Ren Dhark – Weg ins Weltall 97: Die Geheimnisse von ERRON-3 - Hendrik M. Bekker - E-Book

Ren Dhark – Weg ins Weltall 97: Die Geheimnisse von ERRON-3 E-Book

Hendrik M. Bekker

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Beschreibung

Auf Külá muss sich Steven Trainor gegen einen alten Feind der Menschen behaupten. Die Mannschaft der CHARR hingegen kann sich auf Oxin kaum vor der Gastfreundlichkeit der Oxiner retten. Zwar stellen ihnen diese Wesen Materialien für die Reparatur des Forschungsraumers zur Verfügung, wollen sie jedoch nicht gehen lassen. Indes haben Ren Dhark und seine Gefährten endlich ihr Ziel im blassblauen Universum erreicht und erkunden die Geheimnisse von ERRON-3... Hendrik M. Bekker, Jan Gardemann und Jessica Keppler schrieben einen faszinierenden SF-Roman nach dem Exposé von Anton Wollnik.

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Seitenzahl: 388

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Ren Dhark

Weg ins Weltall

 

Band 97

Die Geheimnisse von ERRON-3

 

von

 

Jessica Keppler

(Kapitel 1 bis 8)

 

Jan Gardemann

(Kapitel 9 bis 16)

 

Hendrik M. Bekker

(Kapitel 17 bis 20)

 

und

 

Anton Wollnik

(Exposé)

Inhalt

Titelseite

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

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Impressum

Prolog

Im Herbst des Jahres 2067 scheint sich das Schicksal endlich einmal zugunsten der Menschheit zu entwickeln. Die invasiven Riiin, die die Erde vereist und Milliarden Menschen zur Flucht in den Weltraum gezwungen haben, sind besiegt. Das befreundete Weltallvolk der Syntie hat den Masseverlust der Sonne wieder ausgeglichen. Der blaue Planet erblüht zu neuem Leben.

Die neue Regierung Terras unter der Führung des »Kurators« Bruder Lambert hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Planeten nach dem Vorbild Edens in eine Welt mit geringer Bevölkerungsdichte, aber hoher wirtschaftlicher Leistungskraft zu verwandeln, und ist deshalb nicht bereit, die nach Babylon Ausgewanderten wieder auf die Erde zurückkehren zu lassen. Nur noch rund einhundertzwanzig Millionen Menschen leben auf Terra.

Nachdem die ersten Terraforming-Projekte Erfolge zeigen, bittet Bruder Lambert im Mai 2074 die Nogk um Hilfe bei dem Wiederaufbau des zerstörten Schutzschirms um die Erde. Diese erklären sich sofort einverstanden. Die Meeg, die begabten Techniker der Nogk, beenden ihre Arbeit Anfang Juni 2074. Einige Tage nach ihrer Abreise aktiviert sich der globale Schutzschirm plötzlich von selbst und lässt sich nicht mehr abschalten. Weder Funk- noch Transmitterverbindungen funktionieren. Die Menschen auf der Erde sind jetzt vom Rest des Universums abgeschottet.

Charaua, der Herrscher der Nogk, reist persönlich an, um sich um das Problem zu kümmern, doch auch seine Meeg können den Schutzschirm nicht deaktivieren. Als Ren Dhark von dem Vorfall im Sol-System erfährt, bietet er ohne zu zögern seine Hilfe an. Mit seinen Gefährten begibt er sich auf die Suche nach einer Lösung für das Problem mit dem Schutzschirm, doch alles, was sie ausprobieren, scheitert.

Da erreicht sie eine Nachricht von Babylon: Dort seien Thanagog, anscheinend Freunde der Worgun, gelandet. In der Hoffnung, Hilfe von den Gästen aus Orn zu erhalten, fliegt der Commander hin. Shamol, der Herrscher der Thanagog, eröffnet ihm, den Schutzschirm um Terra tatsächlich abschalten zu können, doch wird etwas von ERRON-3, aus dem zentralen Wissensarchiv der Worgun, benötigt. Dieses befindet sich im blassblauen Universum, welches man seinen Aussagen nach jedoch nur mit einem mächtigen Raumschiffantrieb erreichen könne.

Nur wenige Eingeweihte wissen, dass die Mannschaft der POINT OF das blassblaue Universum im Jahr 2057 schon einmal mithilfe des Materiesenders auf Planet 1 in der Sternenbrücke besucht hat. Damals hat Ren Dhark unter Zuhilfenahme von Mentcaps einen Bruchteil der Geheimnisse von ERRON-3 erlernt. Diese haben ihn so sehr schockiert, dass er seiner Mannschaft im Anschluss ebensolche Tabletten gegeben hat, die das Wissen um das blassblaue Universum aus ihrer Erinnerung gelöscht hat. Einzig Dan Riker, Arc Doorn sowie Miles Congollon sind eingeweiht und haben das Geheimnis bis heute für sich behalten. Der Materiesender auf Planet 1 existiert seit dem Weißen Blitz, der die meiste Worgun-Technologie in der Milchstraße zu Staub hat zerfallen lassen, nicht mehr.

Obwohl Ren Dhark große Bedenken wegen der Rückkehr nach ERRON-3 hat, willigt er in die Expedition ein, denn dies scheint der einzige Weg zu sein, den Schutzschirm um Terra wieder abzuschalten. Seine Freunde und er erinnern sich an das Experimentalraumschiff, ein Projekt, das sie vor Jahren für gescheitert erklärt haben. Gemeinsam mit der Gruppe Saam, den Thanagog sowie einigen weiteren Helfern gelingt es den Ingenieuren und Technikern der POINT OF, die TSS RANLAK zu bauen und den Antrieb zu stabilisieren. Damit fliegen sie zur Sternenbrücke und wechseln mithilfe des feldmodulierten Einsatzes von Hy-Kon ins blassblaue Universum über. Alles scheint nach Plan zu laufen, bis das Raumschiff in den Sog eines galaktischen Mahlstroms gerät, der über ERRON-3 schwebt. Die TSS RANLAK beschleunigt plötzlich immer stärker und droht, auf dem Planeten zu zerschellen …

1.

Fünf dunkle Augenpaare bohrten ihre Blicke in sein Gesicht: drei vor ihm, zwei hinter ihm. Abgesehen von ihnen lag der Gang zur Zentrale der KATANA verwaist da. Leises Knurren drang zwischen den gefletschten Zähnen der Karrorr-Weibchen hervor.

Seine Hand schwebte wie erstarrt über der Stelle, an der er sonst sein Schwert trug. Das fehlende Gewicht an der Hüfte wurde ihm in diesem Augenblick überdeutlich bewusst. Wieso hatte er sein Katana nach dem Kampf mit Pakk Raff nicht wieder an sich genommen, sondern es stattdessen in seiner Kabine liegen lassen?

Hinter ihm regte sich eines der beiden Karrorr-Weibchen, doch ehe es einen Schritt auf ihn zumachen konnte, ließ das größte vor ihm warnend das mit Reißzähnen bewehrte Maul zusammenschnappen. »Das lässt du schön bleiben, Mabb. Wir haben ihn zuerst entdeckt, er gehört uns!«

»Ach ja, Dull?«, fragte die Angesprochene mit aggressivem Grollen. Ihre Nase zuckte wütend. »Wie kommst du denn darauf? Weil ihr ihn hier zuerst erwischt habt? Entdeckt haben wir ihn doch wohl alle bei seinem Kampf gegen unseren Rudelführer!«

Mit angespannten Kiefermuskeln ließ Steven Trainor die Waffenhand langsam sinken und verlagerte sein rechtes Bein ein Stück nach hinten, um einen sichereren Stand zu gewinnen. Dabei bewegte er sich betont bedächtig, um die Weibchen nicht zu provozieren.

