Romana Extra Band 86 - Margaret Mayo - E-Book
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Romana Extra Band 86 E-Book

Margaret Mayo

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Beschreibung

VERZEIH MIR UND KÜSS MICH von HILDY JOHNSTON
Stella ist entsetzt: Der attraktive Massimo Minardi will die traditionsreiche Schuh-Manufaktur ihres verstorbenen Mannes vernichten! Umso weniger versteht sie, warum sie Massimo trotz seines finsteren Plans unwiderstehlich findet und heimlich von seinen Küssen träumt …

NEUANFANG UNTER DEN STERNEN DES SÜDENS von THERESE BEHARRIE
Eine Tragödie hat ihre Ehe zerstört. Doch jetzt muss Mila mit ihrem Ex-Mann Jordan sechs Wochen auf seinem Weingut in Südafrika verbringen. So will es das Testament seines Vaters. Kann es unter den Sternen des Südens einen zärtlichen Neuanfang für ihre Liebe geben?

MEIN BLONDER TRAUM von Margaret Mayo
Alex will nur eins: Rache nehmen an ihrem ehemaligen Boss Adam Stone. Tatsächlich gelingt es ihr, einen Job in seinem Haus zu bekommen. Doch abgesehen davon scheint ihr Plan gründlich schiefzugehen: Sie verliebt sich leidenschaftlich in Adam …

FEST DER LIEBE MIT DEM MILLIARDÄR von MARION LENNOX
Noch zwei Tage bis Weihnachten! Zimmermädchen Sunny freut sich auf ihre Familie. Doch ein Notfall ändert alles: Hotelgast Max Grayland muss sich um ein Baby kümmern. Kurzentschlossen lädt Sunny den Milliardär samt Kind zum Fest der Liebe ein. Aber wird er danach noch an sie denken?

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Seitenzahl: 721

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Hildy Johnston, Therese Beharrie, Margaret Mayo, Marion Lennox

ROMANA EXTRA BAND 86

IMPRESSUM

ROMANA EXTRA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg für Hildy Johnston: „Verzeih mir und küss mich“

© 2017 by Therese Beharrie Originaltitel: „A Marriage Worth Saving“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Dorothea Ghasemi

© 2017 by Marion Lennox Originaltitel: „The Billionaire’s Christmas Baby“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Simone Fischer

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA EXTRABand 86 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 1999 by Margaret Mayo Originaltitel: „Dangerous Game“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: PRESENTS Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Brigitte J. Hahn Deutsche Erstausgabe 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA EXTRA, Band 174

Erste Neuauflage in der Reihe ROMANA EXTRABand 86 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

Abbildungen: mediaphotos / Getty Images, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733744847

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, TIFFANY

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop

HILDY JOHNSTON

Verzeih mir und küss mich

Der italienische Unternehmer Massimo Minardi ist von Stella wie verzaubert. Am liebsten würde er die junge Schuhdesignerin erobern. Doch kann er ihr trauen? Stella war mit seinem Vater verheiratet …

THERESE BEHARRIE

Neuanfang unter den Sternen des Südens

Sechs Wochen hat Jordan Zeit. So lange wird seine wunderschöne Ex-Frau Mila auf seinem Weingut in Südafrika bleiben. Entweder er überzeugt sie erneut von seiner Liebe – oder sie geht für immer!

MARGARET MAYO

Mein blonder Traum

Der Racheplan von Alex droht schiefzugehen: Sie wollte den reichen Adam Stone tief verletzen. Aber seit sie sich in ihn verliebt hat, kann sie den Gedanken gar nicht ertragen, Adam traurig zu sehen …

MARION LENNOX

Fest der Liebe mit dem Milliardär

Die tollsten Models umschwärmen den gut aussehenden, mächtigen Milliardär Max Grayland. Aber was echte Liebe ist, weiß er nicht. Bis er in Sydney dem armen Zimmermädchen Sunny begegnet …

Verzeih mir und küss mich

1. KAPITEL

Stella sah das Unheil in Gestalt des attraktivsten Mannes, der ihr jemals begegnet war. Hochgewachsen und durchtrainiert stand er im Türrahmen zur Werkstatt. Sein Haar war dunkel, die viel zu ebenmäßigen Gesichtszüge waren angespannt. Seine fast schwarzen Augen richtete er wie ein Raubvogel in die Runde, und nicht die kleinste Regung schien ihm zu entgehen.

„Ich suche meine sogenannte Stiefmutter“, rief er mit fester Stimme, wobei er das letzte Wort mit unüberhörbarer Verachtung ausspuckte. „Wo finde ich die neue Mrs. Minardi?“

Das Surren der Nähmaschinen verstummte ebenso abrupt wie das Rattern der Stanze und das Hämmern auf den Holzleisten. Eine geradezu gespenstische Stille senkte sich plötzlich über die Werkbänke, und die Augen aller Mitarbeiter richteten sich auf Stella. Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Das Zusammentreffen mit dem Sohn ihres verstorbenen Ehemannes war unvermeidlich gewesen, das hatte sie von Anfang an gewusst. Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, dass es so bald stattfinden würde – nur knapp eine Woche nach Salvatores Beerdigung, zu der außer ihr und den Angestellten der Manifattura Minardi niemand erschienen war. Massimo Minardi, Salvatores einziger Sohn, hatte nicht einmal Blumen geschickt.

Dass er jetzt hier war, konnte nur eines bedeuten: Er wollte um sein Erbe kämpfen. Und der entschlossene Zug um seinen Mund verriet, dass er nicht ruhen würde, bis er dieses Ziel erreicht hatte. Mit einem resignierten Seufzen zerrte Stella den Stiefelschaft aus der Nähmaschine und stand auf. Offen ausgetragene Konflikte lagen ihr nicht, und dieser schon seit Jahren schwelende Streit zwischen Vater und Sohn überstieg ihre Vorstellungskraft. Wie konnte man sich innerhalb einer Familie nur derart überwerfen?

„Du kannst dein einziges Kind doch nicht enterben“, hatte sie dem alten Minardi damals gesagt, bevor sie die Verträge unterschrieben hatten. „Warum hinterlässt du deinem Sohn nicht wenigstens sein Elternhaus?“

„Wenn ich das tue, bleibt dir nicht mehr genug Geld, um die Manufaktur zu retten“, hatte Salvatore, schon schwer gezeichnet von seiner Krebserkrankung, ihr widersprochen. „Glaub mir, Stella, unsere Schulden sind beträchtlich. Du wirst das Haus und das Weingut verkaufen müssen, um die Gehälter zu zahlen und das Geschäft am Laufen zu halten.“

„Aber deinem Sohn ist doch sicher auch daran gelegen, dass der von seinen Vorfahren gegründete Betrieb weiterhin bestehen bleibt, oder nicht?“

„Massimo?“ Der alte Minardi hatte ein blechernes Lachen ausgestoßen, das in einen seiner vielen Hustenanfälle überging. „Der sieht nur sich selbst und das, was sich schnell versilbern lässt.“ Nach Luft ringend, hatte der Alte nach seiner Sauerstoffkanüle gegriffen. „Nein, nein, die Manufaktur ist bei dir weitaus besser aufgehoben. Und jetzt heirate mich bitte, bevor ich gar nicht mehr atmen kann.“

All das ging Stella durch den Kopf, als sie nun mit zitternden Knien auf ihren Stiefsohn zuging, der mit Mitte dreißig immerhin sieben Jahre älter war als sie. Ein Teil von ihr hoffte, dass Salvatore sich geirrt hatte und dass Massimo einlenken würde, was die Manufaktur betraf. Immerhin bestand das Familienunternehmen schon seit 1835, und der Name Minardi war weit über Italien hinaus bekannt für handgenähte Lederschuhe aus der Toskana. Doch als sich die schwarzen Raubvogelaugen jetzt auf sie richteten und sie darin nur ungläubiges Staunen und, ja, auch unverhohlene Belustigung las, wusste Stella, dass sie vergeblich gehofft hatte. Massimo Minardi war nicht der Typ, der jemals nachgeben würde – in keinerlei Hinsicht.

„Hallo“, sagte sie, trotzdem um Freundlichkeit bemüht. „Ich bin Stella Reynolds. Ähm, Reynolds-Minardi, meine ich.“

Er musterte sie abschätzig von oben bis unten. Ihre verblichene Sommerjeans, die sie über den Knöcheln hochgekrempelt hatte. Ihr schlichtes, weißes T-Shirt. Ihr glattes, nussbraunes Haar, das sie wie jeden Morgen zu einem nachlässigen Knoten gezwirbelt hatte, der sich mittlerweile fast auflöste. Schließlich blieb sein Blick an ihren flachen Riemchensandalen hängen, die sie selbst entworfen und genäht hatte. „Coole Schuhe“, stieß er hervor, wobei seine Anerkennung äußerst widerwillig klang. „Die sind aber nicht aus der aktuellen Sommerkollektion, oder?“

„Äh, nein. Die sind – außer der Reihe entstanden.“

„Außer der Reihe?“

„Ich habe ein bisschen herumprobiert“, entgegnete Stella nervös und schob ihre nach vorn gerutschte Nickelbrille wieder auf die Nase zurück.

Diese Antwort ließ Massimo kurz auf sich wirken, bevor er kopfschüttelnd einen Schritt zurücktrat. „Ich fasse es nicht“, sagte er mehr zu sich selbst.

„Wie bitte?“, fragte Stella höflich nach.

