Fantasy Dreierband 3005 - 3 Romane in einem Band! - Hendrik M. Bekker - E-Book

Fantasy Dreierband 3005 - 3 Romane in einem Band! E-Book

Hendrik M. Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Fantasy-Romane: Moronthor und der Lockruf aus dem Jenseits (Art Norman) Mond der Werwölfe (Hendrik M. Bekker / Curt Carstens) Die Vision des Mediums von London (Hendrik M. Bekker /Curt Carstens) Aus dem Archiv der Dämonenjäger vom Orden des Nimrod: Aelfric Gemmer und Edgar Weinbaum sind zwei Dämonenjäger im Dienste des Ritterordens von Nimrod. Beide haben schon schwierige Aufträge übernommen, doch dieser ist besonders gefährlich. Sie sollen dem sowjetischen Geheimdienst KGB bei der Jagd nach Werwölfen in der kommunistischen Sowjetunion helfen, doch sie wissen nicht, worauf sie sich einlassen. Als wäre der Kalte Krieg nicht schon gefährlich genug, gibt es eine weitere Bedrohung, die Ost und West in Atem hält. Währenddessen bekommt der Ordensbruder Jack Skinner einen ähnlichen Auftrag in der englischen Provinz. Auch dort soll es eine Werwolfsichtung gegeben haben.

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Art Norman, Hendrik M. Bekker, Curt Carstens

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Inhaltsverzeichnis

Fantasy Dreierband 3005 - 3 Romane in einem Band!

Copyright

Moronthor Urban Fantasy Serie

Moronthor und der Lockruf aus dem Jenseits: Moronthor 1

Der Mond der Werwölfe

Die Vision des Mediums von London

Fantasy Dreierband 3005 - 3 Romane in einem Band!

Hendrik M. Bekker, Curt Carstens, Art Norman

Dieser Band enthält folgende Fantasy-Romane:

Moronthor und der Lockruf aus dem Jenseits (Art Norman)

Mond der Werwölfe (Hendrik M. Bekker / Curt Carstens)

Die Vision des Mediums von London (Hendrik M. Bekker /Curt Carstens)

Aus dem Archiv der Dämonenjäger vom Orden des Nimrod: Aelfric Gemmer und Edgar Weinbaum sind zwei Dämonenjäger im Dienste des Ritterordens von Nimrod. Beide haben schon schwierige Aufträge übernommen, doch dieser ist besonders gefährlich. Sie sollen dem sowjetischen Geheimdienst KGB bei der Jagd nach Werwölfen in der kommunistischen Sowjetunion helfen, doch sie wissen nicht, worauf sie sich einlassen. Als wäre der Kalte Krieg nicht schon gefährlich genug, gibt es eine weitere Bedrohung, die Ost und West in Atem hält. Währenddessen bekommt der Ordensbruder Jack Skinner einen ähnlichen Auftrag in der englischen Provinz. Auch dort soll es eine Werwolfsichtung gegeben haben.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author /COVER W.ÖCKL

© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Moronthor Urban Fantasy Serie

Moronthor lebt auf Schloss Aranaque. Er hat sich dem Kampf gegen die Mächte der Finsternis verschrieben - und die wichtigste Waffe gegen die dunkle Magie ist das Wissen. Moronthor ist ein Gelehrter, aber um die Finsternis zu bekämpfen, muss er magische Waffen einsetzen und seinen Kampf sowohl in dieser als auch in anderen Welten führen. Ihm zur Seite steht seine Assistentin Nicandra Darell.

Moronthor und der Lockruf aus dem Jenseits: Moronthor 1

Art Norman

Der schwere Volvo geriet auf dem Parkplatz ins Schleudern. Das Gesicht der Fahrerin wirkte verzerrt. Ihr Mund klaffte auf zu einem entsetzten, wilden Schrei.

Im nächsten Moment geschah es.

Der Volvo 244 schob sich in zwei geparkte, kleinere Fahrzeuge! Metall kreischte, platzte auf, deformierte sich dröhnend und rumpelnd. Der 2 CV 6 wurde förmlich von der schrägen Schnauze des Schwedenklotzes aufgespießt und in den danebenstehenden Käfer geschoben. Glas splitterte, ein paar Metallstreben reckten sich gen Himmel.

Dann kam Ruhe in das Geschehen. Das dumpfe Summen des Volvomotors erstarb in einem letzten Aufbocken. Abgewürgt! Die Vordertür öffnete sich, und die Fahrerin taumelte heraus, das Gesicht immer noch von Entsetzen gezeichnet.

Grell stach die Mittagssonne auf das Bild ineinanderverkeilter Wagen herab, auf den Schrott und auf das hübsche Mädchen in rotem Pulli und knallengen Jeans.

Und enthüllte etwas Seltsames.

Das Mädchen warf keinen Schatten…

»Aus!« schrie der Bärtige und wedelte wild mit den Armen. Das Surren der beiden Kameras, die das Geschehen aus zwei verschiedenen Perspektiven aufgenommen hatten, erstarb jäh.

»Großartig, Mädchen. Du bist super!« röhrte der junge Mann mit dem Bart in tiefstem Baß. »Einfach Spitze!«

Birgit Hansen wischte sich über die schweißnasse Stirn. Unbarmherzig brannte die Sommersonne auf sie nieder. Am liebsten hätte sie sich Jeans und Pulli vom Körper gerissen und wäre im Bikini herumgelaufen. Aber das ging im Moment nicht. Es mußten noch ein paar Einstellungen abgedreht werden, und in denen wurde sie angezogen gebraucht.

»Puh«, stieß das knapp zwanzigjährige, fast knabenhaft schlanke Girl hervor. »Das war ja Schwerarbeit. Was meinst du, was ich für einen Horror hatte.« Sie sah zu den ineinanderverkeilten Wagen hinüber. »Ich dachte nur: hoffentlich ist die Knautschzone lang genug!«

Peter Brandt grinste. »Bei einem Volvo - aber klar. Sonst hätten wir die Szene in den Wind schreiben können.«

Langsam ging er, den Arm um die Schultern des Mädchens gelegt, um den Schrottklumpen herum, den mittlerweile auch der Rest der Gruppe umringt hatte und dabei wild diskutierte. Von der anderen Seite sah der Volvo geradezu grotesk aus; seitlich zusammengeschoben und zerbeult. Ein schweres Fahrzeug mußte den Stahlkoloß schwungvoll von der Seite her erfaßt und eingedrückt haben.

Sie hatten alle drei Wagen für zwei Blaue auf einem Schrottplatz ersteigert. Billiger hatte der Besitzer der Autoverwertung es nicht machen wollen, und zähneknirschend hatten sie in den sauren Apfel gebissen. Aber egal - das Geld kam ohnehin aus dem Fachbereichsbudget der Hochschule.

Sie waren sieben Studenten, die im Rahmen eines Kunstgestaltungspraxis-Seminars einen Film drehten. Er hatte ein bizarres, fantastisches Thema zum Inhalt, die Spekulation über das Phänomen des Möbius-Streifens. Die Szene mit den ineinanderrasenden Wagen gehörte mit hinein.

Peter Brandt brachte den »wilden Haufen« wieder auf Trab. »Auf, auf!« röhrte sein Baß. »Nächste Szene. Alles klar, Frank?«

Der Angesprochene winkte müde grinsend ab. »Bevor wir weitermachen, schmeiß erst mal ‘ne Cola her«, forderte er.

Peter Brandt stand passend neben der Kiste, die im Schatten unter einem Baum abgestellt war. Er griff zu und warf Franz Wrantisek die Flasche zu. Der Student fing sie geschickt auf und kappte den Verschluß mit einem Schraubenschlüssel, mit dem er Minuten zuvor noch an dem schrottreifen Volvo herumgewurstelt hatte.

Brandt, der so etwas wie den Regisseur darstellte, klopfte Birgit Hansen auf die schmale Schulter. »Mach dich schon mal bereit.«

Das schwarzhaarige Mädchen mit den katzenhaften Augen nickte ernsthaft. Sie sah zu jenem skurrilen Gebilde, das Franz, Ina und Peter in mühevoller Kleinarbeit aufgebaut hatten.

Franz setzte die Colaflasche ab und nahm die Kamera zur Hand. »Einstellung 84-1.« kommandierte Peter profihaft. Ina hielt die Klappe vor die Kamera, und Franz ließ den Film sekundenlang surren. Dann zog das Mädchen die Klappe zurück.

Die Kamera nahm Birgit auf, die wieder aus Richtung der beiden Wagen getaumelt kam, das Gesicht im gespielten Entsetzen verzerrt. Klasse, dachte der Kameramann. Das Mädchen ist Spitze, wir brauchen nichts zu wiederholen - gar nichts!

Er zoomte, bis er ihr Gesicht in Großaufnahme hatte, dann schwenkte er die Kamera auf dem Stativ herum und richtete sie auf eine im Moment freie Fläche des großen Hochschulparkplatzes. Im Moment war jede Menge Freiraum auf dem sonst viel zu kleinen Gelände; es war Mittag, und der größte Teil der Studenten befand sich zu Hause oder im Wohnheim.

»Aus!« bellte Peter.

Das Surren erstarb wieder.

Ina und Walter begannen, das seltsame Gebilde anzuschieben, dorthin, wo die Kamera zielte. Peter begann zu schwitzen. Hoffentlich wirkte das Ding echt genug!

Es handelte sich um eine gefährlich aussehende Raubechse, die aus der fernsten Vergangenheit der Erde zu stammen schien. Ein Gestell aus Metall, Holz und Pappe, bunt angestrichen, mit Stoff und Papier verkleidet, das war die Wirklichkeit! Und in dem Gestell saß Conny Waltmann und sorgte dafür, daß das Pappviech den Rachen aufreißen und die Pranken bewegen konnte.

Jetzt stand das Monstrum richtig.

»Okay«, sagte Peter Brandt leise. »Weiter.«

Die Kamera surrte wieder los.

Das Ungeheuer in Großaufnahme riß den Rachen auf. Spitze Zähne wurden erkennbar, eine rote Zunge bewegte sich mühsam. Dann kam eine Pranke hoch.

Im nächsten Moment stieß das Pappungeheuer ein donnerndes Gebrüll aus!

***

»Aus!« schrie Brandt erregt. »Was war denn das?«

Die anderen Studenten traten langsam näher. »Conny, du hast aber eine verflixt laute Stimme«, witzelte Franz.

Das Mädchen lugte hinter dem Drachenungeheuer hervor. »Was war das?« wiederholte sie Peters Frage.

»Das war nicht Conny«, brummte Wolfgang Ritter. »Hat einer zufällig ein Tonband mitgebracht und spielt hier den Urschrei der heulenden Derwische ab? Den brauchen wir doch erst für die Vertonung.«

»Also - von uns war es keiner!« behauptete Birgit Hansen.

