Reliquie - Viktor Kamerer - E-Book

Reliquie E-Book

Viktor Kamerer

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Beschreibung

Der 16-Jährige Jules Bordeaux trifft auf eine Gemeinschaft von Gläubigen und schließt sich ihnen prompt an. Er führt eine Reliquie ein, trifft auf Jesus Christus, der vor kurzem erfahren hat wer er tatsächlich ist und bietet zusammen mit Jesus dem Teufel Paroli, der sich hier ebenso breitgemacht hat und die Gemeinde aufzustacheln versucht. Zeichen werden gesehen und gespürt. Als endlich viele das alles erkennen, kommt die Reliquie ins Spiel und fordert seinen Preis: Wer wird in die Knie gezwungen und wer siegt? Ist der Teufel gut oder böse und wohin führt Jesus Christus die Versammelten? Ein Buch von ungeheurer Kraft.

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Inhaltsverzeichnis

Teil Eins: Aufbruch

Einführung: Ab nach Deutschland

1. Kapitel: Der Heilige

2. Kapitel: Pokal, Gwendolin und meine Seele

3. Kapitel: Möge der Bessere gewinnen. Erkenntnis um Jesus. Der Hochgewachsene

4. Kapitel: Verrückte Welt

Teil 2: Gemeinschaft

6. Kapitel: Hippies auf der Wiese

7. Kapitel: Empfang

8. Kapitel: Predigt des Jonas und der Manu

Teil 3: Abgründige Streitereien im Paradies

9. Kapitel: Die Rede Jesu

10. Kapitel: Die Entscheidung

11. Kapitel: Die Wiese

TEIL EINS

AUFBRUCH

Einführung

Ab nach Deutschland.

Claude steuert seinen geräumigen, blauen Mittelklassewagen auf einer französischen Autobahn in Richtung Deutschland, dorthin wohin er und wir (seine Familie), nach jahrelangem Aufenthalt in Frankreich hinziehen wollen. In ein Land woher unserer Mutter Mathildes Vorfahren stammten. Wir drei Kinder – Simon, Miriam und ich (Jules) – sitzen geruhsam und – gar nicht kindlich - brav auf der Hinterbank und trällern ein, zwei Lieder vor uns hin. Meine Schwester Miriam ist hierbei die fleißige von uns dreien. Sie stimmt ein jedes Lied als erste an und bringt es auch zum seligen Ende hin. Mein Bruder Simon und ich kennen die deutschen Lieder leider noch nicht, nichtsdestotrotz haben wir alle fünf in Frankreich bei einer privaten Französisch- und Deutschlehrerin in den letzten zwei Jahren gut die Deutsche Sprache erlernt, als klar wurde, dass wir aus grausamen, traumatischen Gründen aus Frankreich wegziehen würden.

Wir können uns gut in dieser Sprache unterhalten, auch das Lesen und Schreiben fällt uns in unseren noch jungen Jahren nicht sonderlich schwer. Vater Claude würde seine Manuskripte aber weiterhin in französischer, heimatverbundener Sprache verfassen, der deutsche Verlag, der ihn unter die Fittiche nehmen möchte, sollte die Übersetzung übernehmen. Es ist klar, dass ein guter, ausdauernder Schriftsteller nur gut sein kann, wenn er – wie mein Papa - in seiner Muttersprache schreibt.

››Papa. Sind wir schon über die Grenze‹‹? fragt Miriam ungeduldig.

››Es gibt keine Grenze zwischen Frankreich und Deutschland‹‹, meckert Simon und gibt sich weise und sicher.

››Nun, aber Frankreich bleibt Frankreich und Deutschland bleibt Deutschland‹‹ entgegne ich, und maße mir an, meine kleine, vierzehnjährige Miriam zu verteidigen und den hier so hochtrabenden Simon zurechtzuweisen.

Simon schlägt mir sanft mit der geballten Faust gegen meine linke, schuldige Schulter und lächelt mich frommfröhlich und aus lauter Barmherzigkeit an. Claude sieht das im Rückspiegel und runzelt unzufrieden die Stirn, doch weiß er wohl, nicht eingreifen zu müssen, da dies hier ein reiner Scherz meines so verspielten Bruders ist.