„Eine üppige Blondine – das hätte ich sofort verstanden. Meinetwegen auch eine Rothaarige, die dem Alten seine letzten Tage im Bett versüßt. Aber dass mein Vater allen Ernstes ein schmächtiges Schulmädchen wie Sie geheiratet haben soll, das hier ein bisschen herumprobiert, glaube ich keine Sekunde lang!“

Schulmädchen? Stella, die noch nie besonders schlagfertig gewesen war, blickte an sich herunter. Zugegeben, kein wirklich überzeugender Auftritt. Aber sie war ja auch Schuhmacherin von Beruf und nicht Topmodel. Abgesehen davon: Was bildete dieser Kerl sich eigentlich ein?

Es gab viele Gründe, weshalb Salvatore Minardi sie gebeten hatte, seine Frau zu werden, und kein einziger davon war sexueller Natur gewesen. Ihre Verbindung hatte einen rein geschäftlichen Ursprung. Die Eheschließung diente nur dem Zweck, die Schuhmanufaktur vor dem Untergang zu bewahren und vor Massimos Zugriff, denn Salvatore hatte seinen Sohn in seinem Testament nur auf den Pflichtteil gesetzt. „Mein Sohn hat keinen Sinn für das, was wir hier tun“, hatte er immer wieder betont. „Alles, was er will, ist der schnelle Profit. Doch ich möchte sichergehen, dass der Name Minardi auch nach meinem Tod weiter für feinstes Schuhhandwerk aus der Toskana steht.“

„Und du denkst, dass ausgerechnet ich die Richtige bin, um das zu bewerkstelligen?“, hatte Stella zaghaft gefragt.

Da hatte der Alte breit gelächelt. „Stella, du hast alles, was man dazu braucht: Sachverstand, Fleiß, das richtige Gespür für die Wünsche unserer Kunden und vor allem Talent. Tu mir den Gefallen und zweifle nie wieder daran.“

Unterdessen schien Massimo zu dem Schluss gekommen zu sein, dass sie es nicht wert war, seine Zeit weiter zu verschwenden. Ohne Stella zu beachten, ging er auf die Werkbänke zu. „Könnte mir mal bitte jemand den Geschäftsführer herschaffen?“, rief er gebieterisch. Als sich daraufhin niemand rührte, wurde er eine Spur lauter: „Was ist mit dem Chefdesigner, dem Produktmanager? Ist hier irgendwer zuständig?“

Endlich erhob sich die alte Mira von ihrem Platz hinter der Nähmaschine und ging mit einem warmherzigen Lächeln auf ihn zu. „Massimo, mein Junge“, sagte sie und tätschelte seine Wange, als sie vor ihm stand. „Wie lange haben wir uns schon nicht mehr gesehen? Das müssen ja fast zehn Jahre sein …“

Zu Stellas Überraschung wurden Massimos Gesichtszüge plötzlich weicher, und das Lächeln, mit dem er die alte Frau ansah, wirkte echt. „Mira, du bist ja immer noch da“, erwiderte er und schloss sie in seine Arme.

„Natürlich bin ich noch hier! Wo soll ich denn sonst hin?“

„In Rente gehen vielleicht?“

„Ach was, ich habe mein ganzes Leben lang hier in der Werkstatt gesessen und Schuhe genäht“, widersprach die Alte. „Da höre ich doch nicht ausgerechnet dann damit auf, wenn in der Manufaktur jede Hilfe gebraucht wird, oder?“

Massimos Blick verdüsterte sich. „Ich habe gehört, wie schlimm es um den Betrieb stehen soll. Und genau deshalb bin ich hier. Könntest du mich bitte zu eurem Geschäftsführer bringen? Ich muss mit ihm reden.“

Die alte Mira lachte. „Aber Massimo, das macht doch unsere Stella. Seit dein Vater zu krank war, um das Bett zu verlassen, kümmert sie sich um alles. Und wir sind überaus zufrieden mit ihr – nicht wahr, meine Süße?“

Ungläubig wandte er sich wieder an Stella. „Sie?“

„Ja, ich“, entgegnete sie ruhig. „Überrascht?“

„Mein Gott, dieser alte Narr!“ Sichtlich aufgebracht starrte Massimo an ihr vorbei ins Leere. „Nicht nur, dass er den ganzen Familienbesitz einer Erbschleicherin in den Rachen geworfen hat, nein, er musste ihr auch gleich die gesamte Unternehmensverantwortung übertragen!“

„Außer mir war keiner da, der sich um die Manufaktur gekümmert hätte“, erwiderte Stella, für ihre Verhältnisse regelrecht scharf im Ton. „Sie standen ja nicht zur Verfügung!“

Die schwarzen Raubvogelaugen verengten sich zu Schlitzen. „Was wissen Sie denn schon?“

„Äh, also …“

Er machte einen Schritt auf sie zu und baute sich bedrohlich vor ihr auf. „Wie lange arbeiten Sie überhaupt schon für die Manifattura Minardi?“

Instinktiv wich sie vor ihm zurück. „Seit … seit nicht ganz fünf Jahren.“

„Nicht mal fünf Jahre? Und schon schwingen Sie sich hier zur Expertin auf?“

Nein, eine Expertin war sie nicht. Das musste Stella sich eingestehen. Nur jemand, dem das Unternehmen am Herzen lag. Denn die Manufaktur und alle Menschen, die hier arbeiteten, waren in den vergangenen fünf Jahren zu genau der Familie für sie geworden, die sie niemals gehabt hatte. „Nun, ich …“, fing sie an, doch Massimo unterbrach sie erneut.

„Was sind Sie eigentlich? Eine von diesen irren Designerinnen ohne Berufserfahrung, die mein Vater immer so gerne direkt von der Accademia verpflichtet hat?“

Kaum merklich zuckte Stella zusammen, als er ihren wunden Punkt traf. Ein Designstudium war für sie unerreichbar gewesen, denn dazu hatte ihr schlichtweg das Geld gefehlt. Was sie jedoch nie daran gehindert hatte, eigene Entwürfe umzusetzen. Die komplette Herbstkollektion, für die sie gerade die Musterteile produzierten, basierte auf ihren Ideen. Ausgewählte Einkäufer, die bereits erste Prototypen gesehen hatten, waren begeistert gewesen. Auch ohne Hochschulabschluss hatte Stella einen eigenen Stil entwickelt, der überzeugte und sich gut verkaufen ließ. Die Aufträge großer, internationaler Schuh- und Nobelkaufhäuser waren der beste Beweis dafür.

Da sie aber nicht davon ausging, einen Mann wie Massimo Minardi damit beeindrucken zu können, versuchte Stella umständlich, sich zu rechtfertigen. „Ich verfüge über umfassende Berufserfahrung im Bereich Produkterstellung“, erklärte sie. „Dabei steht natürlich vor allem die Umsetzung des jeweiligen Designs im Vordergrund …“

„Großer Gott, können Sie sich nicht kurzfassen? Ich will verdammt noch mal wissen, was Sie gelernt haben!“

„Schuhmacherin“, antwortete Stella sofort. „Ich habe meine Lehre bei einem auf Gesundheitsschuhe spezialisierten Betrieb in Südengland absolviert.“

Laut auflachend schlug sich Massimo mit der Hand gegen die Stirn. „Eine Spezialistin für Gesundheitsschuhe! Das ist natürlich die naheliegendste Personallösung für einen seit Jahrhunderten bestehenden Traditionsbetrieb, der kurz vor dem Ruin steht!“

„Aber deine Vorväter waren doch auch Schuhmacher, mein Junge“, brachte ihm die alte Mira mit sanfter Stimme in Erinnerung. „Mit ihrer Handwerkskunst haben sie die Manufaktur zu dem gemacht, was sie heute ist. Stella tut nichts anderes, als die Tradition fortzusetzen. Und das macht sie mit viel Hingabe. Es gibt keinen Grund, sie zu beleidigen.“

„Die Zeiten haben sich geändert, Mira“, erwiderte Massimo. „Man braucht heute betriebswirtschaftliches Fachwissen, um ein Unternehmen erfolgreich zu führen – und einen kühlen Kopf. Das hat mein Vater immer unterschätzt. Deshalb ist es mir einfach unbegreiflich, warum er sich nicht einen erfahrenen Experten ins Haus geholt hat, statt eine kleine Schuhmacherin mit Vollmachten auszustatten, die sie zwangsläufig überfordern müssen.“

„Sie können jederzeit einen Blick in die Bücher werfen“, meldete Stella sich kühl zu Wort. Seine herablassende Art ging ihr zunehmend auf die Nerven, und sie hatte es satt, dass er über sie sprach, als wäre sie nicht ganz bei Verstand. „Die Verluste der Manufaktur haben sich nahezu halbiert, seit ich das Ruder übernommen habe.“

„Sieh an, das Schulmädchen kann rechnen.“ Massimo verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber wissen Sie was? Das kann ich auch, und zwar besser als Sie. Deshalb weiß ich auch, dass Ihnen die Hausbank angesichts der aktuellen Schulden keinen Kredit mehr bewilligen wird.“

„Was ja Gott sei Dank nicht Ihre Sorge sein muss.“

„Im Gegenteil, ich profitiere davon. Es wird mich nicht mehr als ein Fingerschnippen kosten, den ganzen Laden hier zu übernehmen. Und dann wird gründlich aufgeräumt, das verspreche ich Ihnen.“

„Aber Massimo! Was wird dann aus unseren Arbeitsplätzen?“, fragte Mira bestürzt.

An den Werkbänken entstand Unruhe. Einer der Schuhmacher stand auf und rief: „Das würde uns ehrlich gesagt auch interessieren!“

Nach und nach erhoben sich seine Kollegen von ihren Plätzen und traten näher.