»Wer hat denn dann den Tarzan gespielt? Spukt’s denn hier neuerdings? Verdammt, wer brüllt denn hier?« Achselzucken in der Runde. »Blödsinn«, murmelte Peter verärgert. »Los, wir machen weiter. Conny, noch ein paar Bewegungen.«

Sie räumten das Sichtfeld. Franz begab sich wieder hinter die Kamera. Gleich mußte Birgit in den Aufnahmebereich stolpern und ein paar Meter vor dem Ungeheuer zu Boden stürzen.

Da kam sie auch schon, spielte hervorragend, brach stilgerecht zusammen und lag dann auf Knien und Ellenbogen. Einen süßen Po hat sie, dachte Peter.

Da kam die Katastrophe.

Jäh, wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel.

Ein gellender Schrei, diesmal aus einer menschlichen Kehle, erscholl.

»Aaahhhh…«

Und der Filmdrache stand in hellen Flammen…!

***

Keiner der sieben ahnte, daß sie seit einigen Minuten beobachtet wurden. Die beiden Menschen, die den Filmern zusahen, waren erst gerade eingetroffen und standen nun im Schatten einiger Bäume, völlig unbeachtet.

Moronthor hatte wieder einmal einer Einladung zu einem Gastvortrag über Parapsychologie Folge geleistet. Den Vortrag hatte er hinter sich gebracht, ebenso die nachfolgende Diskussion, und war jetzt auf dem Weg zu seinem Mietwagen. Dabei stieß er zufällig auf die Studenten, die die Mittagszeit nutzten, ein paar Szenen abzukurbeln.

Nicandra fiel auf, daß der Professor interessiert das Mädchen in Jeans und rotem Pulli anstarrte. Sie verpaßte ihm einen Rippenstoß.

»He, bin ich dir nicht mehr schön genug, oder was? Du wirst mir doch nicht untreu?«

Der Professor wirbelte gewandt wie eine Katze herum. Sein Zeigefinger berührte Nicandras Nase. »Eifersüchtig, Mademoiselle Darrell? Aber ich muß doch sehr bitten…«

»Du bist ein herrlicher Quatschkopf«, stellte Nicandra fest, hob den feingeschnittenen Kopf etwas und nahm Moronthors Fingerspitze zwischen die Zähne. »Happ«, machte sie.

»Huch«, tat der Meister des Übersinnlichen entsetzt und schlenkerte den Finger hin und her, als sei er tatsächlich verletzt worden. »Du bist doch nicht etwa unter die Kannibalen gegangen? Denke daran, daß ich derart dämonische Auswüchse bekämpfe…«

Er griff zu und zog das Mädchen an sich. Dabei fiel sein Blick wieder auf die Gruppe von Studenten. Von einem Moment zum anderen wurde er wieder ernst.

»Du, wir kämpfen heute abend im Hotel weiter, ja?« schlug er vor. »Weißt du, warum ich dieses Mädchen so intensiv mustere?«

»Weil du sie bezaubernd findest und sie vernaschen möchtest«, vermutete Nicandra naserümpfend. Daß das nicht stimmte, wußte sie nur zu gut. Moronthor war trotz seines blendenden, athletischen Aussehens alles andere als ein Schürzenheld. Aber sie zog ihn doch so gern auf…

»Unsinn«, murrte Moronthor. »Fällt dir an ihr denn gar nichts auf? Sieh mal genau hin.«

Nicandra sah.

Ihr Gesicht wurde blaß. Sie beugte sich noch etwas vor. Schlagartig wurde auch sie todernst.

»Sie wirft keinen Schatten«, stieß die Sekretärin des Parapsychologen bestürzt hervor.

In diesem Moment erscholl das donnernde Gebrüll des papiemen Drachens.

***

Dr. Hans Artner, der Seminarleiter der Filmemacher, sah in jenem Moment rein zufällig aus dem Fenster seines Arbeitszimmers. Aus dem siebten Stock des riesenhaften Gebäudekomplexes hatte er eine hervorragende Aussicht.

Unter ihm erstreckte sich das Parkplatzgelände. Artner schmunzelte, als er die Filmer sah. Sie waren eifrig bei der Arbeit, die sich nicht nur auf die drei vorgeschriebenen Stunden beschränkte.

Plötzlich erstarrte er.

Flammen schlugen aus dem Drachen!

Artner kannte das Drehbuch. Trickaufnahmen waren jede Menge vorgesehen, aber keine Szene, in der der Drache in Flammen aufging. Und das mitten auf dem Parkplatz!

Jäh wirbelte der Dozent herum, seine Hand riß den Telefonhörer von der Gabel. Mit fliegenden Fingern wählte er die Hausmeisterei an.

»Hier Artner. Feuer auf dem Parkplatz…«

»Schon gesehen«, scholl es aus der Muschel. »Verdammte Hektik…«

Knack. Die Leitung war tot. Der 39jährige Kunstdozent warf den Hörer achtlos auf die Gabel, war mit einem Schritt wieder am Fenster und beobachtete mit fliegendem Puls das Geschehen.

Einzugreifen vermochte er selbst nicht mehr. Bis er mit dem Lift unten wäre, wären vier bis fünf Minuten vergangen. Der weitgespannte Gebäudekomplex der Gesamthochschule verfügte über mehr als acht Aufzüge hoher Transportkapazität, doch die Doppelkabinen waren stets unerreichbar, wenn man sie benötigte.

Artners Gedanken rasten. Wie konnte der Drache in Brand geraten? Es gab doch gar keine Möglichkeit, Funken entstehen zu lassen. Und Conny Waltmann, die ausersehen war, die Bewegungen des Monsters zu lenken, war Nichtraucherin…

Wie Ameisen sahen die Menschen aus, die jetzt auf den flammenden Drachen zuhetzten. Nicht nur die Studenten wurden aktiv, auch ein Mann und eine Frau, die eigentlich nichts mit dem Geschehen zu tun hatten, griffen ein. Und vom Gebäudekomplex her hetzten zwei der technischen Angestellten mit Feuerlöschern heran.

Aufs äußerste gespannt, erwartete Dr. Artner den Ausgang des dramatischen Geschehens…

***

Mit einem gellenden Schrei löste sich Conny Waltmann aus dem aufflammenden Gerät, stürzte und blieb unmittelbar vor dem Fuß des Drachens liegen. Sie stöhnte schmerzvoll auf.

Brandt und Wrantisek hetzten auf das Mädchen zu. Birgit Hansen sprang auf, wich ein paar Schritte vor dem flammenspeienden Monster zurück, die Hände abwehrend ausgestreckt. Die Flammen zeichneten ein rötliches Muster auf ihr schmales Gesicht.

Brandt und Wrantisek handelten, als hätten sie sich vorher exakt abgesprochen, Einer packte rechts zu, einer links, dann rissen sie die stöhnende Conny hoch und zogen sie mit sich aus der Gefahrenzone. Gerade noch rechtzeitig, denn der erhobene Arm des Drachen brach ab, stürzte mit feuriger Höllenspur funkensprühend dorthin, wo das Mädchen soeben noch gelegen hatte.

Ein Mann und ein Mädchen hatten die Katastrophenstelle ebenfalls gerade erreicht, und im nächsten Moment waren auch die beiden Männer der Hausmeisterei heran. Die Feuerlöscher begannen zu zischen und sprühten den weißen, zu Schaum werdenden Nebel auf das glutende Ungeheuer.

»Unfaßbar«, flüsterte Wrantisek.

Die Flammen ließen sich nicht eindämmen, im Gegenteil, sie brausten nur um so stärker, je mehr Löschnebel in sie hineingesprüht wurde. Es schien, als brenne der Schaum ebenfalls…

»Mein Fuß«, stöhnte Conny und rieb sich den Knöchel. Offenbar hatte sie ihn sich beim Sprung aus dem Drachen verstaucht.

Immer wilder brausten die Flammen, und fassungslose Menschen begriffen nicht, wieso das Feuer nicht erlosch.

Da kam in den großen Mann, der hinzugekommen war, Bewegung. Seine Hände fuhren zur Brust, öffneten ein blütenweißes Hemd und zerrten etwas hervor, das ihm auf der Brust gehangen hatte.

Peter Brandts Augen wurden zu schmalen Schlitzen, ähnlich denen einer Katze. Gebannt starrte er auf die flache Scheibe, die das Sonnenlicht mit silbrigem Schimmer matt reflektierte.

Der Fremde schleuderte den »Diskus« in die Flammen!

Und jäh erlosch das Feuer; zischend, fauchend und funkensprühend wich es einer unfaßbaren Gewalt, einer Macht, die menschliche Sinne nicht voll zu erfassen vermochten.

Nur ein schwarzes Metallgestell, einige Holzfragmente und Asche blieben von dem in mühevoller Kleinarbeit hergestellten Drachen zurück, ließen ahnen, was hier geschehen war…

Und inmitten der Asche lag das silberne Amulett…

***

Birgit Hansen legte den Kopf schräg und sah den Fremden an, der jetzt mit ruhigen, gelassenen Bewegungen die silberne, flache Scheibe wieder an sich nahm und an einem Silberkettchen um seinen Hals hängte. »Sie… sind Sie nicht der Professor aus Frankreich?« fragte sie zögernd.

»Moronthor«, stellte sich der Große vor. Er mochte Ende der dreißig sein, war groß, schlank und wirkte durchtrainiert. Gar nicht wie ein Schreibtischprofessor, wie man ihn sich gemeinhin vorstellt, ein Klischee, das von Witzzeichnungen ständig vertieft wird. Moronthor wirkte anders. Er war ein Praktiker. Graue Augen in einem markant geschnittenen Gesicht musterten das Mädchen intensiv.

»Ich interessierte mich für Ihren Vortrag, konnte aber leider nicht kommen…«, brachte Birgit hervor. Der Parapsychologe faszinierte sie, übte eine ungeheure Anziehungskraft auf die Studentin aus. Sie spürte förmlich, wie Verlangen in ihr aufkeimte, Verlangen nach diesem Mann.

Ina Kirchheim starrte in die Asche, die Hände zu Fäusten geballt. »Drei Tage Arbeit«, murmelte sie in erbittertem Grimm. »Und alles umsonst. Wie konnte das passieren? Peter - wie konnte das passieren?«

Der Bärtige hob die Schultern. »Ich weiß es nicht, Ina«, murmelte er müde. »Vielleicht der Spiegel eines weit entfernt parkenden Autos, der wie ein Laser wirkte…«

Moronthor schüttelte entschieden den Kopf. »Nein«, sagte er. Er spricht erstaunlich gut deutsch, dachte Birgit Hansen überrascht. Der Professor fuhr fort: »Es waren übersinnliche Kräfte. Dämonische, sagen manche. Ich spüre es.« Seine Hand lag auf dem seltsamen Amulett.

Birgit trat auf Moronthor zu, verfolgt von dunkelbraunen, mit goldenen Tupfern versehenen Augen in einem feinmodellierten Gesicht. »Darf ich? Es interessiert mich«, bat sie und legte die Hand auf das Amulett. Jetzt war sie ganz nah bei dem großen Mann, ganz nah. Ihre Finger glitten über eigentümliche Hieroglyphen.