Mutter Mathilde aber ist allerdings völlig anders gestrickt und duldet keine körperlichen Auswüchse unter uns Kindern. Und markant ist auch bei ihr, dass Sie ganz auf Gerechtigkeit aus ist, Vorteilnahme für den einen oder anderen gibt es da nicht. Simon hat sich hier zwar der Fäuste bedient, und doch widerspricht sich Mutter Mathilde selbst, weil sie unserem Simon beinahe alles durchgehen zu lassen pflegt.

Sie sagt: ››Jules. Willst du dich nicht bei Simon entschuldigen? Schließlich ist er im Recht. Es gibt keine Grenzen in Europa und wir werden deshalb auch nicht an einem Grenzübergang auf irgendeine Weise geprüft. Wir sind ein Europa, ein Land, ein Volk‹‹.

Claude meint, das mit dem einen Volk sei aber großzügig gemeint, schließlich gäbe es hier in Europa doch verschiedene Kulturen, Sitten und Bräuche. Simon fügt hinzu, dass wir alle Christen seien und somit die Kulturen sich doch sehr ähneln.

Claude ist hier zwar der Intellektuelle - war er schon immer – und doch hat ihn mein Talent, Geister sehen und unweigerlich in meiner Psyche fühlen zu können, etwas geerdet. Das spiegelt sich nunmehr auch in seinen Manuskripten wider. Er ist ein wenig verrückter als noch vor zwei, drei Jahren, bevor ich dieses althergebrachte Talent erhalten habe.

Mathilde nuschelt etwas vor sich hin, dreht sich zu uns Kindern um und sagt: ››Kinder. Wir machen eine kleine Rast‹‹. Dann zu Claude: ››In einigen Kilometern gibt es eine Raststätte. Steht zumindest auf dem Schild da. Lass uns doch dort eine Pause machen. Du fährst jetzt auch schon einige Stunden durch. Kinder, wir sind jetzt aber alle brav. Keiner wird jetzt austicken auf der Raststätte, klar? Jules‹‹?

Claude: ››Keinen Vandalismus, bitte‹‹.

Claude hat sich doch eine gewisse Sprache behalten, die anspruchsvoll aber auch arrogant ist. Viel zu lange hat er den Ansprüchen des Feuilletons genüge getan, und so sind Ausdrücke der hohen Sprache immer wieder bei ihm im Sprachgebrauch enthalten.

Wir halten mit quietschenden Reifen und vollgesogenen Blasen auf dem Parkplatz der zuvor von Mathilde genannten Raststätte. Unser Papa Claude hat sich nicht nehmen lassen, seinen Wagen abrupt und plötzlich zum Stehen zu bewegen, aber Simon ist der erste der aussteigt und sogleich zur Toilette rennt um sich zu erleichtern. Claude gibt sich plötzlich geruhsam, obgleich auch er Druck auf der Blase hat. Genüsslich steigt er aus dem Wagen und geht mit bedachten Schritten zur Toilette hinüber. Möchte er sich seinen neuerdings aufkommenden Wahnsinn nicht anmerken lassen? Er wählt das Pissoir neben dem seines Sohnes Simon, wir waschen danach die Hände und gleiten ganz sanft durch den Ausgang. Am Eingang zur Toilette stehen weitere Gäste, in einer Schlange, die dabei sind siebzig Cent in den Automaten zu werfen.

Ich hingegen habe eine starke Blase, halte immer viele Stunden durch und würde auch jetzt das Urinieren hinauszögern können.

Mutter Mathilde und meine Schwester Miriam vergnügen sich bereits mit Waffeleis. Als Simon das sieht, drängt er Mutter dazu, ihm zwei Kugeln davon zu kaufen. ››Du weißt doch Mama, dass ich schon meine Klamotten für mein Taschengeld kaufen muss‹‹?

