Rollender Donner 1 - Roberto Sastre - E-Book

Rollender Donner 1 E-Book

Roberto Sastre

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Beschreibung

Eigentlich wollte er nach Berlin. Stattdessen landet er im Rollstuhl. "Querschnittslähmung". Wie der Autor mit diesem Befund und den Unwegsamkeiten danach klar kommt, beschreibt er auf einfühlsam humorvolle Art und Weise. Ob Barrierefreiheit, Wahlgänge - die er "aussitzen muss" oder der Antrag für die neue Rampe am Haus. All das wird aufs Korn genommen. --- Ein Buch, das nicht nur Rollstuhlfahrern Mut und Freude macht.

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Rollender Donner

Autobiografische Erzählung

 

 

von

Roberto Sastre

 

 

 

Impressum

Cover: Karsten Sturm – Chichili agency

Foto: ka2706, „Stooop!!“, CC-Lizenz (BY 2.0)

http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de

http://piqs.de/fotos/108650.html

© 110th / Chichili Agency 2014

EPUB ISBN 978-3-95865-189-0

MOBI ISBN 978-3-95865-190-6

 

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

Das Buch

Eigentlich wollte er nach Berlin. Stattdessen landet er im Rollstuhl. Wie er mit dem Urteil „Querschnittslähmung“ fertig wurde, wie sich aus einem von Drogen betäubten Bündel Schmerzen langsam wieder ein Mensch entwickelte, das beschreibt der Autor so packend und authentisch, dass man das Buch kaum noch aus der Hand legen kann.

Man spürt regelrecht das Gefühlschaos, durch das er sich ohne Rücksicht auf Tabus seinen Weg bahnt. Doch auch nach der Reha, wieder im Leben, bedarf es manchmal wirklich der Mentalität eines „Häuptlings Rollender Donner“, um mit den ganzen Unwägbarkeiten fertig zu werden und dabei noch einigermaßen geistig gesund zu bleiben. Und plötzlich heißt es: „Alles zurück auf Start. Das Ganze nochmal! Nur bitte noch ein bisschen schräger.“ Das Leben schreibt wirklich die besseren Geschichten.

Der Autor

Roberto Sastre, Jahrgang 1957, IT-Trainer und passionierter Rockmusiker ist gebürtiger Deutscher und lebte einige Jahre in Mittelamerika. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland ist er durch einen Unfall im Juni 2007 querschnittsgelähmt. Bereits ein halbes Jahr danach steht er wieder auf der Bühne - im Rollstuhl. In seiner Freizeit hat die Musik einen ernsthaften Konkurrenten bekommen – das Schreiben.

Für alle, die mit einer Behinderung prima klar kommen und die, die es trotz Behinderung probieren.

Ganz besonders aber für die, die sie dabei unterstützen.

… und für meine Mutter

Vorwort

Eigentlich wollte ich nach Berlin. Eine richtig schöne Triketour sollte es werden. Eigentlich. Einmal Quer durch die Republik. Von links unten nach rechts oben und im großen Bogen wieder zurück. Eine ganze Woche hatten wir dafür eingeplant. Aber so ist es eben mit Plänen in unserer Familie. Statt dessen landete ich viele Wochen später in einem Rollstuhl.

„Querschnittslähmung“, das ist etwas, das anderen passiert. Das sieht man öfter mal im Fernsehen. Typischer Fall von „Gell, da guckste“. Diesmal ist es mir passiert.

Über das Thema gibt es so einige Bücher. Von Betroffenen, Familienangehörigen, Ärzten, Pflegern, die Liste lässt sich bestimmt beliebig fortsetzen. Alle sind entweder furchtbar betroffen, verstehen die Welt nicht mehr, oder sie beschreiben als Ratgeber, wie man damit klar kommt. Das Einzige, was in dieser Situation funktioniert, ist eine Mischung aus Fatalismus und Humor, der gerne tief schwarz sein kann.

In den Büchern „Wie ich das Laufen verlernte“ und „Geht das hier nach Größe?“ habe ich die Geschichte erzählt, vom Unfall bis zur Rückkehr ins Leben und dann das erste Jahr wieder in freier Wildbahn. Nach einiger Zeit erhielt ich Briefe und E-Mails von Menschen, die selbst durch Unfälle verletzt wurden und denen man meine Bücher in die Hand gedrückt hat, so nach dem Motto: „Schau mal, du bist nicht alleine...“

Ich erfuhr, dass es Kliniken gibt, die mit meine Geschichte frisch verletzten Patienten zu lesen geben. Dabei habe ich doch bloß in meinen eigenen Worten erzählt, wie ich den ganzen Schlamassel aus meiner Sicht erlebte. Dann wollten Zeitungen Interviews mit mir machen, man hat mir eine Rundfunksendung angeboten, ich habe in Schulen und Kliniken meine Geschichte erzählt. Anfangs fand ich den Rummel um meine Person ja ganz lustig, aber nach einer Weile kann einem so etwas gehörig auf den Wecker gehen. Und immer die selben Fragen, wann kommt das nächste Buch? Warum gibt es das nur als Taschenbuch? Trotzdem, mein EGO hat sich über so ein bisschen Aufmerksamkeit noch nicht beklagt.

Wobei, die Idee mit der Rundfunksendung – das hat Charme. Mal sehen, was sich daraus entwickelt...

Na ja, jedenfalls wollte ich das Ganze noch einmal komplett überarbeiten und dabei die Geschichte weiter erzählen. Aber gerade im ersten Teil kann man am Erzählstil so herrlich feststellen, wie ganz langsam der Kopf wieder zu arbeiten anfängt. Diese Authentizität wäre bei einer Überarbeitung verloren gegangen. Vielleicht, dachte ich mir, kann ich ja ein paar Bilder mit hinein nehmen, damit man sieht, wie diese Laberbacke aussieht. Und vielleicht interessiert es ja noch jemanden, wie es denn weiter geht, so ganz grob.

Erstes Buch

1 Der Unfall

Eigentlich sollte es eine unvergessliche Trike-Tour werden. Obwohl, so gesehen wurde es unvergesslich. Nur die Tour war kürzer als geplant.

Viel kürzer.

Seit den Filmen mit Thomas Gottschalk und Mike Krüger sind meine Frau Renate und ich begeisterte Triker. Jetzt ist so ein Trike in der Anschaffung und Unterhaltung nicht gerade billig. Aber wozu gibt es Verleiher? Auf diese Weise können wir immer ein gut gewartetes und versichertes Trike fahren und in der Zwischenzeit steht es uns nicht in der Garage rum und nimmt Platz weg. Ich fahre am liebsten den Low Rider von Boom, Renate steht mehr auf den Highway. Gut, der Schalthebel unter der linken Pobacke ist jedes Mal aufs Neue etwas gewöhnungsbedürftig aber irgendwie gehört das dazu. Manche behaupten, die Boom Trikes wären für ihr Gewicht untermotorisiert, ich sage dazu gutmütig. Hallo, wenn ich Rennen fahren will, dann hol ich mir so ein rotes Teil aus Italien. Na jedenfalls, wir wollten mal einen anderen Verleiher ausprobieren und fanden einen ganz in der Nähe. Der machte auch einen guten Eindruck, hatte eine blitzsaubere, große Halle, in der jede Menge Leih- und Kauftrikes herum standen. Einige hatten den Schalthebel mitten auf der Tankimitation und sahen auch so recht flott aus. Kürzere Vordergabel, dafür ein paar PS mehr. Aus einer Ecke schaute verstohlen ein oller Low Rider hervor – ach komm, lass uns mal so einen neuen Flitzer antesten.

Gleich bei der Proberunde merkte ich, hoppla, die Dinger sind eine ganze Ecke sensibler, da muss ich den Gasgriff aber mit den Fingerspitzen bedienen. Renate war ganz begeistert und hatte sich schnell auf das etwas andere Fahrgefühl eingestellt.

Fast kam es mir wie ein Verrat an meinem guten alten Low Rider vor, aber das Glänzen in den Augen meiner liebsten Sozia…

Aus Kostengründen hatten wir uns entschieden, diesmal nur ein Trike zu leihen und uns beim Fahren ab zu wechseln. Dafür wollten wir eine ganze Woche unterwegs sein. Einmal quer durch die Republik, von links unten nach rechts oben und wieder zurück. Am 17. Juni, dem früheren Tag der Deutschen Einheit wollten wir in Berlin sein und Hand in Hand durchs Brandenburger Tor gehen. Das kannten wir beide nur mit so einer hässlichen Mauer davor. Anschließend hatten wir vor, uns an der Spinnerbrücke mit ein paar Leuten aus dem X8-Forum zu treffen. Privat fuhr ich seinerzeit einen Piaggio X8.

