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Der Mord an Annan Thanom, Direktor des Memorial Hospitals in Bangkok, verändert das Leben seiner Tochter Saomai radikal. Sie wird Zeugin des Anschlags und muss hinnehmen, dass der Auftraggeber, der thailändische Immobilienhai Lamom Benjawan, von Polizei und Justiz verschont wird. In dem Versuch, selbst für Gerechtigkeit zu sorgen, gibt sich die attraktive Ärztin als Masseuse aus. Sie dient sich dem Baulöwen Neill Fergusson an, einem Partner Lamoms. Zwischen Neill und Saomai entfacht eine unerwartet heiße Affäre, die sie unvorsichtig werden lässt. Als Saomai Lamom Benjawan schließlich begegnet, wird ihr das zum Verhängnis!
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Seitenzahl: 442
Veröffentlichungsjahr: 2016
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SAOMAI
Erotikthriller
Das Knarren der schweren Eingangstür ließ Annan Thanom aufatmen. Wie immer, wenn seine Tochter von ihrem Spätdienst im Krankenhaus heimkam, hatte er besorgt ihre Rückkehr erwartet. Ein leises Schleifen über Steinfliesen ließ ihn noch einmal in Richtung Flur horchen. Wieso ging sie denn in den Keller? Ihr erster Weg führte normalerweise in die Wohnstube, wo sie Annan meist lesend auf der Couch vorfand. Jetzt ächzte die Tür zum Vorratsraum. Die Geräusche im Haus verwunderten ihn. Zumal eines fehlte: das Klackern ihrer Absätze. Seine Tochter liebte hohe Schuhe und zog sie nicht einmal im Haus aus. Heute jedoch schlich sie umher, als sollte er sie nicht hören.
Über die Schulter rief er ihren Namen. Keine Antwort. Wahrscheinlich hatte sie diese Knöpfe im Ohr, aus denen pausenlos Musik tönte. Annan seufzte und nahm den ziegeldicken Medizinschmöker zur Hand, den er eben beiseite gelegt hatte. Er hob das Buch auf seinen Schoß und schlug es im hinteren Drittel auf. Ungeduldig blätterte er zurück. Ein Zettel ragte lose zwischen den Buchseiten hervor. Mit spitzen Fingern zog er daran und betrachtete ihn voller Unbehagen. Drei Worte waren mit flüchtiger Hand auf das Papier geworfen. Für Annan Thanom bedeuteten sie sein Leben.
Zum wohl zwanzigsten Mal an diesem Abend verglich er die kantigen Buchstaben mit der Unterschrift eines Schriftstücks, das neben ihm auf dem Sofa lag. Ein dunkler Schatten glitt über sein gutmütiges Gesicht.
Erst der sonore Gong einer antiken Pendeluhr riss ihn aus seinen Grübeleien. Halb zwölf schon! Annan ließ das Buch zuklappen. Wo sie nur blieb? Sie hatte ihm noch immer nicht ‚Guten Abend‘ gesagt.
Ein Scheppern im Flur ließ ihn zusammenfahren. War sie etwa gegen die große Bodenvase gestoßen? Die stand ja nun schon ewig da!
Er stutzte, als er mit einem Mal begriff: Da draußen im Flur, das war nicht seine Tochter! Sein Kopf ruckte hoch, seine Sinnesorgane spannten ihre Membranen und jedes einzelne Härchen seines Körpers meldete wie ein Seismograph Gefahr.
Annan lauschte. Doch über dem Rauschen in seinen Ohren vernahm er kein weiteres Geräusch. Hastig legte er Brief und Zettel in das Buch zurück und bedeckte es unter einem Sofakissen. Er blickte sich im Zimmer um, als betrachte er es zum letzten Mal. Dann stemmte er sich aus dem tiefen Ledersofa hoch, bereit sich dem zu stellen, was ihn erwartete. Ein Luftzug streifte Annans Rücken.
Im selben Augenblick schoss ihm ein Brennen in die Seite, als würde ihm kochendes Wasser injiziert. Er jaulte auf und presste eine Hand auf die schmerzende Stelle in seinem Rücken. Sie fühlte sich warm und feucht an und seltsam klebrig. Seine Chirurgenhände ertasteten ein Loch, wo unversehrtes Fleisch hätte sein sollen. Wie durch Watte vernahm er ein Pfeifen, das er zunächst nicht deuten konnte. Doch zusammen mit der Wunde in seinem Rücken machte es Sinn.Er war angeschossen worden!
Zitternd griff Annan nach der Sofalehne, stützte sich keuchend darauf, während sein Verstand fieberhaft nach einem Ausweg suchte. Zu seinen Füßen breitete sich eine glänzende Lache aus und ihm dämmerte mit eisigem Entsetzen, dass es Blut war. Sein Blut.
Die Götter stehen mir bei, betete er.
Ein zweiter Schlag katapultierte ihn nach vorn und ließ ihn wie einen gefällten Baum in den hölzernen Couchtisch krachen. Das Brennen weitete sich auf seine Brust aus, das seltsame Pfeifen gellte zum zweiten Mal in seinen Ohren. Bevor ihn tiefschwarze Finsternis umfing, galt Annan Thanoms letzter Gedanke seiner Tochter. Saomai.
****
Ein Dutzend Männerköpfe flog hoch, als sie aus dem kuppelförmigen Eingangsportal der „Sky Bar“ ins Freie trat. Die darunter liegende Terrasse war zum Bersten voll mit gestylten Menschen. Saomai verharrte kurz, um in der Menge nach dem einen bekannten Gesicht zu suchen. Die Herren musterten sie wie Freiwild und sie bereute, das knappe Etuikleid gewählt zu haben. Von da unten konnten sie ihr vermutlich bis aufs Höschen sehen. In der Ferne hob sich eine kleine Damenhand. Strassbesetzte Armreifen sprühten Funken, ein wilder Rotschopf reckte sich in die Höhe. Chandra. Saomai rüstete sich für den Abstieg auf der zum Catwalk erleuchteten Freitreppe. Unsicher setzte sie einen Fuß vor den anderen. Die Finger ihrer linken Hand tasteten nach einem Handlauf, fanden jedoch nur raues Mauerwerk. In leiser Verzweiflung hob sie den Blick. Und verstand, warum Chandra diese Bar gewählt hatte! Es war, als spielten einem hier oben, dreiundsechzig Stockwerke über dem nächtlichen Bangkok, die Sinne einen Streich. Als schritte man auf einem Lichtstrahl hinunter auf die Stadt. Nur dass Saomai nicht das Gefühl hatte, zu schreiten. Ihr vernarbter Fuß schmerzte in dem viel zu hohen Pump und sie spürte, wie sich die Blicke der Männer darauf hefteten. Schon wandten sich einige der Herren ab. Es interessierte sie nicht.
Unten angekommen, kämpfte sich Saomai durch die Cocktails schlürfende Menge, die träge zu den Rhythmen schwerer Club Beats wogte. Endlich erreichte sie ihre Freundin und ließ sich ihr gegenüber in einen Loungesessel fallen.
„Hallo meine Liebe.“
„Hallo“, antwortete Saomai schwach.
Ihr Tisch lag an der äußersten Ecke der Dachterrasse, flankiert von einem gläsernen Geländer, dahinter der Abgrund. In diesem Teil der Bar war es ruhiger, die Musik drang gedämpft herüber. Chandras kreisrundes Thaigesicht mit den stoppelkurzen Haaren tanzte vor Saomai wie ein roter Vollmond über nachtdunklem Meer.
Muss an den Schmerztabletten liegen, dachte sie und schloss die Augen.
„Dir geht es nicht gut, was?“
Chandra klang besorgt.
„Doch, doch, es geht schon“, wehrte Saomai ab. „Es ist nur das erste Mal, dass ich ausgehe, seit…“
Sie ließ den Satz unvollendet.
Die beiden Frauen schwiegen betreten.
Schließlich räusperte sich Chandra und sagte: „Saomai, wir haben uns seit dem schrecklichen Tod deines Vaters nicht mehr gesehen. Es gibt keine Worte, die ausdrücken könnten, wie leid mir das tut!“
„Danke. Ist schon in Ordnung.“
„Nein, das ist es nicht. Lass uns nicht so tun, als könnten wir das heute Abend ausgrenzen“, insistierte sie.
„Ja, du hast vermutlich Recht.“
„Warum hast du nie zurückgerufen?“ fragte ihre Freundin eindringlich. „Ich wollte dir damals doch helfen.“
„Ich weiß“, antwortete Saomai leise. Die schmalen Schultern hoben und senkten sich. „Es ist nur so, dass mir niemand helfen konnte.“
„Das glaube ich nicht! Zumindest braucht man doch jemanden zum Reden, jemanden, der sich um einen kümmert. Du warst plötzlich ganz allein, hast keine Familie mehr. Ich wäre gern für dich da gewesen!“
Saomai sah zu Boden.
