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Über einen Zeitraum von zehn Jahren in seiner klinischen Tätigkeit und 35 Jahren seiner Praxistätigkeit hat der Autor die stationäre und ambulante Medizin zur Genüge kennengelernt, im Spannungsfeld der Krankenkassen, der kassenärztlichen Vereinigung und seiner Patienten. Diese umfangreichen Erfahrungen wurden in diesem Buch gesammelt und es wird sie erstaunen,was mit den Ärzten hinter den Kulissen geschieht, mit welchem Druck und welchen Repressalien die Ärzte konfrontiert sind. Chronologisch schildert das Buch die Entwicklung des Gesundheitswesens aus der Perspektive eines Betroffenen, des Klinikarztes, des Facharzt für Allgemeinmedizin über die Gründerjahre der Praxis, der folgenden turbulenten Praxisjahre bis hin zum bitteren Ende, dem Praxistod
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Seitenzahl: 134
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Nach der Praxis
Flucht aus der Klinik
Praxisgründung
Kampf der Gründerjahre
Qualifikation auf Teufel komm raus
Hamsterrad oder Tretmühle
Rummelplatzmedizin oder Psychodoc
Praxiskonflikte
Der Anfang vom Ende/EBM 2012
Verslumung des Praxisumfeldes
Neues Umfeld neue Praxisräume
Big Bang oder auch Regress genannt
Der Körper rächt sich
Nachfolgesuche
Der Prozess
Die Entscheidung
Letzte Wochen
Letzte Tage
Perspektiven
Der Abschied
Epilog
Abgeschlafft von der Praxis nach Hause gekommen, fiel mir das Magazin Arzt und Wirtschaft in die Hände. Schon auf der Umschlagsseite schreckte mich die Ankündigung eines Artikels „Steuer, wann der Fiskus ihr Konto einsehen darf“ auf.
Reflexmäßig überlegte ich: "Oh Gott jetzt werden meine Konten noch durchleuchtet .Unter Umständen kommt wieder eine Steuerprüfung auf mich zu, sowie die letzte, vor drei Jahren, die mich einige 1000 € gekostet hatte.
Beim Weiterblättern stieß ich auf das Inhaltsverzeichnis. Wieder befiel mich bei dieser Ankündigung ein schlechtes Gewissen, bei dem Artikel „Kleinchirurgie, jetzt legt die KV den Finger in die Wunde“.
Nun kam ein Flash back zu den letzten KV Verfahren und Regressen, die mich schon ein Vermögen gekostet hatten: Steht mir schon wieder eine Prüfung ins Haus?
Ich las die Thematik weiter: Leichenschau: Keine Hausbesuche bei Toten abrechnen. „Um Gottes Willen habe ich etwa auch falsch Leichenschauscheine abgerechnet?“
Und wie steht's mit der Aufbewahrung .Habe ich die Aufbewahrungsfristen für Bewerbungen von Arzthelferinnen eingehalten? Habe ich gar Bewerbungsunterlagen vernichtet?
Oh Gott, oh Gott, verstoße ich denn gegen das Datenschutzgesetz mit meinen Faxen, mit der Übermittlung der Befunde. Hier werde ich klar belehrt: Wegen Sicherheitsmängeln will man das Faxen ja komplett abschaffen.
Kopfschüttelnd sitze ich auf der Couch und sage mir: Mit meinen 70 Jahren habe ich heute elf Stunden Praxis gemacht, habe mich bemüht ehrliche gute Medizin zu machen ,mich bemüht, ein aufrechter Demokrat, ein korrekter Steuerzahler und Mensch zu sein ,der nicht mit dem Gesetz kollidiert. Doch letzteres scheint mir, wahrscheinlich nicht ganz gelungen zu sein??
Kein Wunder, wenn wir ,die Rechtschaffenden ,die permanent Arbeitenden die sind ,die man kontrolliert, drangsaliert und auf die mit dem publizistischen Knüppel permanent eingeschlagen wird.
Aber ich sehe Licht am Ende des Tunnels, in nicht absehbarer Zeit werde ich genüsslich meinen Schlüssel in der Eingangstür umdrehen ,das ganze Praxisinventar in einen Container schmeißen und "Ade Praxis "sagen, denn einen Praxisnachfolger werde ich wohl kaum finden, als Allgemeinarzt ,der über 30 Jahre in einer Stadtrandregion im Rhein-Main-Gebiet praktiziert hat.
Dies war der Status quo im Juli 2019 und wie schon vorhersehbar: So ist es leider auch gekommen.