Er wusste, dass er nicht viel würde ausrichten können, falls sie ihn tatsächlich angriffen. Unbewaffnet war es beinahe unmöglich, sich gegen diese Überzahl zu wehren. Allmählich ahnte er, wieso die Karrorr-Weibchen ihn eingekesselt hatten. Sie schienen sich zwar nicht durch Absprache auf diesem Gang getroffen zu haben – dafür war ihre Haltung zu feindselig –, doch sie teilten eine Gemeinsamkeit: Ihr Rudelführer Pakk Raff hatte am gestrigen Tag einen offiziellen Herausforderungskampf gegen ihn verloren – vor den versammelten Mannschaften der KATANA und der KRIEGSBRAUT. Und nun verspürten diese fünf Karrorr-Weibchen offenbar das Verlangen, die Ehre ihres Rudelführers wiederherzustellen, indem sie jetzt auf diesem verlassenen Gang Rache für Pakk Raff nahmen.

Mabb und Dull funkelten einander mit bebenden Lefzen und sprungbereiter Körperhaltung an.Sie waren wahrscheinlich die Anführerinnen ihrer jeweiligen Horde.

Keiner von beiden will seine Beute mit der anderen Gruppe teilen. Was habe ich für ein Glück, dass sie in Konkurrenz zueinander stehen und mich nicht einfach gemeinsam zerfetzen, dachte Trainor mit Galgenhumor. Sein Kiefermuskel trat deutlich hervor, als er die Zähne zusammenpresste, verzweifelt darüber nachdenkend, wie er mit dieser Situation fertig werden sollte.

Plötzlich löste sich eines der Weibchen aus der Dreiergruppe vor ihm und nährte sich Trainor leise knurrend. Die anderen rührten sich nicht. Sie waren zu beschäftigt damit, sich gegenseitig in Schach zu halten. Mit fast tänzerischer Geschmeidigkeit schlenderte die Kanoide auf ihn zu und begann ihn musternd zu umrunden. Ihre Ohren zuckten dabei aufgeregt.

Es forderte seine gesamte Willenskraft, still stehen zu bleiben, anstatt sie zu packen und zu Boden zu schleudern. Noch funkelte in ihren dunklen Augen keine Blutrünstigkeit, lediglich Gier, und er wollte nicht dazu beitragen, dass das eine zum anderen führte.

Sie blieb hinter ihm stehen, beugte sich vor und schnüffelte geräuschvoll an seinem Nacken herum. Die stoßartigen Luftzüge, die das Schnuppern erzeugte, kitzelten unangenehm. Falls die langen, spitzen Zähne sich jetzt in seinen Nacken bohren würden und die Halswirbelsäule zerrissen, wäre es vorbei mit ihm.

Bei dieser Vorstellung stellten sich dem Amerikaner sämtliche Nackenhaare auf, und nur mit Mühe konnte er sich noch beherrschen. Seine Instinkte wollten ihn herumwirbeln und den Feind packen lassen, um einen Schulterwurf auszuführen. Jeder Muskel seines Körpers war zum Zerreißen angespannt.

Das Weibchen beendete sein eingehendes Schnüffeln. Es trat an seine rechte Seite. Langsam nährte sich die Schnauze mit den gefletschten Zähnen seiner Wange, begleitet von tiefem Grollen. Warmer, leicht süßlich riechender Atem strich über sein Ohr und erreichte seine Nase.

»Du bist wirklich unheimlich attraktiv.« Die Worte des Weibchens klangen beinahe wie ein Schnurren.

Trainors Kiefermuskeln waren zu angespannt, um verbal darauf zu reagieren. Stattdessen drehte er den Kopf und starrte das Karrorr-Weibchen verwirrt an.

Als wäre dies das Stichwort gewesen, setzten sich auf einmal die anderen vier ebenfalls in Bewegung. Nasen streckten sich in seine Richtung, Lauscher wackelten voller Aufregung. Dull und Mabb, die sich wohl nicht ausstehen konnten, schnappten dabei andeutungsweise in die gegenseitige Richtung.

Adrenalin schoss in Trainors Blutbahnen, seine Fäuste schnellten hoch. Er wappnete sich innerlich in Erwartung des Schlimmsten.

Da zerschnitt das wütende Bellen des Karrorr-Weibchens, das sich ihm zuerst genähert hatte, die Luft. Mit aggressiven Lauten drängte es die anderen zurück und stellte sich sogar Dull entgegen. Zähne klackten aufeinander, geräuschvolle Warnungen erfüllten den Gang, gefolgt von Brüllen, Knurren, drohenden Gebärden. Jedes Weibchen wollte sich dem Terraner nähern, und gleichzeitig wollte keines von ihnen, das ein anderes ihm zu nahe kam.

»Einmal geschnüffelt und schon verliebt, was, Nell?«, neckte Mabb.

Diese bellte wütend: »Verzieht euch! Ihr wolltet doch sowieso lieber aufeinander losgehen, anstatt euch dieses Schnuckelchen genauer unter die Nase zu führen.«

»Rede nicht so einen Unsinn, du Kurzschnauze! Du bist gar nicht stark genug, um Teil seines Harems zu werden«, gab Mabb zurück und stieß Dull dabei unsanft in die Seite. Daraufhin folgte eine kleine Rangelei.

Steven Trainor stand inmitten dieses zänkischen Kuddelmuddels, die Fäuste immer noch kampfbereit erhoben – und plötzlich begriff er, was hier geschah. Die fünf Karrorr-Weibchen hatten ihn nicht medostationsreif beißen oder gar umbringen wollen. Sie umwarben ihn. Vollkommen perplex beobachtete er das Geschehen.

Das kleinste der Weibchen – es gehörte zu der Dreiergruppe – trat auf ihn zu und blickte ihn aus großen, braunen Augen an. Er konnte seine eigene versteinerte Miene darin sehen. »Deine Bewegungen beim Kampf gegen unseren Rudelführer«, knurrte sie, »haben mir sehr imponiert. Du bist unglaublich stark. Wieso stehst du denn mit erhobenen Fäusten da?« Sie klimperte mit den Wimpern. »Mein Name ist übrigens Soff«, fügte sie hinzu und entblößte ihre strahlend weißen Zähne. »Wie lange trainierst du schon mit dem Schwert?«

Trainor ließ zögerlich die Arme sinken und musterte das gefletschte Gebiss. Ist das ein Versuch zu lächeln?, fragte er sich mit einem Mal. Hatten die fünf Weibchen ihm von Anfang an ein Lächeln geschenkt, das sie sich bei den Terranern abgeguckt hatten? Schließlich konnte man immer öfter menschlich wirkende Gesten bei den Karrorr beobachten, was nicht überraschend war, wenn man bedachte, wie viel Zeit das Händlervolk mit den Terranern verbrachte – nicht zuletzt aufgrund ihrer intensiven Handelsbeziehungen. War das Knurren vorhin vielleicht auch nicht bedrohlich gemeint, sondern stellt ihre Art dar, Zuneigung auszudrücken? Möglicherweise gibt es verschiedene Arten des Knurrens, die mein Gehör nicht unterscheiden kann, so wie es bei uns Menschen unterschiedliche Arten zu lachen gibt.

Trainor bewegte den angespannten Kiefer, um ihn zu lockern, ehe er höflich antwortete: »Mein Katana begleitet mich schon viele Jahrzehnte. Euer Rudelführer hat mich deshalb sehr beeindruckt. Trotz seiner mangelnden Erfahrung mit Schwertern hat er sich beachtlich geschlagen.«

»Pakk Raff ist nicht umsonst unser Rudelführer geworden«, erwiderte Soff stolz. »Keiner von uns hätte dir so die Stirn bieten können wie er – zumindest nicht im Schwertkampf.«

Mabbs Begleiterin, dessen Namen er noch nicht kannte, schüttelte sich amüsiert. »Was willst du damit andeuten, kleine Soff? Willst du den Terraner herausfordern?«

Soffs Lauscher zuckten. »Nein, das habe ich nicht gesagt, Gumm. Und du solltest dich nicht über meine Körpergröße lustig machen. Du hast beim letzten Huggarr gegen mich verloren, weißt du noch?«

Gumm schnaubte. »Das war ein einziges Mal, dass du mich besiegt hast – und das letzte Mal!« Sie wandte sich an Trainor. »Du könntest ja bei unserem nächsten Huggarr dabei sein«, lud sie ihn ein. »Mein Kampf wird dir gewiss sehr gefallen.«

»Ich glaube nicht, dass er auf Fußabtreter steht«, warf Dull zuckersüß dazwischen und beobachtete selbstgefällig, wie Gumms Lefzen anfingen zu zittern.