Massimo blickte von einem zum anderen und hob abwehrend die Hände. „Ich kann euch wirklich nichts versprechen, Leute! Die Manufaktur ist hoch verschuldet, und ohne Synergieeffekte werden wir hier nicht auskommen können …“

„Synergieeffekte?“, fragte einer der älteren Schuhmacher entgeistert. „Was soll das denn heißen?“

„Er meint Entlassungen.“ Stella ergriff das Wort, denn sie war nicht bereit, Massimo kampflos die Bühne zu überlassen. „Aber dazu wird es nicht kommen. Wir haben ein gutes Konzept erarbeitet und machen gerade eine fantastische Herbstkollektion, die uns die Einkäufer der großen Warenhäuser aus den Händen reißen werden. Ich bin sicher, dass wir unsere Bank damit überzeugen können, uns noch einmal einen Kredit zu gewähren.“

„Sind Sie wirklich so naiv?“, fuhr Massimo sie an. „Glauben Sie, die Bank wirft gutes Geld schlechtem hinterher, wenn ein Investor wie ich bereitsteht, der das marode Loch hier mit nur einem Schlag übernimmt?“ Er lachte höhnisch. „Kein Mensch wird sich für Ihr Konzept interessieren, kleines Schulmädchen, geschweige denn einen Blick auf Ihre Herbstkollektion werfen!“

Stella stockte der Atem. Noch nie war ihr so viel Bosheit entgegengeschlagen, und sie fragte sich, wie sie diesem Hass begegnen sollte. Mit gleicher Münze heimzahlen konnte sie es Massimo nicht, denn das hätte vor den Mitarbeitern alles andere als souverän gewirkt. Außerdem entsprach es nicht ihrer Art, Menschen, die sie gar nicht kannte, so zu attackieren.

Während sie noch mit sich rang und nach Worten suchte, räusperte sich einer der Schuhmacher aus der Runde. „Was haben Sie denn vor, wenn Sie uns übernommen haben?“, wollte der Mann von Massimo wissen. „Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?“

„Ich werde die Manufaktur nicht weiterführen“, entgegnete er ohne Umschweife. Prompt ging ein entsetztes Raunen durch die Werkstatt. „Einige von euch wissen vielleicht, dass ich mir in den vergangenen zehn Jahren ein eigenes Unternehmen aufgebaut habe“, fuhr Massimo ungerührt fort. „Die Fabbrica Carrara ist mittlerweile ein Konzern, der weltweit für hochmodische und vor allem für bezahlbare Schuhe bekannt ist …“

„Sie meinen diese billigen Dinger, die in China zusammengeklebt werden?“, rief jemand. „Die halten doch keinen Sommer lang durch!“

„Das sollen sie auch gar nicht“, gab Massimo zurück. „Im Gegensatz zu euch ist es nicht unser Anspruch, Kunden mit Schuhen fürs Leben zu versorgen. Wir wollen, dass man sich alle paar Monate ein neues Paar bei uns kauft – oder besser gleich drei oder vier!“

„Das ist doch Umweltverschmutzung“, widersprach jemand. „Damit erzeugen Sie nur Müllberge!“

„Was wollen Sie überhaupt mit der Manufaktur?“, fragte ein anderer. „Wir passen doch gar nicht zu Ihnen!“

„Ja, genau. Warum lassen Sie uns nicht einfach zufrieden?“

Massimo stieg auf eine Holzkiste, die neben ihm stand. Als er sich vergewissert hatte, dass alle ihn sehen und hören konnten, hob er die Stimme: „Ich bin der rechtmäßige Erbe der Manifattura Minardi, und ganz egal, wen mein Vater in den letzten Wochen seines Lebens auch geheiratet haben mag, das Unternehmen gehört mir“, behauptete er. „Wie wenig sinnvoll es ist, Schuhe von Hand hier in Italien nähen zu lassen, habe ich meinem Vater schon vor Jahren zu erklären versucht. Er wusste es besser, und die Folgen dieser wirtschaftlichen Fehlentscheidung müsst ihr nun leider tragen. Ich kann und will den Untergang der Manufaktur nicht abwenden, denn ich bin Geschäftsmann und sehe, dass es sich einfach nicht rechnet, so weiterzumachen wie bisher. Mein Ziel ist es, mir das Namensrecht der Marke Minardi zu sichern und unter diesem Titel eine Edelschuh-Linie für mein eigenes Unternehmen entwerfen zu lassen. Den talentiertesten Schuhmachern unter euch werde ich neue Jobs bei Carrara anbieten, aber ich sage euch auch ganz klar: Ich habe nicht für jeden eine Verwendung.“

„Und was wird aus unseren Kindern?“, rief einer der Männer aufgebracht. „Was ist mit den Raten für mein Haus, die ich abbezahlen muss?“

„Ich habe nur noch sechs Jahre bis zur Rente“, meldete ein anderer sich zu Wort. „Wo soll ich jemals einen neuen Job herkriegen?“

„Wie viele Leute würdest du denn übernehmen?“, wollte die alte Mira wissen.

„Nicht mehr als fünf“, sagte Massimo mit unbewegtem Gesicht.

„Fünf von fünfundfünfzig?“, erboste sich eine Frau aus der letzten Reihe. „Das ist doch gar nichts!“

Massimo zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid. Aber eine andere Möglichkeit gibt es nicht.“

„Blödsinn!“ Dieser Zwischenruf kam von Stella, und alle Augen richteten sich nun erwartungsvoll auf sie. Gott, sie hasste es, im Mittelpunkt zu stehen und große Reden zu schwingen. Viel lieber saß sie den ganzen Tag an ihrer Nähmaschine und werkelte vor sich hin. Aber Massimos selbstgefälliger Auftritt und seine Art, ihren Mitarbeitern vage Optionen als Tatsachen zu verkaufen, ließen ihr keine andere Wahl. „Ich glaube, ich muss hier etwas richtigstellen“, sagte sie mit klarer Stimme. „Salvatore hat mich geheiratet und mich als Alleinerbin eingesetzt. Für Sie“, dabei fiel ihr Blick auf Massimo, „bleibt hier laut Testament lediglich der Pflichtteil. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass Ihnen die Manufaktur gehört. Es ist jetzt mein Unternehmen, und ich allein entscheide, was damit geschieht.“

Stella hörte, wie Massimo nach Luft schnappte. Und obwohl sie deutlich kleiner war als er und ihre Stimme nicht kräftig genug war, um durch die ganze Werkstatt zu hallen, verzichtete sie darauf, irgendwo hinaufzuklettern. Im Gegensatz zu ihm musste sie sich nicht größer und wichtiger machen, als sie tatsächlich war.

„Es stimmt, dass wir Schulden haben“, fuhr sie fort. „Ihr alle wisst schon lange, wie es um die Manufaktur steht, und ich danke euch, dass ihr in den vergangenen Wochen trotzdem an mich geglaubt und so engagiert mitgearbeitet habt. Das Ergebnis ist eine Herbstkollektion, die schon jetzt so gut bei unseren Kunden ankommt, dass ich mit vollen Auftragsbüchern rechne. Und genau das werde ich der Direktorin unserer Hausbank morgen sagen, wenn es darum geht, einen neuen Kredit auszuhandeln.“

Stella hielt inne, um zu Atem zu kommen. Ihre Hände zitterten vor Aufregung, doch sie hoffte, dass es niemand bemerkte. „Ich muss euch ehrlich sagen, dass ich nicht weiß, wie dieses Gespräch ausgehen wird“, sprach sie weiter. „Es kann sein, dass ich scheitere, aber es ist genauso gut möglich, dass ich sie überzeuge. In jedem Fall werde ich alles dafür tun, dieses Unternehmen weiterzuführen – mit handgenähten Schuhen made in Italy. Das war Salvatores Wunsch, und ich habe ihm mein Wort gegeben, für uns alle hier zu kämpfen. Eure Gehälter und die Materialbeschaffung sind durch den Verkauf von Salvatores Weingut noch einige Monate lang gesichert. Sollten wir keinen Kredit mehr erhalten, werde ich auch sein Privathaus verkaufen, um jedem Einzelnen von euch wenigstens eine kleine Abfindung zu zahlen. Ich weiß, das ist nicht viel. Aber immer noch mehr, als er euch bietet.“ Anklagend zeigte sie auf Massimo. „Lasst euch nicht von ihm verunsichern, und hört nicht auf das, was er sagt. Wir haben nur dann eine Chance, wenn wir zusammenstehen und unbeirrt das tun, was wir am besten können: Schuhe nähen.“ Sie holte tief Luft. „Danke, dass ihr mir zugehört habt.“

Als daraufhin spontan Beifall laut wurde, stieg Stella erneut die Röte ins Gesicht. Ihre Kehle war wie ausgetrocknet, und sie sehnte sich nach einem Glas Wasser. Dankbar dafür, dass es vorbei war, und auch ein bisschen stolz auf sich, nahm sie das Schulterklopfen ihrer Mitarbeiter entgegen, die jetzt einer nach dem anderen wieder an ihre Werkbänke gingen.

„Du warst großartig“, flüsterte die alte Mira neben ihr. „Schon mal über eine Karriere in der Politik nachgedacht?“

„Hör bloß auf, ich bin gerade tausend Tode gestorben“, wisperte Stella und deutete mit dem Kinn in Massimos Richtung. „Wie werden wir den jetzt wieder los?“

„Du meinst heute? Keine Sorge, ich denke, er ist schon auf dem Rückzug. Allerdings glaube ich nicht, dass er aufgeben wird. Du musst damit rechnen, dass er uns weiterhin Schwierigkeiten macht.“

Stella seufzte abgrundtief. „Salvatore hat mich gewarnt. Er sagte, alles, wofür sein Sohn sich interessiert, sei schneller Profit. Und ich wollte das erst gar nicht glauben.“

„Ach, er war nicht immer so, weißt du. Ich habe ihn eigentlich als lieben, kleinen Jungen in Erinnerung.“ Mira lächelte versonnen. „Als Kind kam er immer zu uns in die Werkstatt, sammelte die Lederreste vom Boden auf und wollte irgendetwas daraus basteln. Monsterschuhe zum Beispiel – er hatte so viel Fantasie.“

„Was ist schiefgelaufen?“

„Achtung, er kommt. Wir reden später weiter.“ Blitzschnell verdrückte sich Mira wieder an ihre Nähmaschine und überließ es Stella, mit dem ungebetenen Besucher allein fertigzuwerden.

