Rohrfrei 3 - Angela Pundschus - E-Book

Rohrfrei 3 E-Book

Angela Pundschus

0,0
0,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Gehören Sie auch zu den Menschen, die auf der Toilette lesen müssen, um ein entspanntes Geschäft abzuschließen ? Dann haben wir die Lösung für Sie: Rohrfrei 3- Kleine Geschichten für große Geschäfte. Die Experten unter Ihnen kennen auch die Ausgaben Rohrfrei 1 und 2.

 

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Angela Pundschus

Rohrfrei 3

Kleine Geschichten für große Geschäfte

UUID: 081e4005-dd70-4e16-9d95-b9ae1ca2b7d3
Dieses eBook wurde mit Write (https://writeapp.io) erstellt.

Inhaltsverzeichnis

Meine Freundin Brigitte

Traumreise - Ich geb Dich frei

Strabuck's Coffee Junkie

Das kleine Schwarze

Meine Süchte

Ansichten eines ICEs

Da, wo Du jetzt wohnst

Die vier Seekamp-Jahreszeiten

Drachen steigen lassen

Alles hlrt auf mein Kommando!

Der letzte Tanz

Schaf, Menschlein, schlaf

Opa legt sie alle rein

Wo ist...?

Fressmachine

Fastenzeit

Haute Tricot

Buntes Treiben

Schiet Weihnachten

Meine Freundin Brigitte

Es geschah Anfang der 90er Jahre, als die ersten richtigen Computerarbeitsplätze auftauchen und Brigitte in unser Büro zog.

Brigitte ein Dos basierender PC mit schickem Gesicht in Form eines Bildschirms, auf dem die Dos-Befehle. Sie war unser ganzer Stolz, bekam einen besonderen Platz in der Sonne. Sie sollte sehen, wie schön die Welt draußen ist. Der Blick in den Raum gerichtet, uns anblinkend, stand sie dort in all ihrer Schönheit. Da ich DOS gelernt hatte, wurden mir die Befehle beigebracht, die zur Steuerung der Fahrkartenautomaten benötigt wurden.

Voller Freude setzte ich mich vor Brigitte auf den Bürostuhl, begrüßte sie freundlich, bevor ich meine Finger behutsam auf ihre Tastatur legte. Manche Frauen können zickig auf Berührung reagieren und Brigitte entsprach voll diesem Klischee. Die rechte Hand wanderte zum Power Knopf und sie startete das erste Mal ihre Arbeit. Vorsichtig rief ich das Dos-Programm auf, sie reagierte zickig, flackerte dreimal mit ihren grünen Buchstaben auf schwarzem Hintergrund, bevor der Screen wieder komplett dunkel wurde.

Was war nun los, was machte sie? Das Surren und grüne Leuchten verschwunden, ein schwarzer Bildschirm schaute mich ohne jegliche Regung an.

Ein leichtes Rütteln an Brigittes Adern, den Kabeln zum Monitor und zum Herz und Hirn, dem Computer, ein sanftes Streicheln der Bildschirmwangen und ein leises Surren ertönte, dann lächelte sie mich wieder, mit ihren grünleuchtenden Ziffern, an. Sie lebte wieder.

Behutsam gab ich die ersten Buchstaben und Zahlen ein. Es tat sich etwas. Kurze Kontrolle, Befehlszeilen schienen in Ordnung. Die große Frage danach speichern oder nicht speichern. Wie so oft in den ersten Tagen der Bildschirmarbeit traf ich die falsche Entscheidung. Ich gab weiter ein. Brigitte schickte mir einen freudestrahlenden grünen Blitz und der Bildschirm ist erneut ohne Leben.

Ich haute mit der Faust auf den Computer, rüttelte ihn hin und her, riss den Monitor über den Schreibtisch, die Herzmassage erweckte meine mittlerweile Freundin wieder zum Leben.

Das Ding hatte ein Eigenleben und lachte mich nun mit dunklem Blick an. Die ganze Arbeit dahin, alles weg.

Schnell hatte ich die erste Lektion des Computerzeitalters gelernt, immer mal etwas speichern.

Die Arbeit begann von vorn, diesmal jedoch schneller, man, sprich ich, hatte mittlerweile Erfahrung. Zeile eingeben, speichern und weiter. Brigitte hielt stand und machte keine Sperenzien mehr bis zum Schluss. Alles im System. So, was kam jetzt? Ach ja, Modem anwerfen und Daten übertragen. Ich wählte und sie spielte das Spielchen mit, brav übertrug sie die programmierten Zeilen und am nächsten Tag wurden diese in die Fahrkartenautomaten eingespielt, händisch und vor Ort mit einem Datenträger.

Nun sollte man nicht glauben, dass diese eigenwillige Freundin nach dem ersten Tag ihren Widerstand aufgab. Nein, immer wieder überraschte sie uns mit neunen uns unbekannten Reaktionen. Wir gewöhnten uns daran, sie morgens zu begrüßen, per Handschlag gegen den Monitor. Bis Anfang der 2000er Jahre stand sie bei uns im Büro, brachte uns an den Rand des Wahnsinns, aber wir lernten sie zu lieben. Diese einfache Comouterdame mit grünen Ziffern auf schwarzem Grund. Wir trauerten alle, als Brigitte in Rente ging, ihr gehörte unser Herz, mit ihr war Computerarbeit noch etwas vertrautes. Die Trauer dauerte nicht lange, denn dann kam Robert unser moderner Laserdrucker, der Spitzenleistungen im Versagen und uns an den Rand des Wahnsinns brachte.

Traumreise - Ich geb Dich frei

Es war eines dieser Wochenenden, die nicht zu Ende gehen wollen. Mit angezogenen Knien saß ich auf meinem Sofa, schaute durch das Fenster und beobachtete den Regen, der in Bindfäden vom Himmel fiel. Trostloser hätte die Welt nicht sein können, seit du von mir gingst. Ich konnte es nicht mehr ändern. Gestorben bei einem Verkehrsunfall. Aus dem Leben gerissen, als es anfing, Spaß zu machen. Die erste gemeinsame Wohnung bezogen, planten wir unsere Hochzeit und was passierte? Plötzlich und unerwartet musste ich ohne dich leben. Niemals zuvor hatte ich mich so einsam gefühlt. Bei dem Gedanken an dich liefen mir Tränen die Wange hinunter. Mit dem Ärmel meines Pullovers wischte ich diese fort. Ich musste raus aus dem ehemals gemeinsamen Heim, ansonsten bestand die Gefahr, dass ich an meiner Trauer erstickte. Eilig warf ich mir meinen echten Ostfriesennerz über, schlüpfte in die Gummistiefel, schnappte mir die Schlüssel und rannte hinaus in den Regen. Die Tränen des Himmels fielen, verbunden mit einem leisen Plopp, auf die Außenhaut meiner Jacke. Ich hatte das Gefühl, sie spielten eine Melodie; unser Lied. Fast unhörbar begann, ich mitzusingen. „Softly whispering I love you“.

Es befanden sich kaum Menschen auf der Straße. Zurückgezogen, in die eigenen vier Wände, wartete jeder auf das Ende des Regens. Die Einsamkeit meiner Wohnung verfolgte mich in die Außenwelt. Es regnete, als wir uns vor Jahren kennenlernten. Du fuhrst mit deinem Auto durch eine Pfütze und spritztest mich, von oben bis unten, nass. Wie ein begossener Pudel stand ich da im Regen, die Haare hingen platt an meinem Kopf herunter, das verflossene Make-up hinterließ seine Spuren auf meinem Gesicht und was war deine Reaktion? Du öffnetest die Wagentür und fragtest, ob du mich nach Hause bringen könntest. Es machte dir nichts aus, dass ich die Sitze deines Wagens einnässte und verschmutzte. Es tat dir nur unendlich leid, dass ich durchnässt war. Als Entschädigung bekam ich eine Einladung zum Essen von dir. Aus einem Dinner erwuchs ein Kinobesuch, dem noch viele folgen sollten. Stets warst du aufmerksam, zärtlich, mit dir konnte ich über Gott und die Welt reden. Wir verstanden uns ohne ein Wort; brauchten uns nur anzusehen und wussten, was der Andere von uns empfand. Du gabst mir den Glauben an die »Liebe auf den ersten Blick« zurück; das Vertrauen an die Schönheit des Lebens.

Von hinten hörte ich ein Auto kommen. Es fuhr direkt durch die Pfütze, die sich am Straßenrand gebildet hatte. Ein Schwall Wasser ergoss sich über mich. Dank der Gummistiefel und meines Ostfriesennerzes, blieb ich einigermaßen trocken. Diese Ausrüstungsgegenstände ließen die Geschichte noch verhältnismäßig glimpflich abgehen. Mit einem Taschentuch tupfte ich mir die Wassertropfen aus dem Gesicht und wischte das zerlaufene Make-up ab. Als ich erneut aufblickte, hatte es aufgehört zu regnen und da sah ich ihn. Circa 100 Meter von mir entfernt kniete ein junger Mann in hellen Jeans, mit Muskelshirt und barfuß auf der Straße. Sein langes blondes Haar bewegte sich seicht im Wind. Wo kam er so plötzlich her und was tat er dort? Ich ging auf ihn zu und bemerkte, wie sein Arm des Öfteren über das Pflaster strich. Es wirkte auf mich, als würde er malen. Als ich direkt vor ihm stand, bestätigte sich mein Eindruck. Mit Kreide malte er sein Bild auf die Straße. Der Pflastermaler schaute zu mir hinauf. Große blaue vertrauensvolle Augen blickten mich an, und ein Lächeln umspielte seine Lippen. Ein Nicken seines Kopfes und eine einladende Handbewegung deuteten mir an, dass ich einen Blick auf sein Werk werfen sollte. Ich senkte meine Augen auf sein Werk und bekam einen Schrecken.

Das Bild wirkte wie real auf mich. Ich ging in die Knie und betrachtete es genauer. Plötzlich erschrak ich erneut, da ich meinte, eine Bewegung wahrgenommen zu haben. So schnell, wie sie kam, verschwand sie vor meinen Augen. Mein Blick suchte erneut die Augen des Pflastermalers. Sein Blick hatte sich nicht verändert. „Ich liebe diesen Park. Sie haben ihn so treffend gemalt.“ „Ich weiß!“ Er machte eine wischende Bewegung. Seine Hände fingen abermals an, zu malen. Ich blickte von seinem Gesicht hinunter auf den Boden. Der Green Park in London war verschwunden. Es tauchte ein neues Bild auf. Meine Augen folgten gebannt seinen Händen die, schnell und gekonnt, die Farben wechselten und über das Pflaster huschten. Innerhalb kürzester Zeit entstand die Landschaft um Heiligenhafen. Das Paradies in dem Du und Ich wiederholt unseren Urlaub verbracht hatten.