»Es ist warm«, sagte sie überrascht.

»Ja«, nickte Moronthor. »Es ist warm. Und das zeigt mir, daß die Macht des Bösen da ist.«

Er schob das Mädchen auf Armeslänge von sich ab, seine Blicke glitten an ihr hinab bis zu den Füßen. Überrascht hob er die Brauen und betrachtete die scharfen Konturen eines Schattens.

Nicandra hatte die Bewegung verfolgt. Sie entsann sich, daß Birgit Hansen keinen Schatten geworfen hatte. Und das Amulett… sie vermochte es anzufassen, zu berühren, ohne sich daran zu verbrennen. Und doch mußte jetzt noch, nach dem Erlöschen des magischen Höllenfeuers, dämonischer Einfluß vorherrschen, anderenfalls wäre das Amulett längst abgekühlt.

Die beiden Männer mit dem leeren Feuerlöscher sahen sich an, dann wandte sich einer von ihnen an Peter Brandt. »Die Aschen- und Schrottreste können Sie ja selbst entfernen, nicht?« Damit wandte er sich ab und ging davon. Brandt sah den beiden Männern mit gerunzelter Stirn nach.

»Der glaubt wohl, ihm gehört das Gelände hier«, murmelte er verärgert. »So was… dämonische Kräfte, Professor?« griff er das verlorengegangene Gespräch wieder auf. »Wie… wie stellt man so etwas eigentlich fest?«

Moronthor löste sich endgültig von Birgit. »Nun, es gibt Menschen, die über die Fähigkeit der außersinnlichen Wahrnehmung verfügen«, erläuterte er. »Sie spüren solche Einflüsse sofort, mit einer Art sechstem Sinn. Meistens ist es aber dieses Amulett, das mich auf derlei Aktivitäten aufmerksam macht.« Er hielt es Brandt entgegen. »Es erwärmt sich dann. Da es immer noch warm ist, muß die böse Macht noch in der Nähe lauem.«

Die Studenten umringten Nicandra und den Professor und betrachteten das Amulett. Wieder ließ Birgit ihre schlanken Finger mit den rotlackierten Nägeln über die Hieroglyphen gleiten. Nur Moronthor spürte das leichte Energiefading, das entstand. Es schien, als sauge eine unsichtbare Kraft magische Energie aus dem Amulett ab.

Es war eine flache, silbrig schimmernde Scheibe, in deren Mitte ein Drudenfuß prangte. Ein Ring mit den zwölf Tierkreiszeichen, kunstvoll gestaltet, umgab den Drudenfuß und wurde seinerseits von einem Kreis mit Hieroglyphen abgerundet, der aus reinem Silber bestand. Die Hieroglyphen entstammten einer absolut fremdartigen, unbekannten Kultur, hatten bis jetzt jedem Versuch, sie zu entziffern oder zu übersetzen, hartnäckig widerstanden. Moronthor ahnte bisher nur mehr, als er es wußte, daß jedes dieser Zeichen eine bestimmte magische Funktion besaß.

Die Fähigkeiten des Amulettes waren geradezu fantastisch. Nicht nur, daß es unfehlbar jegliche dämonische Ausstrahlung mittels Erwärmung anzeigte, es war auch eine furchtbare Waffe gegen jede Kreatur der Finsternis, von den Wesen der Nacht gefürchtet und gehaßt. Und es besaß eine weitere, unschätzbar wertvolle Fähigkeit: Es vermochte seinen Träger durch Raum und Zeit zu versetzen. Schon mehr als einmal hatte der Professor die Vergangenheit aufgesucht, um dort gegen die Dämonen und Unwesen vorzugehen, die er gnadenlos bekämpfte, wo immer er sie traf.

Moronthor ahnte, daß sich die Fähigkeiten der magischen Silberscheibe noch nicht erschöpften. Immer wieder wurde er aufs neue von Eigenarten überrascht, die das Amulett des Leonardo de Aranaque aufwies. Leonardo… er war ein großer Magier gewesen, doch Moronthor, der jetzige Besitzer des Amulettes, stand ihm in nichts nach.

»Was wollen Sie jetzt unternehmen?« ergriff Nicandra das Wort. Ihr entgingen nicht die verlangenden, abschätzenden Blicke, die Birgit dem Parapsychologen zuwarf. Und sie beschloß, aufmerksam zu sein. Zwar wußte sie, daß Moronthor nur sie und keine andere liebte, doch… es wäre nicht das erste Mal, daß der Professor in eine Falle gelockt worden wäre. Und daß Birgit Hansen keinen Schatten geworfen hatte, gab ihr zu denken!

»Wir werden aufräumen«, sagte Franz bitter. »Stehenlassen können wir den Trümmerhaufen nicht. Mann… die ganze Arbeit, alles für die Katz! Ich könnte mich selbst in den…«

Er sah Nicandra an und verschluckte den Rest des Satzes noch rechtzeitig. Nicandra lächelte, in ihren Augen funkelte es.

»Wir packen mit an«, entschied die Französin. »Und dann«, sie warf Moronthor einen kurzen Blick zu, der ihr zunickte, »können wir uns vielleicht eine Stunde zusammensetzen. Ich glaube, der Chef ist sehr daran interessiert, um welchen Dämon es sich handelt und warum er sich ausgerechnet mit Ihnen beschäftigt.«

Moronthor nickte und schob das am Silberkettchen um seinen Hals hängende Amulett wieder unter das Hemd.

Dann begannen sie aufzuräumen. Nur die ineinanderverkeilten Schrottfahrzeuge blieben einstweilen stehen. Lächelnd sah Moronthor sich den Schrott an. Er war gespannt, wie die Studenten es anpacken würden, die hoffnungslos zerstörten Trümmerhaufen zurück zum Schrottplatz zu schaffen…

***

Der Dämon war erregt. Moronthor war aufgetaucht. Das brachte seine Pläne durcheinander. Er würde weniger Spaß bekommen - weil Moronthor Störversuche unternehmen würde. Der Dämon wußte, daß er nichts dagegen auszurichten vermochte.

Dennoch würde er sein Vorhaben durchführen. Vielleicht gelang es ihm dabei, den Professor in eine Falle zu locken und zu töten. Vielleicht…

Klauen öffneten und schlossen sich aufgeregt. Über reptilhafte Schuppenhaut legte sich glitzernder Schleim. Eine gespaltene Zunge fuhr suchend durch die Luft.

Er mußte den Ablauf des Geschehens geringfügig variieren. Moronthors Aufmerksamkeit zwang ihn dazu. Doch war er sicher, am Schluß auf seine Kosten zu kommen.

Spitze Zähne berührten sich, als das Reptilmaul zuklappte, und verursachten ein schleifendes Geräusch, bei dem ein Mensch schaudernd zusammengefahren wäre. Doch in der unmittelbaren Nähe des Dämons gab es keine Menschen.

Noch nicht…

***

Famwedel knisterten im Wind wie zerspringendes dünnes Glas. Der Wind, der von der Küste herkam, war kühl und brachte salzig riechende Luft mit sich. Die Farne bogen sich fast bis zum Boden nieder, bevor sie zurückpendelten. Sekundenlang knisterten grelle Funken zwischen den Spitzen der Pflanzen und dem Erdboden. Bläulicher Schein lag über dem Gewächs.

Einige gepanzerte Tiere näherten sich, riesige, alptraumhafte Kreaturen, die der Urzeit der Erde entsprungen zu sein schienen. Die kräftigen Homplatten auf ihren Körpern reflektierten das Licht einer grellweiß flammenden Sonne im Zenit. Weit im Hinterland erhoben sich spitze Vulkankegel über die Ebene. Ein feuriger Streifen lag dort am Himmel; zuweilen erklang dumpfes Grollen.

Der Boden war steinhart. Es schien seit Monaten nicht mehr geregnet zu haben; feine Risse durchzogen die lehmige Ebene. Dennoch wuchsen die Farne hier, doch sie schienen nicht auf Wasser angewiesen zu sein.

Eine der Panzerechsen hob den klobigen Kopf, nahm Witterung auf. Ein heißer Luftstrom schnob aus den Nasenöffnungen. Das Tier grunzte unwillig, als ahne es eine lauernde Gefahr.

Die anderen Tiere verharrten.

Leise sang der Wind in den Famen.

Und noch etwas sang, doch vermochten die Gehörsinne der Echsen den Klang nicht von dem der Farne zu unterscheiden.

Lautlos, unsichtbar fast, glitt die Spinne heran. Sie hatte sich nahezu perfekt der Umgebung angepaßt. Und das singende Geräusch, das sie von sich gab, überdeckte das leise Kratzen ihrer Klauenfüße, die über den hartgetrockneten, rissigen Lehmboden schabten.

Sieben Punktaugen nahmen das Bild der Echsengruppe in sich auf. In den Giftdrüsen wurden erhöhte Mengen eines säureähnlichen Stoffes produziert. Der Herzschlauch der Spinne begann, rascher zu pulsieren. Chitinmuskeln wurden gespannt.

Die Spinne war bereit zum Sprung!

***

Laute Musik dröhnte aus den Boxen. Nicandras Finger klopften den Takt mit. »Take a chance on me…« Moronthor hob anklagend den Kopf zur Decke. »Läßt sich der Krach denn nicht leiser drehen?« murmelte er.

Sie hatten sich in der »Pinte« getroffen, wie die Lokalität in den Kellerräumen des Studentenzentrums beschildert war. Im Erdgeschoß befand sich eine große Snackbar nebst anliegenden Aufenthaltsräumen, darüber die fast unbesuchte Mensa, nur von einigen wenigen Studenten benutzt, die sich kein anderes Essen leisten konnten. Die Mensa war kalt, tot, unfreundlich gestaltet, eine völlige Fehlplanung der Architekten. Man konnte sich einfach nicht in den Räumlichkeiten wohlfühlen.

Im Keller residierte der AStA, direkt daneben war die »Pinte«, erfüllt von Sitzgruppen, undekorativem Rohrgestänge unter der Decke, durstigen Studenten in den Sitzgruppen und auf der kleinen Tanzfläche sowie an der Theke und lauter Musik aus den dröhnenden Stereoboxen. »Laut ist schön«, behauptete Babsy Castor, die siebte im Bunde der Filmemacher. Moronthor schüttelte sich.

Dennoch »lauschten« seine feinen Sinne unhörbaren Impulsen seines Amuletts. Irgend jemand in der Gruppe der Studenten barg dämonische Kräfte in sich, doch war Moronthor nicht in der Lage zu erkennen, um wen es sich dabei handelte. Sein Verdacht lag vordringlich auf Birgit Hansen, doch wenn er dann wieder daran dachte, daß sie das Amulett berührt hatte, zweifelte er wieder.

