Rivalität im Kloster - Silvia Kaufer - E-Book

Rivalität im Kloster E-Book

Silvia Kaufer

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Beschreibung

Karl Heydrich bekommt Besuch von seinem alten Schulfreund, dem Mönch Pater Frederic. Beim gemeinsamen Abendessen erfährt Karl von einem mysteriösen Mord im Kloster. Die offizielle Todesursache ist Herzversagen, doch Pater Frederic weiß mehr. Um Schaden vom Kloster abzuwenden behält er sein Wissen für sich. Er bittet jedoch seinen alten Freund Karl, ihm bei der Aufklärung des Mordes, zu helfen. Rudolf Emmerling, Karls Mitarbeiter und bester Freund begleitet ihn zu diesem speziellen Event Kloster auf Zeit, wo sie den gesamten Alltag mit den Mönchen teilen. Inkognito durchlaufen sie alle Abteilungen und erfahren so pikante Details zu dem mysteriösen Todesfall. Der ermordete Pater war scheinbar sehr unbeliebt. Sein Tod wird nicht von jedem bedauert. Einige Mönche hätten sogar ein starkes Motiv gehabt, ihn umzubringen. Völlig unerwartet geraten Rudolf und Karl dann aber selbst ins Visier der Mönche und befinden sich plötzlich in akuter Lebensgefahr. Die Freundschaft der beiden wird auf eine harte Probe gestellt. Hintergrund ist eine tiefe Männerfreundschaft, die durch unvorhersehbare Ereignisse stark belastet wird. Mit dieser Geschichte wird sehr eindrucksvoll vermittelt, dass eine wahre Freundschaft, durch Vertrauen und Zusammenhalt, jede Situation bestehen kann.

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Rivalität im Kloster

Rivalität im KlosterKapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Impressum

Rivalität im Kloster

Kapitel 1

„Das Essen war wieder so richtig lecker! Ein großes Lob an die Köchin.“ Karl Heydrich zwinkerte seiner Frau Mathilde schelmisch zu, während er seine Serviette ordentlich gefaltet wieder auf den Tisch legte. Dann rieb er sich über seinen satten Bauch und lehnte sich zufrieden lächelnd zurück.

Er genoss die Zeit mit seinen Liebsten und freute sich immer sehr, wenn seine gesamte Familie zum Essen kam. Dann erfuhr er auch immer, was es familiär so Neues gab.

„Schatz, du siehst müde aus. Magst du dich nicht noch etwas hinlegen. Es dauert ja noch ein wenig, bis es Kaffee und Kuchen gibt.“ Mathilde liebte ihren Mann sehr und war immer besorgt um seine Gesundheit.

„Mama hat recht. Außerdem müssen wir jetzt auch wieder weg. Wir haben noch eine Einladung bei Freunden, und da wollen wir bei den Vorbereitungen helfen.“

Ja, so ist das. Es ist immer Leben im Hause Heydrich. Karl liebte es, wenn seine ganze Familie um ihn herum war, aber irgendwann kommt dann auch mal der Zeitpunkt, wo er sich nach etwas Ruhe sehnte. 

So viele Menschen, die alle etwas zu erzählen hatten, das war auf die Dauer anstrengend. Sein Geburtstag stand kurz bevor. In diesem etwas fortgeschrittenen Alter kann man sich ruhig schon mal ein wenig mehr Ruhe gönnen, war mittlerweile seine Einstellung, obwohl er geschäftlich immer noch sehr aktiv war. Ein kompletter Rückzug aus dem Geschäftsleben kam für ihn jetzt aber noch nicht in Frage. Er holte sich ein Buch in der Bibliothek und ging hinaus in den Garten. 

Der wolkenlose Himmel war strahlend blau, es war immer noch ungewöhnlich mild und die Sonne schien so intensiv, dass man hätte meinen können, es wäre ein italienischer Sommertag, dabei war es schon Ende Oktober, somit Herbst in München. Der große Garten war rund um das wunderschöne rustikale Landhaus angelegt. Karl ging vorbei an kleinen Hügeln mit Azaleen und Rhododendren sowie einem originell angelegten japanischen Gartenteil. Die großen Bambusstämme und das hohe Schilfgras gaben diesem Bereich eine gewisse Leichtigkeit. Eingefasst war das Grundstück mit einem schon hunderte Jahre alten Baumbestand. Und dann kam er zu dem wunderschönen Fliederbaum mit seinen dunkelvioletten Blüten.

Eigentlich ungewöhnlich, dass der Baum noch so intensiv blüht, dachte er, während er an den Blüten roch. Seine Blütezeit war ja eigentlich nur von Mai bis Juli. Er setzte sich auf die bequeme Holzbank, die unter dem Baum stand und ließ seinen Blick durch den schönen Garten schweifen. So muss man sich fühlen, wenn man im Paradies ist. So frei, so gelöst und so glücklich, dachte er zufrieden bei sich, bevor er das Buch aufschlug.

Er war etwas erstaunt, denn er stellte fest, dass er leider das falsche Buch gegriffen hatte. Also ging er wieder zurück, über die Terrasse in den Wintergarten. Diesen empfand Karl als besonders gemütlich. Auf der linken Seite standen eine große, hellbeige Wohnlandschaft sowie zwei Sessel. Dazwischen war ein länglicher, oval geschwungener Couchtisch. Außerdem konnte man es sich in der großen Rattan-Affenschaukel, die in der Ecke stand, gemütlich machen. Dieser Raum strahlte mit den Terrakottafliesen und den verschiedenen Pflanzenkübeln ein sehr mediterranes Ambiente aus. Es war ein wundervoller, romantischer Platz, um mit der ganzen Familie zusammenzusitzen oder auch ganz alleine einen leckeren Cappuccino zu genießen.

Es war außergewöhnlich still im Haus. Lediglich aus dem laufenden Fernseher hörte Karl Stimmen. Gerade als er den Fernseher ausschalten wollte, bemerkte er die laufende Dokumentation über ein gigantisches Skigebiet in Italien.

Er legte die Fernbedienung zur Seite und setzte sich gemütlich in seinen Fernsehsessel. Gespannt verfolgte er den Bericht. Er kannte dieses tolle Skigebiet. Vor ein paar Jahren war er einmal dort, zusammen mit seinem Freund Rudolf Emmerling. Sie genossen damals eine wundervolle Zeit und tobten sich beim Tiefschneefahren aus. 

Karl schloss die Augen. Er konnte sich noch sehr gut an diese Zeit erinnern. Vor allem, wie es zu dieser Reise überhaupt kam. Und plötzlich gingen seine Gedanken auf eine Reise, viele Jahre zurück zu einer Zeit, die nicht immer so fröhlich und frei war. Es schien, als würde Karl diese Zeit gerade noch einmal erleben... Realität oder doch nur ein Traum?

Kapitel 2

Es herrschte eine angespannte Stimmung in dem, mit großen Glasscheiben versehenen Büro, welches sich im 5. Stock der Innenstadt von München befand. Draußen nieselte es und die graue Stimmung war, für die im inneren des Raumes bestehende knisternde Atmosphäre keinesfalls förderlich. 

Karl Heydrich, Chef der bekannten Werbeagentur KH Creativpower klappte seine Akte zu und schaute ernst über seinen Brillenrand hinweg. 

„So meine verehrten Damen und Herren, es ist alles besprochen. Hiermit beende ich unsere Sitzung. Ich wünsche Ihnen allen noch einen schönen Tag.“ 

Karl Heydrich nahm seine Aktentasche auf, schloss seine Jacke und begab sich zur Tür. Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum.