Die aufgestaute Anspannung in Trainor ließ langsam nach, nun, da er nicht mehr fürchten musste, von Klauen und Zähnen zerfetzt zu werden. Er blieb aufmerksam, weil er unschlüssig war, wie er mit diesen aufgeregten Weibchen umgehen sollte.

Im Durcheinander der anderen vier Karrorr, die sich gegenseitig anknurrten, näherte sich die kleine Soff ihm bis auf wenige Zentimeter, schnupperte sanft mit ihrer hellbraunen Nase und hauchte: »Du riechst herrlich. Möchtest du vielleicht mit mir an einen stilleren Ort gehen? Hier ist es zu laut. Wir beide könnten uns Vergnüglicherem zuwenden.«

Nell trieb sie mit lautem Bellen auf Abstand. »Ich habe ihn zuerst erschnüffelt! Verzieh dich!«

Der Amerikaner benötigte einiges an Selbstbeherrschung, um mit seiner Mimik Gelassenheit zu demonstrieren. Er musste unbedingt weg hier! Aber wie sollte er diese aufgedrehten Karrorr loswerden? Bei deren erhitzter Stimmung konnte er nicht abschätzen, wie sie auf Zurückweisung reagieren würden. Terranische Frauen waren in dieser Hinsicht schon unberechenbar – und Karrorr-Weibchen bildeten diesbezüglich gewiss keine Ausnahme. Außerdem verband ihre beiden Völker momentan eine Mission auf Külá, sodass er es nicht riskieren konnte, die Beziehung zwischen ihnen durch eine vermeintlich grobe Beleidigung zu verschlechtern. Nur Vorsicht und Geschick konnten ihn jetzt noch aus dieser Bredouille befreien.

Er räusperte sich vernehmlich. Fünf dunkle Augenpaare richteten sich gierig auf ihn, was ihm einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Er musste unbedingt hier verschwinden. »Nun, meine Damen, auch wenn ich gerne mehr Zeit in eurer Gesellschaft verbringen würde, so rufen mich jetzt meine Pflichten. Ich muss in der Zentrale nach dem Rechten sehen und mich anschließend von der strapazierenden Heilung in der Medostation erholen.« Die Behandlung vom Bordarzt Patrick Mosley war zwar nicht anstrengend gewesen, doch ihm fiel keine bessere Ausrede ein. Hoffentlich bemerkten die Karrorr-Weibchen nicht, dass er langsam zu schwitzen begann.

»Wie? Du gehst schon?«, fragte Dull enttäuscht und ließ von Mabb ab.

»Was hast du bei deinem schrillen Gebell erwartet?«, fragte diese mit einem gehässigen Seitenblick auf ihre Konkurrentin.

»Sei ja vorsichtig, Mabb.«

Trainor schenkte den Weibchen sein freundlichstes, diplomatischstes Lächeln. »Ja, meine Damen. Ich bedauere es, mich nicht weiter mit euch unterhalten zu können, aber nun muss ich mich wirklich verabschieden. Ich wünsche euch einen angenehmen Morgen.«

Er nickte ihnen zum Abschied zu, wandte sich um und floh regelrecht zur Tür der Zentrale. Als er in den Sensorbereich trat, glitt sie auf und hinter ihm wieder zu, ohne dass die Weibchen ihm folgten. Er wartete noch ein paar Herzschläge, dann stieß er den angehaltenen Atem heftig aus.

Zwei Besatzungsmitglieder hielten sich in der Zentrale der KATANA auf. Gleichzeitig drehten sich die beiden Männer mit ihren Schalensesseln zu ihm um. Sie mussten erst kürzlich die Nachtschicht abgelöst haben, denn obwohl es bereits auf den frühen Morgen zuging, sahen sie frisch und ausgeschlafen aus.

»Moikka!«, grüßte Jöris Könnilainen auf Finnisch und hob die Hand schwungvoll zu einem laxen Salut, hielt aber auf halbem Weg inne. »Alles in Ordnung, Sir?«

Steven Trainor runzelte die Stirn. »Wieso? Eigentlich wollte ich ja fragen, ob hier alles soweit läuft.«

»Alles im grünen Bereich, Kommandant.« Könnilainen hob die blonden Augenbrauen. »Aber was ist mit Ihnen?«

»Was soll mit mir sein?«

»Nun, stellen Sie sich vor, jemand kommt mit einem dermaßen erleichterten Gesichtsausdruck in die Zentrale gestürmt, als hätte er soeben eine Monsterhorde abgehängt. Außerdem haben wir ein paar Geräusche gehört, auch wenn die Tür«, der Finne nickte Richtung Ausgang, »gut schallisoliert ist. Würden Sie sich da nicht fragen, was geschehen ist?«

Trainor zog eine Grimasse. Auch wenn er froh war, die Karrorr-Weibchen endlich losgeworden zu sein, so war er sich sicher, ihnen nicht zum letzten Mal begegnet zu sein. Sie zusätzlich dazu jetzt zum Thema zu machen, wollte er tunlichst vermeiden. »Sprechen wir über etwas anderes. Haben wir zwischenzeitlich eine Nachricht von Germon erhalten?«

Yart Marsher, ein kleiner schmächtiger Kerl mit samtschwarzen Haaren, zog bei Trainors abruptem Themenwechsel eine Augenbraue hoch, bohrte jedoch nicht weiter nach. Stattdessen antwortete er seufzend: »Keine Nachricht von Germon. Nichts, nada. Er hat uns nicht einmal auf den neuesten Stand der Dinge gebracht – es herrscht geradezu Funkstille. Der Gorm scheint immer noch bis über beide Ohren in der Erforschung der mysteriösen Flechte zu stecken.«

Trainor brummte nur nachdenklich als Antwort. So rein gar nichts zu hören – selbst nach Tagen nicht – erschien ihm immer ungewöhnlicher, wenn er die Ernsthaftigkeit der Sache bedachte. Doch dem würde er sich nach einer ordentlichen Mütze Schlaf am heutigen Mittag widmen, wenn er sich zusammen mit seiner Verlobten Liao Morei und ein paar anderen Besatzungsmitgliedern nochmals mit dem terranisch-babylonischen Botschafter Danog ut Keltris traf.

Trainor warf einen Blick in die Bildkugel, die auf Außenansicht geschaltet war. Dichte Nebelschwaden krochen über den Erdboden des Raumerlandeplatzes und hüllten die schattenhaften Umrisse des umliegenden Riesenwaldes sowie der wenigen parkenden Raumschiffe in einen weißlichen Schleier. Je länger er in den Nebel starrte und versuchte, Verdaanas Hauptstadt Tediruun in der Ferne auszumachen, desto mehr spielten ihm seine Augen Streiche von riesenhaften, schwerfälligen Bewegungen in der Dämmerung. Die langsam einsetzende, bleischwere Müdigkeit – eine Nebenwirkung des abebbenden Adrenalinschubs – verlangte wohl ihren Tribut. Er machte eine nickende Kopfbewegung in Richtung Holosphäre. »Warum ist sie auf Außenansicht geschaltet? Bei dem dichten Nebel seht ihr doch sowieso nichts.«

Könnilainen und Marsher warfen sich verlegene Blicke zu.