Birgit hatte sich direkt neben dem Professor niedergelassen und nippte an einer Cola. Hin und wieder sah der Meister des Übersinnlichen sie an; wäre sie ein dämonisches Wesen oder von Dämonen beherrscht, hätte sie sich sicher in seiner Nähe unwohl gefühlt. Doch dies war offensichtlich nicht der Fall.

Doch warum hatte sie keinen Schatten geworfen?

Auch Dr. Artner hatte sich inzwischen wieder eingefunden. »Was wollen Sie nun unternehmen?« wandte er sich an Peter Brandt.

Brandt setzte das Bierglas mit einem Huck ab und strich sich mit zwei Fingern durch den Bart. »Wir werden weitermachen, was sonst?« brummte er. »Wir basteln einen neuen Drachen und drehen die Szene noch einmal. Vielleicht können wir einiges verwerten, was wir heute noch aufgenommen haben. Der brennende Drache läßt sich vielleicht dazwischenschneiden, so als Einblendung…« Nicandra beugte sich interessiert vor. »Um was geht es eigentlich in diesem Film?«

Brandt lächelte die hübsche Französin an. Das Mädchen mit der Vorliebe für ständig wechselnde Frisuren trug das Haar heute schulterlang und silbrigviolett schimmernd. Leicht verwirrt bemerkte Brandt das wechselnde Farbenspiel ihrer Augen, das Kommen und Gehen der kleinen goldenen Tupfen in ihren braunen Augen.

»Sie kennen das Phänomen der Möbiusschleife?« fragte Peter. Nicandra nickte. »Sie meinen den Papierstreifen, der zu einem Ring zusammengeklebt wird, aber in sich verdreht…«

»Und der zwei Seiten, aber nur eine Oberfläche hat«, ergänzte der Student. »Fährt man mit dem Finger über die Außenseite, gelangt man durch die Verdrehung automatisch auf die Innenseite, sobald der Ring vollzogen ist. Sehen Sie, und genau diese Sache haben wir uns zum Thema genommen. Es ist eine fantastische Spekulation - eine Art Science-Fiction… Über eine Dimensionsschleife in dieser Machart wird unsere Welt mit einer dämonischen Urwelt verbunden, Wesen kommen von drüben nach hier und umgekehrt. Daher dieser schöne Drache, der zum Feuerteufel wurde…«

Nicandra nickte. »Interessant. Aber doch bestimmt eine Menge Arbeit mit Trickaufnahmen und so…«

Franz Wrantisek verzog das Gesicht. »Die sind nicht einmal das Schlimmste. Mit den einfachsten Mitteln lassen sich zuweilen die irrsten Effekte erzielen. Ich frage mich, warum bei Kommerzfilmen immer ein so gigantischer Aufwand getrieben wird und man mit den Millionen nur so um sich wirft. Das wildeste dabei ist, daß bis auf Birgit keiner von uns vernünftig schauspielern kann. Dann hängen die Leute vor der Kamera wie ein Faß Butter und müssen sich jede Bewegung dreimal vorführen lassen.«

Dr. Artner lachte leise. Es war ein eigenartiges Lachen, das mehr einem asthmatischen Hüsteln glich. Moronthor sah auf. »Sie sind der Dozent?«

Amer nickte. »Was die Leute mir schon alles an Nervenkraft abverlangt haben. Dies muß beschafft werden, jenes organisiert werden, und dann sollte ich auch noch die Autos besorgen, nee.« Dabei schmunzelte er. Plötzlich wurde er ernst. »Wie konnte überhaupt der Brand entstehen?«

Allgemeines Achselzucken. »Professor Moronthor meint, parapsychische Kräfte seien am Werk.«

Artners Gesicht verschloß sich. Es war deutlich zu erkennen, daß er von derartigen Spekulationen nicht viel hielt. »Die Arbeit ruft«, entschuldigte er sich und erhob sich. »Ich muß noch einiges vorbereiten.«

Moronthor sah ihm nachdenklich hinterdrein. Dabei konzentrierten sich seine geistigen Impulse und wurden von dem Amulett gebündelt. Er tastete nach dem Dozenten.

Im Ausgang der »Pinte« fuhr Dr. Artner ruckartig zusammen, taumelte etwas, lehnte sich an den Türrahmen. Er wandte den Kopf. Moronthor verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. Halb richtete er sich auf, starrte zu dem Dozenten hinüber.

Dr. Artners Gesicht glich einem Totenschädel, weit aufgerissen der Mund zu einem entsetzlichen Schrei, der niemals ertönte. Seine Augen schienen funkelnde Diamanten zu sein. Und sein Schatten…

Moronthor unterdrückte einen erstaunten Ausruf. Artners Schatten war gegen das Licht gerichtet, wuchs zu einem überdimensionalen Ungeheuer, das mit furchterregenden Klauen nach der Gruppe der Studenten griff…

Jäh schwand die Schreckensvision wieder. Artner sah sich etwas hilflos um, wandte sich dann wieder ab und verschwand im Korridor.

Moronthor erhob sich. »Ich bin gleich wieder da«, erläuterte er. »Ich habe doch glatt vergessen, ihn noch etwas Wichtiges zu fragen…«

Nur Nicandra und Birgit sahen ihm aufmerksam nach, als er Dr. Artner verfolgte.

***

Der kantige Reptilschädel bewegte sich kaum. Die gespaltene Zunge fuhr wie suchend hin und her, nahm Gerüche und Ausdünstungen in sich auf, gab sie an das Zentralnervensystem weiter. Ghoon zeigte sich befriedigt. Es war ihm gelungen, Moronthor zu verwirren, eine falsche Spur zu legen. Doch dabei sollte es nicht bleiben.

Der Dämon begann, Gefallen an dem Auftauchen des Dämonenkillers zu finden. Es brachte Abwechslung. Und immer sicherer wurde Ghoon in dem Bewußtsein, daß Moronthor seiner Falle nicht mehr entrinnen können würde.

Aus der Dimensionsfalte heraus beobachtete Ghoon die weiteren Reaktionen Moronthors. Der Echsenkörper war angespannt, der lange, schuppige Schwanz peitschte erregt durch die Luft.

***

Gespannte Muskeln wurden blitzartig gelöst. Der Körper der nahezu unsichtbaren Spinne schnellte durch die Luft, über Farne und Gräser hinweg.

Die vorderste Echse ahnte die Gefahr in dem Moment, in dem sie akut wurde. Das massige, gepanzerte Tier stieß sich vom Boden ab. Doch so schnell es auch war, die Spinne war schneller. Mit einem dumpfen Laut prallte sie auf den Rücken der Echse, krallte ihre mit Widerhäkchen versehenen Chitinfüße in den Schuppenpanzer. Ein röhrender Schrei entrang sich dem Maul der Echse. Noch während sie vom Sprung wieder auf den Boden prallte, handelte die Spinne.

Ein peitschender Knall hallte über die Ebene, als der Giftstachel, getrieben vom organischen Kompressor, unter Hochdruck durch die Lederpanzerung der Echse gedrückt wurde. Das säureartige Gift entlud sich unter hohem Druck in Fleisch und Blutbahnen des Reptils.

Wie vom Blitz gefällt brach das massige Tier zusammen. Die anderen Echsen ergriffen die Flucht, wollten nicht ebenfalls ein Opfer der Spinne werden.

Sekundenlang verharrte die Spinne, wartete, bis die letzten Reste des Giftes aus dem Stachel geströmt war. Dann zog sie ihn zurück. Zugleich begann ihr Leib wieder zu pumpen, Luft in sich zu saugen, um den organischen Kompressor wieder zu füllen.

Der Prozeß währte fast fünf Minuten.

Dann ging ein Ruck durch die Spinne. Das Insekt richtete sich auf, begann, nach einem bestimmten, instinktgetriebenen Schema über den Körper der Echse zu huschen. Aus fünf Drüsen ihres Hinterleibes drangen hauchdünne Fäden, mischten sich und wurden zu einem klebrigen Gespinst, das dem Schuppenpanzer anhaftete. Schon nach kurzer Zeit war das massige Tier vollkommen eingesponnen.

Die Spinne kauerte sich auf dem Kokon nieder. Sie wartete. Wartete darauf, daß sich das Tier zu einem flüssigen Brei zersetzte, den sie aus dem Kokon herauszuschlürfen vermochte. Denn sowohl das Gift als auch das klebrige Gespinst wirkten zersetzend auf alle Materie, die nicht von Chitin umgeben war.

Die Spinne wußte, daß es nicht mehr lange währen konnte, bis sie den Kokon öffnete. Dann würde ihr Mahl beginnen.

Während dessen musterten die sieben Punktaugen aufmerksam die Umgebung. So stark die Spinne auch war, besaß sie dennoch Feinde, die ihr ans Leben konnten.

So entgingen ihr nicht die winzigen Punkte am Horizont, die rasch näherkamen…

***

Nicandra sah sich um. Hatte keiner der Studenten gesehen, was mit Dr. Artner geschehen war? War das Totenkopf-Phänomen und der wandernde Schatten nur Moronthor und ihr aufgefallen?

Sie wandte sich an Birgit Hansen, die neben ihr saß. »Was war denn gerade mit Ihrem Dozenten los? Er torkelte ja!«

Ein eisiger Schauer lief über ihren Rücken.

Birgit Hansens Augen wurden starr. Noch ehe Nicandra reagieren konnte, sank das Mädchen vornüber und schlug mit dem Kopf auf die Tischplatte.

***

Moronthor holte Artner kurz vor der Treppe ein, die ins Erdgeschoß des Studentenzentrums führte. Seine Hand umschloß das Amulett. Er spürte, wie feine Energieströme von der Silberscheibe ausgingen.

»Dr. Artner?«

Der Dozent wandte sich um. »Was ist denn noch, Monsieur Moronthor?«

Er sah völlig normal aus. Das Amulett blieb gleichbleibend warm. Die dämonische Kraft war nach wie vor in der Nähe, doch immer noch nicht zu lokalisieren. Moronthor hielt Artner das Amulett entgegen.

»Ich habe eine etwas ungewöhnliche Bitte«, begann der Parapsychologe, während er an Artners Gesicht ablas, was dieser von seinem Fachgebiet hielt.

»Und?«

»Berühren Sie bitte das Amulett«, verlangte Moronthor.

Artner zuckte die Schultern. »Wenn das alles ist.« Er wandte sich um und streckte den Arm aus, um das Amulett zu ergreifen, das Moronthor ihm entgegenhielt. Sekunden, ehe er zufaßte, sah der Professor wieder das diamantene Funkeln in den Augen seines Gegenübers. Da griff Artner zu.

Moronthor schrie auf.

