Sammelband der gefühlvollen New Adult Romance-Serie (Crushed-Trust-Reihe) - Lana Rotaru - E-Book
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Sammelband der gefühlvollen New Adult Romance-Serie (Crushed-Trust-Reihe) E-Book

Lana Rotaru

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Beschreibung

»Love it!« »Einfach genial.« »Emotionsgeladen und Spannung pur!« (Leserstimmen zur Reihe) Amanda ist sich sicher: Ihr Bruder Andrew starb nicht bei einem Unfall. Auf der Suche nach Beweisen versucht sie in den Kreis der Studentenverbindung ihres Bruders zu gelangen. Dabei deckt sie Geheimnisse auf, die andere lieber versteckt wissen wollen, und kommt dem attraktiven Frauenheld Dante gefährlich nahe. Während er ihr in der einen Sekunde Halt gibt, droht er sie in der nächsten wieder fallenzulassen. Nun muss sie entscheiden, ob sie auf ihr Herz vertraut oder ihren Verstand ...  Textausschnitt: »Na, wenn das nicht die kleine Amy ist.« Dantes tiefe Baritonstimme ertönte nur wenige Meter neben mir. Bestimmt stand er an dem hüfthohen weißen Lattenzaun, den meine Eltern als Dekoration angebracht hatten. Ich konzentrierte mich auf meine Atmung und meinen rasenden Puls, denn ich war mir sicher, dass man meinen pochenden Herzschlag in ganz Mississippi hören konnte. Dantes überraschendes Auftauchen warf mich völlig aus der Bahn. Ich hatte nicht im Traum damit gerechnet, dass er jemals zurückkehren würde. »Dieses Buch hat absolut fünf Sterne verdient, und wenn es mehr zu vergeben gäbe, dann würde ich noch fünf weitere geben.« (Leserstimme) //Dies ist der Sammelband zur gefühlvollen New Adult Romance von Lana Rotaru. Er enthält alle vier Bände der »Crushed Trust«-Reihe bei Impress: -- Kiss Me Never (Band 1) -- Hold Me Tonight (Band 2) -- Save Me Now (Band 3) -- Love Me Forever (Band 4) Die »Crushed Trust«-Reihe ist eine überarbeitete Neuauflage von Lana Rotarus Reihe »Never and Forever«. Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Seitenzahl: 1531

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Impress Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2020 Text © Lana Rotaru, 2020 Lektorat: Diana Steigerwald Coverbild: shutterstock.com / © dekazigzag Covergestaltung: Giessel Design Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck / Derya Yildirim Satz und E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund ISBN 978-3-646-60621-8www.carlsen.de

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Kiss Me Never (Crushed-Trust-Reihe 1)

**Niemals gehört dir mein Herz**Andrew King starb vor sechs Monaten bei einer Fahrt mit seinem Motorrad. Alle glauben an einen Unfall. Nur seine Schwester Amanda ist sich sicher: Es war Mord. Und ganz oben auf ihrer Liste der Verdächtigen steht der selbstverliebte und arrogante Frauenheld Dante. Auf der Suche nach Beweisen versucht sie in den Kreis der Zetas zu gelangen, der Studentenverbindung ihres Bruders. Doch dabei kommt sie dem attraktiven Dante gefährlich nahe …

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Vita

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Lana Rotaru lebt zur Zeit mit ihrem Ehemann in Aachen. Der Lesewahnsinn begann bei ihr bereits in früher Jugend, die sie Stunde um Stunde in einer öffentlichen Leihbibliothek verbrachte. Nun füllen Hunderte von Büchern und E-Books ihre Wohnzimmer- und E-Reader-Regale und ein Ende ist nicht in Sicht. Eine Lesepause legt sie nur ein, wenn sie gerade selbst an einem neuen Roman schreibt.

Für jeden, der bereits einen geliebten Menschen, aber nicht den Glauben an die Hoffnung und das Vertrauen in die Liebe verloren hat.

Kapitel 1

»Es tut uns wirklich sehr leid, Madam, aber als wir den Unfallort erreichten, konnten wir nichts mehr für Ihren Sohn tun. Der Sturz mit dem Motorrad …« Der Größere der beiden Polizisten, dessen fettes Doppelkinn auffallend war, senkte betroffen den Kopf, was seinen Hals nur noch dicker erscheinen ließ. »Andrew war bereits tot, als wir ankamen.« Auch sein kleinerer und wesentlich schmächtigerer Kollege blickte verlegen zur Seite, anstatt uns anzusehen.

Ich stand neben Mom im Hausflur und zupfte an meinen weißen Baumwollshorts, in denen ich immer schlief. Einen kurzen Augenblick lang fragte ich mich, wieso ich noch meine Schlafsachen trug, obwohl wir längst beim Frühstück gesessen hatten. Meine Eltern hassten es, wenn wir nicht richtig angezogen zu Tisch kamen. Und noch mehr hassten sie es, wenn wir beim Essen gestört wurden. Wie in diesem Moment.

Ich sah die beiden Polizisten mit schräg gelegtem Kopf an. Anstatt über die Worte nachzudenken, die meine Welt ins Chaos stürzte, wunderte ich mich über die Art, mit der wir informiert wurden. Man sollte meinen, dass die hiesigen Polizisten mit einer solchen Situation umgehen konnten. Wurden sie nicht für diese Gespräche geschult? Doch als Mom zu zittern begann und kurz darauf mit einem markerschütternden Schrei an Dads Brust zusammenbrach, blieben sie stumm und schauten betreten zu Boden. Selbst mich blickten sie nicht an, obwohl jeder in unserer Kleinstadt Natchez wusste, wie nah ich meinem Bruder stand – gestanden hatte. Sie hätten wissen müssen, wie sehr mich die Nachricht über Andrews Tod treffen und wie sie mein Leben für immer verändern würde.

»Es tut uns sehr leid, dass das neue Jahr so schmerzhaft für Sie beginnt.«

Ach ja. Heute war der erste Januar.

Gestern war Jennys Silvesterparty gewesen. Eine der wenigen Feiern, zu denen Andrew und ich gemeinsam eingeladen worden waren.

Der dickliche Polizist sah endlich auf und blickte mich aus kleinen, dunklen Schweinsäuglein an. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, entschied sich aber dagegen und schloss ihn wortlos. Mit einer fahrigen Bewegung fuhr er sich durch das schüttere graue Haar, um wenig später seine Wurstfinger an der schiefergrauen Uniform abzuwischen.

War das eine nervöse Geste?

Ich wusste es nicht, aber in diesem Augenblick wollte ich nicht darüber nachdenken. Der Kloß in meinem Hals und die Last auf meiner Brust drohten mich zu ersticken. Gerade als ich dachte in Ohnmacht zu fallen, weil kein Sauerstoff mehr in meine Lungen gelangte, mischte sich unbeschreibliche Wut in den Schmerz und half mir wieder klarer zu denken. »Das ist nicht wahr! Andrew hatte keinen Unfall! Er wurde umgebracht!« Ich wusste es genau! »Sein Motorrad wurde manipuliert!« Der Zorn ließ meine Stimme laut und selbstsicher klingen, auch wenn ich mich völlig anders fühlte.

Meine Worte verhallten, ohne dass sie jemand beachtete. Mit jeder Sekunde, die ich ignoriert wurde, rannen mir immer mehr brennende Tränen über die Wangen und meine Fingernägel bohrten sich schmerzhaft in meine Handflächen. »Wieso hört mich keiner?! Das waren Van Mason und Dante Hawk!« Ich stapfte wie ein Kleinkind mit dem Fuß auf den Boden, aber die beiden Polizisten nickten uns nur ein letztes Mal stumm zu, ehe sie schweigend das Haus verließen und uns mitten in den Trümmern dieser Neuigkeit zurückließen.

***

Ein lautes Schrillen durchdrang das Gefühl von Trauer und Schmerz, das mich wie ein Kokon umhüllte. Langsam verblasste das Bild vor meinem inneren Auge und mein Bewusstsein kehrte zurück an die Oberfläche.

Ich hab nur geträumt.

Für einen winzigen Augenblick durchströmte mich Erleichterung, ehe das Gefühl von der Realität gedämpft wurde. Ich seufzte resigniert. Obwohl es nur ein Traum gewesen war, blieb das Ergebnis dasselbe: Mein großer Bruder war tot. Er hatte in der Silvesternacht einen Motorradunfall gehabt und war seinen Verletzungen erlegen, noch bevor die Rettungskräfte zur Stelle waren. An diesem Umstand würde sich nichts ändern, egal wie oft ich den grauenvollen Albtraum noch durchleben musste.

Mein Herz raste. Ich war nassgeschwitzt und meine Hände zitterten, als ich mir über das Gesicht rieb. Mühsam öffnete ich die Augen und sah mich nach der Quelle des Geräusches um, das mich erlöst hatte. Durch den Vibrationsalarm zum Leben erwacht, tanzte mein Handy auf meiner weißen Nachttischkommode. Ich griff danach und stellte den Alarm aus. Lustlos ließ ich das Handy zurück auf das Möbelstück fallen und setzte mich auf. Tage, deren Morgen mit diesem Albtraum begann, konnten nur ätzend werden. Am liebsten hätte ich mir die Decke über den Kopf gezogen und wäre den ganzen Samstag im Bett geblieben. Aber meine Eltern würden früher oder später nach mir sehen und da ich ihre Art von Unterhaltung und ihre Fragen nach meinem Befinden unbedingt vermeiden wollte, musste ich aufstehen. Ob ich wollte oder nicht.

