleicht kriegen wir ihre Äpfel ja auch noch. Wir müssen diese Früchte haben, Angus. Wir brauchen Nahrung, und wir brauchen die Feuchtigkeit in ihnen.«

»Das brauchen Sie mir nicht zu erklären«, murrte McKay.

»Ich bin genau wie dieser Baum. Ich kann auch meine Klappe nicht halten«, sagte Kickaha lächelnd.

Er legte einen Pfeil auf die Sehne, zielte und ließ ihn losschnellen. Es war ein guter Schuss, der tief in die O-förmige Öffnung drang. Die Pflanze hatte gerade die zwei Stütztentakel gehoben, um einen weiteren Schritt herauf zu machen, sich dann leicht nach vorn fallen zu lassen und mit den gummiartigen Armen abzufangen. Kickaha hatte den Pfeil genau in dem Augenblick abgeschossen, in dem die Pflanze kein Gleichgewicht besaß. Sie fiel nach hinten und lag auf dem Rücken. Die Tentakel schlugen wild, aber die Pflanze konnte sich nicht von allein auf die Beine erheben. Die von der Seite ausgehenden Äste verhinderten ein Herumrollen, auch wenn dies dem Baum sonst möglich gewesen wäre.

Kickaha stieß einen Triumphschrei aus und legte McKay die Hand auf die Schulter.

»Du brauchst die Axt nicht mehr zu werfen. Die Äpfel sind ab. Phantastisch!«

Die drei tieferen Bäume waren einen Augenblick lang stehengeblieben. Jetzt kamen sie wieder näher herauf. Aus ihren Mundöffnungen war kein Laut gedrungen, aber den beiden Männern erschien es, als finde zwischen den zahlreichen rollenden Augen eine Art von Kommunikation statt. Urthona hatte allerdings gesagt, die Wesen seien denkunfähig. Aber sie kooperierten auf einer Instinktebene, wie Ameisen dies tun. Und jetzt kamen sie offenbar, um ihrem gestürzten Kumpan zu helfen.

Kickaha rannte davon, McKay zögerte noch. Er schaute sich um. Die beiden männlichen Lords standen etwa zwanzig Meter über ihnen, und Anana bewachte sie mit dem Strahler im Anschlag. Ihre Augen glitten von Seite zu Seite, um alles im Blickfeld zu behalten.

Natürlich hatte Urthona McKay befohlen, Anana und Kickaha zu töten, wenn sich ihm die Chance bot. Aber wenn er den Rotschopf von hinten mit der Axt erschlug, würde Anana ihn niederschießen. Und außerdem glaubte er allmählich, dass er eine bessere Überlebenschance besaß, wenn er sich Anana und Kickaha anschloss. Und außerdem war Kickaha der einzige, der ihn nicht wie einen dreckigen Nigger behandelte. Nicht dass die Lords irgendwelche Empfindungen Negern als solchen gegenüber gehabt hätten. Sie betrachteten jedermann außer Lords als minderwertig. Und zu ihrer eigenen Rasse waren sie schließlich auch nicht gerade freundlich.

McKay rannte weiter und blieb knapp vor den zuckenden Tentakeln stehen. Er hob acht Äpfel auf und stopfte vier in die Taschen seiner Jeans, die anderen hielt er, je zwei, in beiden Händen.

Als er sich aufrichtete, verschlug es ihm fast den Atem. Dieser verrückte Kickaha war auf den gestürzten Baum gesprungen und zerrte seinen Pfeil aus dessen Mundöffnung. Als er den Schaft hervorzog, dessen Spitze von einer bleichen, klebrigen Flüssigkeit troff, wickelte sich ein Tentakel um seine Hüften. Doch anstatt dagegen anzukämpfen, rammte Kickaha den rechten Fuß tief in das Mundloch und drehte ihn seitwärts.

Im nächsten Augenblick flog er gegen McKay zurück, wahrscheinlich von einer konvulsiven Bewegung des Tentakels weggeschleudert, die durch den heftigen Schmerz hervorgerufen worden sein musste.

McKay, anstatt beiseite zu springen, packte Kickaha, und beide fielen zu Boden. Der Fänger bekam dabei mehr ab als der, den er fing, aber einen Moment lang lagen beide flach da, Kickaha auf McKay. Dann rollte der Rothaarige sich weg und stand auf.

