Rauchsignale. Kindergedichte. Kirchberger Idyllen - Hermann Burger - E-Book

Rauchsignale. Kindergedichte. Kirchberger Idyllen E-Book

Hermann Burger

0,0
11,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Mit einundzwanzig Jahren debütierte Hermann Burger mit Gedichten in den Aargauer Blättern, im Alter von fünfundvierzig Jahren – ein Jahr vor seinem Tod – wurde sein Gedicht „Der Wasserfall von Badgastein“ in der Neuen Zürcher Zeitung abgedruckt. Zwischen diesen Gedichten spannen sich das Leben und Werk des Schriftstellers aus der Schweiz; die Lyrik zeigt auf konzentriertem Raum seine einzigartige Sprachmächtigkeit und seine virtuose Erzählkunst. Zeit seines Lebens hat Burger zwei Bände mit Lyrik veröffentlicht. Viele Gedichte, wie die aus dem geplanten Zyklus „Kindergedichte“, sind nie in Buchform erschienen. Im ersten Band der Werkausgabe sind erstmals alle zu Lebzeiten des Autors veröffentlichten Gedichte versammelt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 92

Veröffentlichungsjahr: 2014

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Zum Buch:

1967 gab der fünfundzwanzigjährige Hermann Burger mit dem Band »Rauchsignale« sein Debüt als Schriftsteller. In diesen Gedichten steht Burger unter dem Einfluss von Ingeborg Bachmann und Paul Celan, über den er einige Jahre später promovieren wird. Die »Kindergedichte«, die als Zyklus angelegt sind, beruhen auf einer Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Lyrik. Die »Kirchberger Idyllen« schließlich wurden, als sie 1980 erschienen, nicht zuletzt ihres Themas und Entstehungsortes wegen – das Kirchberger Pfarrhaus zu Küttigen – von einigen Rezensenten als Nebenprodukt des Romans »Schilten« aufgefasst. Struktur und Ausarbeitung der Gedichte bilden allerdings ein modernes und eigenständiges Werk.

Zum Autor:

Hermann Burger, geboren 1942 in Aarau/Schweiz, war Publizist, Privatdozent für Neuere Deutsche Literatur und Feuilletonredakteur. Nach der Publikation eines Gedicht- und Erzählbandes verhalf ihm das Erscheinen des Romans »Schilten« 1976 zum internationalen Durchbruch. Für den Roman erhielt er seine erste bedeutende Auszeichnung, den später für das Gesamtwerk abermals an ihn verliehenen Preis der Schweizer Schillerstiftung; es folgten 1980 der C.-F.-Meyer-Preis, 1983 der Hölderlin-Preis und 1985 der Ingeborg-Bachmann-Preis. Hermann Burger starb 1989 auf Schloss Brunegg.

Zum Herausgeber:

Simon Zumsteg, geboren 1973, promovierte über Hermann Burgers Poetik, publizierte Aufsätze und einen Sammelband über Burger und kuratierte 2009 die Zürcher Ausstellung »Hermann Burger 1942–1989 – Nachlass zu Todeszeiten«.

Hermann Burger

RauchsignaleKindergedichteKirchberger Idyllen

Gedichte

Herausgegeben von Simon Zumsteg Mit einem Nachwort von Harald Hartung

Ungekürzte, durchgesehene Taschenbuchausgabe

© 2014 Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, München

© für diese Ausgabe 2025 in der

Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH

Valentinskamp 24 · 20354 Hamburg

[email protected]

Covergestaltung von wilhelm typo grafisch, Zürich

Coverabbildung von Werner Erné

Satz und E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783312006120

www.nagel-kimche.ch

Jegliche nicht autorisierte Verwendung dieser Publikation zum Training generativer Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) ist ausdrücklich verboten. Die Rechte des Urhebers und des Verlags bleiben davon unberührt.

Frühe Gedichte

Spät

Spät im Oktober,

Wenn die primären Tage vorbei sind,

Und abends sich die Wälder

In graue Nebelkulissen stufen –

Wenn die leeren Gehäuse der Züge

Ausfahren

Mit frühen Stirnlichtern besteckt –

Wenn die erleuchteten Schaufenster

Wie Silberplomben

Im Weichbild der Stadt sitzen,

Riecht es da nicht schon

Nach Schnee und älteren Gestirnen?