Mit hängenden Schultern und mattem Verstand sah ich mich in meinem Zimmer um, bis mein Blick am Wandspiegel gegenüber meinem Bett hängen blieb. Ich sah mich selbst aus aufgedunsenen Augen an. Meine langen blonden Haare, die im Sonnenlicht rötlich schimmerten, standen mir unordentlich vom Kopf ab. Die Träger meines weißen Spitzentops waren mir von den Schultern gerutscht. Ich sah ziemlich zerknautscht aus, was mich nur noch schmaler und zierlicher wirken ließ.

Meine Friseurin sagte zwar immer, dass sie mich um meine erdbeerblonden Strähnen und die stahlgrauen Augen beneidete, aber ich teilte ihre Meinung nicht. Mit meiner blassen Haut und den zu vollen Lippen sah ich aus wie eine Puppe. Natürlich barg mein Aussehen gewisse Vorteile, das wollte ich nicht abstreiten, aber der größte Nachteil, der alle Vorteile überwog, war nun einmal, dass man mich nie ernst nahm. Ich war stets nur die kleine, süße, brave Tochter von Jim und Kimberly King. Und die Schwester des verstorbenen Andrew King. Diesen Stempel würde ich mein Leben lang tragen, egal wie gut meine Schulnoten waren, wie viele Trophäen ich beim Sport gewann oder wie sehr ich mich ehrenamtlich in der Gemeinde engagierte.

Ich stöhnte genervt, schnitt meinem Spiegelbild eine hässliche Grimasse und verdrehte die Augen, bevor ich seufzend die Bettdecke zurückschlug. Heute war einer dieser Tage, an denen ich mich selbst nicht leiden konnte. Und auch heute wieder musste ich meine tägliche Show spielen, damit niemand etwas davon mitbekam.

Ich schwang meine Beine aus dem Bett und stand auf. Meine Klamotten klebten an meinem Körper und ich sehnte mich nach einer Dusche. Selbst die Sonne, die durch das Fenster schien und mein Mädchenzimmer mit den weißen Möbeln und den rosafarbenen Dekorationsgegenständen in ein sanftes Licht tauchte, konnte meine Laune nicht heben. Während ich mich ausgiebig reckte, knackte es in meinem Rücken. Vielleicht sollte ich mal wieder zum Sport fahren? Meine eingerosteten Muskeln würden es mir danken. Aber eigentlich hatte ich dazu überhaupt keine Lust.

Ich hatte zu gar nichts mehr Lust, seit Andrew tot war.

Ganz in mein morgendliches Ritual vertieft, tapste ich wie gewohnt ins Bad, um mit einer langen heißen Dusche in den Tag zu starten. Vielleicht würde diesmal mein nach Rosen duftendes Shampoo die Erinnerung an den schlimmsten Tag in meinem Leben ausradieren. Immerhin keimte diese Hoffnung jeden Morgen auf. Irgendwann musste es doch mal funktionieren.

***

Eine halbe Stunde später ging ich in die Küche und traf auf meine Eltern, die am Frühstückstisch saßen. Es war gerade mal halb neun an einem Samstag und normalerweise schliefen wir alle am Wochenende gern etwas länger, aber inzwischen hatte ich mich daran gewöhnt, dass meine Eltern auch an den Wochenenden arbeiten mussten, weshalb es mich nicht überraschte, ihnen so früh in der Küche zu begegnen.

Umgekehrt war das schon eher der Fall. Schließlich hatte ich erst vor Kurzem meinen Highschool-Abschluss gemacht und wollte die letzten freien Tage genießen, bevor ich in die Knechtschaft meines Ferienjobs gezwungen wurde. Da ich direkt im Anschluss mein erstes Semester an der MSU – der Mississippi State University – beginnen würde, wollte ich meinen Biorhythmus nicht aus dem Takt bringen und stellte mir für jeden Morgen um acht Uhr meinen Handywecker.

»Guten Morgen, Schatz. Du bist aber früh auf.« Mom schenkte mir ein liebevolles Lächeln, ehe sie an ihrem O-Saft nippte. Sie hatte strahlend goldblonde Haare und blaue Augen. Die meiste Zeit trug sie einen Pferdeschwanz, der zu ihrem Job als Fitnesstrainerin passte, aber heute fiel ihr das Haar offen über die Schultern und die Enden kringelten sich nach außen. Genau wie ich hatte auch sie einen schrägen Pony, der ihr bis zu den Augenwinkeln reichte.

Mein Dad versteckte sich hinter der Zeitung und schlürfte geräuschvoll seinen Kaffee. Wie immer trug er einen dunklen Anzug. Vermutlich mit einem weißen Hemd und einer dezenten Krawatte – beides konnte ich wegen der Zeitung nicht sehen. Dad war Anwalt und hatte kürzlich einen neuen Fall übernommen, der ihn voll und ganz beanspruchte, weshalb ich es ihm nicht übel nahm, dass er morgens in Ruhe frühstücken wollte. Genauso wie ich.

Anstatt zu antworten, beugte ich mich zu Mom runter und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Ich umrundete den Tisch und begrüßte Dad auf die gleiche Art, was ihm ein liebevolles Lächeln entlockte, als er für einen kurzen Augenblick die Zeitung senkte. »Guten Morgen, Spätzchen.« Mehr würde ich an diesem Morgen nicht von ihm zu hören bekommen.

Ich trat an die Küchentheke und stellte mir mein Frühstücksmüsli zusammen: Haferflocken, gehackte Nüsse, Rosinen.

»Ich habe schlecht geschlafen.« Mehr musste ich nicht sagen. Meine Eltern wussten, was das bedeutete. Schließlich hatten sie ebenfalls seit Monaten Albträume und versuchten den Verlust ihres erstgeborenen Kindes und gleichzeitig einzigen Sohnes zu verarbeiten.

»Und? Was hast du heute vor?« Mom war noch nie gut darin gewesen, geschickt das Thema zu wechseln. Und obwohl ich ihr den Rücken kehrte, spürte ich ihr künstliches Lächeln im Nacken. Innerlich seufzte ich. Diese falsche Fröhlichkeit war die reinste Farce und anstrengender als ehrliche Trauer, die wir alle nach sechs Monaten in unserem tiefsten Innern noch deutlich spürten. Manchmal glaubte ich, dass selbst sechs Jahre nicht ausreichen würden, um Andrews Verlust zu verarbeiten.

»Ich wollte mich ein bisschen in die Sonne legen, bevor ich zu Mrs James muss. Und später fahre ich zu Jenny.« Mit meinem Frühstück in der Hand setzte ich mich an den Tisch und streute klein geschnittenes Obst auf meine Flocken, um anschließend alles in Orangensaft zu ertränken.

»Ach ja, heute ist deine letzte Sitzung, stimmt’s?« Moms Tonfall ärgerte mich. Sie klang so erfreut, als endete an diesem Tag eine Haftstrafe und nicht meine halbjährige Therapie, zu der sie und Dad mich gezwungen hatten. Immerhin waren sie der Meinung gewesen, dass ich nach Andrews Tod professionelle Hilfe bräuchte, um meine Trauer zu verarbeiten. Und vielleicht hatten sie damit auch nicht ganz unrecht gehabt, denn inzwischen ging ich gern zu Mrs James. Sie war eine tolle Frau, die mich und meine Gedanken ernst nahm. Deswegen war sie auch die einzige Person, mit der ich über Andrews Tod sprechen konnte. Im Speziellen darüber, dass ich immer noch felsenfest davon überzeugt war, dass mein Bruder keinen einfachen Motorradunfall gehabt hatte, wie alle behaupteten, sondern dass er umgebracht worden war. Und zwar von seinen beiden besten Freunden.

Leider fehlten mir die Beweise, daher war es bei der bloßen Anschuldigung geblieben. Die Polizei hatte nichts davon hören wollen und hatte ihre Ermittlungen bereits wenige Tage nach dem schlimmen Ereignis abgeschlossen, sodass wir Andrew beerdigen konnten. Doch für mich war das Ganze viel zu schnell gegangen. Mrs James meinte, dass dies auch der Grund sei, weshalb ich mich so sehr an diesen Vorwurf klammerte und in meinem Trauerprozess über den Punkt der »intensiv aufbrechenden Emotionen« nicht hinauskam.

»Montag beginnt dein neuer Job.« Wieder dieser abrupte Themenwechsel. Meine Eltern, besonders Mom, versuchten Gespräche zu vermeiden, die auch nur im Entferntesten mit Andrew zu tun hatten.

Ich stockte kurz, nickte stumm und aß weiter. Verdammt! Muss sie dieses Thema jetzt anschneiden? Ich hatte überhaupt keine Lust, darüber zu reden, geschweige denn daran zu denken. Immerhin war es nicht meine Idee gewesen, mir einen Ferienjob zu suchen. Aber Mrs James und meine Eltern hatten darauf bestanden. Sie nannten es die perfekte Rehabilitationsmaßnahme zum Abschluss meiner Therapie. Dadurch sollte ich die Chance erhalten zu beweisen, dass ich in der Lage war, mein Leben ordentlich zu führen und nicht meine freie Zeit mit »sinnlosen Partys« zu vergeuden. Ich sollte »reif genug« sein, um wie eine Erwachsene behandelt zu werden. Natürlich war mir klar, dass die Idee von Mrs James kam. Meine Eltern sahen mich lieber auf einer Party mit Gleichaltrigen als allein in meinem Zimmer, in das ich mich während der ersten Wochen nach Andrews Tod eingesperrt hatte, um nichts weiter zu tun, als apathisch aus dem Fenster zu starren.

