Prokrastination - Anna Höcker - E-Book

Prokrastination E-Book

Anna Höcker

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Beschreibung

Prokrastination − chronisches exzessives Aufschieben − ist eine klinisch relevante Arbeitsstörung, genauer ein Problem der Selbststeuerung, das in der psychotherapeutischen Praxis häufig eine eigenständige psychische Störung mit gravierenden Folgen für die Lebensführung der Betroffenen darstellt. Die Neuauflage des Manuals liefert eine anwenderorientierte Beschreibung der Behandlung von Prokrastination. Nach einer Beschreibung des Störungsbildes und der Diagnostik sowie der Erstellung eines Erklärungsmodells zur Entstehung und Aufrechterhaltung der Störung werden die verschiedenen Behandlungsbausteine ausführlich erläutert. Das praktische Vorgehen ist klar strukturiert und gliedert sich in verschiedene kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlungsbausteine, die je nach individueller Problemlage und nach zeitlichen Rahmenbedingungen kombiniert werden können und deren Wirksamkeit wissenschaftlich belegt ist. Sowohl die Einzelbehandlung als auch die Gruppenbehandlung von Prokrastination werden gesondert beschrieben. Das Manual enthält umfassende Arbeitsmaterialien zur Diagnostik und Therapie, sodass die Behandlung direkt in der Praxis umgesetzt werden kann. Für die Neuauflage wurde ein Kapitel zur Kognitiven Therapie bei Prokrastination ergänzt, die Inhalte wurden aktualisiert und noch nutzerfreundlicher gestaltet und die Materialien liegen nun sowohl im Anhang des Buches als auch zusätzlich auf CD-ROM vor.

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Anna Höcker

Margarita Engberding

Fred Rist

Prokrastination

Ein Manual zur Behandlung des pathologischen Aufschiebens

2., aktualisierte und ergänzte Auflage

Dr. Anna Höcker, geb. 1981. 2000–2005 Studium der Psychologie in Münster. 2005–2009 Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin am Institut für Psychologische Psychotherapieausbildung Münster (IPP). 2005–2006 Mitarbeiterin in der Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Neurologie in Remscheid. Seit 2006 Mitarbeiterin der Psychotherapie-Ambulanz der Universität Münster, dort verantwortlich für die Prokrastinationsambulanz. 2009 Approbation als Psychologische Psychotherapeutin. 2010 Promotion. Seit 2010 zusätzlich Leitende Psychologin der Psychotherapeutischen Ambulanzen an der Universität Bielefeld und seit 2015 Leiterin der Psychotherapeutischen Ambulanz des Bielefelder Instituts für Psychologische Psychotherapieausbildung (BIPP).

Dipl.-Psych. Margarita Engberding, geb. 1947. 1967–1974 Studium der Psychologie in Münster. 1974–1987 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Erziehungsberatungsstelle des Psychologischen Instituts der Universität Münster. Seit 1987 Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Münster. 1993–2012 Geschäftsführende Leiterin der Psychotherapie-Ambulanz der Universität Münster. 1999 Approbation als Psychologische Psychotherapeutin und als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Seit 1999 als Dozentin und Supervisorin am Institut für Psychologische Psychotherapie-Ausbildung (IPP-Münster) und anderen Ausbildungsinstituten tätig.

Prof. Dr. Fred Rist, geb. 1947. 1967–1973 Studium der Psychologie in Konstanz. 1977 Promotion. 1987 Habilitation. 1988–1990 Professur für Klinische und Differentielle Psychologie an der Universität Konstanz. 1991 Umhabilitierung an die Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg. 1993 apl.-Professur für Klinische Psychologie an der Universität Heidelberg. 1996–2013 Inhaber des Lehrstuhls für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Münster. Seit 2013 Tätigkeit als Senior-Professor an der Universität Münster.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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Satz: ARThür Grafik-Design & Kunst, Weimar

Format: EPUB

2., aktualisierte und ergänzte Auflage 2017

© 2013 und 2017 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2842-0; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2842-1)

ISBN 978-3-8017-2842-7

http://doi.org/10.1026/02842-000

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Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur 2. Auflage

Danksagung

Kapitel 1 Beschreibung der Störung

1.1 Aufschieben und Prokrastination

1.2 Kennzeichen von Prokrastination

1.3 Fall-Illustrationen zur Prokrastination

1.4 Häufigkeit von Prokrastination

1.5 Akademische Prokrastination versus Alltags-Prokrastination?

1.6 Die systematische Erfassung der Prokrastinationstendenz

1.7 Prokrastination und Persönlichkeitsmerkmale

1.8 Prokrastination und Depressivität

1.9 Abgrenzung der Prokrastination von bekannten psychischen Störungen

1.10 Diagnostische Kriterien für Prokrastination

Kapitel 2 Störungstheorien und Erklärungsansätze

2.1 Die verhaltensbezogene Perspektive

2.2 Die motivational-volitionale Perspektive

2.2.1 Das Rubikonmodell: Vom Wünschen zum Handeln

2.2.2 Phasen und Phasenübergänge des Rubikonmodells

2.2.3 Anmerkungen zum Rubikonmodell

2.2.4 Phasenspezifische Probleme von Prokrastinierenden

2.3 Die kognitive Perspektive

2.4 Aufschieben als Versuch der Emotionsregulation

2.5 Vergleich der kognitiv-verhaltenstherapeutischen und der psychodynamischen Perspektive

Kapitel 3 Behandlungsansätze: Übersicht

3.1 Behandlungsansätze aus der Literatur

Selbstbeobachtung

Selbstverstärkung und Stimuluskontrolle

Anspruchssenkung und realistische Zielsetzung

Persönliche Prioritätensetzung und Zeitallokation

Psychodynamische Behandlung von Prokrastination

Kombination kognitiv-behavioraler Methoden

Zusammenfassung

3.2 Wirksamkeit der hier vorgestellten Behandlung

Evaluation der Module A und B

Vergleich der Module A („Pünktlich Beginnen“) und B („Realistisch Planen“)

Evaluation des Moduls C

Überprüfung der Wirksamkeit im Vergleich mit anderen Behandlungsprogrammen

Akzeptanz der Interventionen bei den Teilnehmern

Stabilität der Effekte

Resümee

Kapitel 4 Diagnostik und Indikation

4.1 Diagnostischer Ablauf

4.2 Standarddiagnostik bei Prokrastination

4.3 Differenzialdiagnostik

4.3.1 Hinweise auf weitere Störungs- und Problembereiche

4.3.2 Zusatzmodule zur weiterführenden Diagnostik

4.4 Fragebögen zur Messung von Prokrastination

Fragebogen zu den Diagnosekriterien Prokrastination (DKP)

Allgemeiner Prokrastinationsfragebogen (APROF)

Academic Procrastination State Inventory (APSI+)

Aitken Procrastination Scale (APS)

4.5 Exploration

4.6 Verhaltens- und Bedingungsanalyse

4.7 Erarbeitung eines Störungsmodells für Prokrastination

4.7.1 Welches Modell ist am besten geeignet?

4.7.2 Störungsmodell Prokrastination (einfaches Arbeitsmodell)

4.7.3 Allgemeines Bedingungsmodell für Prokrastination (komplexeres Modell)

4.8 Indikationsprüfung und Therapiezielbestimmung

Kapitel 5 Behandlung

Zum Aufbau des Praxisteils

5.1 Übersicht über die Therapiebausteine und Aufbau der Behandlung

Empfohlener Behandlungsaufbau

Welche Bausteine eignen sich am besten für welchen Patienten?