„Ja, jemand zum Reden tut schon gut.“ Gerade war es ihr aufgefallen.
„Dann lass uns jetzt reden“, sagte Chandra sanft. „Willst du mir erzählen, was damals passiert ist?“
Saomai seufzte. Sie hatte die Geschichte so oft erzählt. Der Polizei, dem Staatsanwalt, sogar der Presse. Damals, vor fast einem Jahr. Es hatte nichts genützt.
Ein Kellner nahm ihre Bestellung auf. Als er sich abwandte, legte Saomai die Stirn in Falten.
„Es war ein Dienstag“, begann sie zaghaft. „Ich hatte Spätschicht auf meiner Station und eigentlich längst Feierabend. Aber weil mich daheim um die Zeit nichts Besonderes erwartete, sah ich noch bei einem frisch operierten Patienten vorbei. Ich duschte im Krankenhaus, dann erst ging ich heim.“
Sie starrte in die Flamme der Kerze auf dem Tisch vor sich und hatte Mühe, weiter zu sprechen. Als sie es tat, war ihre Stimme brüchig.
„Ich habe mir richtig Zeit gelassen, verstehst du? Wäre ich eine halbe Stunde früher zu Hause gewesen, wäre mein Vater vielleicht noch am Leben!“
Chandra hatte ihre Hand genommen, streichelte mit dem Daumen darüber.
„Als ich fast da war, sah ich zwei Männer aus unserem Haus kommen. Dunkle Kleidung, den Blick gesenkt, als ob sie niemand erkennen sollte. Der hintere steckte sich irgendetwas in den Hosenbund. Erst später habe ich begriffen, dass es eine Pistole war. Die Situation kam mir so unheimlich vor, dass ich blind vor Sorge loslief. Im selben Augenblick sprangen sie in ein Auto. So ein schwerer Geländewagen. Der Motor muss die ganze Zeit gelaufen sein, sonst hätten sie nicht so schnell losfahren können“, sie schluckte schwer, „und ich wäre nicht in das Auto gerannt.“
Bei der Erinnerung an den Aufprall fröstelte sie trotz der tropischen Nachthitze. Die feine Narbe über ihrem linken Auge zuckte.
„Mein rechter Fuß kam unter den Reifen und mit dem Gesicht schlug ich gegen die Fahrertür.“
Chandra sah sie entsetzt an.
„Und dann?“, fragte sie behutsam, weil sie spürte, dass Saomai die Geschichte trotz aller Qual zu Ende erzählen musste.
Der Kellner brachte ihre Getränke. Saomai nahm einen Schluck Martini, bevor sie weitersprach.
„Ich war wohl bewusstlos. Jedenfalls standen Menschen um mich herum, als ich zu mir kam. Ich zeigte auf unser Haus und rief: „Mein Vater! Mein Vater!“, aber die Leute verstanden nicht, was ich meinte. Sie dachten wohl, ich hätte einen Schock. Ich wollte aufstehen, aber mein Fuß... Die Schmerzen habe ich gar nicht gespürt. Ich konnte nur einfach nicht stehen. Eine Frau hielt mich schließlich am Boden fest und sagte, der Krankenwagen sei unterwegs. Erst als meine Kollegen eintrafen, hat mir endlich jemand zugehört.“
„Oh Gott, wie furchtbar!“, rief Chandra voller Mitgefühl.
„Ja, zumal das wichtige Minuten waren.“
Saomais Stimme verebbte zu einem Flüstern. „Mein Vater ist nicht an den Schüssen in seinen Rücken gestorben. Er ist daran verblutet!“
Tränen rannen über ihr schönes Gesicht. Auch Chandra konnte ihre nicht zurückhalten. Schweigend saßen sie da und hielten einander an den Händen.
„Ist“, Chandra korrigierte sich, „sind die Täter gefasst worden?
„Nein.“
„Hast du die Männer denn nicht beschreiben können? Es gab doch bestimmt Verdächtige, eine Gegenüberstellung?“
„Ich hab‘ der Polizei sehr konkrete Hinweise gegeben“, sagte Saomai und ihre schwarzen Augen blitzten, „sie haben sie ignoriert.“
„Wieso ignoriert?“ Chandra konnte nicht glauben, was sie da hörte.
„Mein Vater hatte Morddrohungen erhalten und es war klar, von wem die kamen. Ein Immobilienhai, der sich schon das halbe Altstadtviertel unter den Nagel gerissen hatte, und dem nur noch das Krankenhaus fehlte, setzte uns zu.“
Chandra sah sie fragend an.
„Mein Pa war Direktor des Memorial Hospitals, in dem ich die Kinderstation leite. Die städtische Verwaltung gab viel auf seine Meinung. Er sprach sich gegen den Verkauf, und damit den Abriss des Krankenhauses aus, und sie folgten seinem Rat.“
„Wie mutig von deinem Vater. Ich meine, eine Morddrohung ignoriert man ja nicht einfach!“
„Wir waren natürlich besorgt deshalb. Trotzdem waren wir uns einig, nicht nachzugeben. Du kennst das Viertel – es ist noch so ursprünglich. Das darf nicht einfach platt gemacht werden! In unsere Klinik kommen viele Arme, die woanders nicht behandelt werden. Daraus wollen die eine Wellness-Farm machen!“
Saomai hatte sich in Rage geredet. Etwas ruhiger fuhr sie fort: „Das ganze Bauprojekt hing wohl an dem Krankenhaus. Und damit am Widerstand meines Vaters.“
Chandra sah sie eindringlich an. „Wenn es diese Drohungen gab, ist die Polizei denen doch bestimmt nachgegangen?“
Saomai wurde starr und drückte den Rücken durch.
„Lass uns von etwas anderem sprechen, o.k.?“
„Ja“, antwortete Chandra überrascht, „natürlich.“
„Erzähl mir von deinem Massage-Salon“, bat Saomai. „Wie läuft das Geschäft?“
Ihre Studienfreundin hatte sich vor eineinhalb Jahren aus der Medizin verabschiedet, um endlich Geld zu verdienen, wie sie spaßeshalber sagte.
„Sehr gut“, begann Chandra zögernd. Dann ließ sie sich auf den Themenwechsel ein. „Die Miete ist zwar horrend, aber das ist nun mal so im Business District. Dafür gibt es dort ein zahlungswilliges Klientel.“
Sie rieb Zeigefinger und Daumen der rechten Hand aneinander und grinste.
„Seit der Eröffnung vom ‚Delight Massage Club‘ habe ich 20 neue Thai-Masseurinnen eingestellt und schon dreimal neue Räume hinzugemietet.“
„Dann musst du gar nicht mehr selbst ran?“, fragte Saomai lachend.
Sie hatte ihre Freundin anfangs damit geneckt, dass Männer in einem Club mit diesem Namen wohl mehr erwarteten, als ‚nur‘ eine Massage.
„Nein“, Chandra lachte ebenfalls, „ich manage nur noch. Und was das angeht, gibt es eine klare Regel bei uns: no happy ending!“
„Das ist gut“, gab Saomai zurück. Sie behandelte fast täglich Thaimädchen und -jungen, oft noch Kinder, die von Freiern missbraucht wurden, und war froh zu hören, dass Chandra so etwas nicht duldete.
„Ich habe übrigens ziemlich prominentes Publikum“, erklärte ihre Freundin stolz.
„Echt? Erzähl!“
„Den Innenminister zum Beispiel und ein paar Abkömmlinge der Königsfamilie.“
„Wow!“ Saomai war ehrlich beeindruckt. Sie überlegte kurz. „Deine Klientel tummelt sich bestimmt auch in Nobelclubs wie diesem, oder?“
Chandra sah sich suchend auf der Dachterrasse um und nickte.
„Siehst du da hinten das indische Paar?“ Sie deutete mit dem Kinn nach links. „Er ist Schauspieler und in Indien eine Berühmtheit. Kommt fast jede Woche zur Massage.“
Saomai reckte den Hals.
„Oder die zwei Männer an dem Tisch vor der Bar.“
Chandra zeigte in die entgegengesetzte Richtung.