Aber manchmal kommt es eben anders…

Der 14. Juni versprach ein herrlicher Tag zu werden. Wir kletterten auf unser Trike und rollten gemütlich los. So gegen 8 Uhr war natürlich etwas Berufsverkehr. Wir konnten nicht direkt in die Hauptstraße einbiegen, sondern mussten auf eine Verkehrslücke warten. Da war sie auch schon. Also Kupplung, Gas, holla, nicht so viel, sonst steigt das Vorderrad. Aber der erfahrene Rollerfahrer weiß natürlich, wie man in einer solchen Situation reagiert. Gas geben und mit dem Oberkörper in die Richtung lehnen, in die man will und schon stabilisiert sich das Ganze wieder - Normalerweise. Heh, ich will nach links, nicht geradeaus, wo sind denn die Bremshebel geblieben, was macht denn die Mauer da – Bumm.

Ich liege da, schaue in den Himmel. Warum sitzt denn mein Helm so blöd? Der Motor läuft noch, den sollte ich vielleicht abstellen. Ich will die Hand heben, aber da, wo ich meine Hand vermute, schaut nur ein Stück Knochen raus. An meinem Unterarm baumelt ein Handschuh. Ah, da ist die Hand, tut gar nicht weh. Hihi, da müssen die in der Klinik aber ganz schön dran schaffen. Aber mein Rücken tut weh! Bestimmt bin ich auf diesen bescheuerten Idiotenbügel geknallt. Rücken? Hab ich einen Unfall gehabt? Zum Glück haben wir Vollkasko. Wir? Unfall?? Scheiße!!! NADDY, BIST DU OK??? Renate meldet sich, sie scheint in Ordnung zu sein. Ich bin froh, dass ihr nichts passiert ist. Aber was ist mit mir? Also, die Hand ist im Eimer, den Rücken habe ich mir an gehauen, das Atmen ging auch schon mal besser. Der Rücken, DER RÜCKEN!!! Mist, kann ich mit den Zehen wackeln? Weiß nicht, es tut alles ganz gemein weh. OK, keiner darf mich anfassen, da muss ein Spezialist für Rückenverletzungen her. Ich höre ein Martinshorn, dann noch eins.

Hallo, wie heißen Sie, wissen Sie was passiert ist. Scheint ein Polizist zu sein. Ich sage ihm, was er wissen will und noch, dass mich keiner anfassen darf, weil mein Rücken…

Hallo, ich bin der Rettungsassistent, wie heißen Sie? Hab ich doch gerade erst, OK, Name, Schuhgröße, etc. Wir müssen Ihnen eine Halsmanschette anlegen. Mich fasst niemand an! Ich habe den Rücken verletzt.

Hallo, ich bin der Notarzt, wie heißen Sie? Nicht schon wieder! Wir müssen Ihnen eine Halsmanschette anlegen. MICH FASST NIEMAND AN! Ich habe den Rücken verletzt!!!

Irgendwo hinter mir sagt jemand: “Jetzt reicht’s ich geb ihm was.“ Dann geht das Licht aus.

2 Intensivstation

„Hallo, können Sie mich hören, wie heißen Sie, wie alt sind Sie?“ Ach Leute, lasst mich doch schlafen, ich bin so müde. Ich gebe die gewünschte Auskunft, schlafe wieder ein.

„Hallo, können Sie mich hören, wie ist Ihr Name. Wissen Sie, wo Sie sind?“ JETZT REICHTS!!! Rede ich russisch??? Langsam werde ich sauer.

In den Nächten vor besonderen Tagen träume ich manchmal ziemlich wirres Zeugs. Meistens geht es darum, dass ich einen wichtigen Termin verschlafe oder mir vor einer Tour das Bein breche oder etwas in der Richtung. Dieser Traum ist aber ziemlich real. Ich öffne vorsichtig die Augen. Das erste, was ich sehe ist ein merkwürdiges Muster von im Kreis angeordneten Schlitzen. Später stellt es sich heraus, dass es die Ansaugöffnung einer Klimaanlage ist. Langsam dämmert es mir, dass das jetzt kein Traum ist. Dann war der Unfall auch nicht geträumt? Ich liege im Krankenhaus? Wie schwer hat es mich erwischt?

Ein grün gekleideter Mensch steht vor mir und redet in einer Mischung aus lateinisch und badisch auf mich ein. Ich erfahre irgendetwas über eine zehnstündige Notoperation, über provisorische Einrichtungen, weitere Operationen. Nach einer Weile wird mir klar, dass er über mich redet und frage genauer nach. Also, meine Hand war nicht ab, sondern Elle und Speiche am Handgelenk abgebrochen. Dadurch sah das so aus, als würde die Hand am Unterarm baumeln. Hat sie ja eigentlich auch! Ist aber alles soweit mit Platten und Schrauben wieder an Ort und Stelle. Zwei Finger hat man wieder replantiert, die müssten aber gut an heilen. Die Zunge hatte ich mir abgebissen. Man hat aber fast alles wieder gefunden und zusammen genäht. Ein Stück hat man bewusst verkehrt herum eingenäht, um den Hauptzungennerv zum Wachstum anzuregen.

Um es vorweg zu nehmen, es hat funktioniert. Ich kann die Zunge fast wieder so gebrauchen, wie vorher. Hat aber ein paar Monate gedauert. Sie ist jetzt ein bisschen kürzer und kommt mir dadurch auch schneller vor. Ich sag jetzt immer, ich bin der lebende Beweis dafür, dass der Mensch schneller reden als denken kann.

Die multiplen Rippenbrüche (multipel, soso) und die Lungenprellung würde man konservativ behandeln. Hört sich ja toll an, konservative Behandlung. Das heißt im Klartext, man macht nix, es heilt so. Oder nicht. Bei mir hat es so geheilt. Tut aber beim Wetterwechsel immer noch weh.

Das Beste hat er sich für den Schluss aufgehoben. Aber irgendwie habe ich es ohne das herum Gerede schon gewusst.

Der 9. Brustwirbel ist gebrochen und der 10. Brustwirbel ist zertrümmert. In der Not-OP wurde erst einmal der Druck davon genommen. In einigen Tagen wird mit Material aus der Hüfte der 10. Brustwirbel wieder aufgebaut, der 9. heilt so. Aha, konservative Behandlung. Scheint in meinem Fall der Renner zu sein. Inwieweit das Rückenmark verletzt ist, kann man noch nicht sagen. Die beiden Wirbel waren aber eineinhalb Zentimeter gegeneinander verschoben.

Das hörte sich erst einmal jetzt nicht so dramatisch an. Ich fand aber bald heraus, dass der Spinalkanal, durch den das Rückenmark läuft, ca. 8 mm Durchmesser hat. Die Verschiebung war also das Doppelte des Spinalkanaldurchmessers. An der Stelle hörte ich erst einmal auf, zu denken. Irgendwie kam mir das Bild eines Kabelbaums in den Sinn, der in einem Rohr verlegt ist. Irgendwer hat jetzt beim Übergang in ein anderes Rohr dieses andere Rohr seitlich um das Doppelte seines Durchmessers verschoben, also zwei Mal scharfe Kante – Hmmm.

Ich versuchte mit den Zehen zu wackeln, hatte auch das Gefühl, dass die Zehen noch da sind, aber ich bekam keine Rückmeldung. Ich konnte mich auch nicht aufrichten, um nachzusehen. Also fühlte ich mit der Hand nach, ob meine Beine noch da sind. Ich konnte zwar mit der Hand meine Beine spüren, aber an den Beinen konnte ich die Hand nicht fühlen. Und dann diese furchtbaren Rückenschmerzen! Sobald ich auch nur einen Piepser von mir gab, war sofort jemand da und spritzte etwas in meinen Infusionsschlauch oder in den Zugang, den man mir an der linken Brustseite gelegt hatte. Das also ist eine Querschnittslähmung. Jetzt habe ich es ausgesprochen! Querschnitt.

Querschnitt – Ich bin gelähmt! Ich! Das passiert doch nur anderen! Das ist bestimmt ein Irrtum. Oder nur vorübergehend. Ach ja richtig. Deshalb die provisorische Not-OP. Die Richtige kommt ja in ein paar Tagen. Dann kann ich auch bestimmt wieder laufen...

Jaja, die Sache mit dem Laufen. Wenn ich damals gewusst hätte, dass das nicht Laufen das Wenigste dabei ist und was sonst noch alles hinterher kommt, ich weiß nicht, ob es diesen Bericht gäbe.

