Raus aus den Schubladen! - Florence Brokowski-Shekete - E-Book

Raus aus den Schubladen! E-Book

Florence Brokowski-Shekete

0,0

Beschreibung

Florence Brokowski-Shekete hat für ihr neues Buch mit 12 Schwarzen Deutschen aus verschiedensten Berufen über ihr Leben gesprochen – vom Metzgermeister in Speyer über den ostfriesischen Kfz-Mechaniker bis zur Gynäkologin in Saarbrücken. Wie sieht ihr Alltag aus? Welche Erfahrungen machen sie als Schwarze Menschen in Deutschland? Nach dem Motto »Raus aus den Schubladen!« lädt Florence Brokowski-Shekete dazu ein, verschiedene Lebenswege kennenzulernen, etwas über Alltagsrassismus zu erfahren, den Schwarze Menschen nach wie vor erleben, und den eigenen Horizont zu erweitern. Ein wichtiger Beitrag zur Sichtbarmachung und zum Empowerment von Schwarzen in Deutschland, aber auch zur Verständigung. Die vielen positiven Reaktionen auf ihre Autobiografie »Mist, die versteht mich ja! Aus dem Leben einer Schwarzen Deutschen« verdeutlichten Florence Brokowski-Shekete, wie solche Innensichten gegenseitiges Verständnis fördern und Mut machen können.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 201

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch

Nach dem Motto »Raus aus den Schubladen!« lädt Florence Brokowski-Shekete dazu ein, verschiedene Lebenswege von Schwarzen Menschen in Deutschland kennenzulernen, etwas über Alltagsrassismus zu erfahren und den eigenen Horizont zu erweitern. Ein wichtiger Beitrag zur Sichtbarmachung und zum Empowerment, aber auch zur Verständigung. Die vielen positiven Reaktionen auf ihre Autobiografie »Mist, die versteht mich ja! Aus dem Leben einer Schwarzen Deutschen« verdeutlichten Florence Brokowski-Shekete, wie solche Innensichten gegenseitiges Verständnis fördern und Mut machen können.

Über die Autorin

Florence Brokowski-Shekete ist Autorin und Schulamtsdirektorin in Baden-Württemberg. Als Coach und Trainerin in ihrer eigenen Agentur für interkulturelle Kommunikation berät sie Unternehmen und Institutionen. Sie arbeitete als Lehrerin, Schulleiterin und Schulrätin. Darüber hinaus hat sie einen Lehrauftrag an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg zum Thema »Diskriminierungssensible Pädagogik im Bildungskontext«.

Florence Brokowski-Shekete

Raus aus den Schubladen!

Meine Gespräche mit Schwarzen Deutschen

Für mehr menschliches Verständnis

Anmerkung der Autorin

In diesem Buch habe ich bewusst diskriminierungssensible Schreibweisen verwendet. So ist das Wort »Schwarz« großgeschrieben. Damit wird verdeutlicht, dass es sich nicht um ein Adjektiv handelt, sondern um eine Selbstbezeichnung von Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe im beruflichen und privaten Alltag Rassismus erleben.

Inhalt

Anmerkung der Autorin

Vorwort

Selbstverständlich sind wir hier

Wunderbare Begegnungen

Meine Gespräche mit Schwarzen Deutschen

Mein Lächeln ist meine Waffe

Sylvie Brou, Schulsekretärin

De Schwatten Ostfrees Jung

Keno Veith, KFZ-Mechaniker und Blogger

Heimat ist dort, wo ich mich wohlfühle

Isaac Boateng, Industriekaufmann und Sozialökonom

Jetzt oder nie

Ingrid Adjoa Yeboah, Rechtsanwältin

Der Speyrer Bub

Victor Nettey, Metzgermeister

Dein Brot kannst du auch mit anderen teilen

Juliana Luisa Gombe, Betriebswirtin und Bildungswissenschaftlerin

Kleine Kinder achten nicht auf die Hautfarbe

Chantale Bierou, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin

Mit meiner Musik verbinde ich Kulturen!