„Der Linke, das ist Neill Ferguson, stinkreich. Ihm gehört das Penthouse über meinem Club. Hat jeden Dienstag und Donnerstag einen festen Termin.“
Saomai hatte aufgehorcht, als der Name fiel. Neill Ferguson war der größte Baulöwe der Stadt. Und, wie sie aus der Presse wusste, ein Geschäftspartner des Mannes, den sie für den Mörder ihres Vaters hielt. Sie machte Ferguson an einem der Tische vor der illuminierten Bar aus. Neugierig musterte Saomai ihn. Das kantige Kinn ließ auf Amerikaner tippen. Dabei war er Norweger, wie sie gelesen hatte. Sein Haar trug er leicht nach hinten gegelt. Wohl um die Locken zu bändigen, die ihm dennoch zurück in die Stirn fielen. Besonders auffallend waren seine breiten Schultern. Vielleicht war er Schwimmer. Oder Rugby-Spieler? Er wirkte zurückhaltend, sprach ohne übertriebene Geste mit seinem Gegenüber. Mehr konnte Saomai von ihrem Platz aus nicht erkennen. Es war merkwürdig, Ferguson in natura zu sehen. Saomai hatte in den letzten Monaten jeden Zeitungsbericht über ihn und seinen Partner verschlungen, ausgeschnitten, abgeheftet.
Die Erinnerung an die Geschehnisse vor einem Jahr krampfte ihr den Magen zusammen. Sie schlang fröstelnd die Arme um ihren Körper.
„Saomai, ist alles in Ordnung?“
„Ja, geht schon“, wehrte sie ab.
Dann kam ihr ein Gedanke, der sie kerzengerade werden ließ.
****
„Chandra? Hi, hier ist Saomai.“
„Hallo meine Liebe. Schön, dass du anrufst! Bist du gut nach Haus gekommen?“
„Ja, danke. Alles bestens“, log Saomai.
Tatsächlich fühlte sie sich elend. Sie hatte den Cocktail aus Martinis und Schmerztabletten nicht vertragen und sich zweimal übergeben. Als Ärztin hätte sie es besser wissen müssen! Die schlaflose Nacht hatte aber auch ein Gutes gehabt.
„… so schön, dich zu sehen. Das machen wir ganz bald wieder“ flötete ihre Freundin ins Telefon.
Saomai hörte kaum hin. Ihr Herz pochte bei dem Gedanken daran, was sie Chandra fragen wollte.
„Weißt du was, gerade habe ich mir eine Tasche gekauft, die ich neulich schon in der Hand…“
„Kann ich dich etwas fragen, Chandra?“, unterbrach Saomai den Wortschwall ihrer Freundin.
„Äh, ja. Was denn?“
„Kannst du mich mit Neill Ferguson bekannt machen?“
Saomai hatte die Frage herausgepresst. Jetzt hörte sie, wie Chandra am anderen Ende der Leitung die Luft einsog. Sie selbst wagte keinen weiteren Atemzug.
„Warum?“, fragte Chandra.
„Er hat mir gefallen. Er ist gutaussehend, vermögend,…“
„Blödsinn!“, widersprach ihre Freundin heftig.
„Hm?“
„Das ist Blödsinn, sagte ich. Dich interessiert doch nicht sein Portemonnaie! Dich interessiert Lamom Benjawan, stimmt’s?“
Damit hatte Saomai nicht gerechnet.
„Wie kommst du denn darauf?“
„Saomai, verkauf mich nicht für dumm!“ Chandra klang jetzt ungehalten. „Gestern Abend fragst du mich ganz nebenbei nach diesem Lamom und heute willst du Neill Ferguson kennenlernen, der zufällig dessen Partner ist?“
Das Wort ‚zufällig‘ betonte sie voller Ironie.
„Woher weißt du das?“
„Ich habe ihn gegoogelt, ganz einfach!“
Das kam unerwartet. Offensichtlich konnte sie ihrer Freundin nichts vormachen. Gut, dann eben nicht. Dann würde sie die Wahrheit sagen und hoffen, dass Chandra ihr trotzdem half.
„Du hast recht“, sagte sie reumütig. Dann wurde ihre Stimme fest. „Und du musst das verstehen! Ich habe alles versucht, um zu beweisen, dass dieser Dreckskerl meinen Vater umgebracht hat. Aber er hat Freunde bei der Polizei, die ihn decken und gar nicht erst gegen ihn ermitteln. Seit Monaten frage ich mich, wie ich an ihn herankomme. Als du mir gestern Neill Ferguson gezeigt hast, war das wie ein Wink des Schicksals.“
„Spinnst du?“, fuhr Chandra aufgebracht dazwischen. „Wenn dieser Lamom tatsächlich deinen Vater ermordet hat, ist das lebensgefährlich!“
„Vielleicht“, gab Saomai matt zurück, „aber es ist die einzige Hoffnung, die ich habe.“
Chandra musste ihr einfach helfen! Sie appellierte an ihr Gewissen.
„Wenn es dein Vater wäre, würdest du das auch wagen, oder?“
Chandra stöhnte auf. Familienbande waren in Thailand heilig.
„Also gut“, gab sie schließlich nach. „Es gibt aber ein Problem.“
„Welches?“, fragte Saomai bange.
„Er ist zwar Kunde im Delight Club, aber wir gehen ja nicht zusammen aus, oder sowas. Wie soll ich euch also miteinander bekannt machen?“
„Ach“, sagte Saomai, „da hätte ich eine Idee!“
****
Saomai huschte in das Halbdunkel des Massageraums, schloss leise die Schiebetür hinter sich und lehnte mit dem Rücken gegen das kühle Tropenholz. Auf der Massagebank wartete ihr Kunde. Ihr einziger Kunde. Er war nackt.
„Namasté, Mr. Ferguson“, sagte sie und straffte die Schultern. Sie hatte den thailändischen Gruß verführerisch klingen lassen wollen. Heraus gekommen war ein heiseres Krächzen. Neill Ferguson hob den Kopf. Er scannte Saomai flüchtig, ließ die Stirn zurück auf das Laken sinken und brummte: „Du bist zu spät.“
„Zwei Minuten!“, protestierte sie, entrüstet darüber, dass ihm dies als Verspätung galt.
Fergusons Kopf ruckte erneut hoch. Dieses Mal musterte er sie ausführlicher, blieb länger als notwendig an ihrem Fußgelenk hängen und starrte ihr schließlich ins Gesicht.
„Zwei Minuten meiner Zeit solltest du dir nicht leisten.“
Sein überheblicher Ton ließ Saomais Nasenflügel erbeben. Unter Aufbietung aller Willenskraft hielt sie eine scharfe Erwiderung zurück.
Das läuft gar nicht gut, dachte sie alarmiert.
Das flaue Gefühl, das ihr seit Stunden den Magen zuzog, kroch höher und schnürte an ihrer Kehle. Saomai kämpfte den Impuls nieder, einfach zu gehen. Doch sie musste bleiben, musste einen guten Eindruck auf diesen Mann machen!
Reiß‘ dich zusammen, ermahnte sie sich und entgegen allem, was sie empfand, sagte sie unterwürfig: „Dann werde ich sofort beginnen, Mr. Ferguson.“
Ein Handy ertönte und sie zuckte zusammen.
Lass es nicht meins sein, dachte sie erschrocken, dann fliegst du noch in dieser Sekunde raus! Da hörte sie Ferguson in sein Mobiltelefon sprechen.
Unschlüssig, ob sie wie angekündigt mit der Massage beginnen sollte, stand Saomai im Raum.
„Was ist jetzt?“, ätzte er in ihre Richtung. „Fängst du endlich an, oder was?“
„Ja, natürlich. Entschuldigung“, stammelte sie und setzte sich in Bewegung. Sie nahm ein seidenes Tuch aus einem Sideboard und bedeckte den entblößten Hintern ihres Kunden. Dann ging sie zum unteren Ende der Massagebank und begann mit zittrigen Fingern, seine Waden zu massieren.
Das Telefonat schien sich plötzlich um sie zu drehen.
„Ach, ich habe schon wieder eine neue Thai. Die dritte in acht Wochen.“
Saomai konnte nicht verstehen, was der Gesprächspartner sagte, Fergusons Antwort jedoch war eine Frechheit.
„Nein, sicher nicht. Das ist so ein dürres Ding. Der fehlt so ziemlich alles, um gut zu sein. Wie die schon an meinen Waden rumfingert!“
Sie stoppte mitten in der Bewegung. Das Ganze war ein Fiasko! Dabei hatte sie es sich so einfach vorgestellt, Ferguson für sich zu gewinnen. Sie kannte ihre Wirkung auf Männer. Ein Lächeln, eine Massage, an die er sich noch lange erinnern würde, die unausgesprochene Aussicht auf mehr, hätten genügen sollen. Und nun gelangen ihr nicht einmal die einfachsten Handgriffe!