„Das ist unser Urlaubsort. Der Platz, an dem mein verstorbener Freund Hannes und ich so viele wunderschöne Stunden verlebt haben. Genauso sieht es dort aus.“ Mein Erstaunen war übergroß und meine Augen weiteten sich noch mehr, als aus seinem Munde ein erneutes, ich weiß kam. Vorsichtig näherte sich seine Hand der meinen. Fest umfasste er sie, streckte meinen Zeigefinger und zog ihn zum Bild. Leicht tauchte der Finger in die Landschaft ein. Mir war, als könnte ich an der Fingerkuppe den kalten Ostwind spüren. Mein Blick senkte sich erneut auf das Bild und unerwartet sah ich dich. Angsterfüllt erhob ich mich. „Was soll das werden?“ „Die Antwort auf deine vielen Fragen. Nimm all deinen Mut zusammen, gehe einen Schritt vorwärts und du wirst finden, was du suchst.“ Vorsichtig setzte ich meinen Fuß einen Schritt nach vorne und tauchte ihn in das Bild ein. In dem Moment hast du dich, mit einem Lächeln im Gesicht, zu mir gewandt, und zu gewunken. Mein Herz, mein Körper wollten bloß noch zu dir, mein Schatz. Der zweite Schritt kostete mich keine Überwindung mehr. Ich versank in der Landschaft von Heiligenhafen. Eilig schritt ich den Graswarder entlang, in deine Richtung, in deine Arme, die ich seit langer Zeit vermisste.

Ich fühlte mich geborgen, den Kopf an deiner Brust. Das Pochen deines Herzens in meinem Ohr. Was machst du an diesem Ort, fragte er mich? „Ich weiß es nicht. Ich habe mich so sehr nach dir gesehnt. Du bist nicht nach Hause gekommen, stattdessen muss ich dich hier finden. Warum?“ „Du weißt es doch genau. Ich hatte einen Unfall. Wie gerne hätte ich dir noch gesagt, dass du dir ein neues Leben aufbauen und dieses nicht in Einsamkeit leben sollst. Du bist zu jung, um den Rest deines Lebens ohne Mann zu sein. Ich habe und werde dich auf ewig lieben, und weil ich es tue, gebe ich dich frei.“

„Was redest du da für einen Unsinn? Wir sind jetzt zusammen und können es bleiben. Lass uns wie früher ein Stück spazieren gehen.“ Langsam wanderten wir am Strand des Graswarders entlang, vorbei an den alten Strandvillen und weiter Richtung Landspitze. Der eisige Oktober-Ostwind wehte um unsere Nasen und brachte frische kalte Luft mit sich. Je näher wir dem Wasser kamen, desto mehr schmerzte mein Körper. „Ich kann nicht mehr, bitte lass mich ein wenig ausruhen.“ Ich ließ mich in den Sand fallen. Du hörtest nicht auf mich und gingst weiter, bis du im Nebel verschwunden warst.

Ein Piepen durchbrach mein Unterbewusstsein. Ich vernahm das Flüstern meiner Mutter.

„Sie wacht auf. Holt schnell den Doktor.“ Vorsichtig öffnete ich meine Augen. Wo war ich? Ich drehte den Kopf leicht zur Seite und sah die tränenüberfluteten Augen meiner Mutter, ein schmerzverzerrtes Lächeln auf dem Gesicht meines Vaters und erkannte, dass ich im Krankenhaus lag. „Oh mein Kind, nicht aufregen. Du hattest einen Unfall. Alles wird gut. Der Doktor kommt gleich.“ Ich hörte, wie sich die Tür öffnete und das Geräusch von Schritten, die über das Linoleum glitten. Es beugte sich jemand über mein Bett. Ich blickte in ein mir bekanntes Gesicht. Es war der Pflastermaler, mit seinen stahlblauen Augen und den langen Haaren. Seine tiefe Stimme sagte: „Es freut mich Frau Kaiser, dass sie sich entschieden haben, weiterzuleben.“

Strabuck's Coffee Junkie

Ich gestehe, ich bin süchtig. Süchtig nach etwas, das gesund ist, das munter macht und bei einigen Menschen als Mahlzeit bezeichnet wird. Es ist dieses braune flüssige Getränk, dessen Inhaltsstoffe, die menschlichen Gehirnzellen anregt, und zum Arbeiten bringt. Es ist nicht das Getränk an sich, sondern auch der Hersteller dieses Gesöffs. Schon in geringen Mengen genossen, kann das im Kaffee enthaltene Koffein die Konzentration erhöhen. Und die Müdigkeit vorübergehend wegwischen. Doch was soll ein Mensch, wie ich es einer bin, man nennt mich auch Starbucks-Coffee-Junkie, machen?

Jeden Morgen steige ich müde, genervt und Koffein-frei in den Bus. Ich bin auf Entzug. Seit 14 Stunden keinen Venti-Starbucks gehabt. Das Gehirn arbeitet nicht. Ich starre aus dem Fenster. Die Augen fallen zu, das rhythmische Rütteln des Busses beginnt zu wirken. Wie in Kindertagen fühle ich mich. Mama schaukelt mich. Das rationale Denken setzt aus, der Kopf knallt gegen die Scheibe, der Unterkiefer hinunter und der Sabber fließt die Scheibe hinunter. Ich bin in Tiefschlaf gefallen. Vermeintlicher Tiefschlaf, denn das Wunder ist, dass ich zu 95% rechtzeitig aus dem Schlaf erwache. Die innere Uhr, mein Biorhythmus weiß genau, gleich gibt es etwa zu trinken, gleich werden die Gehirnzellen geschmiert. Der braune Stoff, der Wunder verspricht wird über meinen Magen-Darm-Trakt in meinen Blutbahnen gepumpt. Das Herz schlägt ein wenig schneller, mein Blutdruck steigt. Die zittrigen Hände machen es mir schwer, den Haltknopf im Bus zu drücken. Ich will, nein nicht ich, sondern mein Hirn will Hauptbahnhof-Mönkebergstraße aussteigen. Seit dem Aufstehen sind mittlerweile neunzig Minuten vergangen. Außer einem trockenen Toast und einigen Schlucken stillem Wasser, gab es heute noch nichts. Wie ein Zombie schlurfe ich die Mönkebergstraße Richtung Karstadt hinauf. Gleich werde ich ihn sehen. Meine Augen blutunterlaufen, Zuckermangel, ganz bestimmt ist das Zuckermangel. Ein Versuch des aufrechten Ganges schlägt fehl. Der Rucksack wird schwerer. Die Schritte kleiner und langsamer. Nur noch 200 Meter, dann werden die Lebensadern mit der Droge beliefert werden. Ich öffne die Tür. Das grelle Licht schlägt mir entgegen. Ich halte eine Hand vor die Augen. Dort hinten leuchtet es, als ob ein Engel dort schwebt. Ich fange an, unter Halluzinationen zu leiden. Mit letzter Kraft schleppe ich mich in Richtung meines Dealers, dem Verkäufer an der Kasse. »Herzlich willkommen bei Starbucks- Was darf es sein?« Am liebsten hätte ich ihn am Kragen seines Polo-Shirts gepackt und geschrien, »Kaffee!«. Doch ich unterdrücke dieses Gefühl, ich weiß, wenn ich jetzt ausraste, bekomme ich meinen Stoff nicht und eventuell Hausverbot. Ich reiße mich zusammen und ein gepresstes, »einen Venti -Cafe-Latte, butte«, kommt über meine Lippen. Das >dalli, dalli< kann ich meinen Hirn gerade noch verbieten, an den Mund weiterzuleiten. Er nimmt einen Becher und einen Stift, fragt nach meinem Namen. »Die Queen«, meine Antwort. »Biite?« »Die Queen?« Er schüttelt den Kopf. Doch dann reicht er den Becher weiter an seinen Kollegen weiter. »4,99,« vernehme ich dumpf. Es wird Zeit, die Lebensgeister zu wecken. Ich zahle kontaktlos, und schwanke Richtung Kaffeeausgabe. Zwei Leute vor mir. Mordgelüste kommen auf. Das ist so bei Süchtigen, die nicht schnell genug an ihre Droge kommen. Endlich ist es soweit. Ein lautes, »Venti-Caffé-Llatte für die Queen.« Mein Hirn gibt den Befehl zum Lächeln, denn ich gerade noch umsetzen kann. Blitze schlagen aus meinen Augen und wenn diese töten könnten, wären die Mitarbeiter so eben von mir ermordet worden. Ich will meinen Kaffee und nichts anderes. Ganz stinknormal meinen Kaffee. Er stellt den Becher vor mich hin. Ich greife zu, mit letzter Kraft platziere ich den Deckel und befestige ihn auf dem Pappbecher. Der Weg zum Magen-Darm-Trakt ist frei. Ich hebe den Becher an meine Lippen. Nippe vorsichtig, jeder der dieses Unternehmen kennt weiß genau, der Kaffee ist heiß, sehr heiß. Ich verbrühe mir die Lippen, aber der erste Schluck der flüssigen Droge rinnt Kehle hinunter und bahnt sich seinen Weg in meine Blutbahn. Koffein findet schnell seinen Weg. Einen weiteren Schluck. Der Motor beginnt zu arbeiten. Die erworbene neue Kraft, die momentan nur leicht ausgeprägt ist, verwende ich für ein freundliches »Tschüss, bis morgen«. Das rechte Bein füllt sich mit Leben, macht einen Schritt vorwärts, die Gedanken werden klarer, links folgt, der Körper erwacht. Es kommt Farbe ins Gesicht. Die Lippen werden wieder weicher, die Augen weißer. Das Herz pocht, es zeigt an, ich lebe noch. Der Blutdruck steigt. Ich werfe mir die Handtasche über die Schulter und schreite festen Schrittes aus dem Haus. Den Becher in der Hand gehe ich die letzten 100 Meter bis zur Firma, reiße die Tür auf und brülle ein freudiges >moin< in die Empfangshalle. Ich springe in die hochfahrende Paternosterkabine, lächle freundlich und begrüße vorbeifahrende Kollegen. Die Laune ist gut. Ich lasse meine Taschen neben meinen Schreibtisch fallen, nehme noch ein paar Schlückchen und greife das erste Mal zum Telefon. Die Arbeit kann beginnen, der Körper läuft auf Hochtouren, das Gehirn ist klar und begreift Zusammenhänge. Es fühlt sich 20 Jahre jünger und schneller an. Kurze Besprechungen und Telefonate folgen und ehe man sich versieht, sind vier Stunden vergangen. Der Motor beginnt zu stottern, der Blutdruck fällt ab, die Augen röten sich, Zeit für die Mittagspause und dem Gang zum Dealer. Der Paternoster fährt hinab. Mühevoll steige ich ein. Die Beine sind schwer, der Gang langsam und schlurfend. Schnell über die Straße ist nicht. Ich kann nicht mehr. Mein Oberkörper fällt zu zusammen. Mein ganzer Kreislauf schreit nach der Droge. Mit letzter Kraft schleppe ich mich in den Tempel der Dealer, dem Palast der schwindenden Sinne, dem Schloss der Droge, die da heißt: Kaffee für den Starbucks-Coffee-Junkie