»Nun ja, die Kulisse bietet sich für Horrorgeschichten an«, erklärte Letzterer schließlich, sich räuspernd. »Unser Finne hier hat einige wirklich unheimliche Geschichten aus seiner Heimat auf Lager. Wollen Sie sich zu uns gesellen?«

Trainor schüttelte müde den Kopf. »So verlockend das klingt, ich bin vollkommen am Ende. Sollte sich etwas Wichtiges ereignen, kontaktieren Sie mich in meiner Kabine.«

»Aye, Sir«, antwortete Könnilainen und hob erneut schwungvoll die Hand. »Wir wünschen Ihnen noch eine gute restliche Nacht!«

Trainor verabschiedete sich und verließ die Zentrale. Ein leerer Gang empfing ihn. Keine Spur von den fünf dunklen, gierigen Augenpaaren. Erleichterung flutete seinen Körper. Die Karrorr-Weibchen hatten nicht gewartet – was für ein Glück!

Mit einem ermatteten Seufzer machte er sich auf zu seiner Kabine. Auf dem Weg dorthin begegnete ihm niemand.

Am Ziel angekommen fand er seine Verlobte schlummernd im gemeinsamen Bett vor. Sie lag auf der Seite, die zierlichen Hände neben ihrem kleinen, runden Gesicht liegend, die geschwungenen, blütenroten Lippen leicht geöffnet. Ihr schwarzes, glattes Haar breitete sich wie eine Flut an ihrem Hinterkopf aus, und die Decke konnte ihre weiblichen Rundungen nicht gänzlich verbergen. So friedlich schlafend sah man der Chinesin gar nicht an, dass sie zwölf verschiedene Nahkampfsportarten beherrschte und einen erwachsenen Mann mit bloßen Händen töten könnte.

Trainor lächelte. Sie war selbst im Schlaf wunderschön.

Er entledigte sich seiner Uniform, nahm rasch eine heiße Dusche und schlüpfte anschließend erschöpft unter die Bettdecke. Liao gab ein leises, glückliches Seufzen von sich, und ihr warmer, weicher Körper kuschelte sich eng an ihn. Er legte einen Arm um sie und schloss die Augen. Sämtliche Restanspannung fiel von ihm ab. Zufrieden schlief er ein.

2.

Wie geplant verließ Steven Trainor gegen Mittag die KATANA, um sich nach Tediruun zum terranisch-babylonischen Botschaftsgebäude aufzumachen. Eine Handvoll weiterer Besatzungsmitglieder begleitete ihn, darunter Liao Morei, die neben ihm her schritt.

Der Botschafter Danog ut Keltris hatte den Terranern für die Dauer ihres Aufenthalts auf Külá ein Baumsprecher-Transportmittel der Gorm zur Verfügung gestellt. Das Halbmetallwesen, ein Insekt ohne eigenes Bewusstsein und mit biomechanischer Steuerungstechnologie am Hinterkopf, wartete wenige Meter vor der KATANA auf sie.

»Wieder kein Sonnenschein«, kommentierte Nestor Puk mit bedauernder Miene seinen Blick in den Himmel, als er von der Schiffsrampe trat. »Dabei haben wir Anfang August.« Der Glatzkopf überragte mit seinen gut zwei Meter Größe alle anderen Anwesenden und wirkte mit seiner mächtigen Brust wie ein Schrank.

Trainor hob beim Gehen ebenfalls den Kopf. Die Wolkenschicht war dünn genug, dass man Kimiks Auge wie durch eine beschlagene Fensterscheibe sehen konnte. Rot vermischte sich mit Grau.

»Lieber Kamerad, Sie würden uns bei ihrer Körpergröße doch sowieso die Sonne verdunkeln«, scherzte der Techniker John Herget an Nestor gewandt. Ein bubenhaftes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, das man jedoch nur durch die vielen kleinen Fältchen erkannte, die sich um seine braunen Augen legten. Der Mund versteckte sich derweil fast gänzlich hinter einem wild wuchernden roten Vollbart. Herget war kein Freund des regelmäßigen Rasierens und Bartstutzens.

Nestor hob als Antwort auf den Scherz die Pranke und schlug dem gut einen Kopf kleineren Mann beherzt auf die Schulter. »Neidisch, du Winzling?«

Der freundschaftliche Klaps des Riesen war derart kraftvoll, dass der Techniker beim Gehen fast stolperte. »Ein wenig vielleicht!«

Abgesehen von den beiden Kameraden waren noch Yart Marsher und Jöris Könnilainen mit von der Partie. Beide hatten das biomechanische Transportmittel bereits erreicht und kletterten auf das gut fünf Meter lange und ebenso breite, vielbeinige sowie mit weißem Fell bedeckte Insekt. Auf dem unnatürlich flachen Rücken suchten sie sich ganz hinten einen Platz.

Morei wich den teilnahmslos herabhängenden Fühlern aus und kletterte als Nächste empor, während sie an Trainor gewandt fragte: »Wo sind eigentlich die Karrorr? Ich habe angenommen, dass Pakk Raff und seine Leute uns zur Botschaft begleiten würden. Seit wir uns auf Külá befinden, sind sie doch Feuer und Flamme für die Aufklärung des Flechtenfalls.«

In der Tat hatten sich die Karrorr heute noch nicht blicken lassen, weder in der KATANA noch auf dem Raumhafenlandefeld. Trainor warf einen kurzen Blick über die Schulter. Die KRIEGSBRAUT, Pakk Raffs vierhundert Meter durchmessendes, kreuzförmiges, schwarzes Flaggschiff, hatte die Schotts geschlossen und wirkte dadurch verlassen, obwohl sich gewiss Karrorr an Bord befanden.

»Möglicherweise versuchen sie gerade erneut, die Gorm dazu zu überreden, ihnen Baumsprecher-Technologie zu verkaufen«, stellte Trainor eine Vermutung auf und hob die Schultern. »Wenn ich ehrlich bin, ist mir ihre Abwesenheit ganz recht. Die Kanoiden sind mir zwar sympathisch, aber ihre impulsive Art empfinde ich bei der Aufklärung der Flechtenherkunft mehr kontraproduktiv als hilfreich.«

»Da ist etwas dran«, stimmte Morei zu und suchte für ihren Verlobten und sich einen Platz ganz vorn.

Die Sitze schmiegten sich an die Körper der Passagiere und hielten diese in einem dünnen Netz aus Pflanzenfäden an den Beinen fest. Anschließend instruierte die Chinesin den biochemischen Rechner am Kopf des Transportmittels, sich in Bewegung zu setzen.

*

Die Fahrt – oder eher der Ritt – mit dem biomechanischen Insekt dauerte nur knapp eine Viertelstunde.

Früher hatte sich die terranisch-babylonische Botschaft im Regierungssitz befunden, einem turmartigen Gebäude im Zentrum von Tediruun, das aus einem gigantischen, alles überragenden Baum bestand und mit zwei weiteren ein Pylon-Dreieck bildete. Aktuell jedoch besaß die Botschaft auf Danog ut Keltris’ Wunsch hin ein eigenständiges Gebäude am Stadtrand von Verdaanas Hauptstadt.

Während das Insekt sich einen Weg durch den Wald bahnte und anderen Transportmitteln sowie Arbeitsautomaten auswich, vernahmen die Terraner vor sich auf einmal ein zorniges Brummen, das beim Näherkommen zum Gebrüll zahlreicher Stimmen anschwoll.

»Was ist da denn los?«, fragte Könnilainen mit besorgter Stimme.

Die Bäume wichen auseinander und enthüllten eine Gruppe aufgebrachter gormscher Demonstranten, die sich auf einer kleinen, grasbewachsenen Anhöhe vor dem umzäunten Botschaftsgelände versammelt hatte. Direkt vor den Fäuste schwingenden Gorm standen acht unheimlich wirkende, käferartige Metallwesen und versperrten ihnen den Zutritt. Wie eine stille Warnung verharrten die Gestalten bewegungslos vor dem geschlossenen Zauntor. Diese sogenannten Wächterautomaten waren kugelförmig, durchsetzt mit biologischen Komponenten und besaßen acht wie Skelettknochen wirkende Arme.

Doch auch wenn die Automaten abschreckend auf die Menge der Demonstranten wirkten, so hielten sie die Gorm nicht davon ab, ihre Forderungen zornig herauszubrüllen.