Mom hatte mir sogar angeboten bei ihr im Fitnesscenter hinter der Theke zu arbeiten – wahrscheinlich damit sie mich rund um die Uhr im Blick hatte. Denn auch wenn ich am Ende des Jahres bereits neunzehn Jahre alt werden würde, benahmen sie und Dad sich, als wäre ich zwölf. Okay, zu ihrer Verteidigung musste ich gestehen, dass ich mich die erste Zeit nach Andrews Beerdigung wirklich wie eine suizidgefährdete Verrückte aufgeführt hatte. Aber dank der Therapie war das nun kein Thema mehr. Und da ich einen Job in der hiesigen Buchhandlung hatte ergattern können, erfüllte ich alle Bedingungen, um gemeinsam mit meiner Freundin Jenny nach dem Sommer auf den Campus der MSU zu ziehen, wo ich gedachte mein Studium im Bereich Wirtschaft zu beginnen. Genau wie Dad und Andrew zuvor.

Ich hoffte nur, dass Jenny es sich nicht kurzfristig anders überlegte und wie ihre beiden älteren Zwillingsschwestern Fabienne und Florentine lieber ins Ausland zog, um dort zu studieren. Die beiden waren im letzten Sommer spontan nach Europa geflogen, hatten sich in Land und Leute verliebt und kurzerhand beschlossen ihr Studium dort zu beenden. Aber auch wenn Jenny mich hängen ließ, würde ich es durchziehen. Denn ich wollte endlich raus aus Natchez. Jeder Winkel in diesem Ort erinnerte mich an Andrew. Deswegen war ich auch so versessen darauf, diesen Deal zu erfüllen. Wenn ich nach sechs Monaten eine abgeschlossene Therapie vorweisen konnte – zu der dieser ätzende Job gehörte –, war ich endlich frei!

»Okay.« Mom hatte meinen stummen Wink verstanden. »Dann viel Spaß auf der Party! Und grüß Jenny von uns.« Sie strich mir über das Haar und ich blickte auf. Ihre blauen Augen wirkten leblos. Ihr sonst sonnengebräuntes Gesicht war fahl und ihr normalerweise perfektes Make-up leicht schief geraten. Früher wäre sie so niemals aus dem Haus gegangen. Nur weil Dad darauf bestanden hatte, bereits wenige Monate nach Andrews Tod zur Normalität zurückzufinden, weil er vor den Nachbarn nicht als schwach und mitleiderregend gelten wollte, sahen wir uns zu dieser Show gezwungen. Dabei gab sich Mom besonders viel Mühe, weil sie stark und tapfer sein wollte. Eben ein perfektes Vorbild für mich und eine Vorzeigeehefrau für ihren Mann. Leider hatte sie bei dem Versuch sich selbst verloren.

»Mach ich.« Ich zwang mich zu einem Lächeln, ließ aber gleichzeitig den Löffel in die halbvolle Müslischale gleiten, griff nach der Schale und stand auf. Mir war der Appetit vergangen. »Ich geh ein wenig raus. Wahrscheinlich bin ich schon bei Jenny, wenn ihr von der Arbeit kommt. Also sehen wir uns erst morgen früh wieder.« Ich kippte den Rest meines Frühstücks in den Müll, stellte das Geschirr ins Waschbecken und ging hinaus in den Garten.

***

Mit einem lauten Seufzen schloss ich die Terrassentür hinter mir. Die drückende Hitze eines typischen Südstaatensommers war bereits in den frühen Morgenstunden zu spüren und spätestens in ein paar Stunden würde die brennende Luft in sirrenden Wellen über den Straßen liegen und jede Bewegung unerträglich machen. Deshalb gönnte ich mir lieber jetzt schon ein Bad in der Sonne. Das verheißungsvolle Sonnenbad und die ständige Sorge meiner Eltern hatten mich ins Freie gelockt. Sowohl Moms und Dads künstliche Fröhlichkeit als auch ihre krampfhafte Verdrängung der traurigen Tatsachen waren einfach zu viel für mich. Während der Schulzeit war es mir nicht schwergefallen, mich ihnen zu entziehen, und wenn ich frei gehabt hatte, war ich die meiste Zeit bei Jenny gewesen. Diese Zufluchtsstätte war mir nun genommen, denn Jennys Bruder Van verbrachte den Sommer in der Stadt, anstatt wie die vorherigen Monate auf dem Campus zu bleiben. Und da ich nicht bereit war dem Mörder meines Bruders – ich war sicher, dass er schuld an Andrews Tod war – in die Augen zu sehen, musste ich mich von dem Haus der Masons fernhalten.

Mit dem Vorsatz, mich trotz dieses schlechten Starts in den Tag nicht unterkriegen zu lassen, holte ich eine Liege und eine Auflage aus dem Gartenhäuschen. In weiser Voraussicht hatte ich meinen liebsten Bikini – den weißen mit rosa Blumenprint – bereits heute Morgen angezogen, sodass ich jetzt nur noch aus meinen Shorts und dem Tanktop schlüpfen musste, um mich in der Morgensonne entspannen zu können. Meine Sonnenbrille lag oben in meinem Zimmer, aber ich wollte nicht zurückgehen und sie holen. Solange meine Eltern im Haus waren, würde ich mich, so gut es ging, unsichtbar machen, um weiteren unangenehmen Gesprächen aus dem Weg zu gehen. So sehr ich meine Eltern auch liebte, aber unsere Beziehung hatte sich mit Andrews Tod verändert. Wir alle hatten uns verändert.

Ich fischte mein Handy aus der Hosentasche, um mir eine langweilige, oberflächliche Portion Klatsch und Tratsch über die Promiwelt zu gönnen, als mir eine Schlagzeile meines Newsfeeds ins Auge fiel.

Clary Hilton seit Tagen vermisst. Polizei bittet um sachdienliche Hinweise.

Darunter prangte das Bild eines jungen Mädchens. Clary. Sie hatte helle Haare und dunkle Augen. Ihre Nase war etwas zu groß für ihr Gesicht und ihre Lippen zu dünn. Ansonsten war sie recht hübsch. Durchschnittlich, nichts wirklich Besonderes.

Auch ohne den Text zu lesen, wusste ich, was darin stand. Diese Clary war bereits das sechste Mädchen in diesem Jahr, das spurlos verschwunden war. Etwa alle vier Wochen erwischte es eines, ohne dass die Polizei eine Verbindung zwischen den Fällen ausmachen konnte. Von einer Spur zu den Tätern oder zumindest einem Lebenszeichen der Mädchen war nichts bekannt. Es schien, als würden sie sich in Luft auflösen.

Natürlich sollte mich dieses Schicksal berühren. Clary war ungefähr in meinem Alter und da sich die Vermisstenmeldungen in letzter Zeit häuften, konnte es auch mich jederzeit treffen. Aber, so traurig es auch klang, es war mir egal. Ich hatte im Januar einen Teil meiner Seele beerdigen müssen und seitdem fiel es mir schwer, mit anderen Personen Mitleid zu empfinden.

Ich schloss die Nachricht und öffnete eine andere, als ein lauter Ruf mich zusammenzucken ließ.

»Bis heute Abend, Baby!«

Neugierig setzte ich mich auf und blickte hinüber zum Nachbarhaus, wo auf der Veranda eine Frau mit pechschwarzen langen Haaren stand. Sie trug knappe sexy Jeansshorts, die kaum ihren Po bedeckten. Ein leuchtend rotes Top betonte ihre üppigen Brüste und eine schmale Taille. Auch ohne sie zu kennen, verspürte ich Neid. Die Frau hauchte eine Kusshand in Richtung Hauseingang und ich folgte der Bewegung mit meinem Blick.

Vor der geöffneten Tür des Nachbarhauses stand ein Mann in hellblau karierten Boxershorts und fuhr sich mit der Hand durch die dunklen Haare, die ihm wirr ins Gesicht fielen. Sein Körper war definiert, aber nicht mit übermäßig starken Muskeln bestückt. Dennoch war die Statur breiter, als ich sie in Erinnerung hatte. Um die Arme und die Schultern des Mannes wanden sich Tattoos, die neu sein mussten. Zumindest waren sie mir früher nie aufgefallen. Auch das Brustwarzenpiercing, das in der Sonne glänzte, war mir fremd. Und trotz all dieser Veränderungen erkannte ich den Mann sofort.

Es war Dante Hawk.

Kapitel 2

Dante erwiderte nichts auf den Gruß der Frau. Wortlos winkte sie ihm noch einmal zu, dann stieg sie in ihren roten Mini Cooper und fuhr davon.

Ich wollte nicht so offensichtlich glotzen, aber Dantes Anblick hatte mich in eine Schockstarre versetzt.

Was machte er hier?

Sollte er nicht an der Uni sein?

Auf dem Campus?

Egal wo, aber nicht hier in Natchez!