„Glauben Sie eigentlich selbst an den Schwachsinn, den Sie hier gerade zum Besten gegeben haben?“, fragte Massimo ohne Umschweife.

„Absolut. Ich habe keinen Grund, es nicht zu tun.“

„Sie werden scheitern, kleines Schulmädchen, davon können Sie jetzt schon mal ausgehen.“

„Und Sie können davon ausgehen, dass ich nicht kampflos aufgeben werde.“

„Das schaue ich mir gerne aus der Nähe an“, meinte er spöttisch. „Ach, und übrigens: Den Verkauf des Weinguts werde ich anfechten.“

„Anfechten? Aber der Vertrag ist längst unterschrieben und rechtskräftig.“

„Überlassen wir es doch einfach unseren Anwälten, zu entscheiden, wie rechtskräftig dieser Schritt war.“

Stella zuckte mit den Achseln und gab sich Mühe, möglichst gelassen zu wirken. „Bitte, wenn Sie Wert darauf legen.“

Massimo schoss so unvermittelt nach vorn, dass sie schon glaubte, er würde auf sie losgehen. „Sie haben keine Ahnung, was Sie da reden“, stieß er hervor, und seine Augen glühten vor mühsam unterdrücktem Zorn. „Dieses Weingut hat meine Mutter mit in die Ehe gebracht, ihre Familie bewirtschaftet es bereits seit Generationen!“

„Aber …“

„Ich habe den Großteil meiner Kindheit dort verbracht, verstehen Sie? Jeder Weinstock, jedes Fass in der Kellerei ist mir so vertraut wie mein eigener Name! Und Sie verscherbeln das Ganze für einen Spottpreis, nur um in der Manufaktur kurzzeitig ein paar Löcher stopfen zu können!“

„Der Preis war mehr als angemessen“, widersprach Stella hitzig. „Außerdem war der Verkauf genau das, wozu Ihr Vater mich ermächtigt hat. Er wollte, dass die Gehälter unserer Mitarbeiter gesichert sind und dass die Manufaktur über seinen Tod hinaus besteht.“

„Nun, das wird sie nicht, dafür werde ich höchstpersönlich sorgen.“

Fassungslos starrte Stella ihn an. „Wie können Sie so etwas sagen? Es waren doch Ihre Vorfahren, die den Betrieb vor fast zweihundert Jahren gegründet haben!“

„Das ist mir genauso gleichgültig, wie meinem Vater das Weingut war.“

„Worum geht es hier eigentlich? Um die Manufaktur oder um das Weingut?“

„Weder noch“, entgegnete Massimo mit einem freudlosen Lächeln. „Es geht um ihn. Darum, ihn nicht gewinnen zu lassen.“

„Sie meinen Salvatore?“

„Zugegeben, er hatte sich das alles schön zurechtgelegt: Den einzigen Sohn kaltstellen, auf den Pflichtteil setzen und allen Besitz einem fleißigen Bienchen übertragen, das die Geschäfte in seinem Sinne weiterführt. Doch diese Rechnung wird nicht aufgehen, denn ich werde nicht ruhen, bis ich das habe, was mir zusteht!“

„Das können Sie natürlich versuchen“, erwiderte Stella so ruhig wie möglich. „Aber wie schon gesagt: Wir kämpfen. Und werden uns zu wehren wissen.“

Massimo lächelte kalt. „Sie merken es nicht, oder? Sie sind nur eine Randfigur in einem Spiel, das Sie längst verloren haben. Aber das begreifen Sie wohl erst, wenn Ihnen die Bank den Geldhahn endgültig zugedreht hat.“

„Ich werde Sie wissen lassen, wie die Sache ausgegangen ist.“

„Oh, das kriege ich schon von selbst mit“, erwiderte er leichthin. „Schließlich bin ich morgen bei dem Termin dabei.“

„Wie bitte?“

„Haben Sie ernsthaft geglaubt, dass ich als potenzieller Investor fernbleibe? Im Gegenteil, man hat mich ausdrücklich gebeten, anwesend zu sein. Wussten Sie eigentlich, dass ich praktisch mit der heutigen Direktorin aufgewachsen bin? Simonetta Canari und ich haben als Nachbarskinder viel zusammen gespielt, und wir sind bis heute sehr eng befreundet.“

Stella schluckte. Wenn er die Hausbank über persönliche Kontakte schon auf seine Seite gebracht hatte – welche Chance hatte sie dann überhaupt noch?

„Damit haben Sie nicht gerechnet, nicht wahr, kleines Schulmädchen?“ Er stieß ein siegessicheres Lachen aus. „Es wird mir ein Vergnügen sein, Ihnen beim Untergang zuzusehen. Also dann, bis morgen in der Arena!“

Verzweifelt blickte Stella ihm nach, als er davonging. Bluffte er, oder war tatsächlich schon alles verloren? Egal. Sie musste ihr Ziel im Auge behalten, unabhängig davon, welche Drohkulisse Massimo vor ihr aufbaute. Doch für das Gespräch mit der offenbar voreingenommenen Bankdirektorin brauchte sie nun eine verdammt gute Strategie. Und zwar so schnell wie möglich.

2. KAPITEL

Stella rannte in den Lagerraum und riss hektisch die Deckel von den Schuhkartons der aktuellen Herbstkollektion. Ein Regal nach dem anderen ging sie durch, ohne das zu finden, wonach sie suchte.

„Was machst du hier für ein Durcheinander?“, fragte Mira kopfschüttelnd, und fing sofort an, die Deckel wieder ordentlich auf den Schuhkartons zu platzieren.

„Ich brauche ein Paar von unseren neuen Pumps mit dem etwas breiteren Absatz. In Größe 39 und in Braun.“

„Dann versuch es doch mal mit diesem hier“, sagte die alte Frau und zog einen Karton aus dem Regal rechts neben ihr.

Eilig angelte Stella einen der Schuhe heraus und betrachtete ihn nachdenklich. „Vielleicht wäre das Modell in Schwarz doch besser – oder was meinst du?“

„Kommt drauf an.“

„Worauf?“

„Was du damit vorhast.“

„Ich will die Direktorin unserer Hausbank davon überzeugen, uns noch einmal Kredit zu gewähren.“

Miras Augenbrauen schossen in die Höhe. „Mit einem Paar Pumps?“

„Überleg doch mal: Was ist das Wichtigste im Leben einer Frau?“

„Kinder“, sagte Mira wie aus der Pistole geschossen. „Ein guter Ehemann. Und immer einen Topf mit Pasta auf dem Herd.“

Stella verdrehte die Augen. „Und im Leben einer berufstätigen Frau? Einer, die nicht verheiratet ist und keine Kinder hat?“

„Na, Schuhe natürlich.“

„Kann man davon jemals genug haben?“

„Absolut nicht!“

„Siehst du, und genau da müssen wir ansetzen.“

„Äh – wo genau jetzt?“

„Bei Simonetta Canari, der Bankdirektorin.“ Stella blies sich die Ponyfransen aus der Stirn. „Sie ist diejenige, die morgen über unser weiteres Schicksal entscheidet. Dummerweise ist sie seit Kindheitstagen mit Massimo Minardi befreundet und hat ihn als Investor zu unserem morgigen Termin gebeten. Sie wird wahrscheinlich etwas voreingenommen sein.“

„Verstehe. Das ist ungünstig.“

„Mehr als das – es ist fatal.“

„Was also wirst du tun?“

Stella zuckte die Schultern. „Den Glauben an unsere Schuhe hochhalten. Was sonst bleibt mir übrig?“

„Ich fürchte, das musst du mir genauer erklären“, erwiderte Mira und setzte sich auf eine kleine Trittleiter.

„Nun, ich habe ein paar Informationen gesammelt, zunächst über das Internet. Simonetta ist Mitte dreißig, sehr attraktiv und Single. Ihren Job hat sie ihrer Familie zu verdanken, die Eigentümerin der Bank ist. Allerdings musste sie sich im Kampf um den Direktorenposten gegen zwei ihrer Cousins durchsetzen, was bestimmt nicht angenehm war. Sie ist beruflich viel auf Reisen, sitzt im Vorstand zahlreicher Unternehmen und steht regelmäßig im Licht der Öffentlichkeit. Ach ja, und sie hat Schuhgröße 39.“

Mira runzelte die Stirn. „Ihre Schuhgröße stand auch im Internet?“

„Nein, das habe ich auf anderem Wege herausbekommen.“ Stella lachte. „Clara, die bei uns in der Buchhaltung arbeitet, ist die Nichte von Canaris persönlicher Assistentin. Und die hat es uns verraten.“

„Und was fängst du mit dieser brandheißen Information an?“

„Ich werde Simonetta Canari morgen bei dem Termin bitten, unsere neuen Pumps mit dem Spezialfußbett anzuprobieren“, antwortete Stella. „Wenn das nicht zündet, weiß ich auch nicht weiter.“

Miras Miene hellte sich auf. „Jetzt verstehe ich, worauf du hinauswillst. Signora Canari entspricht unserer Zielgruppe!“