»Keine Menschen auf Külá!«

»Verschwindet! Ihr seid hier nicht willkommen!«

»Nieder mit der Botschaft!«

Das insektenartige Halbmetallwesen, welches Trainor und die anderen hergebracht hatte, registrierte das Hindernis und stoppte mit einigen Meter Abstand vor der Menge. Im gleichen Augenblick drehte sich eine der zartgliedrigen, humanoiden, entfernt menschenähnlichen Gestalten um. Große, dunkle Augen richteten sich auf die Neuankömmlinge, während ihre Faust wie erstarrt in der Luft hing. Überrascht starrte das Wesen sie an. Dann schwang es seine Faust mit neuer Wut in Richtung der Terraner.

»Da!«, schrie es. »Noch mehr Menschen!«

Sein Gebrüll erregte sofort Aufmerksamkeit. Erst drehten sich nur die Köpfe in seiner unmittelbaren Nähe um, dann immer mehr. Ein Meer aus Augenpaaren richtete sich auf Trainor und seine Begleiter. Das Gebrüll wurde durch die Überraschung leiser, um anschließend mit doppelter Lautstärke fortzusetzen.

»Was wollt ihr hier?«

»Verschwindet, sonst passiert Schlimmes!«

»Das ist unser Planet!«

Die wütende Menge rückte einen Schritt vor, und im selben Moment regten sich vier der Wächterautomaten. Sie richteten ihre kugelförmigen Gliedmaßen neu aus und begannen in Richtung der Terraner zu stampfen. Aufgeschreckt wichen die Demonstranten zurück und bildeten dabei eine Gasse.

Danog ut Keltris hatte diese Metallwesen bereits erwähnt, sodass Trainor und die anderen sich nicht fürchteten, als sich die Automaten vor ihnen aufbauten. Die vier Ungetüme bildeten einen schützenden Ring um sie, dann bahnten sie sich gemeinsam einen Weg durch die Masse erboster Demonstranten. Von allen Seiten schrie diese ihre Drohungen und Forderungen. Das Gebrüll war derart laut, dass sich in Trainors Ohren Druck aufbaute.

Endlich tauchte das Eingangstor vor ihnen auf. Einen Herzschlag später befand sich ein schützender Zaun zwischen den Besuchern und der aufgebrachten Menge.

Die vier sie begleitenden Wächterautomaten blieben mit den anderen ihrer Art am Zaun zurück.

»Wir reißen eure verdammte Botschaft nieder!«, brüllten die Gorm weiter.

»Wir lassen nicht zu, dass ihr unsere Heimat zerstört!«

»Dass ihr uns als Bewohner dieses Planeten einfach übergeht, wird ein Nachspiel haben!«

Trainor versuchte, das Geschrei hinter sich auszublenden. Das Transportmittel stoppte erneut. Er sprang leichtfüßig herunter und landete auf dem Gras. Ehe er den Arm heben konnte, um Liao Morei zu helfen, stand seine Verlobte bereits neben ihm. Ihr schönes Gesicht blickte ernst, die vollen Lippen waren leicht zusammengepresst. Trainor nickte ihr zu und ließ anschließend seinen Blick über das Botschaftsgebäude schweifen.

Auch wenn das Haus wie in Tediruun üblich ähnlich eines Schwamms aus dem Holz des Baumes gewachsen war, so wirkte es durch die rechteckige, mehrstöckige Form und die quadratischen Fenster fast terranisch. Aus dem Baumstamm herausdringende Holzbretter bildeten die Außenfassade, geschmückt von tiefgrünen Kletterpflanzen. Ein unscheinbarer Anbau grenzte an das Botschaftsdomizil.

Danog ut Keltris stand im Eingang, hob die sechsgliedrige Hand und winkte seine Besucher zu sich. »Kommt rein!«, rief er auf Angloter. Seine Worte gingen im Gebrüll der Demonstranten beinahe unter.

Trainor und seine Begleiter folgten dem Walfen zügig ins Innere. Als die Eingangstür ins Schloss fiel, verblasste die ohrenbetäubende Lautstärke des Demonstrantengeschreis zu einem Raunen im Hintergrund.

Danog wandte sich aufatmend seinen Besuchern zu und schüttelte ihnen nacheinander die Hand. »Das war sicherlich ein unangenehmer Empfang für Sie alle. Das tut mir sehr leid. Deshalb zuerst einmal: Willkommen in der Botschaft. Fühlen Sie sich hier wie Zuhause.« Bei den letzten Worten lächelte er. Sein lippenloser Mund gab einen Streifen seiner Kauleisten preis. Er meinte das Grinsen ohne Zweifel herzlich, doch es wirkte, an menschlichen Maßstäben gemessen, unheimlich und fies. Seiner Spezies war es einfach nicht möglich, ein freundliches Lächeln zustande zu bringen. Die Mimik der Echsenartigen ließ dies nicht zu. Trotzdem verstanden die Besucher die Intention ihres Gastgebers.

»Wir danken Ihnen, dass Sie uns in Ihrem Domizil empfangen, Botschafter«, bedankte sich Trainor aufrichtig.

Danog neigte den Kopf. »Dafür bin ich hier.« Anschließend sah er die vier Männer neben Trainor und Morei neugierig an. »Einige Gesichter meiner Gäste kenne ich noch gar nicht.«

»Sie sind Teil meiner Besatzung«, erklärte Trainor und stellte seine Begleiter nacheinander vor. »Das ist John Herget, einer unserer versierten Techniker.« Der Rotschopf mit dem Vollbart nickte grüßend. »Der Riese daneben ist Nestor Puk, dann kommen Jöris Könnilainen und zuletzt Yart Marsher. Die drei arbeiten in der Zentrale der KATANA. Ich hoffe, wir sind Ihnen nicht zu viele Gäste?«

»Keineswegs«, wehrte Danog sogleich ab. »Im Gegenteil, ich freue mich immer, wenn ich helfen kann. Sie sagten bei Ihrem Anruf, dass Sie mit mir etwas besprechen möchten. Ich würde vorschlagen, dass wir uns dafür in mein Büro begeben.« Da bemerkte er Liaos zusammengezogene Augenbrauen und ihren aufmerksamen Blick, den sie nicht von der erbosten Menge hinter dem Zaun abwenden konnte. »Ihre Sorge ist unbegründet, Miss Morei. Es sind nur von der Berella-Propaganda angestachelte Demonstranten. Zugegebenermaßen sind sie sehr laut, aber vollkommen harmlos, das kann ich Ihnen versichern.«

»Berella?«, hakte Jöris Könnilainen nach und warf ebenfalls einen raschen Blick aus dem Fenster zu dem Fäuste ringenden Mob.

»Bei den Berella handelt es sich um eine provisorisch organisierte, um Aufmerksamkeit heischende Minderheit der Gorm«, erklärte der Echsenartige. »Sie haben von Anfang an jede Form von diplomatischen Beziehungen zu Fremdvölkern vehement abgelehnt. Ihre fanatischen Anhänger vertreten den Standpunkt, dass das Wissen und die angeborenen Baumsprecher-Fähigkeiten ihres Volkes keiner anderen Spezies zugänglich gemacht werden dürfen. Diese Einstellung wird zwar auch von der übrigen gormschen Bevölkerung geteilt, aber die Berella sehen in jedem Fremden einen potenziellen Dieb.« Danogs sanfte Stimme nahm etwas Trauriges an. »Das Ziel, uns zu vertreiben, verfolgen sie stets mit großem Eifer und lassen keine Gelegenheit aus, meine zum Teil terranischen Mitarbeiter und mich ihre Meinung spüren zu lassen. Seit einigen Jahren treten sie allerdings nur noch selten persönlich in Erscheinung, sondern stacheln stattdessen lieber die normalen Bürger gegen uns auf – mit relativ großem Erfolg, wie man sieht.«

Während Trainor der Erklärung lauschte, begann er zu ahnen, wie schwer es für Danog ut Keltris und seine Leute sein musste, sich auf diesem Planeten heimisch zu fühlen. Sie mochten ihr Leben hier verbringen, Wohnungen haben, vielleicht sogar Familien. Doch ständig zu hören, dass man unerwünscht war, schlug einem unweigerlich irgendwann aufs Gemüt.