5.2 Selbstbeobachtung mit Hilfe des Münsteraner Arbeitstagebuchs

5.3 Der Masterplan: Erstellung eines Arbeitsplans

Vorgehen

5.4 Modul K – Kognitive Therapie bei Prokrastination

5.4.1 Einführung des kognitiven Rationals

5.4.2 Identifizierung individueller prokrastinationsfördernder Gedanken

5.4.3 Überprüfung zentraler prokrastinationsfördernder Kognitionen und Entwicklung alternativer Gedanken

5.4.4 Auswertung der bisherigen kognitiven Arbeit und Motivierung zur kontinuierlichen Weiterführung

5.5 Modul A – „Pünktlich Beginnen“

5.5.1 Modul A – Sitzung A1

5.5.2 Modul A – Sitzung A2

5.6 Modul B – „Realistisch Planen“

5.6.1 Modul B – Sitzung B1

5.6.2 Modul B – Sitzung B2

5.6.3 Abschlusssitzung für die Module A, B oder für die Kombination A und B

5.7 Intervention C – „Arbeitszeitrestriktion und Bedingungsmanagement“

Das Prinzip der Arbeitszeitrestriktion

Ableitung des Behandlungsprinzips

Der Fokus dieses Moduls

Das Vorgehen bei der Arbeitszeitrestriktion

5.7.1 Intervention C – Sitzung C1

5.7.2 Intervention C – Sitzung C2

5.7.3 Intervention C – Sitzung C3

5.7.4 Intervention C – Sitzung C4

5.7.5 Intervention C – Sitzung C5: Abschlusssitzung für Modul C oder Kombinationen mit C (AC, BC oder ABC)

5.8 Umgang mit Besonderheiten und schwierigen Therapiesituationen

Umgang mit Reaktanz/Ablehnung, die besprochenen Methoden auszuprobieren

Self-handicapping – Prokrastination als Selbstwertschutz und Narzissmus und Prokrastination

Anstrengungsbereitschaft

Perfektionismus

„Nur noch 5 Minuten, um halb/voll/viertel nach … fange ich an. Wirklich.“

„Eveningness“ – Arbeiten in den Abend oder sogar in die Nacht verschieben

5.9 Abschließende Empfehlung

Literatur

Anhang

Materialien auf CD-ROM

|7|Vorwort zur 2. Auflage

Wir freuen uns, dass sich die erste Auflage dieses Manuals so großer Beliebtheit erfreut hat, dass wir schon so kurz nach ihrer Veröffentlichung eine 2. Auflage herausbringen können. In diesem Manual wollen wir unsere Erfahrungen mit der Diagnose und Behandlung einer Störung weitergeben, die die gängigen Kataloge psychischer Störungen noch gar nicht kennen: Weder in der „International Classification of Diseases (ICD)“ der Weltgesundheitsorganisation, noch im „Diagnostic and Statistical Manual (DSM)“ der American Psychiatric Association wird Prokrastination – im Sinne pathologischen Aufschiebens – als eine eigenständige Störung aufgeführt; allenfalls wird Aufschieben als Symptom oder Konsequenz anderer Störungen genannt. Warum meinen wir also, dass Prokrastination als eine eigene Störung verstanden, speziell diagnostiziert und gezielt behandelt werden sollte?

Unsere klinischen Beobachtungen und vor allem unsere Forschungsbefunde aus den letzten Jahren haben uns in dieser Überzeugung bestärkt. In unserer klinischen Arbeit wurden wir auf das Thema aufmerksam, als immer wieder Menschen aus verschiedenen beruflichen Kontexten in unserer Psychotherapie-Ambulanz vorstellig wurden, die essenziell darunter litten, chronisch und exzessiv aufzuschieben. Ihr gemeinsames Problem bestand vor allem in einem chronischen stark ausgeprägten Aufschieben von wichtigen oder sogar unerlässlichen Arbeiten, aber ihre Primärdiagnosen waren unterschiedlich und konnten in der Regel diesen Mangel an Selbststeuerung nicht erklären. In manchen Fällen gab es trotz klinisch signifikanten Leidens aufgrund des Aufschiebens darüber hinaus keine spezifische Diagnose obwohl die Betroffenen nicht nur Beeinträchtigungen durch die Konsequenzen des Aufschiebens, sondern auch extreme psychische und körperliche Symptome schilderten.

In der Folgezeit recherchierten wir zu diesem Phänomen und führten selbst wissenschaftliche Untersuchungen in unterschiedlichen studentischen und nicht studentischen Stichproben durch. Dabei fanden wir bedeutsame Zusammenhänge beispielsweise mit ADHS, Depression und Versagensangst. Es wurde deutlich, dass Prokrastination in allen Berufsgruppen vorkommt, dass sie sich auf eine Vielzahl persönlich wichtiger Aufgaben und alltäglicher Verrichtungen erstreckt, und dass sie nicht selten eine lebensbeherrschende Beeinträchtigung darstellt.

Offensichtlich ist das Problem Prokrastination so universell und mit so viel Leid und schädlichen beruflichen und privaten Folgen für die Betroffenen verbunden, dass der Behandlungsbedarf unübersehbar ist. Wie können wir den Betroffenen helfen, diese Störung ihrer Selbststeuerung zu überwinden? Diese therapeutische Herausforderung war für uns seit Beginn unserer Beschäftigung mit dem Thema die zentrale Frage, und unsere Antworten darauf stellen wir in diesem Manual vor.

Unsere Leitprinzipien bei der Entwicklung des Behandlungsrationales waren Verhaltensnähe, Einfachheit und Zeitökonomie; die kontinuierliche Evaluation aller hier vorgestellten Behandlungsmethoden war und ist uns ein zentrales Anliegen. In der Fachliteratur finden sich etliche Behandlungsvorschläge, in denen entweder in eklektizistischer Manier viele unterschiedliche mehr oder weniger spezifische Behandlungskomponenten zusammengestellt sind oder in denen aus einer pädagogischen Perspektive vor allem die Arbeitsmotivation verbessert werden soll. Der hier vorgestellte Ansatz weicht von beiden Traditionen durch die Konzentration auf wenige spezifische und verhaltensnahe Elemente ab, die von Therapeuten gut erlernt und den Betroffenen gut vermittelt werden können, und deren Wirkprinzip leicht nachzuvollziehen ist. Die von uns entwickelten Behandlungsmodule können in reguläre kognitiv-verhaltenstherapeutische Therapiepläne bruchlos eingebaut werden.

Im Dezember 2016 ist zudem unser Ratgeber „Heute fange ich wirklich an!“ im Hogrefe-Verlag erschienen, den Patienten auch parallel zur Behandlung oder zur Rückfallprophylaxe lesen können, um ihr Wissen bezüglich Entstehung und Aufrechterhaltung sowie Behandlungsmethoden zu festigen und aufzufrischen, und der sich ebenso für ein eigenverantwortliches Veränderungsprojekt eignet. Unseren jetzigen Forschungs- und Kenntnisstand zur Diagnostik und zur Behandlung von Prokrastination haben wir in Zusammenarbeit mit vielen Kolleginnen und Kollegen sowie Stu|8|dierenden erreicht. Ihnen wollen wir hier danken für ihr Interesse am Thema Prokrastination, für die intensiven Diskussionen bei den Treffen unserer Forschungsgruppe und für ihren Einsatz bei der Beantwortung unserer vielen Fragen zum Bedingungsmodell und zur Behandlung der Prokrastination in ihren empirischen Abschlussarbeiten – sie alle haben zur Entstehung dieses Manuals beigetragen!

Danksagung

Wir danken unseren früheren und aktuellen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Prokrastinationsambulanz der Universität Münster: v. a. Eva Frings, Lena Reinken (geb. Beck), Karoline Krumm, Katrin Hönen, Julia Beumler und Stephan Förster.