„Mama Mia, das war ja mal wieder eine Sitzung, ohne Wenn und Aber. Kerzengerade aus, ohne Rücksicht auf Gefühle.“ Mariella packte ihre Sachen zusammen und schüttelte mit dem Kopf. 

„Mach dir nichts draus. Du kennst unseren Chef doch jetzt wirklich schon lange genug. Er ist direkt und geradeaus und genau das zeichnet ihn aus“, kommentierte Rudolf Emmerling Mariellas Feststellung. Rudolf war schon seit mehreren Jahren in der Werbeagentur als Grafiker beschäftigt. Er war nicht nur ein langjähriger Mitarbeiter sondern auch mit dem Inhaber Karl Heydrich sehr gut befreundet. 

Gerade als die beiden den Raum verlassen wollten klingelte Rudolfs Handy. Mariella hörte interessiert dem Gespräch zu, obwohl es gar nicht für ihre Ohren bestimmt war. 

„Natürlich Claudie, ich bin pünktlich heute Abend“, sagte Rudolf und drückte den Beenden-Button. 

„Oh, eine neue Flamme?“ Mariella zog fragend die Augenbrauen hoch.

„Ja! Schauen wir mal was draus wird“, lachte Rudolf, amüsiert über Mariellas Neugierde. Dann begab sich jeder wieder zurück in sein Büro. 

Karl Heydrich stand, nach diesem wöchentlichen Routinemeeting, gedankenverloren an seinem Bürofenster und schaute in den grauen Novemberhimmel hinein. Es war ein verregneter Tag, triste und grau. Er sah von seinem Büro aus direkt hinunter in die Fußgängerzone. Es waren wenig Leute zu sehen bei diesem Wetter, ganz anders als im Sommer wo ein reges Treiben in der Passage herrschte. Die kleinen Kneipen und Cafés hatten dann ihre Tische und Stühle draußen und die Leute genossen diese autofreie Zone zum Relaxen. Hier traf man sich in der Mittagspause und auch nach der Arbeit noch auf ein Gläschen. Aber zu dieser Jahreszeit schien die Passage fast ausgestorben. Nur ein paar Passanten eilten mit ihren Regenschirmen über die Straße. Er sah auf die vielen dunklen Dächer, die in dem Regen einen gewissen Glanz hatten. Der neu restaurierte Kirchturm ragte, besonders stolz aus all den Dächern hervor. Die Kirchturmuhr schlug immer zur vollen Stunde und Karl genoss das Melodienspiel jedes Mal aufs Neue. Ein Melodienspiel, das alle drei Stunden zu hören war. 

Es war dieser trostlose Monat, den Karl nicht mochte. Er hatte leichtes Kopfweh und ihm war im Moment eigentlich nur danach, endlich nach Hause gehen zu können. Doch so einfach ging das nicht in seinem Job. Er hatte eine erfolgreiche Werbeagentur mit mehreren Mitarbeitern, für die er immer als Ansprechperson da war.

Doch irgendwie hatte er das mulmige Gefühl, dass heute noch etwas passieren würde. Karl schaute auf die Uhr. Es war kurz vor zehn. Ihm verblieben noch ein paar Minuten bis zu seinem nächsten Termin. Dieser Termin wurde sehr plötzlich und mit einer gewissen Dringlichkeit angesetzt, was eher unüblich war. Karl dachte nach, während er seine Finger gegeneinanderpresste. Was war der Grund für dieses Gespräch, was wollten die Herren seines größten Kunden, der Sportartikel-Herstellers Samsonicas. Er überlegte, er grübelte förmlich, kam aber zu keinem Ergebnis. 

Das Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken. Rudolf Emmerling, sein Freund, aber auch engster Mitarbeiter war am Apparat.

„Hallo Rudolf, wie geht´s, wie steht´s?“ freute sich Karl. Wenigstens mal einer der frohe Laune hatte, ging es ihm durch den Kopf. 

„Mir geht es blendend, wie immer. Ich hatte am Wochenende einen kleinen Adrenalinstoß. Na ja, eher einen großen, beim Fallschirmspringen“, kam es lachend zurück.

„Du warst Fallschirmspringen? Jesses Marie! Ich wundere mich immer wieder, was du dir so alles zutraust. Da würden mich keine zehn Pferde dazu bringen. Ich liebe eher das Ruhige und vor allem das Sichere. Beim Skifahren oder beim Golfen brauche ich definitiv keinen Sicherheitsschirm.“ 

Karl musste bei der Vorstellung, dass er an so einem Fallschirm voller Panik hängen würde, selbst herzlich lachen und wusste, dass es soweit aber nie kommen würde. Er selbst war glücklich verheiratet und auf der „braven“ Seite des Lebens angekommen. 

Er kannte Rudolf schon seit vielen Jahren und war stolz auf seinen „kleinen Adrenalinjunkie“, wie er ihn manchmal nannte. Nichts war ihm zu gefährlich, sei es Fallschirmspringen, Klettern, Tauchen, Bungee-Jumpen oder auch Paragleiten. Rudolf war ein „Bonvivant“, der das Leben in allen seinen Facetten voll auskostete. Na ja, wenn man noch so jung ist, geht das ja auch alles, war Karls Überzeugung, obwohl Rudolf gar nicht so viel jünger war als er. Rudolf war seine rechte Hand und in der Firma verantwortlich für den Werbereich via Internet. Und er machte seine Aufgabe hervorragend.

„Warum ich anrufe. Sag mal, hättest du Lust am Wochenende mit Golfen zu gehen. Das Wetter soll hervorragend werden und warum nicht die letzten Sonnenstrahlen genießen?“

„Mhhh... ich weiß nicht?“ Karl überlegte kurz. „Na ja, warum eigentlich nicht?“ 

„Super, da freue ich mich.“

„Rudolf, ich habe gleich einen Termin, aber ich denke, der dauert nicht lange. Vielleicht kannst du ja nachher noch mal in mein Büro kommen? Dann kann ich dir die neue Werbekampagne abzeichnen und wir könnten das auch mit dem Golfen noch absprechen, okay?“ Karl musste das Telefonat beenden, denn in der Türe sah er bereits seine Sekretärin stehen, die ihm mit einem Handzeichen zu verstehen gab, dass sein Besuch da ist. 

„Perfekt! Also bis nachher“, kommentierte Rudolf diesen Vorschlag und bevor Karl noch etwas sagen konnte, hörte er auch schon ein Tuten im Telefonhörer. So kannte er Rudolf. Er war einfach unkompliziert, weltoffen, dynamisch, ein bisschen verrückt und er sagte vor allem ganz spontan, was er gerade dachte oder fühlte. 

Aber jetzt hatte er keine Zeit mehr darüber zu philosophieren. Karl schaute noch mal kurz in den Spiegel, richtete seine Krawatte und begab sich dann zu dem großen Besprechungsraum.

„Hallo Herr Heydrich, schön Sie zu sehen“, kam Herr Dr. Winter lächelnd auf Karl zu, als er den Raum betrat. Karl begrüßte den Vorstandsvorsitzenden von Samsonicas und auch die anderen beiden Herren freundlich. 

„Nehmen Sie doch bitte Platz, meine Herren“, forderte Karl seinen Besuch auf. 

Die Stimmung war leicht angespannt und man spürte, dass irgendetwas in der Luft lag.

„Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“, fragte Karl und gab seiner Vorzimmerdame ein Zeichen, ohne zuerst eine Antwort abzuwarten. Während der Kaffee serviert wurde, überbrückte man die Zeit mit etwas Smalltalk. 