Und ohne meine Familie gäbe es diesen Bericht mit Sicherheit nicht! An dieser Stelle muss ich unbedingt für meine Familie eine Lanze brechen. Sie hat mich auf der Intensivstation in Karlsruhe täglich besucht, und in der Querschnittklinik mehrmals pro Woche. Ich schreibe diese Zeilen knapp 10 Monate nach dem Unfall. Ich bin jetzt in der Reha im Schwarzwald. Bisher war ich noch nicht zu Hause gewesen. Aber jeden Sonntag ist meine Familie hier! Egal, wie es mir geht. Und ich fahre seelisch nach wie vor kräftig Achterbahn. Diese Unterstützung hat mir mehr geholfen als jedes Medikament und alle Therapien. Sie geben mir einfach das Gefühl, sie sind da. Gewaltig! Etwas anderes trifft es nicht. Egal was ist, sie sind da. Schlicht, einfach – die beste Medizin der Welt.

Ohne meinen Helm gäbe es diesen Bericht übrigens auch nicht. Am Kinnschutz war ein deutlicher Abdruck des Schalthebels, an der Rückseite hat sich Renates Helm eingeprägt. Und die Vorderseite – ja die hatte innigen Kontakt mit der Mauer und sah entsprechend aus. Tja, wäre ich auf die Idee gekommen, meine Protektorjacke anzuziehen… Aber wer fährt schon Trike mit einer Protektorjacke. Freunde, eines habe ich gelernt: Ein guter Rückenprotektor ist mindestens genauso wichtig, wie ein guter Helm. Aber zurück zu meiner Geschichte:

Renate war nach dem Unfall die paar hundert Meter nach Hause gelaufen, hatte die Taschen abgestellt, die wichtigsten Telefonate geführt und war in die Klinik nachgekommen. Wo sie schon mal da war, ließ sie sich auch gleich untersuchen. Zum Glück war sie mit einem gesplitterten Mittelfußknochen davongekommen. Sie bekam ein paar Krücken, sorry Unterarmgehstützen verschrieben. Der Bruch wurde konservativ behandelt. Als sie gegen Abend entlassen wurde, sagte man ihr, ich würde gerade in den Aufwachraum geschoben, sei soweit stabil und sie solle erst einmal nach Hause gehen und am nächsten Tag wiederkommen.

Kurz gesagt, an die Tage und Wochen auf der Intensivstation erinnere ich mich nur noch mühsam durch einen rosigen Nebel. Irgendwann wurde ich noch einmal operiert. Man verwendete eine Technik, die angeblich schonender für den Körper wäre. Durch ein kleines Loch an meiner Seite wurde ein Gas in mich gepumpt. Dann wurde durch ein weiteres Loch eine Optik geschoben. Durch noch ein Loch kamen dann die Instrumente hinein. Und wieder ein Loch diente dann als Abfluß für Blut und andere Körperflüssigkeiten. Mit Material aus meiner Hüfte wurde der 10. Brustwirbel ergänzt. Die Bandscheibe zwischen dem 9. und 10. Wirbel wurde entfernt und die beiden Wirbel miteinander verschraubt. Alles wieder raus, Löcher zukleben, fertig.

„Hallo, können Sie mich hören?“ Schon wieder…

„Was können Sie in Ihren Beinen fühlen?“ Also, Bestandsaufnahme, was hat die OP bewirkt?

Vorher spürte ich ab dem Nabel abwärts nichts mehr. Jetzt spüre ich ab dem Nabel abwärts nichts mehr.

Vorher fühlten sich meine Beine überhaupt nicht an. Bei meinen Füßen hatte ich das Gefühl, als wären sie in einem Gel gelagert. Mit viel Anstrengung hatte ich das Gefühl, meine Fersen ein wenig hin und her bewegen zu können. Jetzt – nichts. Gar nichts. Obwohl, das Gel war weg, dafür spürte ich Eisen. Die Beine bis zu den Füßen hinunter waren in Eisen eingespannt und das Eisen richtig fest angezogen.

Und dann ging es los! Nachdem der Weg frei war, kamen von der Bruchstelle in meinem Rücken irgendwelche Impulse beim Gehirn an. Mein Kopf versuchte, diese vermeintlichen Informationen irgendwie zu verarbeiten. Plötzlich hatte ich das Gefühl, mein linkes Knie schmeckt grün. Die rechte kleine Zehe tropfte Feuer. Meine Fersen waren Kaugummi, und kauten sich selbst. Plötzlich kamen hunderte von diesen total verdrehten Informationen in meinem Kopf an. Ich zitterte am ganzen Körper, schrie laut um Hilfe, begann wild mit meinem gesunden Arm zu rudern. Die Ärzte spritzten mir ein Mittel, mit dem man Halluzinationen bei Geistesgestörten behandelt.

In der nächsten Nacht bat ich um ein Schlafmittel. Dummerweise wirkte das so gut, dass meine Atmung beeinträchtigt wurde. Zum Glück funktionierten meine Reflexe in diesem Bereich noch, so dass ich aufwachte. Jetzt lag ich da, voll Panik und traute mich nicht mehr einzuschlafen.

Irgendwann schlief ich dann gegen Morgen doch ein. In dieser Nacht geschah nichts mehr. In der Nacht darauf träumte ich, dass meine Freunde sich einen Spaß daraus gemacht hätten, mir ein Mittel zu verabreichen, das eine vorüber gehende Querschnittslähmung simuliert. Ich wurde wach, als die Nachtschwester meinen Katheterbeutel leeren wollte. Jetzt bekam die arme Frau den ganzen Segen ab. Ich stauchte sie nach allen Regeln der Kunst zusammen, was ihr denn einfallen würde, als examinierte Krankenpflegerin bei so einem üblen Scherz mit zu machen. Die arme wusste überhaupt nicht, wie ihr geschah. Am nächsten Abend, als sie ihre Schicht antrat, entschuldigte ich mich bei ihr. Sie erklärte mir, dass frische Querschnitte auf die unterschiedlichsten Arten auf die Verletzung reagieren würden und ich mir keine Gedanken machen solle.

Langsam bekam ich Angst vor den Nächten. Ich legte mich regelmäßig nachts mit dem Pflegepersonal an, wurde ein richtiges Ekel. Tagsüber versuchte ich, mit ausgesuchter Höflichkeit mein Verhalten zu kompensieren. Eines Nachts wurde ich wach, verlangte nach dem Bereitschaftsarzt. Ich war der festen Überzeugung, man habe mich mit einem falschen Betriebssystem reanimiert. Ich verlangte von dem armen Kerl, er möge mir doch die Knoppix-CD entfernen und mich in mein altes Betriebssystem neu zu booten. Zum Glück war der Bereitschaftsarzt computertechnisch einigermaßen bewandert und konnte mir mit einer kräftigen Dosis des bewährten Paranoiamedikaments zu einer ruhigen Restnacht verhelfen.

Ich glaube, wir alle waren froh, als ich endlich in eine Spezialklinik für Querschnittsverletzte in die Nähe von Karlsruhe verlegt wurde.

3 Frischluft

Endlich richtige Luft, ungefiltert, nicht klimatisiert. Fenster auf und Frischluft – herrlich! So gefroren, wie auf dieser vertrackten Intensivstation in Karlsruhe habe ich keinen Juni und auch keinen Juli vorher. Keimfreiheit hin oder her, muss das denn so kalt sein? Der erste Eindruck von der Querschnittsklinik war Frischluft. Der nächste Eindruck war Lachen, fröhliches Lachen. Ich komme doch jetzt dahin, wo die ganz kaputten hinkommen. Die, die im Rollstuhl enden. Wieso lärmen die denn alle so herum?

Nach den Wochen auf der klimatisierten, abgeschotteten Intensivstation war die Dosis Normalität, die ich erst einmal verpasst bekam, ein echter Schock. Vorher endete mein optischer Horizont an einer gegenüberliegenden Betonmauer. Jetzt war ich im obersten Stock eines Gebäudes, das zudem noch auf einem Berg gebaut war. Diese Aussicht – sensationell. Und die Luft, die frische Luft. Meine Zimmernachbarn lernte ich dann auch kennen, zwei junge Kerle, die Energie und Tatendrang ausstrahlten. Mein Bettnachbar, Alex, erklärte mir erst einmal was ein Tetraplegiker ist, Halswirbelverletzung. Oder ein Paraplegiker – Brust- oder Lendenwirbel. Was einen kompletten von einem inkompletten Querschnitt unterscheidet. Mir schwirrten die Fachausdrücke um die Ohren.