Wir danken unseren Diplomandinnen, die gemeinsam mit uns die einzelnen Behandlungsmodule entwickelt und in ihren Diplomarbeiten erstmals durchgeführt und evaluiert haben: Julia Beißner, Sarah Nieroba, Nicole Samberg und Maike Wildt.

Wir danken allen Diplomanden bzw. Master- und Bachelorstudierenden die für ihre Abschlussarbeiten eine Fragestellung aus unserer Forschungsgruppe zur Prokrastination übernommen haben: Inga Opitz, Julia Patzelt, Björn Deters, Dina Menke, Birthe Jaensch, Karoline Krumm, Dorothee Brückner, Meike Braukmann, Lena Reinken (geb. Beck), Anita Bandalo, Eva Frings, Sarah Rossa, Sonja Westermann, Dorothee Müller, Sophie Bischoff, Ruth Haferkamp, Andrea Daemen, Marijke Hullegie, Anna Engberding, Milena Mentgen, Carolin Spieker, Inez Frank, Laura Engelke, Michaela Lues, Johanna Schulte, Cornelia Scheuerle, Nicole Paßlick, Johanne Wolf, Hannah Wittmann, Carola Schmidt, Christian Wolff, Melanie Lindenberger, Nele Hannig und Verena Jurilj.

Wir danken den Korrektorinnen des Manuskripts: Imke Pudritz, Johanna Schulte und Janna von Beschwitz.

Wir danken der Psychotherapie-Ambulanz des Fachbereichs Psychologie und Sportwissenschaften der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, dem An-Institut für Psychologische Psychotherapieausbildung (IPP), der Christoph-Dornier-Stiftung (CDS) Münster und der Universitätsgesellschaft Münster e.V. für die Unterstützung unserer Forschungsarbeiten.

Wir danken Frau Prof. Dr. Marianne Ravenstein, Prorektorin für Lehre im Rektorat der Westfälischen Wilhelms-Universität dafür, dass sie die Arbeit unserer Prokrastinationsambulanz in ihrer Bedeutung für das Wohlergehen der Studierenden, die Verkürzung der Studienzeiten und die Verhinderung von Studienabbrüchen gewürdigt und wirkungsvoll unterstützt hat.

Münster, Januar 2017

Anna Höcker,

Margarita Engberding

und Fred Rist

|9|Kapitel 1Beschreibung der Störung

1.1 Aufschieben und Prokrastination

Im Alltag bestimmt eine Vielzahl von Faktoren, welche Aktivität wann, wie und zugunsten welcher alternativen Tätigkeit aufgeschoben wird. In dem Maße, wie Arbeitsabläufe frei gestaltet werden können, müssen zu einem bestimmten Zeitpunkt immer wieder Entscheidungen zwischen verschiedenen gerade durchführbaren Aktivitäten getroffen werden. Das Aufschieben von Tätigkeiten ist deshalb häufig, alltäglich und nicht primär dysfunktional, sondern entspricht einer flexiblen Handlungskontrolle, mit der spontan auf aktuellen Handlungsbedarf reagiert werden kann. Oft sind die vorgezogenen Tätigkeiten solche, die kurzfristig anfallen und schnell zu erledigen sind oder deren vorgezogene Erledigung durch ihre Dringlichkeit begründet werden kann. Solche Entscheidungen sind jedoch nicht allein durch die objektive Wichtigkeit und Dringlichkeit der zu wählenden Aktivitäten bestimmt, sondern immer auch durch psychische Einflussfaktoren. Die Entscheidung, was aufgeschoben wird und was weitergeführt wird, steht in Zusammenhang mit der momentanen Stimmung, der Antizipation von Erfolg und Misserfolg, dem erwarteten Einfluss der Tätigkeit auf die Stimmung und generell der Abwägung von Kosten und Nutzen einer unmittelbaren im Vergleich zu einer späteren Ausführung. Die Stärke und Richtung des Einflusses solcher Faktoren wird durch die Konstellation von situationsübergreifenden Persönlichkeitsmerkmalen eines Menschen noch weiter modifiziert.

Nur wenige Personen werden von sich sagen können, dass sie sich bei freier Wahlmöglichkeit in solchen Entscheidungssituationen immer zugunsten des wichtigeren Ziels und zu Ungunsten der alternativen, aber momentan attraktiver oder dringlicher erscheinenden Aktivitäten entscheiden. Aufschieben wird jedoch dann zum Problem, wenn persönlich wichtige Tätigkeiten überwiegend zugunsten weniger wichtiger Tätigkeiten aufgeschoben werden, wenn also die tatsächlich durchgeführten Handlungen anhaltend nicht den eigenen Absichten zur Erreichung wichtigerer Ziele entsprechen. Ein Thema für die Klinische Psychologie wird Aufschieben erst dann, wenn ein solches Verhalten habituell wird und trotz bereits gravierender negativer Folgen nicht eingeschränkt werden kann. Tätigkeiten zur Erreichung persönlich wichtiger Ziele werden dann so oft oder in so vielen Bereichen aufgeschoben, dass der Lebensvollzug beeinträchtigt ist und das Aufschieben zu persönlichen Nachteilen von erheblichem Ausmaß führt. Diese Nachteile umfassen sowohl objektive Leistungseinbußen (z. B. schlechte Noten, verlängerte Ausbildungszeiten, nicht erreichte Ausbildungsabschlüsse), Belastungen zwischenmenschlicher Beziehungen (Ärger und Enttäuschung anderer über nicht eingehaltene Leistungsversprechen), als auch Beeinträchtigungen des eigenen Wohlbefindens (z. B. Stressgefühle, Schlafstörungen, reduziertes Selbstwertgefühl, Depressivität bis zur manifesten Depression). Ein derart chronisches und exzessives Aufschieben wird in der Ausbildung, im Beruf und auch im privaten Leben zum Problem für die Betroffenen selbst und ihre Interaktionen mit anderen. Das immer wieder praktizierte Vermeiden der Arbeit für ein persönliches Ziel, obwohl dieses als wichtig angesehen wird und obwohl Zeit dafür zur Verfügung steht, erscheint den Betroffenen dabei oft selbst so rätselhaft wie den Menschen, die mit ihnen zu tun haben. Dieses dysfunktionale, mit Leid, negativen |10|Konsequenzen für das eigene Leben und Risiken für die Entwicklungen weiterer Störungen verbundene Verhalten ist von gewöhnlichem Aufschieben abzugrenzen. Im Folgenden sprechen wir hier von pathologischem Aufschieben oder Prokrastination.