„Sie haben es sehr schön hier“, bemerkte einer der Herren anerkennend, während er seinen Blick schweifen ließ. „So schön groß und einladend, angenehme Farben und die vielen Pflanzen, sie lassen den Raum gar nicht wie ein Konferenzraum aussehen.“

Karl lächelte. „Das freut mich, dass Ihnen die Einrichtung gefällt. Sie sind aber jetzt mit Sicherheit nicht hier, weil Sie mir Komplimente über unsere Räume machen wollen, oder?“ 

Der Vorstandsvorsitzende, Herr Dr. Winter antwortete nicht darauf. Er nippte, leicht nervös an seiner Kaffeetasse und zog dann eine Akte aus der Tasche.  

„Herr Heydrich“, begann er etwas zögerlich. „Wir arbeiten nun seit einigen Jahren sehr eng mit Ihnen zusammen und ich schätze Sie wirklich sehr. Aber dennoch muss ich Ihnen heute mitteilen, dass wir die Verträge zum Ende des Jahres auflösen müssen. In unserem Unternehmen sind leider massive Veränderungen eingetreten.“

Karls Hals wurde trocken, er schluckte. Er hätte mit allem gerechnet, aber nicht damit - niemals. Er hatte das Gefühl, als würde er gleich den Boden unter seinen Füßen verlieren. Samsonicas war sein größter Kunde. Wenn er wegfiel, würde das circa 80% weniger Umsatz bedeuten. Aber noch viel schlimmer, er müsste Mitarbeiter entlassen.  

„Was heißt das?“ fragte er schließlich, um nicht ganz so wortkarg dazusitzen.

Herr Dr. Winter schlug die vor ihm liegende Akte auf. Dann folgte ein Gespräch, das die weitere Zukunft von Karl Heydrich und sein Unternehmen komplett auf den Kopf stellen würde.  

„Es tut mir sehr leid, Herr Heydrich, aber so sieht unsere Entscheidung aus“, vernahm Karl die letzten Worte und er wusste, dass diese gravierende Entscheidung endgültig war. 

„Ja, mir tut es auch sehr leid. Aber wie heißt es so schön: Business is Business“, erwiderte Karl in einem selbstsicheren Ton, während er sich erhob. „Dann danke ich den Herren für den Besuch und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“

Nachdem die Herren den Raum verlassen hatten, lehnte er sich kurz an die Wand. Er atmete tief ein und aus. Was war denn das jetzt? Er brauchte einige Minuten um zu begreifen, was gerade passiert war.  

„Frau Schneider, sagen Sie bitte Herrn Emmerling Bescheid, dass er umgehend in mein Büro kommen soll.“

Exakt zehn Minuten später saß Karl wieder an seinem großen, antiken Schreibtisch. Er war nervös und trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischplatte. 

„Herr Heydrich lässt bitten.“ Mit diesen Worten öffnete Karls Sekretärin die Bürotür und bat Rudolf hinein. 

„Hallo Karl, ich grüße dich!“, rief Rudolf mit freudestrahlender Stimme. Er war sichtlich sehr gut gelaunt. 

„Ich grüße dich auch. Bitte setze dich Rudolf! Nicht, dass du aus den Schuhen kippst, bei dem, was ich dir jetzt sagen werde.“

„Was ist los?“ Rudolf erkannte schon an Karls Haltung und seinem Gesichtsausdruck, dass etwas Unangenehmes passiert sein musste. 

„Samsonicas hat die Verträge zum Ende des Jahres gekündigt.“

„Sie haben was?“ Rudolf riss seine Augen auf. Er konnte es nicht glauben und er wusste was das zu bedeuten hatte. 

„Ja du hast gerade richtig gehört. Aus und vorbei.“

Und dann erzählte Karl seinem Vizepräsidenten und vor allem besten Freund sehr ausführlich, was Herr Dr. Winter ihm gerade unterbreitet hatte. Rudolf hörte ihm sehr aufmerksam zu.

Nachdem er fertig war, kehrte Stille ein. Eine Stille, die Fragen, Kopfschütteln, Unsicherheit und Ratlosigkeit ausdrückte.

„Und nun?“ fragte Rudolf leise und biss sich auf die Unterlippe. 

„Keine Ahnung. Wir haben ja noch ein paar Wochen. Aber in dieser Zeit muss uns etwas einfallen.“

„Na ja“ versuchte Rudolf die Sache etwas zu beruhigen. „Es wird nicht alles so heiß gegessen wie es gekocht wird.“

„Ja, sicher“, bemerkte Karl leicht ironisch. „Und manchmal muss auch erst eine Tür zugehen, bevor eine Andere aufgehen kann.“ Karl verzog seine Mundwinkel. „Sorry, aber im Moment habe ich nicht die Kraft mich mit solchen Weisheiten aufzubauen.“

Rudolf nickte verständnisvoll.

Eine Stunde später verabschiedeten sich die beiden. Sie verabredeten sich für den kommenden Samstag auf dem Golfplatz. Anschließend wollten sie bei Karl zu Abend essen und gemeinsam besprechen, wie es weitergehen könnte. 

Dass alles anders kommen würde als geplant, dass ahnten die beiden in diesem Moment noch nicht. 

Kapitel 3

Karl hatte gar keine Lust, an jenem Samstagmorgen so früh aufzustehen und so verfluchte er bereits beim Aufstehen seine Entscheidung, dem Golfausflug überhaupt zugestimmt zu haben. Aber nach der heißen Dusche wandelte sich seine Stimmung und er freute er sich auf die gemeinsame Golfzeit mit Rudolf. Die Wettervorhersage kündigte einen wunderschönen sonnigen Tag an und wenn man die ersten Stunden in purer Natur erleben wollte, dann musste man halt auch mal früh aus den Federn. Mit diesen Worten munterte Karl sich selbst auf.

Pünktlich wie geplant klingelte Rudolf an der Haustüre und nur eine knappe Stunde später fuhren sie auch schon auf den großen Parkplatz vom Golf Club Bellevue in der Nähe von München, wo sie ihr Auto abstellten.

Es war noch sehr früh am Morgen und es schien, als seien sie alleine auf der Welt. Sie mussten zunächst einen kleinen Spaziergang machen, um zum Eingang des Golfgeländes zu kommen. Dort wollten sie im Clubhaus zuerst frühstücken, bevor sie sich dem Sport hingaben. Die Natur war noch in absolutes Schweigen gehüllt und sie genossen die Stille, die um sie herum war. Hier und da hörten sie einen Vogellaut und den weichen Tritt ihrer Schritte, aber sonst hörten sie nichts. Schweigend liefen sie nebeneinander her und ließen ihren Gedanken freien Lauf. Während Rudolf gedanklich schon bei seinem ersten Abschlag war, dachte Karl gerade an nichts. Er genoss einfach nur diese reine Luft des Waldes, die Stille und die körperliche Bewegung. Zuviel hatte er die letzten Tage überlegt und gegrübelt. Für heute, zumindest bis zum Abend wollte er seinem Geist mal etwas Freizeit gönnen.

Und dann begann auch die Natur so langsam wach zu werden. Sie sahen die Dämmerung, wie sie dem Tag wich. Nebelschwaden stiegen vom Boden hoch und hüllten die Landschaft wie in einen Schleier ein. Im Osten sahen sie bereits einen Lichtstreif am Horizont der sich ganz langsam zu einem roten Sonnenball formte. Beide blieben sie wortlos stehen und genossen diesen wundervollen Anblick. Karl atmete ein paar Mal ganz tief ein und aus.

„Hast du Atemschwierigkeiten?“, fragte Rudolf etwas besorgt.

Karl lachte. „Ach was. Ich genieße nur diese frische Waldluft, diesen wunderbaren hölzernen Duft und diesen Anblick. Es ist so herrlich.“

„Du findest jetzt nicht etwa doch Gefallen an unserem Morgenausflug?“, frotzelte Rudolf ein wenig und kniff Karl freundschaftlich in die Seite.