Und was hatte er überhaupt in dem Haus der Potters zu suchen? Unsere Nachbarn nämlich waren ein älteres, kinderloses Ehepaar, das normalerweise jeden Sommer nach Martha’s Vineyard flog. Waren sie dieses Jahr hiergeblieben? Und selbst wenn, beantwortete das nicht die Frage, weshalb Dante halb nackt aus ihrem Haus spazierte, um ein Flittchen zu verabschieden.

Ehe ich mir Gedanken über mögliche Antworten machen konnte, trat ein älterer Mann aus dem Haus. Die Ähnlichkeit zu Dante war nicht von der Hand zu weisen. Er hatte ebenfalls dunkles Haar, das kurz geschnitten und an den Schläfen bereits ergraut war. Der Mann trug ein verschmutztes T-Shirt und einen Blaumann. Sein Gesicht war unrasiert und er sah müde aus, dennoch lächelte er herzlich und klopfte im Vorbeigehen seinem Sohn auf die Schulter, ehe er in einen vor dem Haus geparkten Toyota Corolla stieg und davonfuhr. Ja, es war Bart, Dantes Vater.

Seit wann wohnten die Hawks in diesem Haus? Das Szenario erschütterte mich dermaßen, dass ich weiterhin unverhohlen auf das Nachbargrundstück starrte und zunächst nicht mitbekam, dass Dante meinen Blick erwiderte. Erst als er die Hand zum Gruß hob, erwachte ich aus meiner Trance. Für einen Moment sahen wir uns an, ehe ich mich ruckartig abwandte. Vielleicht würde er wieder ins Haus gehen, wenn ich mich schlafend stellte.

Kaum hatte ich mich hingelegt und die Augen fest zusammengepresst, hörte ich bereits schwere Schritte, die über den Kiesweg auf mich zukamen.

»Na, wenn das nicht die kleine Amy ist.« Dantes tiefe Baritonstimme ertönte nur wenige Meter neben mir. Bestimmt stand er an dem hüfthohen weißen Lattenzaun, den meine Eltern als Dekoration angebracht hatten.

Ich konzentrierte mich auf meine Atmung und meinen rasenden Puls, denn ich war mir sicher, dass man meinen pochenden Herzschlag in ganz Mississippi hören konnte. Dantes überraschendes Auftauchen warf mich völlig aus der Bahn. Ich hatte nicht im Traum damit gerechnet, dass er jemals zurückkehren würde.

Und selbst wenn, hätte ich niemals gedacht ihn als neuen Nachbarn ertragen zu müssen.

»Hast du in einen vergifteten Apfel gebissen und bist plötzlich eingeschlafen?« In Dantes Stimme schwang wie immer ein Hauch Spott mit, als wüsste er etwas, was der restlichen Menschheit verborgen blieb. »Vielleicht erweckt dich ja ein Kuss?!«

Am liebsten hätte ich ihn ignoriert. Wenn ich lange genug den Mund hielt, würde er womöglich verschwinden. Aber wenn er den ganzen Sommer blieb, würde ich ihn zwangsläufig irgendwo wiedersehen. Natchez war einfach zu klein, um jemandem erfolgreich aus dem Weg zu gehen.

»Dante.« Ich öffnete meine Augen und zwang mich zu einem neutralen Ton, auch wenn ich mir lieber die Zunge abgebissen hätte. Mit großer Kraftanstrengung überwand ich den Wunsch, ihn anzugreifen und gleichzeitig wegzulaufen, und sah ihn stattdessen an.

Seine Gesichtszüge hatten sich, ebenso wie sein Körper, verändert. Sie wirkten härter als früher. Seine hohen Wangenknochen traten deutlicher hervor und seine Koteletten mündeten in einen ordentlich getrimmten Dreitagebart. Die vollen Lippen waren zu einem Lächeln verzogen und diese einmalig stechenden eisblauen Augen, die immer ein gewisses Funkeln ausstrahlten, fokussierten mich.

Ich riss meinen Blick von seinem Gesicht und sah automatisch auf seine Brust. Auf der rechten Seite waren in einer verschnörkelten Schrift, die ich nicht entziffern konnte, drei Textzeilen eintätowiert. Auf der anderen Seite, über dem Brustwarzenpiercing, das sich als unauffälliger kleiner Ring herausstellte, entdeckte ich eine Taube, die aus einem Gewitter herausflog und einen Rosenkranz im Schnabel hielt. Die Wolke zog sich über seine Schulter, bis sie zu einem Flügel wurde, der den halben Oberarm bedeckte. Die Federn der Taube waren so detailliert gearbeitet, dass ihr Anblick in mir den Wunsch weckte, sie zu berühren, nur um zu testen, ob sie so weich waren, wie sie aussahen.

»Wie geht’s dir, Amy Rose?« Dante nutzte meinen alten Spitznamen, den Andrew mir als Kind verpasst hatte, weil mein Bruder es geliebt hatte, mich mit meiner Obsession für Rosen und Pastellfarben aufzuziehen. Dante wusste genau, was mir dieser Name bedeutete und wie taktlos es war, wenn er ihn in den Mund nahm. Mein Bruder war der Einzige gewesen, der mich so genannt hatte. Das war etwas Persönliches zwischen uns gewesen.

Ich blickte von dem Tattoo auf und sah wieder in diese eisblauen Augen, die tausend kleine Ameisen durch meine Adern jagten. Zumindest fühlte sich so das Kribbeln an, mit dem meine Wut auf diesen Kerl in brennenden Hass umschlug. Es war schlimm genug, dass er so dreist war und mich überhaupt ansprach, aber mich dann auch noch mit diesem Spitznamen zu verhöhnen ging definitiv zu weit.

Als ich nicht sofort antwortete, lehnte sich Dante mit der Hüfte gegen den Zaun und verschränkte lässig die Arme vor der Brust. Undefinierbar blitzten seine Augen auf. Seine Mundwinkel waren zu einem spöttischen Grinsen verzogen.

Mich überkam der unstillbare Drang aufzuspringen und ihm an die Gurgel zu gehen. Aber wenn meine Eltern mitbekamen, wie ich mich mit ihm stritt, würden sie wahrscheinlich das Ende der Therapie anzweifeln und ich könnte mir den Auszug abschminken. Außerdem wollte ich Dante nicht die Genugtuung geben und auf seine Provokation eingehen. Stattdessen atmete ich tief durch. »Bis gerade ging es mir gut. Doch dann habe ich gesehen, dass du wieder da bist.« Ich gab mir keine Mühe, meine Feindseligkeit zu verbergen. Er konnte von Glück reden, dass ich ihn nicht mit einem Küchenmesser angriff!

»Ach, wirklich? Normalerweise bewirke ich bei Frauen genau den gegenteiligen Effekt.« Sein Grinsen wurde zu einem Lächeln und nun glänzten auch seine Augen. Früher, so musste ich mir zu meiner Schande eingestehen, war ich völlig verrückt nach diesem Lächeln gewesen. Und ich hätte alles dafür getan, ihm stundenlang in die Augen blicken zu dürfen. Lange Zeit war ich heimlich in den besten Freund meines Bruders verknallt gewesen, doch ebenso wie Andrews andere Freunde hatte auch er in mir immer nur die anhängliche kleine Schwester gesehen. Das war jedoch Schnee von gestern, denn im Moment konnte ich kaum an diesen Mann denken, ohne den Wunsch zu verspüren, ihn lebendig begraben zu wollen.

»Und wie vielen dieser Frauen hast du dasselbe angetan wie mir? Oder sollte ich mich geehrt fühlen, dass du nur meinen Bruder umgebracht hast?« Die Worte entflohen meinem Mund, ehe ich sie zurückhalten konnte, und die Sorge, dass Dante eine potenzielle Gefahr für meinen Therapieabschluss darstellte, ging mir nicht aus dem Kopf. Musste er ausgerechnet jetzt zurückkommen?

Dantes Lächeln erstarb auf der Stelle. Seine Lippen bildeten nun eine dünne Linie und seine Augen wurden eine Spur dunkler. Mit den Fingern umklammerte er seine Oberarme und sein Bizeps schwoll an. Als er sprach, war seine Stimme kalt und schneidend. »Ich dachte, inzwischen hättest auch du eingesehen, dass Andrews Tod ein Unfall war. Er ist mit der Maschine auf dem glatten Eis ausgerutscht. Wir hatten nichts damit tun.«

Sprachlos starrte ich Dante an. Das war zu viel! Vergessen war meine Selbstbeherrschung. Mit einer hektischen Geste sprang ich von meiner Liege und stellte mich dicht vor ihn an den Zaun. Ich musste zwar den Kopf in den Nacken legen, um ihn ansehen zu können, aber dafür erkannte ich aus dieser Perspektive eine dünne Narbe an seiner rechten Augenbraue, die möglicherweise von einem alten Piercing stammte. Eine weitere kleine Narbe befand sich unter seinem Mundwinkel. Aber das alles fiel mir nur auf, weil ich krampfhaft versuchte ihm nicht in die Augen zu sehen.

Meine nackten Arme berührten seinen Oberkörper und ich spürte Wärme, die so viel heißer brannte als die Sonnenstrahlen, die uns beschienen. Das Kribbeln unter meiner Haut verstärkte sich, aber ich schenkte ihm ebenso wenig Beachtung wie dem Zaun, der sich unangenehm gegen meine Hüften presste. Dante war vielleicht einen Kopf größer als ich und wesentlich breiter, aber er schüchterte mich nicht mehr ein. Die Zeit des Schmachtens und Anhimmelns war ein für alle Mal vorbei!