„Sach ma, bist Du Medizinstudent oder so was?“

„Nö, ich war Landschaftsgärtner. Aber nach ein paar Wochen hier hast Du das auch alles drauf.“

Na klar! Und nächste Woche mach ich meine erste Herzoperation! Aber Alex hatte nicht Unrecht, nach einigen Wochen warf ich genauso mit Fachausdrücken um mich, wie alle anderen auch. Und mit noch etwas hat mich Alex beeindruckt. Er war ein sehr hoher Tetra, also hatte seine Verletzung sehr hoch im Bereich der Halswirbelsäule. So hoch, dass er noch nicht einmal mehr schwitzen konnte. Während wir uns unterhielten, fiel mir eine Rolle Hustenbonbons herunter. Schwupps, war Alex aus dem Bett heraus, saß in seinem Rollstuhl, rollte zu mir herüber, bückte sich und hielt mir grinsend meine Bonbons entgegen. Moment mal, der ist doch ein Tetra, der kann das doch gar nicht…

„In ein paar Wochen kannst Du das auch“ Junge, das war eine Initialzündung! Die Erkenntnis dämmerte nicht, die rumpelte heran, wie ein Güterzug. Wenn ein Tetra so etwas kann, was kann ich denn als Para alles anstellen? Da wusste ich noch nicht, wie viel Kraft und Ausdauer jedes Stück Normalität kostet. Aber es lohnt sich!

Und dann kam die Nacht!

Das Feuerwerk an unmöglichen Empfindungen war diesmal besonders intensiv. In einem lichten Moment merkte ich, dass ich dabei war, meinen gebrochenen Arm auszupacken. Ich ahnte, nein ich wusste, irgendwo in einem Winkel meines dahin schwindenden Verstandes, wenn ich das schaffe, dann kann ich das Handgelenk vergessen. Nie wieder Klavier spielen, nie wieder eine Gitarre in die Hand nehmen! Ich drückte den Rufknopf für die Pflege. Die Kontrolllampe ging an und wieder aus. Oh nein, jetzt versucht man, mich von der Pflege abzuschotten. Also wieder Knopf gedrückt. Lampe an – aus. Ich weiß nicht, wie oft ich den Knopf gedrückt habe, bis ich auf die Idee kam, ihn einfach gedrückt zu halten.

Irgendwann ging die Tür auf und der Pfleger vom Nachtdienst kam, mit mühsam unterdrückter Ungeduld, herein. „Hallo, ich hab’s schon beim ersten Mal gesehen.“ Er hatte, um den nachts doch recht lauten Alarmton abzuschalten, die Meldung quittiert, woraufhin bei mir das Kontrolllämpchen wieder ausging. Für den erfahrenen Patienten als Zeichen, dass die Pflege den Ruf zur Kenntnis genommen hatte. „Ich drehe durch, ich glaube, ich werde verrückt!“ Hatte ich das jetzt laut gesagt, oder nur gedacht. „Quatsch, Du verarbeitest“. Eine Stimme, die für den langhaarigen ‚Bombenleger’, der da vor mir stand, überraschend sanft und mitfühlend war.

„Sprich mal mit unseren Psychologen“. Ich – zum Dachdecker? Ich brauch doch keinen, der mir mein Oberstübchen entrümpelt!

Am nächsten Morgen fühlte ich mich wie gerädert. Ach komm, was kann es schon schaden - ich bat um ein Gespräch mit einem Psychologen. Am selben Morgen kam ein netter älterer Herr herein, der sich als Psychologe vorstellte. Ziemlich schnell waren wir in eine kleine Plauderei vertieft. Prima, so lange wir so vor uns hin plaudern, bleibt mir der Seelenstriptease erspart. Von wegen, ich war schon mitten drin im Strippen. Bei ihm hörte sich die Geschichte mit dem grün schmeckenden Knie plötzlich total plausibel an. Er erklärte mir, dass dieses Informationschaos unter dem Begriff Mißempfindungen bekannt sei. Es kommt bei Querschnitten sehr häufig vor, ließe sich aber mit Medikamenten gut in den Griff kriegen.

Und ich hatte mich schon in der weißen Jacke gesehen, die hinten zugeknöpft wird.

Danke Andy, der Tipp war goldrichtig!

4 Abführen!

„Sagen Sie mal, würde es Sie stören, von einer Frau gewaschen zu werden?“ „Kein Thema, Hauptsache, ich bin sauber“. Moment mal, plötzlich ging mir der Sinn hinter dieser harmlosen Frage auf. Ich war keine Nummer mehr, nicht mehr der Querschnitt auf Zimmer 17. Ich war wieder ein Stück mehr Mensch. Ein Mensch mit Gefühlen, mit Interessen, mit Präferenzen und Abneigungen. Es könnte ja sein, dass ich aus ethischen, moralischen oder anderen Gründen mich nicht unbekleidet vor einer Frau zeigen möchte, die nicht meine Ehefrau oder meine Mutter ist. Auf der Intensiven kann man so etwas nicht berücksichtigen, deren Aufgabe ist es, das reine Überleben zu sichern. Aber hier… Und noch etwas fiel mir auf. Alle redeten sich mit dem Vornamen an. Ich war der einzige, der gesiezt wurde. Aber wenn Dir jeden Tag jemand den Finger hinten rein steckt und sich dabei im schönsten Plauderton mit Dir unterhält, da fällt es schwer, eine gewisse Distanz zu wahren. Wie, Finger hinten rein?

Ich habe lange überlegt, ob ich über das Thema schreiben sollte, aber es gehört einfach einmal dazu und ist ein Teil meines neuen Lebens. Ich spreche von dem Toilettengang. Also, wer hierüber nichts Lesen möchte, kann das Kapitel gerne überspringen. Für Rollstuhlfahrer ist es überlebenswichtig und ohne jede Peinlichkeit.

Tja, ein Fußgänger geht einfach zur Toilette, ein Vorgang, den man als Baby gelernt hat und über den sich kein Mensch mehr Gedanken macht. In meinem alten Leben habe ich mir meine Zigaretten geschnappt, etwas zu lesen und bin für eine gute halbe Stunde im Bad verschwunden. Herrlich, kein Telefon, keiner will etwas. Für mich war das die tägliche Erholung.

Aber was macht man, wenn Blase und Darm gelähmt sind? In der Blase steckte mir bis dato ein Bauchdecken-Katheter. Durch die Bauchdecke wird ein Katheter in die Blase geschoben. Ein Ende eines Schlauchs ist an diesem Katheter befestigt, das andere Ende steckt in einem Beutel, der am Bein befestigt ist. Dieser Beutel wird regelmäßig geleert – fertig. Dumm dabei ist nur, dass bei diesem System die Blase nie ganz leer wird. Der ganze Dreck, der normalerweise mit ausgeschieden wird, bleibt in der Blase und kann ziemlich üble Krankheiten verursachen.

Als der BauchdeckenKatheter verstopfte, machen die gerne mal, bekam ich einen Dauer-Katheter in die Harnröhre eingesetzt.

Jetzt wurde zwar die Blase komplett geleert, dafür war aber eine ständige Verbindung nach draußen offen, eine echte 4-spurige Autobahn für Keime. Voll beleuchtet und ausgeschildert, gewissermaßen.

Beim intermittierenden Katheterisieren, wir sagen einfach Kathetern dazu, lernt man, sich mehrmals täglich selbst einen Katheter durch die Harnröhre in die Blase zu schieben. Pieseln für Rollstuhlfahrer!

Das ‚große Geschäft’ ist deutlich undramatischer. Da gibt es ebenfalls verschiedene Lösungen. Je nachdem, wie beweglich man noch ist, geht das mit oder ohne Hilfe ab. Die Standardlösung wird als digitales Abführen bezeichnet. Hat nix mit Computerei zu tun. Das kommt von lateinisch Digitus, der Finger. Ich bin jetzt nicht mehr so beweglich, bei mir kommt täglich jemand und holt mit den Fingern die ganze Geschichte raus. Leute, damit hatte ich echte Gewöhnungsprobleme!

5 Weitere Operationen

Ja, da war ich jetzt in der Spezialklinik für Querschnitte gelandet und schon war es vorbei mit der beschaulichen Ruhe als Patient. Gleich am ersten Tag ging es los: Aufnahmegespräch - Hauptthema - Dekubitus. Deku-Was???

Als Querschnitt fühlst Du nicht, wenn beim Sitzen etwas kneift, eine Falte in der Wäsche ist oder etwas in der Art. Aha! Dummerweise kann eine übersehene Hautreizung schnell zu einer offenen Stelle werden. Die dumme Bemerkung mit offene Stelle, gleich beim Arbeitsamt melden, blieb mir im Hals stecken, als mein Gegenüber mir ein paar Bilder zeigte. Nicht schön, überhaupt nicht schön! Als einziges Hilfsmittel gilt entlasten, sprich im Bett bleiben. Das Thema, habe ich inzwischen gelernt, ist bei Rollstuhlfahrern ungeheuer beliebt. Jeder kann da das eine oder andere selbst erlebte beisteuern..

Gleich ging es weiter: Röntgen, Computertomografie, Magnetresonanzwasauchimmer, Ultraschall, Hurra Liebling! Es ist ein Junge!!!