„Es ist einfach nur wunderschön“, kam es sehr zufrieden und leise seufzend zurück. „Warum kann es nicht immer so schön sein?“

Sie setzten ihren Weg fort und betraten kurze Zeit später das nette Clubhaus, wo sie sich ein deftiges Frühstück schmecken ließen.

Dann packten sie ihre Golfausrüstung und begaben sich entspannt und gesättigt auf den Platz.

„Karl, warte bitte einmal! Mein Bag hat sich geöffnet“, sagte Rudolf, während er die Schlaufe der oberen Klappe schloss. „Okay jetzt ist es zu. Ich bin soweit, du auch, können wir?“

„Na klar, auf in den Kampf!“, antwortete Karl, während er sich seine grün-karierte Mütze aufsetzte.

Die Driving Range war bereits gut besucht. Sie sahen einige bekannte Gesichter. Spieler, die den Übungsbereich beim Golfplatz für ihr Schlagtraining nutzten oder einfach nur, um sich warm zu spielen.

„Beginnst du?“ fragte Rudolf, während er sein Bag beim ersten Abschlag abstellte.

„Gerne.“

Sie schlugen beide ihren ersten Ball auf diesem Par 4, und als sie ca. 120 m vor dem Grün standen, zog Karl sein 7 er Eisen aus dem Golfbag.

Konzentriert ging er in Position. Er holte galant aus und schlug den Ball gekonnt, genau in die Richtung des 1. Grüns. Zufrieden schaute er dem Ball nach, der wunderbar weit flog und dicht neben dem ersten Loch zum Stehen kam.

Karl grinste Rudolf schlitzohrig an.

„Respekt!“ kommentierte Rudolf das Grinsen seines Freundes. „Das kann ich so aber auch. Nein, das kann ich noch viel besser, wetten?“

„Was willst du denn verlieren?“

„Du bist dir ja sehr sicher, dass ich deinen Schlag nicht übertreffen kann, hm?“

Karl antwortete nicht. Stattdessen lachte er nur, während er sein Ping Eisen zurück in das Bag steckte.

„Okay. Falls mein Schlag schlechter ausfällt, bin ich heute Abend für das Abendessen zuständig. Abgemacht?“

„Lieber Gott, bitte tue mir das nicht an und lasse Karls Ball näher am Loch sein als meinen.“

Rudolf kannte Karls Humor und so brachte er sich nach einem lauten Lachen in Position. Er zog seine Schultern etwas zurück, schaute in die geplante Flugrichtung des Balles und führte schließlich seinen Schlag aus. Mit voller Wucht traf er den kleinen Ball ganz exakt, sodass er genau dahin flog, wo er hinfliegen sollte. Er landete in der Nähe von Karls Ball an und rollte noch ein paar Meter weiter. Der Ball traf das Loch genau an der Kante, fiel aber nicht hinein, sondern lief an der Kante entlang und schließlich am Loch vorbei. Genau 1 cm neben dem Loch blieb er dann liegen.

„Bravo, mein Freund, das war große Klasse des Auslippens“, lobte Karl. Insgeheim aber, war er mehr als froh, dass Rudolf sich nun nicht ums Abendessen kümmern musste sondern dies seine langjährige Hausperle Gertrude machen würde. So konnte sie wieder ihre großartigen Kochkünste walten lassen. Karl liebte ihr Essen und freute sich schon auf den kulinarischen Gaumengenuss.

An Rudolfs glänzenden Augen aber konnte jeder Blinde sehen, wie stolz er gerade war.

„Ach übrigens, wir sind heute Abend bei unserem Essen nicht alleine“, erwähnte Karl fast nebenbei, während sie zum nächsten Abschlag gingen.

„Wie nicht alleine? Ich dachte deine Frau sei bei einer Freundin übers Wochenende.“

„Ja, ist sie ja auch. Mathilde ist mit ein paar Freundinnen auf einer Shoppingtour mit Theaterbesuch usw.“

Karl stoppte und wechselte das Bag auf die andere Seite. „Ich habe gestern Abend einen Anruf von jemanden bekommen, den ich schon seit meiner Kindheit kenne, und so habe ich diese Person ganz einfach zu unserem Treffen eingeladen.“

„Aha. Kenne ich die Person?“, fragte Rudolf interessiert.

„Nein, ich denke nicht.“

„Diese Dame ist hoffentlich sehr sexy, gut aussehend, sehr gebildet und steinreich“, ergänzte Rudolf mit einem Augenzwinkern.

„Wer weiß, wer weiß“, konterte Karl lachend. „Aber, wie kommst du denn darauf, dass es eine Dame ist?“

„Ist es keine?“

„Nein. Es ist mein alter Schulfreund Freddy Larsson, auch Frederic genannt. Ein wirklich alter Freund aus ganz früheren Zeiten. Er hat ein Problem, das er mit mir besprechen will und außerdem denke ich, kann er vielleicht auch bei meinem Problem helfen und mir oder auch uns einen Tipp geben.“

„Ahhh, ich verstehe, ein Unternehmensberater.“

„Nein. Er ist ein Mönch.“

Rudolf blieb so abrupt stehen, dass Karl fast über sein Bag stolperte.

„Ein Mönch?“

„Ja, soll es heutzutage noch geben“, grinste Karl. „Pater Frederic wohnt normalerweise in einem Kloster in der Nähe von Rom in Italien. Aus welchen Gründen auch immer war er jetzt für einige Wochen in München im Kloster Sankt Jacobi und wird demnächst auch wieder nach Italien in sein Heimatkloster zurückgehen.“

„Ein Mönch, der ein Problem hat – gibt es das auch? Na ja, ich freue mich auf jeden Fall, ihn kennenzulernen. Sicher ganz interessant, sich mal mit einem Mönch zu unterhalten.“

Karl nickte mit einem Schmunzeln. 

Die Zeit verging wie im Flug und so waren sie auch schon einige Stunden auf dem Golfplatz unterwegs. Manchmal kamen ihnen ein paar andere Golfer entgegen. Man grüßte sich höflich, aber die meiste Zeit waren sie mit ihren Bags und Schlägern alleine unterwegs. Sie gingen gerade am Wasserhindernis vorbei und stellten fest das sie beide noch so frisch und gut gelaunt waren als ob sie gerade eine Runde schwimmen gewesen wären. Keine Spur von Müdigkeit oder gar schmerzenden Beinen.

Und dann kamen sie zum 11. Abschlag, wo Rudolf nun mit seinen Golfkünsten begann.

Der Titleist Ball 1 verließ das Tee mit einem satten ziiing und landete mitten am Fairway.

„Das waren lässige 220 Meter, gerade richtig für einen 10-er Handicapper“, kommentierte Rudolf seinen Abschlag, während Karl seinen Taylor Made Driver zurück in sein Golfbag schob.

„Na ja, da muss ich dich enttäuschen mein Lieber. Das waren leider nur 195“, antwortete Karl und setzte sein Distanzlasergerät wieder ab.

„Mhhh, schade.“

Während Rudolf sich modisch in seiner roten Golfhose, den weißen Schuhen und den halblangen Haaren eher an dem deutschen „Wetten dass“ Moderator Thomas Gottschalk orientierte, bevorzugte Karl eher den dezenten Stil des britischen Gentleman. Karl war ein sehr markenbewusster Typ und legte viel Wert auf ein gepflegtes Aussehen.

Die beiden begeisterten Golfer befanden sich nun an einem herausfordernden Par 5. Rudolf steckte sein Tee ins Gras, legte seinen Ball darauf und lächelte siegessicher.

„So, jetzt drive ich Dich aus mein Freund!“

Selbst überrascht von seinem enormen Schlag, kam sein Ball wirklich sehr nahe an den von Karl heran, aber ausdriven konnte er ihn damit nicht.

