Der Junge der Liebe ausstrahlt - Viktor Kamerer - E-Book

Der Junge der Liebe ausstrahlt E-Book

Viktor Kamerer

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Beschreibung

Der junge Wanja kommt aus dem beschaulichen Dorf Kanna und möchte Musiker werden. Als dies nicht klappt, widmet er sich dem Handwerk, etwas, das ihn bis zuletzt festhält. Er gründet eine Familie und möchte der Vater sein, den er selbst nicht hatte, weil dieser früh verstarb. Als er nach Deutschland kommt, in das Land seiner Vorfahren, beginnt der zweite Teil seines wunderbaren, herrlich humoristischen und spannenden Lebens.

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Inhalt

1960er 1970er

1980er 1990er

1999 - 2009

Vor einigen Jahren bis heute

2016-2017

TEIL 1 1960er 1970er

1

Ich glaube es kaum, denn sechsundsechzig Jahre als ist er geworden. Doch was war geschehen? Wie hat er sein Leben bis dahin gebracht und was hat ihm ein Ende bereitet?

Weshalb muss ich ehrfürchtig sein und in Trauer reden, wo sein Leben doch ein Fest und er ein Zeremonienmeister ist. Liebevoll und spaßig ist er, mächtig und mit einem großen Lächeln.

Doch schauen wir mal sechsundfünfzig Jahre zurück und begeben uns nach Russland, genaugenommen nach Sibirien, dort, wo Johannes aufgewachsen war zwischen sechs anderen Geschwistern, der Mutter und seinem heißgeliebtem Vater Ferdinand. Ferdinand hatte Johannes sehr lieb, so wie ein Vater vernarrt ist in einen wundervollen Jungen.

Mutter Gerda war Hausfrau und bewirtschaftete eben auch den familiären Bauernhof, wo auch die Kinder notwendigerweise mithelfen mussten. Damals gab es sehr viele Bauernhöfe in Russland.

Man schuftete als Deutscher doppelt so viel und so hart als es ein Russe tat, und es machte auch zwischen den Russen die Runde, dass die Deutschen ein fleißiges und ordnungsliebendes Völkchen sind.

Als Johannes, der in Russland noch Wanja hieß, zehn Jahre vollendet hatte, da war er mit seinem Vater Ferdinand mit dem Motorrad unterwegs. Sie waren schon auf dem Weg nach Hause, nach Kanna, als das Wetter sich anschickte, ungemütlich zu werden.

Die Straßen waren sehr schlecht ausgebaut, es war mehr ein Feldweg als eine befestigte Straße auf der Ferdinand mit Johannes sich aufhielten.

Unser Johannes hatte sich recht früh eine außerordentlich schöne Ausstrahlung angeeignet, die ich später in einem Lied als liebevoll bezeichne. Und ich habe Recht wenn ich bis zuletzt sage: ››Er ist ein Liebeausstrahlender‹‹.

Das war es mit aller Sicherheit, was Ferdinand an seinem Johannes so faszinierte, was dem Vater ans Herz ging. Die Liebe zum guten Sohn.

Die Lage in Russland war nicht allzu schlecht, doch sie schufteten eben, und eigneten sich im eigenen Betrieb Dinge wie Fleisch, Käse und Milch an. Ohne diese Dinge wären sie alle verhungert.

Der sowjetische Staat stellte Pläne auf, wie viel die Bauern an Lebensmitteln zu produzieren hatten, und die Pläne wurden in der einen Hinsicht immer übertroffen. Was für ein wunderbarer Staat, der so produktiv und reich ist.

In der anderen Hinsicht hatte das Volk nur wenig von den Zahlen der Republik. Was blieb war das Mittagessen auf dem Tisch und der Titel ››Mitarbeiter des Monats‹‹. Die Regale standen leer und fragte man eine angestellte Verkäuferin nach Produkten, kam des Öfteren der Ausspruch: ››Wir haben nichts, oder sehen Sie hier etwas stehen‹‹?

Eine Unverschämtheit.

Die Staatsdiener wurden gut versorgt, die Direktoren ließen sich Obst und andere Lebensmittel per LKW an den Keller fahren und da war es nur verständlich, dass das gemeine Volk sich auch mal etwas nahm, was nicht gesetzmäßig war.