Er glaubte, mit der Hand in kochende Lavaströme geraten zu sein. Das schmerzhafte Glühen breitete sich rasend schnell über seinen Körper aus. Wie ein hohngrinsender Totenkopf wuchs Artners Gesicht über ihm auf, wurde sekundenlang zu einem häßlichen Echsenschädel und verblaßte dann. Moronthor glaubte zu schweben. Das Amulett, schrien seine Gedanken. Warum hilft es nicht, warum greift es nicht ein? Ich…

Sein Geist versank in endloser Schwärze und nahm ein höhnisches, schauriges Gelächter als letzten Eindruck mit hinüber in eine andere Welt…

***

Höhnisches Gelächter dröhnte aus Ghoons Echsenmaul. Moronthor war in die Falle gegangen, schnell und zielbewußt. Zu schnell fast für den Geschmack des Dämons. Lieber hätte Ghoon es gesehen, hätte er noch ein wenig mit Moronthor spielen können.

Doch… auch jetzt bot sich noch Gelegenheit zum Spiel. Und nun hatte Ghoon endgültig alle Trümpfe in der Hand. Hier, in dieser Welt, bestimmte er die Regeln des teuflischen Spieles. Hier würde Moronthor auch das Amulett nichts mehr nützen.

Schmatzend schloß sich das Echsenmaul wieder. Der Dämon wandte seine Aufmerksamkeit wieder den anderen Menschen zu. Moronthor war bewußtlos, war zur Zeit ohnehin nicht fähig, etwas zu unternehmen.

Ghoon zeigte sich zufrieden.

***

Der Schrei übertönte das Dröhnen der Musik. Nicandra war die erste, die aufsprang, hatte sie doch die Stimme nur allzugut erkannt! Conny und Peter folgten ihr sofort, die anderen blieben verwirrt zurück und starrten abwechselnd zum Ausgang, und auf die zusammengebrochene Birgit. Zu rasch waren die beiden Ereignisse aufeinandergefolgt. Noch floß das Bier aus zwei umgestürzten Gläsern, rollte ein drittes auf den Tischrand zu, als Nicandra schon den Ausgang erreicht hatte.

Abrupt blieb sie stehen. Ein Echsenwesen stand am Fuß der Treppe, beugte sich über Professor Moronthor!

»Nein!« schrie Nicandra.

Conny prallte gegen sie und schlug die Hände vors Gesicht.

Im nächsten Moment waren Echse und Moronthor verschwunden. Statt dessen stand ein etwas ratloser Dr. Hans Artner dort und sah äußerst verwirrt drein.

Aus dem AStA-Büro stürmten drei Studenten hervor. »Was ist denn hier los?« fragte einer. »Dr. Artner?«

Der Dozent hob hilflos die Schultern. »Ich muß wohl unter Halluzinationen leiden«, sagte er. »Ich glaubte, gerade noch mit Professor Moronthor zu sprechen, und nun bin ich doch hier allein…«

»Sie haben geschrien?« fragte Brandt.

»Ich? Ich schreie nie«, versicherte Artner. Ein verlorenes Lächeln überflog sein Gesicht. »Ich lasse höchstens andere schreien.«

Nicandra sah sich um. Moronthor war nirgends zu sehen.

Schlagartig begriff das Mädchen.

Eine unheimliche Kraft hatte den Professor mit sich fortgerissen, entführt - in eine andere Welt vielleicht, vielleicht in eine andere Zeit… Nicandra entsann sich, daß Moronthor schon häufig Reisen in die Vergangenheit unternommen hatte.

»Kommt«, sagte sie und griff Peter und Conny an den Armen. »Wir müssen uns um Birgit kümmern.«

»Aber…«, brummte Peter verwirrt, »der Professor war doch gerade noch hier…«

»Kommt mit!« wiederholte Nicandra. Sie wußte, daß es sinnlos war, noch etwas zu unternehmen. Der Dämon hatte zugeschlagen. Und er mußte über eine nahezu unglaubliche Macht verfügen, denn Moronthor war durch das Amulett geschützt gewesen!

Sie brauchte Zeit zum Überlegen. Vorläufig galt es jedoch, sich um Birgit zu kümmern. Moronthor mochte sich selbst helfen können.

Im Pintendurchgang warf Nicandra noch einen Blick zurück. Ruhig und gelassen schritt Artner die Treppe hinauf.

In Nicandra verkrampfte sich etwas.

Dr. Artner warf keinen Schatten.

***

Franz und Ina bemühten sich mittlerweile um Birgit. Nach wie vor dröhnte die Musik aus den Boxen. Offensichtlich war niemand auf den Vorfall aufmerksam geworden - oder das Personal hielt das Geschehen für einen der üblichen Studentenulks.

Nach ein paar Minuten öffnete Birgit die Augen. Nicandra erschrak. Die Pupillen des Mädchens waren knallgelb!

»Hast du einen schwachen Kreislauf?« fragte Nicandra vorsichtig. Birgit schüttelte langsam den Kopf. Das Du unter ihnen war spontan gekommen, ganz von selbst.

»Nein«, flüsterte die Studentin. »Ich war weg, ja?«

»Drei Minuten«, sagte Franz ruhig.

»Ich möchte nach Hause«, sagte Birgit.

»Vielleicht habe ich die Hitze heute mittag nicht vertragen. Ich mußte ja unbedingt im Pullover herumlaufen.«

»Okay«, brummte Peter im schönsten Baß. »Wir bringen dich weg. Komm, Franz, faßt du mal an?«

Wrantisek nickte. Jeder legte sich einen Arm des Mädchens über die Schulter, dann verließen sie die »Pinte«. Nicandra sah ihnen nach.

»Ich glaube, wir lösen uns mal auf«, schlug Babsy Castor vor. »Treffen wir uns heute abend noch?«

»Peter und ich haben bis zwanzig Uhr ein Seminar«, wandte Conny ein. »Danach - okay. Wo?«

»Bei mir«, sagte Babsy. »Nach acht also.« Sie wandte sich Nicandra zu. »Kommst du auch?«

Moronthors Sekretärin zögerte, dachte an den verschwundenen Parapsychologen. Sein Verschwinden hing eng mit den Studenten und Dr. Artner zusammen. Vielleicht vermochten sie gemeinsam, einen Plan zu schmieden, gegen das Böse vorzugehen.

»In Ordnung. Ich komme. Wo - wo wohnst du?«

»Paß auf, ich hole dich ab«, erbot sich Ina. »Wo bist du einquartiert?«

»Im Arosa«, erklärte Nicandra.

»Ich bin so gegen acht im Foyer«, stellte Ina fest. »Einverstanden?«

Nicandra nickte.

Die kleine Gruppe zerstreute sich endgültig. Einen Moment spielte Nicandra mit dem Gedanken, in den H-Trakt zu gehen und Dr. Artner zur Rede zu stellen. Doch dann verwarf sie den Vorsatz wieder. Allein konnte sie ohnehin nichts unternehmen. Und nur zu deutlich sah sie die abscheuliche Reptilgestalt wieder vor sich, die sich über Moronthor beugte und dann zu Artner wurde.

Moronthor!

Heißer Atem blies ihr in den Nacken. Irritiert wirbelte Nicandra herum. Doch hinter ihr stand niemand…

***

Uber den ganzen Nachmittag hinweg wurde Nicandra das Gefühl nicht los, daß irgend jemand oder irgend etwas sie verfolgte. Der Unbekannte schien ständig direkt hinter ihr zu sein, doch sobald sie sich umwandte, war sie allein.

Ihre Gedanken kreisten um den Professor. Nicht nur, daß sie seine Sekretärin war - nein, sie liebte ihn und wußte, daß er ihre Liebe erwiderte. Und bei jedem neuen »Fall«, wie sie insgeheim die haarsträubenden Abenteuer nannte, die sie gemeinsam erlebten, bangte sie erneut um ihn. Denn so sehr sie auch gegen die Mächte des Bösen ankämpften, so oft sie die Unirdischen zurückschlugen, besiegten, vernichteten - der Einfluß der Schattenwesen wuchs ständig an, breitete sich immer mehr aus. Zum großen Teil war es falsch verstandener Spiritismus, der sich in irgendwelchen obskuren Sektengründungen äußerte, deren Bosse den einfachen Mitgliedern das Geld aus der Tasche zogen und damit verschwanden - und damit dem Bösen die nötige Tarnung verschafften, das aufgrund dieser Vorfälle nicht mehr völlig ernst genommen wurde. Denn fast jeder Mensch, der das Wort »Teufelsanbeter« vernimmt, faßt sich an die Stirn und murmelt »Spinner«. Nicandra wußte ebenso wie Moronthor, daß es genau das war, was die Kreaturen Asmodis’ erreichen wollten. Um so ungestörter vermochten sie zu operieren, waren auf dem Vormarsch. Nur wenige Menschen nahmen die Bedrohung ernst und kämpften dagegen an. Und einer der Bekanntesten und Gefürchtetsten unter den Dämonenjägem war eben Moronthor.

Und nun war Moronthor verschwunden - trotz seines Amulettes. Es hatte ihn diesmal nicht zu schützen vermocht!

Nicandra gestand sich ein, daß sie diesen Augenblick schon seit langem erwartet, befürchtet hatte. Den Augenblick, in dem das Amulett des Leonardo de Aranaque versagte, seinen Träger im Stich ließ, nicht mehr stark genug war, ihn zu schützen…

Sie hatten zwei nebeneinanderliegende Zimmer im Hotel »Arosa« gemietet, die durch eine Tür verbunden waren. Vorsichtsmaßnahmen dieser Art hatten sich schon oftmals als nützlich erwiesen. Jetzt aber war es zu spät…

Nicandra Darrell trat ans Fenster und sah auf die Dächer der alten Bischofsstadt Paderborn hinab. In den Straßen herrschte hektisches Treiben. Wer unter den vielen Menschen der Stadt mochte schon ahnen, welche Gefahren auf sie lauerten?

Wieder spürte Nicandra den Atem des Unheimlichen in ihrem Nacken. Instinktiv warf sie sich nach hinten, fühlte sekundenlang Widerstand, der urplötzlich verschwand.

Es hatte also tatsächlich jemand hinter ihr gestanden!

Nicandra atmete hastiger. Ihr Herz klopfte. Angst kroch in ihr empor, panische Furcht vor dem Unheimlichen, dem sie schutzlos ausgeliefert war. Die Luft schien plötzlich dumpf und stickig zu sein. Die Französin riß das Fenster auf, sog die frische Luft förmlich in sich hinein.

Etwas raschelte.

Das Unheimliche, Unsichtbare war da - war in ihrer unmittelbaren Nähe, in ihrem Zimmer! Das Mädchen stöhnte unterdrückt. Ihre Blicke flogen im Zimmer hin und her.

»Nein!«

Sie preßte die Hände vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien. Das Grauen packte sie. Entsetzt starrte sie auf das entsetzliche Ding, das sich aus der Wand schob.

Eine riesige Spinne, mannshoch! Ein häßlicher, ovaler Kopf glitt aus der massiven Zimmerwand, haarig, nakelnde Beine tasteten sich voran. Düstere Punktaugen starrten das Mädchen böse glitzernd an.