Die beiden spielten fast schweigsam die Runde zu Ende und obwohl Karl nichts erwähnte, merkte Rudolf sehr wohl, wie Karls Gedanken im Kopf Purzelbäume schlugen. Er machte sich Gedanken über die Zukunft.

Zum Abschluss tranken sie am 19. Loch noch ein Glas Prosecco und gingen dann gemeinsam zum Parkplatz. Die Fahrt verlief ruhig, denn jeder hing ein wenig seinen Gedanken nach. 

Kapitel 4

Es war bereits kurz nach sechs Uhr. Karl und Rudolf saßen bei einem Glas Wein im Wintergarten und fachsimpelten, so wie immer, wenn sie zusammen Golf gespielt hatten.

Und dann klingelte es an der Tür. Gertrude, die Hausperle, öffnete und brachte den Gast in den Wintergarten.

„Frederic“, Karl sprang auf und ging freudestrahlend auf seinen alten Freund zu. „Das ist ja schön, dich mal wiederzusehen. Komm rein alter Freund.“

Die Begrüßung war sehr herzlich und Karl machte Pater Frederic mit Rudolf bekannt. Es begann eine angeregte Unterhaltung und es fühlte sich fast so an, als wenn alle Drei sich schon ewig kannten und sich gerade sehr viel zu erzählen hatten. Das Gespräch wurde erst gestoppt, als Gertrude zum Essen bat.

„Kommt, jetzt gehen wir erst einmal etwas essen“, bat Karl seine Gäste.

Gertrude hatte mal wieder ihre Kochkünste walten lassen und ein sehr leckeres Drei-Gänge-Menü gezaubert.

„Mein Gott, was schmeckt das Essen fantastisch“, sagte Pater Frederic, während er Karl seinen Teller reichte, damit er ihm noch mal einen Knödel drauflegen konnte. „Eure Köchin ist ja wirklich unbezahlbar. Mich wundert aber, dass du noch eine so tolle Figur hast, Karl. Bei diesem Essen hier wäre ich schon kugelrund.“

Karl lachte vergnügt, während er sich auch noch mal einen Nachschlag von dem saftigen Schweinebraten und den Semmelknödeln gönnte. Die Stimmung war sehr gelöst und die beiden Männer erzählten von früher. So erfuhr Rudolf, dass Pater Frederic als Kind mit seinen Eltern in das kleine Dörfchen zog, wo Karls Familie bereits lebte. Die beiden wohnten direkt nebeneinander und waren ab diesem Tag unzertrennliche Freunde. Daraus wurde im Laufe der vielen Jahre eine sehr enge tief verbundene Männerfreundschaft.

Irgendwann verließ Pater Frederic dieses Dorf, um als Missionar nach Mexiko zu gehen. Danach sahen sich die beiden leider nur noch sehr selten, aber sie blieben, trotz der Entfernung, immer in Kontakt. Mindestens zweimal im Jahr haben sie sich geschrieben und hier und da auch mal telefoniert. So waren beide, stets von dem Geschehen und den Ereignissen im Leben des anderen informiert.

Rudolf lauschte ganz gespannt den Ausführungen der beiden. Sie erzählten sich, sehr angeregt und belustigt, einige Anekdoten aus ihrer Vergangenheit. Rudolf machte es sehr glücklich zu sehen wie beschwingt, sorgenlos und fröhlich Karl gerade war. Der Besuch von Pater Frederic tat ihm sehr gut und die beiden genossen jede Minute zusammen.

„Entschuldigung Herr Heydrich, der Kaffee ist im Wintergarten serviert?“ bemerkte Gertrude zurückhaltend, während sie begann die leeren Teller abzuräumen. Es war ihr immer unangenehm eine Gesprächsrunde stören zu müssen.

„Das ist prima Gertrude“, antwortete Karl sehr erfreut, „ähh mal eine Frage Gertrude, haben Sie nicht doch noch was von dem leckeren Schokoladenkuchen übrig?“

Gertrude lächelte. „Der Schokoladenkuchen steht auch schon zum Verzehr bereit.“

„Ach, Gertrude noch etwas. Richten Sie doch bitte das Gästezimmer für unseren klösterlichen Gast her. Äh, du bleibst doch, so wie Rudolf auch über Nacht oder?“, fragte Karl erwartungsvoll, während er sich zu Pater Frederic umdrehte.

„Na ja, eigentlich hatte ich das nicht vor. Aber da du mein Zimmer ja gerade eben verbindlich bestellt hast, kann ich das ja wohl nicht mehr ablehnen“, kam es belustigt zurück.

Karl klatschte begeistert in die Hände. „Na prima, das freut mich sehr. Also dann kommt, lasst uns in den Wintergarten hinübergehen, da ist es zum Plaudern und zum Sitzen viel gemütlicher.“

„Entschuldigt mich bitte kurz“, bat Rudolf, „ich komme gleich nach.“

Rudolf ging nach draußen und genoss für ein paar Minuten diesen lauen Abend. Er hörte einen Moment lang dem wunderschönen Gesang einer Nachtigall zu und ließ sich betören von dem verführerisch starken Duft des immer noch blühenden Fliederbaums. Er atmete noch einige Male tief ein und aus. Dann ging er wieder hinein.

„So da bin ich wieder“, begrüßte Rudolf die beiden Männer, die sehr vergnügt und unbeschwert auf dem Sofa saßen und ihren Kaffee sowie den Schokoladenkuchen genossen.

Der Wintergarten strahlte, mit seinen teils angeleuchteten Pflanzen, den Windlichtern und dem Kerzenlicht, eine unglaubliche Gemütlichkeit aus. Rudolf schenkte sich ebenfalls einen Kaffee ein, setzte sich mit seiner Tasse in den bequemen Sessel und hörte den beiden Männern interessiert zu. Pater Frederic wischte sich gerade mit einer Serviette die restlichen Kuchenkrümel vom Mund.

„Pater Frederic, darf ich Sie mal etwas zu Ihrem Mönchsleben fragen?“

„Was möchten Sie denn gerne wissen, Rudolf?“

„Sind Sie ein Benediktiner?“

Pater Frederic schaute überrascht. „Wie kommen Sie denn darauf, dass ich ein Benediktiner sein könnte? Haben Sie da schon Erfahrungen gesammelt?“

„Ja, etwas. Ich habe mal bei einem Restaurator in Rom gearbeitet und da haben wir aus der kleinen Benediktiner-Kapelle des Klosters Jonas einige Bilder restaurieren dürfen. Dabei habe ich Einblick in das Leben der Benediktiner-Mönche bekommen und es hat mich total begeistert. Diese Mönche trugen genau das gleiche Gewand wie Sie, und deshalb meine Vermutung.“

„Ihre Vermutung ist korrekt, Rudolf. Ich lebe nun schon seit vielen Jahren im Kloster Monte Tamarashi in Mount Palashari. Es ist ein kleines Bergdorf in der Nähe von Rom. Davor war ich als Missionar und Entwicklungshelfer in Mexiko tätig.“

„Das hört sich ja interessant an. Eine Bekannte von mir engagiert sich auch in Hilfsprojekten, hauptsächlich für Afrika-Kinder. Sie ist Schirmherrin bei «Childs-Help-Afrika». Würden Sie mir ein bisschen was über Ihre Zeit in Mexiko und Ihr Klosterleben erzählen?“

Pater Frederic hatte das Gefühl, dass Rudolf sich wirklich für sein Leben interessierte, und so erzählte er ihm auch sehr gerne von seinen Lebenserfahrungen, seiner Arbeit in Mexiko und von seinem Leben im Kloster. Rudolf lauschte seinen Worten sehr aufmerksam und genoss seine Erzählungen in vollen Zügen. Mit Begeisterung erzählte er wie Bruder Robin aus selbst angebautem Obst eine leckere Marmelade machte oder wie sie ihren eigenen Likör brauten. Dass das Klosterleben aber auch seine absolut dunklen Schattenseiten hatte, darüber schwieg er. Doch er wusste, er hatte schon viel zu lange geschwiegen. Er musste sein Geheimnis nun jemandem anvertrauen. Etwas, das er wusste, dass aber eigentlich niemand, schon gar nicht die Öffentlichkeit erfahren durfte. Karl, sein alter Freund, war die einzige Person, zu der er Vertrauen haben konnte. Doch war es wirklich richtig, das Schweigen zu brechen.