Gerald Ssebudde, Kantor, Gymnasial- und Hochschullehrer

Ich bin nur von der Hautfarbe her anders

John Ehret, Bürgermeister

Zu auffällig für den Hintergrund

Henrietta Harris, examinierte Altenpflegerin und Samantha Harris, Projektmanagerin

Was wir zulassen, entscheiden wir selbst

Stephania Mbianda Papdo, Gynäkologin

Mein Blick nach vorn

Dank

Vorwort

Es ist noch nicht so lange her, dass meine Autobiografie Mist, die versteht mich ja! erschienen ist. Seit der Veröffentlichung erhalte ich viele Zuschriften in Form von Briefen, E-Mails und Kommentaren in den sozialen Netzwerken.

Weiße Deutsche schreiben mir, dass sie meine Einladung zu einem Blick in das Leben einer Schwarzen Deutschen sehr wertschätzend angenommen haben. Sie bedanken sich dafür, Einblicke erhalten zu haben in ein Leben, das ihnen bis dahin kaum oder gar nicht vorstellbar gewesen war.

»Danke, dass Sie mir mit Ihrer Autobiografie Fragen beantwortet haben, die ich mich nie zu stellen traute«, schrieb mir beispielsweise eine Leserin. Sie sei froh, sich nun ohne schlechtes Gewissen, ohne ein selbstverordnetes Frageverbot mit bestimmten Fragen offen auseinandersetzen zu können. Ein Frageverbot, ein Verstummen, das vielerorts verbreitet ist als Gegenpol zu einem unsensiblen Umgang mit Diskriminierungen.

»Ich gebe zu«, heißt es in einem anderen Brief, »als ich gehört habe, dass Sie Schulleiterin sind, war ich sehr verwundert. Eine Schwarze als Schulleiterin an einer deutschen Schule? Nachdem ich nun Ihr Buch gelesen habe, schäme ich mich für diese Einstellung.«

Wie offen, wie ehrlich, wie selbstkritisch. Viele Leserinnen und Leser bekunden, ihre Haltung, ihr Handeln und ihr Verhalten gegenüber Deutschen mit anderen Wurzeln nun zugewandter zu reflektieren.

Deutsche mit anderen Wurzeln, nicht mit afrikanischen, schreiben mir, sie würden die Parallelen erkennen. Auch sie würden nicht als zugehörig betrachtet, obwohl sie doch Teil dieser Gesellschaft und hier zu Hause seien. Sie besäßen nicht die gleichen Möglichkeiten und Chancen wie Weiße und wünschten sich nichts sehnlicher als ein gleichberechtigtes Leben. Sie wollten ihre Existenz in diesem Land, das ihre Heimat, ihr Zuhause ist, nicht ständig rechtfertigen müssen. Sie wünschten sich, als das anerkannt zu werden, was sie sind: Mitglieder unserer Gesellschaft.

Unglaublich viele Zuschriften und Kommentare erreichen mich von Schwarzen deutschen Frauen und Männern jeglichen Alters. Durch meine Geschichte fühlen sie sich nicht nur angesprochen, sie finden sich darin wieder, verspüren Ermutigung und Empowerment. Manche berichten mir von ihrer eigenen Geschichte. Es gibt Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede. Es sind jedoch alles Geschichten von Stärke, Kraft und Mut, von Lebensfreude und Witz. Es sind auch Geschichten, die Traurigkeit, Schmerz und Einsamkeit erahnen lassen. »Ich wollte Danke sagen«, schreibt mir eine junge Schwarze Frau, »Danke dafür, dass Sie dieses Buch veröffentlicht haben. Damit helfen Sie Menschen, die die gleichen Lebensumstände haben wie Sie. Und Sie helfen auch jenen, die Menschen wie mich nicht verstehen können oder wollen.«

Die Geschichten, die mir zugetragen werden, sind meist Erfolgsgeschichten. Sie erzählen von Schwarzen Frauen und Männern, die enormen Widerständen zum Trotz nicht aufgegeben und ihren Platz in der deutschen Mehrheitsgesellschaft gefunden haben. Dabei waren sie oft die ersten und einzigen Schwarzen in ihrem sozialen Kontext. All diese Geschichten sind für mich Beispiele von Resilienz.

Auch bei Lesungen begegne ich Schwarzen Frauen und Männern. Sie fallen auf, weil sie oft die einzigen Schwarzen Gäste sind. Immer kommen wir ins Gespräch, der Austausch ist mir wichtig.