Und das war erst der Anfang! dass alle möglichen Körperflüssigkeiten gecheckt werden, ist ja schon selbstverständlich. Zwischendrin wurde ein Abstrich von allen möglichen Körperteilen gemacht, sogar von meinen Haaren. Abstrich? Komme ich aus dem Rotlichtbezirk? Erklärung? Keime!

Wie, Keime??? In letzter Zeit muss es wohl in einigen Kliniken zu diversen Unannehmlichkeiten durch eingeschleppte Keime gekommen sein. Mir kam es etwas übervorsichtig vor, aber auch da wurde ich schnell eines Besseren belehrt, als nach 2 Tagen ein neuer Zimmernachbar sofort wieder abgesondert und in Quarantäne gesteckt wurde. Wieder was Neues, als Querschnitt bist Du wohl auch bei Keimen empfindlicher als der Normalbürger. Heh, Hallo, ich hab mir das nicht ausgesucht!!!

Ein paar Tage später wurde mir erklärt, es kämen wohl noch zwei Eingriffe auf mich zu. Aus meinem Handgelenk sollte ein Draht entfernt werden, der als zusätzliche Versteifung dafür sorgte, dass ich bestimmte, für den Bruch gefährliche Bewegungen gar nicht erst ausführen konnte.

Und mein Rücken, den wollte man auch noch mal aufmachen. Wie denn, da waren die Anderen doch schon 2 Mal drin gewesen? Ja, aber dem Professor war das, was da so in revolutionärer, neuer Technik eingebaut und in feinstem Titan ausgeführt worden war, absolut unzureichend. Also, mir hat das eigentlich gereicht. Anhand der Röntgen und anderen Durchleuchtbilder erklärte man mir, bei dem Zustand meiner Wirbelsäule könnte die leicht noch einmal brechen. Na Toll!!! Und was haben die vorher gemacht? Geübt, oder was???

Kurz, die Klinik vorher hat sich erst einmal darum gekümmert, dass ich überlebe. Na OK, das haben sie ja ganz ordentlich hin gekriegt. Irgendwie müssen die vergessen haben, mir zu sagen, dass das nicht die letzte OP war. Oder ich hab’ s mit den ganzen Schmerzmitteln in der Birne nicht mitbekommen.

Am Vorabend der Rücken-OP kam der Operateur zu mir, um die Operation mit mir zu besprechen. So ganz nebenbei durfte ich noch einen Katalog von Telefonbuch-Stärke unterschreiben, welche Risiken und Nebeneffekte auftreten könnten. Alles erklärt und durchgesprochen. Toll, mein Krimi ist jetzt auch vorbei und der Mensch ist immer noch am erklären.

Er meinte, dass meine Wirbelsäule durch eine Vorerkrankung schon ziemlich krumm sei. Stimmt schon, aber an meinen krummen Buckel hatte ich mich im Lauf der Jahre gewöhnt. Ja man müsse ja sowieso den ganzen Rücken aufmachen... Hallohallo, den GANZEN RÜCKEN??? Alarm!!! Sind die noch ganz sauber?? Der Gute hatte wirklich Geduld mit mir. Er wollte nur wissen, ob man mich dabei gleich ein wenig aufrichten sollte? Wie, mein krummes Kreuz wieder gerade ? Heh Kumpel, willst’ n Bier? Nee besser nich, der muss ja morgen früh schneiden.

Und wo ist der Haken? Verpackt in eine ziemlich ausführliche Erklärung, was er alles zusätzlich dafür noch machen würde, kam es:

Es wird sehr lange sehr weh tun.

Stimmt!!!

Sehr lange.

Und wirklich gemein weh.

Ich habe jetzt so viel Metall im Kreuz, damit könnte man locker die Queen Mary versenken. Die Verschraubung des 9. und 10. Brustwirbels wurde entfernt. Dafür hat man vom 7. Brust- bis zum 1. Lendenwirbel hinunter die Wirbel verschraubt. Das Ganze wurde ordentlich mit Stahlstreben links und rechts der Wirbelsäule versteift. In Höhe der Bruchstelle wurde noch zusätzlich verstrebt und verschraubt - Stahlbau vom Feinsten.

Und die lange Narbe über den ganzen Rücken, die toppt jedes Arschgeweih.

Ach, übrigens. Meine Hand kann ich auch wieder bewegen.

6 Sensenmann, die Zweite

Und er hat mich wieder nicht gekriegt!

Ich liege nachmittags in der Krankengymnastik auf der Liege und will lernen, mich umzudrehen. Das ist gar nicht so einfach. Der Oberkörper kommt herum, bloß die Beine, die bleiben liegen, wie angeklebt. Ich greife um die Liegenkante herum, will gerade ziehen.

“Heh, nicht mogeln, das muss auch so gehen.” Die Therapeutin rückt ihre Brille zurecht. Abgefahrenes Teil übrigens, die Brille. Die verleiht ihrem Gesicht etwas Freches. Passt aber.

Heh, nicht ablenken lassen, sonst gibt’s Mecker.

“Los, gleich noch mal. Und jetzt ohne Festhalten:”

Sklaventreiber!!! Na gut, sonst gibt sie ja doch keine Ruhe. Wieso fahre ich eigentlich so Karussell? Und eine Kälte ist das hier?

“Sagen Sie mal, ist Ihnen kalt?”

Kalt? Auf einmal klappern meine Zähne los, wie eine Uzi, könnt auch 'ne Heckler und Koch sein. Jedenfalls rattert mein Unterkiefer, dass ich Angst um meine Zähne bekomme. Saukalt, ist die Heizung kaputt?

In Rekordzeit bin ich wieder auf meinem Zimmer. Fieber gegen 40°, Tendenz steigend.

Was ist das denn jetzt schon wieder? Die Stationsärztin hat auch schon entspannter geguckt. Ich bekomme eine Infusion angehängt, die Beine werden abgedeckt, damit sie kühl werden. Ich bin klitschnass, schlafe irgendwann ein.

Am nächsten Morgen ist alles OK. Ich bin ein bisschen schlapp, aber fieberfrei. Keine Ahnung, was das war.

Am Nachmittag dasselbe Spiel. Plötzlich rattern meine Zähne los, als würden sie dafür bezahlt. Das Ganze geht über eine Woche. Die Ärzte lassen die volle Diagnostik auf mich los - nichts. Die Pflege plündert die Eismaschine auf der Privatstation.

Ihr könnt mich doch nicht...

Sie konnten. Das Fieber musste runter.

Diese Fieberschübe kosten ungemein Kraft. Irgendwann, ich habe jedes Zeitgefühl verloren, weiß ich, dass ich es nicht mehr lange aushalte. Langsam geht meine Kraft zu Ende. Ich werde immer ruhiger. Soll es das jetzt gewesen sein? Schade, aber irgendwann bist Du einfach dran. Ich war bereit, loszulassen.

“So, dann fahren wir nochmal zu einem Test!”

Ach Leute, lasst es gut sein, ich hab keine Kraft mehr!

Der Röntgenologe erklärte mir irgendwas über ein Hämatom unter meiner Lunge, da wolle er mit Ultraschall...

Halt, was ist das denn? Ob es der Doc zuerst sah, oder ich - egal, da war eine scharfe Kante. Bei näherem Hinsehen sah es aus, als ob da etwas in der Nierengegend stecken würde.

Eine Viertelstunde später war ich in der Urologie und lag wieder neben einem Ultraschallgerät. “Sehen Sie mal.” Der Urologe war ganz begeistert. “Da ist ein wunderschöner Stein in Ihrem Harnleiter.”Ganz Toll, wunderschön! denke ich. Heraus kommt: “Hä?” “Ja, das ist die Leitung von der rechten Niere in die Blase. Wenn die verstopft ist, dann gibt es einen Rückstau in die Niere und das ist gar nicht gesund”

Noch in derselben Stunde war ich unterwegs in eine urologische Spezialklinik. Dort wurde ich noch ein paarmal durchleuchtet, mit und ohne Kontrastmittel. Ich hörte, dass man die Anästhesistin noch im Auto auf dem Nachhauseweg erwischt habe und sie würde herumdrehen.

Irgendwie bekam ich das alles nicht mehr so richtig mit. Ich wollte eigentlich nur noch meine Ruhe haben.

“Unterschreiben Sie hier bitte mal”, “Vertragen Sie irgendwelche Medikamente nicht”?

Ach, Leute was soll denn die ganze Hektik?

Spritze - Licht aus!

“Hallo, können Sie mich hören?”

Ein deja vú! Oder eine Zeitschleife?

Mühsam öffnete ich ein Auge. Nein, der Raum sah anders aus. Und, wo ist der Stein?

Man hatte keinen Stein gefunden. Sicherheitshalber wurde ein Stent in den Harnleiter eingesetzt, damit alles wieder abfließen kann. Ein Stent ist übrigens eine Vorrichtung, die ein Gefäß offen hält, meistens ein Metallgeflecht, dass in das Gefäß eingesetzt wird und die Gefäßwand stützt.