„Aber Pater Frederic, was machen Sie eigentlich hier in München?“

Ganz in Ruhe faltete Frederic seine Serviette zusammen und legte sie neben seinen Teller. Dann hielt er kurz inne, bevor er Rudolfs Frage beantwortete.

„Also eigentlich bin ich wegen eines Seminars nach München gekommen. Dann aber verunglückte ein Mitbruder im Kloster Sankt Jacobi und ich wurde gebeten vorübergehend seine Arbeit zu übernehmen. Und so bin ich jetzt auch noch etwas länger hier als ursprünglich geplant.“

„Aha“, kam es über Rudolfs Lippen.

„Sag mal Frederic“, unterbrach Karl die plötzlich eintretende merkwürdige Stimmung. „Du wolltest doch mit mir über ein Problem reden. Was belastet dich denn?“

Es dauerte eine ganze Weile bis Pater Frederic reagierte. Er begann leicht zu schwitzen. Eigentlich war er ja gekommen, um seinen Freund Karl um Hilfe zu bitten, aber jetzt war er sich nicht mehr sicher, ob es überhaupt richtig war, ihn in diese Sache einzuweihen und ihn um Hilfe zu bitten. Regungslos saß er da. Bis er dann diesen einen Satz äußerte.

„Es geht um einen Mord!“ kam eine kurze, aber nicht weniger wirkungsvolle Antwort.

„Um was bitte? Um einen Mord?“ Karl dachte er höre nicht richtig. „Was hast du denn mit einem Mord zu tun?“

„Das würde mich allerdings auch interessieren“, ergänzte Rudolf irritiert.

Die Gemütlichkeit des Raumes war verschwunden, es herrschte trotz angenehmer Raumwärme plötzlich eine eisige Kälte.

Und dann zog Pater Frederic kommentarlos einen kleinen, weißen zerknüllten Zettel aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch.

Rudolf schaute skeptisch auf die kleine unscheinbare Notiz. Er nahm den Zettel auf und las den Text laut vor: «Letzte Warnung! Sieh dich vor, sonst wirst du den 24. nicht mehr erleben!»

„Was hat diese Drohung zu bedeuten?“ fragte Rudolf, der damit so gar nichts anfangen konnte.

Pater Frederic fuhr sich mit seinem Finger zwischen Hals und Kragen und presste seine Lippen aufeinander. Sein Blick wanderte hilfesuchend nach oben.

Auch Karl, der die Sache bisher wortlos verfolgte, bemerkte Pater Frederics plötzliche Unruhe und Nervosität und fragte sich gerade, was sein bester Freund, ein Pater, mit einem Mord zu tun hatte? War er, ein Geistlicher, ein Mörder?

Die Stimmung war so angespannt, dass man Angst hatte, die Luft würde jeden Augenblick explodieren.

Pater Frederic Herz klopfte. War es wirklich richtig, darüber zu reden. Fast ein Jahr lang hatte er geschwiegen. Wäre es nicht besser gewesen, weiterhin zu schweigen? Sein Gesicht war aschfahl und seine Augen waren voller Furcht. Sie waren schmal zusammengekniffen.

Pater Frederic faltete die Hände. „Lieber Gott, bitte hilf mir die richtige Entscheidung zu treffen“, sprach er wortlos und schaute bittend nach oben. Er schloss die Augen, fing still an zu beten und tauchte ein, in seine eigene Welt. Das Gebet ließ ihn emotional ruhiger werden. Konnte er sich zu einer Entscheidung durchringen?

Karl Heydrich hatte mittlerweile den Kräuterlikör aus dem Schrank geholt. Er war zwar Aufregung aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit gewohnt, doch das hier war eine andere Hausnummer.

„Okay, ich möchte euch gerne etwas erzählen“, bemerkte Pater Frederic, mit einer jetzt doch sehr ruhigen, ausgeglichenen Stimme.

Rudolf und Karl waren sehr gespannt. Würden sie jetzt erfahren, welches Geheimnis hinter diesem weißen Zettel steckte?

Gertrude brachte gerade eine große Kanne frisch gekochten Früchtetee herein, bevor sie sich dann zur Nacht verabschiedete.

Pater Frederic atmete noch einmal tief ein und aus. Er spürte, dass es richtig war seinen Freund um Hilfe zu bitten. Er war der Mensch, dem er sich anvertrauen konnte. Und so begann er zu erzählen.

„Es wäre vielleicht besser, wenn ich etwas weiter aushole.“ Pater Frederic schaute etwas nachdenklich nach oben zur Decke. Er wusste nicht, wie er anfangen sollte.

„Nimm dir alle Zeit der Welt. Wir hören dir einfach nur zu“, sagte Karl, während er drei kleine Schnapsgläschen mit dem Kräuterlikör füllte.

„Eigentlich geht es bei der ganzen Geschichte um Pater Martin. Er und ich kannten uns sehr lange. Wir waren fast wie richtige Brüder.“

„Entschuldige, dass ich dich schon am Anfang unterbreche“ sagte Rudolf. „Aber du sagtest eben, dass ihr euch lange kanntet und ihr wie Brüder wart. Bedeutet das, dass Pater Martin nicht mehr am Leben ist?“

„Ja! Pater Martin verstarb am 24. Dezember letzten Jahres in unserer kleinen Kapelle. Ich fand ihn tot auf dem Boden liegend. Der Arzt hatte Herzversagen, als offizielle Todesursache festgestellt. Aber dem war nicht so. Ich weiß, dass er ermordet wurde.“

Rudolf und Karl zuckten ein wenig zusammen, als sie das Wort „ermordet“ hörten. Die Bestürzung sah man förmlich in ihren Augen.

„Ein Mord im Kloster und keiner weiß was davon?“ fragte Karl ungläubig nach um jegliches Missverständnis aus dem Weg zu räumen.

„Na ja, davon wissen tun mindestens zwei Personen. Ich und natürlich der Mörder.“ Pater Frederic biss sich auf die Unterlippe.

„Weiß der Mörder, dass du es weißt?“, fragte Rudolf betroffen.

„Hm, schwer zu sagen. Ich denke eher nicht. Wenn es so wäre, dann hätte er sicher schon probiert auch mich umzubringen!“

„Ich dachte immer, hinter den Klostermauern herrscht Friede, aber was ich da höre, dass macht mich echt fassungslos“, bemerkte Rudolf kopfschüttelnd.

Pater Frederic zuckte nur mit den Achseln. „Ich war genauso fassungslos, aber noch mehr fühlte ich mich hilflos.“

„Kann ich nachvollziehen. Aber was hat denn die Polizei herausgefunden?“, fragte Karl interessiert.

„Es gab keine Polizei. Ich habe bis heute mit niemand darüber gesprochen.“ Pater Frederics Stimme zitterte leicht.

