Sabbaths Theater - Philip Roth - E-Book

Sabbaths Theater E-Book

Philip Roth

3,8

Beschreibung

Mickey Sabbath, traurig-komischer Held des Romans von Philip Roth, ist am Ende. Einst hat er als Puppenspieler die Zuschauer am Broadway entzückt, nun sind seine Finger steif und arthritisch verkrümmt. Der Artist will sterben. In einem grellen Bilderbogen zieht sein Leben noch einmal an ihm vorbei, eine Abfolge von erotischen Niederlagen und vermeintlichen Triumphen, die seine überreizte Phantasie in allen Details ausmalt. »Philip Roth triumphiert noch einmal mit einem großen Roman: fürchterlich, unverfroren und unwiderstehlich.« DER SPIEGEL

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Sammlungen



Hanser E-Book

Philip Roth

Sabbaths Theater

Aus dem Amerikanischenvon Werner Schmitz

Carl Hanser Verlag

Titel der Originalausgabe:

Sabbath’s Theater

Houghton Mifflin Co, Boston

© Philip Roth 1995

ISBN 978-3-446-25138-0

Alle Rechte der deutschen Ausgabe:

© Carl Hanser Verlag München Wien 1996/2015

Umschlag: © Peter-Andreas Hassiepen

Satz: Fotosatz Reinhard Amann, Aichstetten

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele andere Informationen finden Sie unter www.hanser-literaturverlage.de

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Datenkonvertierung E-Book: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Für zwei Freunde

Janet Hobhouse1948–1991

Melvin Tumin1919–1994

PROSPERO:

Mein dritter Gedanke soll das Grab sein.

Der Sturm, 5. Akt, 1. Szene

1Nichts hält, was es verspricht

Schwöre, daß du keine anderen mehr fickst, oder es ist Schluß.So lautete das Ultimatum, das zum Verrücktwerden unwahrscheinliche, völlig unerwartete Ultimatum, das unter Tränen die zweiundfünfzigjährige Geliebte ihrem vierundsechzigjährigen Liebhaber am Jahrestag einer Beziehung stellte, die mit erstaunlicher Freizügigkeit dreizehn Jahre lang gedauert hatte und – nicht minder erstaunlich – ebenso lange ihr Geheimnis geblieben war. Aber jetzt, da die Hormonstöße nachließen und die Prostata größer wurde, da er sich wahrscheinlich nur mehr wenige Jahre noch halbwegs auf seine Potenz verlassen konnte – und ihm womöglich gar nicht mehr so viel Zeit zum Leben blieb –, nun, wo das Ende von allem nahte, wurde ihm, unter Androhung, sie zu verlieren, auferlegt, sich vollkommen umzustülpen.

Sie, das war Drenka Balich, die allseits beliebte Geschäfts- und Ehepartnerin des Gastwirts, geschätzt wegen der Aufmerksamkeit, mit der sie alle ihre Gäste überhäufte, wegen der warmherzigen, mütterlichen Güte, die sie nicht nur einkehrenden Kindern und alten Leuten, sondern auch den Mädchen angedeihen ließ, die die Zimmer saubermachten und die Mahlzeiten servierten, und er, das war der vergessene Puppenspieler Mickey Sabbath, ein kleiner, stark untersetzter, weißbärtiger Mann mit beunruhigend grünen Augen und schmerzenden arthritischen Fingern, ein Mann, der, hätte er gut dreißig Jahre früher, bevor die Sesamstraße anlief, ja gesagt, als Jim Henson ihn an der Upper East Side zum Lunch eingeladen und gebeten hatte, sich seiner Clique von vier oder fünf Leuten anzuschließen, all diese Jahre hindurch in dem großen Vogel Bibo hätte stecken können. Anstelle von Carroll Spinney hätte dann Sabbath in Bibo gesteckt, Sabbath, der auf dem Walk of Fame in Hollywood einen Stern hatte, Sabbath, der mit Bob Hope in China gewesen war – woran ihn jedenfalls seine Frau Roseanna damals gern erinnerte, als sie noch zwei unwiderlegbare Gründe hatte, sich zu Tode zu trinken: das, was geschehen war, und das, was nicht. Da Sabbath jedoch in Bibo kein bißchen glücklicher gewesen wäre, als er es in Roseanna war, machten ihm diese Vorhaltungen nicht viel aus. 1989, als Sabbath wegen schwerer sexueller Belästigung eines Mädchens, das vierzig Jahre jünger war als er, sein öffentliches Ansehen ruiniert hatte, mußte Roseanna infolge des durch den demütigenden Skandal herbeigeführten alkoholischen Zusammenbruchs einen Monat in einer psychiatrischen Anstalt verbringen.