Jedenfalls habe man aber noch rechtzeitig reagiert, bis zu einer ernsten Situation wäre locker noch ein Tag Zeit gewesen.

Ernste Situation, soso. Klappe zu, Affe tot - oder was. Was soll's wir haben es ja noch mal geschafft.

Eine Woche später war das Fieber weg und ich konnte wieder in meine Querschnittsklinik zurück.

Ein paar Wochen gingen ins Land. Der Stent sollte wieder raus. Ambulant. Diesmal kam ich mit meinem Rollstuhl hinten in einen Transporter hinein. Der Rollstuhl wurde verzurrt und los ging es. Meine letzten verbliebenen Bandscheiben sangen auf dieser Fahrt den Schlagloch-Kanon. Ich glaube, der Fahrer wurde nicht nach Kilometern, sondern pro getroffenes Schlagloch bezahlt.

Ich also wieder rein in den OP. “Sagen Sie mal, wie ist denn Ihre Lähmungshöhe? Spüren Sie denn in dem Bereich überhaupt etwas?”

Fazit: Stent wird ohne Betäubung gezogen - Durch die Harnröhre!

Mittags war das Fieber wieder da.

Ich wurde für den nächsten Morgen als erster auf den OP-Plan gesetzt.

Spritze - Licht aus.

“Hallo, können Sie mich hören?”

Hmmm!

Jetzt will ich aber den Stein sehen!

Betretene Mienen. Man hat den Stein wieder nicht gefunden und erst einmal wieder einen neuen Stent gesetzt, um risikoärmer weitersuchen zu können.

Ach, deswegen saß da ein Hund vor dem OP und hat auf einen weißen Stock aufgepasst.

Jetzt war aber Gesprächsbedarf mit der Klinikleitung. Also, ich hielt mich ja bis dahin für einen Spezialisten im Fehler weg erklären. Aber der Chefarzt, der war richtig gut! Ein Rhetoriker der Leistungsklasse.

Ein kleiner Plausch mit dem Oberarzt brachte mich wieder auf den OP-Plan.

Spritze - Licht aus.

“Hallo, können Sie mich hören?”

WO IST DER STEIN?

Zertrümmert und herausgeholt. Vom Oberarzt selbst. Er bestand wohl aus einem Material, das kein Röntgenecho wirft.

Also der Stein, nicht der Oberarzt.

Sachen gibts.

Einige Wochen später wurde der Stent, den man zur Sicherheit noch drin gelassen hatte problemlos entfernt.

“Oh, darf ich den als Andenken behalten?”

“Der ist so septisch, den können wir Ihnen nicht mitgeben, aber ansehen können Sie ihn schon.”

Nicht gut! Gar nicht gut! Leute guckt Euch das Ding nicht an, wenn ihr mal sowas habt!!!

Ich dachte immer, das sind so fragile Netzkonstruktionen. Das haben die sich doch bestimmt von der Berufsfeuerwehr ausgeliehen. Bloß, um mich zu erschrecken! Das Ding ist mir durch meine Harnröhre und meine Blase in den Harnleiter eingesetzt worden?

Und ohne Narkose wieder herausgeholt?

Nein, ich möchte gar nicht wissen, wie. Es gibt Dinge, die muss man nicht wissen. Und braucht sie sich auch gar nicht vorstellen...

7 Der Weg geht weiter

Es ist Oktober. Langsam habe ich mich in der Querschnittsklinik eingelebt. Auch die Krankenhausküche reißt mich nicht mehr zu Spott und Häme hin.

Ich komme von einem meiner ambulanten Eingriffe aus der Urologie, sprich ich war mal wieder ‘ne Woche weg. Diesmal hatte es wenigstens mit dem Abführen geklappt. Das letzte Mal haben die mich gewindelt, die Nasen. Als ich wieder da war konnte ich den lebenden Beweis dafür antreten, dass der Mensch vom Affen abstammt. Also ich vom Pavian, jedenfalls...

Aber ich schweife mal wieder ab. Junge, Du schwafelst, höre ich meine Schwester sagen. Ist ja gut!

Die Stationsleiterin kommt und erzählt mir etwas über eine Reha-Klinik im Schwarzwald. Wie, jetzt wo ich mir zum dritten Mal wieder so viele Muskeln antrainiert habe, dass ich meinen Rollstuhl aus eigener Kraft weiter als 10 Meter bewegen kann? Jetzt soll ich wieder weg? Ich höre so etwas, wie Pflegesatz und Krankenkasse heraus.

Na klar! Die Vorstände erhöhen sich mal wieder die Gehälter aber ich... STOP! Ich wollte ja hier nicht politisieren.

Na toll, jetzt hat meine Frau endlich mal ein paar Tage frei, da wollte sie eigentlich in der Pflege mitlaufen. Könnte ja sein, dass mal die Sozialstation abbrennt, oder so.

Eins hat man mir sehr schnell klar gemacht. Meine Frau ist entweder meine Partnerin oder meine Pflegerin. Beides geht nicht, dann geht eines von beiden kaputt.

Ehrlich gesagt, es hat einen guten Moment gedauert, bis ich es wirklich kapiert habe. Inzwischen habe ich ein paar Leute getroffen, die meinten, es gehe beides.

OK, ich hab’s kapiert!

Heh, ich hab die tollste Partnerin überhaupt abgekriegt, das lass ich mir doch nicht kaputtmachen! Durch nix, dass das mal klar ist!

Natürlich schadet es nicht, wenn sie sieht, was bei meiner Pflege so abgeht. Aber wie managen wir das jetzt nur?

Aus Schwächen Stärken machen, das haben wir doch früher schon ganz gut hin gekriegt. Dann soll sie zwei Tage hier mit laufen, dann den Umzug mitmachen. Dann weiß sie auch gleich, wo’s ist. Dann noch ein, zwei Tage in der neuen Klinik - langt!

Gesagt, getan, die letzten Tage sind voll gestopft mit diversen Untersuchungen, Gesprächen, Formularen. Oh ja, Formulare - da ging locker mal ein kleines Wäldchen durch den Drucker.

Es sollte ein Gesetz geben, dass für jeden Menschen nur so viel Papier beschrieben werden darf, wie er wiegt. Obwohl, das müsste ja dann auch wieder gedruckt werden. Hm, war nix...

Am letzten Tag, keine Ahnung, wem das auffiel, jedenfalls muss meine Frau unbedingt noch lernen, wie sie mich aus dem Bett in den Rollstuhl kriegt und latürnich auch wieder ins Bett.

Eigentlich weiß sie doch ganz gut, wie sie mich ins Bett - Autsch! Liebe Männer, es gibt Witze, die etwas verlieren, wenn euch gerade zwei Frauen im Schwitzkasten haben.

Nach einer guten Stunde sind wir beide naß geschwitzt und ziemlich aus der Puste. Aber es funktioniert. Und so ein Erfolgserlebnis tut richtig gut!

Unser breites Grinsen friert allerdings jäh ein, als die Therapeutin uns höflich und mit leicht diabolischem Lächeln ins Treppenhaus bittet...

“Haben Sie schon gelernt, mit einem Treppensteiggerät umzugehen?” Puh, gerettet, das können wir schon.

“Na prima, und jetzt stellen wir uns vor, wir haben kein Treppensteiggerät und der Lift ist ausgefallen.” Nee, oder? Und jetzt gibt’s die volle Packung!

Kippschutz wegklappen! Sehen Sie, da treten Sie drauf und kippen mit den Handgriffen den Rollstuhl nach hinten. PANIK! HILFE!

Sobald die Vorderräder hochgehen, sehe ich wieder die blöde Mauer auf mich zu rasen. NICHT KIPPEN! NEIN! AUFHÖREN!

Keine Chance, jetzt geht es die Treppe rauf, wieder runter, ich darf mithelfen, dann wieder die Arme auf der Brust überkreuzen...

Irgendwie geht auch diese Stunde(?) vorbei, meine Nebennieren haben sich inzwischen komplett in Adrenalin verwandelt und sehen bestimmt aus wie zwei Rosinen. Ich will nur noch ins Bett. Meine liebste Bettgenossin sieht aus, wie ein Möbelpacker nach ‘ner Doppelschicht.

Die Abschiedsszenen am nächsten Morgen halten sich in erfreulichen Grenzen. Ich werde aus dem Bett auf die Krankentrage gehoben. Mein Rollstuhl bleibt da, der gehört der Klinik. Ob ich jemals wieder einen so bequemen kriege?

Ich bitte den Fahrer doch gelegentlich mal in den Rückspiegel zu sehen, da unser Auto nicht mehr das neueste ist und mit knapp 40 PS auf der Bergstrecke eventuell nicht so ganz mithalten könnte.