Wiederum anderen begegne ich in beruflichen Zusammenhängen oder bei privaten Treffen. Wir sehen uns, sprechen über uns, über mein Buch und die darin geschilderten Erfahrungen, das gemeinsame Thema verbindet.

Es sind sehr schöne, tiefgehende Begegnungen.

Und so entstand die Idee zu diesem Buch. Ich lud meine Schwarzen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner dazu ein und bat sie, mich an ihrem Leben Anteil nehmen zu lassen. Ich bat darum, sie sichtbar machen zu dürfen. Damit andere durch sie Empowerment, Inspiration und Freude erfahren. Um Lebensmut und Willensstärke zu vermitteln. Um außergewöhnliche und gleichsam »normale« Biografien zu zeigen.

Ein Buch von Menschen für Menschen, um sich wahrzunehmen und gegenseitig zu stärken.

Selbstverständlich sind wir hier

Es ist eine gelungene und festliche Veranstaltung zum Thema »Gesellschaftliche Eingliederung von jungen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund«.

Die Teilnehmenden suchen den Austausch, man kommt leicht miteinander ins Gespräch, lauscht den Vorträgen und Darbietungen, den unterschiedlichen beruflichen Perspektiven und Tätigkeiten, erfreut sich an der Stimmung.

Man wolle miteinander, voneinander, füreinander lernen, so steht es im Programm. Ich bin ebenfalls Gast, wurde eingeladen, um mit meiner interkulturellen Expertise zu unterstützen. Mich interessiert es auch, welche persönlichen und beruflichen Vorstellungen und Visionen diese jungen Menschen mit ihren vielfältigen, multikulturellen Biografien haben.

Ein weißer, deutscher Gast spricht mich an: »Was machen Sie eigentlich beruflich?«, möchte er wissen. Nun habe ich nicht vor, an diesem Ort meinen beruflichen Hintergrund in den Vordergrund zu stellen. Die Neugier meines Gegenübers ist jedoch deutlich spürbar. Ich erkläre ihm, dass ich hauptberuflich als Schulamtsdirektorin, freiberuflich als Coach, Beraterin und Autorin tätig bin, an dieser Veranstaltung jedoch nur als Gast teilnehme. Der Blick meines Gegenübers wirkt nun noch erstaunter. Mit großer Enttäuschung und fast ungläubig kommentiert er meine Antwort: »Ach, ich dachte, Sie wären Sängerin.«

»Sängerin?«, wundere ich mich. Natürlich komme ich im Laufe der Veranstaltung mit vielen verschiedenen Menschen ins Gespräch, wir unterhalten uns über unterschiedliche Themen, gesungen habe ich jedoch zu keinem Zeitpunkt.

»Wie kommen Sie darauf, dass ich Sängerin sei?«, frage ich ihn, gespannt auf seine Antwort, und ich merke, wie mein beruflicher Hintergrund nun doch im Begriff ist, in den Vordergrund zu treten, oder besser gesagt, hervorgeholt wird. Er klärt mich auf, dass ich den Eindruck mache, als sei ich Sängerin. Nein, nicht, dass ich jemandem ähnlich sähe, also keiner bestimmten Person. Einfach aufgrund meiner Erscheinung, meiner Frisur, meiner Hautfarbe, meines ganzen Äußeren, meines Auftretens, aufgrund von allem, Sängerin halt, das passe!

Geschickt versuche ich, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, müsste ich meinem Gegenüber doch sonst erklären, was seine Überzeugung mit Klischees und Schubladendenken zu tun hat, mit Schubladen, in denen er mich sieht. Ich will aber einfach nur diesen Tag und diese Veranstaltung genießen.