»Ich weiß genau, was in der Silvesternacht passiert ist, Dante! Vielleicht habt ihr es geschafft, die Polizei zu verarschen, aber ich glaube euch diese lächerliche Geschichte nicht eine Sekunde lang!« Hass und Zorn brandeten in tosenden Wellen durch meinen Körper und brachten mich zum Zittern. Einen winzigen Augenblick lang fiel mir auf, dass ich derart starke Emotionen seit dem Neujahrsmorgen nicht mehr gespürt hatte. Die Trauer um meinen Bruder hatte mich stumpf werden lassen, aber jetzt hatte ich das Gefühl, vor Kraft und Energie zu platzen.

Dante verengte die Augen und beugte sich zu mir herab. Beinahe berührten sich unsere Nasenspitzen. »Du glaubst zu wissen, was passiert ist. In Wahrheit hast du keine Ahnung und redest dir Dinge ein, die nie geschehen sind!« In seinen nun kobaltblauen Augen leuchteten zwei weiße Sprenkel auf, die mir zuvor noch nie aufgefallen waren. Das lag daran, dass wir uns bisher auch noch nie so nah gewesen waren. Dafür nahm ich seinen undefinierbar herben Duft wahr, der gleichzeitig ein wenig nach Süßholz roch.

»Ich weiß doch, was ich gehört habe!«, ereiferte ich mich. »Halt mich also nicht für dumm!«

»Und was meinst du gehört zu haben?« Fragend zog er die vernarbte Augenbraue in die Höhe.

»Ihr drei habt euch gestritten. Du und Van wolltet irgendwo hin. Andrew sollte aber nicht mitkommen, weil du meintest, es sei zu gefährlich. Erst als er sich weigerte im Haus zu bleiben, hast du ihm gedroht, dass du ihn daran hindern würdest, euch zu folgen. Im Notfall würdest du einfach seine Maschine lahmlegen.« Ich hatte mich derart in Rage geredet, dass ich erst einmal tief Luft holen musste, nachdem die Worte meinen Mund verlassen hatten. Mein Herz pochte schmerzhaft in meiner Brust und um meine zitternden Hände zu verbergen, verschränkte ich die Arme vor dem Körper.

Dantes Kiefermuskeln zuckten und er antwortete nicht sofort. Stattdessen verengte er die Augen noch eine Spur und als er sprach, war seine Stimme so scharf wie eine Schwertklinge. »Das habe ich nie gesagt! Du hast dir diesen Scheiß in deinem Suff eingebildet. Wir wissen beide, dass ihr, du und Jenny, an dem Abend völlig blau wart. Deswegen hat dir die Polizei auch nicht geglaubt, als du versucht hast uns an den Pranger zu stellen.« Dante beugte sich weiter vor und seine Nasenspitze presste sich unangenehm gegen meine. Sein Atem strich über mein Gesicht und verursachte mir eine Gänsehaut. Am Rande meines Bewusstseins nahm ich wahr, wie intensiv seine Augen leuchteten, wenn er sauer war. Bisher hatte ich immer nur den Aufreißer und Frauenheld in ihm gesehen. Den Typen, der mich frech angrinste und mir zuzwinkerte, wenn wir allein waren. Und ich dummes Ding hatte anschließend tagelang Herzklopfen gehabt, wenn ich daran zurückdachte. Nachts hatte ich sogar davon geträumt, wie wir am Strand spazieren gingen, während die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwand. Ging es noch erbärmlicher?

Als Dante weitersprach, klang seine Stimme zwar ruhiger, sie war jedoch wieder so überheblich und arrogant, dass ich ihn auf der Stelle schlagen wollte. »Du solltest endlich aufhören dir diesen Mist einzureden, Amy Rose. Es ist besser, wenn du Andrews Tod endlich akzeptierst. Er hätte nicht gewollt, dass du deine Nase in Dinge steckst, die dich nichts angehen!« In seinem letzten Satz schwang eine Spur Schmerz mit, was mich überraschte. Aber vielleicht bildete ich es mir auch nur ein und es war ein verzweifelter Versuch, in ihm mehr als nur den arroganten Kotzbrocken zu sehen, den er mir gerade präsentierte. Immerhin war Andrew mit ihm befreundet gewesen und mein Bruder hatte eigentlich immer eine gute Menschenkenntnis besessen. Eigentlich.

»Vergiss es, Dante. Den Gefallen tu ich dir und Van nicht!« Meine Stimme zitterte vor unterdrückter Wut und Schmerz. Aber ich genoss das Gefühl. Es war berauschend und verlieh mir einen Anflug von Größenwahn. In diesem Augenblick traf ich eine Entscheidung. Viel zu lange war ich im Tal der Trauer gefangen gewesen, doch jetzt verspürte ich nur noch den Wunsch nach Rache und Gerechtigkeit! Und beides würde sich erfüllen, was auch immer das bedeutete. »Ich werde alles dafür tun, dass ihr für Andrews Tod bestraft werdet. Und wenn es die letzte Tat in meinem Leben sein wird!«

Dante presste seine Lippen fest zusammen und seine Augen funkelten gefährlich. Eine Ader an seinem Hals verriet seinen schnellen Pulsschlag. »Dann hoffe ich, dass dein Starrsinn nicht die gleichen Folgen hat wie bei Andrew.« Eine weitere Sekunde lang erwiderte Dante meinen Blick, ehe er sich von mir abwandte und ins Haus zurückging, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Fassungslos sah ich ihm hinterher. Ich war so auf meine Wut konzentriert, dass ich dem Tattoo auf seinem Schulterblatt keinerlei Beachtung schenkte. Er lässt mich einfach hier stehen, nachdem er mich bedroht hat? Entweder war der Typ verrückt oder verdammt selbstsicher. Doch egal was es war, ich würde es nutzen, um ihm das Genick zu brechen!

***

Ungefähr eine halbe Stunde nachdem Dante mit einem lauten Türknallen im Haus verschwunden war und mich seitdem mit seiner nervtötenden Rockmusik volldröhnte, gingen meine Eltern zur Arbeit und ich hatte das große, freistehende Haus für mich allein. Früher hatten mich solche Momente mit Freude erfüllt, mittlerweile jedoch fühlte ich mich einsam und leer. Selbst Shoppen – sonst die perfekte Therapie bei all meinen Problemen – schaffte es nicht, die Lethargie in meinem Leben zu verdrängen. Es war bereits so schlimm, dass ich regelrecht Schweißausbrüche bekam, wenn ich eins dieser großen und meist überfüllten Kaufhäuser betreten musste.

Der kurze Streit mit Dante hatte es geschafft, meine Lebensgeister zu wecken. Sein plötzliches Auftauchen und die starken Emotionen, die er in mir ausgelöst hatte, brachten mein Blut zum Kochen und ließen in mir den Wunsch reifen, dumme Dinge zu tun. Dinge, die niemand von mir erwarten würde. Wie zum Beispiel einem Mörder den Krieg zu erklären.

Während ich in Gedanken das hitzige Gespräch erneut durchspielte, um meinen Zorn aufrechtzuerhalten, klingelte mein Telefon.

»Ich hab nichts zum Anziehen!« Die feine, aber deutlich aufgelöste Stimme meiner Freundin Jenny klang motzend durch den Hörer, kaum dass ich das Gespräch angenommen hatte.

»Wir waren erst gestern einkaufen.« Musste ich sie ernsthaft daran erinnern? Für mich waren das sehr qualvolle drei Stunden gewesen, die ich nur für sie und unsere Freundschaft auf mich genommen hatte. »Du hast dir diesen süßen Lederrock gekauft.«

»Ich weiß!« Sie klang nicht so glücklich, wie sie gestern im Laden gewesen war. »Aber ist der nicht zu gewagt? Ich muss heute Abend besonders toll aussehen!« Das hatte sie mir bereits gestern erfolgreich eingetrichtert. Ich war nicht senil, auch wenn ich den gestrigen Tag am liebsten vergessen würde.

»Nein, der ist nicht zu gewagt. Und auch nicht spießig, falls du das als Nächstes fragen wolltest. Du siehst darin ganz toll aus!« Ich seufzte und stellte den Lautsprecher an, damit ich mich eincremen konnte, während wir ihre alberne und völlig unnötige Krise lösten. Mit meiner hellen Haut war ich unglaublich anfällig für einen Sonnenbrand und ich wollte am Montag nicht wie ein frisch gekochter Hummer aussehen, wenn ich meinen Job begann.

»Aber was ist, wenn es ihm nicht gefällt?« Ich konnte mir genau vorstellen, wie Jenny auf ihrer Lippe kaute.

»Wieso sollte es ihm nicht gefallen?« Die Frage, welches männliche Geschöpf sie beeindrucken wollte, konnte ich mir sparen. Erstens wollte sie es mir partout nicht verraten und zweitens hatte sich mir die Antwort gerade in Boxershorts auf der Veranda eines fremden Hauses präsentiert. Dabei konnte ich Jenny keinen Vorwurf machen. Ganz objektiv betrachtet sah Dante Hawk toll aus. Besonders mit den Tattoos und dem Piercing. Aber er war ein Mörder und damit nicht auf diese heiße Bad-Boy-Art sexy, sondern gefährlich und unberechenbar. Leider weigerte Jenny sich diesen Umstand einzugestehen, denn dann müsste sie auch zugeben, dass ihr Bruder an Andrews Tod mitverantwortlich war. Und genau dieses Problem, dass Van Jennys Bruder war, hatte unsere Freundschaft auf eine harte Probe gestellt. Zwar war mir während der Therapie bewusst geworden, dass ich Jenny nicht für die Fehler ihres Bruders verantwortlich machen konnte, aber trotzdem war da ein bitterer Beigeschmack geblieben, der uns immer weiter voneinander entfernte.