Das kleine Schwarze

Ich legte den Hörer auf. Keine Minute später überkam mich die Panik. Er hatte mich zum Essen eingeladen, und ich hatte ja gesagt. Ich hatte ein Date. Scheiße, ich hatte ein Date. Um Gottes willen, was hatte ich getan? Meine erste Verabredung seit ich meinen Mann vor sieben Jahren verloren hatte. Ich rannte durch den Flur zur Haustür, an der mein Spiegel hing.

Ein Blick hinein und ich entschloss mich, den Rettungsdienst anzurufen, nachdem ich mich an seine letzten Worte erinnerte, »ich würde dich am liebstem im kleinen Schwarzen sehen«. »Ha, guck dich doch an, du und so einen Fummel, der Lacher schlechthin. Wie eine Wurst im Frack würde ich darin aussehen, oder das Kleid würde einer Wurstpelle gleichen«, dachte ich.

Ich wurde hektisch, rote Flecken bildeten sich auf meiner Haut. Ich fuhr mir mit den Fingern durch die Haare. >graue Strähnen! <. Das ging gar nicht. Ich drehte mich, helle Wurstpelle, Damenbart, Achselhaare, die sogenannte Winterbehaarung, und wie so überhaupt, sollte ich mich aufbrezeln? Der Spruch mit dem Rettungsdienst bezog sich auf mein internes Hilfskommando. Mein Friseur, meine beste Freundin und meine Kosmetikerin. Vielleicht konnten alle zusammen retten, was nicht mehr zu retten war. Ich hatte in den letzten Jahren nicht viel Wert auf mein Äußeres gelegt, denn wer sollte mich auch haben wollen, wenn ich keinen haben wollte. Obwohl mein Mann immer gesagt hatte, wenn ich einmal nicht mehr bin, suchst du dir jemand Anderen. Du bist noch zu jung, um allein alt zu werden. Aber, ich wollte keinen anderen Mann, bis zu dem Tag, an dem mein neuer Kollege in mein Leben trat. Er war zwar jünger als ich, ganze zehn Jahre, aber so voller Humor, gutaussehend und ganz besonders gut riechend. Er dreißig und ich vierzig, das hatte doch keine Chance.

Das kleine Schwarze kam mir wieder in den Sinn. Ich rannte zurück ins Wohnzimmer, griff zum Telefon und rief beim Friseur an. »Hilfe! Notfall! Kann ich heute noch meine Haare gemacht bekommen, das übliche Programm, waschen, farben und schneiden?« Sie kannte mich gut genug, um die Dringlichkeit meines Anliegens zu erkennen. Ich bekam einen Termin zwei Stunden später. Erst mal unter die Dusche, Haare entfernen, dann zur Kosmetikerin. Ich brauchte lackierte Nägel. Neue Nummer gewählt, auch da hatte ich Glück. Sie würde mich heute Nachmittag, nach Feierabend, schminken und die Nägel mit durchsichtigem Glanzlack überziehen. Jetzt noch Elli, sie musste mir beim kleinen Schwarzen helfen. Ich hatte so einen Fummel nicht. Auch nicht wahr, ich hatte eines, aber wie schon gesagt, Wurstpelle.

Meine Hektik wurde von Minute zu Minute ausgeprägter. Angst kam hinzu. Das wird das letzte Mal sein, dass er mich eingeladen hat. So eine kleine kurvige ältere Frau ...

Die Gedanken schossen nur so durch meinen Kopf. Nachdem ich geduscht hatte, zog ich mir das Kleid an, versuchte, in eine Nylonstrumpfhose zu schlüpfen, und band meine Haare zum Zopf. In dem Moment klingelte es. Ich öffnete die Tür. Es war Elli. Sie warf einen Blick auf mich, beugte sich vor und dann begriff ich, sie lachte sich kaputt.

»Das geht gar nicht, Anna. Zieh das bloß aus.« »Aber, der Andreas wünscht sich für unsere Verabredung ein kleines Schwarzes,« »Der Andreas?« »Genau der.« »Ich glaub das einfach nicht, wie hast du das denn gemacht?« »Mit Charme und ohne das kleine Schwarze.« »Dann gehst du da auch ohne diesen komischen, mittlerweile zu klein gewordenen Fummel hin. Drehstuhlpiratenpfunde hast du dir mittlerweile angefuttert, wenn ich das Mal so sagen darf.« »Was soll ich denn jetzt machen? Er wünscht es sich doch so sehr. Wenn ich vielleicht hinten den Reißverschluss auflasse und einen Bolero drüber trage?« »Und, was passiert, wenn er mehr will? Huch, was ist das denn , Anne?« Elli lachte laut auf. Ich wurde rot. »Was wolltest du noch anziehen?«

Ich holte meine Stöckelschuhe aus dem Schuhregal, stülpte sie mir über die Füße und schritt los. Losschreiten, war geprahlt. Ich stolperte durch meinen Flur, knickte um. Elli schlug mit der flachen Hand gegen ihre Stirn.

»Du bist ein hoffnungsloser Fall. Weißt du, was wir jetzt machen. Du gehst zum Friseur und zur Kosmetikerin und ich stöbere mal durch deinen Schrank und suche dir das passende Outfit aus.« »Aber, das kleine Schwarze...« »Scheiß drauf, er soll dich so nehmen, wie du bist! Und, du bist nicht die Frau für dieses komische Kleidungsstück.« Mit diesen Worten packte sie den Fetzen in Schwarz und war ihn in die hinterste Ecke meines Schlafzimmers.

Drei Stunden später betrat ich meine Wohnung. Es duftete nach Kaffee. Elli war zwischendurch noch zum Bäcker gelaufen und hatte ein Stück Kuchen geholt, dazu gab es nun einen Kaffee. Mitten im Wohnzimmer hatte sie meinen Sessel positioniert. Darauf lagen mein rosa Hosenanzug, meine weiße Bluse und davor standen flache schwarze Slipper. Über der Lehne hingen zwei Ketten und es lag etwas Schwarzes darauf. Ich zeigte auf den viereckigen Lappen, der dort lag.

»Was ist das?« »Du hättest fragen sollen, was war das. Andreas sagte, das kleine Schwarze, er sagte aber nicht, welches kleine Schwarze. Das kleine schwarze Hals- oder Einstecktuch, vielleicht.« »Das hat er bestimmt nicht gemeint.« »Er kennt dich doch gut genug und weiß, dass du kreativ bist.« »Apropos kreativ, wo hast du das Einstecktuch her?« »Deine kleine schwarze Wurstpelle existiert nicht mehr«. Sie griff hinter sich, zog mein Kleid hervor, faltete es auseinander. Dort prangte ein kleines quadratisches Loch, wo früher mein Hintern prangte.

»Jetzt trinken wir erst mal einen Kaffee, arbeiten an der Vollendung deiner Kurven und dann machst du dich fertig.« Wir hielten unser kleines Kaffeekränzchen ab, dann zog ich die Kleiderstücke an, die Elli mir zurechtgelegt hatte. Ich blickte in den Spiegel, die Frau, die mir entgegenstrahlte, gefiel mir und meiner Freundin ebenfalls. Mein Spiegelbild bekam das Okay von ihr.

Aufgeregt machte ich mich am Abend auf den Weg zum Restaurant. In meinem Bauch hatte sich ein Schwarm von Schmetterlingen ihrer Puppen entledigt und startete zum ersten Flug. Mein Herz pochte, als ich ihn vor der Tür stehen sah. Ich kam dichter. Er lächelte, mein Herz blieb stehen, als sein Blick von lächelnd in erstaunend wechselte.

»Wo ist das kleine Schwarze, das ich mir gewünscht hatte?« Mir kamen Ellis Worte in den Sinn. »Du hast nur kleines Schwarzes gesagt, woher soll ich wissen, was du meintest.« Er lächelte wieder. Dann bewegte sich seine Hand zum Einstecktuch, zog es aus meiner Brusttasche und wischte damit durch mein Gesicht. »Wenn du schon rumläufst wie immer., dann bitte auch ohne Make-Up. So mag ich dich viel lieber ansehen.«

Lachend hielt er mir die Tür auf und wir gingen hinein, in den Anfang unserer ganz besonderen kollegialen Beziehung.

Meine Süchte

Die üblichen Suchtmittel verschmähe ich, beziehungsweise, zu denen kenne ich keine Sucht. Ich rauche nicht, ich trinke nicht, ich esse keine Chips und keine Süßigkeiten, nur bei Eis werde ich schon mal schwach. Eis geht immer.