Szenenwechsel …

Dieses Mal vertrete ich tatsächlich offiziell als Schulamtsdirektorin das Amt, für das ich tätig bin. Das Thema der schulischen Veranstaltung lautet: »Berufliche Orientierung im schulischen Kontext«. Externe Gäste sind ebenfalls geladen, um sich mit Schülerinnen und Schülern über deren berufliche Ideen auszutauschen und Impulse zu geben. Ein Gast kommt in der Pause freudig auf mich zu. Ich kenne ihn nicht, er kennt mich nicht. Aus diesem Grund erkundigt er sich, wer ich sei und welchen beruflichen Hintergrund ich habe. In diesem Rahmen erscheint es mir passend, meinen beruflichen Hintergrund in den dienstlichen Vordergrund zu rücken. Zunächst lasse ich den so an mir Interessierten Vermutungen anstellen. Ich lächle in mich hinein in Vorfreude auf das folgende Spielchen. So frage ich ihn, welcher Berufsbranche er mich denn zuordnet, und bin schon sehr gespannt auf seine Einschätzung. Der junge Mann meint, ich sei bestimmt Stewardess. Nicht, dass im Rahmen der Veranstaltung Vertreterinnen und Vertreter dieses Berufsbilds anwesend wären und er mich schlicht verwechselt. Nicht, dass er irgendetwas von mir wüsste. Denn zu diesem Zeitpunkt ist mein Buch, Mist, die versteht mich ja!, in dem ich unter anderem von meinem Traumberuf in der Kindheit erzähle, das war tatsächlich Stewardess, noch gar nicht erschienen. »Also«, fügt er hinzu, »zu jemand so Exotischem wie Ihnen passt nur ein exotischer Job.«

Ich kläre ihn auf, dass ich Vertreterin der Unteren Schulaufsichtsbehörde sei und somit die Dienstvorgesetzte der hier anwesenden Schulleitung. »Nein!«, erwidert mein Gegenüber fast empört, »so ein normaler Bürojob passt doch gar nicht zu jemandem, der aussieht wie Sie.« Nicht, dass er mir bestimmte Qualifikationen zuschreibt, die eine Stewardess auszeichnen. Nicht, dass er mir bestimmte Qualifikationen abspricht, die für diesen »normalen« Bürojob, wie er ihn nennt, notwendig sind. Exotik passe nun mal nicht zu normal, normal nicht zu Exotik, so einfach ist das.

Zu meiner großen Überraschung bemerke ich einige Zeit später, dass der junge Mann meinen Worten offensichtlich nicht hat folgen können. Denn in einem Gespräch mit einer weiteren Person zeigt er sich erneut überrascht, als diese ihm meine dienstliche Position erläutert, so, als habe er noch nie davon gehört. Ich habe den Eindruck, er hat es tatsächlich nicht begriffen. Erwartung und Realität ließen sich nicht miteinander in Einklang bringen.

Diese beiden Episoden sind nicht die einzigen, die zeigen, dass Menschen, denen ich im Laufe meines Berufslebens begegnet bin, meine Tätigkeit als Lehrerin, als Schulleiterin, als Schulrätin und Schulamtsdirektorin nicht mit mir in Zusammenhang bringen konnten. Anfangs war ich mir nicht sicher, ob ich die Äußerungen, die erstaunten und fragenden Blicke, die Fassungslosigkeit oder Enttäuschung in den Gesichtern aufgrund meines ganz und gar nicht exotischen Berufes als Kompliment oder als Irritation auffassen sollte.

Ich habe mich dann gefragt: Traute man mir diesen, wie viele meinten, »normalen« Beruf nicht zu, weil man mir unterstellte, die dafür nötigen Kompetenzen nicht zu besitzen? Glaubten sie, dass nur weiße Deutsche den Bildungssektor vertreten dürfen? Rechneten sie schlichtweg nicht mit einer Schwarzen Person in diesem Bereich? Und das auch noch in höherer beziehungsweise leitender Funktion? Zugegeben, der deutsche Bildungssektor ist tatsächlich noch immer vornehmlich weiß. Ich erinnere mich noch gut an eine Situation, in der ich als Lehrerin gefragt wurde, ob ich denn »richtig« Lehrerin sei oder nicht doch eher eine Praktikantin aus Timbuktu.

Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass die Mehrheit einer Gesellschaft in der Regel auch das Bild nach außen prägt. Aber eine Gesellschaft verändert sich und damit auch das, was sie repräsentiert. Eine Tatsache, die wahrgenommen, begriffen und anerkannt werden muss. Dennoch, einen wirklichen Vorwurf mache ich meinen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern nicht.