Er blickte zu McKay hinunter. »Bist du in Ordnung?«

McKay setzte sich auf und sagte: »Ich glaube nicht, dass ich mir was gebrochen habe.«

»Ich danke dir. Wenn du meinen Fall nicht abgefangen hättest, hätte ich mir das Rückgrat brechen können. Vielleicht. Ich bin zwar ziemlich beweglich. Aber, Mann, diese Arme haben vielleicht eine Kraft!«

Anana war inzwischen zu ihnen gekommen. Sie rief: »Bist du verletzt, Kickaha?«

»Nein. Der ›Schwarze Angus‹ hier scheint auch in Ordnung zu sein.«

McKay sagte: »Schwarzer Angus, Mann, du Hundesohn!«

Kickaha lachte: »Es ist ein Witz, Mann, unvermeidlich, wenn du auf einer Farm aufgewachsen bist. War wirklich nicht als Beleidigung gemeint, McKay!«{2}

Kickaha drehte sich um. Die drei restlichen Späherbäume waren nicht näher herangekommen. Der anschwellende Hügel hatte nun steilere Hänge, und es war für sie nun noch schwieriger, die Balance zu halten. Und die dahinter lauernden Baumhorden wurden gleichfalls zurückgehalten.

»Wir brauchen uns nicht auf den Hügel zurückzuziehen«, sagte Kickaha. »Er tut das für uns.«

Allerdings wurde die Böschung allmählich so steil, dass alle hinunterfallen würden, wenn die Verwandlung weiterhin im gleichen Tempo vor sich ging. Der Winkel von fünfundvierzig Grad konnte dann in einer Viertelstunde neunzig Grad geworden sein.

»Wir stecken in einem Sturm von Materie-Veränderung«, sagte Kickaha. »Wenn er rasch vorbeizieht, sind wir in Sicherheit. Wenn nicht …«

Die Tentakel des Baumes wedelten schwach. Offensichtlich hatte Kickahas Fuß ihn ziemlich schwer verletzt. Aus dem Mundloch sickerte eine fahle Flüssigkeit.

Kickaha hob die Axt auf, die McKay fallen gelassen hatte. Er ging zu dem Baum hinunter und begann, seine Äste abzuhacken. Zwei Hiebe pro Auswuchs reichten, um sie vom Stamm zu lösen. Dann hackte er auf die Tentakel ein, die allerdings zäher waren. Aber auch hier reichten vier Hiebe zur Amputation.

Er ließ die Axt fallen, hob das eine Ende des Stammes hoch und rollte es herum, so dass man den verstümmelten Baum den Hang hinabrollen konnte.

»Du vergeudest deine Energie!«, sagte Anana.

»Darauf zu warten, was passiert, verbraucht noch mehr Energie!«, antwortete Kickaha. »Jedenfalls im Augenblick. Es gibt eine Zeit für Geduld und eine Zeit für Energieeinsatz.«

Er trat an die Mitte des Stammes und stieß ihn an. Er begann langsam zu rollen, wurde schneller und flog dann über eine kleine Schanze mitten in eine Gruppe der Bäume hinein. Sie fielen um, einige rollten abwärts, ihre Äste brachen ab, andere wurden in die Luft gewirbelt, als würden sie aus einer Kanone geschossen.

Die Wirkung war akkumulativ im geometrischen Sinn. Als alles vorbei war, lagen mindestens fünfhundert der Dinger wie Streichhölzer kreuz und quer in einer Schlucht am Fuß des Hanges. Keiner der Bäume konnte aus eigener Kraft aufstehen.

»Das ist ein richtiger Baumrutsch!«, rief Kickaha.

Aber keine Lawine gekappter Baumstämme auf der Erde hatte jemals mit unzählbaren Tintenfischarmen gewedelt. Auch war noch niemals zuvor ein Wald verletzten Baumbrüdern zu Hilfe gekommen.

»Es ist der ›wandernde Wald‹ aus Macbeth«, sagte Kickaha.

Weder Anana noch McKay verstanden die Anspielung. Aber sie waren sowieso zu müde und zu furchterfüllt, als dass sie ihn um eine Erklärung hätten bitten mögen.