1.2 Kennzeichen von Prokrastination

Prokrastination findet sich als Thema in der wissenschaftlichen Literatur etwa seit 1970, verstärktes Interesse an Prokrastination ist aber erst ab ca. 1990 festzustellen. Viel Verdienst für die Festlegung und Ausgestaltung des Forschungsthemas Prokrastination hatte das Buch „Procrastination and Task Avoidance“ von Ferrari, Johnson und McCown (1995). Wichtige weitere Sammelveröffentlichungen sind ein Sonderheft zum Thema Prokrastination („Procrastination: Current issues and new directions“) im „Journal of Social Behavior and Personality“, herausgegeben von Ferrari und Pychyl (2000), sowie ein Sammelband zu ersten Behandlungsansätzen bei Prokrastination, herausgegeben von Schouwenburg, Lay, Pychyl und Ferrari (2004). Mittlerweile sind hunderte von Einzelarbeiten zum Thema Prokrastination zumeist im englischen Sprachraum erschienen. Im Vergleich zu anderen problematischen Verhaltensweisen oder Persönlichkeitsmerkmalen ist Prokrastination jedoch noch immer erstaunlich wenig erforscht. Insbesondere verwundert der Mangel an einschlägigen Arbeiten im deutschen Sprachraum, obwohl in der deutschen Psychologie vielfach zu motivationalen und volitionalen Modellen des Lernens und Arbeitens publiziert wird (vgl. Heckhausen & Heckhausen, 2010). Der Großteil der einschlägigen Untersuchungen betrifft „akademische Prokrastination“, womit Prokrastination speziell bei Schülern, Studierenden oder wissenschaftlich Tätigen in akademischen Einrichtungen gemeint ist: Zumeist wird in solchen Untersuchungen bei Schülern oder Studierenden das Ausmaß der selbstberichteten Aufschiebetendenz erfasst und mit anderen Persönlichkeits- oder Situationsmerkmalen in Beziehung gesetzt. Selten werden dabei jedoch klinisch bedeutsame und behandlungsbedürftige Ausprägungen der Aufschiebetendenz – also der Prokrastination im von uns vorgeschlagenen engeren Sinn – gesondert erfasst und beschrieben. Entsprechend findet sich in der Literatur zum Aufschiebeverhalten eine ganze Reihe von Definitionen von Prokrastination, die aber nicht speziell klinisch formuliert sind (vgl. Kasten 1).

„Procrastination …

… manifests itself in frequent delays in starting and/or completing tasks to deadline.“ (Ferrari et al., 1995)

… is the act of needlessly delaying tasks to the point of experiencing subjective discomfort.“ (Solomon & Rothblum, 1984)

… can be typified as avoidance behaviour and can be seen as the avoidance of the execution of an intended action. The action is (cognitively) important to the individual but is anticipated as something (affectively) unattractive, causing an approach-avoidance conflict. It presents an intrapersonal conflict between what one should do and what one wants to do and losing it instead of solving it.“ (van Eerde, 2003)

… [means] putting the tasks off past the optimal time it should be initiated to guarantee the maximal likelihood of its successful completion.“ (Silver, 1974)

… [means] voluntarily delaying an intended course of action despite expecting to be worse off for the delay.“ (Steel, 2007)

Kasten 1:Defintion von Prokrastination

Diese Definitionen nennen zwar unterschiedliche Aspekte des Aufschiebens, stimmen aber in einem Kern von Merkmalen überein. Gemeinsam ist allen Definitionen, dass Aktivitäten, die zur Erreichung wichtiger Ziele nötig sind, zugunsten anderer Aktivitäten aufgeschoben werden. Zusätzlich werden folgende Merkmale von Prokrastination herausgestellt: dass dieses Verhalten die Qualität der schließlich erbrachten Leistung gefährdet oder tatsächlich mindert, dass die aufgeschobene Tätigkeit selbst aversiv ist und die Beschäftigung damit Unbehagen auslöst, aber auch, dass das Aufschieben selbst wiederum Unbehagen auslöst. Betont wird, dass sowohl der Akt des Aufschiebens bewusst geschieht als auch die Konsequenzen der Handlung den Betroffenen bewusst sind. In der Kombination beschreiben diese Definitionen Prokrastination als eine komplexe Störung der Handlungskontrolle, an der affektive, kognitive und motivationale Faktoren beteiligt sind.

Implizit ist jedoch allen Definitionen, dass mit Prokrastination habituelles Aufschiebeverhalten bezeichnet wird, und nicht vereinzelt auftretendes, auf bestimmte Ziele beschränktes Aufschieben. Keine der vorgestellten Definitionen enthält jedoch eine Aussage zur Häufigkeit oder Intensität |11|des Aufschiebens – lediglich Ferrari et al. (1995) beziehen Prokrastination auf „häufige Verzögerungen“. Ferrari et al. (1995) hatten die Hoffnung, dass für pathologische Prokrastination ähnlich wie z. B. für Depression oder Panikstörung Kriterien für eine kategoriale Diagnose entwickelt würden. Dies ist bisher noch nicht geschehen: Weder Häufigkeit und Intensität des Aufschiebens noch Zeiträume für das Bestehen der Problematik noch das Ausmaß der damit verbundenen persönlichen negativen Konsequenzen wurden bislang für Prokrastination so festgelegt, wie dies bei anderen psychischen Störungen nach der Logik der ICD und des DSM geschehen ist. Vielleicht ist dieser Mangel der Grund, warum das Forschungsgebiet Prokrastination in der Klinischen Psychologie und Psychotherapie bisher so wenig bearbeitet wurde. Erinnern wir uns daran, dass auch die Panikstörung als Forschungsgebiet erst bedeutsam wurde, nachdem erstmalig im DSM-III diagnostische Kriterien dafür festgelegt worden waren. Trotz zahlreicher Untersuchungen zum Aufschieben mangelt es an Untersuchungen von Menschen, die Aufschieben in selbstschädigendem Ausmaß betreiben, also Kriterien für Prokrastination oder ein „Prokrastinationssyndrom“ (Ferrari et al., 1995) erfüllen könnten. Das veranlasste uns dazu, einen unserer Forschungsschwerpunkte auf die Erforschung von Kriterien für Prokrastination zu legen: In Kapitel 1.10 finden Sie unsere vorläufigen Kriterien für Prokrastination, die wir nach einer Reihe wissenschaftlicher Studien an der Prokrastinationsambulanz der Universität Münster formuliert und aufgrund weiterer empirischer Untersuchungen optimiert haben.

1.3 Fall-Illustrationen zur Prokrastination

Als ein indirektes Kriterium für pathologisches Aufschieben kann das Nachfragen nach Rat und die Inanspruchnahme von Behandlungsangeboten wegen habituellen Aufschiebens angesehen werden. Starke Ausprägungen des Aufschiebens, die dazu motivieren, Rat und Behandlungsmöglichkeiten zu suchen, können wir anhand von Beschreibungen von Studierenden aus unseren Behandlungsgruppen illustrieren (vgl. Kasten 2). Sie behandeln jeweils unterschiedliche thematische Schwerpunkte des Aufschiebens, wie z. B. Prüfungsvorbereitung, Hausarbeiten und Examensarbeit. Im Einklang mit den zuvor vorgestellten Definitionen ist allen Beschreibungen gemeinsam, dass die wichtige Aufgabe klar erkannt wird, auch für bewältigbar gehalten wird und sozusagen ständig in greifbarer Nähe bleibt, dass sie aber anhaltend bzw. jeden Tag aufs Neue vermieden wird. Gemeinsam ist auch allen Schilderungen, dass sich die Betroffenen der Diskrepanz zwischen der dadurch erzwungenen Lebensführung und einer besseren, mit ihren Vorstellungen mehr im Einklang stehenden Lebensgestaltung bewusst sind, ein erheblicher Leidensdruck und das Gefühl der Ohnmacht gegenüber diesem Defizit der eigenen Handlungssteuerung.