Die einzigen Dinge, nach denen ich süchtig bin, sind Nordseekrabben und Männer die nach Cool-Water von Davidoff riechen. Bei Letzterem passieren komische Dinge mit mir, wenn ein so betankter Mann an mir vorbeigeht und der Geruch mir in die Nase zieht. In dem Moment beginnen mein Körper und seine Innereien zu reagieren. Ich sauge den Geruch ein, mein Gehirn schaltet auf irgendeinen weiblichen Notstand, die Alarmglocken da oben setzen aus, hört auf zu denken und hat nur noch eine höher gestellte Daseinsberechtigung, wie mir scheint, >DEN MUSS ICH HABEN<: Sofort setzen sich meine Füße in Bewegung. Wie ferngesteuert trotte ich, wie künstliche Nichtintelligenz, hinter ihm her. Dieses, wohl umgeleitete, Grundverhalten eines norddeutschen Frauenkörpers hat schon zu so mancher witzigen Situation im Freundes- und Bekanntenkreis geführt. Da ist auch das Beuteschema egal, der riecht gut, das ist meiner.
Gegenstände, Lebensmittel, Tiere, nach dem ich süchtig bin, sind Nordseekrabben. Da könnte ich zur Mörderin werden oder, wie man so schön sagt, mich hineinsetzen. Ihr könnt mir Scampi, Shrimps, Südseekrabben vorsetzten, es wird nichts passieren. Ich werde sie verschmähen, bzw. höflich nur mal eine probieren, doch dann werden die gepullten Nordseekrabben vor mich gestellt, dieses rosafarbene feste Fleisch lässt das Wasser in meinem Mund zusammenlaufen. Am besten noch, die ganz frischen, am Morgen aus der Nordsee gezogenen.
Ich setze mich an den Tisch, benehme mich noch normal, sehe diese kleinen Meerestiere und starte mit der Verteidigung meiner Mahlzeit. Die Schale wird an meinen Essplatz gezogen. Der wirre Blick schweift umher, ist da ein Gegner, der mir die Mahlzeit abspenstig machen will? Wenn ja, kommt die Gabel in Stechhaltung, man muss zustechen können, wenn ein Lebensmitteldieb in die Nähe kommt. Die Augen feuern Blitze ab, der Hass spricht aus ihnen. Der Hass auf vermeintliche Gegner um das leibliche Wohl, das Messer im Anschlag, wartend auf den Beginn der Mahlzeit. Es herrscht absolutes Aufnahmeverbot von Krabbensalat, bis die Königin sich die erste Scheibe Brot damit belegt hat. Jeder in unserem Freundes- und
Bekanntenkreis weiß und respektiert es.
Es kann auch schon mal einen Schlag auf die Hand geben, verbunden mit den Worten, >Hand ab<. Alter Familieninsider.
Die Liebe zum Krabbensalat liegt bestimmt in meiner Kindheit. Ich bin früher, mit meiner kleinen Schwester, mit einem Casher und einen Sandeimer befüllt mit Seewasser, in die Ostsee gegangen und habe dort Ostseekrabben gecasht. Meine Mutter hat diese frischen Krabben in einem Topf mit heißem Wasser zubereitet und abends hat die Familie im Zelt gemeinsam Krabben auf Brot gegessen. Eine Mahlzeit, die auch meine kleine Schwester einmal mochte. Die, die sonst fast alles verschmähte.
Versuch der humorvollen Auseinandersetzung mit meinen persönlichen Süchten, bei denen ich zum Tier werden kann.
Süchte können so divers sein, wie es das ganze Leben ist.

Ansichten eines ICEs

Ich stehe hier und warte. Wie so oft, verharre ich im Ruhestand, aus einem mir unerfindlichen Grund. Ich wurde geschaffen, zu fahren, zu transportierten, zu befördern, einfach nur, um Wege schneller zu machen. Ich schleppe zwischen 406 und 455 Tonnen Leergewicht mit mir rum, wenn die Fracht, mich nicht auseinandergenommen hat.

Stolz blicke ich mich um. Ja Leute, kriecht in meinen Bauch, lasst euch nieder und lasst euch auf mich und meine Launen ein. Mit was soll ich euch heute den Tag verderben? Schweinetransporter? Geht nicht. Ein Blick in mein System zeigt mit, ich bin komplett, alle Wagen sind angeschlossen, mit Zusammenpferchen wird das heute nichts.

Nächste Möglichkeit, technischer Defekt. Klimaanlage, gute Idee. Temperatur runterregeln auf 18 Grad. Ich frier nicht, alles was ich dem Transportgut nicht gebe, kann ich selbst behalten.

Weichenstörung? Kann ich nicht beeinflussen. Bord-Bistro? Oh, guter Einfall, Stromausfall am Kaffeevollautomaten und an der Mikrowelle. Es reicht, wenn sich die Ware Fahrgast mit Snacks und Sandwiches bis Kassel über Wasser halten kann. Dann kommt, wenn sie Glück haben, der Snackwagen mit frischem Kaffee und neuen Snacks und Sandwiches oder der Brezelverkäufer. Cappuccino und Café Latte sind heute nicht. So, Strom im Bistrowagen, heruntergefahren, Check.

Soll das Gut doch bekommen, was es immer von uns fordert, seine Verspätung und die sollte heute schon üppig ausfallen. Noch ein paar kleine Fehler ins System eingebaut, die sollen sich aber erst unterwegs bemerkbar machen.Was für eine Idee, Ausfall der Toiletten, nicht alle, aber immerhin so viele, dass es ein Gedrängel davor geben wird. So!

Die Türen öffnen sich endlich, es kann losgehen. An den Einstiegen ein Gedränge, ein Schupsen. Mein Korpus geschändet durch das ewige Anschlagen der schweren Koffer und anderer Gepäckgegenstände, wie Kinderkarren und Musikinstrumente. Wäre ich Mensch, hätte ich jetzt Aberdutzende blaue Flecken, einen von Dritten geschundenen Körper.

Das Wetter lässt mich auch leiden, denn es regnet ohne Unterlass, was wiederum heißt, mein schöner blauer Teppich weißt weitere dreckverschmierte Flecken auf. Keine Rücksicht nimmt dieses Transportgut auf mich, unausstehlich.Jeder kümmert sich nur um sich und seine elektronischen Geräte, will ab und an mal etwas Kaffee loswerden und auch mal welchen konsumieren. Ich hasse euch. Die Ladung ist verstaut, die Fahrt kann losgehen. Ich zeige euch jetzt….

Puh, der Strom durchfließt meine Adern. Langsam fange ich an zu laufen. Versuche, mich in Bewegung zu setzen. Gar nicht so einfach. Ich spüre es in meinen Knochen, da ist mehr Ware verstaut worden, als ich Plätze habe. Sie können den Hals nicht voll genug bekommen.

Wenn man mich vorher fragen würde, dann würde ich die Türen schließen, wenn mir mein Bauchgefühl sagt, genug ist genug. Aber nein, alles muss rein, alles muss weg.

Ich setze mich weiter in Bewegung, schwer schnaubend und das, obwohl ich trainiert bin. Ich dürfte so an die 1000 Tonnen bewegen. Wir werden schneller. Ein Blick nach links und rechts, wunderschön diese Fahrt über die Mainbrücke.

Fünf Minuten unterwegs und die erste Störung, da raucht doch irgend so ein Idiot auf der Toilette in Wagen 8, das muss unterbunden werden. System durchsuchen, ach, da ist es ja. Spülung aus. So, das habt ihr jetzt davon. Jetzt muss der Zugbegleiter die Türen verschließen, Wagen acht ohne Toilette, wir bewegen uns meinem Ziel >Verspätung< entgegen.

Ne, jetzt ist aber gut, da hat doch einer die Kaffeemaschine wieder in Gang gebracht. Ich muss tätig werden. Strom kappen an anderer Stelle. In Kassel können sie sich ja Kaffeekannen und mehr Snacks an Bord bringen lassen. Und was nun?

Rumms, Vollbremsung. Die Fracht wird durcheinandergeschüttelt, ich spüre Flüssigkeit auf meinem Boden. Ich habe die Schnauze voll, keiner respektiert mich und meinen Körper. Ich bin zwar kein Mensch, aber ich lebe auch. So, Warnblinkleuchten an im Cockpit des Zugführers. Wollen doch mal sehen, wie er darauf reagiert.

Oh, er drückt panisch Knöpfe. Kurz mal Augen auf, Shit, die Weiterfahrt ist erlaubt, aber er gibt kein Gas. Hey, was soll das? Ich will noch ein wenig Spaß haben.

Durchsage: »Aufgrund einer Systemstörung müssen wir den Zug einmal runterfahren und neu starten, das kennen sie ja von ihren Computern zuhause. Dies kann bis zu einer halben Stunde dauern.«

Juhu, Ziel erreicht, Verspätung. Was ist jetzt? Mir wird schwarz vor Augen. Ich ....

So ein neuer Tag ist doch was Schönes. Einmal kurz schütteln, Systemcheck durchführen, alle Systeme okay. Kann losgehen. Wieso stehen wir auf freier Strecke. Auf Befehl, sprich Knopfdruck, des Zugführers setze ich mich langsam in Bewegung. Etwas schwer heute, aber was tut man nicht alles, um eine Fracht wohl behalten an ihr Ziel zu bringen. Ich werde schneller. Das macht richtig Spaß und bald kommt mein Lieblingsabschnitt, das Bergabfahren zwischen Göttingen und Hannover. Hui, das wird spaßig.

Wobei, eine Verspätung herausfahren, wäre jetzt auch ein netter Spaß.

Da, wo Du jetzt wohnst

Da liegt er, dieser idyllische Platz, auf dem die Hoffnungen, die Liebe und die Trauer begraben sind. Die Sonne strahlt darauf. Dreißig Quadratmeter bepflanzt mit einem Apfelbaum, ein paar Koniferen und Blumen, umrandet von einer Ligusterhecke. Eine kleine Bank steht direkt an der Hecke. Der Blick zu den Nachbarn versperrt, hier konnte man allein in seinen Erinnerungen schwelgen. Wann wurde dieses Idyll angelegt? Das muss schon 41 Jahre her sein. Damals, kurz nachdem das erste Drama geschah.

Billy the Kid, der Räuber der Straße. Jedes Kind kannte ihn, war mit ihm aufgewachsen, hatte miterlebt, wie er in der Puppenkarre ausgefahren wurde. War die Schule zu Ende, saß er auf dem Zaunpfeiler, begrüßte die heimkehrenden Schüler, ließ sich streicheln und auch mal mitnehmen, wenn ihm danach war. Fragte man in der Straße die Nachbarn und Kinder, hatte jeder ihn irgendwo herumstreunen sehen. Er war der Liebling der Straße, bzw. der Nummer Eins bis Zwanzig. Zwei Jahrzehnte begleitete er die Menschen der ruhigen Ecke am Randgebiet von Hamburg. Er ritt auf Dackeln und Hasen, jagte Mäuse und Vögel, klaute aus der Küche der Nachbarn Hack und stellte sich brav bei allen an, die grillten, um sich ein gutes Stück Fleisch zu sichern. Er hasste es, im Auto zu fahren, aber im Fahrradkorb hielt er es aus.