Mittlerweile fiel es den Menschenwesen ziemlich schwer, sich aufrecht zu halten und zu vermeiden, dass sie den Hang hinabschlitterten. Sie klammerten sich an die Gräser, aber die Baumkundschafter rutschten auf dem Rücken (oder der Rückseite) auf das Chaos am Fuß des Hügels zu. »Ich geh runter«, sagte Kickaha. Er drehte sich um und begann auf dem Hosenboden den Hang hinunterzugleiten. Die anderen kamen hinter ihm drein. Wenn die Reibung für die Hinterbacken zu heftig wurde, bremsten sie mit den Hacken. Auf halber Höhe mussten sie anhalten, sich umwenden und ihre Hinterteile auskühlen lassen. Der Hosenboden war an mehreren Stellen zerfetzt.

»Habt ihr das Wasser dort gesehen?«, fragte Kickaha und wies nach rechts.

Anana sagte: »Es kam mir jedenfalls so vor. Aber ich habe es bloß so für eine Art Luftspiegelung gehalten.«

»Nein! Eine Sekunde, bevor wir zu rutschen begannen, habe ich dort drüben eine große Wasserfläche gesehen. Sie muss etwa zwanzig Kilometer weit weg sein, mindestens. Aber du weißt ja, wie trügerisch Entfernungen hier sind.«

Direkt unter ihnen lag etwa siebzig Meter entfernt das Gewirr der abgestürzten wedelnden Bäume. Die Menschen begannen wieder zu rollen, doch diesmal schräg zu dem immer steiler werdenden Hang. McKay war von seinem Helm, Kickaha von Bogen und Köcher und Anana von ihrem Strahler und der Axt behindert, doch sie schafften es. Die letzten drei Meter fielen sie einfach, landeten aber auf den Beinen.

Die Bäume kümmerten sich nicht um sie. Offensichtlich war der Drang, ihren Brüdern zu helfen, stärker als der Trieb, zu töten und zu fressen. Aber die Pflanzen standen so dicht beisammen, dass die fünf Personen unmöglich zwischen ihnen hindurchgehen konnten. Sie blickten den Hang hinauf. Die Flanke stand jetzt bereits senkrecht, und sie begann an der Spitze überzukrängen. Der Hügel strahlte Hitze aus.

»Die Graswurzeln werden verhindern, dass der Überhang sofort herunterkommt«, sagte Kickaha. »Aber für wie lange? Wenn er kommt, dann löscht er uns aus.«

Die Pflanzen wanderten auf das Gewirr ihrer Brüder zu. Sie gingen Seite an Seite, und ihre Zweige berührten sich. Die den Menschen am nächsten stehenden wichen ein wenig zur Seite nach rechts aus, um nicht auf sie zu prallen. Doch die vorragenden Tentakel machten die Menschen nervös.

Fünf Minuten später sah der Gipfel des Hügels aus wie ein Pilzhut. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, bis sich ein riesiges Stück losriss und sie unter sich begrub.

»Ob es dir recht ist oder nicht, wir müssen den Strahler verwenden, Kickaha«, sagte Anana.

»Du hast die gleiche Idee wie ich? Vielleicht werden wir ja nicht jeden einzelnen zerschneiden müssen, bis wir auf freiem Boden sind, vielleicht brennen die Dinger ja?«

Urthona sagte: »Sind Sie verrückt? Wir könnten in das Feuer geraten!«

»Haben Sie einen besseren Vorschlag?«

»Ja. Wir sollten den Strahler auf Schneideschärfe einstellen und uns eine Schneise hindurchschneiden.«

»Ich glaube, dafür ist nicht mehr genug Energie in der Batterie«, sagte Anana. »Und dann wären wir mitten in diesem Haufen gefangen, und die Pflanzen könnten uns angreifen. Wir wären hilflos.«

»Verbrenn ein paar«, sagte Kickaha, »aber nicht zu sehr in unserer Nähe.«

Anana drehte die Scheibe am Griffende. Sie richtete den Lauf auf den Rücken eines Baumes, der fünf Meter rechts von ihr stand. Ein paar Sekunden lang ergab sich nichts. Darin begann die Borke zu rauchen, und zehn Sekunden später brach sie in Flammen aus. Die Pflanze schien nicht sofort zu bemerken, was passierte, sondern wackelte brav weiter auf das Gewirr von Baumleibern zu. Doch die anderen direkt hinter ihr blieben stehen. Sie mussten den Rauch gerochen haben, und nun setzte ihr Überlebensinstinkt oder ihr Überlebensprogramm ein.

Anana brachte drei weitere Bäume zum Brennen. Abrupt hielten die am dichtesten hinter den brennenden Pflanzen kommenden Reihen inne und torkelten zu Boden. Die hinter ihnen schoben sich weiter, rammten in sie hinein und rissen weitere im Fallen mit.