„Ich meld‘ mich nachher nochmal.“
Ferguson hatte aufgelegt. Mit einem Ruck drehte er sich um und richtete sich auf. Dass dabei das Tuch zu Boden glitt, schien ihn nicht zu stören. Im Gegenteil. Er blickte an sich hinunter, dann zu Saomai und fragte genervt: „Kannst du wenigstens gut blasen?“
****
Die Frage war heraus, bevor Neill darüber nachdenken konnte. Noch im selben Augenblick tat es ihm leid, zumal das Mädchen bis unter die Haarwurzeln errötete. Sie hob die Hände und machte zwei Schritte rückwärts, fort von ihm. Ein weiterer Schritt und sie stieß an die Wand hinter sich. Aus glühenden Mandelaugen blickte sie ihn an, während es hinter ihrer Stirn zu arbeiten schien. Offensichtlich war sie noch nie in einer solchen Situation gewesen. Aber war das nicht der Alltag einer Thaimasseurin in Bangkok, fragte er sich. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte er sogar: Sie wirkt gar nicht wie eine. Etwas in ihrem Blick, in der Haltung, die sie plötzlich angenommen hatte, ließ ihn zu dem Schluss kommen, dass sie es vielmehr gewohnt war, zu führen.
Ihr Gesichtsausdruck changierte. Eben noch peinlich berührt, legte sie jetzt die Stirn in Falten, als würde sie sein Angebot überdenken. Neill meinte, ein spöttisches Lächeln über ihre Lippen huschen zu sehen. Ein äußerst reizvolles Lächeln.
Doch schon im nächsten Moment wechselte ihr Ausdruck erneut. Eine steile Furche zwischen den Augenbrauen verzerrte ihr eigentlich hübsches Gesicht. Neill setzte gerade an, etwas zu sagen, als sie die nächste Wandlung durchmachte. Ein Ruck ging durch ihren Körper, sie reckte das Kinn vor und sagte: „Sie sollten sich schämen, Mister Ferguson. Dies ist ein ehrenwerter Club.“
Mit erhobenem Kopf schritt sie zur Tür. Von dort maß sie ihn mit einem letzten, geringschätzenden Blick. Dann war sie in Richtung der Aufzüge verschwunden.
In seinem Apartment blieb Neill vor den Panoramafenstern des Wohnzimmers stehen und blickte nachdenklich hinaus.
Was war da gerade passiert? fragte er sich. Er war an sich ein zurückhaltender Typ. Was also hatte ihn zu dieser unmöglichen Frage gegenüber seiner neuen Masseurin veranlasst?
Es hatte eine eigenartige Spannung in der Luft gelegen, von dem Moment an, als sie den Raum betreten hatte. Sie war hereingehuscht und hatte sich an die Tür gelehnt, als müsse sie sich gegen ihn wappnen. Ihr Blick hatte etwas Berechnendes gehabt, gleichzeitig war sie total verunsichert. Neill war sauer gewesen, wie stümperhaft die junge Frau ihn bedient hatte. Aber das rechtfertigte nicht, dass er sie so brüskierte! Ihre Antwort hatte ihm jedenfalls imponiert. Und überhaupt hatte diese Thai etwas in ihm angerührt. Er spürte wie es in seinen Lenden zu Pochen begann, als er sich die Situation noch einmal ins Gedächtnis rief. Ihre Augen, in denen eine gewisse Traurigkeit lag – und so viel Feuer! Und dann ihre seltsame Reaktion auf seine Frage! Einen Augenblick lang war Neill sicher gewesen, sie würde es tun. War es nur Stolz gewesen, der sie davon abgehalten hatte?
Chandra, die Clubchefin, hatte schließlich die Massage durchgeführt. Er kannte sie, seit es ihren Club gab.
„Was war da gerade los, Neill?“, hatte sie ohne Umschweife gefragt.
„Seit wann stellst du solche Anfängerinnen ein?“, hatte er anstelle einer Antwort entgegnet.
„Anfänger worin?“, fragte sie unverständig. „Saomai ist eine Meisterin der Thai-Massage! Und nicht nur darin.“
Neill wurde das Gefühl nicht los, dass Chandra ihm diese Saomai aufschwatzen wollte.
„Du solltest sie wiedersehen!“, hatte sie beim Hinausgehen gesagt, war stehengeblieben und hatte ihn mit ihrem Blick durchbohrt.
Vielleicht mache ich das, dachte er nun und lächelte.
****
Saomais Mobiltelefon vibrierte in der Tasche ihres Arztkittels, als sie gerade mit einem Kollegen die Behandlung einer Patientin besprach. Normalerweise nahm sie im Dienst keine privaten Anrufe entgegen, doch als im Display Chandras Name aufleuchtete, sah sie Dr. Nadee entschuldigend an und stellte sich einige Schritte abseits.
„Hallo Chandra“, sagte sie, erleichtert über den Anruf der Freundin.
Sie musste unbedingt mit ihr über den verpatzten Termin mit Neill Ferguson sprechen. Vielleicht konnten sie sich am Abend treffen.
„Hallo Saomai. Störe ich?“
„Nein, nein, es geht schon. Gut, dass du zurückrufst. Ich habe dich die ganzen Tage nicht erreicht und dachte, du bist sauer auf mich?“
„Ach, ich hatte mein Handy verlegt und heute fiel mir endlich ein, wo. Beim Shoppen, stell dir vor! Sowas Blödes!“, lachte Chandra. Dann kam sie auf Saomais Frage zurück. „Worüber sollte ich denn sauer sein, Liebes?“
„Na, weil ich mich bei Neill Ferguson so dämlich angestellt habe! Ich hoffe, ich habe ihn nicht verprellt? Er ist dein Stammkunde und ich habe mich total unprofessionell verhalten!“
Saomai war ganz außer sich. Der Frust über ihren verpfuschten Auftritt im Delight Club nagte seit Tagen an ihr. Das hatte sie gründlich versaut!
Noch eine Gelegenheit würde sich kaum bieten, Lamoms Partner kennenzulernen. Chandra konnte sie jedenfalls nicht noch einmal um Unterstützung bitten. Umso verblüffter war sie über deren Antwort.
„Deshalb rufe ich eigentlich an. Stell dir vor: Gerade habe ich meine Mailbox abgehört und da war eine Nachricht von Neill drauf.“
„Was denn für eine Nachricht?“, fragte Saomai mit klopfendem Herzen und umklammerte ihr Mobiltelefon mit beiden Händen.
„Er will dich sehen. Heute Abend. In seinem Penthouse.“
„Was sagst du da?“, rief Soamai laut und winkte entschuldigend, als sie Nadees alarmierten Blick bemerkte.
„Ja, kein Scherz! Er hat was von einem Missverständnis gesagt, und dass ich dich heute nach Dienstschluss zu ihm schicken soll.“
„Das ist ja“, flüsterte Saomai atemlos, „das ist großartig! Danke Chandra!“
Sie legte auf und starrte an die gegenüberliegende Wand. Neill Ferguson lud sie in sein Penthouse. Plötzlich wurden ihr die Beine weich.
Drei Stunden später kündigte ein leises Summen die Ankunft des Fahrstuhls in Neills Apartment an. Ein Blick in die Überwachungskamera verriet ihm, dass es die Thai war. Üblicherweise konnte er seine Besucher dabei beobachten, wie sie sich im Fahrstuhlspiegel herrichteten, manche bleckten die Zähne, andere – vor allem Frauen – kontrollierten ihr Make-Up. Die meisten wirkten nervös. Nicht so diese. Sie stand aufrecht in der Mitte des Aufzugs und blickte geradeaus auf die Tür. Zu seiner eigenen Verwunderung überprüfte nun Neill sein Aussehen in dem spiegelnden Monitor auf seinem Schreibtisch. Gut soweit, dachte er. Die braunen Locken waren einigermaßen unter Kontrolle. Krawatte und Sakko des Tages hatte er gegen ein lässiges Shirt und eine graue Stoffhose eingetauscht. Die nackten Füße steckten in wildledernen Mokassins. Er fühlte sich leicht erregt bei dem Gedanken daran, was der Abend mit sich bringen könnte.
Die Fahrstuhltür öffnete sich und Saomai betrat die Suite.
Sie ist keine Masseurin, schoss es Neill schon zum zweiten Mal durch den Kopf. Selbstsicher schritt sie auf ihn zu. Aus einem knallengen Ledermini ragten lange, schlanke Beine, die in geschnürten High-Heels endeten. Unter ihrem Massagekittel hätte Neill im Leben nicht so etwas erwartet und auch ihre Haare trug sie heute offen. Pechschwarz und seidenglänzend flossen sie über ihre linke Schulter nach vorn. Die ebenso schwarzen Augen blickten ihn herausfordernd an. Einen Augenblick lang war Neill unsicher, ob sein Plan aufgehen würde. Da lächelte ihr verführerisch rot gemalter Mund und er wusste, dass es noch viel besser kommen würde.