Doch hat ihr Erstaunen nur etwas damit zu tun, dass ich als Schwarze in »ihrem« weißen Bildungssektor tätig bin? Oder würde ich bei einem anderen Beruf in die gleichen ungläubigen Gesichter schauen? Liegt es vielleicht daran, dass mit einer Schwarzen deutschen Frau in vielen Berufen nicht gerechnet wird? Oder kommt da einfach die Enttäuschung zum Ausdruck, weil zu der vermeintlich »exotischen« Fassade kein mutmaßlich »exotischer« Beruf gehört, es also keine außergewöhnliche, spannende und amüsante Geschichte zu hören gibt?

Wie ist es mit Schwarzen Schauspielerinnen und Schauspielern? Ja, die gibt es im deutschen Fernsehen. Zwar eher vereinzelt und meist noch in Rollenstereotypen, aber auch das scheint sich gerade zu ändern.

Und Schwarze Sportlerinnen und Sportler? Ja, sie kämpfen für deutsche Mannschaften, laufen, springen und tun vieles mehr für deutsche Vereine. Auch von ihnen haben es einige nicht leicht, müssen Geringschätzung ertragen, vor allem bei Misserfolgen und wenn sie auf der Straße nicht in Verbindung mit ihrem Sport wahrgenommen werden.

Schwarze Models? Ja, auch sie gibt es auf deutschen Laufstegen. Ebenso Schwarze Background-Sängerinnen und -Sänger, die viele weiße deutsche Bands verstärken. Es gibt Schwarze Comedians, Tänzerinnen und Tänzer, ja, auch Stewardessen und Stewards.

Diese Berufe scheinen den Erwartungen zu entsprechen, die mit Schwarzen verbunden sind. Sie sind anders, kreativ, strahlen einen fremdartigen Zauber aus, »exotisch« eben.

Natürlich sieht man immer häufiger Schwarze im Verkauf oder in Sektoren, die vom Fachkräftemangel besonders hart getroffen sind. In diesen Sektoren werden sie nicht nur gebraucht, sondern auch angesiedelt. Von Jobs im Niedriglohnsektor ganz zu schweigen, wo man fest mit ihnen rechnet und davon ausgeht, dass sie, wenn überhaupt, dann dort Fuß fassen.

Schwarze Lehrerinnen und Lehrer in deutschen Klassenzimmern hingegen, Schwarze Juristinnen und Juristen in deutschen Kanzleien, Schwarze Finanzbeamtinnen und Finanzbeamte in deutschen Behörden, Schwarze Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in deutschen Städten, Schwarze Vermieterinnen und Vermieter von Wohnungen in Deutschland – das scheint immer noch eine Ausnahme zu sein und ruft jedes Mal großes Erstaunen hervor.

Es hat den Anschein, als ob viele Berufe eine weiße Domäne seien, in der Schwarze nicht erwartet werden, mehr noch, als stünden diese Berufe Schwarzen nicht zu. Als sei es nicht selbstverständlich, dass sich Schwarze für diese Berufe qualifizieren und sie dann auch ausüben. Ich habe zuweilen sogar den Eindruck, als würde ein Schwarzer, der sich für einen hochqualifizierten Job bewirbt, trotz seiner fachlichen Expertise als anmaßend und grenzüberschreitend betrachtet. So, als ob er etwas von einem Kuchen abhaben wolle, der ihm nicht zusteht. Bedauert man als Schwarze Person diesen Umstand, heißt es schnell, man wolle bloß eine Quote, man wolle Schwarze in Bereichen, egal ob qualifiziert oder nicht, Hauptsache Schwarz. Diese Unterstellung ist absurd, denn Voraussetzung für eine bestimmte berufliche Tätigkeit ist die entsprechende Qualifikation und im besten Fall auch die persönliche Eignung. Also etwas, das so selbstverständlich wie normal sein sollte.

Noch etwas anderes bringt mich immer wieder zum Nachdenken. Meine derzeitige berufliche Tätigkeit ruft Reaktionen hervor, die, so erscheint es mir, sowohl die Ernsthaftigkeit des Berufes wie die Glaubwürdigkeit meiner Person in Zweifel ziehen. Diese berufliche Aufgabe und meine Person passen in den Augen meines Gegenübers nicht zusammen. An der nonverbalen Reaktion erkenne ich, was sich mein Gegenüber gerade fragt: Echt, das ist ein Beruf, den selbst die ausüben kann? Dann kann er ja gar nicht so schwer sein. Oder: Ach, schade, wie langweilig, so interessant ist die ja gar nicht!