Geliebtes Land

Geliebtes Land, deine Burgen altern.

Im Turmsaal über der Stadt

verschwistern die Stunden

zu grauen Gespinsten;

es wimmelt von Asseln und Faltern.

Von der Wand

fällt das Lorbeerblatt in den Schrein.

Die Erinnerung verwelkt,

orangensüßer Duft entschwindet

mit dem Rauch in der Dämmerung.

Durch die Tore ziehen Sagen ein.

Früher Sonntagnachmittag

Die Welt ist weiß

und vom Nebel durchbissen.

Die grauen Wälder mit ihren

Reif besetzten Orgelstämmen

bewachen das Schweigen.

Aus entlegenen Dörfern

schicken die Kirchen

den bronzenen Klangfuß übers Land.

Figurengruppen bewegen sich

am Eisweiher vorbei

auf dem gelben Band der Straße.

Friedvoll bäuerliches Spiel

dem Tale zu.

Einkehr

Kehrt ein in den dürren Zelten,

den Oktoberschenken, die

hoch im Winde schaukeln, kehrt ein!

Da gibt es noch einen feuchten

schwarzen Wein von tödlicher Süße,

ein berauschendes Scherbengelächter.

Aber unter uns höhlt das Geschrei

der Raben einen Raum längst vermorschter

Gefühle. Auf den tiefer liegenden

Äckern verherbsten die Brote zu Stein,

und in fernster Tiefe verraucht still

das stürzende Schwarzblut der Wälder.

Gong

Der Himmel aus Bronze und

aus Bronze die See, die Sonne

ein nicht lokalisierbares

Glanzlicht und der Nebel

metallische Ausdünstung.

Alles hart und gehämmert,

dass die Öltanker erträglich

werden mit den schwarzen

Rauchfahnen, die starrhalsigen

Kräne über den Werkhallen,

die Blechzigarren in der Luft.

Weckt ja nicht das Lied,

das, nach Eichendorff, in allen

Dingen schläft. Ein Gewitter

grausig golden scherbender

Gongschläge müsste über uns

hereinbrechen.

Erntegewitter

Burg um Burg hast du erbaut

mit Sommern, Stirnen und Staub,

Stirnenstaub,

vor den Toren spielen Kinder Krieg im Korn,

blutig verrostet der Zinnsoldat.

Vergebens spielen die Kinder Krieg,

keine meiner Wunden löscht der Mohn,

schwarzer Mohn,

die Vogelscheuchen lächeln sich Kopfweh zu,

ein grüner Engel wettert am Horizont.

Die Vogelscheuchen gehen irr durchs Korn,

lautlos rast im Hof das Karussell,

die Orgel tief im Wahn,

die Kinder reiten wild und schreien

nach dem goldnen Ring in deiner Stirn.

Die Kinder schreien nach dem goldnen Ring,

lass die Burgen verrauchen im Herbst,

bitteres Rauchsignal,

in den Wolkenhallen kracht die Erztür zu,

der Engel schmerzt dich, wenn du barfuß sprichst.

In gelben Wolkenhallen kracht die Erztür zu,

Konfetti schneit dir vors Herz,

bunte Silben,

die Schwänin sinkt im Scherbenweiher, trink

ihr aus den Federn den blutigen Mond.

Sanduhr

Es rinnt mir aus den Augen

in deine Augen:

Sand, aus dem kein Gold gewaschen wurde.

Nahtlos trennt dein Schatten

sich von meinem Schatten.

Unsere Blindheit trägt kein Zeichen,

nur dies: erschlaffte Gewitter

in aufgeworfenen Armen.

Unaufhörlich rinnt der Sand

aus deinem Haar

in mein bodenloses Herz.

Roter Sand,

aus dem kein Gold gewaschen wurde.

Das erste Wort

Zu früh gefallen

der erste Schnee

auf jedes Wort.

Mit hohler Hand

deckst du die Flammen,

bengalischrot,

bengalischgrün.

Der eisig behauchte Spiegel

verzerrt den Schimmer,

und dies nur bleibt,

Mehlspeise im Wind:

zu früh gefallen

das erste Wort mit

dem ersten Schnee.

Rauchsignale Gedichte

I

Der stumme Bruder

Noch muss ich einen Bruder haben,

der kommt mir entgegen

auf einer verschatteten Straße,

irgendwo in einem Sommer,

irgendwo in einem grünen Land,

ohne Sprache, nackt,

mit verdunkelten Brillengläsern

und die behaarten Arme

von Zornesgebärden erschlafft.