Man schrieb auch mehr an Arbeitsstunden und Produktivität auf, was wiederum das Bruttoinlandsprodukt zu überirdischen Höhen verfälschte.

Wer kommunikativ war konnte schnell Kontakte knüpfen, die Gold wert waren. Lieber hundert Freunde als hundert Rubel. Der freche kam unterdessen viel besser durch als der Schüchterne und der Brave.

Der Zurückhaltende musste tief sinken in diesem Land oder er suchte sich einen Sprecher aus der Familie, der für ihn das eine oder andere regelte.

Johannes saß hintendrauf und Vater Ferdinand kämpfte sich durch den schlammigen Boden. Doch als es mit dem Motorrad wegen des Schlammes nicht mehr weiterging, stiegen sie ab und Vater Ferdinand schob das Motorrad per Hand ein paar Meter weit.

Was tun in dieser Lage? Bei dem Regen würde sich Johannes sicherlich erkälten, mit seinen gerademal zehn Jahren. Das wollte Ferdinand in jedem Fall verhindern und so kam ihm eine Idee, als er einen LKW heranfahren sah, der besser durch den schlammigen Boden kam als Ferdinands Motorrad.

Ich vermute, dass den Russen der Straßenbau nur wenig wert war, auch wenn Geld für befestigte Wege da gewesen wäre. Sicherlich hätte man den Regierenden und Parlamentariern ihre pompösen Gehälter kürzen können und das gemeine Volk hätte damit besser gelebt. Die Straßen hätten asphaltiert sein können, und die Keller der Direktoren wären, ohne Produkte, leer geblieben. Die Kommunisten in der Partei hätten keine Vergünstigungen und Bevorzugungen erhalten, doch die Regale der Lebensmittelläden wären voll gewesen. Alles hätte besser sein können, obwohl die Deutschen in Russland doch zufrieden waren mit ihrem Leben dort. Sie hatten das Nötigste, was Luxus ist wussten sie allerdings nicht. Und so war man mit dem Wichtigsten im Leben versorgt und lebte so nicht schlecht.

Ferdinand winkte den LKW-Fahrer heran und sprach ihn freundlich an. ››Genosse. Wir kommen hier mit dem Motorrad nicht weiter. Ich werde es schieben, aber nimm doch bitte meinen Sohn bis nach Kanna mit. Du würdest damit eine gute Tat tun. Der Junge holt sich sonst noch eine Lungenentzündung und das will doch keiner von uns. Er ist schließlich erst zehn Jahre alt‹‹.

Der LKW-Fahrer sah sich Vater und Sohn an und sein gebrochenes, russisches Herz tat sich auf. Er winkte den kleinen Johannes heran, der ohne zu zögern sogleich einstieg. Dann bat der Genosse Ferdinand darum, einzusteigen, dieser aber verneinte das. Er müsse das Motorrad nach Hause schieben. Und obwohl Johannes hierbei ein untrüglich mulmiges Gefühl hatte, musste er doch seinen Vater zurücklassen, der nicht mit sich verhandeln ließ. Denn das Wort des Vaters war für ihn Gesetz, Respekt gegenüber den Eltern wurde damals großgeschrieben. Heute ist man da flapsiger. Viele Eltern und Kinder haben heute zudem sogar eine freundschaftlich harmonische Verbindung.

Johannes hatte Tränen in den Augen als er dem Vater hinterher winkte, der im Begriff war sein Motorrad bis nach Kanna schieben zu wollen. Die Fahrt über sprach Johannes kein Wort, der Genosse aber umso mehr. Als der Genosse aber eine Trauer in des Jungen Gesicht bemerkte, hatte er Mitgefühl: ››Mein überaus teurer Kumpane. Gleich sind wir in Kanna und dein Vater kommt uns sogleich hinterher. Mache dir doch keine unnötigen Sorgen‹‹.

Es wurden im Großen und Ganzen dann doch zwei Stunden, die vergingen, bis der werte Ferdinand mit seinem so verehrten Motorrad in Kanna ankam. Die Kinder sahen geschlossen und neugierig zum Fenster hinaus und riefen die freudig gestimmte Mutter Gerda herbei, als sie Ferdinand herankommen sahen. Ihr Vater war klitschnass und hustete sogleich und ohne Pause, als er ins Haus hereinschritt. Mutter Gerda half ihm die Stiefel auszuziehen und legte ihm eine Decke über den Rücken. Er setzte sich erst einmal und erzählte wie er sich dort draußen in der Kälte durchkämpfte und ausgeharrt hatte.