Mit den Jahren wurde er langsamer und langsamer. Er schlief mehr und mehr, hörte und sah schlechter. Er wurde halt alt, wie wir Menschen auch. Eines Tages, hörte er auf zu fressen. Man fuhr mit ihm zum Tierarzt. Die, mittlerweile erwachsenen, Kinder baten die Eltern, ihn nicht zu töten. Doch sein Körper war übersät von Krebs. Er bekam eine Spritze und schlief ruhig ein. Ein, für immer.

Doch bereits im Vorwege hatte man Vorbereitungen getroffen. Man nahm das Tier mit nach Hause. Dort stand eine kleine Holzkiste, ausgelegt mit weichen Handtüchern. Billie sollte weich liegen. Er sah so friedlich und glücklich aus. Behutsam wurde er in die Kiste gelegt, der Deckel geschlossen und zugenagelt. Der Vater nahm die Kiste auf seine starken Arme und trug sie in die hinterste Ecke des Gartens. Im Trauermarsch die ganze Familie hinterher, Mutter und zwei Kinder.

Dort hatte er bereits ein Loch gegraben. Vorsichtig legte er die Kiste im Loch ab. Dann wurde Erde darauf geschüttet. Am Ende kamen die, vorher ausgestochenen, Grassoden wieder auf die Erde. Damit man sich erinnerte, wo das geliebte Tier lag, wurde ein selbstgebautes Holzkreuz aufgestellt, beschriftet mit dem Namen des Tieres.

Doch Billie sollte nicht allein dort liegen bleiben. Sie nannten es den Friedhof der Kuscheltiere. Im Laufe der Jahre hat sich eine illustre Gesellschaft, dort hinten in der sonnenbestrahlten Ecke des Gartens, angesiedelt. Billie folgten noch fünf Katzen. Eigene und auch die der Kinder, drei Meerschweinchen, zwei Wellensittiche und zwei Ratten bevölkern dieses kleine Fleckchen Erde.

Mit viel Liebe wurde der Apfelbaum gepflanzt, der im Sommer Schatten spendet. Die Bank wurde selbstgebaut aus vier Brettern und vier Baumstammstücken. Die Hecke steht dort seit 61 Jahren, die Blumen und Koniferen folgten nach und nach. Jedes Tier hat seinen eigenen Holzsarg und stirbt ein Tier der Familie, dann wird angerufen und nachgefragt, ob noch ein Plätzchen frei ist bei den anderen Lieblingen des Hauses,

Auf dem Friedhof der Kuscheltiere.

Die vier Seekamp-Jahreszeiten

Es ist Winter, die Felder und Wiesen in der schleswig-holsteinischen Schweiz, die an die Ostsee grenzen, liegen brach. Erde, soweit das Auge reicht. Auf einigen liegen noch verstreut ein paar Halme der letzten Getreideernte. Der Winter legt Hand an, lässt die Erde gefrieren, lässt sie hart werden. Wir Kinder rennen den Hügel hinab zum Campingplatz. Ein gerader harter Feldweg, um schneller am Wasser zu sein, nehmen wir den Weg direkt über das hartgefrorene Feld. Noch haben wir Frost, aber die Tage werden länger und wärmer. Bald wird der Bauer den Raps ausbringen. Noch sieht alles still und friedlich aus. Unberührt, so scheint es, liegen die Felder da. Wir haben das Wasser erreicht. Am Strand sieht man kleine Eisschollen auflaufen.

Zwei Wochen später machen wir erneut einen Ausflug zum Platz.

Die Frühlingssonne hat sich schnell durchgesetzt. Heute können wir nicht über die Felder zum Wasser laufen, wir müssen den regulären Weg nehmen, da der Bauer die Habersaat ausbringt. Auf dem anderen Feld daneben sieht man kleine Knospen sich den Weg aus der Erde suchend, hervorsprießen. Ein kleiner Hauch von Grün. Ein Truthahn stolziert über die noch leeren Felder und pickt ab und an etwas auf, einige Hasen schlagen Haken über die Felder. Man merkt, das Leben beginnt wieder. Von nun an geht es jedes Wochenende an die See und wir können das Wachsen der kleinen grünen Sprösslinge beobachten.

Mit jedem Wochenende, das wir an die Ostsee fahren, verändern sich die Wiesen und Felder. Aus Sprösslingen wird eine Pflanze, die Ende Mai beginnt zu blühen. Sie bietet ein Versteck für Hasen und brütende Vögel. Aus Grün wird ein strahlendes Gelb, die Rapsblüte ist da und mit ihr, die Rapskäfer. Unsere gelben Kleider und Shirts wimmeln von den Käfern. Aus Gelb wird schwarz. Die Getreidefelder haben noch etwas Zeit, doch bald wird der Raps verblüht sein, und kann geerntet werden, um daraus Rapsöl zu produzieren.

Es wird wärmer, der Bauer hat den Raps abgeerntet und wartet auf das Getreide. Der Sommer ist da, die Sonne scheint unerbittlich auf die Erde. Die Pflanzen brauchen eine gute Mischung aus Sonne und Regen, um sich gut zu entwickeln. Am Feldrand blühen die ersten Feldblumen. Mohn, Feldblumen und Margeriten. Wir laufen denn Hügel hinauf und pflücken unserer Mutter einen bunten Strauß Blumen vom Wegesrand zum Geburtstag. Bald ist der Sommer vorbei, das Getreide ist hoch und gesund gewachsen.

Als Kinder sind wir durch die Felder gelaufen, als Teenager bauten wir uns ein Bett im Kornfeld, was heute gar nicht mehr geht, aber als Kinder und Jugendlicher hat man darüber nicht nachgedacht. Als Kinder legten wir uns auf den erdigen Boden, gruben mit den Fingern in der Erde, beobachteten das Krabbeln der Käfer, Würmer und Spinnen am Erdboden, als Teenager nutzten wir eine Decke als Unterlage, um nicht direkt auf der Erde zu liegen und als Erwachsene rennen wir schreiend weg, wenn uns eine Spinne begegnet.

Ende August bis Ende September erntet der Bauer seine Früchte vom Feld. Die Luft ist staubig, es riecht nach Stroh, Heuballen zieren die Felder, bis sie eingebracht werden. Der Herbst naht mit großen Schritten. Die Felder haben etwas Zeit, bis der Bauer im Oktober wieder die Hafer-Saat ausbringt. Vor uns liegen die letzten Wochenenden an der Ostsee, bevor es für unseren Wohnwagen ins Winterquartier geht. Die Felder liegen vor uns, sie sehen den Winter über leer aus. Erde ist zu sehen, bedeckt mit ein wenig Strohresten, bis im Frühling die Vögel zum Neustart ins neue Jahr rufen und der Zyklus von vorn beginnt.

Drachen steigen lassen

Wenn ich eine Rangliste der Jahreszeiten für mich erstelle, dann kann ich das nicht, denn Sommer, Frühling, Herbst und Winter haben ihre eigenen Erinnerungen, die alle schön waren. Im Frühling begann die Camping-Saison. Man sah alte Freunde wieder, genoss Freiheiten, die man in der Stadt nicht hatte. Man durchquerte die Felder und Wiesen an der Ostsee mit den Fahrrädern, grenzenlose Freiheit, die man in der Stadt nicht hatte.

Im Sommer gab es die großen Ferien, wir gingen baden, wann immer wir wollten. Das Getreide wiegte sich im Takt es Ostseewindes und wenn man genau hin hörte, ergab das Rauschen des Meeres, gepaart mit dem Gesang der wiegenden Getreidehalme eine wunderschöne Melodie.

Dann kam der Herbst. Die Winde frischten auf und auch bei uns in der Stadt gab es Stürme. Dies war die Zeit, in der mein Opa immer seinen großen Auftritt hatte. Er nahm meine kleine Schwester und mich mit in den Schuppen und bastelte etwas mit uns. Wir bekamen Holzleisten in die Hand gedrückt. Dann zeigte er uns an Hand seiner Leisten, was wir tun sollten. Wir klebten die Leisten in Form eines Salmis zusammen.

Dann hauten wir mit einem kleinen Hammer winzige Nägel in die Stoßkanten. Waren wir damit fertig, wurden, senk- und waagerecht, jeweils eine Verstärkungsleiste eingesetzt. Im Anschluss zauberte Opa aus einer seiner vielen Schubladen Transparentpapier. Jeder von uns durfte sich eine Farbe aussuchen und damit es keinen Streit gab, durften nur unterschiedliche Farben gewählt werden. Gemeinsam rührten wir etwas Tapetenkleister an, legten das Papier auf das Holzgerüst, zeichneten die Umrisse an und schnitten anschließend die Form, beim Nähen nennt man es Nahtzugabe, aus.

Dann schmierten wir die Ränder ein. Vorher befestigten wir am unteren Ende des Drachengestells noch eine Angelsehne, dann klebten wir unser Papier auf den Rahmen, drückten es fest. Während wir darauf warteten, dass es trocknete, schnitten wir kleine bunte Streifen zurecht, die wir mit einem dünnen Faden an der

Angelsehne befestigten, so dass der Drache einen bunten Schwanz bekam. Und dann ging es raus mit Opa, Drachen steigen lassen. Damals hatten wir noch die ganze Straße, um Anlauf zu nehmen. Opa hielt den Drachen, wir rannten los und er stieg auf in den Himmel. So spielte unser Opa den ganzen Tag mit uns und dies gehört für mich zu den schönsten Erinnerungen an den Herbst.

Dann folgte der Winter, da ging es mit Opa auf den Dom und mit Opa oder Papa

zum Rodeln auf die alten Müllberge.

Aus dem Buch Basteln für Mädchen, erschienen in den fünfziger Jahren.

Alles hlrt auf mein Kommando!

Start Spreading the News, I am leaving today. I want to be a part of it, New York, New York. (Frank Sinatra)

Dank eines glücklichen Zufalles hatte ich im Mai 2006 die Chance meines Lebens. Es war eigentlich nicht einer, es kamen gleich fünf zusammen:

1. Meine ehemalige Englischlehrerin, Kommunikation Erwachsenenbildung, wollte einen günstigen Trip nach New York organisieren und fragte auch mich.