„Namasté, Mr. Ferguson“, sagte Saomai, legte die Handflächen vor der Brust aneinander und neigte leicht den Kopf. Ihre Stimme hatte einen angenehm dunklen Ton, nicht das Krächzen von neulich, das ihn so genervt hatte. Neill kannte die Facetten des thailändischen Grußes. Dieser verriet ihm, dass sie sich nicht unterlegen fühlte. Schade, dachte er, das wäre noch reizvoller.
„Namasté“, erwiderte er ihren Gruß auf dieselbe Weise.
Es funktioniert, dachte Saomai erleichtert. Er ist überrascht. Und was noch wichtiger war: Neill Ferguson war interessiert.
Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß. Doch anders als ein paar Tage zuvor tat er es nun mit offensichtlichem Genuss. Seine Augen erforschten ihr Gesicht, registrierten die durchscheinende Narbe über ihrer linken Braue und ihre vollen Lippen, blieben an ihrem schlanken Hals haften und wanderten von dort zum Ausschnitt ihres schwarzen Tops. Sein Blick glitt weiter die schmale Taille entlang und schließlich ihre Beine hinab bis zu den Fesseln. Einen Augenblick lang fühlte Saomai sich unbehaglich. Ihr kaputtes Fußgelenk konnte ihm bei dieser eingehenden Musterung kaum entgehen. Da halfen auch die Satinschnüre nicht, die sich ihre zierlichen Fesseln hinaufschlangen, um die Vernarbungen zu verdecken.
Doch Saomai ließ ihn gewähren. Auch sie musterte Neill neugierig. Aus der Zeitung kannte sie ihn nur im Anzug. Als er vor ihr im Massageraum gelegen hatte, war sie zu aufgeregt gewesen, um ihn sich genauer anzusehen. Nun war Zeit dafür. Das enge T-Shirt betonte die breiten Schultern, die ihr schon in der Sky Bar aufgefallen waren. Seine Taille war schmal wie die eines Schwimmers. Kein Bauchansatz, keine Hüftringe. Wenn dieser Körper hielt, was er angezogen versprach, hatte er trotz seiner 43 Jahre ein Sixpack! Sie schluckte trocken und setzte ihre Beobachtung fort. Ferguson war größer, als sie erwartet hatte. Das gefiel ihr, denn mit einem Meter fünfundsiebzig überragte Saomai die meisten Männer.
Die Begutachtung dauerte schon weit über eine Minute. Ferguson schien das Schweigen nicht zu stören und Saomai wollte nicht diejenige sein, die es brach. Zu gespannt war sie auf das, was er ihr zu sagen hatte.
Was er von ihr wollte!
Als Chandra ihr ausgerichtet hatte, dass er sie sehen wollte, hatte sich Saomai vor Überraschung setzen müssen. Nadee war herbeigeeilt und hatte sich über sie gebeugt. Dummerweise war in diesem Moment Direktor Wong auf der Kinderstation aufgetaucht. Er hatte die Situation völlig missverstanden.
„Dr. Saomai“, hatte er gezischt, „Sie können sich hier nicht so gehen lassen! Unsere Patienten erwarten Ärzte mit Disziplin und Würde.“
Saomai war erschrocken aufgesprungen.
„Sie sehen fürchterlich aus. Gehen Sie nach Hause!“
Sie konnte den feisten Chinesen nicht ausstehen. Von den Schlitzaugen bis zu den schmierigen Koteletten, die ihn wie eine asiatische Karikatur von Elvis-Presley aussehen ließen, wirkte alles an ihm korrupt. So korrupt, wie seine Amtseinführung. Im ganzen Ärztekolleg hatte niemand je von ihm gehört, bis er nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters als neu ernannter Krankenhausdirektor hereinspaziert war. Saomai wurde das Gefühl nicht los, dass Wong auf eine günstige Gelegenheit lauerte, sie, die Tochter des alten Direktors, loszuwerden. Heute jedenfalls hatte er sie wieder einmal abgestraft.
Doch sie hatte auf einen Einspruch verzichtet und auch Nadee mit einem mahnenden Blick davon abgehalten, Partei zu ergreifen. Zu dringend musste sie nachdenken und kam Wongs Aufforderung nur allzu gern nach. Sie fuhr zum Königspalast, einem beliebten Ausflugsziel für Touristen. In der renommierten Universität von Wat Pho hatte sie studiert. Sie kannte jeden Winkel der alten Gemäuer und entkam daher schnell den Touristenscharen. Hinter einer Gruppe goldener Chedis, glockenförmiger Bauten zur Verehrung Buddhas, bog sie nach rechts und gelangte in einen schmalen Gang zwischen zwei hohen Mauern. Nach wenigen Metern fand sie ein unscheinbares Holztor und schlüpfte hindurch. Vor ihr lag ein quadratischer Innenhof, üppig bewachsen und mit einem sanft plätschernden Teich in seiner Mitte. Saomai liebte diesen geheimen Garten inmitten des pulsierenden Bangkoks.
Sie hatte sich im Lotussitz auf eine alte Steinbank gekauert und zu dem Buddha am gegenüberliegenden Teichufer gesprochen.
In ihrem Kopf tobte ein Sturm. Was sollte sie jetzt tun? Ihr spontaner Plan, Fergusons Masseurin zu werden und so an Lamom Benjawan heranzukommen, war nach dem Frust der vergangenen Monate ein kleiner Hoffnungsschimmer gewesen. Doch das hatte nicht funktioniert. War vielleicht auch zu simpel gewesen.
Auf keinen Fall hatte sie in Erwägung gezogen, mit ihm zu schlafen. Oder ihm einen zu blasen! Und dann war es das Erste, was er von ihr verlangt hatte! Was fiel diesem Menschen überhaupt ein! Schon wieder kochte Wut in ihr hoch. Saomai ermahnte sich zur Vernunft. Denn wenn sie ehrlich war: was blieb ihr anderes übrig, als die Einladung in sein Penthouse anzunehmen?
Sie beendete ihr Zwiegespräch mit dem unbestimmten Gefühl, zu wissen, was sie erwartete. Es gab vermutlich nur einen Grund, warum Neill Ferguson sie zu sich bat, nur eines, wie sie ihn für sich interessieren konnte. Nun, wenn sie dadurch an Lamom Benjawan herankam, war sie bereit, es ihm zu geben.
Saomai dankte Buddha, indem sie ihm Yasminblüten in den Schoß legte. Sie fuhr in ihr Apartment, duschte und zog sich um.
Nun stand sie vor Neill Ferguson und wartete geduldig, was er ihr anzubieten hatte.
Darüber schien er noch nachzudenken.
„Wir hatten keinen so guten Start, nicht wahr?“, sagte er endlich.
„Nein“, gab sie zurück und hoffte, dass ihn der leise Vorwurf in ihrer Stimme nicht verärgerte.
„Dann schlage ich vor, dass wir noch einmal von vorn anfangen. Kommen Sie!“
Mit diesen Worten führte er Saomai aus dem opulenten Flur, der von einem modernen Kristalllüster überdacht wurde. Das angrenzende Zimmer, ein Salon in den Ausmaßen eines Tennisplatzes, wurde zur Hälfte von einer einladenden Sofagruppe eingenommen. Erdtöne gaben dem Raum eine Gemütlichkeit, die Saomai einem Geschäftsmann wie Ferguson nicht zugeschrieben hätte. Doch wirklich überwältigend war die bodentiefe Fensterfront, die einen Hundertachtzig-Grad-Blick über das abendliche Bangkok preisgab. Von hier oben blickte man auf ein Lichtermeer, das bis an den Horizont flutete.
Neill beobachtete Saomai. Er kannte die Wirkung dieses Ausblicks auf seine Besucher. Er war ja selbst jeden Tag aufs Neue davon fasziniert.
Sie ist sexy, dachte er, und seine Phantasie spielte ihm vor, wie sie sich vor der nächtlichen Kulisse auszog und für ihn tanzte. Der Gedanke erregte ihn unerwartet heftig. Rasch drehte er sich in Richtung der Bar, die an die Sofagruppe grenzte.
„Was denken Sie gerade, Mr. Ferguson?“
Saomai hatte sich vom Fenster abgewandt und blickte ihn an, als wüsste sie es nur zu genau. Neill ließ sich Zeit mit seiner Antwort. In aller Ruhe gab er Eiswürfel in einen silbernen Shaker, fügte eine klare Flüssigkeit hinzu und verrührte beides mit einem Barlöffel. Er nahm zwei Martinischalen, gab Oliven hinein und seihte die Drinks ab. Dann wandte er sich um und kehrte, in jeder Hand ein Glas, zu Saomai zurück.