Danog verschränkte seine zwölf Finger ineinander. »Aber abgesehen von den Berella und ihren Anhängern sind die Gorm ein gutmütiges, interessantes Volk. Ich habe gormsche Freunde, die nicht müde werden, mir die schönen Seiten ihres Heimatplaneten zu zeigen.«

»Das ist erfreulich zu hören«, sagte Könnilainen mitfühlend.

Morei zog eine entschuldigende Miene. »Ich will ungern das Gespräch noch einmal auf die Berella lenken, da sie wie ein ungemütlicher Haufen klingen, aber wenn diese Demonstranten dort draußen von Berella-Propaganda angestachelt worden sind, warum unternehmen Sie dann nichts gegen die Menge?«, fragte sie, stützte eine Hand auf die Fensterbank und beugte sich vor. »Die Versammlung wirkt sehr aggressiv auf mich und will Sie als terranisch-babylonischen Botschafter offensichtlich unbedingt loswerden. Natürlich auch uns, aber Sie sind dauerhaft hier, Mister ut Keltris.« Sie machte einen beunruhigten Handschlenker zum Fenster. »Noch brüllen die nur – doch wer weiß? Bei solchen aufgebrachten Mengen reicht oftmals nur ein Tropfen, um das Fass zum Überlaufen zu bringen.«

Liao Moreis Drang, alles abzusichern, trat wieder an die Oberfläche. Die Chinesin war zwar mittlerweile nicht mehr Sicherheitschefin von Terence Wallis, dem reichsten Menschen der Milchstraße, weil sie sich für Steven Trainor und die KATANA entschieden hatte, doch jahrelange Angewohnheiten ließen sich nicht so einfach ablegen.

»Ich danke Ihnen für Ihre Besorgnis, Miss Morei, aber die Demonstranten dort sind wirklich harmlos«, versicherte Danog ut Keltris erneut. »Ich ignoriere diese lauten Störenfriede einfach – so wie die letzten Jahre auch.« Er hob beruhigend seine sechsfingerige Hand. »Glauben Sie mir. Die Menge dort kann ohnehin nicht auf das Gelände kommen. Dafür sorgen die Wächterautomaten. Diese Metallkäfer sind mit Projektilwaffen ausgestattet, haben eine abschreckende Erscheinung und können mit Scheinwerfern blenden. Das sollte wohl ausreichen.« Da sich die Miene der Chinesin nicht aufhellte, schob Danog hinterher: »Aber falls nicht, haben wir zusätzlich ein Prallfeld zur Verfügung, das wir bei Bedarf aktivieren können – zum Beispiel, falls diese Leute wieder anfangen, mit Steinen zu werfen.«

Beim letzten Satz sah er nach draußen. Das Licht, welches hereinfiel, ließ seine Schuppen in einem schönen Blaugrün schimmern.

»Allerdings muss ich zugeben«, fügte Danog mit leiser Stimme hinzu, »dass ich mich manchmal frage, ob es richtig war, um ein eigenes Gebäude zu bitten. Als unser Botschaftsdomizil sich noch im Zentrum Tediruuns im Regierungssitz befunden hatte, mussten wir nur wenige Male pro Monat Großdemonstrationen dieser Art ertragen. Seit meine teilweise terranischen Mitarbeiter und ich in dieses Gebäude gezogen sind, scheinen wir jedoch den Zorn jener Leute erst recht auf uns gezogen zu haben.«

Er seufzte tief, gab sich einen Ruck und setzte wieder sein unheimlich wirkendes, aber freundlich gemeintes Lächeln auf. »Genug davon! Lassen Sie mich Ihnen mein Büro zeigen! Dort ist es gemütlicher als hier auf dem Gang, und es gibt kleine Snacks. Anschließend widmen wir uns Ihrem Anliegen.«

Der Walfe führte seine Gäste durch das Baumhaus. Von innen wirkte das Botschaftsgebäude noch geräumiger als von außen. Zierpflanzen schmückten die Gänge und gaben der Einrichtung etwas Wohnliches, Warmes.

Sowohl Terraner als auch Gorm kamen den Raumfahrern geschäftig entgegen und nickten ihnen freundlich zu. Hinter einer offen stehenden Tür winkte ihnen eine vollbusige Sekretärin zu.

Im Erdgeschoss befanden sich mehrere geräumige Büros und Konferenzzimmer, alle mit rustikalen Möbeln aus Pflanzen und Holz ausgestattet, sowie einem mit Iriserkennung gesicherten Anbau, der nur mit Danog ut Keltris’ Augen geöffnet werden konnte. Dort, so erklärte der Botschafter, lagerten unter anderem sensible Dokumente.

An den Decken hingen kugelrunde, knapp einen halben Meter große Insekten, die ein helles, gelb-grünliches Licht abgaben. Ihre nach unten baumelnden Körper erinnerten Trainor entfernt an reife, übergroße Trauben, wären da nicht die zahlreichen dürren Beine neben der Mundöffnung gewesen, mit der sie sich an den Ranken unter der Decke festklammerten.

Die Wände und Böden des Botschaftsgebäudes bestanden aus verziertem Holz, wirkten jedoch stellenweise instabil oder angegriffen. An solchen Stellen knieten Gorm mit am Baumaterial angelegten Händen. Sie bewegten stumm ihre Münder, als würden sie mit den Pflanzen selbst sprechen. Unter ihren Fingern begannen diese träge zu wachsen, sich zu winden und unnatürliche Formen anzunehmen.

Die Besucher beobachteten neugierig die arbeitenden Baumsprecher.

»Haben die Berella das verursacht?«, fragte Trainor mit einem Kopfnicken zu den Beschädigungen hin.

»Aber nein«, antwortete Danog. »Ein ehemaliger Mitarbeiter hat vor einiger Zeit Umbauarbeiten vorgenommen und dabei leider teilweise die Strukturen nachhaltig zerstört. Die Baumsprecher versuchen seit Jahren, diese Schäden zu reparieren, aber es geht nur langsam voran.« Er hob in menschlicher Manier die Schultern. »Niemand weiß, was dieser ehemalige Mitarbeiter genau angestellt hat. Vielleicht den Boden mit Proteinshakes gedüngt? Wir alle hoffen, dieses Problem in naher Zukunft in den Griff zu bekommen.«

Die Gruppe setzte ihren Weg fort.

Sogar einen Empfangssaal gab es, aber Danog ignorierte ihn. »Mein Büro befindet sich im obersten Stock«, erklärte er. »Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, ein paar Treppen zu steigen.«

In diesem Augenblick kamen die Besucher an einer weiteren offen stehenden Bürotür vorbei. Dort redete ein etwas über fünfzig Jahre alter, schmaler Typ mit dünnem Schnurrbart auf einen ebenso schmalen Mann ein. Ersterer stand, letzterer saß versteift in einem mit Moos gepolsterten Besuchersessel aus Rotholz.

»Wie schaffen Sie es immer, sich in diese Situation zu manövrieren?«, fragte der Stehende mit ringenden Händen. Er wirkte nervös und verärgert zugleich.