Die Reihen dahinter hielten an. Ihre Tentakel wedelten. Und dann, als wären sie eine Kampfeinheit, die auf das Rückzugssignal einer lautlosen Trompete hörte, drehten sie um. Sie wanderten, so schnell sie konnten, in die entgegengesetzte Richtung.

Die flammenden Pflanzen waren stehengeblieben, an ihren verzweifelt schlagenden Tentakeln konnte man sehen, dass sie spürten, dass etwas geschah. Die Flammen waberten um die Stämme, ließen die Blätter braun werden und schrumpfen, züngelten von den laubbedeckten Stängeln auf der Spitze der Stämme hoch. Die Dutzend Augen brannten, zerschmolzen, liefen zischend wie brennendes Harz in den Rauch hinab.

Einer fiel um und lag da wie ein Weihnachtsscheit im Kamin. Eine Sekunde später brachen die anderen zwei zusammen. Die Beine zuckten auf und ab, die breiten runden Hacken hämmerten auf die Erde.

Der Gestank brennenden Holzes und Fleisches erregte Übelkeit bei den Menschen.

Doch die Bäume der Vorhut vor den brennenden Pflanzen hatten nicht bemerkt, was geschehen war. Der Wind trug den Rauch und die Pheromone der Panik von ihnen fort. Sie prallten immer dichter aufeinander, bis sie der Druck der Körpermassen schließlich zum Halten zwang. Die in den vordersten Reihen versuchten die Gefallenen aufzuheben, wurden aber durch die Enge daran gehindert.

»Verbrennt sie alle!«, schrie Red Orc, und sein Bruder, Urthona, stimmte ihm zu.

»Wozu sollte das gut sein?«, fragte Kickaha und blickte die zwei angewidert an. »Außerdem fühlen sie Schmerzen, auch wenn sie keinen Laut von sich geben. Stimmt doch, Urthona?«

»Nicht mehr als eine Heuschrecke Schmerz empfinden würde«, sagte der Lord.

»Bist du jemals eine Heuschrecke gewesen?«, fragte Anana.

Kickaha begann zu traben, und die übrigen folgten ihm. Die Passage, die sich vor ihnen auftat, war etwa sieben Meter breit, erweiterte sich aber, je mehr sich die Baumarmee zurückzog. Plötzlich schrie McKay: »Es kommt runter!«

Sie brauchten nicht zu fragen, was es sei. Sie rannten, so rasch sie konnten. Kickaha, der an der Spitze lief, fiel bald zurück. Seine Beine taten noch immer weh, und der Schmerz in der Brust wurde heftiger. Anana ergriff ihn bei der Hand und zerrte ihn vorwärts.

Hinter ihnen erscholl ein Krachen, und direkt vor ihnen klatschte eine riesige Kugel aus fettiger Erde und rostrotem Gras in den Grund. Es war ein Brocken, der abgestoßen und dann durch den Aufprall emporgeschleudert wurde. Er fiel so knapp vor ihnen nieder, dass sie nicht mehr ausweichen konnten. Sie prallten beide hinein, und für einen Moment spürten sie die fette Erde und die kratzenden Gräser. Aber die Masse war weich genug, ihren Aufprall abzufangen und nachzugeben. Es war nicht so, als wären sie gegen eine Ziegelmauer gerannt.

Sie rappelten sich auf und gingen um den Torso herum. Er war ungefähr so groß wie eine Garage für einen Wagen. Kickaha blickte sich um. Die Hauptmasse war nur ein paar Meter hinter ihnen niedergegangen. Vorn ragten ein paar Äste, Tentakel und strampelnde Beine hervor.

Sie waren nun sicher. Er blieb stehen, Anana ebenfalls.

Die anderen waren fünfzehn Meter vor ihnen und starrten auf den enormen Erdhaufen, der den Fuß des Hügels umringte. Und während sie noch starrten, brach ein weiteres Stück der pilzartigen Spitze ab und begrub die vorher herabgestürzte Masse.

An die hundert Bäume hatten überlebt. Sie watschelten noch immer auf ihrer langsamen Flucht davon.