„Was ist mit ihrem Fuß passiert?“, fragte er unverhofft.
Saomai zuckte zusammen. So direkt hatte das noch niemand gefragt.
„Darüber möchte ich nicht sprechen“, erwiderte sie eine Spur zu schroff.
Etwas versöhnlicher fragte sie deshalb: „Weshalb haben Sie mich hergebeten, Mr. Ferguson?“
Er lächelte.
„Ich möchte herausfinden, was Sie draufhaben, Saomai“, sagte Neill, während er ihr den Martini reichte. „Denn, wenn Sie so gut sind, wie Chandra behauptet“, er trat so nah an sie heran, dass sein Atem ihr Ohr streifte, „könnte ich mir vorstellen, Sie zu engagieren.“
Er lehnte den Oberkörper zurück und hob sein Glas.
Doch anstatt seinen Toast zu erwidern, fragte Saomai ungerührt: „Was genau verstehen Sie darunter?“
„Ich möchte, dass Sie meine ganz persönliche Masseurin werden. Dass Sie mir jeden Abend zur Verfügung stehen. Hier in meinem Apartment. Mit allem, was dazu gehört.“
Er hatte deutlich gemacht, was der Job inkludierte: sexuelle Verfügbarkeit.
Als wäre es ein vollkommen seriöses Angebot erwartete er ihre Reaktion.
Überraschung blitzte in Saomais Augen auf, gefolgt von einer Regung, die Neill nicht ganz deuten konnte. War das Triumph? Wenn ja, würde ihr sein nächster Vorschlag gefallen.
„Lassen Sie sich auf ein Experiment ein, bevor Sie zustimmen“, seine grau-blauen Augen drangen in sie, „oder ablehnen!“
Saomai drehte ihr Martiniglas in den Händen.
„Was für ein Experiment?“
Neill betrachtete sie noch einmal in aller Ruhe von Kopf bis Fuß.
Sie ist eine echte Schönheit, dachte er, verwundert darüber, dass es ihm nicht neulich schon aufgefallen war.
„Überlassen Sie sich heute Nacht mir. Wenn ihnen gefällt, was ich mit Ihnen mache, nehmen Sie mein Angebot an. Wenn nicht“, er hob entwaffnend die Hände, „werde ich mich großzügig bei Ihnen entschuldigen.“
„Ich bin keine…“, beeilte sich Saomai klarzustellen, ließ den Satz jedoch unvollendet.
Neill verstand auch so.
„Vollkommen klar“, antwortete er höflich. „Ich bezahle Sie gut. Als Masseurin. Was darüber hinausgeht, ist“, er suchte nach dem passenden Wort, „Privatsache.“
Konnte sie das?
Saomai dachte an die schmerzvollen Erfahrungen des letzten Jahres. Die Trauer um ihren Vater und die hilflose Wut, mit der sie hatte hinnehmen müssen, dass sich Polizei und Staatsanwaltschaft weigerten, einen Mord aufzuklären. Sie dachte an Lamom Benjawan, der einfach weitermachen konnte, weil sich ihm niemand in den Weg stellte.
Mit trotzigem Blick sah sie auf und Neill Ferguson direkt in die Augen. Er war ein attraktiver Mann und vielleicht ihre Chance auf Gerechtigkeit. Sollte er sich nehmen, was er von ihr wollte. Sie würde dasselbe tun.
Wie schon bei ihrer ersten Begegnung reckte Saomai das Kinn vor und straffte die Schultern. Sie lächelte spröde, doch ihre Stimme klang entschlossen, als sie sagte: „Also gut.“
„Trinken Sie Ihren Martini aus“, sagte Neill, als hätte er eine andere Antwort niemals in Betracht gezogen.
Saomai prostete ihm zu und leerte ihr Glas in einem Zug. Neill tat es ihr gleich, nahm beide Gläser und stellte sie achtlos auf die Sofakante. Im nächsten Moment hielt er einen schwarzen Seidenschal in der Hand.
„Dreh dich um“, befahl er mit rauer Stimme.
Saomai wandte sich zögernd der Glasfront zu, atmete tief durch und schloss die Augen. Ein Schaudern durchfuhr sie, als Neill von hinten an sie herantrat. Mit gekonnten Bewegungen verband er ihre Augen.
„Jetzt zieh dich aus!“, zischte er in ihr Ohr.
Er fasste ihre Schultern und drehte sie zu sich herum.
Auf was habe ich mich da eingelassen?
Saomais Gedanken fuhren Achterbahn. Sie spürte, dass sie Neill Ferguson vertrauen konnte; er würde ihr keinen Schaden zufügen. Aber noch nie hatte sie sich einem Mann hingegeben, den sie nicht kannte! Und jetzt würde sie hh
Sex mit einem Unbekannten haben, ohne zu wissen, ohne zu SEHEN, was er mit ihr tat! Sie fühlte sich ausgeliefert. Und zu ihrer Überraschung machte es sie an. Mit unsicheren Fingern ertastete sie den Verschluss ihres miedernen Oberteils. Dann ging alles ganz einfach. Sie zog an dem zierlichen Reißverschluss. Zentimeter um Zentimeter, wie in Zeitlupe, entblößte sie sich vor diesem Fremden. Sie spürte seine heißen Blicke auf ihrem Körper, hörte ihn die Luft einsaugen, als sie das Top genüsslich erst von der linken, dann von der rechten Schulter streifte.
Nicht so schnell, ermahnte sie sich und musste lächeln.
„Weiter!“, drängte Neills Reibeisenstimme.
Sie gab ihm, was er begehrte und gab ihren Busen frei, der von einem durchscheinenden BH gehalten wurde. Sie mochte ihre Brüste. Sie waren nicht zu üppig und hatten die volle, runde Wölbung knackiger Äpfel. Der BH, den sie gewählt hatte, ließ ihre Brustwarzen durchschimmern, klein und dunkel. Der erwartete Effekt blieb nicht aus. Neill seufzte. Saomai gewährte ihm einen wohl dosierten Moment, ihren Körper zu betrachten. Sie sah ihn vor sich, wie sein Blick über ihren Busen wanderte, wie er sich ausmalte, ihn in der Hand zu wiegen und an ihren Knospen zu lecken. Jetzt weidete er sich vermutlich an ihrem flachen Bauch und folgte der Linie ihrer schmalen Hüftknochen abwärts. Langsam drehte Saomai ihm den Rücken zu und öffnete den Reißverschluss ihres Rocks. Am Ansatz ihres Höschens hielt sie inne, strich sich mit beiden Händen über die Flanken und ließ den Po kreisen. Ihre Finger fanden zurück zu dem Verschluss und zogen ihn vollständig auf. Ihr Ledermini glitt zu Boden. Damit offenbarte sie Neill einen schwarzen String auf ihrer makellosen Haut. Sie war sich ihrer sexy Wirkung bewusst und genoss den Moment. Nur noch mit Unterwäsche und High-Heels bekleidet stieg sie über den am Boden liegenden Stoff. Aufreizend langsam beugte sich Saomai vornüber, streckte Neill ihren Hintern entgegen. Sie schüttelte ihre schwarze Mähne, warf den Kopf in den Nacken und bog den Rücken durch, als sie sich wieder aufrichtete. Sie fühlte sich schön, begehrenswert und fand Gefallen an dem Spiel, selbst nichts zu sehen und dabei von einem Mann angestarrt zu werden.
„Du hast einen tollen Körper!“, hörte sie Neill sagen.
Dass Saomai ihm das Kompliment mit einem Lächeln dankte, konnte er nicht sehen, da er hinter sie trat, um die Häkchen ihres BHs zu öffnen. Er streifte die Träger von ihren Schultern. Dabei ließ er seine Hände über ihre olivfarbene Haut gleiten, strich Saomais Hals hinunter zu ihrem Dekolleté. Seine Fingerspitzen zogen weite Kreise um ihren Busen. Allmählich ließ er sie enger werden. Ganz zart nur waren seine Berührungen und doch hinterließen sie eine brennend heiße Spur auf ihrer Haut. Nun war es Saomai, die seufzte. Ihr Busen streckte sich Neills Händen entgegen, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Doch die wanderten bereits weiter, umfassten ihre Taille und glitten abwärts zu ihrem String. In einer einzigen Bewegung zogen sie ihn einfach mit nach unten. Saomai hielt die Luft an in der Erwartung, dass er sie berühren würde. Nichts geschah. Stattdessen wich Neill zurück. Das Rascheln seiner Kleidung verriet Saomai, dass er sich auf ein bis zwei Meter entfernt hatte. Betrachtete er sie von dort?