35 Jahre meines Lebens habe ich in dieser Praxis verbracht und nach zehnjähriger klinischer Ausbildung als Chirurg, Unfallchirurg, Allgemeinmediziner mich in eigener Praxis niedergelassen.
Nun ist es an der Zeit, nach einem solch langen Zeitraum einmal Bilanz zu ziehen und gleichzeitig sich von der eigenen Praxis, seinem Lebenswerk adäquat zu verabschieden.
Es haben sich in der letzten Zeit nicht unerhebliche Veränderungen in der ambulanten Medizin ergeben, die uns Therapeuten und das therapeutische Verhältnis zum Patienten belasten, das Arzt- Patient Verhältnis strapaziert und teilweise auf eine harte Probe stellt.
Die" Rahmenbedingungen " haben sich deutlich verändert, wie auch die Menschen sich verändert haben- insbesondere in den letzten fünf bis zehn Jahren-, aber leider nicht zu ihrem Vorteil.
Die Menschen in der Praxis sind natürlich auch das Spiegelbild der Menschen in unserer Gesellschaft. Auf diese Art und Weise wird man mit bestimmten Charaktertypen, deren Entwicklungen sowie deren Forderungen und Aggressionen konfrontiert. Diese, nämlich die Aggressionen, machten mir als Therapeuten insbesondere in letzter Zeit in erheblichem Maße Probleme.
Absolut wichtig ist hierbei, die Historie der Praxis und die Entwicklung des ambulanten Gesundheitssystems der letzten Jahre genau anzusehen und zu analysieren.
Einsichten und Verständnis vermittelt eine Beschreibung der unterschiedlichen Praxisphasen von dem Absprung aus der Klinik ,der Praxisgründung 1984, über die Hochphase der Drehtür-,der Rummelplatz-der Tür und Angelmedizin,- bis hin zur Auflösung im Dezember 2019, bis hin zum
Praxistod.
Nach sechs Jahren in Frankfurter Kliniken landete ich letztendlich in einem Krankenhaus der Maximalversorgung im Rhein Main Gebiet.
Es handelte sich hierbei um ein Krankenhaus, das eine riesige Region und ein großes Einzugsgebiet versorgen musste in der Akutbehandlung von Unfällen sowie chirurgischen Notfällen. Ich war hier in der Unfallchirurgie gelandet, in einer Abteilung, in der man bis zur Erschöpfung arbeiten musste. Während die Kollegen der Inneren Medizin als Zweierteam Dienst machten, war ich als Chirurg in der Ambulanz als Einzelner, als Einzelkämpfer tätig.
Die besondere Situation hierbei war noch, dass bei der akuten Notfallversorgung, d.h. wenn der Verletzte gleich operiert werden musste, ich die Ambulanz verließ, um dem Oberarzt mit zu assistieren bei der Notfalloperation.
Dauerte die OP etwas länger, so konnte es sein, dass ich nach ein bis anderthalb Stunden von einer Menge frustrierter aggressiver Patienten und deren Angehörigen empfangen wurde ,die schon die ganze Zeit auf ihre Behandlung warteten.
Hier zog ich schon damals den Vergleich mit anderen Berufsgruppen. Nach einem Tagesdienst musste ich die ganze Nacht in Bereitschaft sein und die Ambulanz versorgen. Der sogenannte Bereitschaftsdienst sah in der Regel so aus, dass ich fast die ganze Nacht auf den Beinen war und zu tun hatte. Kaum hatte ich mich hingelegt, musste ich entweder auf die Station eilen oder in der Ambulanz Verletzte, die mehr oder weniger schwer Traumatisierten, behandeln.
Überträgt man diese Dienstbelastung auf andere Berufsgruppen, die verantwortungsvoll tätig sind, wie etwa Piloten oder Zugführer, erkennt jeder sofort die existierende Ungleichheit. Nach acht Stunden sollte jeder, der verantwortlich eine berufliche Position ausfüllt, die Möglichkeit haben sich zu regenerieren und nicht bis zur Erschöpfung weiter arbeiten zu müssen.
Hierbei muss man allerdings sehen, dass die Charakterstruktur der Ärzte diesen Bedingungen entgegenkommt. Allein schon das Auswahlprinzip des Numerus Clausus setzt voraus, dass nur bedingungslos leistungsbereite Menschen für diesen Beruf selektiert werden.
Hinzu kommt noch das ausgeprägte Pflichtbewusstsein und die Anpassung an Bedingungen, die für die meisten anderen Menschen schwer zu ertragen sind.