Johannes` ältere Schwester Theresa machte sogleich allen Tee um sich aufwärmen zu können und man saß zusammen und genoss die Gemeinschaft der Familie.

Johannes sah immer wieder zu Vater Ferdinand hinüber, trauerte und flüsterte ››Papa‹‹ und immer noch hatte er Tränen und ein rotes Gesicht, welches seine Sorge um Vater aufzeigte.

››Papa‹‹, sagte Theresa, die älteste Tochter und nahm seine schwache, leidgeprüfte Hand in die ihre.

››Warum nur hast du das Motorrad nicht liegen lassen‹‹?

Ferdinand schluckte einmal und meinte, das Motorrad sei viel wert und es wäre sicher gestohlen worden, hätte er es am Wegesrand zurückgelassen. ››Ich hoffe nur du hast dich nicht zu sehr verausgabt da draußen in Wind und Sturm, Ferdinand‹‹, sagte Mutter Gerda zuvorkommend und besorgt.

››Nur keine Sorge, mein Liebes‹‹, hustete der Familienvater hervor. ››Ich werde es schon noch überleben‹‹.

Sie hatten zwar keine Medikamente im Haus, doch Hausmittelchen gab es im Überfluss, wenn man wusste, was man so als Arznei verwenden konnte. Wadenwickel wirkten Wunder und geschröpft wurde auch immer mal wieder. Verschiedene Kräutertees waren auch angenehm und hilfreich und man schmierte bei Erkältung auch die Sohlen mit Petroleum ein. Das alles waren diese berühmtberüchtigten Hausmittel seinerzeit, die die Deutschen zum Teil später in Deutschland weiter anwandten.

Vater Ferdinand sah gar nicht gut aus, konnte sich daraufhin einfach nicht erholen, lag ständig im Bett, hustete und schnupfte. Hatte Schmerzen. Als es nicht besser wurde, schleppte sich Ferdinand zu einem Arzt, der die Diagnose sofort parat hatte, allerdings nichts dagegen ausrichten konnte. Und so musste sich Johannes` Vater irgendwie zuhause auskurieren.

Ferdinand rief, in einem Grauen gefangen, Gerda ins Schlafzimmer an sein Bett.

››Wir wissen beide, es ist eine schwere Lungenentzündung, der nicht beizukommen ist. Ich wünsche mir jetzt von dir, dass du unsere Kinder taufen lässt. Vielleicht gibt es ja doch einen Gott und ich will nicht schuld sein gegenüber den Kindern‹‹.

Gerda weinte und lief schnurstracks aus dem Schlafzimmer, an den Kindern vorbei, die nun einer nach dem anderen ins elterliche Zimmerchen hereingerufen wurden.

Johannes wusste da, dass die Stunde geschlagen hatte und der große liebevolle Vater seine beste Zeit hinter sich gebracht hatte. Er spürte was los war, als er in das Schlafzimmer hereingerufen wurde und so hatte er tränenüberströmte Augen, solche, wie er sie als Erwachsener nie mehr wiederhaben würde.

Sein Vater war immer groß und stark, jetzt lag er da, hilflos und schwach, kränkelnd. Er winkte Johannes heran und flüsterte ihm zu:

››Du bist ein lieber Sohn. Ich habe dich sehr lieb. Mache nur weiter wie bisher. Ich bin stolz auf dich, Wanja‹‹.

››Papa. Ich habe dich lieb. Wenn du nur aushalten würdest. Bleib bei uns, Papa. Ich brauche dich‹‹.

››Mein Sohn. Meine Zeit ist gekommen, dein Leben fängt erst an. Lebe so wie ich gelebt habe. Du weißt doch wie ich bin, Wanja. Nehme mich zum Vorbild, dann wird dein Leben wunderschön werden. Glaube mir das. Wenn du groß und stark sein wirst, dann kann dir das Leben und niemand sonst etwas Schlimmes antun. Ich sehe dein weiteres Leben schon vor meinen Augen. Du wirst dich durchsetzen, ja Wanja‹‹?

››Ja Papa. Ich werde groß und stark und werde mir nichts gefallen lassen‹‹.