Danog ut Keltris blieb an der Tür stehen. »Mister Trust, was machen Sie denn wieder hier? Sie sind doch nicht im Dienst.«

Der Sitzende drehte den Oberkörper zur Tür. Ein glatt rasiertes Gesicht mit braunen Augen und buschigen Brauen wurde sichtbar. »Ah, Herr Botschafter, schön, Sie zu sehen!« Er zog eine Grimasse. »Zu Ihrer Frage: Ich hatte eigentlich nur vor, in Tediruun eine gemütliche Runde mit meinem Sportschweber zu drehen. Aber plötzlich sitzen mir schon wieder die gormschen Behörden im Nacken! Ich sage Ihnen, Herr Botschafter, die haben es auf mich abgesehen!«

Der Stehende schüttelte mit zusammengezogenen Brauen den Kopf. »Ganz im Gegenteil, Mister Trust. Ich habe mit dem Zuständigen gesprochen. Die Behörden wären überglücklich, wenn Sie nicht ständig dazu gezwungen würden, sich mit Ihrer Raserei auseinanderzusetzen.«

»Das war doch ein Versehen! Ich habe nicht gemerkt, wie schnell ich unterwegs war. In Tediruun ist die Geschwindigkeitsbegrenzung einfach lächerlich niedrig.«

Der Stehende knallte seine flache Hand verärgert auf den Bürotisch vor ihm. »Mann, haben Sie denn gar nichts aus dem ersten Vorfall gelernt, als Sie mit Ihrem Schweber ein Gormkind umgefahren haben?«

Da sank Trust auf seinem Sessel zusammen, hob die Hand und führte sie an die Stirn. Nach einer Weile sagte er leise: »Ich habe es nicht vergessen.«

Danog seufzte und ließ seine Iriden einen Augenblick lang nachdenklich auf dem Sitzenden ruhen. Während er blinzelte, verschwanden die senkrechten Pupillenschlitze einen Sekundenbruchteil hinter Nickhäuten. Schließlich sagte er: »Ich halte große Stücke auf Sie, Mister Trust, weshalb Sie bereits einmal mein Stellvertreter gewesen sind. Also bitte, reißen Sie sich in Zukunft zusammen! Ich würde Sie gerne unter erfreulicheren Umständen im Botschaftsgebäude wiedersehen und nicht, weil Sie erneut Ärger mit den Behörden haben.«

Trust wirkte nun endgültig unglücklich.

Danog wandte sich an Trainor und seine fünf anderen Besucher und gab ihnen zu verstehen, dass sie ihm folgen sollten. Die Gruppe nickte den beiden Männern im Büro zum Abschied kurz zu.

Nach einigen Schritten sagte ut Keltris: »Red Trust ist ein guter Mann, wenn man mal von seiner Neigung zur Raserei absieht. Als ich 2069 aufgrund einer privaten Angelegenheit meinen Posten verlassen musste, hat er als mein Stellvertreter gute Arbeit geleistet. Jeremia Stetson, der Büroleiter, den Sie gerade ebenfalls im Büro gesehen haben, ist nur auf meine Anweisung so streng zu Mister Trust, weil ich nicht will, dass dieser sich seine Zukunft mit einer solchen Dummheit verbaut.«

Die nächste Wendeltreppe führte in den mittleren Stock. Dort, so erklärte Danog, hatten sich früher einmal sechs große Wohnungen für Botschaftsangehörige befunden.

»Das Interesse scheint nicht sehr groß gewesen zu sein«, vermutete Nestor Puk und lugte an einer offen stehenden Tür vorbei. Dort standen Holztische in gemütlicher Anordnung verteilt in einem großen Raum. Kleine Blumentöpfe zierten die Tischplatten. Im hinteren Bereich konnte man eine Theke sehen, hinter der eine weitere Tür offen stand. Von dort wehte köstlicher Duft nach Gebratenem, fröhliches Lachen und Geschirrklappern zu den Besuchern herüber.

»Das Interesse an den Wohnungen war tatsächlich nur sehr begrenzt«, bestätigte Danog und zischelte leise lachend. Dabei huschte seine schmale Zunge zwischen den Kauleisten hin und her. »Das stetig wechselnde Personal fand die Vorstellung, direkt in Reichweite ihres Vorgesetzten zu wohnen, wohl nicht allzu erquickend. Sie bevorzugen Tediruun oder einen der Hauptvororte als Zuhause.«

»Schade um den Aufwand, die Wohnungen herzurichten«, meinte John Herget. »Das stellte sicher eine Mordsarbeit für die Baumsprecher dar.«

Der Walfe zuckte mit den Schultern. »Die hiesigen Wohnungen waren eben ein gut gemeintes Projekt, das leider keine Früchte trug.« Er vollführte einen Armschlenker, der die gesamte Umgebung einschloss. »Deshalb wurden vor fünf Jahren Umbauten vorgenommen. Jetzt befinden sich hier oben gemütliche Aufenthaltsräume, ein paar wenige Wohnungen für Mitarbeiter, die nach angefallenen Überstunden spätabends nicht nach Hause wollen, das Wachzimmer für die Nachtschicht und, wie Sie schon mitbekommen haben, die Küche und die Personalkantine. Wenn Sie möchten, können Sie sich später etwas von dort holen. Wan Bao ist ein hervorragender Koch.«

Trainor bemerkte, wie sich auf Moreis Lippen ein Lächeln ausbreitete, das süß war wie goldener Honig.

»Er kocht auch chinesisch?«, fragte seine Verlobte und schnupperte interessiert.

»Bedaure«, erwiderte Danog. »Man glaubt es kaum, aber der gute Mann verabscheut die asiatische Küche. Wan Bao bevorzugt deftige europäische Hausmannskost – zur Freude der meisten unserer Mitarbeiter, wie ich anmerken sollte. Beinahe jeder hier liebt Mister Baos Mahlzeiten.«

Die Gruppe ging weiter und gelangte zur nächsten Wendeltreppe, die in das höchste Stockwerk – Danog ut Keltris’ Reich und das seiner Familie – führte. Auf der obersten Stufe kamen ihnen zwei junge Walfen entgegen. Beide machten den Entgegenkommenden sofort Platz und stellten sich an den Rand des Baumhauskorridors.

»Oh, hallo Vater«, grüßte der Größere der beiden. Sein Angloter war genauso perfekt wie das des Botschafters. »Wir haben Besuch?« Er wandte sich an die Gäste. »Seid willkommen in unserem bescheidenen Zuhause. Ich bin Michel. Das ist mein Bruder Anton.«

Dieser neigte den echsenartigen Kopf. »Fühlt euch bei uns ganz wie zu Hause.«

»Vielen Dank«, antwortete Trainor.

»Wohin seid ihr unterwegs?«, fragte Danog neugierig.

Anton blickte seinen Vater an. »Wir sind gerade auf dem Weg zur Kantine. Das Mittagessen sollte gleich fertig sein.« Seine sechsgliedrige Hand deutete einladend zur Wendeltreppe. »Wollen Sie sich vielleicht anschließen?«, fragte er an die Besucher gewandt.

»Wir würden Sie gern begleiten«, antwortete Morei mit einem bedauernden Lächeln. »Wan Baos Gerichte riechen wirklich sehr gut, aber zuerst müssen wir uns mit dem Botschafter unterhalten. Wir danken Ihnen trotzdem für die Einladung.«

»Natürlich«, erwiderte der junge Walfe verständnisvoll und machte eine auffordernde Kopfbewegung in Richtung seines Bruders. »Dann halten wir Sie nicht weiter auf. Hoffentlich begegnen wir uns bald wieder und haben dann mehr Zeit, uns zu unterhalten.«

»Es wäre uns eine Freude.«

Die beiden jungen Männer gingen die Wendeltreppe hinab und verschwanden hinter einer Biegung.

Danog blickte ihnen hinterher. Seine Schuppen machten dabei fast den Eindruck, als würden sie leuchten, so hell war der Blaugrün-Ton geworden. »Das sind meine Söhne. Sie erfüllen mich jeden Tag aufs Neue mit Stolz. Anton hat sich als herausragender Diplomat hervorgetan, und Michel weist ein unglaubliches Sprachtalent auf.«

Kleine Grübchen bildeten sich auf Moreis Wangen. »Die beiden sind wirklich sehr wohlerzogen und sympathisch. Sind das Ihre einzigen Kinder?«

Danogs Mimik nahm einen sehr zufriedenen Ausdruck an. »Ich bin glücklich sagen zu können, dass ich sogar noch viel mehr Kinder habe. Ganze sechsundzwanzig! Die traurige Wahrheit ist: Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich der Einzige noch lebende meiner Art war. Als mein Heimatplanet Walf von einem KV-Stern zerstört wurde und alle umkamen, auch meine Frau, dachte ich wirklich, es wäre um mein Volk geschehen.« Seine Stimme nahm einen warmen Ton an. »Doch dank der Gentechnik der Gorm ist dies Geschichte, und wir Walfen haben die Chance auf eine neue Zukunft.«

3.