„Attraktiv, erfolgreich und den ganzen Tag auf den Beinen“, ergänzte Stella. „Wie jede Frau in einer Führungsposition steht sie vor dem Dilemma, sich durch ihr Äußeres ihrem männlich dominierten Umfeld anpassen zu müssen, ohne dabei ihre Weiblichkeit zu verleugnen. Daher trägt sie Business-Kostüme, die sie manchmal mit einer ausgefallenen Bluse oder ein bisschen Schmuck aufpeppt. Und demnächst vielleicht auch ein Paar Minardi-Schuhe, die zeitlos elegant sind …“

„… aber ein Geheimnis haben“, fiel Mira ihr ins Wort. „Unser Spezialfußbett!“

„Massimo hat nur gelacht, als er gehört hat, dass ich meine Ausbildung in einer Fabrik für Gesundheitsschuhe gemacht habe“, sagte Stella grimmig. „Er weiß allerdings nicht, dass ich eine Innensohle entwickelt habe, die sich der Form jedes Fußes anpasst und so trotz Absatz schmerzfreie Bewegungen ermöglicht.“

„Weshalb unsere Schuhe ja nicht nur schön, sondern auch bequem sind. Diesen Unterschied wird die Canari sofort bemerken, da bin ich sicher.“

„Hoffentlich.“

„Meine Tochter trägt die Prototypen, die du genäht hast, den ganzen Tag in ihrem Friseursalon“, berichtete Mira. „Sie schwört, dass sie abends weder schwere Füße noch schmerzende Beine hat – auch nach stundenlangem Stehen nicht.“

„Genau so soll es sein.“ Nachdenklich blickte Stella auf die Pumps in ihren Händen. „Weißt du, es war immer mein Ziel, Schuhe zu entwerfen, die alle orthopädischen Vorgaben erfüllen, ohne danach auszusehen. Und mit dieser Kollektion ist mir das zum ersten Mal so gelungen, dass ich zufrieden bin.“

Mira stand auf und legte den Arm um sie. „Du hast all deine Talente genutzt und bist eine sehr, sehr gute Schuhmacherin geworden. Deine Eltern müssen stolz auf dich sein.“

Eltern? Stella erschauderte kaum merklich. Wer auch immer sie gewesen waren, sie hatten sich nie für ihre Tochter interessiert, am allerwenigsten dafür, ob sie irgendwelche Talente hatte. Ihre Mutter war als Minderjährige drogenabhängig geworden und hatte angeschafft, um ihre Sucht zu finanzieren. Stella war in einer Nacht mit einem Freier gezeugt worden, der die Vaterschaft leugnete, sobald man ihn ausfindig gemacht hatte. Als sie vier Jahre alt war, hatte man ihre Mutter tot aufgefunden. Und so war sie, verängstigt und verwahrlost, erst in einem Heim und dann in verschiedenen Pflegefamilien gelandet. Ihre gesamte Jugendzeit hindurch hatte sie abgelegte Jeans und Pullover getragen – und die durchgelaufenen Schuhe anderer Kinder, die nie richtig passten.

Stella erinnerte sich noch gut an den rauen Ton, der in ihren Pflegefamilien vorherrschte. An die Angst und die Einsamkeit. Schnell hatte sie begriffen, dass die Menschen, denen sie anvertraut war, mit ihrem eigenen Leben überfordert waren, dass sie Geldsorgen und Alkoholprobleme hatten und Heimkinder nur deshalb in ihre Obhut nahmen, um ein Salär dafür zu kassieren.

Doch bei aller Lieblosigkeit, der sie ausgesetzt gewesen war – nichts hatte Stella so belastend empfunden wie die Sache mit den Schuhen. Denn wie sollte man weglaufen, wenn man dabei aus seinen viel zu großen Sneakers rutschte? Wie sollte man zur Seite springen, um einem Schlag auszuweichen, wenn die Zehen in viel zu engen Ballerinas eingequetscht waren? Schuhe, das hatte sie früh gelernt, entschieden darüber, ob man durchs Leben schlurfte, humpelte, tanzte oder sprang.

Und sie wollte tanzen – um jeden Preis. Am liebsten zu der italienischen Musik, die manchmal aus dem altersschwachen Radio einer ihrer Pflegemütter erklang. In jeder Silbe dieser Sprache schien Wärme und Helligkeit mitzuschwingen, und wenn Stella aus dem engen Küchenfenster in den trüben, englischen Regen hinausstarrte, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als die Sonne Italiens auf ihrer Haut zu spüren. Aus den Bildern in ihrem Erdkundebuch wusste sie, dass es dort tiefblaues Meer und grüne Pinienhaine gab, alte Städte und wunderschöne Kathedralen. Ganz sicher musste man dort keine Angst haben, dachte sie damals, und bestimmt würde ihr dort niemand das Gefühl geben, ein lästiges, unwillkommenes Anhängsel zu sein.

In ihrer Fantasie wurde Italien zum idealen Zufluchtsort, zum Land ihrer Träume, und schon als Dreizehnjährige nahm sie sich vor, eines Tages für immer dort zu leben. Auf dem Flohmarkt in ihrer Heimatstadt ergatterte sie einen CD-Sprachkurs, den sie sich so oft anhörte, bis sie alles auswendig konnte. Während ihrer Lehrzeit in der Schuhfabrik belegte sie Abendkurse in Italienisch, und nach ihrem Abschluss als Schuhmacherin bewarb sie sich mit einer Mappe eigener Entwürfe bei italienischen Traditionsbetrieben. Zunächst erhielt sie nur Absagen, aber dann kam von der Manifattura Minardi aus Florenz eine Einladung zum Probearbeiten – eine Reise, die ihr Leben komplett veränderte. Denn bei Minardi fand sie nicht nur Anerkennung für ihre Arbeit, sondern auch Kollegen, die sie sofort herzlich in ihre Mitte aufnahmen. So viel Zuwendung hatte sie nie zuvor erfahren, und so wurde die Manufaktur schnell zum Ersatz für die Familie, von der sie immer geträumt hatte.

Einen kurzen Moment schmiegte sie sich nun in Miras Umarmung, genoss den Trost, den die alte Frau ihr spendete. Doch dann löste sie sich, schob all die belastenden Gedanken an ihre Vergangenheit beiseite und sagte mit einem spitzbübischen Lächeln: „Was meinst du – womit lässt Simonetta Canari sich erobern? Mit braunen oder schwarzen Pumps?“

„Oh, sie sollte gar nicht erst zwischen beiden wählen müssen!“

„Aber …“

„Eine verliebte Frau will immer alles.“ Vorsichtig legte Mira die Schuhe in die Originalkartons zurück. „Und wenn sie bekommt, was sie will, bleibt sie treu. Darum nimm beide Paare morgen mit. Sie wird beide behalten wollen, glaub mir.“

„In Ordnung.“

„Und, Stella – was ziehst du an?“

„Ich dachte an meinen üblichen grauen Hosenanzug …“

Energisch schüttelte die alte Frau den Kopf. „Komm morgen früh vor dem Termin zu Chiara in den Friseursalon. Meine Tochter wird dir die Haare machen, dich ein bisschen schminken und dir etwas Schickes zum Anziehen ausleihen. Schließlich hast du nur einmal die Chance, einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen.“

„Ist das wirklich nötig?“, beschwerte sich Stella. „Ich fühle mich immer so verkleidet, wenn ich geschminkt herumlaufen muss …“

„Es tut mir wirklich leid, dir das so sagen zu müssen, Liebes. Aber für jemanden, der so wunderschöne Schuhe entwirft wie du, hast du einen grauenhaften Kleidungsstil. Massimo hat vorhin sogar noch freundlich untertrieben, als er Schulmädchen zu dir gesagt hat.“

„Was erwartet ihr denn von mir? Dass ich rausgeputzt wie eine Modepuppe in der Werkstatt erscheine und mich in High Heels an die Nähmaschine setze?“

„Natürlich nicht.“ Mira legte ihr besänftigend die Hand auf den Arm. „Deine Jeans sind bei der Arbeit völlig in Ordnung. Allerdings würde keine Italienerin, die etwas auf sich hält, morgens so ungeschmückt wie du das Haus verlassen.“

„Ungeschmückt?!“, brauste Stella auf. „Was soll das jetzt heißen?“

„Sieh dich doch mal an: Dein gesamtes Outfit verrät, dass du dich auf das Notwendigste beschränkst. Du konzentrierst dich ganz auf die Leistung, die du erbringen musst, und willst durch Äußerlichkeiten offensichtlich nicht von Inhalten ablenken.“

„Und, was ist daran falsch? Immerhin gehe ich jeden Morgen gewaschen aus dem Haus!“

„Herzlichen Glückwunsch“, erwiderte Mira und lachte. „Wenn du deine Jeans jetzt noch mit einem flotteren Oberteil kombinierst, ein bisschen Dekolleté zeigst, Ohrringe trägst und wenigstens ein bisschen Wimperntusche auflegst, hast du schon viel erreicht. Dein Glück ist doch, dass du eine junge, hübsche Frau bist, die gar keinen großen Aufwand betreiben muss, um auf sich aufmerksam zu machen.“

„Wer sagt denn, dass ich das überhaupt will?“

„Nun, du bist jetzt immerhin die Inhaberin der Manifattura Minardi – und damit die Visitenkarte unseres Unternehmens“, gab Mira zu bedenken. „Wer soll dir denn glauben, dass die Schuhe, die du entwirfst, stilprägend und ihr Geld wert sind, wenn du selbst herumläufst wie eine Klosterschülerin, die sich im Altkleidercontainer bedient hat?“

Stella spürte einen Stich im Herzen und fragte sich, ob sie es jemals schaffen würde, ihre Herkunft als Heim- und Pflegekind hinter sich zu lassen. Offensichtlich sah man ihr auch jetzt noch an, in welchen Problemvierteln sie aufgewachsen war, und der Geruch der zugemüllten Treppenhäuser, in denen sie sich immer vor Schlägen versteckt hatte, schien ihr den ganzen Weg von England bis nach Italien gefolgt zu sein.