Und er erkennt mich nicht,

weil er den Verstand verlor,

als er von einer Brüstung ins

hüfthohe Gras stürzte.

Mein sprachloser Bruder,

du bist nicht tot.

Zieh dir ein grünes Hemd über,

lehr mich deine Sprachlosigkeit,

grins, wenn ich nicht versteh,

wir wollen schweigen zu zwein.

Aber du erkennst mich nicht.

Gleich mir hat dich eine fremde Mutter

mit einer Sendung von Wünschen

zur Welt geschickt,

wie einen Ochsen vor ihren Stolz gespannt

und hat dir die steinernen Rosinen

aus ihrer Krone zugeworfen.

Dein Hufschlag zermalmt

die Mühle ihres Gebets.

Mein Bruder, mein Gegenblut,

mir ins Fleisch geschrieben,

als wir wie eine Münze hart

in diese Welt geworfen wurden,

lag dein Gesicht unten.

Aber du bist nicht tot.

Gefangenschaft

Gefangene

sind wir im

knöchernen Verlies,

von Nacht durchtränkt,

von bitterem Vergessen

genährt und gefesselt an unsern

Mörder,

den schwarzen Schlaf.

Auf Zehenspitzen tasten

wir uns ans Gitter der Worte.

Draußen fällt

schneeweißes Wissen

und Schweigen über den Hügeln.

Landschaft bei Aarau

An festlichen Julitagen

erwacht die Stadt

im leichten Fahnengewand

und spendet Schatten

auf die grünenden Straßen und Plätze.

Kanonenschüsse springen ins Land.

Der schwarze Adler knattert

über dem Blutbann im Wind.

Mit dem goldenen Degen,

beflaggte Stadt,

und einer weißen Rose

hast du uns geschmückt,

zu Rittern deines Glücks geschlagen.

Der Tag bekränzt sich,

die Ebenen

werden uns hinter die Flüsse tragen.

Später, im Herbst,

wenn alle Türen offenstehn

von den Schwellen am Anfang

bis zu den Schwellen am Ende,

stürzt ein Fahnenträger

durch die entlaubten Alleen

und zerteilt mit dem Schwert

die fallenden Hände.

Sein Gefolge: ein Wind

von Trommelwirbeln.

In der Ferne mischt sich

des Abends Dämmerflor

mit dem Geruch von Schwefel und Blut.

Gegen den Himmel treibt Sand.

Im Ansturm schwärzt sich

der Wolkenverband.

Schwerindustrie

Zehn Fugen ineinanderspielen,

das Gebilde aus Stahl gießen

und tief in den Kopf hineindenken,

bis es so unverrückbar sitzt,

dass die Zahnwurzeln krachen,

es dann herumsausen lassen

ziel- und endlos in gebogenen Schächten,

selber langsam auf einer Scholle treibend,

mit dem Schädel gegen andere Schädel rennen,

ins Wachs beißen, Glas zwischen den Lippen,

gefrorenes Blaugut unter den Augen,

die Hände im Feuer waschen,

die Schlangenhaut nach außen kehren,

das ist immer der Prozess.

Das hauchdünn Herausgestanzte

dann zusammenfalten und dem Tanz

der Winde überlassen.

Undine

Undine komm,

komm, und wach auf

im weißen Bett meiner Sprache,

tauch auf aus den tödlichen Wassern

und streif die Meerhaut ab.

Geh nicht zugrunde stumm wie ein Fisch,

sink nicht in dich hinein,

in dein Korallenschloss,

sprachlos und versteinert,

ist doch ein Wort noch,

das uns weiterträgt,

wenn auch ein Wort nur

im Schwarm der andern Worte,

aber weißglühender als jedes Wort

stillt’s die blaue Wunde unseres Wesens,

die der Abend aufbricht

und die nahtlose Nacht,

stillt’s den Mund,

die violetten Münder am Vulkan,

löscht’s das Feuer in der Felsburg,

dein Wort, Undine,

Wasser, das dir entströmt,

die Liebe,

komm.

Spaziergänge

Auf Spaziergängen im Herbst,

da wird mein Vogel wach

im goldenen Käfig,

die Einsamsel, und singt

aus zerbrochener Kehle.