»Wir holen uns ein paar Bäume aus den hinteren Reihen und besorgen noch ein paar Äpfel«, sagte Kickaha. »Wir werden sie brauchen, um durchzuhalten, bis wir an dieses Wasser kommen.«

Sie waren zwar alle durcheinander, aber sie gingen ohne Zögern auf die Bäume los. Anana warf ihre Axt, McKay seinen Sturzhelm. Und dann hatten sie mehr Früchte, als sie tragen konnten. Jeder aß ein Dutzend und füllte sich den Bauch mit Nährstoffen und Flüssigkeit.

Dann machten sie sich zu dem Wasser auf. Sie hofften, in die rechte Richtung zu marschieren. Es war so leicht, sich in einer Welt zu verlaufen, in der es keine Sonne gab und in der sich die Landschaft beständig wandelte. Ein Berg, den man sich als Landmarke gewählt hatte, konnte an einem Tag zu einem Tal werden.

Anana ging neben Kickaha her und flüsterte ihm zu: »Bleib zurück!«

Er wurde langsamer, und es fiel ihm nicht schwer. Als die anderen fünfzehn Meter vor ihnen waren, fragte er: »Was ist los?«

Sie hob den Strahler hoch, so dass er das Ende des Griffs sehen konnte. Die Scheibe am Einsatz blinkte mit einem roten Licht. Sie drehte die Scheibe, das Licht erlosch.

»Wir haben gerade noch genug Ladung für einen Schneidestoß von drei Sekunden über zwanzig Meter Entfernung. Wenn ich natürlich nur leichte Verbrennungs- oder Betäubungsenergie verwende, reicht die Ladung weiter.«

»Ich glaube nicht, dass sie etwas gegen uns unternehmen würden, wenn sie das wüssten. Sie brauchen uns zum Überleben noch nötiger als wir sie. Aber wenn wir – falls überhaupt jemals – Urthonas Haus finden, dann achten wir wohl besser darauf, was hinter unserem Rücken vorgeht. Mich beunruhigt aber, dass wir den Strahler bald nicht mehr für andere Zwecke zur Verfügung haben.«

Er schwieg und starrte über Ananas Schulter hinweg.

»Für so was wie die da.«

Sie wandte den Kopf.

Auf einem Kamm, etwa drei Kilometer weit entfernt, sah man im Schattenriss eine lange Linie sich bewegender Objekte. Selbst auf diese Entfernung und in diesem Licht konnten sie erkennen, dass es sich um eine Mischung von großen Tieren und menschlichen Wesen handelte.

»Eingeborene«, sagte Kickaha.

Fünftes Kapitel

 

Die drei Männer waren stehengeblieben und schauten ihnen argwöhnisch entgegen. Als die zwei herangekommen waren, warf Red Orc ihnen entgegen: »Was zum Teufel heckt ihr zwei aus?«

Kickaha lachte. »Es ist ein Riesenvergnügen, mit euch Paranoikern zu reisen. Wir haben uns darüber unterhalten.« Er deutete zum Kamm hinüber.

McKay stöhnte und sagte: »Was kommt wohl als nächstes?«

Anana fragte: »Sind Eingeborene hier Fremden gegenüber feindselig?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Urthona. »Alles was ich weiß, ist, dass sie sehr starke Stammesgefühle haben. Ich flog früher oft in meinem Flieger umher und beobachtete sie, und ich habe nie eine Begegnung zwischen zwei Stämmen gesehen, die ohne Konflikte irgendwelcher Art abgelaufen wäre. Allerdings gibt es keine Aggressionen um Gebietsansprüche. Wie könnte das auch sein?«

Anana lächelte ihren Onkel an. »Nun, Onkel, es würde mich interessieren, wie sie reagieren, wenn man dich ihnen als den Lord dieser Welt präsentiert. Den, der diesen scheußlichen Ort geschaffen hat und der ihre Vorfahren von der Erde raubte.«

Urthona erbleichte, sagte aber: »Sie sind an diese Welt gewöhnt. Sie kennen nichts Besseres.«

»Dauert ihr Leben tausend Jahre wie auf Jadawins Welt?«

»Nein. Ungefähr hundert, aber sie haben keine Krankheiten.«

»Sie müssen uns gesehen haben«, sagte Kickaha. »Wie auch immer, wir werden einfach in der gleichen Richtung weitergehen.«

Sie begannen wieder zu marschieren, blickten aber immer wieder gelegentlich zu dem Kamm hinüber. Zwei Stunden später verschwand die Karawane hinter dem Kamm. Der Hang hatte sich während dieser Zeit nicht verändert. Dies war eines jener Gebiete, in denen die topologischen Veränderungen langsamer vonstatten gingen.