Karls Blick sprach Bände. „Das verstehe ich nicht Freddy. Warum hast du mit niemand über deinen Verdacht gesprochen? Beziehungsweise warum hast du keine Polizei eingeschaltet? Du hättest doch daran interessiert sein müssen, herauszufinden, wer der Mörder deines besten Freundes ist.“

„Das ist eine berechtigte Frage. Im ersten Moment wollte ich auch alles melden. Ich wollte zu Abt Richard gehen und meinen Verdacht äußern. Aber irgendetwas hielt mich zurück. Eine Intuition, ein Bauchgefühl oder so etwas Ähnliches. Ich kann es euch nicht genau beschreiben. Aber neben diesem Gefühl hatte ich dann auch große Bedenken. Wie würde das Kloster nach außen hin dastehen, wenn herauskäme, dass an so einem friedlichen und heiligen Ort, ein Mönch seinen Bruder umgebracht hatte. Ein Mord im Kloster! Unvorstellbar! Der Ruf des Klosters wäre dahin gewesen. Außerdem wusste ich, dass wir unbedingt auf die Gäste-Einnahmen und auch auf die Gelder, aus dem Verkauf unserer klostereigenen Produkte angewiesen waren. Wir leben davon. Ohne diese Gelder stünde das Kloster vor dem Aus.“

Pater Frederic faltete seine Hände und schloss für einen Moment die Augen bevor er weiter fortfuhr.

„Weißt du Karl, ich habe so viel darüber nachgedacht und das alles, immer wieder und immer wieder gegeneinander abgewogen und dann blieb mir nur eine einzige Möglichkeit. Ich musste das, was ich wusste, für mich behalten. Auch wenn es für Außenstehende unverständlich ist, ich handelte damit nur im Sinne des Klosters und genau das hätte auch Pater Martin gewollt. Er war ein Mönch aus Berufung. Er lebte sein Mönchsleben aus tiefer Leidenschaft und er liebte dieses Kloster über alles.“ Pater Frederic pausierte einen Moment.

„Eins kannst du mir glauben Karl, ich zweifele jeden Tag mit meiner Entscheidung, ob diese wirklich richtig war. Und mittlerweile merke ich immer mehr, dass ich mit diesem Druck nicht mehr klar komme. Und deshalb bin ich auch hier, um mit dir darüber zu reden. Ich weiß noch nicht wie, aber ich hoffe sehr, du kannst mir helfen.“

Es kehrte einige Minuten Stille ein, bis Karl verständnisvoll nickte.

„Ich kann Sie gut verstehen Pater Frederic. Vielleicht hätte ich genauso gehandelt.“ Rudolf nahm den Zettel zur Hand der immer noch vor ihnen auf dem Tisch lag und las ihn noch einmal vor. „«Letzte Warnung! Sieh dich vor, sonst wirst du den 24. nicht mehr erleben!»“

„Dann war diese Warnung ja tatsächlich eine Mordansage für Pater Martin!“, analysierte Rudolf.

„Freddy, ich weiß es noch nicht, ob ich dir da wirklich helfen kann.“ Karl schüttelte leicht mit dem Kopf. Er hatte zwar eine Ausbildung als Privatdetektiv und war als solcher auch schon tätig, aber das ist schon viele Jahre her. „Trotz allem würde ich vorschlagen, du erzählst jetzt erst einmal von Anfang an. Im Moment verstehe ich nämlich noch gar nichts und ich würde gerne den Hintergrund wissen. Irgendetwas musste ja passiert sein, denn ermordet wird jemand ja nicht nur mal so aus einer Laune heraus.“

„Also der Hintergrund müssen Drogengeschäfte sein, aber mehr weiß ich leider auch nicht.“

„Drogen im Kloster?“ Rudolf verschluckte sich fast, als er gerade einen Schluck Wasser trank.

„Der Fall wird ja immer mysteriöser“, bemerkte Karl. „Erzähl einfach mal von vorne.“

„Willst du alles wissen? Also ab dem Moment, wo ich Pater Martin kennenlernte?“

Karl nickte. „Wenn es hilft, die Hintergründe zu verstehen ja.“

„Wie schon gesagt, kenne ich Martin schon sehr lange. Er kam damals Ende November, nur ein paar Tage nach mir, in das Kloster und er hatte nichts mehr. Weder Familie, noch Geld, noch ein Dach über dem Kopf. Er hatte nur noch das, was er direkt am Leibe trug.“

Pater Frederic wirkte nachdenklich. „Wir zwei waren damals in dem Kloster die beiden einzigen Männer, die keine Mönche waren, also sogenannte Anwärter. Wir kannten niemand und so haben wir uns natürlich sehr schnell angefreundet. Unsere Freundschaft war keine Kinder- oder Jugendfreundschaft, schließlich waren wir ja schon erwachsen und jeder von uns hatte auch schon so seine Lebenserfahrung. Es entwickelte sich eine sehr tiefe Männer-Freundschaft. Vom ersten Tage an erzählten wir uns alles und hatten so keinerlei Geheimnisse voreinander. Alles was möglich war machten wir gemeinsam. Unsere Zellen lagen direkt nebeneinander und wir haben diese vom ersten Tag an bewohnt, also die ganze Zeit im gleichen Zimmer.“

Pater Frederic lächelte nun doch etwas verschmitzt und man sah, dass er sich gerne an diese Zeit zurück erinnerte.

„Na ja und so durchlebten wir gemeinsam die ersten sechs Monate des Postulates. In dieser Zeit lernten wir das monastische Leben und die klösterliche Gemeinschaft besser kennen und wir gewöhnten uns, sehr schnell sogar, in diese Lebensform ein. Wir hätten diese sechs Monate gar nicht gebraucht, denn wir wussten beide, dass wir für immer im Kloster Monte Tamarashi bleiben werden. Aber diese Zeitphasen sind halt Pflicht.“

Pater Frederic nahm die Kanne und goss sich noch eine Tasse Tee ein. Dann berichtete er weiter. Rudolf und Karl lauschten sehr aufmerksam seinen Erzählungen und spürten, dass er alles sehr präzise und ausführlich darlegte und keine Einzelheit ausließ.

„Ja und nach diesem halben Jahr folgte das einjährige Noviziat. Ich kann mich noch sehr gut an die Einkleidung erinnern. Was war Martin so aufgeregt. Er dachte, er müsse in die Hosen machen, als er die vielen Leute in der Kirche sah.“

Pater Frederic musste bei dieser Erzählung leise lachen und steckte damit auch Rudolf und Karl an, die sich das gerade bildlich vorstellten.

„Wir haben bei dieser Feier das Ordensgewand der Gemeinschaft und die Benedikts-Regeln bekommen. Was waren wir stolz. In diesem einem Jahr des Noviziates haben wir in allen Bereichen mitgearbeitet. Ich war sehr oft in der Kloster-Bäckerei tätig und Martin in der klostereigenen Schnapsbrennerei.“

„Apropos Schnaps, lasst uns doch zwischendurch mal ein Schlückchen zu uns nehmen“, unterbrach Karl das Gespräch.

„Mhm, der ist aber lecker!“, schmatzte Pater Frederic und leckte sich mit der Zunge über die Lippen.

„Das ist ein Kräuterlikör vom Kloster Sankt Jacobi“ erklärte Karl während er den Likör genoss.

„Hab ich mir fasst gedacht, dass dieses leckere Tröpfchen aus einem Kloster kommt.“ Pater Frederic zwinkerte Karl zu und fuhr dann fort.

„Also in diesem Noviziat-Jahr hatten wir sehr viel Unterricht über das gesamte Mönchsleben und wir wurden mit dem gregorianischen Choral vertraut gemacht und auch darin aufgenommen.“

„Mit gregor..., äh, mit was für einem Choral?“ fragte Rudolf sehr interessiert.