»Ein monogames Männchen reicht dir wohl nicht?« fragte er Drenka. »Die Monogamie mit ihm gefällt dir so gut, daß du sie auch mit mir haben willst? Siehst du denn keinen Zusammenhang zwischen der beneidenswerten Treue deines Mannes und der Tatsache, daß du ihn körperlich abstoßend findest?« Schwülstig fuhr er fort: »Wir, die wir nie aufhören, uns gegenseitig zu erregen, haben uns nicht mit Gelöbnissen belastet, Treueschwüren und Einschränkungen, während die Fickerei mit ihm selbst in den zwei Minuten pro Monat ekelhaft ist, wo er dich über den Eßtisch beugt und es dir von hinten macht. Und wie kommt das? Matija ist doch groß und stark und männlich und hat einen schwarzen Schopf wie ein Stachelschwein. Haare wie Stacheln. Jede alte Schachtel in der Gegend ist verliebt in ihn, und das liegt nicht nur an seinem slawischen Charme. Sein Äußeres macht sie scharf. Eure kleinen Kellnerinnen sind alle ganz verrückt nach der Spalte in seinem Kinn. Ich habe ihn hinten in der Küche beobachtet, im August, bei achtunddreißig Grad, wenn draußen zehn auf einen Tisch warteten. Ich habe gesehen, wie er da schuftete, wie er in seinem klitschnassen T-Shirt reihenweise Kebabs gebraten hat. Wenn er so von Fett glänzt, macht er sogar mich scharf. Nur seine Frau findet ihn abstoßend. Warum? Weil er so demonstrativ monogam ist, deshalb.«

Drenka schleppte sich traurig neben ihm den steilen bewaldeten Hang hinauf zu der Stelle, wo ihr Badebach aus dem Boden sprudelte, klares Wasser, das über eine Treppe aus Granitblöcken, die in unregelmäßigen Kurven zwischen silbriggrünen, windschief über die Ufer hängenden Birken hinabführte, nach unten plätscherte. Während der ersten Monate ihrer Affäre, als sie einmal auf der Suche nach genau einem solchen Liebesnest allein losgewandert war, hatte sie in einer Gruppe uralter Tannen unweit des Bachs drei Felsen entdeckt – sie hatten Größe und Farbe von kleinen Elefanten und markierten eine dreieckige Lichtung, die den beiden als Zuhause dienen sollte. Schlamm, Schnee und betrunkene Jäger, die oben im Wald herumschossen, machten den Kamm des Hügels zu allen Jahreszeiten wenig anziehend, aber von Mai bis Anfang Oktober zogen sie sich, falls es nicht gerade regnete, hierhin zurück, um ihr Leben zu erneuern. Vor Jahren einmal war aus dem Nichts ein Hubschrauber aufgetaucht und hatte für einen Augenblick dreißig Meter über ihnen geschwebt, als sie dort nackt auf ihrer Plane lagen, ansonsten aber hatte keines Menschen Gegenwart jemals ihr heimliches Lager bedroht, dabei lag die Grotte, wie sie ihr Versteck getauft hatten, nur fünfzehn Minuten zu Fuß von der einzigen befestigten Straße entfernt, die das Tal mit Madamaska Falls verband.

Drenka war eine dunkle, italienisch wirkende Kroatin von der dalmatinischen Küste, klein gewachsen wie Sabbath, eine füllige, stabil gebaute Frau, reizvoll auf der Kippe zum schieren Übergewicht, erinnerte ihre Gestalt, wenn sie besonders dick war, an jene Tonfiguren von circa 2000 v. Chr., dicke Püppchen mit großen Brüsten und breiten Hüften, die in ganz Europa bis nach Kleinasien ausgegraben und unter einem Dutzend verschiedener Namen als die große Mutter der Götter verehrt worden waren. Sie war hübsch auf eine recht wirksame, sachliche Art, bis auf ihre Nase, eine merkwürdig rückenlose Preisboxernase, die mitten in ihrem Gesicht für eine gewisse unscharfe Stelle sorgte, eine Nase, die nicht ganz senkrecht zu den vollen Lippen und den großen dunklen Augen stand und, wie Sabbath schließlich meinte, verräterisch all das symbolisierte, was an ihrem scheinbar so gut entwickelten Wesen verformbar und unbestimmt war. Sie sah aus, als sei sie einmal schwer mißhandelt worden, in frühester Kindheit von einem harten Schlag getroffen worden, tatsächlich aber war sie die Tochter freundlicher Eltern, die beide an Hauptschulen unterrichteten und sich mit frommem Eifer für die tyrannischen Platitüden der kommunistischen Partei Titos engagierten. Als ihr einziges Kind war sie von diesen netten, langweiligen Leuten mit Liebe überschüttet worden.