Nur noch mit ihren Pumps bekleidet, fühlte sie Schamgefühl aufkommen. Was tat sie nur? Doch das Pulsieren in ihrem Unterleib sprach eine andere Sprache – ihr gefiel, was hier passierte. Dann war Neill wieder an ihrer Seite.
„Komm mit“, gab er Anweisung und führte sie durch den Salon, eine Hand an ihrem Ellenbogen, die andere nur Millimeter über ihrem Poansatz.
Saomai fühlte sich schwindelig. Sie konnte nicht sagen, ob sie noch im selben Raum waren, als er sie hieß anzuhalten. Ein Luftzug liebkoste ihre erhitzte Haut, gedämpft vernahm sie das Rumoren der nächtlichen Metropole. Waren sie auf einem Balkon?
„Leg dich auf den Bauch!“, kam der nächste Befehl.
Saomai tastete nach einem Möbelstück. Doch da war nichts.
„Wohin?“, fragte sie irritiert.
„Auf den Boden.“
Neills Stimme klang amüsiert. Wollte er sie tatsächlich auf einem harten Fußboden nehmen? Das war alles? Enttäuscht über diese Wendung gehorchte Saomai dennoch. Zögernd ging sie in die Hocke und ertastete den Untergrund. Steinplatten, kühl und glatt. Sehr glatt. Saomai fröstelte. Sie ließ sich nach vorn sinken, bis sie bäuchlings auf dem kalten Boden lag, die Stirn auf ihre Hände gebettet. Neill spürte sie über sich, jedoch berührte er sie nicht. Ihre Ungeduld wuchs, als er sich abermals entfernte und sie allein zurück ließ. Überrascht bemerkte Saomai, dass Feuchtigkeit aus ihrer Mitte rann. Sie wünschte sich, Neill möge augenblicklich zurückkehren. Doch Neill ließ sich Zeit.
Als er endlich kam, gab er den nächsten Befehl.
„Spreiz die Beine!“
Und Saomai tat es.
Eine Flüssigkeit rann warm zwischen ihre Pobacken. Sogleich machten sich Neills Hände daran, das Öl zu verteilen. Saomai seufzte. Wie lange war es her, dass ein Mann sie berührt hatte? Ein Jahr? Länger?
Neill kniete hinter ihr. Ausgiebig massierte er ihren Hintern. Dann berührte er ihre Schamlippen, ihren Kitzler, ihre Vagina. Er liebkoste alles gleichzeitig, wie es ihr schien. Mit den Fingern glitt er in sie hinein und ebenso virtuos wieder hinaus.
Ahnte er auch nur im Ansatz, wie gut das tat?
Ein Stöhnen entrann Saomais Mund. Sie öffnete die Beine noch weiter. Die Monate der Entbehrung hatten sie ausgehungert. Wohl deshalb hatte sich ihr Verstand längst verabschiedet und ihren Körper Neill Fergusons wissenden Händen überlassen. Ohne ihr Zutun bäumte sich ihr Unterleib auf, kam seinen Bewegungen entgegen und versuchte, sie zu verstärken, sobald er den Druck verringerte. Bald schon stöhnte und winselte Saomai hemmungslos und verlor mit jeder Bewegung, die Neill ausführte, mehr und mehr die Kontrolle über ihren Körper, ihre Sinne. Neill schien das Spiel mit ihrem Feuer zu gefallen. Immer wieder entzog er sich ihr und ließ ihren Unterleib hungrig zurück. Sicher weidete er sich daran, wie sie sich vor ihm auf dem Boden wand. Ihre Scham pulsierte, doch er hinderte sie ein ums andere Mal daran, zu kommen, indem er im letzten Moment einfach innehielt. Dabei lachte er rau. Saomai kam auf die Knie und hielt ihm ihren Hintern entgegen. Ihre Öffnung war so nass, wie sie es noch nie erlebt hatte. Sie wollte ihn in sich spüren, nicht länger warten. Doch Neill drückte sie auf den Boden zurück und wies sie streng zurecht: „Nicht so ungeduldig.“
Das war zuviel. Sie hatte das Gefühl, ihren Höhepunkt keine Sekunde länger hinauszögern zu können!
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, beugte sich Neill vor und raunte in ihr Ohr: „Du willst schon kommen, ja?“
„Ja!“
Saomai schrie es beinahe heraus. Fast hätte sie noch „Bitte“ hinterhergewinselt.
Sie hörte, wie Neill an seiner Hose nestelte. Er hatte sich noch nicht einmal ausgezogen? Ein Knistern verriet ihr, dass er ein Kondom überstreifte.
Mit einem einzigen tiefen Stoß glitt er in sie, umfasste ihre Hüften, kontrollierte den Rhythmus und gab ihr, was sie brauchte. Nach vier, fünf kräftigen Stößen glaubte Saomai, es zerreiße ihre Mitte. Sie keuchte, Speichel troff aus ihrem Mund. Da spürte sie Neill noch härter werden und ihren eigenen Orgasmus herannahen wie einen Tornado. Ihr Atem ging stoßweise, und während Neill sie mit einer Serie hämmernder Stöße nahm, zog er ihr den Seidenschal vom Gesicht.
Saomai schrie um ihr Leben. Sie lag auf dem gläsernen Boden eines Balkons, siebzig Stockwerke über dem nachtgrellen Bangkok. Und während sie glaubte, im freien Fall auf die Stadt herabzustürzen, erlag sie dem Orgasmus ihres Lebens.
„Kann ich davon ausgehen, dass du zustimmst?“, fragte Neill später mit unverschämter Zuversicht.
Er hatte Saomai auf die Couch im Salon gebettet und ihr eine Kaschmirdecke übergelegt, in die sie sich schmiegte. Da sie noch immer zitterte und aus übergroßen Augen auf die Skyline starrte, tätschelte er sanft ihre Schulter. Saomai räusperte sich.
„Kann ich das morgen entscheiden?“, fragte sie leise.
Sie wirkte völlig mitgenommen und Neill fühlte sich für einen kurzen Augenblick schlecht, weil er dafür verantwortlich war.
Andererseits, dachte er, war das eine unglaubliche Nummer gewesen!
„Natürlich“, gab er zurück. „Heute Nacht lasse ich dich aber nicht mehr gehen. Dazu bist du viel zu durcheinander.“
Er mixte zwei Martini. Saomai nahm ihren dankbar entgegen, nippte daran und genoss die Wärme, die sie kurz darauf durchflutete. Minuten später endlich entspannte sich ihr Körper. Der Kopf hörte auf, immer und immer wieder Bilder vom Sturz in die Tiefe abzuspulen, ihr Herz verlangsamte sein Tempo, bis es einem gemächlichen Trab gleichkam und allmählich verebbte auch das Zittern ihrer Glieder.
„Ich habe ein Gästezimmer“, hörte sie Neill sagen, „sehr gemütlich, mit eigenem Bad und allem, was man braucht. Es steht dir zur Verfügung.“
„Hmm“, murmelte Saomai und kuschelte sich tiefer in die Couch. „Klingt gut.“
****
Sie erwachte aus einem erholsamen Schlaf und zum ersten Mal seit vielen Monaten galt ihr erster Gedanke nicht Lamom Benjawan. Stattdessen dachte sie an Neill Ferguson und errötete bei der Erinnerung daran, was er mit ihr getrieben hatte. Es war unglaublich gewesen! Trotz des Schocks, den sie am Ende erlitten hatte. Oder gerade deswegen? Saomai wollte sich den Abend noch einmal in Erinnerung rufen, da fiel ihr Blick auf eine silberne Standuhr neben dem Bett. Oh je, schon so spät?
Sie würde es nicht rechtzeitig ins Krankenhaus schaffen! Andererseits, dachte sie und ließ sich zurück in die Kissen sinken, mache ich Überstunden wie verrückt! Da durfte sie sich auch einmal eine Verspätung gönnen.
Saomai konnte sich nicht erinnern, jemals in einem so prächtigen Bett aufgewacht zu sein. Es war in jedem Sinne ausladend und schien alles dafür zu geben, dass sie noch liegen blieb. Doch als die Uhr Viertel vor Sieben anzeigte, gab es kein Entkommen mehr. Seufzend schwang sie die Beine aus dem Bett und machte sich auf den Weg ins Bad. Dabei sah sie sich neugierig um. Wie hatte Neill gesagt? Ich habe ein sehr gemütliches Gästezimmer. Er hatte nicht übertrieben. Ein hochfloriger Teppich ließ sie durch das Zimmer schweben, das in warmen Beigetönen gehalten war. Es gab ein Schminktischchen mit lederbezogenem Hocker und einen Schreibtisch aus massivem Tropenholz. Eine Chaiselongue am Fenster fing den spektakulären Blick über die Stadt ein! Den scheint hier jedes Zimmer zu haben, dachte Saomai und erinnerte sich, dass die Penthouse-Suite das gesamte Stockwerk einnahm. Staunend betrat sie das Bad. Es war dreimal so groß wie ihr eigenes und mit dunklem Marmor ausgelegt. Von der Zahnbürste bis zum Shampoo in Miniaturausgabe stand alles bereit. …mit allem, was man braucht. Saomai lächelte, als sie verstand, was Neills gemeint hatte. Am Spiegel steckte ein Zettel.