Dann geht es los über die wunderschöne Schwarzwald-Panorama-Was-Weiß-Denn-Ich-Für-Ne-Straße - und das mit mir Klaustrophobiker hinten im geschlossenen Kastenwagen. Vorne drin ein direkter Nachkomme von Niki Lauda. Ein Riesenspaß!

Ich bin heilfroh, dass der Eimer hinten so eine Art Schießscharten hat. Da kann ich wenigstens ab und zu einen Blick auf meine liebste Chauffeurin erhaschen. Ihrem Gesicht nach zu urteilen hat wenigstens sie ihren Spaß an der Strecke.

Doch auch der schönste Spaß hat einmal ein Ende, wir halten vor einem grün gestrichenen Stahlbau.

Mein neues Zuhause für die nächsten Wochen? Monate?

8 In Se Reeehaaa

Komisch, an welche Details man sich doch so erinnert. Ich weiß noch, dass ich bei meinem Einzug in die Reha-Klinik den alten Titel “In The Navy” im Ohr hatte. Da gibts auch noch was von Amy Winehouse, (schreibt die sich so?) They want me to go to rehab... oder so ähnlich. Die Sängerin von der Hausband hier, die singt das auch. So richtig g... Ja, die Hausband, die ist ein eigenes Kapitel wert.

Kriegt sie auch.

Alter, du schwafelst!

Ja, da wurde ich also auf der Trage hineingerollt, in den nächsten Abschnitt meines Weges, meine liebste Kofferträgerin im Schlepptau.

Aha, das Zimmer wird also jetzt die nächste Zeit mein Heimathafen sein, um mal bei Navy zu bleiben.

Heh, mein eigenes Zimmer!

Typ Kinderzimmer moderner Wohnungsbau. In den Staaten wäre das ein begehbarer Kleiderschrank geworden. Das Tierschutzgesetz sagt, dass der Zwinger eines deutschen Schäferhundes mindestens 9 qm haben muss. hmm. Na gut, ich bin ja auch kein deutscher Schäferhund.

Aber ich hab mein eigenes Zimmer. Mit meinem eigenen Bad. Und meinem eigenen Fenster. Das ich aufmachen kann, wann immer ich will.

Könnte.

Wenn ich drankäme.

Aber immerhin. Außerdem kann ich jederzeit die Pflege bitten. Und das Fenster nimmt die ganze Wand ein.

Hallo, die Schwester stellt sich mit dem Vornamen vor, läßt das Schwester weg. Hier reden sich eh alle mit dem Vornamen an, da können wir uns die Formalität schon mal sparen, wenn mir das recht ist.

Ist mir sogar sehr recht.

Ich glaube, hier läßt sich’s aushalten.

Drei Tage später kam die Anweisung aus der Firmenzentrale. Ab sofort sind alle Patienten mit Nachnamen und Sie anzureden. Heh, das gab Stimmung!

Ich konnte natürlich meine große Klappe wieder nicht halten. “Ganz einfach, ich bestehe darauf, nach wie vor mit Vornamen angeredet zu werden und berufe mich dabei aufs Patientenrecht. Den entsprechenden Paragrafen suche ich gerne heraus.”

Klappt jedes Mal.

Ich glaube, jetzt wird es Zeit, mal der Pflegetruppe hier eine Lanze zu brechen. Stellvertretend für die meisten Pflegetruppen, denen ich in der letzten Zeit so ausgeliefert war. Erst einmal, Querschnittpatienten sind nicht gerade die einfachsten. Ich habe hier unter den Patienten extrem viele Individualisten kennen gelernt. Manche waren schon, sagen wir mal, sehr individuell. Dabei immer freundlich zu bleiben und gleichzeitig professionelle Arbeit abzuliefern, das kann man nur bedingt lernen. Da gehört ein gut Teil Enthusiasmus und Identifikation mit der Aufgabe dazu.

Dann kommt dazu, dass man sich körperlich zwangsläufig sehr nahe kommen muss. Über Wochen und Monate hinweg. Da wird die Distanz, die man zu wahren hat zu einem ganz, ganz schmalen Grat.

Auch wenn ich Euch gerne mal kräftig durch den Kakao ziehe, das ist halt meine Art, zu ziehen.

Den Hut. - Ganz tief. - Mit Verbeugung!

9 Wassertherapie

Wenn ich gerade mal keinen Blaseninfekt habe, keine offene Stelle, keinen Durchfall, dann gehe ich zwei, drei Mal in der Woche morgens zur Wassergymnastik. Hört sich toll an, Badehose an, Bademantel drüber und schnell ein paar Bahnen im hauseigenen Pool gezogen.

Das mit dem Pool kommt so hin, aber es ist natürlich bei mir etwas mehr Aufwand. Kathetern, Ausräumen, Waschen, Badehose an und in den Duschstuhl. Der Bademantel wird verkehrt herum angezogen, das ist im Sitzen einfacher. Jetzt geht das schon ganz gut, aber vor ein paar Wochen war das noch viel lustiger. Lageänderungen, von gestreckt nach gebeugt, vom Sitzen zum Liegen waren äußerst schmerzhaft. In den Duschstuhl kam ich nur mit einem Tuchlifter. Selbst der Bandlifter tat zu sehr weh, da hier eine zu große Zugbelastung auf die Wirbelsäule auftrat.

Vom Duschstuhl ins Becken war immer ein Erlebnis. Alle waren schon im Wasser. Ich mal wieder das Letzte. Der Lifter hebt an, das Tuch strafft sich. GNNN! Die Schmerzen malen sich auf meinem Gesicht ab. Ich versuche, nicht zu schreien, beisse mir auf die Finger, will nicht als Weichei dastehen. Im Wasser, wenn ich gestreckt werde noch einmal das selbe Spiel.

Aber dann!

Schwerelos treibe ich dahin, nur von meiner Therapeutin gehalten. Die Schmerzen sind wie weggeblasen. Die Verkrampfungen lösen sich, ich fühle mich einfach bloß wohl. Hier hat man wohl nicht mitbekommen, dass Therapien unangenehm sein müssen, sonst helfen sie nicht.

Ist natürlich Unfug, man hat sehr gut verstanden, dass Therapien, um zu helfen durchaus auch einmal angenehm sein können. Und mir hilft das Wasser ungemein.

Einmal wollte ich es wissen. Immerhin war ich mal Rettungsschwimmer.

“Mensch, mach mich doch mal los.” Wenn ich will, kann ich herrlich flehende Blicke werfen. Das habe ich meiner Tochter abgeschaut, wenn die was von ihrem Papa will...

“Also gut”, meine Therapeutin zog mir die Schwimmhilfe weg.

Ich hätte vielleicht vorher darüber nachdenken sollen, wie sich gelähmte Beine und jede Menge Stahl im Rücken auf den Auftrieb auswirken. Kurz: Blubb, und weg war ich.

So viel zum Thema Rettungsschwimmer.

Ich hab die Faxen dick! Jedes Mal ins Wasser AUA, aus dem Wasser AUAAA! Was kann ich denn nur tun. Ein Pfleger sagt, kanalisieren. Hä? Nicht schreien, singen!

HÄGÄÄÄRNHABICHDIEFRAUNGEKÖÖÖST

Totenstille im Schwimmbad. Jetzt ist er ganz abgedreht. OK, War nix. Aber die Richtung ist nicht schlecht.

Das nächste Mal, als ich wie eine Gurke im Einkaufsnetz unter der Decke schwebe, versuche ich es mit Elvis, besser, aber auch nicht der wahre Jakob. Beatles, Stones, nee, paßt irgendwie nicht.

Wie sieht’s den mit Errol Flynn aus? IN DIE WANTEN, IN DIE FREIHEIT! Wenigstens ernte ich das eine oder andere Grinsen.

WIE SCHALLT’S VON DER HÖH? Höre ich da eine zaghaftes Hollaröduliö?

Oder beim Eintauchen: Hurra, ich bin ein Teebeutel!

Das war jetzt gar nix, den Spitznamen werde ich so schnell nicht los.

Inzwischen sinkt, jedesmal, wenn ich ins Schwimmbad gerollt werde, sofort der Geräuschpegel. Mal sehen, was er heute wieder bringt.

Heute halte ich mal die Klappe, hatten wir noch nicht. Man nimmt es bemerkenswert gelassen auf. Kann natürlich auch sein, dass ich mich viel zu wichtig nehme. Genau betrachtet, ist die zweite Lösung wahrscheinlicher.

Noch etwas fällt mir auf: Ich ziehe meine kleine Show schon eine Weile um ihrer selbst Willen ab. Meine Schmerzen sind nämlich viel besser geworden.

Ich sag doch, es hilft..