Neben der bedingungslosen Anpassung kommt ein extremes Über-Ich hinzu dirigiert von der Maxime: Ich kann den Patienten doch nicht im Stich lassen, d.h. ich muss helfen und gleich gar nicht an mich denken. So schnappt die Ethikfalle zu.
Während des Studiums lernt der Mediziner beim dauernden Pauken ,die Verleugnung der eigenen Grundbedürfnisse ,wie etwa Essen, Trinken und auch Schlafen auszuhalten; ergo eine ideale Voraussetzung für die spätere Situation in der Klinik, um Dienste von über 24 Stunden Länge durchzustehen und die immer noch hierarchischen Strukturen ,die Unterordnung unter Chef- und Oberärzte zu ertragen.
Auch führt die Klinikatmosphäre dazu, dass der Arzt in seiner Ausbildung den Konflikten gegenüber seinen Vorgesetzten ausweicht und deutlich eine Furcht vor Benennung problematischer Situationen entwickelt.
Auf diese Art und Weise kommt eine Konditionierung zu Stande, die sich auch im späteren Verhalten in der Praxis zeigt, wenn man von Seiten der KV, der Kassenärztlichen Vereinigung, und den Krankenkassen angeschrieben und angeklagt wird, wegen beispielsweise unwirtschaftlichem Verhaltens. Öfters mündet dies in der resignativen Frage:
Was kann ich denn dagegen machen?
Hinzu kam noch die Haltung der Patienten, die mit Bagatellen und Befindlichkeitsstörungen aus eigener Entscheidung in die Ambulanzen gehen und gingen, ohne vorher einen Arzt konsultiert zu haben, eben in der Hoffnung schneller und- weil Klinik- besser behandelt zu werden.
Ein so genanntes Schlüsselerlebnis war schließlich und endlich ein in Kliniknähe stattfindendes Popkonzert, bei dem ein bekiffter Autofahrer in eine Menschenmenge fuhr und die Notarztwagen uns drei Schwerverletzte innerhalb einer Dreiviertelstunde in unsere Ambulanz brachten.
Wir arbeiten in dieser Nacht bis zur Erschöpfung durch. Bei einer Operation beim Haken halten, nickte ich beinahe ein und konnte mich nur noch mit Mühe wach und auf den Beinen halten.
Im Morgengrauen ging ich vor die Tür der Notaufnahme und schaute in die aufsteigende Sonne, und in diesem Moment entschloss ich mich, aus der Klinik mich baldmöglichst zu verabschieden und dachte wie die Bremer Stadtmusikanten: Nur fort! Überall ist es doch besser als hier!
MMW Fortschritte der Medizin 2019.21-22/161
Müde Ärzte sind gefährlich
Schlafstörungen in der Klinik betreffen zum einen den ärztlichen Bereitschaftsdienst aber auch die Patienten auf der Intensivstation.
Übermüdete Ärzte machen häufiger Fehler, was auch juristische Konsequenzen zur Folge haben kann.
Schlafentzug hat relevante Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit ähnlich wie Alkohol: Zwei Stunden Schlafmangel wirken wie 0,8 Promille Alkohol im Blut
Eine kurze Schlafdauer ist mit Stoffwechselveränderungen begleitet, d.h. die Insulinresistenz und somit auch das Diabetesrisiko ist erhöht. Überdies erhöht Nachtarbeit bei Männern auch das Krebsrisiko und reduziert die normale Immunabwehr.
Ein glücklicher Zufall wollte es, dass ich zwei Wochen später bei einer Besprechung folgende Information von der Sekretärin unserer Klinikleitung bekam: Im unmittelbaren Umfeld unserer Klinik wurde ein Nachmieter für eine Praxis gesucht.
Als ich die Rufnummer des Vermieters bekam und mich mit ihm in Verbindung setze, bemerkte ich zu meinem Erstaunen, dass dies ein Kollege war, den ich aus meiner Klinikzeit in Frankfurt kannte. Nach meinem Abschied aus der Klinik hatten wir uns komplett aus den Augen verloren.
Die meisten Offerten dieser Art hatten häufig besondere Konditionen. Das zeigte sich recht bald, nämlich der sprichwörtliche Haken oder Pferdefuß. Die Vormieter hatten einen Konflikt mit dem Vermieter und waren ohne eine gütliche Einigung vor Beendigung des Mietvertrages aus der Praxis ausgezogen.
Also mussten die Vormieter erst auf ihre Räume verzichten, um somit mir den Weg freizumachen, einen neuen gültigen Mietvertrag mit meinem Vermieter abzuschließen.