Ich würde mich freuen, dich heute Abend zu sehen.
20 Uhr, wenn es für dich passt?
Neill
Er wollte sie also wiedersehen! Sehr gut.
Saomai betrachtete sich in dem wandgroßen Spiegel. Heute Abend würde sie sich beweisen müssen, soviel war klar. Doch die Vorstellung, sich mit dem Partner des Mörders ihres Vaters einzulassen, trieb ihr kalte Schauer über den Körper. Was wusste sie schon von Ferguson? Vielleicht steckte er mit Lamom Benjawan unter einer Decke, war genauso skrupellos wie er?
Nun, sie würde es herausfinden.
Rasch duschte sie, schlüpfte in ihre Kleider vom Vorabend, die sie zusammengefaltet auf der Chaiselongue fand, und beeilte sich, das Apartment zu verlassen, bevor sie Neill begegnete. Sollte er ruhig im Ungewissen darüber bleiben, ob sie kommen würde! Unten auf der Straße winkte Saomai ein Taxi heran. Sie ließ sich in ihre Wohnung bringen, sprang in ihre Ärztekleidung und nahm die wenigen Straßen zum Krankenhaus zu Fuß.
Der Tag zog wie in Trance an ihr vorüber. Sie war unkonzentriert und antwortete auf Fragen von Patienten und Kollegen nur mit Verzögerung. Zum Glück stand heute keine Operation an! Und auch Direktor Wong ließ sich nicht blicken. Nur Nadee bedachte sie mit Befremden im Blick, wann immer sich ihre Wege kreuzten. Ein paar Mal setzte er zu einer Frage an, doch Saomai eilte ihm stets davon. Was sollte sie ihm erzählen?
Um Punkt sechs Uhr verließ Saomai zur Überraschung der diensthabenden Schwester Tuk die Station und hastete nach Hause. Sie packte ein paar Kleidungsstücke, wählte mit Bedacht Schuhe, die sexy wirkten, ohne ihrem Fuß zu sehr zuzusetzen und sprang in das nächste Taxi. Um halb Acht betrat sie das Gebäude, in dem Neills Apartment lag, ließ den Fahrstuhl kommen und drückte auf den Knopf für das fünfzigste Stockwerk. Als die Fahrstuhltüren auseinander glitten, fand sich Saomai im wohlduftenden Empfangsbereich des „Delight Clubs“ wieder. Chandra persönlich stand hinter dem teakhölzernen Tresen.
„Saomai, Liebes!“, rief sie überrascht und eilte ihr entgegen, so schnell es ihre glitzernden Plateauschuhe zuließen. Die beiden Freundinnen fielen sich in die Arme. Doch schon im nächsten Augenblick schob Chandra Saomai von sich und hielt sie am ausgestreckten Arm auf Abstand.
„Du hast dich den ganzen Tag nicht gemeldet!“, schimpfte sie vorwurfsvoll. „Dabei platze ich vor Neugier! Wie ist es gelaufen?“
„Gut“, Saomai grinste. „Ich denke, ich bin jetzt seine persönliche Masseuse.“
Die letzten Worte setzte sie in Anführungszeichen, indem sie Zeige- und Ringfinger beider Hände krümmte.
„Was heißt das denn?“
„Dass ich dein bestes Massageöl brauche!“, lachte Saomai.
„Na, du machst mir Spaß“, gab Chandra lakonisch zurück. „Ich brauche mehr Details! Was ist da gestern passiert?“
„Das erzähle ich dir ein andermal, in Ruhe“, wehrte Saomai ab.
Sie wollte pünktlich bei Neill auftauchen. Wenn er schon nicht sicher sein konnte, ob sie überhaupt kam.
Chandra versorgte sie mürrisch mit allem, was sie brauchte.
„So einfach kommst du mir nicht davon“, nörgelte sie, als Saomai ihr zum Dank einen Kuss auf die Wange drückte. „Ich will alles ganz genau wissen. A-L-L-E-S, hörst du?“, rief sie Saomai hinterher, die längst im Fahrstuhl verschwunden war.
****
„Chandra hat nicht übertrieben“, stöhnte Neill.
Saomai kniete auf seinem Rücken und traktierte die Muskulatur seiner unteren Lendenwirbel.
„Womit?“ Sie hatte keine Ahnung, wovon er sprach.
„Sie sagt, du bist eine Meisterin der Thaimassage!“
„Das hat sie gesagt, ja?“, freute sich Saomai.
„Ja. Man hätte fast meinen können, sie wollte dich mir aufdrängen.“
Er lachte.
Saomai schickte ihrer Freundin ein stummes Dankgebet und wechselte das Thema.
„Nun ja, ich habe in einer der besten Massage-Schulen Thailands gelernt.“
Genau genommen hatte sie dort studiert, die traditionelle thailändische Massage war Teil ihres Medizinstudiums gewesen. Doch Neill ließ sie besser in dem Glauben, eine einfache Masseurin zu sein.
„Ach und wo ist diese Schule?“, fragte er.
„Hier in Bangkok. Kennst du den alten Königspalast?“
„Wat Pho? Da bin ich vor Jahren mal gewesen. Wie alle Touristen, schätze ich“, antwortete Neill.
„Ja, aber was die wenigsten Touristen wissen, ist, dass der Palast eine renommierte Universität beherbergt. Und eben die Massage-Schule. Das medizinische Wissen von dreitausend Jahren wird dort gelehrt.“
„Und da bringen sie euch bei, so hart zuzupacken, ja?“, stöhnte Neill erneut auf, als sie eine besonders verspannte Muskelpartie bearbeitete.
„Wenn du dich nicht so verkrampfen würdest, könntest du es sogar genießen“, entgegnete Saomai amüsiert.
Sie war froh über die ungezwungene Art, mit der Neill sie vorhin empfangen hatte. Immerhin, nach gestern Nacht! Dennoch fühlte sie sich nicht wohl in ihrer Haut. Ihr war nur allzu klar, was er heute von ihr erwartete und noch immer war sie nicht sicher, ob sie diese Rolle tatsächlich spielen konnte. Auf Befehl einem Mann zur Verfügung stehen – das taten doch nur ‚leichte‘ Mädchen!
Rasch schob sie den Gedanken beiseite. Eine Weile arbeitete Saomai schweigend vor sich hin. Gekonnt turnte sie auf Neill herum, um ihn zu kneten, zu dehnen und in die tiefliegenden Muskelschichten vorzudringen. Dabei studierte sie ausgiebig seine Anatomie. Arme und Beine waren muskulös, das breite Kreuz verschmälerte sich zur Taille hin zu einem fast perfekten V. Er fühlte sich samtig und gepflegt an. Nicht unattraktiv für sein Alter, musste sie zugeben. Im Vergleich zu ihren olivbraunen Händen war er nur furchtbar blass. Europäer halt.
Wann immer sich Neill bewegte, traten die Muskeln kraftvoll unter der glatten Haut hervor. Eigentlich ist er sogar ganz schön sexy, dachte Saomai und ein Kribbeln entflammte in ihrer Mitte. Bilder vom Abend zuvor drängten in ihr Bewusstsein. Sie versuchte, sich abzulenken, indem sie das Gespräch wieder aufnahm.
„Wie bist du nach Bangkok gekommen?“
Neill drehte den Kopf, um besser sprechen zu können.
„Ich hab‘Architekur studiert und ging nach dem Studium nach Singapur“, begann er. Als müsste er das näher erklären, setzte er nach: „Die Architektur dort war damals ziemlich neu und beeindruckend. Ist sie eigentlich immer noch.“
„Ja“, gab ihm Saomai zu verstehen, dass sie wusste, wovon er sprach.
Sie war oft mit ihrem Vater dort gewesen.
„Dort verliebte ich mich dann in eine Thailänderin. Sie war die Tochter eines sehr erfolgreichen Architekten hier in Bangkok und überredete mich, für ihren Vater zu arbeiten. Also zog ich nach Bangkok.“
Er machte eine Pause und Saomai dachte bereits, er hätte seine Geschichte beendet, als er mit Wehmut in der Stimme fortfuhr: „Bei Arun habe ich alles gelernt, was ich über das Bauen weiß.“
„Und was ist dann passiert?“