Nicandra schätzte die Entfernung bis zur Verbindungstür ab. Die eigene Tür zum Korridor vermochte sie nicht mehr zu erreichen, die Spinne war bereits zu nahe. Schabende Geräusche entstanden bei jeder Bewegung des grauenhaften Rieseninsektes.

Nicandra spurtete los, hechtete durch die offenstehende Tür in Moronthors Zimmer. Krachend flog die Tür hinter ihr zu. Ihr suchender Blick erfaßte das Schloß. Der Schlüssel steckte von der anderen Seite.

Etwas fiel in ihrem Zimmer klirrend zu Boden. Die Riesenspinne, die niemals in dieser Welt entstanden sein konnte, folgte ihr.

Nicandra eilte zur Korridortür. Abgeschlossen! Und der Schlüssel lag unten an der Rezeption! Moronthor hatte ihn dort abgegeben, als sie das Hotel verließen.

Da glitt die Riesenspinne durch die geschlossene Verbindungstür, kam schaukelnd näher.

Nicandra schrie. Das Entsetzen, die Todesfurcht griffen mit eisigen Klauen nach ihr. Und immer näher kam das Insekt! Deutlich erkannte Nicandra die Beißzangen, die sich leicht öffneten.

In dem Moment, als die Spinne zum letzten Sprung ansètzte, löste sie sich auf!

Schluchzend sank Nicandra in einem Winkel des Zimmers in sich zusammen. Wie brutaler Hohn klang das spöttische Kichern aus dem Unsichtbaren, das das Verschwinden der Riesenspinne begleitete.

***

Conny Waltmann und Peter Brandt hatten den Seminarraum gerade betreten, als es geschah.

Ein eisiger Windhauch wehte auf sie zu.

Conny zog fröstelnd die Schultern hoch. »He - Fenster zu!« rief sie, Sekunden später erst ging es ihr auf, daß von draußen höchstens die warme Abendluft kommen konnte, niemals aber jene eisige Kälte, die ihr in Sekundenschnelle unter die Haut drang.

Etwas leuchtete grell auf.

Peter Brandt reagierte instinktiv. Mit beiden Händen faßte er zu und riß Conny zurück, fort von dem Aufblitzen, das er in den ersten Augenblicken nicht zu deuten vermochte. Nur eines war ihm klar, daß es Gefahr bedeutete, eine ungeheure Bedrohung, wie sie niemals zuvor aufgetreten war.

Und doch war es zu spät. Denn aus dem Aufleuchten heraus zuckte eine überdimensionale, schuppige Klauenhand und schloß sich blitzschnell um die beiden Studenten. Mit einem jähen Ruck fühlten sie sich angehoben und auf das Licht zugerissen, welches jene unbarmherzige Kälte verstrahlte. Dann wurde es schwarz um sie herum.

Das war so schnell gegangen, daß kaum jemand unter den Kommilitonen ihr Verschwinden wahrgenommen hatte. Einige Köpfe wandten sich zur Tür, von der der Ruf »He - Fenster zu!« erklungen war, sahen wohl noch ein helles Aufleuchten, doch das war auch schon alles.

Eine Halluzination, mehr nicht…?

Niemand kümmerte sich darum. Manche wunderten sich wohl, daß weder Conny noch Peter auftauchten, wenngleich sie doch äußerst interessiert an der Materie waren. Doch vielleicht waren sie an diesem Abend auf einer Fete, hauten mal ordentlich auf den Putz…

***

Babsy Castors kleine Zweizimmerwohnung, die sie mit Ina Kirchhain teilte, war in studentischer Gemütlichkeit eingerichtet. Ein paar Bilder eigener Produktion hingen an den Wänden, um einen flachen Tisch gruppierte sich eine Reihe Sitzkissen. Babsy hatte das Klappbett ausgefahren, um zusätzliche Sitzgelegenheiten zu schaffen. Gedämpfte Musik entströmte dem Tonband, und ein paar Kerzen flackerten leicht vor sich hin und erfüllten das Zimmer mit mäßiger Helligkeit.

Franz Wrantisek war der zweite Ankömmling. Knapp nickte er dem bereits anwesenden Wolfgang Ritter zu. »Wo ist Ina?«

»Holt Birgit und die Französin ab«, erklärte Babsy und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Setz dich. Wenn du Tee haben willst, mußt du dich selbst bedienen.«

Wrantisek nickte und griff nach einer dçr Tassen auf dem flachen Tisch. Suchend kreiste seine freie Hand einen Moment, dann hatte er die Teekanne entdeckt.

Aber er griff nicht zu. Ein riesiger Schatten legte sich über ihn und den Tisch.

Irritiert wandte Franz den Kopf. Doch da gab es nichts, was den Schatten werfen konnte.

»Ist was?« fragte Wolfgang.

»Der Schatten«, meinte Franz verblüfft. »Wo kommt der denn her?«

»Was für ein Schatten?« fragte Babsy. Sie erhob sich von dem Kissen, auf dem sie sich im Schneidersitz niedergelassen hatte.

Im gleichen Moment erloschen sämtliche Kerzen. Zwar war es draußen noch hell, doch hatte die Studentin die Klappläden geschlossen, um eine gemütliche Kerzenschein-Atmosphäre zu zaubern. Schlagartig wurde es im Zimmer dunkel. Und auch aus dem Korridor drang kein Licht mehr herein! Babsy stieß einen spitzen Schrei aus. »Was…?«

Franz setzte die noch leere Tasse bedächtig wieder ab. Das, was eben noch ein überdimensionaler Schatten gewesen war, zeichnete sich jetzt als matt fluoreszierende Silhouette ab.

Jetzt sahen es auch die anderen.

»Hier spukt‘s wohl«, stieß Wolfgang hervor. Franz sah, daß seine Augen in der Dunkelheit leuchteten.

Dann sah er nichts mehr. Eine unsichtbare, riesige Hand schien sich um ihn zu legen und seinen Brustkorb zusammenzupressen. Ehe er das Bewußtsein verlor, vernahm er noch den gellenden Angstschrei Babsys. Dann wußte er nichts mehr…

***

Ina Kirchhain stoppte den R 4 auf einem der Parkplätze auf der dem »Arosa« gegenüberliegenden Straßenseite. Das röhrende Geräusch des durchlöcherten Auspuffs verblubberte. Seit zwei Monaten bereits plante Ina, ihn auszuwechseln, aber es fehlte ihr stets an Geld. Und so hoffte sie beständig, keiner Polizeistreife in die Hände zu geraten.

»Wartest du hier?« fragte sie Birgit. Das Mädchen nickte. Ina stieg aus ihrer »Konservendose«, ließ die quietschende Tür lautstark zufallen und eilte über die Straße. Der Parkuhr schenkte sie keinen Blick. Nach neunzehn Uhr bestand keinerlei Verpflichtung mehr, das gefräßige Ding zu füttern.

Augenblicke später betrat die Studentin das Hotel. Ihr Blick kreiste suchend durch die Halle und fand dann die Französin in einem Sessel. Nicandra war unruhig, das erkannte Ina sofort. War etwas geschehen?

Sie ging auf die Sekretärin zu. Nicandra hörte die Schritte und wandte den Kopf. Dann sprang sie auf. »Ina…«

»Ist etwas passiert?« fragte Ina.

Nicandra zögerte. Konnte sie sich der Deutschen anvertrauen, ohne sich lächerlich zu machen? Doch - es hatte schon genug unheimliche Vorfälle gegeben, deren Zeuge Ina auf irgendeine Weise geworden war. Der entflammte Pappdrache, das Verschwinden Moronthors, der Zusammenbruch Birgits…

»Ich hatte dämonischen Besuch«, erklärte sie. »Eine Riesenspinne tauchte in meinem Zimmer auf.«

Ina riß bestürzt die Augen auf.

»Und?«

»Und verschwand Gott sei Dank wieder«, schloß Nicandra. »Aber ich hatte einen ganz schönen Bammel. Wer weiß, wann das Unheimliche wieder zuschlägt und ob die nächste Begegnung auch so harmlos ausgeht.«

»Komm erst mal mit«, beschloß Ina und hakte sich bei Nicandra unter, um sie mit sich zu ziehen. Nicandra wandte sich noch einmal zur Rezeption um.

Sie erschauderte.

Der Portier trug einen Reptilkopf über dem blütenweißen Hemdkragen spazieren…

Unwillkürlich ging die Französin rascher. »He«, wandte Ina ein, »bist du Schnelläuferin?«

»Sieh dich mal unauffällig nach dem Portier um«, murmelte Nicandra leise. Ina folgte der Aufforderung und zuckte dann die Schultern. »Und?«

Nicandra sah sich nun ebenfalls noch einmal um. Der Echsenkopf war fort; ein ganz normaler Mensch tat seinen Dienst.

Sie verließen das Gebäude und gingen hinüber zu dem ehemals weißen Renault, der mit zahlreichen braunen Flecken versehen war. Nicandra lächelte unwillkürlich. Fahrzeuge, die derart lädiert aussahen, waren manchmal verkehrstauglicher als manche Glitzerkarossen, denen man die versteckten technischen Mängel nicht ansah.

»Du mußt wohl mit der Rückbank vorliebnehmen«, bemerkte Ina und öffnete eine der hinteren Türen. Nicandra zwängte sich in den kleinen Wagen und bemühte sich, ihre langen Beine irgendwie zu verstauen. Ina stieg ebenfalls ein.

Birgit wandte den Kopf. »Hallo, Nicandra!«

»Hallo, Birgit!«

Der Zündschlüssel drehte sich. Nach mehreren Versuchen sprang der Motor knatternd an und hinterließ eine blaue Qualmwolke. Krachend faßten die Kupplungsscheiben, als Ina den Rückwärtsgang einlegte, dann machte der Wagen einen Satz nach hinten und stoppte wild schaukelnd wieder ab. Erster Gang hinein - ratsch!

»Gangschalten ist kein Geheimnis!« lachte Ina unbekümmert. »Warum denn leise?«

»An diese Revolverschaltung könnte ich mich nie gewöhnen!« stellte Birgit fest. Ina lachte. »Ist doch halb so wild. Statt mit dem Hebel zu rühren, schiebst und drehst du nur - das ist alles!«

Röhrend und knatternd arbeitete sich der Wagen vorwärts und erreichte dabei eine erstaunliche Geschwindigkeit.

»Ich mache mir Sorgen um Professor Moronthor«, gestand Birgit. »Ist er noch nicht wieder aufgetaucht?«

Nicandra schüttelte den Kopf, stellte fest, daß Birgit es nicht sehen konnte, weil sie vorne saß, und fügte hinzu: »Bis jetzt noch nicht.«

»Aber ein Mensch kann doch nicht so einfach verschwinden«, wandte Birgit ein.

»Du hast noch nicht erlebt, was Moronthor und ich schon miterlebt haben«, sagte Nicandra. »Sonst würdest du an noch viel schlimmere Dinge glauben.«

Da geschah es.