„Das Auffälligste an dir sind deine Schuhe“, sagte die alte Mira in ihre Gedanken hinein. „Das hat Massimo, der schließlich vom Fach ist, auch sofort bemerkt. Deine Schuhe verraten, dass auch du durchaus einen Sinn für Eleganz besitzt – und vor allem das richtige Händchen dafür hast, sie gekonnt zu inszenieren. Allerdings gibst du dir große Mühe, an dir selbst nicht allzu viel davon zu zeigen. Aber was hindert dich, deinem angeborenen Stilgefühl einfach zu folgen, wenn du morgens vor dem Kleiderschrank stehst?“

„Die Tatsache, dass ich tiefe Ausschnitte hasse“, gab Stella trotzig zurück. „Und Klunker an den Ohren stören mich, wenn ich meinen Vespa-Helm aufsetze.“

„Heilige Maria Mutter Gottes, ihr Engländer immer mit eurem Pragmatismus!“ Verzweifelt schüttelte Mira den Kopf. „Ich kenne wirklich keine einzige Italienerin, die sich durch einen Schutzhelm davon abhalten ließe, genau das zu tragen, was ihr gefällt! Schon mal auf die Idee gekommen, dass man Ohrringe vor der Fahrt abnehmen und nachher wieder anlegen kann?“

Stella musste lachen. „Schon gut, ich verstehe deinen Standpunkt. Und bin dir wirklich dankbar für deine Offenheit. Für den Termin morgen ist es wohl wirklich besser, wenn ich mich ein bisschen von deiner Tochter beraten lasse.“

„Oh, du wirst sehen, dass Chiara wahre Wunder bewirken kann, wenn man sie nur lässt.“

„Hauptsache, sie übertreibt es nicht.“

Fassungslos starrte Mira sie an. „Dio mio, wir sind Frauen, oder nicht? Und um das jeden Tag aufs Neue zu zeigen, kann man gar nicht genug Aufwand betreiben!“

Aufwand betreiben? Ausgerechnet für Massimo Minardi? Beim Gedanken an ihn geriet Stellas Herzschlag aus dem Takt und schlagartig fielen ihr all die abschätzigen Dinge wieder ein, die er über ihr Äußeres gesagt hatte. Von wegen Schulmädchen! Wütend ballte sie ihre Hände zu Fäusten. Sie würde ihm schon zeigen, dass er sie unterschätzt hatte! Und ein neues Outfit war erst der Anfang.

3. KAPITEL

Mit neuer Entschlossenheit fand sich Stella am nächsten Morgen im Salon von Chiara Ciccone ein. Miras Tochter, eine energische Brünette von Anfang vierzig, die ihre drei Kinder genauso im Griff hatte wie ihren Ehemann und ihre vier Angestellten, erwartete sie bereits. Das geräumige, ganz in Lila- und Rosatönen gehaltene Ladengeschäft am Rande der Altstadt von Florenz war allerdings noch vollkommen leer, denn offiziell machte es erst zwei Stunden später auf.

„Danke, dass du so früh schon Zeit für mich hast“, sagte Stella deshalb. „Ich hoffe, du hast durch mich keine allzu großen Umstände.“

„Es ist schließlich ein Notfall, sì?“, erwiderte Chiara und dirigierte Stella mit einer raschen Handbewegung zum Waschbecken, um ihr den Kopf zu shampoonieren. „Außerdem werde ich ein bisschen Ruhe brauchen, um das hier in Ordnung zu bringen.“

Stella schrak auf. „Was meinst du mit in Ordnung bringen?“

„Sind deine Augenbrauen in diesem Jahrtausend schon mal gezupft worden?“, fragte Chiara.

„Äh – nicht, dass ich wüsste.“

„Bene. Dann setz dich hin und lass mich machen.“

In den nächsten zwei Stunden bewies Chiara mit all ihrem Können, dass sie den Meisterbrief, der eingerahmt an der Wand über der Kasse hing, wirklich verdient hatte. Sie wusch und verwöhnte Stellas Haar mit einem Conditioner, föhnte und bürstete es, bis es glänzte. Dann steckte sie die nussbraunen Strähnen zu einer eleganten Frisur hoch, bei der jedes Härchen dank großzügigem Haarspray-Einsatz an seinem Platz blieb. Stellas Pony hatte sie akkurat gestutzt und ihre Augenbrauen in Form gezupft. Rosafarbener Lidschatten und schwarzer Kajalstrich brachten ihre grünen Augen zur Geltung, dezentes Rouge und ein Lippenstift in Koralle verliehen ihrem Gesicht eine nie gekannte Frische. Was das Outfit betraf, so hatte Chiara ein schmal geschnittenes, weißes Jackett, ein korallenrotes Seidenoberteil und einen dazu passenden, leicht ausgestellten Rock mit weißen Punkten für Stella ausgesucht.

„Ich schwöre, dass ich nach meiner ersten Schwangerschaft selbst noch da reingepasst habe“, sagte Chiara schließlich, trat einen Schritt zurück und begutachtete ihr Werk. „Fehlen nur noch die Schuhe. Aber ich fürchte, die Stilettos, die ich mitgebracht habe, sind dir zu groß.“

Stella winkte ab. „Ich habe selbst etwas Passendes dabei. Sieh mal!“ Sie griff in ihre Handtasche und förderte ein Paar cremefarbene Slingballerinas zutage, so schmal und flach, dass man sie unauffällig in der kleinsten Tasche verstauen konnte.

„Wow, sind die aus der neuen Kollektion?“, fragte Chiara und strich mit den Fingerspitzen über das butterweiche Leder.

„Nein, das ist ein nie verwirklichter Prototyp aus dem letzten Jahr. Ich hatte die Idee, Notfall-Schuhe zu entwerfen, die in jede Handtasche passen. Mit flachem Absatz und einem entlastenden Fußbett. Du weißt schon, für Frauen, die es ab der Mitte des Partyabends nicht mehr in ihren High Heels aushalten. Aber Salvatore hielt das für eine unnötige Spielerei, und so ist die Sache im Sande verlaufen.“

„So etwas sollten Männer gar nicht erst entscheiden dürfen“, befand Chiara. „Die Idee ist super! Ich will auch Notfall-Schuhe für meine Handtasche!“

„Kann ich dir machen. Welche Größe?“

„41, aber sag’s nicht weiter. Und, könnte ich die Schuhe auch in Schwarz bekommen?“

„Natürlich.“ Stella lächelte. „Ich nähe dir einfach zwei Paar, eins in Schwarz und eins in Creme – dann bist du für alles gerüstet.“

„Du bist wirklich die Beste, danke dir!“

„Nein, ich danke dir. Zwar erkenne ich mich gerade selbst kaum wieder, aber das gefällt mir zur Abwechslung mal ganz gut. Und bei dem Termin, der mir bevorsteht, ist es sicher besser, nicht schon an der Türschwelle völlig abgekämpft rüberzukommen.“

„Keine Sorge, du siehst klasse aus. Vor allem, weil du heute Kontaktlinsen trägst – da sieht man sehr viel mehr von deinem Gesicht.“ Fachmännisch zupfte Chiara noch ein letztes Mal an Stellas Pony herum, dann nickte sie zufrieden. „Auf mich wirkst du jedenfalls wie eine Amazone vor Beginn einer Schlacht.“

„Echt? Ich fühle mich eher wie eine Maus, die in ein Zimmer mit Katzen eingesperrt wird.“

„Umso mutiger ist das, was du tust. Weißt du, ich finde es großartig, wie sehr du dich für die Manufaktur einsetzt. Minardi war immer einer der wichtigsten Arbeitgeber in unserer Region, und vielen Familien hier ginge es schlechter, wenn die Werkstore für immer schließen sollten.“

„Ich weiß.“ Stella fühlte mit einem Mal die volle Wucht der Verantwortung, die auf ihren Schultern lag. „Salvatore war das auch sehr bewusst. Darum hat er mir ja auch den Betrieb hinterlassen, obwohl es sicher bitter für ihn war, seinen Sohn enterben zu müssen.“

„Das war das Klügste, was der Alte jemals getan hat. Massimo Minardi ist derart ichbezogen und rücksichtslos, dass wir alle hier nichts zu lachen hätten, wenn der Betrieb doch noch an ihn ginge.“

Stella zog die Augenbrauen zusammen. „Kennst du ihn von früher?“

„Nie habe ich einen aufgeblaseneren, von sich überzeugteren Teenager gesehen“, entgegnete Chiara kopfschüttelnd und fing an, die abgeschnittenen Haare aufzufegen. „Mit sechzehn ist der schon mit einem Cabrio durch die Stadt gebrettert, und das in einem Tempo, vor dem man sich nur in Sicherheit bringen konnte. Wo auch immer er hinkam, war sein Benehmen laut, rüpelhaft und unhöflich. Einmal ist er vor mir in eine Trattoria gegangen, in die ich mit meinem Kinderwagen hineinwollte. Glaubst du, er hätte mir die Tür aufgehalten oder sonst irgendwie geholfen? Niente! Gelacht hat er, als ich mit den Rädern an den Treppenstufen hängengeblieben bin. Und sich dann seelenruhig mit seinem Espresso hingesetzt, während ich den Wagen allein in den Laden wuchten musste. Der Typ ist wirklich schmerzfrei.“