Prüfungsvorbereitung

„… bei mir hat bislang eigentlich immer alles geklappt, aber es war zum Schluss immer totaler Stress: Nachts lange lernen die letzten Tage vor der Prüfung, sodass ich da dann noch ordentlich was tun musste, obwohl ich mir vorher schon vorgenommen hatte, pünktlich anzufangen und auch die Zeit dafür da war und es dann immer wieder nicht gemacht habe … auch jetzt wieder … ich komme einfach nicht mehr hinterher und hänge wieder hinter meinem Zeitplan, sodass ich wieder kurz vorher da sitzen werde und die Nächte zum Tag werden.“

Zeitmanagement I

„… bei mir wird dann auch alles auf den letzten Drücker gemacht, ich bin dann jenseits von Gut und Böse. Ich bin dann total manisch und ich krieg gar nichts mehr hin. Der Berg von Dingen, die ich machen soll, ist dann total riesig, auch der ganze Kleinkram fällt mir dann ein, dass ich zuhause anrufen sollte oder wieder mal zum Zahnarzt sollte zum Beispiel. Das wird alles eine riesige Belastung und ich weiß überhaupt nicht, wo ich überhaupt anfangen soll … Ich entwickle jeden Monat mindestens eine neue Methode, wie ich anders an das Problem herangehen könnte. Von A, B, C, D-Prioritäten bis auf großes Plakat gemalt und im Zimmer aufgehängt und dann habe ich Zettel und Tagespläne gemacht …“

|12|Schriftliche Leistungen

„… ich bin quasi scheinfrei bis auf Kleinigkeiten, die ich liegengelassen habe, weil ich keine Deadline hatte. Es wurde gesagt: ,Geben Sie es irgendwann im Laufe des Studiums ab‘. Und das heißt für mich, ich lass es erstmal liegen. Mache ich dann in 2 Monaten. Das Praktikum habe ich vor 3 Jahren gemacht, der Bericht steht noch aus, die Dozentin ist aber immer noch da … Und dann ist da noch ein ganz einfaches Protokoll, was ich einfach nur hätte schreiben müssen. Der Dozent hat gesagt: ,Geben Sie es Anfang der Semesterferien ab.‘ Anfang ist aber relativ, irgendwann war Mitte der Semesterferien und ich dachte, das kann man immer noch zum Anfang rechnen. Und dann war das Semester da und ich hatte andere Sachen zu tun und ich habe es irgendwann ganz liegen lassen und hoffe darauf, dass ich das dann noch nachträglich einreichen kann.“

Examensarbeit

„… ich muss mich jetzt endlich zur Examensarbeit anmelden, weil meine Eltern Druck machen und ich selbst langsam das Gefühl habe, ich krieg nichts mehr gebacken. Aber ich schiebe es immer wieder vor mir her, weil mir immer wieder irgendwelche anderen Dinge einfallen. Hauptgrund ist auch das Arbeiten nebenher. Es ist schön, wenn man Kohle auf dem Konto hat, da kann man schön shoppen gehen, was dann auch wieder ablenkt … Ich kann mich noch nicht wirklich aufraffen, damit anzufangen. Und damit ich genug Geld habe, muss ich ja auch ordentlich arbeiten gehen und das übertreibe ich dann halt, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, wenn ich nichts mache. Das ist ein kleiner Teufelskreis irgendwie …“

Zeitmanagement II

„… jeden Sonntagabend mache ich so eine Wochenbilanz für mich im Kopf. Montag fängt die neue Woche an und dann merke ich, ich habe nichts geschafft und bin vielleicht noch leicht verkatert, da ich am Wochenende weg gewesen bin. Das schlägt natürlich auf die Stimmung. Das ist immer ganz schlimm alles. Ich durchbreche das dann aber trotzdem nicht. Dann ist Montag und ich denke, ich fange Dienstag an, und dann ist Mittwoch und die Woche ist schon wieder fast vorbei. Dann ist eh wieder alles gelaufen. Dann schiebe ich es am Sonntag wieder auf Montag. So geht das jetzt wirklich schon seit 4 bis 5 Monaten …“

Kasten 2:Fallbeispiele

Wenn Aufschieben anhaltend und umfassend das Erreichen von Arbeitszielen verhindert, dann sind negative Folgen für den Beruf und die Lebensgestaltung unvermeidlich. Bei Menschen, die unter chronischem exzessiven Aufschieben leiden, stellen sich massive Zweifel am eigenen Wert und ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit ein, das bis zur Stärke einer Depression anwachsen kann. Bei jemandem, der in einem solchen Ausmaß betroffen ist, beschränkt sich das Aufschieben allerdings nicht mehr auf einzelne, ungeliebte Tätigkeiten. Aufschieben beherrscht dann das ganze Leben und führt zu existenziell ausweglosen Situationen. In mittlerweile zahlreichen Internetforen zum Thema Prokrastination wird dieses häufig klagsam, ironisch oder mit Selbstärger behandelt. Es finden sich aber immer wieder auch tragische Berichte über Prokrastination. Beispiele dafür sind im Kasten 3 aufgeführt. Es handelt sich dabei nicht um ungewöhnliche Einzelfälle, sondern sie entsprechen typischen Schilderungen von Menschen, die unsere Prokrastinationsambulanz aufgesucht haben.

1.4 Häufigkeit von Prokrastination

Überraschend viele Menschen geben an, die Erledigung wichtiger Dinge trotz daraus resultierender Nachteile aufzuschieben, und auch, dass sie diese Gewohnheit gerne ablegen würden, ihnen eine Veränderung aber schwer fällt: In Umfragen bei US-amerikanischen College-Studenten bezeichnen sich bis zu 75 % als Aufschieber, ca. 50 % davon haben dadurch Probleme im Studium. In einer anderen Befragung verwendeten Studierende im Durchschnitt etwa ein Drittel ihres Alltags auf Aufschieben und nicht zielführende Tätigkeiten (Pychyl, Lee, Thibodeau & Blunt, 2000). In unseren eigenen Untersuchungen an der Universität Münster fanden wir je nach Studienfach zwischen 7 und 14,6 % Studierende, die Prokrastination in bedenklichem Ausmaß angeben (Deters, 2006; Krumm et al., 2011). Aber auch in der |13|Allgemeinbevölkerung ist Prokrastination häufig: In US-amerikanischen Untersuchungen bezeichneten sich ca. 20 % der Bevölkerung als „chronische Aufschieber“. Ähnliche Zahlen wurden auch beim Vergleich von Stichproben aus den USA, Australien, England, Spanien und Peru anhand normierter Fragebögen zur Erfassung von Prokrastination ermittelt (Ferrari, O’Callaghan & Newbegin, 2005). Zu den ebenfalls erfragten Konsequenzen gehörten Leistungsbeeinträchtigungen und anhaltende Unzufriedenheit mit sich selbst.

Aufschieben als existenzielle Gefährdung

„… Ich neige dazu, essenziell wichtige Tätigkeiten, die mir Unbehagen bereiten, vor mir her zu schieben. Z. B. Kunden zurückrufen, Überweisungen schreiben, Post öffnen, Steuererklärung machen, Job suchen. etc. Ich schiebe so stark auf, bzw. erledige Dinge in einem Maße gar nicht, dass ich mich dabei existenziell gefährde. Mein Studium scheiterte vor einigen Jahren daran. Jetzt ist meine Selbstständigkeit daran gescheitert. Statt mir zu überlegen, wie es weitergeht, sitze ich seit 8 Wochen im Büro und surfe im Internet herum. Ich bin jetzt 32. Wenn ich nicht bald die Kurve kriege, habe ich wenig Hoffnung auf ein langes Leben …“

Selbstbeobachtung beim Aufschieben

„… Wie kann man nur so U-N-produktiv sein wie ich? Ich hab so einen riesigen Berg zu lernen. Für die Zwischenprüfung. Das ist unglaublich viel. Aber im Prinzip doch irgendwie überschaubar. Eigentlich ist mir komplett klar, was ich machen muss. Und ganz im Prinzip bin ich auch motiviert. Und trotzdem verbringe ich Tage und Tage und Tage mit wirklich komplett sinnlosem Rumsitzen, mich von einer Internetseite zur nächsten treiben lassen, zwischendurch essen und sonst einfach mal den ganzen Tag lang nichts von dem machen, was ich machen müsste. Und am nächsten Tag das Gleiche. Weggehen geht auch nicht, weil „ich muss schließlich lernen“. Dann, wenn‘s wirklich zu schlimm wird, bin ich im Kopf absolut so weit zu sagen „Okay – jetzt los. Jetzt machst du einfach das und das und das und los geht‘s.“. Und nichts passiert. Ich bin absolut bereit, loszuarbeiten und mein Körper bewegt sich nicht. Der Zeigefinger klickt einfach auf die linke Maustaste und schiebt mich zur nächsten www-Seite. Oder mein Appetit meldet sich. Das klappt auch immer. Nur Lernen geht nicht. Nicht mal das Anfangen geht, danach würde es wahrscheinlich ganz einfach sein …“