»Ich weiß nicht. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er nicht auf sexy Frauen steht.«

Jennys Stimme holte mich aus meinen Gedanken zurück und ich blickte zu dem Haus, in dem jetzt offenbar die Hawks wohnten. Dante sollte nicht auf sexy Frauen stehen? Unvorstellbar! Besonders in Anbetracht des Flittchens, von dem er sich heute Morgen verabschiedet hatte.

»Bist du dir überhaupt sicher, dass er frei ist, Jen? Vielleicht hat er eine Freundin.« Oder mehrere.

»Nein, soweit ich weiß, ist er single.« Jenny seufzte theatralisch. »Willst du nicht doch mitkommen? Ich könnte deine moralische Unterstützung wirklich gut gebrauchen!«

»Ich weiß nicht.« Eigentlich hatte ich ihr bereits für die Party abgesagt, weil ich wusste, dass Van anwesend sein würde. Er allein war schon mehr, als ich ertragen konnte. Doch wenn Dante in der Stadt war, würde auch er auf jeden Fall dort auftauchen. Damit hätte ich also gleich zwei Gründe, zu Hause zu bleiben, wie ich es geplant hatte. Nur meine Eltern hatte ich, damit sie mich in Ruhe ließen, in dem Glauben gelassen, dass ich zur Party ging. Die Auseinandersetzung mit Dante jedoch hatte mich unsicher werden lassen. Es war schon irgendwie verlockend, auf der Party aufzutauchen und ihn und Van mit Andrews Tod zu konfrontieren.

»Ach komm schon, Amy! Das ist die erste Party seit unserem Abschluss! Wir sind offiziell keine Highschool-Schüler mehr, das ist doch Grund genug, oder?!« Da war wieder dieser flehende Ton, den ich so hasste. Diesmal ignorierte ich Jennys Worte. Bei ihr hatte jede Party einen ganz besonderen Aufhänger und es kam einem sozialen Selbstmord gleich, dort nicht aufzutauchen. Das alles kannte ich schon. Damit konnte sie mich nicht überzeugen.

Unweigerlich blickte ich hinüber zum Nachbarhaus. Der Streit mit Dante war wirklich sehr belebend gewesen und weckte in mir die Lust auf eine zweite Runde. Außerdem war ich Van seit der Beerdigung im Januar nicht mehr begegnet. Plötzlich wollte ich mit eigenen Augen sehen, wie er den Tod seines angeblich besten Freundes verkraftet hatte.

Während ich unentschlossen auf meiner Wangeninnenseite kaute, trat Dante auf den Balkon. Er hatte sich Jeansshorts angezogen, die tief auf seinen Hüften saßen und den Bund seiner Boxershorts präsentierten. Er musste gerade geduscht haben, denn er fuhr sich mit einem Handtuch über den Kopf und anschließend über seinen nackten Oberkörper.

Ob er unbewusst oder absichtlich zu mir herübersah, wusste ich nicht, aber als sich unsere Blicke trafen, spürte ich erneut dieses Kribbeln, das Aufleben meiner Wut. Während der letzten Monate hatte ich in einer Art Trance gelebt, war wie leblos gewesen und desinteressiert, hatte mich mit der Schule abgelenkt, nur um nicht an Andrew denken zu müssen.

Aber jetzt, da Dante hier war, fühlte ich mich meinem Bruder wieder näher. Dieser Mann dort drüben hatte so viel Zeit mit Andrew verbracht, dass meine Eltern ihn fast wie ein eigenes Kind behandelt hatten. Dante hatte unzählige Male bei uns geschlafen, mit uns gegessen, er hatte sogar ein eigenes Fach für seine Klamotten in Andrews Schrank besessen.

Vielleicht war es falsch, dumm oder sogar gefährlich, aber ich wollte ihm all meinen Groll entgegenschreien, den ich tief in meinem Inneren vergraben hatte und den er mit seinem Auftauchen wieder an die Oberfläche geholt hatte.

»Amy? Amanda? Bist du noch dran?« Jennys Stimme riss mich aus meinen Gedanken.

»Ähm, ja, sorry. Ich bin noch da.« Ich sah weiterhin zu Dante, der mich unverhohlen anstierte. Sein Blick, der wie Finger über meinen halbnackten Körper strich, ließ mich schaudern. Und doch würde ich ihm nicht die Genugtuung geben und mir etwas anziehen. Er sollte nicht denken, dass er diese Art von Macht über mich besaß.

»Also? Kommst du heute Abend? Bitte!« Jenny zog das letzte Wort bettelnd in die Länge.

Im Grunde hatte ich keine Wahl. Nicht nur weil ich Dante und Van provozieren wollte, schließlich sollte auch Jennys Bruder einen Teil meines Zorns abbekommen. Nein, ich schuldete es meiner Freundin. Um jeden Preis musste ich sie davon abhalten, sich auf diesen Typen einzulassen. Dante war gefährlich und skrupellos. Schließlich hatte er mich vor weniger als einer Stunde noch bedroht.

Mit einem resignierten Seufzen gab ich nach. »Okay, Jen. Du hast gewonnen. Ich komme mit.«

Kapitel 3

Um neunzehn Uhr stand ich fertig angezogen vor meinem Ganzkörperspiegel mit dem antiken goldenen Rahmen. Der Termin bei Mrs James war genauso abgelaufen, wie ich es geplant hatte. Ruhig, unauffällig und gefahrlos. Sie hatte gesagt, meine Fortschritte seien bemerkenswert und wenn es mir gelingen würde, den Job in der Buchhandlung bis zum Ende des Sommers zu behalten, bekäme ich den Abschlussbericht. Das bestätigte sie auch in einem Schreiben an meine Eltern, damit ich genug Zeit hatte, meinen Umzug an die MSU zu organisieren.

Ungefähr zum hundertsten Mal strich ich mir über das weiße Sommerkleid mit den blassrosa Blumen. Meine Finger zitterten und mir war übel. Es war ein Fehler gewesen, dieses Kleid anzuziehen. Ich hätte es gleich wegwerfen sollen, als ich es das letzte Mal im Schrank entdeckt hatte. Weil Andrew dieses Kleid so an mir geliebt hatte, war es mir nicht gelungen, mich von ihm zu trennen. Mein Bruder war der Meinung gewesen, dass die Blumen perfekt zu meinen Augen passten und dass das Weiß meine Porzellanhaut betone. Mit den blonden Locken, die ich mir dazu immer aufdrehte, und meinem feinen Silberschmuck hatte er mich jedes Mal seine »kleine Elfe« genannt. Zudem hatte er mich gebeten dazu eine Strickjacke zu tragen, um die dünnen Träger und den tiefen Ausschnitt zu verbergen.

Aber nicht heute!

An diesem Tag trug ich das Kleid, um zu provozieren. Ich wollte sehen, wie Dante und Van darauf reagierten, wenn ich es trug. Sie wussten, wie sehr Andrew es geliebt hatte.

Abermals wischte ich meine schweißfeuchten Hände an dem Stoff trocken und atmete tief durch. »Ich schaffe das!« Trotz des Mantras zweifelte ich daran, ob ich meinen Plan durchziehen konnte. Dante und Van waren zu allem fähig, dessen war ich mir bewusst. Demnach war es eine dumme Idee, sie zu provozieren. Auf der anderen Seite konnte ich nicht vergessen, welche Gefühle der Streit mit Dante in mir geweckt hatte. Es war berauschend gewesen. Und um diese Emotionen wieder zu erleben, ging ich das Risiko ein, in die Schusslinie zweier Mörder zu geraten. Zudem war ich es Andrew schuldig. Es war meine schwesterliche Pflicht, die Wahrheit über seinen Tod aufzudecken, damit die Verantwortlichen bestraft wurden. Andrew hätte dasselbe für mich getan.

Ehe ich es mir anders überlegen konnte oder doch noch den Mut verlor, schnappte ich mir meine Tasche, sprühte mein liebstes Rosenparfüm auf und verließ das leere Haus.

***

Mein himmelblaues New Beetle Cabrio war der einzige Wagen in der Auffahrt. Meine Eltern hatten ihn mir zu meinem sechzehnten Geburtstag geschenkt und Andrew hatte mich eine Woche lang nicht hinters Steuer gelassen, bis er sich selbst mehrfach davon überzeugt hatte, dass es wirklich sicher war. Selbst Dante, Sohn eines Mechanikers und Autojunkie von Kindesbeinen an, hatte den Wagen auf Herz und Nieren geprüft, ehe ich ihn fahren durfte.

Mit einem Knopfdruck öffnete ich die Zentralverriegelung und ließ mich hinter das Lenkrad gleiten. Wegen meiner weißen Riemchensandalen mit dem Keilabsatz musste ich den Sitz verstellen, bis ich bequem saß. Als ich die richtige Position gefunden hatte und die Spiegel eingestellt waren, steckte ich den Schlüssel ins Zündschloss und startete den Motor. Doch anstatt eines wohligen Schnurrens erklang ein Laut, als wäre der Wagen erkältet. Es war eine Mischung aus qualvollem Husten und Niesen.