„Aber deine Mutter sagt, in seiner Kindheit sei er ganz anders gewesen …“

„Was man bei den Minardis so Kindheit nennt …“ Chiara stützte sich auf den Besen. „Dein Salvatore hatte sehr hohe Erwartungen an seinen Sohn. Von klein auf wollte er Massimo darauf vorbereiten, die Manufaktur zu übernehmen, und schleppte ihn schon als Achtjährigen im Sonntagsanzug zu irgendwelchen Besprechungen und Geschäftsterminen. Während wir nach der Kirche auf dem Hof miteinander gespielt haben, wurde der kleine Kronprinz in der Dienstlimousine sofort zum Flughafen chauffiert, weil er seinen Vater zu irgendeiner Schuhmesse begleiten sollte. Ich werde nie vergessen, wie traurig Massimo seine Nase gegen das Autofenster gedrückt und uns zugesehen hat. Das hat mir richtig leidgetan.“

„Und was war mit seiner Mutter?“, wollte Stella wissen. „Konnte sie nicht eingreifen?“

„Die hatte ihre eigenen Probleme. Salvatore Minardi war in jungen Jahren nämlich ein notorischer Fremdgänger, kein Rock in Florenz war vor ihm sicher. Hast du das nicht gewusst?“

Stella schüttelte den Kopf. „Zu mir war er nie so. Aber als ich ihn kennenlernte, war er ja auch schon achtzig und bereits sehr krank.“

„Das muss ja nichts heißen.“ Chiara warf ihr einen eindringlichen Blick zu und senkte die Stimme. „War da wirklich nichts zwischen euch? Nicht mal in der Hochzeitsnacht?“

„Nein, es war alles rein geschäftlich. Für Salvatore bestand der einzige Grund für diese Ehe darin, Massimo auf den Pflichtteil setzen zu können und ihm damit den Zugriff auf die Manufaktur zu erschweren. Etwas anderes hat er nicht von mir verlangt.“ Stella errötete. „Ich meine, so bin ich auch nicht, weißt du? Das hätte ich nie mitgemacht. Ich fand es ziemlich grenzwertig, dass Salvatore seinen einzigen Sohn beim Erbe ausbooten wollte.“

„Warum hast du es dann schließlich doch getan?“

„Wegen der Manufaktur“, sagte Stella sofort. „Sie ist alles, was ich habe, alles, wofür ich lebe.“ Ihre Stimme kippte, und sie wusste selbst nicht, warum sie plötzlich Tränen in den Augen hatte. Vielleicht, weil die Ankunft in Florenz damals wie ein Befreiungsschlag für sie gewesen war, und sie es endlich geschafft hatte, sich ihren langjährigen Traum zu erfüllen. Das Leben in Italien war vom ersten Tag genauso leicht und unbeschwert gewesen, wie sie es sich immer vorgestellt hatte, und all das Dunkle und Belastende ihrer Kindheit lag schon bald hinter ihr.

Niemals zuvor war Stella so herzlich in eine Gemeinschaft aufgenommen worden wie damals von ihren Kollegen in der Manufaktur. Die gemeinsamen Mittagspausen, die sie an den großen Tischen in der Werkskantine verbrachten, verliefen genauso, wie sie sich die Mahlzeiten in richtigen Familien immer vorgestellt hatte – mit gutem Essen, offenen Gesprächen und viel Gelächter. Bei Minardi interessierte man sich füreinander, man achtete sich und lebte für das Handwerk, das man ausübte. Stella hatte sich schon bald als vollwertiger Teil der Belegschaft gefühlt. Selbst ihre Schüchternheit und die Sprachschwierigkeiten, die ihr anfangs noch zu schaffen gemacht hatten, legten sich in kürzester Zeit. Da sie weder für ihren Akzent, noch für grammatikalische Patzer ausgelacht wurde, redete sie unbekümmert mit den Kollegen und lernte jeden Tag etwas dazu.

„Schuhe sind wirklich dein Ding, oder?“, fragte Chiara in ihre Gedanken hinein.

Stella nickte, wischte sich vorsichtig eine Träne aus dem Auge und hoffte, damit nicht ihr aufwendiges Make-up zu verschmieren. „Als ich klein war, hatte ich nie richtige. Also keine, die wirklich gepasst hätten.“

„Was? Warum denn nicht?“

„Lange Geschichte. Wir hatten einfach nicht so viel Geld, und ich musste immer gebrauchte Schuhe tragen. Und da habe ich mir schon als Kind überlegt, wie toll es wäre, sich einfach selber Schuhe basteln zu können.“ Sie zuckte mit den Achseln und versuchte ein kleines Lächeln. „Ich schätze, deshalb habe ich letzten Endes diesen Beruf ergriffen.“

Chiara sah sie lange an. „Entschuldige bitte, dass ich vorhin so taktlos war. Wegen deiner Hochzeitsnacht mit Salvatore, meine ich. Du bist wirklich nicht der Typ, der sich einen alten Mann wegen seines Geldes angelt, und das wollte ich dir auch gar nicht unterstellen.“

„Schon in Ordnung. So habe ich das gar nicht aufgefasst.“

„Weißt du, was die Leute in der Stadt sich über dich erzählen? Der alte Minardi habe dich vor allem deshalb geheiratet, weil du ihn an seine Frau erinnert hast.“

„Was? Davon höre ich zum ersten Mal.“

Chiara winkte ab. „Rein optisch ist es ehrlich gesagt ziemlicher Quatsch, denn es besteht gar keine Ähnlichkeit zwischen euch. Sie war ein sehr dunkler Typ, hochgewachsen und überhaupt nicht so zierlich wie du. Aber trotzdem eine sehr attraktive Frau, Massimo hat viel von ihr.“

„Und wie kommen die Leute dann auf die Idee, dass ich Salvatore an sie erinnert haben könnte?“

„Weil sie eine Seele von Mensch gewesen sein muss, genau wie du. Sie war sehr fleißig und pflichtbewusst, immer für andere da – für ihre Familie auf dem Weingut genauso wie für die Mitarbeiter in der Manufaktur. Deshalb hat es ihr ja so zu schaffen gemacht, wenn Salvatore zu Hause ausgerastet ist.“

„War … war er etwa gewalttätig zu ihr?“, fragte Stella entsetzt.

„Nicht im körperlichen Sinne, aber seelisch müssen sie seine Affären unglaublich verletzt haben. Meine Mutter erzählte uns einmal ziemlich aufgebracht, dass Francesca Minardi sich in eine psychiatrische Klinik hat einweisen lassen. Ich verstand damals nicht, was das überhaupt ist, denn ich war ja selbst noch ein Kind. Mir war nur aufgefallen, dass Francesca wochenlang weg war und dass Massimo in dieser Zeit noch unglücklicher wirkte als vorher schon.“

Stella schluckte. Was es bedeutete, auf die Mutter verzichten zu müssen, wusste sie aus eigener, schmerzlicher Erfahrung. Sie hatte zwar nicht viele Erinnerungen an sie, und ganz sicher war Katie Reynolds nicht der Inbegriff einer Vorzeigemutter gewesen. Doch es hatte innige Momente gegeben, wenn sie mit Stella auf dem Arm durchs Zimmer getanzt war, ihr das Haar gebürstet und ihr einen Kuss in den Nacken gegeben hatte. Das alles waren nur Schlaglichter, von denen Stella nicht sagen konnte, ob sie tatsächlich so stattgefunden hatten oder ob sie ihrer kindlichen Fantasie entsprungen waren. Und doch hatte sie sich später immer daran festgehalten, wenn Pflegeeltern sie wieder einmal vernachlässigten – und niemals aufgehört, ihre Mutter zu vermissen.

Zu Salvatore Minardi hatte sie immer respektvoll aufgeschaut, ihn für seine Lebensleistung und seine Hingabe an die Manufaktur bewundert, obwohl sie das angespannte Verhältnis zwischen ihm und seinem Sohn nie richtig verstanden hatte. Jetzt aber war sie gezwungen, ihn in deutlich kritischerem Licht zu sehen.

„Francesca hat irgendwann angefangen, Tabletten zu schlucken“, fuhr Chiara fort. „Irgendwann hat sie das Ganze dann wohl nicht mehr ausgehalten. Sie nahm sich das Leben, als Massimo etwa zwölf Jahre alt war.“

„Mein Gott. Das muss furchtbar für ihn gewesen sein.“

„Ja“, stimmte Chiara zu. „Man muss fairerweise sagen, dass er es mit seinem strengen Vater und der labilen Mutter ziemlich schwer hatte – trotz des Reichtums, in dem er aufgewachsen ist. Andererseits gibt es noch genug andere Leute mit einer schweren Kindheit, die sich später trotzdem nicht so aufführen wie er …“

Stella musste innerlich zustimmen. Es tat ihr aufrichtig leid, dass Massimo zu Hause Lieblosigkeit erlebt und seine Mutter so früh verloren hatte. Doch weder diese belastenden Erfahrungen noch der spätere Dauerkonflikt mit seinem Vater gaben ihm das Recht, andere so herablassend zu behandeln, wie er es tat. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit hielt sie es jedoch für ratsam, das Thema nicht weiter zu vertiefen. „Ich fürchte, ich muss jetzt los“, sagte sie mit Blick auf ihre Armbanduhr. „Danke noch mal für alles, Chiara.“

„Immer wieder gerne. Lass mich wissen, wie es gelaufen ist.“

„Das mache ich. Versprochen!“

Nach einer herzlichen Umarmung verließ Stella den Salon. Sie war gut in der Zeit und hatte es zum Glück auch nicht weit, denn das Bankhaus Canari lag nur eine Straßenecke entfernt. Dennoch beeilte sie sich, denn sie wollte auf jeden Fall pünktlich sein. Für einen noch relativ frühen Spätsommermorgen Anfang September war es bereits sehr heiß, und die Sonne ließ die Dächer der alten Patrizierhäuser rechts und links der Straße rostrot aufleuchten. Die ersten Touristen strömten schon zum Domplatz, um ihre Besichtigungstour an der Kathedrale Santa Maria del Fiore zu beginnen.