Ich lass sie flattern und trinken

von der Trauer in den Triften.

Wie ihr Gefieder metallisch

erglänzt und sich steift über

den gescheckten Wäldern,

über dem Lapislazuliauge des Teichs!

Im Flug streift sie kreisend

den Hügel mit trockenem Burgentrost.

In den Weilern wird ein

Knarren laut, als lösten sich

verwrackte Archen vom Tau.

Die Landschaft schifft sich ein

für eine Sturmfahrt übers braune Meer.

Schwarze Segel hissen die Tannenmasten.

Da stürzt meine Amsel,

zerschnitten von Horizonten

und von Fernweh getroffen,

ab über der Straße des Erlkönigs.

Stumm zieht der Nebeltross.

Die schwarz befrackten Schergen

zerhacken ihr das Gefieder,

eine Flaumspur führt zur Mördergrube.

Folg ihr nicht,

im Käfig wächst bald ein

anderer Vogel nach,

der sich befreit und getötet wird,

und dann ein anderer Vogel,

befreit und getötet,

immerzu dies:

befreit und

getötet.

Reigen

Nonnen,

leichte Figuren

aus schwarzem Wachs

durchtanzen den düsteren

Hain, in den Reigen welkender

Blätter mischt sich weiches Geriesel,

Regen,

der Regen

wäscht das Wachs

ihrer Gesichter aus den

Schalen der Hauben, die schwarzen

Flammen verzückter Augen löscht der Wind.

Reigen.

Dünne Fäden

schwärzlichen Rauchs

steigen auf ins Gespinst

der Äste. Reigen faulender Blätter

und Nonnen im Regen, im düster welkenden Hain.

Dichterin

Das schwere Bündel heilloser Wunden,

das dir die Schulter schnürt

und deine Fersen schändet, wirf

es nicht weg. Es könnte sein, dass tausend

ungerächte Flämmchen dir nachtanzen

und ihr Gelächter alle gangbaren Tunnel

herzwärts zerfrisst.

Kein Wassertropfen löscht den Schweiß

auf der Stirn, keine Träne das Salz im Blut,

und die Schleuder der Flüche hängt lahm.

Aber noch heute, noch eh diese mit Leitern

verstellte Nacht zu kreisen beginnt,

wird dir das Fahnentuch zugemessen,

und im leichten Faltenüberwurf ersteigst

du dieser Erde Sockelgeschoss.

Malven

Weich blüht wieder das Wort

und graurosa in meinem Gehirn,

Schlangen zieht es nach sich,

die aus heißen Gemäuernischen fahren,

staubige Wege

und sterbende Gartenräume.

Was soll ich mit Malven?

Auf meinem Schreibtisch häufen sich

herbstliche Aufträge.

In Verse schneiden,

gepuderte Malvenverse?

Malvenvers,

ein neues Wort,

herbarisiert schon und

geeignet für ein gebräuntes Albumblatt.

Weich, graurosa blüht das Wort Malven

in meinem Gehirn und vergilbt zu Versen.

Auf dem Schreibtisch häufen sich

herbstliche Aufträge.

Abend vor dem Dorf

So still. –

Das Dorf im Abendsonnenschein,

ländlich, eingefriedet von Baum- und Hügelzügen.

Mais im Vordergrund, Blaukraut,

Schüttergras und Streifen Ackers, Feuernelken.

Etwas tiefer eingesenkt: die Narbe

eines Flussbettes mit Birken,

Weidenwitwen auch. Zwischen

den Stämmen Schatten, und wo

schattenhaft sich Tieferes noch findet,

kühl, gemäuernah,

da stand die Mühle einst

vor einem Wehr …

Nun längst verrottet,

so still. –

Kirchturm, die Glocke schlägt,

einmal nur. Zimmermannsgerufe.

Auch diese Frage geht verloren.

In tief gezogene Dächer eingezargt

die Pfarrhaus-Stirnwand, weiß,

für Storchenblicke. Dann Reben,

Gelände, einer Fahne müdes Rot,

wie letzte Auszeichnung des Sommers.

Aber in der Nähe wird getreckt,

Nationalstraßenbau.

Und hinten auf dem Damm

das hohlhäusig tönende Gerail

eines Eilfernzuges, gedämpft

vom Rhythmus der Schienenstöße,