»Das ist mein Büro«, sagte Danog mit einer einladenden Geste.

Ein etwa vierzig Quadratmeter großer Büroraum empfing die Besucher. Hohe Fenster an der Ostseite sowie an der Decke ließen den Raum mit Licht durchfluten. Auch hier hingen die an Trauben erinnernden Leuchtinsekten von der Decke herab.

Eine Handvoll Holzsessel mit grünem, flauschig wirkendem Pflanzenpolster standen ordentlich im Kreis um einen Holzrundtisch verteilt an der rechten Seite des Raums. Eine Bauchflasche mit kristallklarer, honigfarbener Flüssigkeit und gestapelten Gläsern sowie ein großer Porzellanteller mit Gebäck thronten darauf.

Im hinteren Bereich erhoben sich ein rustikaler, sehr ordentlich gehaltener Schreibtisch mit einer kleinen Statue, ein Bürosessel sowie zwei Gästestühle. Die Wände waren mit Bücherschränken und Zierpflanzen zugestellt.

»Setzen wir uns doch formlos dort hin«, lud der Botschafter seine Gäste ein, in den Sesseln um den Rundtisch Platz zu nehmen.

Trainor setzte sich mit dem Rücken zu einem der Bücherschränke und bemerkte erstaunt, wie sich die Form des weichen Pflanzenpolsters sogleich seiner Körperform anpasste. Als er hinunterblickte, sah er, wie die feinen grünen Fäden sich neu ordneten, als wären sie lebendig.

Könnilainen strahlte seine Kameraden begeistert an, während er auf seinen Stuhl zeigte.

Danog lachte leise zischelnd. »Bequem, nicht wahr? Deshalb habe ich sie in mein Büro schaffen lassen. Baumsprecher-Technologie ist selbst in diesen kleinen Maßen einfach fantastisch.«

»Solche Sessel brauchen wir auch«, formte der Finne mit den Lippen lautlos in Richtung seines Kommandanten. Leider wussten sie alle, dass die Gorm nicht mit ihrer Technologie handelten. Die Karrorr hatten es schon vergeblich versucht.

»Bevor wir uns dem Grund Ihres Kommens zuwenden, darf ich Ihnen Kuchen oder Baumsaft anbieten?«, fragte Danog und nahm eines der Gläser in die Hand.

Während sich die Terraner höflich bedienten, da der Botschafter offenkundig beides für sie vorbereitet hatte, kam Liao Morei direkt zur Sache. »Wir sind wegen der mutmaßlich genmanipulierten Flechte hier. Sie haben uns sehr geholfen, als Sie uns in Kontakt mit dem Genwissenschaftler Germon gebracht haben.« Sie verzog unglücklich die Miene. »Das ist nun einige Tage her, und er meldet sich immer noch nicht wieder bei uns. Ein Nachhaken ergibt lediglich, dass er noch Zeit benötigt. Langsam fragen wir uns, ob wir Germon vertrauen können.«

Danog ut Keltris ließ sein Glas voller Baumsaft sinken, an dem er gerade nippen wollte. »Ich verstehe. Deshalb kommen Sie zu mir. Nun, ich kenne Germon jetzt schon seit vielen Jahren. Er hat zum Beispiel mit seiner Expertise und seiner Genialität dazu beigetragen, dass es heute nicht mehr nur einen Walfen in den Weiten des Weltalls gibt. Ich lege meine Hand ins Feuer dafür, dass er vertrauenswürdig ist.«

Trainor nickte langsam. »Sie glauben also nicht, dass er irgendetwas vorhat?«

Danog wehrte voller Überzeugung ab. »Nein. Germon ist jemand, der seine Arbeit über alles liebt – ein regelrechtes Arbeitstier – und darüber hinaus nicht viele Interessen hat. Wenn er so lange braucht, um den Ursprung der Flechte herauszufinden, dann gibt es dafür meiner Meinung nach nur zwei Gründe: Entweder nehmen seine sonstigen Experimente gerade derart viel Zeit in Anspruch, dass er sich nicht mit voller Aufmerksamkeit dem Flechtenfall widmen kann, oder die Flechte enthüllt ihre Geheimnisse nur sehr langsam.«

Bei seiner Begegnung mit den Terranern und Karrorr vor einigen Tagen hatte Germon von unaufschiebbaren Experimenten berichtet und klargestellt, dass er die Flechte nur nebenbei untersuchen könne. Trainor erinnerte sich. Danogs Einschätzung von Germons Charakter schien in dieser Hinsicht zuzutreffen.

»Glauben Sie denn, dass die Gorm überhaupt eine Flechte entwickeln könnten, die gezielt Karrorrwelpen angreift?«, fragte Morei geradeheraus.

Danog stellte das Glas auf den Tisch und blinzelte nachdenklich. »Nun, ich halte es durchaus für möglich, dass die Gorm dazu in der Lage wären. Sie sind Meister der Genmanipulation, was nicht zuletzt die Existenz meiner Kinder beweist.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Aber ehrlich gesagt wüsste ich nicht, warum sie das tun sollten. Dazu kommt noch, dass ich keinen Grund sehe, warum sie überhaupt eine Flechte entwickeln sollten, um ausgerechnet den Karrorr zu schaden. Sie haben mit den Kanoiden im Grunde rein gar nichts zu tun.«

»Was ist mit den Berella?«, warf Jöris Könnilainen ein. »Könnten die hinter der Flechte stecken?«

Die Schuppen des Walfen verdüsterten sich und nahmen einen sumpfigen Grünton an. »Das hingegen halte ich für durchaus möglich. Sie könnten tatsächlich dahinterstecken und es auf die Karrorr abgesehen haben.« Danog strich sich nachdenklich mit den Fingern über das Kinn. »Allerdings könnte man dagegenhalten, dass die Berella eigentlich in erster Linie diejenigen Menschen verabscheuen, die sich auf Külá niedergelassen haben und angeblich die Heimat der Gorm zerstören. Andere Planeten interessieren sie meines Wissens nicht – und ich habe bereits sehr lange mit ihnen zu kämpfen, weshalb ich diese Aussage durchaus unterstreichen kann. So gesehen …« Er verstummte.

Trainor brummte nachdenklich. »Wie viele Karrorr leben denn auf Külá? Hat vielleicht irgendetwas, das sie getan haben, den Unmut der Berella geweckt? Dieses normalerweise sehr friedliche Händlervolk von Kanoiden ist manchmal recht … impulsiv, wie wir aus eigener Erfahrung sagen können.«

»Das ist nicht der Fall«, entgegnete Danog. »Die Karrorr schauen im Grunde nie auf Külá vorbei. Ihr letzter Besuch vor diesem hier liegt lange zurück. Als der zuständige Gorm für den Außenhandel damals ihre Anfrage nach Baumsprecher-Technologie ablehnte, schienen sie sämtliches Interesse an diesem Planeten verloren zu haben. Wir haben demzufolge auch keine karrorrschen Migranten.«

Liao Morei verschränkte die Arme vor der Brust und schürzte irritiert die Lippen. Schließlich sagte sie: »Dann ergibt es für mich eigentlich keinen Sinn, dass die Berella die Karrorr zum Ziel haben sollten.«

»So sehe ich das ebenfalls«, stimmte Danog ut Keltris zu. »Falls die Flechte von den Berella stammen sollte, wäre es logischer gewesen, wenn sie diese auf die Biologie der Menschen abgestimmt hätten anstatt auf die der Karrorr. Schließlich fokussiert sich ihr Handeln darauf, die Terraner von Külá zu vertreiben und die terranisch-babylonische Botschaft zu schließen.«

Trainor war der gleichen Meinung, und auch die anderen schlossen sich an. Es passte einfach nicht zusammen. Vielleicht konnten sie das fehlende Puzzleteil dieses Rätsels finden, wenn sie sich dem Leben der Menschen und Gorm auf Külá widmeten.