Schon zu dieser Zeit war es recht ungewöhnlich, eine Praxis neu zu gründen und leere Praxisräume anzumieten, obwohl die allgemeinmedizinische Einzelpraxis damals noch als gängiges Standardmodell galt.
Es gehörte eine Menge Mut, nennen wir es Tollkühnheit, dazu, eine Neugründung zu wagen, bei null Patienten anzufangen und erst sukzessive eine Patientenklientel aufzubauen.
Ein positiver Aspekt war hierbei allerdings, dass sich im gleichen Haus im Erdgeschoss eine Apotheke befand und im Souterrain eine Physiotherapeutin tätig war.
Damals gab es noch die“ Praxiseinrichter“, die aufgrund eines Grundrisses Praxismöbel und medizinische Geräte zusammenstellten, um eine Praxis neu auszustatten. Natürlich war dieser Dienstleister alles andere als kostengünstig; eine Erfahrung, die ich auch teuer bezahlen musste .
Eine Überlegung war schon von der ersten Minute und Stunde gegeben; Wie kann ich Patienten für meine Praxis gewinnen? Ich hatte den unwiederbringlichen Vorteil lange Zeit in der Chirurgie, Unfallchirurgie tätig gewesen zu sein .Zu diesem Zeitpunkt gab es in dem Stadtteil, in dem ich mich niederließ, keinen niedergelassenen Chirurgen. So kam mir die Idee eine H-Arzt Praxis (Facharzt für Allgemeinmedizin, der auch Arbeitsunfälle behandeln darf)einzurichten.
Dies war eine sehr teure Idee, da es nötig war eine Röntgen-Anlage anzuschaffen, einzurichten mit eigenem Röntgenraum, Entwicklerraum, um entsprechend der Röntgenverordnung Röntgendiagnostik im Sinne einer Teilradiologie zu betreiben. Abgesehen von den vielen Pannen, die uns beim Ausbau der Abteilung uns widerfuhren, kam es auch durch meine hohen Investitionen zu einer erheblichen finanziellen Schieflage, die unmittelbar nach der Praxiseröffnung mit Wochenenddiensten im Notdienst ausgeglichen werden mussten.
So entwickelte sich die gleiche Situation, eine Situation, der ich entfliehen wollte. Eben gerade deswegen war ich doch aus der Klinik gegangen. Ich musste wieder Wochenenddienste schieben und nach einem kompletten Dienstwochenende am Montag in der eigenen Praxis weiter arbeiten.
Aber dennoch war eine Röntgenanlage in dieser Zeit sehr wichtig, um diagnostisch breit aufgestellt zu sein und um traumatologisch wie auch sportmedizinisch tätig werden zu können.
Das war nicht das einzige Lehrgeld, das ich zu Beginn meiner Praxistätigkeit zahlte. Bei einem Fehler der überbezahlten Ersthelferin zeigte sich schon in den ersten Monaten die Macht und der Einfluss der kassenärztlichen Vereinigung.
Nach nur einem halben Jahr kamen die ersten Regressforderungen per Einschreibebrief in meine Praxis geflattert. Die Ersthelferin hatte auf die Rezepte für Materialien, die Binden, die Kompressen und Salben für den Sprechstundenbedarf „Erstausstattung geschrieben“, was natürlich nicht den Kassengesetzen entsprach.
Für die Kassen gibt es keine Erstausstattung sondern nur einen quartalsmäßigen Sprechstundenbedarf. Meine Unwissenheit, mein Vertrauen in eine mir wärmstens empfohlene Helferin mündete in der Bezahlung von einigen tausend DM, was mir postwendend von meinem ersten schmalen Honorar abgezogen wurde.
Nach einem weiteren dreiviertel Jahr wurde ich erstmalig zu einer Verhandlung der kassenärztlichen Vereinigung gerufen, da ich auch in der Behandlung meiner damals noch wenigen Patienten eine erhebliche Überschreitung des Durchschnittsfallwertes aufwies.
Eine Erfahrung, die sich im Lauf der Jahre öfters wiederholen sollte, nämlich als Einzelperson vor ein Tribunal geladen zu werden, bestehend aus acht bis zehn Personen, Repräsentanten der Krankenkassen und Ärzte der kassenärztlichen Vereinigung, die mich dann zur Zahlung von Medikamenten, Massagen oder zur
Rückzahlung von meinem Honorar verurteilten. Fast immer zog ich hierbei den Kürzeren, musste zahlen, respektive zurückzahlen.