Mitunter nehmen diese Gespräche dann einen merkwürdigen Verlauf aus enttäuschter Verwunderung und ehrfürchtiger Bewunderung. Bei mir persönlich hinterlassen sie einen schalen Beigeschmack, der mir deutlich vermittelt: Das war nicht die Antwort, die man von dir erwartet hat, und irgendwie passt du hier jetzt gar nicht mehr ins Bild. Du hast die Leute enttäuscht, nicht ihren Erwartungen entsprochen.

Oder was hätte ich erwidern sollen, als ich in einem offiziellen Kontext als Schulrätin vorgestellt wurde und eine anwesende Person amüsiert feststellte: »Na, da bringen Sie ja Farbe ins System!«

All diese Eindrücke, Gefühle und Erlebnisse begleiten und beschäftigen mich nun schon seit Jahrzehnten.

Ich wollte nicht glauben, dass es außer mir keine anderen Schwarzen geben soll, die in »normalen« und wenig »exotischen« Berufen tätig sind. Ganz im Gegenteil, ich war fest davon überzeugt, dass es sie gibt. Und ich habe sie getroffen und mit ihnen gesprochen.

Ich wollte dabei herausfinden, welche Berufe es sind, die angeblich nicht zu Schwarzen passen, weil sie nicht »exotisch« und aufregend sind. Mich interessierte, welche Biografien diese Frauen und Männer haben, ihr beruflicher Werdegang und ihr Alltag. Ich habe meine Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner gefragt, welche Erfahrungen sie gemacht haben, welche Hürden und Stolpersteine, Erwartungen und Befürchtungen ihnen auf ihrem Weg begegnet sind und welche Unterstützung und Förderung sie erfahren haben.

Ich wollte wissen, wie weiße Deutsche auf Schwarze Kolleginnen und Kollegen in vermeintlich weißen Berufen in unserer diversen Gesellschaft reagieren. Dabei ging es mir nicht um einen politischen Diskurs, um das Auflisten von Verordnungen, um Aufrechnungen und Vorhaltungen.

Meine Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner habe ich um einen Blick hinter ihre Kulissen gebeten. Dieses Buch soll den Perspektivwechsel ermöglichen, eine Erweiterung des Horizontes innerhalb unserer Gesellschaft. Es soll den Blick gewähren von der Mitte der Brücke in beide Richtungen. Dafür möchte ich dazu einladen, die Brücke von beiden Seiten zu betreten, um sich möglichst in der Mitte zu treffen.

Ich möchte, dass die Stimmen von Schwarzen gehört werden, von jenen, die als Metzgermeister, Gynäkologin, Schulleitungsassistentin, Kantor oder Bürgermeister und in vielen weiteren Berufen und Funktionen als selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft tätig sind.

Diese Frauen und Männer sollen sichtbar werden, sein und bleiben.

Wunderbare Begegnungen

Meine Gespräche mit Schwarzen Deutschen

Sylvie Brou, Schulsekretärin, Heidelberg, Baden-Württemberg, mit Wurzeln in der Elfenbeinküste, Westafrika

Mein Lächeln ist meine Waffe

Sylvie Brou, Schulsekretärin

Einmal Mehrheit in der Minderheit

Eine Schule in einem Stadtteil von Heidelberg. Wer bei der Schulleitung einen Termin hat, muss sich für gewöhnlich zunächst im Schulsekretariat, dem Vorzimmer der Schulleitung, anmelden. Sobald sich diese Tür öffnet, erhebt sich die Frau hinter dem Schreibtisch und begrüßt den eintretenden Gast mit einem Lächeln und der Frage: »Guten Tag, was darf ich für Sie tun?« Eines bemerkte auch ich sofort, die offene Freundlichkeit hat eine wohltuende Wirkung. Egal, in welcher Stimmung der Gast das Büro betritt, ob aufbrausend verärgert oder abwartend unsicher, durch die Begegnung mit Sylvie Brou entsteht eine Atmosphäre der Entspannung.