Mathilde hat bereits alles Erdenkliche in die Wege geleitet, damit wir drei Kinder alle in Deutschland sogleich das Gymnasium besuchen dürfen. Simon ist siebzehn, Miriam vierzehn und ich stehe mit meinen sechzehn Jahren mittendrin. Ich habe damals – vor zwei Jahren – das schreckliche Haus von Parapsychologen besucht und habe mich mit deren Hilfe zu einem stattlichen jungen Mann entwickelt. Ein Freund starb vor diesem Haus, als der Teufel ihm unvermittelt den Kopf abbiss. Ich verwinde seither alles viel einfacher, bin locker und gelassen, habe keine Hast und keinen Ärger. All meine Sorgen sind wie verflogen, auch wenn ich Geister sehe; so habe ich alles im Griff. Ich leide nicht wie damals. Ich stehe über dem Leid und die Geister kann ich genauso schnell wieder wegschicken wie sie kommen.

Ich sitze im 5er – ein neues Modell von BMW –, und warte auf die anderen. Als sie wieder herbeikommen, erkenne ich, dass alle genüsslich an ihrem Eis lecken. Keiner hat an mich gedacht, keiner hat mir eines mitgebracht. Ich habe selbst schuld, müsste ich nur etwas sagen, weshalb kann ich nur meinen schändlichen Mund nicht aufsperren und der Familie gerade jetzt nicht meine Wünsche übermitteln?

Als alle wieder einsteigen, schaue ich gebannt, wie Miriam, die neben mir sitzt, an ihren Eiskugeln lutscht. Mir fließt das Wasser im Mund zusammen, aber ich lasse mir nichts anmerken, schließlich bin ich ein starker junger Mann.

››Willst du mal probieren‹‹? fragt Miriam und lächelt mich kindlich und nett an. ››Vanille und Himbeere. Schmeckt lecker, hier probiere es‹‹.

››Na nimm es schon, mein Junge‹‹, sagt Vater Claude als er in den Rückspiegel sieht und mir mein Verlangen quasi im Gesicht erkennen und in meinen lüsternen Augen spüren kann.

››Ich möchte nicht, aber danke‹‹.

››Wie du willst‹‹, sagt Miriam.

Die Fahrt kann nun weitergehen, da alle eine gewisse Unruhe verwunden haben und sich die Blasen entleert haben. Ich ziehe eine Decke über meinen satten Körper, denn die Außentemperatur ist nicht gerade hoch.

››Bist ja ein Schoßhündchen‹‹, sagt Miriam zu mir und sie hat nicht Unrecht. Sich zuzudecken steht den Frauen zu, nicht sechzehnjährigen Bengeln wie mir oder Simon.

››Wir haben genügend Decken eingepackt‹‹, sagt Mutter Mathilde mit einem Anflug von Sorge und zu meiner Verteidigung. ››Wir müssen nicht darum streiten, wer es darf und wer nicht‹‹.

Claude: ››Deckt euch alle zu. Es ist Winter, auch in Deutschland. Doch das Eis lassen wir uns nicht nehmen Kinder, richtig››?

Ich sehe aus dem Fenster des Wagens und erkenne in hundert Metern Entfernung zwei schwarzgekleidete Personen umherschwirren. Sehen sie mich? Ich bin mir sicher sie real zu sehen? Sind sie freudig gestimmt? Wohl kaum. Ich erkenne böse Geister auf diese Entfernung mühelos und diese da sind böse durch und durch. Ich höre Schreie: ››Du Nichtsnutz, du vertrottelter‹‹. Eine andere Stimme sagt klein- und missmutig: ››Du bist doof wie ein heißes Würstchen und eine durchgebrannte Birne‹‹.

Ich schaue sie mit meinen rotgeränderten Augen durchdringend an und sehe wie ihnen Furcht in den Kopf steigt. Ich bin ihnen mit meinem für Geister unüberwindbaren Charakter wohl einen Schritt voraus. Sie können mir nichts anhaben. Kein Leid mehr und keine Opferrolle. Das lasse ich nie wieder zu. Die Zeit von quälenden Gefühlen und schauderhaften Bildern ist bei mir vergangen. Ich erhebe mich darüber hinweg. Die Zeit vor zwei Jahren – als ich noch nicht mit meiner Gabe umzugehen wusste – ist vorbei und überwunden.