2. Meine geliebte Schwiegermutter wollte mir etwas Gutes tun.

3. Mein Mann wollte schon immer, dass ich meinen Lebenstraum New york, einmal erfüllen kann.

4. Meine Mutter hatte denselben Wunsch.

5. Und last but not least, eine liebe Freundin, die schon weit gereist ist, hatte Zeit mich zu begleiten.

Punkt fünf ist besonders wichtig für einen Menschen wie mich. Okay, ich kann es auch allein, aber manchmal bin ich so konfus, dass ich glatt am Flughafen in das falsche Flugzeug steigen und in der Antarktis landen würde, wenn das nicht beim Check-Im verhindert werden würde. Und dann kommt noch meine Sehschwäche dazu. Ich würde, aus der Ferne, nicht mal erkennen, wo ich hinlaufen muss. Aus den genannten Gründen freute ich mich wahnsinnig, dass meine Freundin mi konnte, und ich mich nicht halbwegs allein durchschlagen musste. Ein weiterer guter Grund, dass ich Anna dabeihaben wollte, war unsere liebe kleine sadistische Englischlehrerin.

Wir flogen nach London, wo wir den Rest unserer fröhlichen Reisegruppe trafen. Sie hatten einen späteren Flieger von Hamburg genommen. Immer wieder London, die Stadt meiner Träume, der zweite Ort nach Hamburg, an dem sogar ich leben konnte, wo das europäische Leben pulsiert. Erst mal eine rauchen, bevor es für sechs Stunden in den Flieger nach New York ging. Gezwängt standen wir, mit den Kippen im Hals unter den riesigen Dunstabzugshauben in Heathrow und zogen vor Nervosität einer nach der anderen durch. Keiner von uns war bisher so lange geflogen und die Unruhe wuchs von Minute zu Minute. Während des Fluges halfen mir meine Trainingsstunden mit der Deutschen Bahn, ansonsten hätte ich mir wohl vor Angst in die Hosen gemacht. Bei unseren Freunden der Schiene hatte ich gelernt, wie man es schafft, innerhalb von fünf Minuten, einzuschlafen. Oder, kamen vielleicht einfach immer nur Kindheitserinnerungen hoch? Ich gebe es zu, ich bin nicht gerade der Flugfreund par excellence. Kaum hatten wir unsere Flughöhe erreicht, und ich mir einen Film eingestellt, fielen mir die Augen zu. Ich sank in den Schlaf der Unwissenden. Kurz vor New York weckte Anna mich. Ich war gestärkt für das Abenteuer meines Lebens.

Leider kamen wir erst zu nachtschlafender Zeit an. Ich fit wie ein Turnschuh und zu jedem Spaß aufgelegt, der Rest todmüde. Anna wies mich erst einmal zurecht, dass ich den Mund halten sollte und keine Witze machen sollte, wie üblich, wenn mich die Grenzpolizisten etwas fragte. Wir erledigten zuerst den ganzen formellen Kram. Da sagt man immer, die Deutschen sind Kontrollfreaks, aber die Amerikaner schlagen uns um Längen. Ich blieb stets freundlich und zuvorkommend, hatte die Worte meiner Freundin verinnerlicht, das war die Devise und bloß nicht auffallen.

Vom Flughafen ging es mit der berühmten Subway zur Herberge: American Dream Hostel. Anna und mir wurde ein Drei-Bett-Zimmer zugewiesen Gott sei Dank bekamen wir eine nette Zimmernachbarin. Am Ende der Reise nannte man uns auch liebevoll die drei von der 33; unsere Zimmernummer.

Beim Anblick unseres Zimmers kam uns die Erleuchtung, warum es eine günstige New York Reise geworden war und es folgten im Laufe der nächsten zehn Tage noch einige Gründe mehr, die diese Aussage bestätigten. Okay, wir wollten viel erleben und nicht in dem Zimmer wohnen. Zum Übernachten war es gut genug, sah man von diesem Dreier-Bett mal ab. Unten zwei Schlafstellen und oben eines. Das ganze Gebilde schwankte wie ein Schiff im Wind. Alle Schrauben locker. Im sicheren Deutschland hätte der TÜV das Gestell aus dem Verkehr gezogen. Neben dem Bett befand sich noch ein Waschbecken und bis heute sind wir ziemlich sicher, unsere vierte Mitbewohnerin war »La Cucaracha«, die Kakerlake.

Der erste Tag begann mit einem Gewaltmarsch über Dekaden von Straßenzügen. Laufen ist billiger und man sieht mehr. Die Zungen hingen uns aus dem Hals, aber unsere kleine lieber Sadistin, unsere Anführerin, feuerte uns stetig an: »Nur noch drei Straßen, und es gibt etwas zu essen, und zu trinken.« Was die Amerikaner so essen nennen. Unser Marschgepäck wurde immer schwerer und mittlerweile war der Big Apple auch nicht mehr so interessant für uns. Das Bedürfnis unsere Essens- und Trinkgelüste zu befriedigen, übertönte jedweden anderen Sinn. Wir konnten die Schönheiten der Stadt nicht mehr richtig aufnehmen, so ausgetrocknet und verhungert waren wir. Dann kam der Ausblick, der uns für alle Qualen entschädigte. Wir standen vor dem Central Park, die grüne Lunge der Stadt und so etwas von schön und sehenswert, genau wie man es aus all den Hollywoodfilmen kennt. Wir taten es den Schauspielern gleich und legten uns in den Schatten, nagten an unserem Sandwich und beobachteten das Treiben vor uns. Ich weiß nicht mehr, die wievielte Weißbrot Pampe es war, aber sie schmeckte. Morgens, mittags und abends Sandwiches, nichts für Diabetiker oder gesunden Menschen mit dem Gelüste nach Gemüse.

Weiter ging es bis in den Abend hinein. Alles mitnehmen, was man mit den Augen und Füßen so mitnehmen kann. Und bloß kein Geld ausgeben, ganz wichtige Devise unseres Generals an der Frontlinie, wie wir unsere Lehrerin mittlerweile nannten.

Am zweiten Tag, das gleiche Spiel. Als unsere Befehlshaberin nicht zur Freiheitsstatue hinüberfahren, das kostet ja Geld, sondern nur mit der Fähre dran vorbeiziehen wollte und wir dabei, wie die Japaner, unsere Fotoapparate bereithalten sollten, streikten die ersten Rekruten dieses unerschütterlich sadistischen Kommandanten. Anna sah meine enttäuschten Augen, nahm mich in den Arm und sagte, »Scheiß drauf. Wir fahren darüber. Wenn wir früh genug da sind, kriegen wir noch eine Überfahrt. Ich hab das schon öfter gemacht.« Wir begingen Fahnenflucht und machten uns allein auf den Weg durch die Wildnis von NY.

Die Fahnenflüchtlinge auf dem Weg zur Freiheitsstatue, begleitet von den unerbittlichen Blicken der New Yorker Aufsichtsbeamten. Es ist schon ein beeindruckendes Erlebnis vor Lady Liberty zur stehen. Ich gebe es zu, ich hatte leicht wässrige Augen. Danach ab nach Ellis Island und mal geguckt ob Vorfahren von uns auf der langen Liste der Einwanderer stehen. Am Abend dann auf den Broadway und Fan gespielt. Uns an den Hintereingang gestellt und darauf gewartet, dass Jeff Goldblum aus der Tür schreitet. Alle Schauspieler kamen durch die Hintertür, begleitet von Gekreische und Gejohle, nur wir blieben unbeeindruckt und still. Wir kannten die alle gar nicht.

Am dritten Tag kehrten wir kurzfristig wieder zur Kompanie zurück. Man belagerte unser Zimmer und wollte wissen, wie es war. Mein Mundwerk blieb nicht stehen, so begeistert erzählte ich von meinen Eindrücken. Die Gesichter der Anderen wurden länger und länger. Sie zeigten uns ihre Fotos. Da zog ich meine Digitalkamera hervor und zeigte das Bild von Anna und mir, direkt vor der Freiheitsstatue, unsere Köpfe bedeckt mit unseren Che Guevara Mützen. Die Freiheitskämpfer vor der Lady.

Unser kleiner Sadist, an vorderster Front, führte uns in ein Kloster mit anhängendem Park, traumhaft schön und schon wieder >for free<.Nachdem wir einen wunderschönen Vormittag dort verbracht hatten, schickte sie uns auf einen Orientierungsmarsch durch New York. Die Kommandantin kam uns abhanden. Wir überlegten, wie lange wir mit der Bahn hierher gebraucht hatten. Es ging. Wenn wir also immer am Hudson River entlanggingen, mussten wir unweigerlich nach Manhattan kommen. Auf Höhe unserer Straße, nach links ins Gebüsch schlagen und dann sollten wir eigentlich unsere Herberge fast spielend finden. Los ging. Wussten sie eigentlich, wie viele Starbucks Cafés direkt am Hudson River liegen? Alle 1.000 Meter eines, und wir suchten fast jedes auf. Erstens hatten sie Kaffee und zweitens Toiletten, um den Kaffee wieder wegzubringen. Seit diesem Trip bin ich süchtig nach Starbucks Kaffee und kann an keinem Geschäft des Unternehmens vorbeigehen.

Tag vier in New York und der Kommandant blickte auf seine schrumpfende Truppe. Die nächsten Rekruten hatten sich der kleinen abgesprengten Freiheitskämpfergruppe angeschlossen. Wir genossen einfach nur das pulsierende Leben, den Verkehr, die an uns vorbeieilenden Menschenmassen und natürlich diesen ganz speziellen Duft der Freiheit. Dieser Tag endete in einem Kaufrausch von nicht wieder gekehrtem Ausmaß. Das Gewicht meines Gepäcks verdoppelte sich innerhalb eines Tages und die Geldbörse schrumpfte, leider nicht in dem Maße der Gewichtszunahme. Nein, auf Miniaturgröße. Kleiner Tipp solltet ihr eine Body Shop Karte haben, die gilt auch in Amerika. Noch mal kurz Little Italy und Chinatown mitgenommen und dann wieder ab auf den Broadway, die Lichter der Nacht aufsaugen und erneut versuchen, ein paar Stars auf die Digitalkamera zu bannen oder ein Autogramm abzustauben.

Tag fünf brachte eine Kehrtwende im Leben des Kommandanten, die Rekruten, ausgelaugt vom Shopping, kehrten in den Schutz des Bataillons zurück, packten ihr Marschgepäck und besuchten gemeinsam das andere Ende von New York. Bei Regen ging es nach Conney Island, um ein bisschen Seeluft zu tanken und das Russenrevier zu bestaunen. Keiner beschwerte sich, kein Knurren und Murren. Einfach nur wortlose Hinnahme der Anordnungen.