››Weißt du, Wanja. Eigentlich bist du schon ein ganz Starker. Wenn du nur wüsstest wie lieb ich dich habe‹‹.

Kurze Zeit später stand die Wolkendecke am Himmel starr und undurchsichtig da. Ferdinand, der geliebte Vater von sieben Kindern und Ehemann einer tüchtigen Frau, verstarb an der Lungenentzündung. Die Diagnose war einfach, für damalige Verhältnisse in der Sowjetunion, zu derb. Damals verstarb man noch an einer solchen Lungenentzündung, heute gibt es Medikamente die eine Erholung in der Regel garantieren. Die Ärzte hatten damals auch kein großes Interesse bei gleichbleibendem, relativ geringem Gehalt große Sprünge zu machen und die Mutter Theresa zu spielen. Dennoch gab es eine hervorragende Ausbildung für angehende Ärzte dort, allerdings lebte Ferdinand mit seiner Familie auf dem Land wo wirklich Ärzte rar gesät waren.

2

Dieser Tod seines Vaters hatte Johannes dennoch nicht müde und schüchtern werden lassen. Er war vielmehr stärker als jemals zuvor. In den Schulferien, im Alter von vierzehn, fünfzehn Jahren, schwang er sich aufs Pferd und hütete mit seinem treuen Hund Sobol einige Kühe. Als Johannes zur Rast auf einer Wiese Platz nahm, stupste ihn Sobol an, denn der Hund hatte einen Hasen gesichtet und wollte einfach die Erlaubnis von Johannes, die Jagd auf den Hasen zu eröffnen. Johannes erkannte sofort was sein Sobol vorhatte und machte eine Kopfbewegung, die dem Hund klarmachte: ja er könne nun dem Hasen folgen und ihn einfangen.

Einige Minuten später kam der Hund Sobol ganz traurig, mit hängendem Kopf und trockenem Mund, zu Johannes zurück. Es war dem Cowboy klar, dass der Hund den Hasen nicht eingefangen hatte. Doch Johannes munterte ihn auf, indem er ihm kräftig das Fell streichelte und ihn mit verzeihendem, menschlichem Gesichtsausdruck wieder die Größe gab, die er vor der Jagd mit dem Hasen denn hatte.

››Ist nicht schlimm, Sobol. Du fängst morgen einen anderen. Da bin ich mir sicher. Bist ein treuer und guter Hund, mein lieber Sobol. Jetzt setze ich mich wieder aufs Pferd und wir schauen, dass die Kühe uns nicht ausbüchsen. Ja, Sobol‹‹?

Der Hund sah ganz freudig aus und konnte es kaum erwarten, dass Johannes, auf dem Pferd und mit ihm, weiter die Kühe zusammenhalten würde. Johannes sah sogleich, dass eine Kuh sich wohl ein wenig von der Herde weggeschlichen hatte und so pfiff er Sobol heran, der Hund möge doch bitte die Kuh wieder zurück in die Herde treiben. Sobol war ein intelligenter und wunderbarer Hund und Johannes hatte eine tolle Beziehung zu ihm aufgebaut. Er war sich sogleich sicher, was zu tun war und so fing er tatsächlich die meuternde Kuh wieder ein. Als die Herde wieder eine Einheit war, tapste Sobol zu Johannes und seinem Pferd herbei und holte sich vom Jugendlichen ein großes Lob ab. ››Das hast du aber ganz toll gemacht, Sobol. Bist ein guter Gefährte‹‹. Der Hund bellte ein paar Mal aus lauter Freude und hatte im nächsten Augenblick schon wieder die Kühe im Blick. Diese Geschichte erzählte Johannes mir das eine oder andere Mal und er unterstrich dabei die hervorragende Zusammenarbeit zwischen Sobol, dem Pferd und sich selbst. Dieser Ferienjob war für Johannes eine gute Schule für sein weiteres Leben, denn er erlernte den Umgang des Menschen mit seinen Tieren.

Der Hund blieb Johannes bis heute in Erinnerung, noch lange nachdem Sobol umgekommen war. Er hatte sich nie mehr wieder einen Hund angeschafft. Sobol sollte der erste und einzige für ihn gewesen sein.

3

Als er etwa zu dieser Zeit die achte Klasse besuchte, hatte er das Anliegen, nach dieser Klasse, eine musikalische Ausbildung in Barnaul zu starten.