Als ich die beiden schwarzgekleideten Gäste, die nun neben mir im Wagen sitzen, in Gedanken mit ››He, Ihr da‹‹ anspreche, zuckt der eine zusammen, der andere mault irgendwas zurück, ist wohl härter gestrickt als der erste. Ich lasse sie wissen, dass ich mit meiner wunderbaren Seele über ihnen stehe. Sie können mich nicht berühren und nicht verteufeln. Ich bin nur noch fröhlich gestimmt und habe nur noch positive Gefühle. Aber doch, denke ich und lasse sogleich dunkle, von mir gesteuerte Gedanken zu, in diesem Moment, müssen sie einfach sein, um die Geister in Schach halten und sie verscheuchen zu können.

››Was ist, Jules‹‹? fragt meine Schwester Miriam, die wohl erkennt, dass ich abschweife, in Gedanken bin und sie muss wohl auch erkennen, dass ich zu den Geistern spreche. Meine Familie kennt mich schon ganz gut, und gelegentliche Gespräche mit der parallelen Welt sind bei mir schon immer mal wieder drin.

››Übertreibe es nicht, mein Schatz‹‹, sagt Mutter Mathilde, von der ich diese Wortwahl eigentlich nicht gewohnt bin.

››Gibst du Bescheid, wenn es dir zu viel wird‹‹? fragt jetzt Vater Claude, während er das Lenkrad fest umklammert und mich im Rückspiegel ansieht. Meine Familie ist gewappnet, früher litten sie mit mir und jetzt sind sie interessiert an meinen Erlebnissen mit der anderen Welt. Es ist faszinierend, auch für mich. Simon bleibt jetzt ruhig und schmunzelt nur ein wenig. Er ist heute wohl der coolste auf der Welt, war er schon immer. Aber mutig ist er erst seit den Erlebnissen in Paris, als er sich entschloss, mit mir und Papa in die Höhle zu gehen, in der allerhand Kreaturen ihr zuhause frönten.

Seitdem nimmt er jeden Kampf an, behält sich aber seine Fröhlichkeit, die er seit seiner Geburt hegt und pflegt, bei. Er öffnet eine Packung eines Schokoriegels und beißt herzhaft hinein.

Genüsslich verzieht er sein Gesicht und mampft mit dem Ausdruck „mhm“. Ich packe nach dem Riegel und beiße mit fletschenden Zähnen ebenso hinein. Mein Bruder Simon behält seine Coolness und überlässt mir, überhaupt nicht verärgert, die so leidensbringende Schokolade.

››Du bist schon ein ganz Besonderer, Jules‹‹, sagt Mutter Mathilde, die seit den Erlebnissen in Paris immer mehr auf meiner Seite steht. ››Ich habe drei wunderbare Kinder, und ich lasse keinen von euch im Stich‹‹.

Diese Aussage ist mir überaus neu. Unsere Mutter geizt viel zu sehr mit Lob und Anerkennung. Vater Claude hingegen ist da geübter im Umgang mit lieblichen Worten. Und prompt denke ich dies, spricht Vater Claude zu mir: ››Du bist nicht nur besonders, mein Sohn. Ich habe dich auch lieb, hab euch alle lieb, und das meine ich ernsthaft und in der ganzen Wahrheit‹‹.

Wir fahren am Ortsschild der Stadt ›Hennochheim‹ vorüber. ››Das ist es. Da werden wir wohnen, Kinder‹‹, sagt Vater Claude. Mutter Mathilde fügt hinzu: ››Ein schöner Ort, schaut nur. Das haben wir gut ausgesucht, und die Stadt ist auch nicht zu groß mit seinen hunderttausend Einwohnern. Wir werden es hier guthaben, Kinder‹‹.

››Dein Wort in Gottes Ohr‹‹, sage ich frech.

››Das sieht echt gut aus hier‹‹, fügt Miriam hinzu. ››Und dort hinten ist schon die Heußstraße, da, seht hinüber, nach links, da werden wir wohnen‹‹. ››Wie ist denn nochmal diese Hausnummer‹‹? fragt Claude unsere Mutter.

››Hm…Siebenundzwanzig‹‹.