Ab dem sechsten Tag war der Kommandant auf sich gestellt und die Truppe vergnügte sich bei Starbucks. Ab und an gab es Lagebesprechungen. Diese wurden aber nicht mehr vom Kommandanten, sondern nun von den Anführern der Abtrünnigen, sprich Anna und mir, geleitet wurden. Diese ließen sich dazu herab, noch einmal die größte Kathedrale der Welt und die Washington Bridge mit dem Kommandanten zu erobern. Was auch mit Erfolg gelang. Man kann sagen, dass wir ganz Manhattan und einige andere Viertel zu Fuß eroberten. Ich habe auf Grund dieser anstrengenden Touren, meine Gesamtgewichtszunahme um drei Kilo reduzieren können. Man sollte sich diesen Satz einmal genüsslich auf der Zunge zergehen lassen.

Natürlich bekam ich auch noch mein Sleepless in Seattle Erlebnis, der Blick vom Empire State Building bei Nacht. Unser Kommandant hatte uns davon abgeraten. Erstens es kostet etwas, da raufzufahren und zweitens waren da die langen Wartezeiten. Das hielt unseren Sturmtrupp nicht davon ab, seinen Fuß ins Gebäude zu setzen. Die Wartezeit betrug nur 45 Minuten und die Sicherheitskontrollen waren wir mittlerweile gewohnt. Schwupp Rucksack in Plastikkiste, Che Guevara Kappe und Jeansjacke daneben und durch die Metalldetektorschleuse. Anschließend etwas sexuellen Kontakt durch die Abtastung der Security und dann zum Fahrstuhl im ersten Stock. Den den zu besteigen, ging ja noch. Jeder der eintrat, ließ den Lift kurz absinken und meinen Mageninhalt leicht hochkommen. Doch im, ich weiß das Stockwerk nicht mehr so genau aber irgendwas mit 50, hieß es umsteigen in den nächsten Lift. Krampfhaft hielt ich mich an der Rundumstange fest. Die Amerikaner scheinen leichte Federungen zu lieben, mein Magen gar nicht. Mir was so etwas von schlecht, dass ich mich erstmal fünf Minuten im Souvenirshop aufhalten musste, bevor ich diesen traumhaften Ausblick über das Lichtermeer bei Nacht genießen konnte.

Aufgrund unserer Fahnenflucht mussten meine Freundin und ich unsere Rückreise später antreten als der Rest der Truppe. Hört sich besser an, als wir hatten nicht den gleichen Rückflug bekommen. Dadurch hatten wir noch ein paar schöne Stunden in New York. Als wir abends abfuhren, weinte der Himmel über der Stadt. Ich weiß nicht ob vor Freude oder Trauer, dass diese fröhliche Truppe, den Ort wieder freiließ. Wie bereits am Anfang gesagt, dank meines Bahntrainings hatte ich auch mit dem Rückflug kein Problem. Ab in die Luft und geschlafen bis London. Dort hatten wir vier Stunden Aufenthalt, den wir uns mit Schlafen auf der Wartebank verkürzten. Wieder ab in den Flieger. Meine Erfahrungen mit London haben mir bereits des Öfteren gezeigt, das Heathrow dazu neigt, einem per Rundfahrt mit dem Flugzeug, noch einmal den kompletten Flughafen zu zeigen. So schloss ich meine Augen und erlebte nicht mal den Start.

Anhand dieses Berichts seht ihr, ich bin wieder heil in Hamburg gelandet.

Der letzte Tanz

»Sind sie sicher, dass dies ihre Wünsche sind`, und wir es so ausführen sollen?« Henning Kleinschmidt blickte in die runzligen blassen Augen der Frau, die gerade vor ihm saß. Edda Tschapinski, die nur noch wenige Wochen zu leben hatte. Sie nickte kurz mit dem Kopf. »Kosten spielen keine Rolle. Bereiten sie bitte alles so vor, wie abgesprochen. Die erbetene Vorkasse, für den Bau der komplizierten Apparatur, wird ihnen noch heute überwiesen.« Vier Wochen später verließ die Frau, die sich nie etwas aus dem Denken der Anderen gemacht hatte, die Welt für immer. Sie hatte ihr Leben stets so gelebt, wie sie es für richtig hielt, Sie hatte den Spaß genossen und sich geschworen, es den Miesepetern an ihrem Grab schwerzumachen.

Bereits drei Tage später flatterten bei Kindern, Freunden und Verwandten Einladungen ins Haus.

Am kommenden Montag, den 24.08. um 11:30 Friedhof >Mein Grab< Kapelle 14

Graveyard Party Event mit DJ Deda und Roberta Williams.

Ich wünsche keine Trauerkleidung.

Alle wussten, das war Eddas Lieblingssängerin. Die konnte vom Band singen, aber wer war, DJ Deda? Pünktlich standen die Trauernden vor der Tür der Kapelle. Jeder dachte, es sei seine Pflicht, ihr ein letztes Tschüss zu sagen.

Die Türen öffneten sich. Der Sarg stand hochkant vor dem Altar. Oben in der Mitte erblickten sie einen Spion. Ein Schauer lief über ihren Rücken. Edda hatte immer hinter dem Spion gestanden und den Hausflur beobachtet. Ein Klick ertönte aus dem Sarg, so als ob Edda den Verschluss von der Scheibe geschoben hätte. Sie schien die Halle zu überblicken. Die Trauergäste setzten sich, ihnen war mulmig zumute. Sie warteten auf den Redner.

Plötzlich wurde es dunkel in der Halle. Die schweren Vorhänge fielen herab. Eine Minute Stille und dann erklang eine männliche Stimme aus den Lautsprechern:

»Herzlich willkommen zu Eddas Graveyard Party Event. Sie hat sich eine fröhliche Beerdigung gewünscht, und das üben wir jetzt einmal. Sowie das Licht erneut angeht, die Orgelmusik erklingt und der Redner die Halle betritt, klatschen sie frenetisch, stampfen mit den Füßen auf und rufen Eddas Namen. Genau so, als ob der größte Star auf Erden auf die Bühne kommt.« Das Licht ging an. Stille. Verdutzte Gesichter.

Die Stimme erklang erneut. »Also jetzt ist Edda aber enttäuscht. Sie guckt uns zu und was sie eben sehen musste, hat sie sicher nicht erfreut. Nun bewegen sie rhythmisch die Hände im Takt der Orgelmusik.« Das Licht ging erneut an. Ein verzagtes Klatschen erklang aus der hintersten Ecke. Im selben Moment setzte sich die komplizierte Mechanik das erste Mal in Bewegung. Der Sarg von Edda fuhr in die Mitte, neigte sich ein Stück nach vorn, so als ob sie sich vor ihrem Publikum verbeugen würde. Ein Aufschrei ging durch die Trauergäste. »Sehen sie, jetzt hat ihre Mutter, Verwandte und Freundin sich ganz umsonst bewegt. Wenn sie ordentlich klatschen, verneigt sie sich mehr als einmal. Sie möchte den Applaus hören, die Vibrationen spüren. Also los gehst. Auf ein Neues.«

Das Licht ging aus. Die obligatorische kurze Stille, es wurde hell und der Applaus setzte ein. Edda fuhr gelassen nach vorne und verneigte sich zweimal vor dem Publikum.

»Das war noch nicht genug. Wir wollen, dass Edda tanzt.« Der Ablauf startete von Neuem. Als diesmal jedoch das Licht anging, klatschten die Angehörigen etwas lauter und zwei oder drei setzten sogar ihre Füße ein. Jeder wollte sehen, was ihre Mutter, Tante, Cousine, Freundin als nächstes verzapfen würde, Sie fuhr nach vorn, verneigte sich, drehte sich einmal im Kreis und fuhr zurück. Nun bedurfte es keiner weiteren Aufforderung, beim nächsten Erlöschen des Lichtes, wartete jeder gespannt darauf, dass es wieder anging und man klatschen und trampeln durfte. Sie wollten Edda ein Tänzchen entlocken und genau dies gelang ihnen. Mit ihrem Klatschen, Pfeifen, Stampfen mit den Füßen und Rufen, versetzten sie den Sarg in eine nicht enden wollende Rotation. Edda hatte sich ihren ersten Wunsch erfüllt, einen letzten Tanz unter den Augen aller ihrer Lieben.

Dies war jedoch nicht ihre komplette Planung. Nachdem der Redner seine Ansprache beendet hatte, trat Roberta auf und sang ihre Lieblingslieder, darunter Stücke, die jeder mitsingen konnte, wie z. B., das Schleswig-Holstein Lied oder auf und nieder. Bald hatten die Trauernden vergessen, warum sie eigentlich hier saßen. Sie lachten, sangen mit, applaudierten und einige erzählten sich klammheimlich Witze. Keiner vergoss eine Träne aber genau das war es, was sie sich gewünscht hatte. Eine fröhliche Feier. Bevor der Sarg hinausgebracht wurde, verkündete Eddas Sohn, dass sie im Anschluss ins Café Klaus gingen. Dort legt DJ Deda zum Tanz auf.

Der Sarg wurde auf die Bahre verladen und zum Grab gefahren. Sie hatte sich ihre letzte Ruhestätte gut ausgesucht. Tagsüber schien die Sonne darauf und vor Regen schützte sie ein Baum. Links und rechts von ihr jeweils ein Komiker. Vor dem Grab stand ein kleiner Kran. Wieder wunderten sich die Trauergäste. Doch schnell wurde klar, wofür dieser da stand. Wieder wurden sie aufgefordert, zu klatschen. Erst schien es ihnen etwas pietätlos, hier auf dem Friedhof. Der Sarg wurde gesenkt und ins Grab gelassen. Als sie aufhörten zu applaudieren, zog der Kran den Sarg wieder hinauf. Dieses Spielchen wiederholte sich mehrfach. Edda bekam ihre Standing Ovations. Wunsch Nummer drei erfüllte sich.

Nachdem alle Gäste den Friedhof verlassen hatten, stellte sich Herr Kleinschmidt vor Eddas Grab und fragte leise: »Und Frau Tschapinski, hat es ihnen gefallen? War es so, wie sie es sich vorgestellt hatten?«

Er vermeinte, durch das Rauschen der Blätter an den Bäumen, ein kaum vernehmbares

>Genau so< zu hören.