Verwirrt zog ich die Stirn in Falten und versuchte es erneut. Aber auch nach dem zweiten, dritten, vierten und fünften Mal sprang der Wagen nicht an. Ich stöhnte genervt. Gestern lief er noch wie eine Eins! Sollte das ein Zeichen sein, doch nicht auf die Party zu gehen? Wollte mich eine höhere Macht vor einem dummen Fehler bewahren? Tja, blöd, dass ich nicht an einen solchen Quatsch glaubte.

Als ich den Schlüssel ein weiteres Mal im Zündschloss drehte, drang eine entsetzte Stimme zu mir vor. »Hör auf den Motor zu quälen! Das ist ja nicht auszuhalten!«

Seufzend ließ ich meine Hände in den Schoß und meinen Kopf gegen das Lenkrad sinken. Von allen Menschen, die mich in dieser Situation hätten erwischen dürfen, war Dante der letzte. Vermutlich hätte ich sogar Serienkillern und Vergewaltigern den Vorzug gegeben.

Schwere Schritte waren zu hören, als Dante näher kam. Sofort richtete ich mich auf und versuchte abermals den Motor zu starten. Vielleicht wollte sich Fortuna nur einen dummen Witz mit mir erlauben und hatte Mitleid. Dann müsste der Wagen jetzt endlich anspringen. Aber auch diesmal ertönte nur wieder ein glucksendes Geräusch und der zitternde Motor verspottete mich abermals.

»Wenn du nicht aufhörst, verschlimmerst du den Schaden nur. Es könnte eine defekte Zylinderkopfdichtung sein.« Dante tauchte in meinem Blickfeld auf. Er trug dunkelblaue Jeans, die locker auf seinen Hüften saßen und ziemlich abgenutzt wirkten. Auch seine weißen Turnschuhe sahen mitgenommen aus. Sein dunkelgraues T-Shirt spannte sich über seinen breiten Rücken, als er die Motorhaube ansteuerte. Sein Mechanikerherz musste bluten.

»Mach die Klappe auf, Amy Rose. Ich schau es mir mal an.« Er hatte sich vor den Wagen gekniet und wartete geduldig darauf, dass ich die Haube lüftete. Für einen Moment sah ich auf seinen dunklen Haarschopf, der völlig ungestylt im sanften Wind wehte. Ich hatte noch nie einen Mann kennengelernt, dem es so egal war, wie er aussah, und der dabei dennoch reihenweise Mädchenherzen zum Rasen brachte.

Glaubte Dante ernsthaft, dass ich ihn an mein Auto ließ? So dämlich konnte er doch gar nicht sein. »Nein! Ich ruf den Abschleppdienst.« Mit diesen Worten öffnete ich die Wagentür und stieg aus. Mit einem lauten Knall ließ ich sie wieder zufallen.

»Wozu? Ich kann …« Dantes Stimme versagte mitten im Satz. Er hatte sich aufgerichtet und sah mich jetzt an. Sein Blick glitt von meinen Füßen über meine Beine hin zu meinem Kleid, das knapp oberhalb meiner Knie endete. Eine kleine Ewigkeit ruhten seine Augen auf meinem Dekolleté, um dann in meinem Gesicht anzukommen. Sein Blick war unmöglich zu deuten, aber dessen Intensität verursachte mir eine Gänsehaut und ich sah automatisch zur Seite. »Ich kenne den Wagen besser als jeder andere.« Seine Stimme klang dunkler, als er seine Aussage beendete. Ich meinte darin einen Unterton aufzuschnappen, der in meinem Kopf das Bild einer Raubkatze aufblitzen ließ, die sich an eine unschuldige Antilope heranpirschte.

Das war lächerlich! Ich wollte mich nicht von Dante einschüchtern lassen! Mit einem Ruck drehte ich mich wieder zu ihm. Ich verschränkte meine Arme unter der Brust und bemerkte, dass es mein Dekolleté betonte. »Das glaub ich dir gern, Dante. Aber ich möchte lebend bei der Party ankommen.« Ich unterstrich meine Worte mit einem sarkastischen Lächeln, wandte mich von ihm ab und überlegte: Irgendwo in Dads Büro hatte ich die Nummer des Abschleppdienstes gesehen. Ich nahm mir vor sie auch gleich in meinem Handy abzuspeichern. Für alle Fälle.

»Denkst du ernsthaft, ich würde dein Auto manipulieren?« Der Ton in Dantes Stimme war unmöglich zu deuten. Als ich doch wieder zu ihm hinsah, bemerkte ich, dass tatsächlich Schmerz und Verletzung in seiner Mimik aufzuckten. Er hatte sich jedoch schnell wieder unter Kontrolle. »Das würde ich dir niemals antun, Amy!« Auf einmal war sein Blick eiskalt und seine hellen Augen glänzten hart. Ich konnte nur nicht einschätzen, ob er wütend oder beschämt war, weil ich ihm so etwas unterstellte. Es war zum Verrücktwerden! Normalerweise konnte ich Menschen sehr gut einschätzen. Deswegen hatte ich früher auch immer Psychologie studieren wollen. Ich fand es spannend, die Körpersprache und die Mimik eines Menschen zu analysieren. Aber bei Dante war es mir einfach nicht möglich. Er war das sprichwörtliche Buch mit sieben Siegeln.

Ich verdrängte den Gedanken und konzentrierte mich wieder auf diese unfreiwillige Unterhaltung. »Als ob ich dir das glauben würde!« Ich schnaubte verächtlich. »Wenn du keine Scheu hattest, das Motorrad deines angeblich besten Freundes zu manipulieren, würdest du bei mir erst recht nicht zögern.« Da war es wieder. Dieses berauschende Gefühl, das mich anfeuerte mein Gegenüber weiterzuprovozieren. Die plötzliche Härte in seinen Augen und die vor unterdrückter Wut zusammengepressten Lippen ließen mich dennoch den Kopf abwenden. Auch wenn ich mir einredete, dass Dante mich nicht einschüchterte, musste ich bei seinem Anblick schlucken. Wieso auch immer, bereute ich meine Worte auf einmal.

Um nicht so blöd hier rumzustehen und zu spät zur Party zu kommen, machte ich ein paar Schritte auf den Hauseingang zu, als dröhnende Musik und ein lautes Hupen hinter mir ertönten. Reflexartig drehte ich mich zu der Geräuschquelle um. Die schwarzhaarige Trulla von heute Morgen fuhr mit ihrem Mini vor. Sie hatte die Fenster runtergekurbelt und steckte ihren Kopf heraus.

»Hey, Baby.« Sie hielt so dicht vor Dante, dass ich kurz glaubte, sie würde ihn umfahren. Aber der abgeklärte Macho zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Beeile dich. Ich habe Van versprochen pünktlich zu sein. Und wir sind schon spät dran.« Sie fuhr sich mit den Händen durch die langen Haare und prüfte ihr Make-up im Rückspiegel.

»Ich komme«, sagte Dante, der mich immer noch anstarrte und sich nicht bewegte, wie ich aus den Augenwinkeln wahrnahm, während ich zu der Schwarzhaarigen sah.

Automatisch drehte ich meinen Kopf zu ihm herum. Einen Moment schauten wir uns an, wobei ich versuchte seinen eiskalten Blick zu erwidern. Dabei fiel es mir schwer, nicht in diesem Blau zu versinken. Männer mit dunklen Haaren und blauen Augen hatten mich schon immer fasziniert, aber Dante war in diesem Beuteschema eine ganz andere Kategorie. Wunderschön und gefährlich.

»Ist das nicht die kleine …« Die hohe Stimme der Frau unterbrach den spannungsgeladenen Moment und ich blinzelte ein paarmal, als ich aus meinem Delirium erwachte. Verdammt! Was ist nur mit mir los? Dante Hawk war ein verdammter Mörder! Völlig egal wie faszinierend seine Augen auch sein mochten!

»Ja, das ist sie.« Auch Dante wirkte ein wenig desorientiert. Kurz nachdem er geantwortet hatte, brachte ihn etwas dazu, seine zuvor leicht geöffneten Lippen fest zusammenzupressen, seine Hände in die Taschen seiner Jeans zu stecken und sich von mir abzuwenden, um schließlich in den Wagen zu steigen.

»Will sie auch zur Party? Wir könnten sie …«

Dante sah mich aus dem heruntergelassenen Fenster an. Die Sonne war bereits irgendwo hinter dem Horizont verschwunden und nun bedeckte ein dunkler Schatten sein Gesicht, was seine Augen noch kälter wirken ließ. Kurz schien er über das Angebot nachzudenken, aber als ich genervt von dieser albernen Show abweisend seufzte, traf er seine Entscheidung. »Nein, sie kommt schon allein zurecht. Fahr los! Ich brauch was zu trinken.«

Kapitel 4

Nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit auf den Abschleppdienst gewartet hatte, war ich endlich auf dem Weg zu Jenny. Dante hatte recht gehabt. Der Zylinderkopf war kaputt und der Mechaniker meinte, sie seien zurzeit so überlastet, dass ich mit einer Reparaturdauer von mindestens einer Woche rechnen müsste. Sie hatten den Wagen mitgenommen und mir war nichts anderes übrig geblieben, als mit einem Taxi zu Jenny zu fahren. Mir grauste allein bei der Vorstellung, dass ich in den nächsten Tagen öfter auf diese Art der Fortbewegung angewiesen war.