Claude fährt mit einem Ruck auf die Einfahrt und bremst frech und stattlich, schaltet den Motor mit einem Handgriff am Schlüsselbund aus und steigt als erster aus dem Wagen. Mathilde atmet noch einmal durch und ist sogleich die nächste die aussteigt. Dann folgen wir Kinder. Miriam verliebt sich gleich in das Haus, das aus den achtziger Jahren stammt, aber unserer Kenntnis nach kürzlich innen renoviert wurde.

Der Rasen ist toll gepflegt und die Bäume drumherum sehen sehr gesund aus und sind auch nicht zu hoch. Ich mag hohe Bäume nicht, sie versetzen mich in eine Demut die mir nicht guttut. Ich bin sehr davon überrascht, wie schön das Grundstück doch ist, nehme Mutter Mathilde den Hausschlüssel aus der Hand, den sie gerade aus ihrer Handtasche kramt, und öffne die Haustüre. Ich trete als Erster hinein und spüre eine schöne, angenehme Atmosphäre. ››Es ist richtig heimisch hier drin‹‹, sage ich und lächle über beide Ohren. ››Ja‹‹, sagt Miriam, die direkt angstbringend hinter mir steht. ››Das hast du richtig gut getroffen, Mama‹‹, ruft sie mir ins Ohr.

››Nun, Papa hat mit ausgesucht. Das ist nicht nur auf meinem Mist gewachsen‹‹.

1. KAPITEL

Der Heilige

Ich schlendere an diesem Tag durch die Stadt Hennochheim, schaue mit Bedacht und Interesse über die Straßen und treffe auf ein schönes Gebäude, in weiß gestrichen, groß und mächtig und mit Ziegeln auf dem Dach. Als ich ein Schild vor dem Gebäude erkenne, trete ich heran und sehe, dass es sich hier um eine religiöse Gruppe von Evangelisten handelt. Das Tor steht weit offen. Es ist wohl gerade Gottesdienst und ich bin nicht abgeneigt hineinzugehen, um diesem Zeremoniell beizuwohnen, schließlich bin ich ein bibellesender Christ, der sich schon fanatischen Dingen hingegeben hat.

Als ich das Gebäude über den Haupteingang betrete, steht da ein junger Mann im Flur, der Anstalt macht mich zu begrüßen.

Das ist aber schön, denke ich und reiche ihm meine Hand zum Gruß.

Er sieht plötzlich wohl irgendetwas in mir, da er konstatiert dasteht und kein Wort über seine schmalen Lippen hervorgeht. Er hat dunkle, verschlafene Augen, die wie in Höhlen im Gesicht drinsitzen. Als er phantastisch lächelt, sehe ich, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Ich blicke ihn musternd an, doch anstarren kann ich ihn nicht, denn ich habe Anstand. Seine Körperhaltung ist angestrengt, doch seine Schultern sacken herab. Ich kenne mich aus und schiebe das sogleich auf böse Geister, die meiner Meinung nach in ihm schlummern mögen. Ich bin mir sicher, dass ihn Geister bewohnen. In den Augen sieht man des Menschen Seele und diese Seele ist zwar freundlich, aber doch gequält und angeschlagen. Ich hoffe nur, das ist nicht ansteckend, denn ich vertrage das Ganze nicht sehr gut, meine Vergangenheit hat mich das gelehrt und ich konnte dem immer mit Positivität entgegenwirken und entfliehen.

Eine alte Frau – die wohl zu spät kommt, weil die Uhr im Flur bereits eine volle Stunde anzeigt – geht vor diesem jungen Mann in die Knie, bekreuzigt sich, erhebt sich wieder und grüßt ihn, mit einem Kuss auf die Wange und mit den Worten: ››Gegrüßt seist du, geboren von der Jungfrau Maria‹‹.

Ich halte inne und mein linkes Auge zuckt wie von selbst und ich verstehe nicht ganz was da vor sich geht. Wie kommen solche Worte mit dem Schwall einer alten Frau? Ist dieser Jüngling ein Heiliger? Das kann ich mir schon vorstellen, denn sein Gesicht strahlt mich an, und einige Meter weiter über den Flur und sein Gruß an die Frau gerade eben war tief und schön anzuhören. Ich will herausfinden was es hier – in dieser Gemeinde – auf sich hat. So spreche ich ihn mit zärtlicher Stimme an.