Ina wollte mit Schwung über die grüne Ampel hinweg in die Neuhäuser Straße einbiegen.

Schlagartig wurde es schwarz vor ihr. Sie hörte einen erstickten Aufschrei, dann war alles vorbei. Sie schwebte in einem dunklen, lichtlosen Nichts, und sie wußte, daß sie nicht allein war.

***

Gerstmaier gehörte zu den Autohändlern, die ein Grundstück pachten, es eventuell einzäunen, eventuell dieses aber auch unterlassen, einen als Büro eingerichteten Wohnwagen daraufstellen und einen Stapel Gebrauchtwagen rundum aufstellen, um diese nach Möglichkeit zu verkaufen.

Gerstmaier konnte zufrieden sein. Drei Fahrzeuge hatte er an diesem Tage verkaufen können und an jedem nahezu tausend Mark verdient. Der Verkauf barg für ihn keinerlei Risiko; er übernahm die Wagen grundsätzlich nur in Agentur und berechnete den Besitzern nebenbei auch noch Standgeld. So verdiente er selbst an Wagen, die monatelang auf dem Gelände standen, ehe sie einen neuen Besitzer fanden.

Jetzt sah er auf die Uhr. Viertel vor acht. Es wurde Zeit, daß er nach Hause kam. Sein Kompagnon war bereits vor einer Stunde gegangen; Gerstmaier selbst hatte noch einige Zeit über der Buchführung und den Vorbereitungen für den nächsten Tag verbracht. Als Sonderservice hatte er jedem der drei Käufer zugesichert, die Fahrzeuge am nächsten Mittag fertig zugelassen und versichert bereitzustellen.

Gerstmaier verließ den Bürowagen und schloß ihn sorgfältig ab, um dann zu seinem Wagen zu gehen, einem Mercedes 250, von dem er aus Gründen der Bescheidenheit das Typenschild entfernt hatte. Es brauchte nicht jeder zu sehen, daß er gut verdiente.

Zufällig sah er zur Kreuzung hinüber und einen weißen Renault 4 mit Schwung in die Kurve gehen. Abfällig zog er die Mundwinkel herab. Der Wagen war in seinen Augen keine fünfzig Mark mehr wert, so verrostet, wie der aussah. Drei junge Frauen darin - nun ja. Studentinnen der Gesamthochschule oder der Fachhochschule wohl, die sich kein anderes Auto oder eine eventuelle Reparatur leisten konnten.

Im nächsten Moment dachte Gerstmaier nicht mehr an den nicht vorhandenen Verkaufswert eines Fahrzeuges, das nicht einmal auf seinem Platz stand. Er dachte nur noch daran, daß er bestimmt am nächsten Sonntag nach zwanzig Jahren Pause wieder in die Kirche gehen würde, wenn der liebe Gott eine Wundertat und seinen dicken Daumen dazwischenhielt.

Von einem Moment zum anderen war der R 4 leer! Keines der drei Mädchen war mehr zu sehen! Und der Wagen befand sich in der Kurve in voller Fahrt! Keine Hand hielt mehr das Lenkrad. So folgte es dem natürlichen Bestreben der Räder, sich in Geradeausstellung zu begeben, und trug den Wagen aus der Kurve. Genau auf das Gelände des Gebrauchtwagenhändlers zu.

»O nein…«, schluchzte Gerstmaier, der genau wußte, was jetzt kam. Wie in Zeitlupe bekam er die Geschehnisse mit.

Der Renault krachte mit dem Vorderrad gegen die Bordsteinkante und flog mit dem Heck hoch und herum, um den Gehweg mit einem wilden Satz zu überspringen, der einem Helldriver alle Ehre gemacht hätte. Der Zielpunkt des Blitzfluges waren drei malerisch nebeneinander aufgebaute Opel Mantas, von denen jeder einen Wert von etwa zehntausend Mark nach DAT-Schätzung repräsentierte. An den hatte sich Gerstmaier zwar nie gehalten, aber…

Metall kreischte. Der Renault war trotz seines Kleinwagenstatus lang genug, alle drei Wagen flachzubügeln. Klirrend platzten Scheiben. Dann blieb der kleine Rostbomber auf seiner rechten Seite auf den Motorhauben der drei eingedrückten Mantas liegen. Das Blubbern des Motors erstarb jäh, dann trat Stille ein, nur noch unterbrochen von gelegentlichem Knacken nachträglich noch nachgebenden Metalls.

Gerstmaier spürte, wie seine Knie weich wurden. Er stützte sich an einem der anderen Wagen ab. Seine Augen mußten ihn getrogen haben, das konnte es doch gar nicht geben!

Drei teure Wagen schrottreif! Die Versicherung, schoß es ihm durch den Kopf. Sie wird nicht zahlen, wird sie nicht! Dann erst kam ihm der Gedanke an die Mädchen im R 4. Er hatte doch keine Halluzinationen gehabt?

Mit federnden Knien, ein schwubbelndes Gefühl im Magen hastete er auf den Trümmerhaufen zu, um den sich bereits eine Gruppe neugieriger Fußgänger gesammelt hatte.

Der R 4 war leer, die Türen verschlossen! Gerstmaier kletterte auf die Haube eines Mantas, dem diese Behandlung jetzt auch nicht mehr weh tat, und starrte in den Wagen. Die Sicherheitsgurte waren eingerastet und hingen schlaff herab!

Wortfetzen drangen an sein Ohr. Gerstmaier taumelte. »Kann jemand… die Polizei…?« murmelte er schwach.

Die Polizei, die nach fünf Minuten aufkreuzte, stand wie Gerstmaier vor einem Rätsel. Den Sicherheitsgurten nach mußte sich jemand im Fahrzeug befunden und dann förmlich aufgelöst haben.

»Aber das gibt’s einfach nicht«, bestimmte Hauptwachtmeister Thomassen. Er klopfte auf das Blech eines der zerstörten Fahrzeuge. »Agenturverkauf, ja?«

Gerstmaier nickte.

»Dann viel Spaß«, brummte Thomassen. »Wir werden ermitteln, wem der Wagen gehört, und dann hoffen Sie mal, daß dessen Versicherung in den Fall einsteigt. Mein Gott, die Schleuder sieht ja gemeingefährlich aus.« Er trat an den Auspuff und brach einen breiten Rostfladen heraus. »Irre, so was. Und das Ding ist uns die ganze Zeit entgangen, oha. Na, der Fahrer wird sein blaues Wunder erleben, wenn er wieder auftaucht.«

»Wenn«, dachte Gerstmaier resignierend. Geister hatte man bisher noch nie zur Verantwortung ziehen können…

***

Dr. Hans Artner schloß die Tür seiner Wohnung auf und trat hinein. Noch ehe er begriff, daß eine schwarze Wand auf ihn zuraste, wurde er bereits von einem ungeheuren Sog erfaßt und in die Schwärze gerissen. Ein wildes, dröhnendes Gelächter verfolgte seinen Übergang in die Lichtlosigkeit einer unheimlichen Nebelwelt.

***

In den ersten Momenten begriff Professor Moronthor nicht, wo er sich befand. Er schwebte in einer lichtlosen Schwärze, glaubte sekundenlang, blind geworden zu sein. Doch dann erkannte er umrißhaft das schwache Glimmen des Amuletts.

Wo befand er sich?

Schwach entsann er sich, daß Artner das Amulett berührt hatte. Dann war jener grelle Blitz gekommen, dann der Sturz in die Dunkelheit.

Es gab kein Oben und kein Unten, kein Rechts und Links, Vom oder Hinten. Moronthor fand keinen Anhaltspunkt, an dem er sich zu orientieren vermocht hätte. Und doch mußte es Bezugspunkte in dieser fremdartigen Schwerelosigkeit geben, denn er glaubte, einen leichten Sog zu verspüren, der ihn mit sich riß.

Das Amulett!

Moronthor konzentrierte seine schwachen Geisteskräfte auf das Amulett, das in solchen Fällen als Verstärker arbeitete. Mit seiner Hilfe konnte er Menschen in Sekundenbruchteilen in Trance versetzen und bis zu einem gewissen Grade auch in ihren Gedanken lesen. Ein echter Gedankenleser hätte mit dem Amulett großartige Leistungen zu vollbringen vermocht.

Moronthors Geist griff nach der Umgebung aus. Da er mit seinem normalen Gesichtssinn nichts wahrnahm, mußte er versuchen, mit Hilfe parapsychischer Kräfte etwas zu erkennen. Der Meister des Übersinnlichen war- nicht gewillt, sich hilflos treiben zu lassen. Er mußte die Initiative ergreifen, versuchen, aus dieser Falle wieder herauszukommen. Denn daß es sich um eine Falle des noch imbekannten Dämons handelte, daran zweifelte Moronthor keine Sekunde lang.

Wie ein unsichtbarer Finger griff das Bewußtsein aus und versuchte, den schwerelosen Raum auzuloten. Doch er fand keine Grenzen. Es mochte ein vollständiges Universum sein, in dem er schwebte - einsam und verloren.

Doch da - da schimmerte etwas!

Moronthor trieb auf etwas zu, immer schneller, wie in einem Fluß, der sich einem Wasserfall nähert. Etwas Mattglühendes in der Schwärze, das rhythmisch aufstrahlte.

Was war es…?

Es schien eine Röhre zu sein, ein Trichter, der in die Unendlichkeit führte. Und während Moronthor in die Trichtermündung hineinglitt, erkannte er, daß es diese Öffnung gar nicht gab, daß die Röhre in sich geschlossen war und an ihren Ausgangspunkt zurückführte. Dennoch befand er sich jetzt in ihr - und doch gleichzeitig wieder außerhalb!

Sein Gehirn war nicht in der Lage, das mehrdimensionale Phänomen zu ergründen. Es mochte so sein wie die Existenz des vierdimensionalen Hyperwürfels, durch Induktion ebenso wie durch die Mathematik zu beweisen, doch wenn es um die Anschaulichkeit ging, versagte der menschliche Geist, war einfach nicht dafür geschaffen, über die drei Dimensionen Länge, Breite und Tiefe hinauszukommen.

Ein Gedanke blitzte in ihm auf. Die Möbiusschleife, über die die Studenten gesprochen hatten - auch sie gehörte zu jenen Phänomenen, war ebenfalls nur schwer zu begreifen…

Sekundenlang hing er dem Gedanken nach, sich in einer überdimensionalen Möbiusschleife zu befinden, hinausgeschleudert zu werden in eine andere, irgendwie umgekehrte Existenz, in der alles völlig anders sein mochte als in der normalen Welt.

Dann war jene Übergangsphase schlagartig abgeschlossen, beendet. Moronthor spürte den Zug der Schwerkraft, kam federnd auf hartem Boden auf. Grelles Sonnenlicht ließ ihn die schmerzenden Augen schließen, die jene Helligkeit gar nicht mehr gewohnt waren.

Er befand sich in einer fremdartigen, unbekannten Welt - hatte die Schleife zur Dämonenwelt passiert!