Kasten 3:Beispiele für pathologisches Aufschieben aus Internet-Foren

Einschränkend muss jedoch zu diesen Prävalenzschätzungen gesagt werden, dass die Feststellung, wer prokrastiniert und wer nicht, davon abhängt, was genau gefragt wird oder wie Prokrastination operationalisiert wird, und daher zumeist recht willkürlich ist: In Ferrari et al. (2005) wurde in einzelnen Ländern ermittelt, wie viel Prozent der Probanden außerhalb des Bereichs von einer Standardabweichung über dem Mittelwert der Gesamtstichprobe lagen. Hier wurde also nur eine statistische Norm verwendet. Für unsere Prävalenzangaben für Prokrastination bei Studierenden verwendeten wir als Kriterium den Mittelwert der Antworten der anschließend behandelten Studierenden in einem Fragebogen zur Erfassung der Aufschiebetendenz. Die Überlegung dabei ist, dass die Fragebogenwerte der behandelten Studierenden zum Ausmaß ihres Aufschiebens einen Hinweis auf Behandlungsbedürftigkeit geben können. Bei anderen Studierenden mit Werten, die über dem Mittelwert der behandelten Studierenden liegen, sollte mit erhöhter Wahrscheinlichkeit ebenfalls Behandlungsbedarf bestehen.

Die Festlegung eines kritischen Wertes in einem Prokrastinationsfragebogen ohne Angaben zu der damit verbundenen Sensitivität und Spezifität bezüglich eines externen Prokrastinationskriteriums, z. B. materielle und emotionale Folgen, ist recht beliebig. Ein Indikator für eine beachtliche Prävalenz von Prokrastination und Aufschieben in der Bevölkerung ist jedoch die große Zahl von Ratgebern zum „Zeitmanagement“, die in den Buchhandlungen und im Internet angeboten werden. Demnach ist die Unzufriedenheit mit der eigenen Zeiteinteilung in der Bevölkerung weit verbreitet. Manche Autoren fürchten, dass als Folge der zunehmenden Verfügbarkeit von Ablenkungsmöglichkeiten durch elektronische Medien, die vor einigen Jahrzehnten noch gar nicht denkbar waren, die Häufigkeit von Prokrastination zunehmen wird (Steel, 2007).

|14|1.5 Akademische Prokrastination versus Alltags-Prokrastination?

Untersuchungen zur Prokrastinationstendenz erfassen Prokrastination als eine Verhaltensdisposition analog zu anderen Persönlichkeitsmerkmalen wie Dominanzstreben, Aggressivität oder Offenheit. Menschen unterscheiden sich beträchtlich darin, wie oft und wie intensiv sie mit Aufschieben in Situationen reagieren, in denen sie sich zwischen unangenehmen, aber wichtigen (weil zielführenden) Tätigkeiten und angenehmeren oder dringenderen, aber unwichtigeren (weil nicht zielführenden) Tätigkeiten entscheiden können. Gefragt wird in diesen Untersuchungen nach den kritischen Persönlichkeitsmerkmalen, deren Zusammenspiel die Ausprägung der Prokrastinationstendenz vorhersagt. Wie bereits erwähnt, stammen etwa 90 % der einschlägigen Untersuchungen aus dem englischsprachigen Raum und von diesen befassen sich wiederum etwa 90 % mit „akademischer Prokrastination“, d. h. dem Aufschiebeverhalten bei Studierenden. Untersuchungen im akademischen Bereich überwiegen nicht deshalb, weil hier Prokrastination häufiger ist oder schlimmere Folgen hat als im Berufsleben. Den wenigen Untersuchungen bei Angestellten von Unternehmen zufolge ist bei diesen die Prokrastinationstendenz nicht weniger ausgeprägt als in anderen Stichproben (Ferrari et al., 2005). Prokrastination ist bei Studierenden lediglich leichter festzustellen und zu untersuchen, da diese als Probanden für Forscher leichter verfügbar sind und da die Anforderungen des Lernens und des Schreibens wissenschaftlicher Arbeiten vergleichsweise standardisierte Bedingungen herstellen, in denen Prokrastination leicht erkennbar ist.

Häufig wird zwischen akademischer Prokrastination und Alltags-Prokrastination, wovon andere Ziele und Aktivitäten betroffen sind, unterschieden. Diese Differenzierung scheint nahezuliegen und entsprechend könnte generell zwischen Aufschieben im Beruf und im Privatleben unterschieden werden. Es stellte sich jedoch heraus, dass bei Prokrastinierenden in der Regel beide Bereiche betroffen sind: In einer Untersuchung an Studierenden und deren Eltern war die Prokrastinationstendenz bei alltäglichen Aufgaben hoch korreliert mit der Prokrastinationstendenz bei akademischen Aufgaben, und zwar sowohl bei den Studierenden (r = .65) als auch bei ihren Eltern. Die beiden für die inhaltlich verschiedenen Bereiche erfassten Prokrastinationstendenzen waren auch gleichermaßen mit Unbehagen verbunden (Milgram, Mey-Tal & Levison, 1998). Menschen, die nur in einem der beiden Bereiche eine Prokrastinationstendenz aufweisen, sind offensichtlich selten. Deshalb sehen wir keinen Anlass zur qualitativen Unterscheidung zwischen akademischer Prokrastination und Prokrastination bei Tätigkeiten im Berufsleben und im privaten Bereich. Studierende, die wegen ihres Aufschiebens Prüfungen nicht bestehen, und Journalisten, die ihren Beitrag immer erst nach Redaktionsschluss abliefern, verhalten sich gleichermaßen im Sinne einer ausgeprägten Prokrastinationstendenz. Deshalb können Ergebnisse aus Untersuchungen mit Studierenden durchaus auf Prokrastination in anderen Lebenssituationen übertragen werden.

1.6 Die systematische Erfassung der Prokrastinationstendenz

In den letzten 20 Jahren sind einige Fragebögen zur Erfassung der Prokrastinationstendenz im englischen Sprachraum entwickelt worden, aber nur wenige davon wurden auch im deutschen Sprachraum implementiert. Zum Teil handelt es sich dabei um sehr spezielle Inventare, die auf eine bestimmte Leistungssituation bezogen sind, etwa für die Untersuchung von Arbeitsstörungen bei Studierenden bestimmter Fächer. In solchen Fragebögen wird das Aufschieben von Leistungen erfasst, die für diesen Kontext spezifisch sind, wie etwa das Anfertigen schriftlicher Hausarbeiten oder die Vorbereitung auf mündliche und schriftliche Prüfungen. Die Prokrastinationstendenz kann aber auch mit Fragen, die allgemein auf jede Arbeitssituation anwendbar sind, gut erhoben werden. Menschen mit Prokrastinationstendenz stimmen typischerweise solchen Aussagen zu: „Ich zögere den Beginn von Aufgaben bis zum letzten Moment hinaus.“, „Auch wenn ich mir vornehme, mit einer Arbeit anzufangen, schaffe ich es nicht.“ und „Durch mein Aufschieben leiste ich weniger, als ich eigentlich leisten könnte.“ In Kapitel 4 stellen wir diagnostische Verfahren zur Erhebung der Prokrastinationstendenz vor.