››Gelobter Christ. Bist du der auf den ich warten soll oder kommt da ein anderer‹‹? Diese Stelle habe ich aus der Erinnerung aus der Bibel geklaut, die mir in den letzten zwei Jahren zum liebgewordenen Heiligtum und zu einer Reliquie ersten Grades geworden ist. Möglicherweise ist dieser junge Mann tatsächlich und ohne Zweifel ein Heiligtum vor Gott und den Menschen in dieser Gemeinde. Wer weiß das schon mit Sicherheit, denke ich.

››Ich bin Markus‹‹, sagt er Heilige, ebenso zärtlich, und merkt an: ››Hier bist du richtig, mein Freund. Der der dich zu mir geschickt hat, der hat Großes mit dir vor, also bemühe dich ein Vorbild für die Kinder in dieser Gemeinde zu sein. Einverstanden‹‹?

››Ich weiß noch gar nicht ob ich bleibe. Solltet Ihr tief und phantastisch christlich sein, dann habt Ihr mein Interesse. Für langweiligen Gottesdienst aber habe ich keine Zeit. Versprecht Ihr mir schöne, wunderbare und ausgezeichnete Gottesdienste zu halten? Habt Ihr das in eurer Hand oder gibt es andere Personen in diesem Gebäude denen Ihr untersteht?“

››Untertan bin ich hier keinem, mein Freund. Aber die Ältesten bestimmen hier alles, und so habe ich keine Handhabe. Allerdings bemühe ich mich mit meiner Anwesenheit eine schöne Stimmung hier drinnen zu kreieren. Also was sagt Ihr? Nennt Ihr euch von nun an einen Jünger? Ich sehe in euren Augen, dass Ihr der anderen Welt schon gelauscht habt. Stimmt`s‹‹?

Dieser Heilige hier hat hellseherische, übernatürliche Fähigkeiten und ich habe da so eine Ahnung wer er nunmehr tatsächlich ist. Er ist mit seiner Art anderen voraus, gibt sich zärtlich und schön. Als er seine rechte Hand auf meinen Scheitel legt, kommt gerade ein Mitglied der Gemeinde zur Türe herein und erschrickt kräftig, was mir zeigt, dass nicht jeder um den Sohn dieser Gemeinde weiß. Dieser Markus ist also für einige hier drinnen einfach nur Markus, für Auserwählte aber ist er ein Besonderer. Viele spüren die Zeichen die von ihm ausgehen nicht. Er ist selbst ein Zeichen. Ein Heiliger. Eine Reliquie.

››Wirst du hier draußen stehen bleiben, während des Gottesdienstes‹‹? frage ich Markus.

››Mein Freund‹‹, verbessert er mich mutig. ››Gleich kommt die Eintrittsmusik, zu der ich immer in den Saal hineinhusche. Hör gut zu und du wirst jetzt ein Zeichen sehen‹‹.

Die Menge im Saal stimmt das Eintrittslied an, die Frauen sind dabei in der Überzahl, diejenigen die ihre Männer überlebt haben.

In der Gemeinschaft singen alle zugleich und doch mit unterschiedlichen und falschen Tönen: ››Oh komm doch, Herr Jesu. Tritt zu uns herein. Lass in dieser Stunde uns ja nicht allein. Lass in dieser Stunde uns ja nicht allein. Nur du, du kannst segnen. Drum komme sogleich. Tritt ein in die Mitte, sprich: Friede mit euch. Tritt ein in die Mitte, sprich: Friede mit euch‹‹.

Dunkelheit zieht auf, als die Lampen ausgelöscht werden. Just in diesem Moment tritt der schlanke Markus, mit einer Größe von etwa 1,85, in den Gang. Links vom Gang sitzen die Frauen, rechts von ihm sind die Männer, manche scheinen interessiert, andere sind von sich selbst überzeugt und sehen nicht mal zu Markus hinauf. Er geht bis zur zweiten Reihe und setzt sich auf einen Platz neben dem Gang, dorthin natürlich, wo die Männer sitzen. Ich werde mir dieses Schauspiel wahrlich nicht entgehen lassen.