Das erste Opfer Ghoons war angekommen…

***

Die Spinne hatte Gesellschaft bekommen. Ein zweites Exemplar ihrer Art war wie aus dem Nichts in ihrer unmittelbaren Nähe materialisiert. Den geheimnisvollen Vorgang begriff die Spinne nicht, deren Mandibeln den jetzt weichen Panzer der erlegten Echse aufschnitten, doch sie akzeptierte die Anwesenheit der Gefährtin.

Die zweite Spinne wirkte aufgeregt. Ihr Explosivstachel war halb ausgefahren, als sei ihr eine Beute, die sie schon sicher zu besitzen glaubte, im letzten Augenblick entkommen. Und sie war hungrig.

Doch die erste Spinne war nicht gewillt, ihre Beute zu teilen. Sie saugte, so rasch und kräftig sie konnte, ehe die neu Angekommene begriff, was sich dicht vor ihr befand.

Doch dann fuhr der massige, kugelige Körper mit einem jähen Ruck herum, die Punktaugen richteten sich auf das saugende Exemplar. Die neue Spinne verharrte, verarbeitete das Bild, das ihre Punktaugen den Gangliensträngen zuführten.

Futter! peitschten die Impulse.

Die Spinne schätzte ihre Chancen ab. Dann spannte sie die Muskeln an und sprang!

***

Moronthor hörte das feine Knistern und sah bläuliche Funken überspringen. Pflanzen und Erdboden waren elektrisch aufgeladen! Das konnte höllisch gefährlich werden…

Er überlegte, wohin er geraten sein mochte. Vom Himmel brannte eine strahlend weiße Sonne herab, deren Licht sich mit einem schwachen blauen Schimmer mischte, der von den Farnen und Gräsern ausging. Der Professor ging in die Knie und berührte einen Halm. Irritiert fuhr er zusammen. Ein unangenehmes Kribbeln überlief ihn.

Der Halm hatte sich angefühlt wie Glas. Vibrierendes Glas, das dieses Kribbeln auf ihn übertragen hatte. Ein heller, singender Ton lag über der Landschaft.

Harter, ausgetrockneter Boden. Auf einer Seite eine rauschende Meeresküste, auf der anderen ein vulkanisches Gebirge. Moronthor überlegte. Er war weit in der Welt herumgereist. Eine derartige Landschaft war ihm aber nicht bekannt, er vermochte sich nicht einmal vorzustellen, daß es sie irgendwo geben könnte. Allein die elektrischen Pflanzen sprachen dagegen.

Ein paar Meter entfernt klangen Geräusche auf.

Der Parapsychologe fuhr herum. Unwillkürlich verengten sich seine Augen zu schmalen Schlitzen.

Aus dem Nichts heraus materialisierten Menschen!

Er kannte sie, begriff jäh, was hier vorging.

Die Falle war nicht allein für ihn selbst erdacht worden. Der unheimliche Dämon hatte es aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen auf die gesamte Studentengruppe abgesehen. Moronthor und Nicandra waren nur rein zufällig dazwischengeraten.

Sie tauchten alle nacheinander auf. Und zum Schluß erschien Dr. Artner.

Im Moment seines Auftauchens wurde das Amulett glühend heiß und drohte in Moronthors Händen zu zerschmelzen!

***

»Moronthor!« schrie Nicandra auf. Sie setzte sich in Bewegung und rannte auf den Professor zu. Er fing sie mit einem Arm auf und zog sie an sich, mit der anderen Hand hielt er das Amulett fest. Es war heiß, aber es war eine Hitze, die ihn nicht verbrannte.

Der Dämon mußte sich in nächster Nähe befinden, unmittelbar unter ihnen.

»Ist dir etwas geschehen?« fragte Nicandra etwas ängstlich. Moronthor lächelte. »Nicht mehr als dir, mon cherie. Vorsicht, der Dämon…«

Die Studenten sahen sich betroffen um, versuchten, ihre neue Umgebung zu begreifen. Jetzt erst sah auch Nicandra sich um. Immer noch schmiegte sie sich an Moronthor, dessen Augen sich an der Gestalt Artners festbrannten.

Moronthor näherte sich dem Dozenten. Ein silbriger Lichtschauer floß über das Amulett.

War Artner der Dämon? - Oder war er besessen? Moronthor beschloß, die Probe aufs Exempel zu machen. Er löste sich von Nicandra und blieb direkt vor Artner stehen, der ihm gelassen entgegensah.

»Wer sind Sie, Dr. Artner?« fragte Moronthor halblaut.

Der blonde Mann öffnete den Mund.

Eine gespaltene Zunge zuckte hervor, pendelte hin und her. Die Augen des Dozenten begannen zu glühen.

»Es freut mich, Moronthor, daß du gesund und munter bist«, zischte das Wesen. »Aber du wirst es nicht mehr lange sein. Diese Welt ist deine letzte Station. Es gibt keine Rückkehr. Du wirst hier sterben wie die anderen auch. Und ich werde mich an deinem Tod ergötzen.«

»So ist das also«, murmelte der Professor und riß mit einer blitzschnellen Bewegung das Amulett hoch, preßte es gegen die Stirn Artners. Doch - es geschah nichts!

Die stärkste Vernichtungswaffe gegenüber den Mächten des Bösen versagte, war wirkungslos!

Artner entzog sich dem Zugriff.

»Hier nicht, Moronthor«, lachte er höhnisch. »Hier nicht… Es gibt keine Rettung für dich…«

Von einem Moment zum anderen verwischten sich seine Konturen, verschwammen bis zur Unkenntlichkeit. Sofort ließ das Glühen des Amulettes nach. Der Dämon war fort.

Moronthor betrachtete nachdenklich die Stelle, an der der Dämon gestanden hatte. Das gläserne, singende Gras war niedergetreten.

Die anderen umringten den Professor. Von allen Seiten redeten sie gleichzeitig auf ihn ein. Der Professor hob die Hand.

»Ich brauche ein paar Minuten Zeit, um nachzudenken«, sagte er. »Laßt mich in Ruhe.«

Die anderen wichen zurück. Moronthor kauerte sich dort nieder, wo der Dämon gestanden hatte. Das niedergetretene Gras schien tot zu sein; der Professor spürte kein unangenehmes Kribbeln mehr. Seine Finger tasteten über die Hieroglyphen des Amulettes und kamen auf dem Drudenfuß in der Mitte zur Ruhe.

Nicandra kniete sich neben ihm nieder. »Es funktioniert nicht, Chef?« flüsterte sie.

Moronthor nickte.

»Ich kann damit noch feststellen, ob der Dämon in der Nähe ist, damit hat sich's aber auch schon«, erklärte er. »Es ist fast nutzlos geworden.«

»Ich habe es schon lange befürchtet, daß dieser Fall einmal eintritt«, flüsterte das schlanke Mädchen. Moronthors Hand glitt schmeichelnd über ihren Rücken. »Es gibt nichts, was ewig anhält, auch keine Superwaffe. Irgendwann einmal gibt es immer etwas, das noch stärker ist.«

»Ich glaube es nicht«, sagte der Parapsychologe. »Ich kann es einfach nicht glauben, und ich will es auch nicht. Es kann sich nur um eine Phase der Regeneration handeln. Oder - diese Welt unterliegt einem bestimmten Einfluß, der die Kräfte des Amulettes neutralisiert.«

»Du meinst, wir befinden uns - in einer anderen Welt? Nicht in der Vergangenheit?«

»In der Vergangenheit der Erde hat es solche Pflanzen nie gegeben.« behauptete Moronthor. »Es ist eine andere Dimension, die von Dämonen beherrscht wird, vielleicht ist es auch ein anderer Planet. Wer weiß?«

Ein erstaunter Ausruf ließ die beiden aufblicken. Conny hatte ihn ausgestoßen.

»Die Entfernungen stimmen nicht!« behauptete sie.

Peter Brandt legte ihr die Hand auf die Schulter.

»Woher willst du das denn wissen?«

»Die Vulkanberge waren vorhin noch viel weiter entfernt!« stieß Conny erregt hervor. »Seht ihr das denn nicht? Ich glaube - ich glaube, das Land schrumpft zusammen! Und da…«

Die Menschen sahen in die Richtung, die ihnen Connys ausgestreckter Arm wies. Und dort sahen sie etwas, das sie vorher nicht erkannt hatten. Vielleicht, weil es zu weit entfernt gewesen war…

Eine riesige Spinne, die auf einem weißlichen Kokon hockte. Und neben ihr eine zweite im singenden Gras. Und die sprang!

***

Mit einem dumpfen Laut prallten die beiden Chitinkörper aufeinander. Peitschende Detonationen hallten über die Ebene, als die Explosivstachel ausgefahren wurden. Doch nur einer von ihnen traf.

Damit war der Kampf bereits beendet. Die erste Spinne sank in sich zusammen. Die Giftsäure begann ihr Inneres zu zersetzen. Schon nach wenigen Minuten war nur noch die Panzerhaut übrig, aus der eine stinkende, breiige Masse ausströmte, durch das Loch, das der Stachel geschlagen hatte.

Längst war die zweite Spinne wieder am Pumpen, ihren organischen Kompressor am Füllen. Die Giftdrüsen produzierten wieder. Denn längst hatten die feinen Sinne der Spinne die Wesen wahrgenommen, die rasch näherkamen. Wie dieses Näherkommen zustandekam, war für die Spinne unwichtig. Ihre Intelligenz reichte nicht aus, das Phänomen des schrumpfenden Landes zu begreifen. Sie war nur auf Jagen und Fressen programmiert.

Die Spinne schob den Körper der erlegten Gefährtin vom Kokon herunter. Dumpf prallte der Chitinball auf den Boden und platzte, ohne seinen inneren festigenden Halt, auseinander. Die Reste des stinkenden Breies flossen auseinander.

Rasch fand die Spinne die Stelle im Kokon, an der die Mandibeln ihrer Artgenossen eine Öffnung geschaffen hatten. Die Spinne begann zu saugen. Es war noch genügend Nahrung vorhanden.

Doch die Fremden kamen immer näher. Sie waren klein und schmächtig, wirkten sehr kraftlos. Und irgendwo in den Gedächtniszellen des Gangliennetzes hatte sich ein Bild eines Wesens festgebrannt, dem die Spinne noch vor kurzem in einem fanatisch und unwirklich aussehenden Raum begegnet war. Das Wesen hatte panische Angst gezeigt.

Und diese Abkömmlinge waren von der gleichen Art.

***

»Eine Spinne«, hauchte Nicandra entsetzt. »Es - es ist die gleiche wie in - in dem Hotelzimmer…«

»Was war im Hotelzimmer?« fragte Moronthor. Nicandra berichtete in kurzen, abgehackten Worten.

»Interessant«, murmelte der Parapsychologe. »Unser Freund ist wirklich sehr einfallsreich. Und er spielt gern, muß also noch jung sein.«