Während der Fahrt dachte ich an die Begegnung mit Dante. Sein Blick, als er mich in dem Kleid gesehen hatte, war Gold wert gewesen. Zudem ging mir nicht aus dem Kopf, wie verletzt er gewirkt hatte, als ich ihn nicht an mein Auto lassen wollte. Die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme hatte mich für einen Moment verunsichert. »Das würde ich dir niemals antun!« Als wäre ihm bereits der bloße Gedanke daran zuwider. Und dann der komische Moment zwischen uns, als diese Schwarzhaarige da war. Ich war erwachsen genug, um mir einzugestehen, dass Dante widersprüchliche Gefühle in mir weckte, die ich überhaupt nicht guthieß. Aber das war nicht weiter verwunderlich, wenn ich daran dachte, dass ich noch vor einem halben Jahr bis über beide Ohren in ihn verschossen gewesen war. Und wenn er Andrew nicht umgebracht hätte, wer wusste schon, was dann noch passiert wäre. Bei dem Gedanken schüttelte es mich. Nein, in diese Richtung wollte ich nicht denken. Stattdessen klammerte ich mich an meine Wut und ignorierte dieses Kribbeln, das Dantes bloße Anwesenheit in mir auslöste. Im Augenblick war ich mir jedoch nicht sicher, ob es wirklich ausschließlich ein Zeichen meines Zornes war.

Nach ungefähr zwanzig Minuten hielt das Taxi vor der Mason-Einfahrt. Ich vernahm laute Musik, leere Plastikbecher, die überall verstreut lagen, und angetrunkene Gäste.

Nachdem ich ausgestiegen war und den Fahrer bezahlt hatte, blieb ich für einen Moment auf dem Bürgersteig stehen und sortierte meine Gedanken. Mit einem Mal kam mir meine Entscheidung, auf diese Party zu gehen, dumm vor, ja geradezu naiv! Mit Dante zu streiten war eine Sache, aber Van war eine ganz andere Hausnummer. Außerdem wollte ich Jenny nicht die Feier verderben, indem ich mich mit ihrem Bruder anlegte. Aber dann fiel mir ein, wie nervös meine Freundin wegen des heutigen Abends gewesen war. Und wenn ich an den Grund dachte, drehte sich mir der Magen um.

Seufzend steuerte ich den Hauseingang an. Ich wusste, dass ich keine Wahl hatte. Also wozu das Unausweichliche weiter hinauszögern? Als ich ins Innere des Hauses kam, wurde ich von einer Schar angetrunkener Ex-Mitschüler begrüßt. Einige von ihnen kannte ich flüchtig, doch die meisten waren mir fremd. Trotzdem begrüßten sie mich, als wäre ich ihre beste Freundin oder eine verloren geglaubte Schwester.

Mit einem gezwungenen Lächeln und dem ein oder anderen oberflächlich hingeworfenen »Hi!« oder »Schön dich zu sehen!« kämpfte ich mir einen Weg durch den Flur, vorbei an knutschenden Paaren, die kaum ihre Finger bei sich behalten konnten, und blickte mich suchend um. Von meinem aktuellen Standort zweigte links das große Wohn- und Esszimmer ab, in dem sich unzählige Leute aufhielten. Trotzdem konnte ich mit einem Blick erkennen, dass sich weder Jenny oder Van noch Dante darin aufhielten.

Ich ließ die Schultern hängen. Wo steckten sie? Waren sie etwa bereits …

Nein, so schnell würde das nicht gehen, oder? Allein bei dem Gedanken durchfuhr mich ein unangenehmer Schauer. Zur Not würde ich in der Küche beginnend das ganze Haus auf den Kopf stellen! Schließlich versammelte sich auf jeder Party in diesem Raum irgendwann der harte Kern. Und fast immer war Jenny mit von der Partie. Auch wenn es dafür noch viel zu früh war, wollte ich dennoch einen Blick in die Küche werfen. Vielleicht kümmerte sich Jenny gerade um die Getränke.

Der Weg dorthin war trotz der Größe des Hauses nicht weit, aber ich brauchte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich den Raum erreichte. Immer wieder stellten sich mir Leute in den Weg, drückten mir Plastikbecher mit unbekanntem Inhalt, Zigaretten oder andere fragwürdige Dinge in die Hand, die ich niemals freiwillig anrühren würde, und erschwerten mir so das Vorankommen.

Irgendwann hatte ich es geschafft, mir einen Weg durch die Masse zu bahnen, doch als ich die Küche erreicht hatte und hineinsah, wäre ich beinahe wieder rückwärts wieder hinausgetaumelt. Obwohl in dem geräumigen Raum nur eine Handvoll Leute standen, kam mir das Zimmer winzig und gnadenlos überfüllt vor.

Jenny, Dante, Van, die Schwarzhaarige, die Dante abgeholt hatte, und ein Kerl mit naturroten Haaren, grünem Comic-T-Shirt und Hipsterbrille, den ich zuvor noch nie gesehen hatte, standen locker beieinander und unterhielten sich ausgelassen. Dennoch verströmte die kleine Gruppe etwas Abweisendes und Intimes. Als würden sie nicht gestört werden wollen.

Ohne dass ich es beabsichtigte, nahm ich die vielen feinen Details wahr. Die fünf standen in einer Art Halbkreis. Ganz links der Rothaarige, der sich angeregt mit Jenny unterhielt, während diese dicht neben Dante stand. Auch wenn sie sich nicht ansahen, bemerkte ich eine deutliche Verbindung zwischen den beiden. An Dantes anderer Seite klebte die Schwarzhaarige in einem dunkelgrauen Stretchkleid, das ihre Rundungen perfekt betonte. Ihr Make-up war auffällig und ihr Lippenstift eine Spur zu rot. Sie hatte einen Arm um Dantes Hüfte geschlungen und ihren Kopf auf seine Schulter gelegt, während sie Van zuhörte, der gerade einen Monolog hielt. Bei jedem Atemzug streifte sie Dantes Arm, während sich ihre Brust hob. Das Verhalten dieser Frau war so billig, dass mir schlecht wurde. Aber natürlich stand Dante auf diese Art von Frauen.

Unwillkürlich fragte ich mich, wie ich jemals hatte denken können bei diesem Arsch eine Chance zu haben. Niemals würde ich mich auch nur annähernd so benehmen oder in einem solchen Look auf die Straße gehen. Klasse sah definitiv anders aus.

Vor Dante stand Van. Auch wenn er sich sehr verändert hatte, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, erkannte ich ihn sofort. Er sprühte immer noch diese unterschwellige Macht und Autorität aus. Aber auch Gewaltbereitschaft und Temperament. Was laut Andrews Erzählungen aus der Vergangenheit selten eine gute Mischung war.

Van hatte schon immer sehr kurzes braunes Haar gehabt, doch das hatte er sich jetzt zur Glatze rasiert. Auf seinen Hinterkopf war ein Symbol tätowiert, das ich nicht kannte, das mir aber bekannt vorkam. Als Nächstes bemerkte ich seine Statur. Er war noch weitergewachsen, denn er überragte selbst Dante um einen halben Kopf, und sein Rücken war breiter geworden. Mit dem weißen T-Shirt, das sich über seine Brust spannte, und dem starren, einschüchternden Blick, den er mir jetzt zuwarf, erinnerte er mich an Vin Diesel aus diesen Autofilmen, die Andrew immer so gerne gesehen hatte.

»Amy! Da bist du ja endlich!« Als Jenny mich entdeckte und laut quietschte, als wäre sie eine schlecht geölte Zimmertür, blickten auf einmal alle Anwesenden zu mir. Meine Freundin überwand die kurze Distanz, indem sie mit wackeligen Schritten auf mich zutaumelte. Mit ihren hellbraunen Korkenzieherlocken, den bambibraunen Augen und dem neuen dunkelbraunen Wildlederrock sowie dem dazu passenden cremefarbenen Top sah sie sexy aus. Doch ihr angetrunkener Blick, der sie ein wenig schielen ließ, und ihre Unsicherheit auf den High Heels vermasselten diesen Eindruck gleich wieder. Hat sie schon so viel getrunken?

Wieder einmal fiel mir auf, wie unterschiedlich Andrew und Van als Brüder waren. Van verbot Jenny nie etwas. Sie durfte sich treffen, mit wem sie wollte, konnte trinken, wie es ihr Spaß machte, und es war auch kein Problem, wenn sie lange wegblieb. Andrew hingegen …

»Wo warst du denn?« Jenny sprach mitten in meine Gedanken hinein und erinnerte mich daran, wo ich war und wie gerne ich wieder wegwollte.

Ich zwang mich zu einem neutralen Lächeln, als ich Jenny mit einem kurzen Kuss auf die Wange begrüßte. Doch gleich danach sah ich wieder zu Van, dessen Blick sich förmlich in mich hineinbohrte. »Tut mir leid, ich hatte Probleme mit dem Auto.« Auch wenn ich es nie zugegeben hätte, hatte ich schon immer Angst vor Jennys älterem Bruder gehabt. Mit einem einzigen Blick entfachte Van in mir den Wunsch, mich wie ein kleines Mädchen in seinem Zimmer verstecken zu wollen. Was habe ich mir nur dabei gedacht, heute herzukommen? Mein Plan, Van und Dante mit Andrews Tod zu konfrontieren, war mehr als saudämlich!