Noch gut erinnere ich mich an unsere erste Begegnung im Jahr 2014. Anmeldungen von Erstklässlerinnen und Erstklässlern an dieser Schule waren entgegenzunehmen. Die Schule wurde neu organisiert, deshalb verlief nun auch der Anmeldeprozess anders. Die Anwesenheit einer Vertretung der Unteren Schulaufsicht war erforderlich. Aus diesem Grund war ich an diesem Morgen in der Schule und habe zunächst nur mit der weißen Schulleitung gesprochen. Noch wusste ich nicht, wer neben ihr noch anwesend sein würde. Es hieß, eine Schulsekretärin würde uns bei der Arbeit unterstützen. Prompt öffnete sich die Tür und Sylvie Brou trat ein. In diesem Moment passierte etwas, das mir während meines gesamten Berufslebens bisher kein zweites Mal passiert ist. Bei drei Personen in einem Raum bildeten Sylvie Brou und ich die Mehrheit.

Noch heute verspüren wir beide dieses einmalige Gefühl von Solidarität und Freude, von wahnsinnigem Stolz. Zwei Schwarze Frauen in wichtigen Positionen an einer weißen, deutschen Schule, die das Bild dominieren. Das unbeschreibliche Gefühl, mal nicht allein zu sein. Es brauchte nicht viele Worte, wir verstanden uns auf Anhieb, nicht nur verbal, auch nonverbal.

Noch heute fragen wir uns beide, was damals wohl die Erziehungsberechtigten dachten, die an diesem Tag ihre Kinder anmeldeten, denn alltäglich ist diese Personalkonstellation bis heute nicht. Nicht für uns und schon gar nicht für Erziehungsberechtigte.

Mit der Zeit kamen Sylvie Brou und ich öfter ins Gespräch. So liegt es nahe, dass auch ihre Geschichte in dieses Buch gehört.

Der Weg nach Deutschland

Die Mutter einer mittlerweile 20-jährigen Tochter wird 1979 als eines von sieben Geschwistern in Abidjan, dem größten städtischen Ballungsraum der Elfenbeinküste, geboren. Die sieben Kinder sind der Mittelpunkt der großen Familie. Die Mutter kümmert sich ausschließlich um den Haushalt und sorgt dafür, dass der Vater seinem Beruf als Lehrer nachgehen kann. »Meine Mutter ist schon immer eine ruhige, zurückhaltende und gleichzeitig sehr starke Frau gewesen«, erzählt Sylvie Brou in unserem Gespräch. »Die familiären Entscheidungen hat sie immer unserem Vater überlassen und diese auch nie in Frage gestellt.« »Euer Vater liebt euch«, soll Sylvie Brous Mutter ihren Kindern erklärt haben, »warum sollte er jemals eine schlechte Entscheidung für euch treffen?« Diese Regelung entspricht auch dem Vater, der sich stets mit großem Kampfgeist für seine Familie einsetzt und darauf bedacht ist, immer nur das Beste für alle zu erreichen.

Sylvie Brou erkennt früh beide Anteile in sich, die ruhige, zurückhaltende Art der Mutter wie den Kampfgeist des Vaters.

Mit 17 Jahren legt sie ihr Abitur ab und beginnt in Abidjan ein Studium der Germanistik. Bereits in der Schule hat sie ihre Liebe zur deutschen Sprache entdeckt. Wegen der Vielzahl an einheimischen Sprachen, sie spricht drei davon, wächst die Ivorerin mit Französisch als Amtssprache und Englisch als Fremdsprache multilingual auf. Da ist es nur verständlich, dass der Wunsch, die deutsche Sprache dort zu lernen, wo sie auch gesprochen wird, in ihr aufkeimt. Ihrem Vater eröffnet sie, sie wolle nach Deutschland gehen, um die Sprache richtig zu erlernen. Sie ist jung, knapp 20 Jahre alt. Wird das gut gehen? Doch der Vater glaubt an seine Tochter, an ihre Stärke, ihre Willenskraft. »Wenn du nach Deutschland gehen möchtest, dann geh. Du bist eine Kämpferin, du schaffst das«, soll er seiner Tochter gesagt haben. Er gibt ihr noch einen sehr wichtigen Rat mit auf den Weg: »Träume nicht davon«, ermahnt er sie, »dass in einem fremden Land alles glattläuft. Du musst darauf gefasst sein, viel schlucken und ertragen zu müssen. Sei bereit, dich zu wehren und für dich einzustehen.« Außerdem solle sie nie vergessen, dass man sich als Fremde in einem anderen Land immer untereinander zu unterstützen habe. Dies sei, so Sylvie Brou, einer der wichtigsten Ratschläge, die sie mitgenommen habe.