„Gregorianisch. Habt ihr schon mal solch einen gregorianischen Chor von Mönchen singen gehört?“

Rudolf und Karl schüttelten gleichzeitig mit dem Kopf.

„Oh schade, das solltet ihr mal tun. Wir haben solch einen klostereigenen Chor und der ist genial. Nachdem Bruder Jonas vor einigen Jahren die Chorleitung übernommen hatte, präsentieren wir jetzt sogar eigene Kompositionen. Na ja, vielleicht ergibt sich ja irgendwann die Möglichkeit, dass ihr euch das mal anhören könnt“, fuhr Pater Frederic fort.

„Nach diesem Jahr wurden wir zum zeitlichen Profess zugelassen. Wir haben dann unser Gelübde für drei Jahre abgelegt und waren erstmals für diese Zeit an das Kloster gebunden. Martin war von Beruf Elektriker und machte im Kloster noch mal eine Lehre als Schreiner. Er war ab da für alles Handwerkliche zuständig. Ich begann im Kloster ein Studium für Kunstwissenschaft und Kunstgeschichte und malte dann auch eigene Bilder. Manchmal stellen wir diese im Kloster aus und verkaufen sie auch. Seit einiger Zeit bin ich nun auch für die Restauration der Bilder im Kloster zuständig.“

„Wie ging es weiter?“, fragte Karl, der versuchte, sich ein genaues Bild von Pater Martin zu machen.

„Als diese drei Jahre um waren, wurden wir im Rahmen einer großen Feierlichkeit als Vollmitglied ins Kloster aufgenommen. Einige Jahre später erhielten wir noch die Priesterweihe und wurden dann von einem Frater zu einem Pater. Außerdem waren wir beide auch Novizen-Meister und kümmerten uns ganz intensiv um die Mönchsanwärter, also um die Männer, die genau den gleichen Werdegang wie wir noch vor sich hatten. Martin war sehr beliebt bei seinen Schützlinge.“

„Wie groß ist eure Ordensgemeinschaft?“, fragte Karl.

„Als ich damals ins Kloster kam lebten dort 35 Mönche. Jetzt sind es noch 21 Mönche und 4 Anwärter. Also eigentlich sind wir von der Mönchsanzahl ein relativ kleines Kloster, aber das Klostergebäude ist sehr groß. So haben wir aus einem Trakt, ein wunderschönes Gästehaus mit mehreren Zimmern gemacht und bieten unseren Gästen ein wirklich tolles Programm.“

„Also statt Urlaub auf dem Bauernhof geht der Trend jetzt hin zu Urlaub im Kloster?“ fragte Rudolf etwas erstaunt.

„Ja, die Nachfrage ist steigend, was sicher auch mit der immer hektischer werdenden Arbeitswelt zusammenhängt.“

„Das kann ich nachvollziehen“, bemerkte Karl. „Ich spüre das auch, dass ich nicht mehr der Jüngste bin und mir die Arbeit immer schwerer fällt.“

„Wem sagst du das?“, lächelte Pater Frederic, der die Aussage von Karl nur sehr gut nachempfinden konnte.

Jeder hing ein wenig seinen Gedanken nach und man spürte auch eine gewisse Müdigkeit. Es war schon weit nach Mitternacht. Die drei roten Kerzen auf dem Tisch waren schon dreiviertel niedergebrannt und draußen hörte man immer wieder den Balzruf eines Uhus.

„So, aber nun komme ich zu dem für mich immer noch Unfassbaren.“

Pater Frederic machte eine kleine Pause und schenkte sich ein Glas Wasser ein. Die Stimmung knisterte. Man spürte, dass jetzt das Geheimnis gelöst werden würde. Das Sprechen fiel Pater Frederic nun aber sichtlich schwerer.

„Letztes Jahr kam das traurigste Weihnachten meines Lebens. Wir Mönche hatten vor Heiligabend sehr viel zu tun. Die Gästezimmer waren alle belegt und außerdem stand ein Konzert bei der Christmette an. Dafür waren wir sehr oft, manchmal sogar zweimal am Tag am Proben und zwar immer in der Kapelle.“

„Das war die Kapelle, wo du Pater Martin tot aufgefunden hattest oder?“ fragte Rudolf.

„Ja. Zwei Tage vor Heiligabend, also am 22. war Martin schon irgendwie anders aber ich kann nicht mal genau sagen wie anders. Er war aufgeregt und wirkte sehr unruhig. Beim Abendessen hatte er mir damals nervös zugeflüstert das er mir unbedingt etwas erzählen müsse. Dann ergab sich aber keine Möglichkeit mehr, dass wir uns hätten ungestört unterhalten können. Wir begaben uns nach dem Essen zum Nachtgebet in die kleine Kapelle. Ab dem Nachtgebet, bis morgens um fünf, ist absolutes Schweigen angesagt.

Ich kann mich noch gut daran erinnern wie nervös wir dann beide waren, denn wir suchten ja eine Möglichkeit, wo wir uns ungesehen unterhalten konnten. Wir verließen an diesem Abend bewusst als Letzter die Kapelle, zogen unsere Kapuzen über und begaben uns auf den Weg zu unseren Zellen. Es hatte seit Tagen geschneit. Der Schnee lag bestimmt einen halben Meter hoch, außerdem war es so kalt, dass sich bereits Eiszapfen an den Dächern gebildet hatten.

Als wir durch den Innenhof gingen, herrschte Totenstille. Wir hörten nur den Schnee unter unseren Schuhen knirschen. Martin war sehr ängstlich und schaute sich immer wieder um, ob uns nicht jemand folgte. Ich wusste bis dahin immer noch nicht, was ihn eigentlich so nervös machte. Als wir bei unseren Zellen ankamen und wir uns sicher waren alleine zu sein, gab Martin mir, wie immer die Hand zur Verabschiedung. Doch diesmal spürte ich in meiner Handfläche ein Stück Papier. Er hatte mir, während des Händedrucks einen Zettel übergeben.“

Pater Frederic pausierte eine Sekunde. Er atmete schwer.

„Es war diese Notiz hier“, sagte er leise und deutete auf den weißen Zettel, der immer noch vor ihm auf dem Tisch lag. Das Kerzenlicht ließ den Zettel, wie eine magische Nachricht erscheinen, wie etwas Geheimnisvolles, was es ja auch zweifellos war.

Pater Frederic beugte sich nach vorne, nahm den Zettel auf und las, stimmlos für sich alleine, diesen Text noch einmal durch.

„Als Martin mir den Zettel damals in die Hand drückte und wir uns sicher waren, dass wir alleine sind, klappte ich den Zettel auf und las was darauf stand. Ich musste den Text zweimal lesen, bevor ich überhaupt den Sinn verstanden hatte. Ich war entsetzt und erschrocken.

Martin flüsterte mir zu, dass dieser Zettel beim Abendessen unter seinem Teller lag. Ich fragte ihn, warum diese Drohung? Er konnte nur noch diesen einen Satz sagen: Im Kloster wird illegal mit Drogen gehandelt und ich weiß auch wer es ist. Doch bevor er weiterreden konnte, hörten wir plötzlich Schritte. Die Schritte kamen aber nicht näher, nein, sie entfernten sich und so war uns beiden klar, dass wir die ganze Zeit beobachtet wurden. Dann kamen zwei andere Mönche den Gang entlang und wir mussten unser Gespräch beenden. Wir gingen schweigend in unsere Zellen. Den Zettel hielt ich allerdings noch immer in meiner Hand.“

Rudolf und Karl saßen fast regungslos da. Sie fragten nichts, hörten nur zu. Pater Frederic trank noch einmal einen Schluck Wasser und lehnte sich zurück. Er schloss kurz die Augen und erzählte dann weiter.