Drenka hatte den Schlag für die Familie selbst herbeigeführt. Mit zweiundzwanzig, als Hilfsbuchhalterin bei der nationalen Eisenbahn, heiratete sie Matija Balic, einen gutaussehenden, aufstrebenden jungen Kellner, den sie während ihres Urlaubs in einem Hotel, das genossenschaftlich den Eisenbahnarbeitern gehörte, auf der vor Split gelegenen Insel Brac kennengelernt hatte. Die beiden machten ihre Hochzeitsreise nach Triest und kehrten nicht mehr nach Hause zurück. Sie liefen nicht nur davon, um im Westen reich zu werden, sondern auch, weil Matijas Großvater 1948 ins Gefängnis mußte, als Tito mit der Sowjetunion brach und der Großvater, ein örtlicher Parteibürokrat und Kommunist seit 1923, der für das große Mütterchen Rußland schwärmte, es gewagt hatte, offen über diese Sache zu sprechen. »Meine beiden Eltern«, hatte Drenka Sabbath erklärt, »waren überzeugte Kommunisten und liebten den Genossen Tito, der immerzu lächelt wie ein lächelndes Monster, und so lernte ich ziemlich früh, Tito mehr zu lieben als jedes andere Kind in Jugoslawien. Wir waren alle bei den Pionieren, kleine Jungen und Mädchen, die mit roten Schals auf die Straße gingen und sangen. Wir sangen Lieder über Tito, in denen er als Blume, als lila Blume beschrieben wird, und wie sehr die ganze Jugend ihn liebt. Aber bei Matija war es anders. Er war ein kleiner Junge, der seinen Großvater liebte. Und jemand hat seinen Großvater verpetzt – sagt man das so? Denunziert. Er wurde denunziert. Als Feind des Regimes. Und die Feinde des Regimes wurden alle in dieses schreckliche Gefängnis gesteckt. Am schrecklichsten war es, wenn sie wie Vieh in die Schiffe geworfen wurden. Mit Schiffen vom Festland auf die Insel verfrachtet wurden. Wer überlebt, überlebt, und wer nicht, nicht. Das einzige, was es dort gab, waren Steine. Und sie mußten immer nur Steine bearbeiten, Steine klopfen, ohne Sinn und Verstand. Viele Familien hatten einen, der auf diese Goli Otok mußte, das heißt Nackte Insel. Die Leute denunzieren andere aus irgendwelchen Gründen – um befördert zu werden, aus Haß, aus was weiß ich. Immerzu lag die mächtige Drohung in der Luft, daß man anständig zu sein habe, und anständig sein heißt: das Regime unterstützen. Sie bekamen auf dieser Insel nichts zu essen, sie bekamen nicht einmal Wasser. Eine Insel vor der Küste, etwas nördlich von Split – von der Küste kann man die Insel in der Ferne sehen. Sein Großvater zog sich dort eine Hepatitis zu und starb, kurz bevor Matija mit der Hauptschule fertig war. Starb an Leberzirrhose. Hat jahrelang gelitten. Die Gefangenen schickten Karten nach Hause, und auf den Karten mußten sie behaupten, daß sie sich gebessert hätten. Seine Mutter erzählte Matija, ihr Vater sei kein guter Mensch, er höre nicht auf den Genossen Tito, und deshalb sei er im Gefängnis. Matija war neun. Sie wußte genau, was sie sagte, wenn sie ihm so etwas erzählte. Damit er in der Schule nicht provoziert würde, etwas anderes zu sagen. Sein Großvater versprach gut zu sein und Tito zu lieben, und so wurde er nach zehn Monaten aus dem Gefängnis freigelassen. Aber da hatte er die Hepatitis schon. Als er heimkam, machte Matijas Mutter ein großes Fest. Er wog vierzig Kilo, als er heimkam. Achtzig Pfund. Und er war, wie Maté, ein großer Mann. Körperlich völlig vernichtet. Einer hatte ihn verpetzt, und das war’s. Und deshalb wollte Matija nach unserer Hochzeit weglaufen.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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