Nach der achten Klasse war es möglich eine Berufsausbildung zu beginnen, nach der Zehnten konnte man gemeinhin studieren gehen. Die Familie hielt weiterhin zusammen. Sie wussten, dass man zusammen stark sein würde, wenn man sich nur redlich bemühte.

Johannes machte sich keine großen Gedanken über den Bauernhof der Familie; wer will es ihm verübeln?

Schließlich hatte man Träume und Ziele und Instrumente zu erlernen wäre eine todsichere, schöne Angelegenheit. Er würde sein Gehalt als Musiker im Staate Sowjetunion erhalten, so wie alle anderen, doch er hätte einen Beruf der ihm sicherlich Freude bereiten könnte.

››Mutter. Also heute fahre ich nach Barnaul, wie besprochen. Ich freue mich schon tierisch darauf. Mutter, wenn das klappt, dann bin ich glücklich. Wenn ich Musik lernen darf, dann ist die Welt in Ordnung‹‹.

Mutter Gerda machte ein missmutiges Gesicht, gefolgt von einem neutralen, um Johannes nicht zu zeigen was sie wirklich davon hielt. Was da in ihrem Kopf vor sich ging würde Johannes erst später erfahren. Die Angelegenheit war schwierig bis unmöglich, doch für Johannes war die Sache glasklar: Er durfte diese Ausbildung machen, allerdings gab es dafür erst einmal eine Prüfung, der sich auch der junge Johannes unterziehen müsste.

Mutter Gerda verabschiedete ihren Sohn mit einem Kuss auf die Wange, die anderen Geschwister klopften ihm entweder auf die Schulter oder gaben ihm die Hand. Sogleich würde sich Johannes in den Zug setzen und die Fahrt nach Barnaul über sich ergehen lassen. Distanzen waren in der Sowjetunion eine heikle und besondere Sache, denn das Land war groß und die Dörfer und Großstädte hatten so ihre Entfernungen.

Im Zug sah sich Johannes die Landschaft der Republik Altai, die an ihm vorbeizog, aus dem Fenster an. Das Gebiet beheimatete eine Steppe, die langläufig und weit daherkam. Eine Wüste ohne Sand, eine Graswüste kann man behaupten und sagen. Eine meditative Stimmung schaltete sich bei Johannes dabei ein. Er genoss die Fahrt sichtlich, war im Hier und Jetzt. Brauchte sich auch keine Gedanken zu machen, was eben seine Art ist.

In der Nacht kam er im Bahnhof von Barnaul an und dachte darüber nach was zu tun war, schließlich war die Musikprüfung erst am nächsten Morgen anzugehen, und so kam er zum Entschluss, in diesem Bahnhof zu bleiben und dort demütig und überzeugt die Nacht zu verbringen. An ein Hotel war gar nicht zu denken, doch er hatte sich bereits dazu eingerichtet an diesem Ort zu verweilen, die frische Luft vor dem Bahnhof einzuatmen um dann zum Schlafen auf einer Bank an einem Gleis niederzugehen. Er legte sich also auf die Bank auf Gleiß drei und verstaute seinen Rucksack am Kopfende. Innerhalb einer halben Stunde war er weggedöst, und schlief tief und fest auch wenn er damit rechnen musste, dass Polizeibeamte ihn jeden Moment aufwecken und wegscheuchen könnten.

Dieser Augenblick, in dem er da schlief, den kann ich sehr gut verstehen, denn auch ich hatte einmal eine Nacht auf einer solchen Bank verbracht, als kein Zug mehr in einer Nacht in Stuttgart in Richtung meines Heimatortes fuhr. Auch ich schlief ein und erwachte um fünf am Morgen, um den nächsten Zug um halb sechs zu nehmen.

Ich hatte das also von Johannes übernommen, dieses Verhalten hatte sich wohl in den Genen eingebrannt und war auf mich übergegangen. Allerdings war nicht viel anderes von ihm bei mir gelandet, in den Jahren meiner Jugend und im jungen Erwachsenenalter. Ich war faul und stinkig, bequem und ungenießbar. Erst viel später hatte ich erfahren was es heißt wie Johannes zu sein, sich zu fühlen wie mein Vater Johannes sich in seinem Leben fühlt, worin er fleißig und hilfsbereit ist, ein echter Gentleman und guter Freund.