Hochmotiviert bewirbt sich Sylvie Brou bei einer Agentur, die Au-pair-Stellen in Deutschland vermittelt. Sie erhält eine Stelle in der Nähe von München. Ob die Eltern das Geld für diese Reise einfach so aufbringen konnten, frage ich. Denn ich kann mir vorstellen, dass die nötige Summe für eine neunköpfige Familie nicht leicht zusammenzusparen ist. »Nein, nein«, winkt Sylvie Brou ab, »das war kein Problem.« Sie erklärt mir, dass ihre Eltern Teil einer Gemeinschaft mit einer Vielzahl von Mitgliedern sind. In dieser Gemeinschaft sei es üblich, dass jeder monatlich einen bestimmten Betrag in eine Gemeinschaftskasse einzahle. Plane ein Mitglied ein größeres Projekt, stehe ihm das nötige Geld zur Verfügung. Auch sie unterstütze diese Idee. Monatlich überweise sie einen gewissen Betrag in ihre Heimat. Damit habe sie schon vielen Mitgliedern der Gemeinschaft helfen können, individuelle Vorhaben zu realisieren. Ganz nach dem Credo ihres Vaters, man habe füreinander da zu sein.

Die ersten Eindrücke

Als sie im Juni 2000 in Deutschland ankommt, erlebt die junge Frau ihre erste Überraschung. Ihre Gastfamilie nimmt sie zwar sehr herzlich auf, doch stellt sie schnell fest, dass sie in dem Ort die einzige Schwarze ist. Eine solche Situation hat es in ihrem Leben noch nie gegeben. Zu Hause, in ihrer Heimat, fällt sie nicht auf, und wenn, dann nur aufgrund ihrer Persönlichkeit. Die Menschen in ihrer neuen Umgebung begegnen der jungen Frau freundlich und aufgeschlossen, aber auch mit großer Neugier. Sie stellen viele Fragen, wollen wissen, woher sie kommt, warum sie hier sei, und auch, wann sie vorhabe, wieder zurückzugehen. Sie spricht jedoch noch nicht genug Deutsch, um sich fließend unterhalten zu können. Deshalb verständigt sie sich auf Englisch.

Die größte Herausforderung stellen für Sylvie Brou die »eisigen« Junitemperaturen dar. Lachend beschreibt sie, wie sie sich gefühlt und wie sehr sie gefroren habe. Ihr sei so kalt gewesen wie noch nie zuvor in ihrem Leben.

Sie weiß sich nicht anders zu helfen, als mit einem dicken Wintermantel herumzulaufen, denn eines ist klar, frieren mag sie nicht. Die Menschen um sie herum amüsiert das. Sie lächeln die junge Frau im Wintermantel in der Junisonne an.

»Ja, ich fror, aber es ging mir gut«, sagt sie im Nachhinein, »ich habe mich mit den Menschen dort wohlgefühlt.« Das Wichtigste, sagt Sylvie Brou, sei die Fähigkeit, sich in einer fremden Umgebung anzupassen. »Nicht die Einheimischen haben sich mir anzupassen«, betont sie, »sondern ich passe mich den örtlichen Gegebenheiten an. Diese Einstellung habe ich schon zu Hause gelernt, wir wurden so erzogen.« Natürlich wären die Leute sehr neugierig gewesen und hätten sie immer angeschaut. Das sei jedoch nie negativ gemeint gewesen, denn neugierig zu sein, hieße nicht automatisch, ablehnend zu sein. Das habe sie gewusst und es sich bei jeder Begegnung wieder gesagt.

Sylvie Brou gewöhnt sich trotz der für sie eisigen Temperaturen schnell in ihre Umgebung ein. Etwas anderes, sagt sie, wäre für sie auch nie in Frage gekommen. Zumal sie nicht nach Deutschland gereist sei, um Urlaub zu machen.