1.7 Prokrastination und Persönlichkeitsmerkmale

Die überwiegende Zahl der Untersuchungen zur Prokrastination ist als Querschnittsuntersuchung bei Studierenden und Schülern angelegt. Häufig |15|wird dabei nach dem Zusammenhang zwischen der Prokrastinationstendenz und allgemeinen Persönlichkeitsmerkmalen (z. B. Neurotizismus) sowie für den Leistungsbereich spezifischen Persönlichkeitsmerkmalen (z. B. Leistungsmotivation) gefragt. Die zahlreichen einschlägigen Untersuchungen wurden in mehreren Metaanalysen zusammengefasst. Wir beziehen uns im Folgenden auf die umfassende Analyse von Steel (2007). Die wichtigsten dort berichteten Zusammenhänge sind in Tabelle 1 zusammengestellt und nach der Stärke des Zusammenhangs mit der Prokrastinationstendenz und anderen Indikatoren für habituelle Prokrastination (z. B. die durchschnittlich vergangene Zeit von der Absicht bis zur Ausführung einer Aufgabe) geordnet.

Tabelle 1: Zusammenhang zwischen Prokrastination und verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen nach der Metaanalyse von Steel (2007)

Persönlichkeitsmerkmal

Stärke des Zusammenhangs (Korrelation)

Gewissenhaftigkeit

–.62

Selbstkontrolle

–.58

„Self-handicapping“

.46

Ablenkbarkeit

.45

Impulsivität

.41

Aufgabenaversivität

.40

Selbstvertrauen

–.38

Organisiertheit

–.36

Leistungsmotivation

–.35

Depressivität

.28

Selbstwert

–.27

Neurotizismus

.24

Leistungsmaße

–.19

Intelligenz

.03

Die stärksten Zusammenhänge bestehen mit Gewissenhaftigkeit und Selbstkontrolle. Das ist intuitiv einleuchtend – nach unserem Vorverständnis von Selbstdisziplin und Gewissenhaftigkeit schließen diese Persönlichkeitsmerkmale Prokrastination geradezu aus. Gewissenhaftigkeit, Selbstkontrolle und auch Organisiertheit (r = –.36) sind Facetten des Selbstmanagements oder der Handlungssteuerung. Zum Teil ist ihre Assoziation mit Prokrastination allerdings trivial, da zur Operationalisierung dieser Persönlichkeitsmerkmale Fragen nach der genauen und gründlichen Erledigung von Aufgaben gehören, die inhaltlich – mit umgekehrter Polung – denen in Prokrastinationsfragebögen entsprechen. Der funktionale Erklärungswert dieses Variablenkomplexes, etwa als Schutzfaktor gegen die Entwicklung habitueller Prokrastination, ist deshalb nicht hoch einzuschätzen. Im Big-Five-Modell der Persönlichkeit mit den Faktoren Neurotizismus, Introversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit finden sich neben dem starken negativen Zusammenhang zwischen Prokrastination und Gewissenhaftigkeit auch Zusammenhänge mit anderen Faktoren, insbesondere mit Neurotizismus. Der Einfluss dieser übrigen Faktoren auf die Ausprägung von Prokrastination scheint aber völlig durch den Faktor Gewissenhaftigkeit vermittelt zu sein (Steel, 2007), sodass auch Neurotizismus nur über seine ebenfalls negative Assoziation mit Gewissenhaftigkeit die Prokrastinationstendenz fördert. Weitere Variablen aus dem Bereich der Selbststeuerung, die im mittleren Bereich mit der Prokrastinationstendenz korrelieren, sind Impulsivität und Ablenkbarkeit. Beide Konstrukte beschreiben eine Disposition auf spontan intern oder extern auftretende Reize zu reagieren und dadurch ggf. einen anderen, wichtigeren Handlungsablauf zu unterbrechen.

Es ist naheliegend, dass auch die allgemeine Motivation, Leistungen zu erbringen, mit Prokrastination zusammenhängt. Dieser Zusammenhang ist allerdings mit r = –.35 weniger stark als man gemeinhin vermutet: Prokrastination kann demnach durchaus auch bei hoher Leistungsmotivation vorliegen. Der Zusammenhang zwischen Prokrastinationstendenz und Leistungsmotivation ist sogar noch geringer, wenn diese in Bezug auf ein spezielles Ziel erfragt wird. Egal ob es sich dabei um Studierende zu Beginn der Prüfungsvorbereitung oder Wissenschaftler beim Abfassen von wissenschaftlichen Publikationen handelt, den Prokrastinierenden ist es genauso wichtig wie den Nichtprokrastinierenden, ihr Ziel zu erreichen. Häufig planen sie sogar – solange das Ziel noch weit entfernt ist – mehr Arbeit zu investieren als Nichtprokrastinierende. Ein rein pädagogischer Ansatz zur Stärkung der Motivation zur Zielerreichung als zentrales Prinzip zur Prävention oder |16|Behandlung von Prokrastination erscheint deshalb wenig erfolgversprechend.

Wir können aus eigenen Befragungen von Studierenden der Universität Münster die bisher in US-amerikanischen Untersuchungen ermittelten Zusammenhänge bestätigen und in einigen Aspekten ergänzen. Insbesondere interessierte uns der Zusammenhang zwischen Prokrastinationstendenz und Perfektionismus sowie Versagens- und Bewertungsangst. Wir haben dazu 939 Studierenden aus insgesamt 45 Studiengängen befragt (vgl. Kasten 4).

Hintergrund: Hängt Prokrastination mit besonders hohen Ansprüchen an sich selbst (Perfektionismus) und der Angst, diese Ansprüche nicht erfüllen zu können (Versagensangst), zusammen? Wie hängen Niedergeschlagenheit und Antriebsschwierigkeiten (Depressivität) mit der Prokrastinationstendenz zusammen? Der Zusammenhang solcher Persönlichkeitsmerkmale mit der Prokrastinationstendenz sollte bei Studierenden untersucht werden. Da noch keine so umfangreiche Untersuchung an einer größeren Stichprobe von Studierenden deutscher Universitäten durchgeführt worden war, sollte auch geklärt werden, mit welchen demografischen bzw. studienbezogenen Merkmalen die Prokrastinationstendenz zusammenhängt. Diese Untersuchung wurde in zwei Diplomarbeiten durchgeführt (Opitz, 2004; Patzelt, 2004).

Methode: Verschiedene Fragebögen zur Erfassung von Prokrastination, Versagensangst, Perfektionismus und Depressivität wurden von Studierenden der Universität Münster anonym beantwortet. Die Studierenden wurden in Lehrveranstaltungen und Mensen auf die Internetseite aufmerksam gemacht, auf der sie die Fragebögen ausfüllen konnten. Insgesamt 939 Studenten (50 % weiblich) aus 45 Fächern beteiligten sich. Sie waren im Durchschnitt 23 Jahre alt und studierten im 5. Semester. Die Zusammenhänge zwischen den Persönlichkeitskonstrukten und der Prokrastinationstendenz wurden mit Korrelationen und Regressionsmodellen statistisch geprüft.

Ergebnisse:

Perfektionismus: Fremdbestimmte hohe Standards (Erwartungen der Umwelt) können Prokrastination fördern (r = .27). Eigene hohe Standards hängen nicht mit Prokrastination zusammen (r = –.10).

Angst vor Versagen und Angst vor negativer Bewertung durch andere hängen beide stark mit Prokrastination zusammen (r = .58 und r = .38).