10 Physiotherapie

“WENN ICH SAGE, ICH WILL ZEHN KLIMMZÜGE SEHEN, DANN WILL ICH ZEHN KLIMMZÜGE SEHEN UND KEIN WORT HÖREN!”

“JAWOLL HERR THERAPEUT!”

Nach den Beschreibungen in der Akutklinik habe ich mir etwas in der Art vorgestellt. “In der Reha, da werden Sie fit gemacht, das ist nicht so lasch, wie hier”. Schaunmermal, sagt der Franzl immer.

Ich komme in die Turnhalle reingerollt. An der Wand sind Liegen angebracht. Darauf liegen Menschen in ziemlich schmerzhaft aussehenden Stellungen. Vor, neben und mit auf den Liegen sind andere Menschen in rot-weißen Anzügen, die mit den Liegenden seltsame Bewegungen durchführen.

Auf der anderen Seite sitzt jemand im Rollstuhl und hat die Arme nach links und rechts an Seilen eingespannt. An den Seilen hängen Gewichte. Sieht nicht besonders angenehm aus. Ein Stück weiter hängt jemand auch an Seilen in einer Art Käfig. Unterkörper in der Luft, Oberkörper auf der Liege. Oh, je, da kommt was auf mich zu! Na, jedenfalls schreit hier keiner rum.

“Hallo”, huii, die sieht aber fit aus, scheint unter dem Schlabberanzug auch gar nicht mal so schlecht dazustehen. Für’s Erste hat sie mal ne ganz nette Stimme, stellt sich mit Vornamen vor. “Ich bin für die nächste Zeit deine Therapeutin”. Also nix mit jawoll Herr Therapeut. Ich bin erstmal noch skeptisch. Sie drückt mir eine kleine Klappkarte in die Hand auf der ein paar Termine eingetragen sind. Die Karte soll ich immer dabei haben. Straff organisiert, wußt’ ich’s doch. Heute kriege ich das Zuckerbrot und morgen früh gibt’s dann den Drillmeister. Als ich noch erfahre, dass meine neue Bekanntschaft den Spitznamen Frau Quälfix hat, ist mein Nachtschlaf diesmal nicht ganz so erholsam.

Machen wir’s kurz. So daneben, wie diesmal lag ich schon lange nicht mehr. Als ich am nächsten Morgen mit gemischten Gefühlen meine erste Stunde erhalte, abdiene, - hmm erlebe passt eigentlich ganz gut, werde ich schnell eines Besseren belehrt.

Erstmal hilft man mir zu zweit auf die Liege. Dann werden meine Schuhe ausgezogen. Sie nimmt meine Beine und streckt sie, beugt sie, dreht da ein bißchen, zieht dort ein bißchen mehr, eigentlich alles ganz angenehm. Durch die Lähmung merke ich zwar nichts, aber stellenweise knackt und knirscht das schon gewaltig. Mein Gehör funktioniert schließlich noch. Als ich wieder im Rollstuhl sitze, merke ich, dass mein Rücken sich viel beweglicher anfühlt. Da hat sie doch gar nichts dran gemacht?!

Am nächsten Tag geht es an das Thema Muskelaufbau. Durch das lange Liegen ist das, was von meinen Muskeln übrig ist, gerade noch genug, um ein wenig in der Nase zu bohren, jedenfalls mit der linken Hand. Der rechte Arm ist ein Ärmchen, das sich gerade noch so selbst hält, wenn es nicht zu lange dauert.

Ein gewaltiges Stück Arbeit, behindert durch immer wieder kommende Schmerzattacken, durch Verdauungsstörungen, Hautirritationen im Sitzbereich und was da sonst noch die katholischen Radfahrer zum Absteigen zwingt. Ich ziehe Gewichte, mache Übungen mit Hanteln, lerne, wie man sich auf der Liege dreht. Meine Lieblingsübung ist eine Art Hometrainer. Das Ding hat einen Motor. Ich bekomme die Füße auf die Pedale geschnallt, und dann strampele ich quasi ein paar Kilometer. Wie auf dem Hometrainer. Das soll die Beweglichkeit erhalten, das Wasser aus dem Gewebe wieder abfließen lassen und noch für ein paar andere Sachen gut sein. Sieht richtig gut aus, wenn man nicht weiß, dass das Gerät ja eigentlich mich radelt.

Meine Fortschritte, und seien sie noch so mikroskopisch, werden begeistert begrüßt. Natürlich mache ich auch Rückschritte. An solchen Tagen gibt’s halt nur halbe Kraft, gewürzt mit einer gut dosierten Mischung aus Trost und Ansporn.

Als meine Therapeutin mal ein paar Tage frei hat, nimmt mich der Cheftherapeut unter die Fittiche - gerade, als mich mal wieder eine Schmerzattacke unbeweglich macht.

Hoffentlich liest er das nicht, eigentlich heißt das Abteilungskoordinator.

Er hängt meine Arme an Seilen auf. OK, das kenne ich schon, die dazu passende Übung hilft meistens. Dann nimmt er mich von hinten in den Arm und wiegt mich, wie ein Baby. “Wo tut’s denn am meisten weh?” Ich sage ihm die Stelle ungefähr. Er tastet über meinen Rücken. “Da , oder da?” “DAAAA!” Treffer! Mensch, tut das weh.

Ich weiß nicht, was er dann macht, aber plötzlich habe ich das Gefühl, als würde etwas knacken und dann fließt, wie durch einen Wasserhahn, ein großer Teil der Schmerzen einfach ab. So etwas habe ich noch nie erlebt.

“Hm, da war wohl eine Blockade. Besser?”

Besser? Ich schwebe, könnte Bäume ausreißen.

Er schaut, als hätte er mir netterweise das Fenster aufgemacht, so, als wollte er sagen, das war nur ne Kleinigkeit. Sein Ton paßt dazu. “Ich zeig Deiner Therapeutin die Stelle, dann kannst Du das nächste Mal sie ansprechen.

Der muss ein direkter Nachkomme vom ollen Merlin sein. Von wegen! Die ganze Truppe ist so drauf, da hat jeder seine Dinger auf Lager.

Ein anderes Mal hatte ich ziemliche Schmerzen im rechten Arm. Bei den Bemühungen, ihn wieder so aufzubauen, wie den linken, hatte ich es wohl etwas übertrieben.

Man klebte mir ein Band auf die Stelle, als wollte man sie markieren. Kurz danach begann der Schmerz nachzulassen, war bald fast weg.

Das hat irgendwie mit dem Zusammenspiel von Muskeln, Sehnen, Bändern und Knochen zu tun. So ganz verstanden habe ich es nicht.

Muss ich auch nicht, Hauptsache, meine Therapeuten wissen, was sie tun.

Sie wissen.

Meine Drillmeisterin hat sich übrigens als sensible, warmherzige junge Frau entpuppt, die sicher auf dem schmalen Grat zwischen Professionalität und Anteilnahme die Balance hält. Die ihren Spitznamen zu Unrecht, aber mit Nonchalance trägt. Und unter ihrem Schlabberanzug eine Mörderfigur hat.

Nicht, was Ihr jetzt denkt, ich sehe sie morgens immer bei der Wassergymnastik.

11 Ergotherapie

Ich war in jungen Jahren ab und zu zur Kur gewesen und kam in den “Genuß” der Ergotherapie. Damals durfte ich mir einen Gürtel flechten. Der war an der Wand angehängt. Aufstehen, Schleife legen, hinsetzen, aufstehen, Schleife legen, hinsetzen. Flechtzeit 4 Wochen pro Gürtel. Soll angeblich den Rücken gerader machen. Ich hab’s gehaßt. Jedesmal.

Hier soll ich jetzt mehrmals pro Woche Ergotherapie bekommen - na toll!

Mit diesem Gefühl warte ich auf jemand aus der Ergotherapie, der mir einen Leihrollstuhl bringen soll. Meinen superbequemen Stuhl musste ich ja in der anderen Klinik lassen. War ja auch bloß ein Leihstuhl. Die Daten hat man hierhergefaxt. Mein eigener Rollstuhl ist beantragt. Ich weiß noch nicht, dass es noch 1/4 Jahr dauern wird, bis ich meinen maßgefertigten Stuhl in Empfang nehmen darf. Eine normale Durchlaufzeit beim Kostenträger. St. Bürokratius läßt grüßen.

Was macht eigentlich so eine Ergotherapie?

Beinahe hätte ich gesagt, alles, was den anderen Abteilungen zu mühsam ist. Wobei, auf den ersten Blick könnte man es fast glauben.

Mal sehen - Wenn ich ein Problem mit meinem Rollstuhl habe, gehe ich zur Ergo.

Wenn ich eine Greifzange brauche, weil ich nirgendwo drankomme, gehe ich zur Ergo.

Wenn ich nicht weiß, wie ich vom Rollstuhl ins Bett komme, die Ergo bringt’s mir bei.