Stella musste im Vorbeigehen lächeln und empfand es in diesem Augenblick einmal mehr als Privileg, dort leben zu dürfen, wo andere Urlaub machten. All die Prachtbauten und Denkmäler, die Brunnen und Skulpturen, die kleinen Gassen und die weitläufigen Plätze von Florenz gehörten Tag für Tag aufs Neue ihr. Zwar konnte sie sich weder die Restaurants noch die überteuerten Geschäfte hier leisten, doch das machte nichts. Sie schaute einfach zu, genoss das bunte Treiben und ab und zu ein Eis in der Sonne. Nach Feierabend schlenderte sie manchmal zum Arno, setzte sich dort ans Ufer und verspeiste eine Focaccia, die sie immer in der Bäckerei in ihrer Nachbarschaft kaufte. Wenn die Lichter der Stadt dann auf dem Wasser tanzten und sie zu ihrer winzigen Wohnung im San-Lorenzo-Viertel zurückkehrte, fühlte sie sich jedes Mal reich beschenkt – einfach nur, weil sie ein kleines bisschen teilhaben durfte an der überwältigenden Schönheit dieser Stadt.

Gut fünfzehn Minuten vor dem vereinbarten Termin betrat Stella das Bankgebäude und meldete sich am Empfang. Der interessierte Blick, den der junge Pförtner ihr zuwarf, verunsicherte sie sofort, denn sie war es nicht gewohnt, von Männern angestarrt zu werden. Andererseits schien Chiaras Verschönerungsaktion ihren Zweck zu erfüllen, und das wiederum erfüllte sie mit neuem Selbstbewusstsein. Mit ihrer Aktentasche unter dem Arm und dem bunt bedruckten Stoffbeutel in der Hand, in dem sie die beiden Schuhkartons verstaut hatte, ging sie zielstrebig zum Fahrstuhl. Als sie jedoch bemerkte, wer bereits davor wartete, verlangsamte sie ihre Schritte. Massimo Minardi stand dort in Begleitung eines attraktiven Mannes mit auffällig nach hinten gegeltem Haar. Auch das noch.

Unschlüssig, was sie tun sollte, blieb Stella stehen und atmete tief durch. Da beide Männer über die Displays ihrer Handys gebeugt waren, hatte sie ein paar Augenblicke Zeit, ihre Kontrahenten zu beobachten. Beide mussten im selben Alter sein und schienen einen ähnlichen Geschmack zu haben, was die Business-Kleidung betraf. Sie trugen Maßanzüge aus feinsten Stoffen, blaue Hemden mit blütenweißen Kragen, Krawatten in dezenten Rottönen und rahmengenähte Lederschuhe. Wie sie so dastanden – durchtrainiert, breitbeinig und vollkommen entspannt – strahlten sie eine Selbstsicherheit aus, die einschüchternd wirkte. Doch davon durfte sie sich nicht beeindrucken lassen.

In genau diesem Moment traf der Fahrstuhl ein. Stella gab sich einen Ruck und ging zielstrebig an den Männern vorbei, betrat den Lift und drückte auf den Knopf für das dritte Stockwerk. „Guten Morgen“, sagte sie zu den beiden, die sie völlig perplex anstarrten, ohne sich vom Fleck zu rühren. „Wir sehen uns oben.“ Dann verschlossen sich die Türen des Aufzugs mit einer gleitenden Bewegung, und Stella entschwand ihren Blicken.

4. KAPITEL

Überrascht drehte sich Lorenzo Tomassini zu seinem Mandanten um. „War sie das etwa?“

Massimo nickte stumm.

„Sagtest du nicht was von einer grauen Maus mit Brille?“

„Als ich sie zuletzt gesehen habe, war sie das auch.“ Kopfschüttelnd steckte Massimo das Handy in seine Jacketttasche. „Aber das jetzt eben …“

„… war ein ziemlicher Feger“, vollendete Lorenzo den Satz. „Ganz schön frech, einfach so mit dem Fahrstuhl abzuhauen. Hat sie vielleicht noch andere Tricks auf Lager, von denen ich als dein Anwalt wissen sollte?“

„Bin ich Hellseher?“

„Ich meine ja nur. Du hast gesagt, die Übernahme der Manifattura Minardi sei reine Formsache.“

„Und?“

„Und jetzt läuft schon in den ersten fünf Minuten alles anders, als wir es erwartet hatten.“

Massimo unterdrückte ein Stöhnen. Er kannte Lorenzo bereits seit Schulzeiten, und schon damals hatte dieser die etwas nervige Eigenschaft besessen, ständig alles infrage zu stellen. Da ihm das letzten Endes aber zu einer überaus erfolgreichen Karriere als Anwalt verholfen hatte, arbeitete Massimo seit Jahren mit ihm zusammen. Freunde waren sie nicht, denn dazu waren sie zu verschieden. Doch er schätzte ihn aufgrund seiner fachlichen Kompetenz.

Lorenzo Tomassini galt in der Branche als Kampfhund, gnadenlos, bissig und hinterhältig, wenn es darum ging, vor Gericht zu gewinnen. Seine Methoden gingen mitunter weit über das hinaus, was Massimo noch für vertretbar hielt, und die beiden waren deswegen schon häufiger in Streit geraten. Jetzt aber galt es, die Manufaktur und das Weingut in den Besitz der Familie zurückzuholen, und da waren Skrupel fehl am Platz. Er brauchte einen rücksichtslosen Strategen wie Lorenzo, um sein Ziel zu erreichen. Davon war Massimo überzeugt. „Reg dich ab“, sagte er schließlich. „Die Schuhfabrik ist vollkommen überschuldet, und ich glaube nicht, dass Simonetta sich auf einen weiteren Kredit einlassen wird.“

„Glaubst du das, oder weißt du es?“, bohrte Lorenzo nach.

Der Fahrstuhl kam wieder im Erdgeschoss an und beide Männer stiegen nacheinander ein. „Es wäre völliger Wahnsinn, auch nur einen zusätzlichen Cent in diesen Laden zu investieren“, antwortete Massimo, sobald sie auf dem Weg nach oben waren. „Die Manufaktur muss liquidiert werden, und ich bin der Richtige, um genau das zu tun.“

„Und wenn die Fahrstuhl-Maus doch noch ein paar überzeugende Argumente in der Hinterhand hat?“

Massimo schnaubte verächtlich. „Was denn? Ihre sagenumwobene Herbstkollektion vielleicht?“

„Zum Beispiel.“

„Vergiss es.“

„Aber der Name Minardi ist schon eine Größe, was Damenschuhe angeht“, widersprach Lorenzo. „Meine Mutter schwört darauf und trägt immer noch ein Paar, das sie sich in den achtziger Jahren mal geleistet hat.“

„Genau das ist der Fehler.“ Der Lift erreichte den dritten Stock, und Massimo trat als Erster in den Flur hinaus. „Wie soll man Umsatz machen, wenn man Produkte herstellt, die ein Leben lang halten?“

Lorenzo folgte ihm mit gerunzelter Stirn. „Bemängelst du jetzt allen Ernstes, dass die Schuhe eine zu gute Qualität haben?“

„Ich bemängele, dass die Herstellungskosten zu hoch sind. Es dauert zu lange und bindet viel zu viel Arbeitskraft, um auch nur einen einzigen Minardi-Schuh zu nähen, gar nicht zu reden von den horrenden Materialkosten. Mein Vater hat sich diesen Luxus jahrzehntelang geleistet, weil er dem Irrglauben anhing, dass Qualität sich durchsetzt. Und dann ging zuerst der Umsatz zurück und schließlich der Gewinn. Das Einzige, was am Schluss gestiegen ist, waren die Schulden.“

Sie kamen vor den Büroräumen der Bankdirektorin an und klopften an die Tür des Vorzimmers. Eine bereits ergraute Sekretärin nahm sie in Empfang und geleitete sie sogleich in das Besprechungszimmer.

„Ah, da seid ihr ja endlich!“ Mit wiegenden Hüften kam Simonetta Canari um den Konferenztisch herumgelaufen und breitete die Arme aus. Sie war eine dralle Mittdreißigerin, die ihr von Natur aus dunkles Haar weizenblond gefärbt hatte und offen trug. Ihr Designer-Kostüm saß ein bisschen zu eng um die Taille, wirkte aber dennoch klassisch und elegant. Dazu hatte sie Stilettos mit zehn Zentimeter hohen Absätzen gewählt, die ihre gebräunten Beine optisch länger wirken ließen, aber alles andere als bequem aussahen. Jeder Schritt musste ihr höllisch wehtun, doch sie ließ sich nichts anmerken und strahlte über das ganze Gesicht. „Massimo! Lorenzo! Wie schön, dass ihr kommen konntet!“

„Danke, dass du dir Zeit für uns nimmst.“ Massimo beugte sich herunter, um sie mit Küsschen auf beiden Wangen zu begrüßen. Dann schaute er zu Stella hinüber, die etwas verloren neben dem Konferenztisch stand und offenbar nicht wusste, was sie mit ihren Händen anfangen sollte. Sein erster Eindruck hatte ihn also nicht getrogen: einmal Schulmädchen, immer Schulmädchen. Daran konnte auch ihr wirklich bemerkenswertes Outfit nichts ändern. Ganz egal, wie gut es ihr stand.

„Was trinkt ihr? Kaffee? Orangensaft? Oder lieber ein Wasser?“ Simonetta hatte sich aus Lorenzos Armen gelöst und ging zu dem Beistelltisch hinüber, auf dem die Getränke standen.

„Für mich einen Kaffee, bitte“, sagte Massimo. „Und so, wie ich Lorenzo kenne, nimmt er bestimmt dasselbe.“

Der Anwalt nickte.