Je höher die Prokrastinationswerte waren, desto stärker war auch die Depressivität ausgeprägt (r = .65); Näheres zu diesem Zusammenhang siehe Kapitel 1.8.

In unstrukturierten Studiengängen wird mehr prokrastiniert als in strukturierten (19 % vs. 14 %).

In höheren Semestern wird mehr prokrastiniert als in Anfangs- und mittleren Semestern (21 % vs. 15 bzw. 13 %).

Männern fällt es eher schwer, ihr Pensum zu planen und damit anzufangen, Frauen sind eher unsicher und ängstlich beim Lernen.

Schlussfolgerungen: Aufschiebeverhalten ist auch bei deutschen Studierenden verbreitet und mit einer Einschränkung der Lebensqualität und der Bewältigung von Studienanforderungen verbunden. Zum Teil hängt das Auftreten von Prokrastination mit der Organisation von Studiumsanforderungen zusammen (Vergleich strukturierte – unstrukturierte Studiengänge), zum überwiegenden Teil aber mit Persönlichkeitsmerkmalen, die Schwierigkeiten beim Selbstmanagement mitbedingen. Studierenden sollte bereits früh im Studium geholfen werden, solche Schwierigkeiten bei sich zu erkennen und zu überwinden.

Kasten 4:Prokrastinationstendenz bei Studierenden: Perfektionismus, Versagensangst und Depressivität

Hohe Standards für die eigene Leistung – mit anderen Worten das Streben nach Perfektion – werden in der populärwissenschaftlichen Literatur über Zeitmanagement häufig als Erklärung für Prokrastination diskutiert. Dabei wird angenommen, dass Prokrastinierende bei jeder Beschäftigung mit einer wichtigen Sache ein Ergebnis antizipieren, das diesen extrem hohen Standards nicht genügt. Das sollte derartige Beunruhigung und Angst auslösen, dass damit zusammenhängende Tätigkeiten vermieden würden, was zu einem Rückgang der Angst führen, aber wiederum das Aufschieben verstärken würde. In unserer Untersuchung (vgl. Kasten 4) |17|prokrastinieren aber eher jene Studierenden, die der Umwelt hohe Erwartungen an die eigenen Leistungen unterstellen (r = .27). Eigene hohe Standards sind dagegen nicht mit Prokrastination assoziiert (r = –.10). Versagensangst hängt jedoch unabhängig vom eigenen Perfektionismus stark mit der Prokrastinationstendenz zusammen: Prokrastinierende haben Angst, eine Leistung nicht zufriedenstellend erbringen zu können. Die Angst vor Versagen war besonders stark mit der Prokrastinationstendenz assoziiert (r = .58).

Wie zu erwarten beeinträchtigen Prokrastinationstendenzen die Leistung (r = –.19); dieser Zusammenhang ergab sich über unterschiedliche Varianten von Prüfungsleistungen und Aufgabenbearbeitungen hinweg (Steel, 2007). Dabei ist wichtig festzuhalten, dass kein Zusammenhang zwischen Intelligenzmaßen und der Prokrastinationstendenz gefunden wurde (r = –.03). Prokrastinierende und Nichtprokrastinierende unterscheiden sich also nicht hinsichtlich ihrer intellektuellen Voraussetzungen, Aufgaben zu erledigen, wohl aber in der Leistung, die sie schließlich zustande bringen.

Insgesamt gesehen scheint die Prokrastinationstendenz demnach überwiegend durch innerpsychische Vorgänge und Bewertungsprozesse, die mit den Persönlichkeitsmerkmalen verbunden sind, und weniger durch Aspekte der objektiven Aufgabenschwierigkeit bestimmt. Dies schlägt sich im Zusammenhang zwischen der Beurteilung der Aufgaben als aversiv und der Prokrastinationstendenz nieder (r = .40): Prokrastination geht systematisch mit einer Einschätzung der zu erledigenden Aufgaben als unangenehm, lästig und frustrierend einher. Die dominanten Gefühle, die Prokrastinierende bei deren Erledigung erfahren, sind Ärger, Frustration und Langeweile (Blunt & Pychyl, 2000). Bedeutsame Zusammenhänge werden auch zwischen Prokrastination und Ablenkbarkeit (r = .45) und Prokrastination und Impulsivität (r = .41) berichtet. Diese Korrelationen legen einen Zusammenhang zwischen Prokrastination und Arbeitsstörungen als Folge einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung nahe. Darauf werden wir im Abschnitt zur Differenzialdiagnose eingehen.

Diese Befunde aus Querschnittsuntersuchungen können allerdings keine Auskunft über die Kausalrichtung zwischen den erfassten Merkmalen der Persönlichkeit, der Leistung, der Leistungsorientierung und dem Prokrastinieren geben. Sie sagen uns aber, welche Merkmale, die nicht direkt auf das Aufschieben bezogen sind, mit Prokrastinieren einhergehen. Darüber hinaus wurden in einzelnen Untersuchungen mit dem Ziel der Typologisierung verschiedene Formen der Prokrastination differenziert, die sich je nach Arbeitssituation und Persönlichkeit unterscheiden lassen sollen. Vor allem eine Einteilung in zwei Typen wird immer wieder vorgeschlagen und hat auch eine erhebliche populärwissenschaftliche Attraktivität (Ferrari et al., 1995; Chu & Choi, 2005): Beim ersten Typ liegt der Schwerpunkt der Prokrastination auf der Vermeidung und dem Nichterledigen von Aufgaben („avoidant procrastinators“ oder „passive procrastinators“). Prokrastinierende vom zweiten Typ werden dadurch charakterisiert, dass sie absichtlich bis zur letzten Minute warten, um dann äußerst aktiv bis zum Endtermin durchzuarbeiten und dabei von der damit verbundenen Anspannung für ihre Leistung profitieren („arousal procrastinators“ oder „active procrastinators“). Bei näherem Hinsehen jedoch verschwindet die Evidenz für trennbare Typen (Rist, Engberding, Patzelt & Beißner, 2006): Die Tendenz zum aktiven Prokrastinieren korreliert nämlich hoch mit der Tendenz zum passiven Prokrastinieren (r = .68; Ferrari et al., 2005). Der Zusammenhang der Tendenz zum passiven Aufschieben mit der Tendenz zum aktiven Prokrastinieren erscheint plausibel: Wer anfangs stark vermeidet, bei dem steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er kurz vor dem Termin in hektische Aktivität verfällt. Aber weder in einer Metaanalyse zur Frage der Differenzierungsmöglichkeit der beiden Typen, noch in einer eigenen dimensionsanalytischen Untersuchung an einer Stichprobe von N = 4.000 Befragten konnte Steel (2010) Evidenz für die Differenzierung dieser beiden traditionellen Subtypen der Prokrastination finden. Allerdings ist es klinisch nachvollziehbar, dass Betroffene anfänglich versuchen, ein Selbstbild als „arousal procrastinator“ aufrecht zu erhalten, da es selbstwertschützend verwendet werden kann, im Unterschied zu der Feststellung, ein „avoidance procrastinator“ zu sein. Wenn überhaupt, dann könnte man also von verschiedenen Ausprägungen der Prokrastination im Zeitverlauf statt von verschiedenen Typen sprechen.

1.8 Prokrastination und Depressivität

Wir haben herausgestellt, dass Prokrastination eine dysfunktionale Form der Selbstregulation ist, die negative Konsequenzen für die Lebensführung |18|hat, aber auch erheblichen psychischen Aufwand zur Aufrechterhaltung fordert. Prokrastination kann dadurch selbst zur Ursache für psychische Beeinträchtigungen von Krankheitswert werden.