Wieder brach die »Nacht« herein. Das helle Rot des Himmels streifte sich mit dunkleren Bändern, die alle horizontal verliefen. Einige waren breiter als die übrigen. Als die Minuten vergingen, wuchsen die Bänder breiter an und wurden sogar noch dunkler. Als sie alle miteinander verschmolzen waren, bedeckte den Himmel ein düsteres, zorniges, bedrohliches Rot.

Sie befanden sich auf einer flachen Ebene, die sich ausdehnte, so weit sie sehen konnten. Die Berge waren verschwunden, doch konnte man nicht sagen, ob sie dahingeschmolzen oder wegen der Dunkelheit unsichtbar waren. Die fünf waren nicht allein. In der Nähe, doch außer Reichweite, hielten sich Tausende von Tieren auf: viele Antilopenarten, Gazellen, in der Ferne eine Herde der stoßzahnlosen Elefanten, eine kleine Gruppe der riesigen elchähnlichen Schaufeltiere.

Urthona sagte, dass es in der Gegend auch Großkatzen und Wildhunde geben müsse. Die Katzen würden allerdings fortziehen, weil sie auf dieser baumlosen Prärie keine Chance hätten, Beute zu erjagen. Es gab kleinere Feliden, Geparden ähnlich, die im Laufen alles außer den straußähnlichen Vögeln einholen konnten. Aber keiner war zu sehen.

Kickaha hatte versucht, ganz langsam an die Antilopen heranzugehen. Er hatte gehofft, sie würden nicht so früh erschrecken, dass sie sich aus der Reichweite seines Bogens entfernten. Aber sie spielten nicht mit.

Dann erklang abrupt irgendwo von oben her ein wildes Keckem, und es brach Panik aus. Tausende von Hufen donnerten über die Ebene. Es gab keinen Staub; die fettige Erde trocknete dazu nie genug aus; nur wenn ein Gebiet eine sehr schnelle Wandlung durchmachte und die Hitze dabei die Feuchtigkeit aus der Oberfläche trieb, gab es Staub.

Kickaha stand ganz still, während Tausende rennender oder springender Tiere um ihn herum waren oder sogar über ihn hinwegrasten. Dann, als die Fluchtreihen dünner wurden, schoss er einen Pfeil ab und erlegte eine Gazelle. Anana, die zweihundert Meter von ihm entfernt stand, kam mit dem Strahler im Anschlag auf ihn zugerannt. Eine Sekunde später begriff er, warum sie so aufgeregt war. Die keckernden Geräusche wurden lauter, und aus der Dunkelheit tauchte eine Horde langbeiniger Paviane auf. Es waren echte Vierfüßler, die Vorder- und Hinterbeine waren gleich lang, die »Hände« von den »Füßen« nicht im geringsten verschieden. Es waren große Bestien, der größte mochte gut achtzig Pfund schwer sein. Sie rasten an ihm vorbei, die Mäuler klaffend aufgerissen, von den bösartigen Reißzähnen triefte Speichel. Dann waren sie verschwunden, hundert oder mehr, die Babys an das lange Nackenhaar ihrer Mütter geklammert.

Kickaha seufzte erleichtert auf, als er den letzten Pavian im Dunkel verschwinden sah. Urthona hatte erklärt, dass sie unter bestimmten Bedingungen nicht zögerten, auch Menschen anzugreifen. Glücklicherweise hatten sie bei der Antilopenjagd sonst nichts im Kopf. Doch wenn sie keinen Erfolg haben sollten, konnten sie vielleicht zurückkommen und ihr Glück bei den Menschen versuchen.

Kickaha zerlegte mit dem Messer die Gazelle. Orc knurrte. »Ich bin es leid, rohes Fleisch zu essen! Ich bin furchtbar hungrig, aber allein der Gedanke an diese blutige Schweinerei lässt die Salzsäure in meinem Magen kochen!«

Kickaha grinste und bot ihm ein triefendes Stück Fleisch an.

»Sie können ja gern Vegetarier werden: Nüsschen für Sie taube Nuss, Blümchen fürs zarte Pflänzchen und einen fetten Stinkapfel für den Stinker!«

McKay verzog das Gesicht und sagte: »Ich mag es auch nicht. Mir kommt es immer so vor, als wäre das Zeug noch lebendig, als versuchte es mir den Schlund wieder heraufzuklettern.«