Schaf, Menschlein, schlaf

Ich bin eine der letzten unserer Art. Von den knapp acht Milliarden, sind nur noch vereinzelte kleine Gruppen übrig geblieben. Ich zähle nicht mehr für die Menschheit, bin nicht mehr fruchtbar. Fruchtbar und Weisheit sind die neuen Topwörter. Technik gibt es nicht. Wir könnten neue Technik entstehen lassen, aber uns Alten ist die Erde jetzt wichtiger. Wobei uns die Frage rumtreibt, haben wir das Recht, der Jugend unser Wissen, unterirdisch verstaut in Staatsbibliotheken, zu enthalten?

Haben sie nicht die gleichen Rechte wie wir, die gleichen Fehler zu machen. Ja und Nein. Nein, zum Wohle des Planeten, unserer Lebensgrundlage und Ja, wir dürfen es ihnen nicht verbieten.

20 Jahre ist es nun schon her, dass die Vernichtung über uns kam. Ausgelöst durch menschlichen Ehrgeiz und menschliches Versagen.

Ausgelöst durch den Drang, den Planeten beherrschen zu wollen. Ein ehrgeiziger Wissenschaftler, ein herrschsüchtiger Präsident und eine Fachkraft, die einmal zwei Minuten nicht aufgepasst hat und das Schicksal nahm seinen Lauf.

Atombomben wollte keiner, der Wettlauf um die in Anführungsstrichen humanste Todeswaffe der Welt begann. Ein Virus entstand, der uns alle in einen tiefen Schlaf versetzt, welcher übergeht in ein >das Herz hört einfach auf zu schlagen< Zustand, sprich zum Tode, den man nicht merkt.

Von einem Tag auf den anderen meldeten asiatische Staaten eine erhöhte Sterberate. Keiner konnte sich das erklären. Die Menschen schliefen ein, einfach so, egal, was sie taten und sie wachten nicht wieder auf. Man sah in den Nachrichten Bilder von anscheinend schlafenden Menschenmassen in Zügen, schlafende Soldaten auf Schlachtfeldern, schlafende Passagiere auf Kreuzfahrtdampfern, schlafende Flugzeug- und Zugpassagiere. Es sah so friedlich aus, so still.

Doch diese Bilder wurden mehr und mehr. Die Staaten schotteten ihre Grenzen ab, suchten den Verursacher, suchten ein Gegenmittel und fanden nichts. Es gab ein totales Reiseverbot, ein Verbot von Menschenansammlungen,

Menschenbewegungen. Wir durften nicht mehr aus dem Haus.

Der Staat organisierte Lieferketten für Lebensmittelversorgung. Alle Geschäfte. Praxen, Krankenhäuser, alles war dicht. Man hatte Angst, sich abends ins Bett zu legen, und morgens nicht mehr aufzuwachen.

Wir sahen unsere Kinder nicht mehr, Rundfunk- und Fernsehstationen stellten ihre Übertragungen ein. War etwa kaputt, wurde es nicht mehr repariert.

Irgendwann hatten wir keinen Kontakt mehr zu unseren Verwandten und Freunden. Wir kannten nur noch die Personen, die in unserem Haus oder enger noch in unseren Wohnungen mitwohnten. Man hielt Kontakt über das Sofakissen im Fensterrahmen und rief sich etwas zu, aber auch diese vollen Fensterrahmen wurden von Woche zu Woche weniger.

Räumkommandos zogen durch die Straßen, sammelten die vermeintlich Schlafenden ein. Sie wurden in die Müllverbrennungsanlagen der Welt gebracht, die Asche im Nachhinein den Gewalten des Planeten übergeben. Tiere bekamen kein Futter mehr, verstarben in ihren Ställen, außer es waren Wildtiere, die richteten sich weiter nach dem Gesetz des Stärkeren.

Irgendwann, in einer der letzten Ausgaben eines Fernsehsenders, erfuhren wir, dass eine kleine Laborfachkraft, Geschlecht unbekannt, die Türen nicht richtig geschlossen hatte und dieser biologischen Kriegswaffe sich den Weg nach draußen bahnte, wo sie ihre Arbeit verrichtete und das wirklich gut, wie wir mittlerweile sehen.

Inzwischen gehen wir wieder raus, ist ja eh keiner mehr da. Wir sind wenige, vielleicht sind wir Auserwählte Gottes oder einer anderen Macht. Vielleicht sind wir die Guten, die jetzt eine bessere Welt aufbauen sollen. Wir haben die Städte verlassen, sind auf das Land gezogen. Unsere Ansiedlung hat 100 Einwohner, zwanzig Alte, 40 Junge und viele Kinder.

Wir Alten vermitteln den Kindern und jungen Erwachsenen das Grundwissen, das man braucht, um ein Land zu beackern. Abends sitzen wir zusammen, lehren Nähen, Stricken, Kochen. Tagsüber betreuen einige von uns die Kinder, während die Eltern auf dem Feld sind.

Wir leben ein Leben zwischen Steinzeit und Mittelalter mit dem Wissen von heute. Telefone brauchen wir nicht, wir haben selbstgebaute Fuhrwerke, alte Autos, gezogen von unseren Zuchttieren. Wir essen nur noch das Fleisch, das wir auch selbst getötet haben. Plastik ist ein Fremdwort für uns. Wir hätten gar nichts, um etwas herzustellen. Unser Kühlschrank ist ein Erdbunker, wir stellen nur das her, was wir auch schnell herstellen können.

Einschlafen tut keiner………………….

Opa legt sie alle rein

Der Opa feierte seinen 95. Geburtstag. Wie jedes Mal, enterbte er seine Kinder, alle nacheinander und dies nur, weil diese eine andere politische Meinung als er hatten. Er erzählte den Kindern und Enkeln von seinem Lebenstraum, eine Million Euro auf dem Konto haben zu wollen, verriet aber nicht, wie viel er bisher davon erreicht hatte. Der Geiz beherrschte ihn seit Jahren.

Gerade hatte er seine Kinder zum Arbeitsdienst verpflichtet. Erwachsene Menschen, die selbst kurz vor der Rente standen. Opa hatte beschlossen, der Graben, vom Haus bis zur Straße selbst zu buddeln. Er beauftragt doch nicht solche Abzocker, wie diese Baufirma, bei der er den Preis angefragt hatte. Er ist doch kein Krösus, das Können auch die Nachkommen machen. Und von wegen Bagger mieten, per Hand wird gegraben. Und so kam es, dass alles, was männlich war, an einem Sonnabend zum Buddeln antrat. Sie schaufelten, unter den Augen des alten Herrn, einen exakten Graben bis zur Straße. Opa bot nichts zu trinken oder essen an, Leistung muss man bringen, irgendwann würde man ja schließlich erben.

Mit 90 entschloss sich das Familienoberhaupt, sein Haus brauche eine Gaube. Als er erneut das Instrument, Arbeitsdienst einsetzen wollte, stieß er auf eine Wand des Protestes. Wenn also keiner auf ihn hörte, dann würde er das halt selber machen.

Der älteste Sohn fuhr am folgenden Wochenende seinen Vater besuchen, doch was er da erblickte, ließ ihn erstarren. Der alte Herr hatte sich ein waghalsiges Gerüst am Dach gebaut und kletterte dort oben herum. Sofort wurde der Alarm ausgelöst und er hatte seine Kinder beim Arbeitsdienst.

So schwelgten sie an diesem Tag gemeinsam in Erinnerungen über ihren Vater und Opa, dass es die letzten sein sollten, die sie bewusst mit ihm teilen konnten, wussten sie zu dem Zeitpunkt nicht.

Ein paar Wochen später fand man den Vater und Opa in seinem Garten liegend, etwas benebelt, aber noch am Leben. Er hatte ein paar kleinere Schlaganfälle gehabt, wie die Ärzte feststellten. Nun hieß es handeln. Zwei der fünf Kinder wurden Betreuer. Den Vater konnte man nicht mehr allein zu Hause lassen, also suchten sie ein schönes Heim für ihn.

Er bekam ein Einzelzimmer, Blick in einen großen Garten und ein eigenes Bad. Es schien, als fühlte er sich dort wohl.

Was keiner bedacht hatte, Opa war nie ein Kind von Traurigkeit gewesen. 1901 geboren, zweimal verheiratet und nach dem Tod der zweiten Frau noch drei Freundinnen. Er hatte alle seine Frauen überlebt. Und nun war er wieder auf der Jagd. Hier wimmelte es nur so von begehrenswerten älteren Damen, mit und ohne Rollator, schon etwas vergesslich oder auch weniger vergesslich. Er ließ seinen ganzen Charme spielen und fand so manche Genossin für eine Nacht. Er war bekannt als der Schürzenjäger des Altersheims und die Damen machten mit, denn eines bleibt bis am Ende des Lebens oder bis fast dahin bestehen, die Lust auf das andere Geschlecht.

Nach kurzer Zeit begann er sich zu langweilen, ihm fiel sein Konto ein. Wie viel mochte da jetzt drauf sein. Die Kinder bezahlten schließlich dieses Heim, konnte man bei fünf von dieser Bagage auch erwarten. Er schnappte sich seine Jacke und Hut, den Gehstock und machte sich auf den Weg zur Haspa.

Stolz schritt er in die Sparkasse, stellte sich an den Schalter. Als er endlich dran war, wollte er den Kontostand wissen, sowie ein bisschen Taschengeld mitnehmen.

Als die Angestellten dies verweigerten, machte er Rabatz, schlug mit dem Stock auf den Banktresen. Eine Angestellte rief das Heim an, das keine 500 Meter entfernt lag. Man holte den randalierenden Opa ab.

Es gab noch etwas, das sich verändert hatte. Der Opa ging mit einem seiner Söhne jede Woche über den Markt und klaute Äpfel. Jedes Mal, wenn der Gang beendet war, zeigte er seinem Sohn stolz seine Beute. Was er nicht wusste, jedes Mal, wenn der Besuch des Sohnes zu Ende ging, spazierte dieser über den Marktplatz und bezahlte die Schulden des Vaters. Er hatte eine stumme Abmachung mit den Standbetreibern, wenn er klaut, notiert es, ich zahle es. Ich möchte gerne, dass er seinen Spaß hat.

Jahrzehntelang hatte Opa behauptet, er würde 106 Jahre alt werden, das war seine feste Überzeugung.