Wie war das gleich? Die Kassenärztlichen Vereinigungen waren doch eigentlich gegründet worden, um die Interessen der Ärzte gegenüber den Krankenkassen zu vertreten?
Die Konstellation, dass ich mich in Praxisräume begab, die von Kollegen vorher benutzt wurden und die im Streit von diesem sich getrennt hatten, war schon etwas unglücklich. Die Vormieter, die Kollegen hatten sich auch nur einen Steinwurf weit von meiner neuen Praxis niedergelassen und auch viele Patienten waren ihnen gefolgt. So gestaltete sich der Praxisstart äußerst zähe und relativ schwierig.
Bevor ich mich als Kassenarzt in eigener Praxis niederlassen durfte, musste ich eine sechsmonatige Praxisvertretung bei Ärzten meiner Fachrichtung absolvieren. Weil ich mich schon länger mit der Absicht trug, mich niederzulassen, hatte ich dies schon in meinen Urlauben durchgeführt. Zuerst war ich in einer großen Praxis in Frankfurt tätig gewesen, die auch damals schon eine ausgeprägte Multikulturalität und Buntheit aufwies.
In diesem Zusammenhang lernte ich auch die "Vorzüge" einer so genannten Landarztpraxis im vorderen Vogelsberg kennen. Neben der permanenten Rufbereitschaft ,d.h. rund um die Uhr gerufen zu werden, kam noch hinzu, dass die Patienten im Lauf der Zeit herausgefunden hatten, wo ihr Hausarzt wohnte. Noch am späten Abend scheuten die Patienten sich nicht, die fehlende Arbeitsunfähigkeit als Notfall zu deklarieren und bei diesem Kollegen an der Haustür zu klingeln, um diese unter Umständen gegen 21:00 Uhr einzufordern.
In dieser Zeit entwickelte ich eine Hochachtung vor der Arbeit des Kollegen, der unter Umständen kilometerweit über Land fahren musste, um Hausbesuche durchzuführen, Fahren bei Tag und Nacht. Aber es war auch eine Zeit, wo zum Quartalsbeginn der Doktor beim Erstbesuch das Bündel Krankenscheine der gesamten Familie in seine Tasche steckte.
In diesem Umfeld machte ich die Erfahrung, dass unter den Kollegen ein sehr freundlicher und kollegialer Ton herrschte, in dem man sich unterstützte und auch in bestimmten Fällen Dienste übernahm und keiner in einer Konkurrenzsituation zu einem anderen Kollegen stand.
Dies war allerdings in der Region, in der Gemeinde in der ich mich niederließ, doch deutlich anders.
In meiner Umgebung hatte ich von der ersten Minute das Gefühl, dass ich als neu niedergelassener Kollege nicht willkommen war.
Durch die Klinikzeit hatte ich es versäumt, rechtzeitig meine Promotion abzuschließen, so dass auf dem ersten Praxisschild am Tage der Eröffnung der Praxis der Doktortitel fehlte.
Wie heißt es doch gemeinhin: "Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus". Dies wird immer angeführt, wenn über Ärzte und deren Beziehung untereinander gesprochen wird, um darzustellen, dass bei Ärzten Kollegialität bis hin zur Kumpanei über alles geht.
In dem Haus in dem sich die neugegründete Praxis befand, war im Erdgeschoss eine Apotheke angesiedelt. Der Apotheker war natürlich glücklich und froh, dass sich in die Praxisräume wieder ein neuer Arzt begeben hatte und für den Umsatz ein wenig Aufschwung bringen würde.
Der Vorteil darin lag auch ,dass die Patienten, die von anderen Kollegen kamen und das Rezept einlösten , dem Apotheker neueste Neuigkeiten aus dem Ort mitbrachten , die neuesten Gerüchte und Parolen über meine Person und meine Praxis. Schon der Hinweis meiner Kollegen auf die fehlende Promotion verunsicherte viele Patienten. Diese Verunsicherung gipfelte in der Frage: Ist der überhaupt ein richtiger Arzt? Kann ich zu dem überhaupt gehen? Kann der mich denn überhaupt richtig behandeln?
Doch der Spuk hatte bald ein Ende:
Schon ein halbes Jahr später hatte ich das Rigorosum absolviert und durfte mich Doktor nennen. Kurz nachdem ich das neue Schild montiert hatte, bekam ich einen Rückruf der Landesärztekammer, durch den mir mitgeteilt wurde, dass Kollegen nachgefragt hätten, ob ich ohne Promotion einen Doktortitel auf dem Praxisschild führen würde. Natürlich war dem nicht so.
Aus Ärzteblatt/Archiv: DÄ